Soziale Isolation während der Corona-Pandemie. Psychologische Auswirkungen auf die Generationen X, Y und Z

Eine quantitative Analyse


Bachelorarbeit, 2021

86 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhalt

1 Einleitung
1.1 Vorgehensweise
1.2 Ausgangslage
1.3 Problemstellung
1.4 Zielsetzung und Hypothesen
1.5 Methodik

2 Die soziale Isolation – die Qual der Einsamkeit
2.1 Soziale Isolation als negatives Extrem der sozialen Integration
2.2 Ursachen der sozialen Isolation
2.3 Negative Folgen für die menschliche Psyche
2.3.1 Angst, Aggression und Unsicherheit
2.3.2 Stress und Depression

3 Auswirkung sozialer Isolation auf verschiedene Generationen
3.1 Generationenklassifikation
3.1.1 Generation X (Twentysomethings)
3.1.2 Generation Y (Millennials)
3.1.3 Generation Z
3.2 soziale Isolation und deren psychische Auswirkungen bei der Generation X
3.3 Die soziale Isolation und deren Auswirkungen bei der Generation Y
3.4 Die soziale Isolation und deren Auswirkungen auf die Generation Z

4 Corona-Pandemie und die davon verursachte soziale Isolation
4.1 Körperliche Distanz und soziale Isolation: Begriffspräzisierung
4.2 Die Ausgangssperre als „Weg“ zur sozialen Isolation
4.2.1 Das Abbrechen des Kontaktes zur Außenwelt
4.2.2 Die Veränderung des Tagesrhythmus
4.2.3 Die Veränderung der Wahrnehmung
4.3 Auswirkungen der Ausgangssperre auf den menschlichen Körper und die menschliche Psyche
4.3.1 Körperliche Ebene
4.3.2 Soziale Ebene
4.3.3 Psychische Ebene
4.4 Neue Kommunikationskanäle als Mittel der Isolationsbewältigung

5 Empirischer Teil
5.1 Fragestellung und Hypothesen
5.2 Methodik
5.2.1 Wahl des Untersuchungsinstruments
5.2.2 Konstruktion des Fragebogens
5.2.3 Zielgruppe/ Stichprobe und Rekrutierung
5.2.4 Datenaufbereitung und Analysemethoden
5.3 Auswertung und Interpretation der Daten

6 Zusammenfassung
6.1 Fazit
6.2 Ausblick

Literaturverzeichnis

1 Einleitung

1.1 Vorgehensweise

Die Arbeit beginnt mit der Einleitung, in welcher Ausgangslage, Problemstellung, Zielsetzung und Vorgehensweise dargestellt werden. Kapitel 2 ist dem Konzept der Sozialen Isolation gewidmet: Es werden die Ursachen der sozialen Isolation und deren mögliche negative Folgen auf die menschliche Psyche und Gesundheit analysiert. Im Fokus des Kapitels 3 steht die Auswirkung der sozialen Isolation auf Vertreter*innen der Generationen X, Y und Z. In Kapitel 4 wird die aktuelle Corona-Pandemie und die, mit der gezwungenen Ausgangssperre einhergehende, soziale Isolation dargestellt. Die Auswirkungen der Ausgangssperre auf den Menschen werden auf der sozialen, körperlichen und psychischen Ebene untersucht. Kommunikationskanäle werden als Mittel der Isolationsbewältigung beschrieben. Kapitel 5 stellt den empirischen Teil der Untersuchung: Im ersten Schritt werden Ziele definiert und Hypothesen formuliert, Methodik, Zielgruppe und Analysemethoden dargestellt. Im zweiten Schritt werden die erhobenen Daten ausgewertet und interpretiert. In Kapitel 6 werden die wichtigsten Ergebnisse der Untersuchung zusammengefasst.

1.2 Ausgangslage

Seit fast einem Jahr leben die Menschen in einer neuen Realität, die durch die weltweite Ausbreitung des Virus SARS-CoV-2 geprägt ist. Heute gibt es kaum einen Menschen, dessen Alltag die Corona-Pandemie nicht geändert hat (vgl. Hoß 2020). Die Ausbreitung des Coronavirus hat das Leben der meisten Menschen bemerkbar eingeschränkt: Schulen werden geschlossen, Mitarbeiter*innen ins Homeoffice geschickt, die Bewegungsfreiheit reduziert, die wirtschaftliche Existenz bedroht. Die Corona-Pandemie überlässt überall Spuren - sowohl „physische“ als auch „psychische“: Menschen werden angesteckt - nicht nur vom Virus selbst, sondern auch von Angst und Unsicherheit. Über die Corona-Pandemie berichten weitestgehend alle Medien, sie ist Thema Nummer eins im politischen und öffentlichen Diskurs. Sie ist oft der erste Gedanke, der uns am Morgen beim Aufwachen durch den Kopf schießt (vgl. Heise 2020).

Die Corona-Pandemie stellt für das soziale Wesen „Mensch“ eine neue, große Herausforderung dar - sie hat die gezwungene soziale Isolation mit sich gebracht. Als Menschen haben wir uns historisch in kleinen Verbänden entwickelt mit einigen Dutzend Individuen. Dieses Umfeld ist für uns überlebensrelevant gewesen, denn evolutionär gesehen sind wir keine Einzelgänger – wir brauchen Kontakte (vgl. Klimpel 2020).

Aktuell ist man gezwungen monatelang in den eigenen vier Wänden zu verweilen und „sozialen Abstand“ zu halten. Vorbeugende Maßnahmen wie soziale Distanzierung und Selbstisolation wurden während der Corona-Pandemie in mehr als 125 Ländern eingeführt. Das Ziel ist es, Menschen von Umgebungen wie Klassenzimmern, Büros und Einkaufszentren fernzuhalten, in denen sie sich für längere Zeit in unmittelbarer Nähe zueinander befinden (vgl. Soziale Distanzierung 2020: S. 3). In diesem Sinne hat die Isolation einen positiven Effekt, da sie den Menschen hilft, sich nicht mit dem Virus anzustecken und es nicht auf andere Menschen zu übertragen. Diese soziale Isolation hat aber auch eine andere – negative – Seite: Da „zwischenmenschliche Beziehungen und eine geteilte soziale Identität der Schlüssel zu einer guten Gesundheit“ sind (Haslam et al. 2020: S. 19), fällt das social distancing1 vielen Menschen sehr schwer und hat unvermeidlich eine unmittelbare Auswirkung auf die menschliche Psyche (vgl. Benoy 2020: S. 24).

Aufgrund des gezwungenen social distancing und der geforderten Ausgangssperre, musste man plötzlich auf eine Vielzahl von Gewohnheiten verzichten, was mit dem Verlust der Tagesstruktur und Tagesinhalte verbunden ist. Die unwillkürliche soziale Isolation sowie die Anpassung an die neuen und ungewöhnlichen Bedingungen gehen mit einer starken psychischen Aktivierung einher und rufen nicht selten Stress, Unsicherheitsgefühl, Angst, Panik, Ärger Erleben, Nervosität, Einsamkeit usw. hervor (vgl. Benoy 2020: S. 24). Social distancing, soziale Isolation, Abstand und Abstandsregeln sind zu wichtigsten Begriffen der Corona-Krise geworden: Man hält sich voneinander fern, um sich nicht gegenseitig mit Covid-19 anzustecken; gleichzeitig geht mit der sozialen Isolation das Gegenteil einher, eine große soziale Enge (vgl. Wilken 2020).

1.3 Problemstellung

Viele Psycholog*innen weisen darauf hin, dass die soziale Isolation als effektives Mittel gegen die Coronavirus-Ausbreitung gleichzeitig eine Reihe von psychologischen bzw. psychischen Problemen verursachen kann. Dies lässt sich damit erklären, dass die soziale Isolation dem Wesen des Menschen widerspricht, wobei es besonders schwerfällt, die eigenen Gefühle in einer harmonischen Balance zu halten. Aus diesem Grund wird man schnell depressiv und ängstlich. Bei Jüngeren und Älteren entwickelt eine Art Angstspirale, die von den Massenmedien und sozialen Netzwerken noch verstärkt wird (vgl. Bücker 2020). Die meisten Experten sind darin einig, dass die soziale Isolation insbesondere von den älteren Menschen (Generation X und Babyboomern) als enorme Herausforderung empfunden wird. Da Kontakte mit den Kindern, Enkeln und Angehörigen verboten sind, stellt in den meisten Fällen das Handy das einzige Kommunikationsmittel dar (vgl. Marx 2020). Was die jüngere Generation (Generation Z) angeht, so weisen viele Gelehrte darauf, dass diesen die soziale Isolation leichter fällt, was sich vor allem mit der Verbreitung von neuen Kommunikationstechnologien erklären lässt. Das Internet und soziale Netzwerke werden von den Zlern als wichtigstes Mittel der Isolationsbewältigung genutzt (vgl. Haslam 2020: S. 19).

1.4 Zielsetzung und Hypothesen

Das Ziel der vorliegenden Arbeit besteht darin, zu untersuchen, welche Auswirkungen die mit der Corona-Pandemie und dem davon verbundenen Lockdown einhergehende soziale Isolation auf Vertreter*innen der drei Generationen – Generation X, Y und Z –hat. Aus dem thematischen Kontext werden sich eine Reihe von Hypothesen ableiten lassen. Diese haben sich im Rahmen des Theoriestudiums entwickelt und wurden anschließend durch gezielte Fragestellungen in Form eines standardisierten quantitativen Fragebogens untersucht (vgl. empirischer Teil dieser Arbeit).

1.5 Methodik

Die Arbeit besteht aus zwei Teilen: dem Theoretischen und dem Empirischen. Der theoretische Teil basiert auf einer grundlegenden Recherche der relevanten wissenschaftlichen und fachlichen Literatur. Die Literaturmethode setzt eine literaturfundierte und kompilatorische Vorgehensweise sowie eine kritische Auseinandersetzung mit den Texten voraus. Durch die Erarbeitung von theoretischen Grundlagen wird für die Formulierung von Hypothesen eine wichtige Basis gebildet. Wissenschaftliche Texte, Monografien, Sammelbände, Fachzeitschriften, Fallstudien sowie offene Uni-Datenbanken und Bibliotheksportale sind Forschungsgrundlage der Untersuchung. Damit auch die neuesten Erkenntnisse in allen Forschungsbereichen in die Ausarbeitung einbezogen werden, wird den jüngeren Quellen der Vorzug vor Älteren gegeben.

Der empirische Teil stellt eine quantitative Analyse dar, die sich in Form einer Online-Befragung auf drei Zielgruppen – Generation X, Generation Y und Generation Z – ausrichtet. Mithilfe eines Fragebogens werden die Betroffenen nach Auswirkungen der gezwungenen sozialen Isolation während der Corona-Pandemie befragt. Auf die Erstellung des Fragebogens, Spezifik der Datenerhebung usw. wird im empirischen Teil detailliert eingegangen.

2 Die soziale Isolation – die Qual der Einsamkeit

2.1 Soziale Isolation als negatives Extrem der sozialen Integration

Der Begriff Isolation stammt vom lateinischen Wort isola und bedeutet etwas zur Insel machen, vom Festland abtrennen. Auf den sozialen Kontext übertragen, handelt es sich um den Zustand eines oder mehrerer Individuen, die als gesellschaftlich randständig, marginalisiert bzw. räumlich ausgeschlossen werden. In der wissenschaftlichen Literatur werden zur Beschreibung dieses Phänomens verschiedene Begriffe verwendet, die häufig als Synonyme gelten: Isolation, soziale Isolation, soziale Anomie, soziale Isolierung, soziale Entfremdung usw. (vgl. Dederich & Jantzen 2009: S. 87).

Aufgrund einer großen Anzahl von wissenschaftlichen Definitionen der sozialen Isolation, werden im Folgenden einige davon angeführt. So verstehen Lauth und Viebahn unter der sozialen Isolation den Zustand eines geringsten sozialen Kontaktes bzw. größter Distanz. Es wird dabei unterschieden zwischen direkten (Einsamkeitsempfinden, Entfremdungsgefühlen usw.) und indirekten (Mobilität, Zahl der Individuen im sozialen Netzwerk usw.) Isolierungsindikatoren (vgl. Lauth & Viebahn 1987: S. 17).

Das Gegenteil der sozialen Isolation ist die soziale Unterstützung bzw. soziale Integration, mit der das Vorhandensein von sozialen Beziehungen gemeint ist. Sie umfasst Aspekte wie die Anzahl von Freunden bzw. Bekannten und die Kontakthäufigkeit (vgl. Berth et al. 2008: S. 503). Die soziale Isolation lässt sich dagegen als Mangel an sozialen Kontakten, Zugehörigkeit, Teilhabe sowie erfüllenden Sozialbeziehungen bezeichnen. Aus dieser Definition resultiert, dass es sich bei der sozialen Isolation nicht um ein lediglich quantitatives Phänomen handelt, das heißt um die Anzahl von sozialen Kontakten bzw. Kontaktpartnern, sondern auch um die Qualität sozialer Beziehungen. Demgemäß wird zwischen der strukturellen und der funktionellen sozialen Unterstützung differenziert: Bei der Ersten geht es um die Größe sozialer Netze und die Häufigkeit sozialer Kontakte, unter der Zweiten wird die Qualität bzw. der wahrgenommene Wert bestehender sozialer Kontakte verstanden (vgl. Bollheimer & Kruse 2014: S. 487).

1897 erschien das berühmte Werk „Der Selbstmord“ des französischen Soziologen und Ethnologen David Émile Durkheim, in dem der Autor die Ursachen sozialer Probleme sowie die Rolle der sozialen Isolation bei mentalen Krankheiten untersuchte und zur Schlussfolgerung kam, dass die Ursachen des egoistischen Selbstmords in einem Defizit der gesellschaftlichen Integration liegen (vgl. Hollstein 2001: S. 21). „In Gruppen, in denen ein hoher Prozentsatz von Personen sozial isoliert ist, ist die Selbstmordrate höher als in Gruppen, in denen ein geringerer Prozentsatz sozial isoliert ist“, - so die auf Durkheim zurückgehende einschlägige Grundaussage (Kerres & Seeberger 2005: S. 102). Die Untersuchung von Durkheim wurde 1939 von Robert Faris und Warren Dunham in ihrem Werk „Mental disorders“ fortgesetzt, der Akzent wurde dabei auf mentale Krankheiten in städtischen Gebieten gelegt, die durch verschiedene Arten von Lebensumständen und somit auch diverse Ausmaße sozialer Isolation geprägt waren (vgl. Coleman & Sukale 1992: S. 351).

In diesem Fall stellt die soziale Integration einen Schutzmechanismus dar, der vor allem an der Familiengröße festgemacht wird. Die Schutzfunktion liegt im inneren Zusammenhalt des sozialen Netzwerks bzw. einer Gemeinschaft, durch den das Verhalten von Individuen strukturiert wird und egoistische bzw. individualistische Gedanken nur wenig Raum haben. Anders gesagt haben soziale Beziehungen prinzipiell eine schützende und unterstützende Wirkung (vgl. Hollstein 2001: S. 21), da sie nach Maslow zu den Grundbedürfnissen aller Menschen gehören (vgl. Maslow 2017). In den sozialen Beziehungen werden positive Erfahrungen wie Sicherheit, Nähe, Zugehörigkeit und Anerkennung erlebt sowie das Selbstwertgefühl und die Befindlichkeit gefördert (vgl. Höfer 2000: S. 136). „Ein Grundbedürfnis des Menschen ist das Bedürfnis nach Zugehörigkeit. Das rührt daher, dass der Mensch im Gegensatz zu Tieren… weder große Muskelkraft noch Reißzähne oder scharfe Krallen besitzt. Für ihn stiegen die Überlebenschancen, wenn er Gruppen bildete, die gemeinsam jagten und Feinde abwehrten. Der Verlust der Gruppe bedeutet meist über kurz oder lang das Todesurteil […] Das grundlegende Bedürfnis nach sozialer Zugehörigkeit ist geblieben und bestimmt immer noch entscheidend unser Handeln“ (Beck & Beck 2008: S. 22). Das Bedürfnis nach Eingebundenheit und sozialer Zugehörigkeit gilt als eines der drei wichtigsten angeborenen psychologischen Bedürfnisse, das für die seelische Gesundheit eine Vorrangstellung einnimmt (vgl. Looser 2020: S. 42). Dabei gibt es kein verbindliches Maß für die Zahl der Bezugspersonen, die ein Mensch braucht, um ein zufriedenes Leben führen zu können (vgl. Hein 2007: S. 383).

Das menschliche Gehirn ist ein soziales Organ, in dem den zwischenmenschlichen Prozessen (Entwicklung neuraler sowie sozialer Netzwerke) eine zentrale Stelle eingeräumt wird. „Die erzwungene soziale Isolation, rücksichtsloser Individualismus, chronische zwischenmenschliche Konflikte oder vorenthaltene Anerkennung und Wertschätzung sind mit erheblichen Risiken für Gesundheit und Lebensdauer verbunden“ (Badura et al. 2013: S. 4). Basierend auf der bereits oben erwähnten klassischen Studie von Durkheim stützen viele Forschungsergebnisse die Annahmen des Wissenschaftlers, dass enge soziale Beziehungen positive Auswirkungen auf psychisches und somatisches Wohlbefinden der Menschen haben. So sind verheiratete Individuen durch eine längere Lebenserwartung charakterisiert als Nicht-Verheiratete, Geschiedene und Verwitwete. Zudem schützt der enge soziale Zusammenhalt vor Depressionen, während erzwungene soziale Isolation große Gesundheitsrisiken birgt (vgl. Reinhardt et al. 1997: S. 67).

2.2 Ursachen der sozialen Isolation

Die freiwillige und erzwungene Isolation ist nicht nur Gegenstand zahlreicher wissenschaftlicher Studien und Untersuchungen. Das Thema des Lebens in sozialer Abgeschiedenheit hat auch viele Schriftsteller*innen zu allen Zeiten interessiert. Zu einem der berühmtesten Werke, in dem die erzwungene soziale Isolation dargestellt wird, gehört ohne Zweifel der Roman von Daniel Defoe „Robinson Crusoe“ (vgl. Lück 1993: S 23). Als Vorbild für den Protagonisten diente Alexander Selkirk, der vier Jahre auf einer karibischen Insel ausgesetzt wurde und in der erzwungenen Isolation fast seine Sprache verlor (vgl. Assmann 2018: S. 34).

Als weiteres Beispiel lässt sich der Roman des indischen Schriftstellers Vikram Seth „Verwandte Stimmen“ anführen, dessen Protagonist, der Geiger Michael Holme nicht auf einer unbewohnten Insel lebt, sondern im Zentrum Londons – einer hektischen und geschäftigen Metropole, die voll von Menschen ist. Trotzdem fühlt sich Michael einsam und sozial isoliert und sehnt sich zurück nach Rochdale, dessen Weite und Stille er als Kind liebte. Dem Protagonisten dient Musik als Fluchtpunkt und Ersatz für das Scheitern im Leben außerhalb der Musik. „Sein Dasein am Rand der Gesellschaft verkörpert nicht ausschließlich die freiwillige soziale Isolation, um künstlerisch wirken zu können. Die Ausgrenzung aus einer als übermächtig und abweisend empfundenen Großstadt erschwert ihm als Außenseiter aus einer anderen sozialen Schicht zudem die Zugehörigkeit“ (Reher 2010: S. 247).

In vielen Kulturen gilt die erzwungene soziale Isolation als die schwerste Strafe. Dabei handelt es sich nicht nur um eine physische (körperliche) Isolierung, sondern auch um die Missachtung durch Ignorierung (vgl. Lück 1993: S. 23). Die Exklusion aus einer sozialen Gruppe (Familie, Bekanntenkreis, Gesellschaft usw.) und die damit verbundene soziale Isolation werden für die brutalste Bestrafungs- und Foltermethode gehalten. Einen anschaulichen Eindruck liefern die Erinnerungen des amerikanischen Journalisten Terry Anderson, der von seiner Gefangenschaft im Libanon während der Bürgerkriegsjahre erzählt. Anderson betont, wie die erzwungene soziale Isolation und die Einsamkeit ihn fast in den Wahnsinn getrieben haben: „I am afraid I am beginning to lose my mind, to lose control completely“ (Reimann 2020: S. 80).

Aus den angeführten Beispielen wird ersichtlich, dass Gründe für eine soziale Isolation (freiwillige und erzwungene) unterschiedlich sind. Es muss allerdings betont werden, dass die moderne Gesellschaftsstruktur in vielen Fällen mitverantwortlich für die soziale Isolation von Menschen ist, insbesondere von alten Menschen. Die Gründe sind: die Hektik, die erhöhte Anonymität in den Großstädten, der vermehrte Medienkonsum als Kommunikationsersatz, die Rationalisierung bei sozialen und pflegerischen Diensten usw. (vgl. Böhmer-Breuer 2017: S. 171). Gemäß Angaben von Andreas Meyer-Lindenberg vom Zentralinstitut für Seelische Gesundheit an der Universität Mannheim sind viele Bewohner*innen von hektischen Metropolen sozial isoliert und leiden öfter an psychischen Erkrankungen als Landbewohner*innen.

Verantwortlich für Stress sind Lärm, Staub, beengte Wohnverhältnisse, Anonymität und Gerüche. „Achtzig Prozent der Menschen in der Stadt kennen ihre Nachbarn nicht. Dabei ist ein soziales Netzwerk für die psychische Gesundheit eines Menschen sehr wichtig“ (Bülow 2020).

Die soziale Isolation und die davon verursachte Einsamkeit zählen zu den dringlichsten Problemen alter Menschen und werden häufig zum Hauptmotiv für Alterssuizide (vgl. Böhmer-Breuer 2017: S. 171). Zu der besonders vulnerablen Gruppe gehört die ältere Generation, da mit steigendem Alter ein Rückgang sozialer Kontakte wahrscheinlich ist, einerseits aufgrund der eingeschränkten Mobilität und andererseits wegen des Sterblichkeitsrisikos im eigenen sozialen Umfeld (vgl. Vonneilich 2016: S. 93). Die soziale Isolation ist aber auch in der jüngeren Generation präsent; die Ursachen dafür sind unterschiedlich: Migrationshintergrund, die religiöse Überzeugung, bestimmte Krankheiten, geistige bzw. körperliche Behinderung, Arbeitslosigkeit, Übergewicht, sexuelle Orientierung usw. (vgl. Hoyer & Härtling 2017: S. 60). Für die soziale Isolation der Jugendlichen sind zwei Trends ursächlich - die Urbanisierung und die Digitalisierung, und zwar die zunehmende Nutzung von sozialen Medien. Mit dem Sammelbegriff „soziale Medien“ ist eine Vielzahl von verschiedenen Web-Angeboten gemeint, zu denen vor allem die sozialen Netzwerke wie Facebook, YouTube, Twitter usw. gehören (vgl. König et al. 2014: S. 7). „Die Digitalisierung bringt Menschen nämlich nicht, wie oft behauptet wird, zusammen, sondern bewirkt eine Zunahme von Unzufriedenheit, Depression und Einsamkeit“, - so der Psychiater Manfred Spitzer in seinem Buch „Einsamkeit, die unerkannte Krankheit“ (Spitzer 2020).

Die Auswirkungen der sozialen Isolation auf den Menschen haben also sowohl Wissenschaftler*innen als auch Schriftsteller*innen schon immer interessiert. Insbesondere nach dem Zweiten Weltkrieg stieg die Anzahl von Experimenten und Forschungen zur sozialen Isolation. Aus ethischen Gründen wurden die Experimente meist mit Tieren durchgeführt mit dem Ziel, mögliche psychologische Veränderungen und Entwicklungsstörungen zu analysieren. Einen großen Beitrag leisteten Untersuchungen des US-amerikanischen Psychologen Harry Harlow, der zusammen mit seinen Mitarbeiter*innen das Verhalten der Rhesusaffen untersuchte, die kurz nach ihrer Geburt von ihren Müttern getrennt wurden. Waren die Tiere für eine kurze Zeitperiode (bis zu drei Monaten) isoliert, so zeigten sich keine dauerhaften Konsequenzen; jedoch nach einer längeren Zeitperiode (sechs bis zwölf Monate) weisen die Rhesusaffen erhebliche Verhaltensänderungen auf (zogen sich in Ecken zurück, reagierten furchtsam, fügten sich selbst Verletzungen zu, waren überaggressiv) (vgl. Lück 1993: S. 24).

In der anglo-amerikanischen Forschung nimmt die Arbeit von Ernest Haggard „Isolation und Persönlichkeit“ (1964) eine wichtige Stelle ein. Der Autor zieht aufgrund von zahlreichen Situationen experimenteller Isolation (Polarforschungsaufenthalte, Gefängnisaufenthalte, Schiffbrüche, Wahrnehmungseinschränkungen usw.) die Schlussfolgerung, dass unterschiedliche Isolationsformen gleiche Wirkungen haben und dass umgekehrt gleiche Isolationsformen diverse Konsequenzen mit sich bringen können. Die Konsequenzen der sozialen Isolation hängen von der bisherigen Entwicklungsgeschichte der Persönlichkeit ab – von kognitiven und emotionalen Umbildungen bis zur Zerstörung der Identität (vgl. Prosetzki 2014: S. 229). „Isolation bezieht sich nicht nur auf die Vermittlung von Entfremdungsprozessen auf die Ebene der Entwicklung der Persönlichkeit, sie bezieht sich auch auf die durch Krankheit, Unfall, Vergiftung usw. veränderten Naturgrundlagen der menschlichen Existenz“ (Jantzen 2007: S. 276). Auch wenn sich ein Mensch freiwillig isoliert, bleibt dies in den meisten Fällen nicht ohne Folgen. Es gibt aber bemerkbare individuelle Unterschiede: Manchmal wird eine objektiv bestehende soziale Isolation von einem Individuum nicht als Mangel wahrgenommen und kann deswegen ohne Schaden bleiben (vgl. Martens & Begus 2018: S. 181). Die meisten Menschen leben in Gemeinschaften und Beziehungen, welche sie im Laufe ihres Lebens pflegen. Lebt der Mensch allein und hat wenig soziale Kontakte, bedeutet dies noch nicht, dass er einsam ist. Erst wenn er sein Alleinsein als Mangel empfindet, transformiert sich die soziale Isolation in die Einsamkeit (vgl. Runge & Rehfeld 2000: S. 495). Die Einsamkeit ist dabei nicht der sozialen Isolation gleich und lässt sich davon konzeptionell abgrenzen. Unter der Einsamkeit wird verstanden „das quälende Bewusstsein eines inneren Abstands zu den anderen Menschen und die damit einhergehende Sehnsucht nach Verbundenheit in befriedigenden, sinngebenden Beziehungen“ (Stuppner 2011: S. 19).

Resümierend lässt sich sagen, dass die soziale Isolation der Zustand ist, bei dem ein Individuum wenige oder sogar keine sozialen Kontakte mit Mitmenschen hat. Die Ursachen der sozialen Isolation können unterschiedlicher Natur sein und hängen in hohem Maße von der persönlichen Lebenssituation ab. Die soziale Isolation kann in einem konkreten Fall objektiv bestehen, ohne dass ein Individuum dies subjektiv als Mangel empfindet. Auf die Auswirkungen, die soziale Isolation auf den menschlichen Körper und die menschliche Psyche haben kann, wird im nächsten Kapitel eingegangen.

2.3 Negative Folgen für die menschliche Psyche

Die soziale Isolation ist kein medizinisches Konstrukt und lässt sich nicht als Krankheitszustand verstehen. Trotzdem kann sie sowohl den Gesundheitszustand als auch das Gesundheitsverhalten negativ beeinflussen und als Folge insbesondere chronischer gesundheitlicher Beeinträchtigungen auftreten (Bollheimer & Kruse 2014: S. 65).

2.3.1 Angst, Aggression und Unsicherheit

Das menschliche Gehirn ist auf die Erlangung von Vertrauen, Zugehörigkeit und Kooperation ausgerichtet, akzeptiert die soziale Zurückweisung nicht, reagiert darauf mit Aggression. Der Aggressionsapparat lässt sich als Hilfssystem des Motivationssystems bezeichnen, für das Akzeptanz und Bindung überlebenswichtig sind. Fühlt es sich bedroht, so reagieren die Alarmsysteme des menschlichen Gehirns in Form von Angst und Aggression (vgl. Bauer 2011: S. 41). Da die soziale Isolation einer der intensivsten Stressoren ist, sind Reaktionen des Organismus darauf sehr wahrscheinlich. Eine der typischen Reaktionen ist Angst, die sich oft hinter körperlichen Symptomen verbirgt. Angst ist stets ein Hinweis auf nicht erfüllte Bedürfnisse, vor allem elementare menschliche Grundbedürfnisse wie Bedürfnis nach Zugehörigkeit, nach Kommunikation, nach Partizipation usw. (vgl. Mainka-Riedel 2013: S. 98).

Unter Angst wird der psychische Zustand verstanden, der durch Unordnung ausgelöst wird. Für diesen Zustand ist der zentrale Gehirnmechanismus zuständig, welcher die Menschen veranlasst, ein bestimmtes Niveau der Reizvariation zu suchen und aufrechtzuerhalten, um ein allgemeines Aktivationsniveau zu gewährleisten. Nimmt das Aktivationsniveau zu weit ab, weist der Organismus enorme Desorganisationserscheinungen, aufgrund des Mangels der in Übereinstimmung mit früheren Erfahrungen benutzten perzeptorischen Stichworte, auf. Wird ein Individuum dieser Stichworte infolge der sozialen Isolation völlig beraubt, kann dies einen chaotischen, mit Stress verbundenen Zustand provozieren, in dem das sozial isolierte Individuum nur schwer die Realität zu interpretieren und bevorstehende Ereignisse adäquat zu bewerten vermag (vgl. Afshar 1990: S. 268).

Bei Individuen, die der erzwungenen sozialen Isolation dauerhaft unterworfen sind, verkümmert das Motivationssystem. Sie verlieren Interesse am Leben, haben keinen Appetit mehr und werden oft krank oder aggressiv. Interessant ist in diesem Zusammenhang die Untersuchung des Psychiaters Marc Sageman, der die Biografien von vierhundert islamistischen Terroristen analysiert hat. Vom Forscher wurde Folgendes herausgefunden: Bevor sich die Betroffenen einer terroristischen Organisation anschlossen, waren sie sozial isoliert. Diese sozial isolierten und meist aggressiven Individuen lernten im Internet bzw. in der Nachbarschaft Vertreter*innen der Terrorgruppen kennen, schlossen sich diesen an und waren bereit, für sie sogar ihr Leben zu geben. Die meisten terroristischen Organisationen suchen nach solchen jungen vereinsamten Seelen, die sich ausgeschlossen fühlen (vgl. Zeug 2013).

Angst und Aggression gehören neben Hilfslosigkeit, Verzweiflung und Schuld zu den unerträglichen Gefühlen. Als Reaktion auf die unerträglichen Gefühle wie Angst, soziale Isolation und psychische Spannung treten nicht selten Selbstverletzungen auf (vgl. Denner 2007: S. 37), was in den Studien von Harlow noch in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts bestätigt wurde (vgl. Petermann & Winkel 2009: S. 92). Reizarme Lebensbedingungen, die für die soziale Isolation charakteristisch sind, erhöhen die Auftretenswahrscheinlichkeit des selbstverletzenden Verhaltens, insbesondere bei Menschen mit geistiger Behinderung. „Langanhaltende soziale Isolation kann verheerende Auswirkungen auf die Strukturen des Gehirns haben, die wahrscheinlich auch die Dysregulation von Neurotransmittern begünstigt“ (Bienstein & Rojahn 2013: S. 69). Es kommt häufig vor, dass infolge der sozialen Isolation eines Individuums seine früheren Freunde bzw. Kolleg*innen zurückziehen und somit den Betroffenen in eine noch größere soziale Isolation drängen. In diesem Fall finden soziale Kontakte des Betroffenen außerhalb der Familie im Spannungsfeld der Unsicherheit und Hilfslosigkeit statt (vgl. Baudisch 1997: S. 76).

2.3.2 Stress und Depression

Viele Mediziner sind davon überzeugt, dass die meisten Krankheiten (80%) durch Stress verursacht werden, darunter: Infektionserkrankungen, Krebs (vgl. Schüler et al. 2020: S. 589), Herzkrankheiten, Migräne, hoher Blutdruck, Magenschleimhautentzündung (vgl. Werner & Arras 2010: S. 31), Kopf- und Rückenschmerzen, Schlafstörungen, Potenzstörungen, Erkrankungen der Nieren und der Gelenke, Hörsturz, Augenerkrankungen (vgl. Gerbitz 1995: S. 36). „Stress wird als überindividueller wirksamer Reiz empfunden, wenn er negativ erlebt und nicht genügend bewältigt und aufgearbeitet wird“ (Jakab 2006: S. 158). Es handelt sich dabei nicht um den Stress vorübergehender Lebensereignisse wie finanzielle oder Beziehungsprobleme, sondern um die allgemeine Wahrnehmung des Lebens, des eigenen Platzes in der Welt und in der eigenen unmittelbaren Umgebung. In der Stresssituation produziert unser Körper Energie, die für den Kampf bzw. die Flucht erforderlich ist. Diese Energie muss in Bewegung umgesetzt und abgebaut werden. In der Regel erfolgt dies nicht, da man meist nicht kann bzw. nicht sofort zum Angriff übergehen will oder vor der Gefahr wegläuft. So besteht für den menschlichen Körper die Bedrohung weiter, der Körper produziert seinerseits neue Energie, was zur Entstehung des negativen Stresses führt. Durch diesen Dauerstress werden sowohl der Körper als auch die Psyche überlastet, das Immunsystem wird geschwächt. Zu den, durch negativen Dauerstress ausgelösten Krankheiten gehören: Schlafstörungen, Herz- und Kreislauferkrankungen, Magen- und Darmerkrankungen, Hautkrankheiten, Hörsturz und viele andere (vgl. Gerbitz 1996: S. 36).

Zu den Stressoren psychosozialer Art gehört die soziale Isolation. Aus den Forschungsergebnissen lässt sich eine Schlussfolgerung ziehen: Das Bedürfnis nach Zugehörigkeit ist so tief in Menschen verwurzelt, dass die Qualität der sozialen Bedingungen fundamental für ihr Überleben ist. Stress und Krankheiten stammen aus der sozialen Isolation und „die aktuelle Neigung der Menschen, sich gegeneinander zu wenden, richtet offenbar den größten Schaden an“ (vgl. McTaggart & Kretzschmar 2017: S. 76).

Stress und die damit verbundene Depression zählen heutzutage zu den häufigsten psychischen Störungen (Angststörungen – 15,4 %, unipolare Depression – 8,2 %, Störungen durch Alkohol- und Medikamentenkonsum – 5,7 %) (vgl. Suhr 2020) aber auch zu den Folgenschwersten. Die Depression gefährdet den normalen Lebenslauf durch Motivationslosigkeit, Passivität, einem nicht konstruktiven Umgang mit negativen Gefühlen und eine höhere Belastung durch Stress. In den meisten Fällen ziehen sich die Betroffenen zurück und durch diese Isolation bekommen sie weniger Unterstützung seitens anderer Menschen und werden in ihrer sozialen Entwicklung stark eingeschränkt (vgl. Groen et al. 2012: S. 5).

Die soziale Isolation stellt bei Depression sowohl Ursache als auch Folge dar, diese stehen in reziproker Beziehung miteinander. Wenn man langfristig allein bleibt, gerät man sehr leicht ins Grübeln, was einen depressiven Zustand noch verstärken kann. Die unter Depression leidenden Individuen neigen dazu, das Interesse an Dingen und anderen Menschen zu verlieren. Dies bedeutet, dass die Betroffenen keine Signale aussenden, dass sie sich für die Gesellschaft interessieren, weshalb dann umgekehrt auch andere Individuen ebenso wenig ihre Gesellschaft suchen. Den Betroffenen kostet es viel Energie, einfach das Haus zu verlassen, da bei Depression häufig der Wunsch besteht, den ganzen Tag im Bett zu bleiben. Es gibt aber einen Punkt, an dem die soziale Isolation das bereits bestehende Gefühl der Niedergeschlagenheit und Leere noch verstärkt. Das heißt, die Depression wird durch die soziale Isolation intensiviert, was den Betroffenen in einen Teufelskreis führt: Je weniger Kontakt der Betroffene zu anderen Menschen hat, die seine Stimmung aufhellen und ihm eine andere Perspektive eröffnen können, desto tiefer gerät er in die Depression, was ihn noch weniger erreichbar für die soziale Interaktion macht (vgl. Wehrenberg & Campisi 2013: S. 138). „Wenn wir uns isoliert fühlen, führt das sehr leicht zu Niedergeschlagenheit; doch andererseits kapseln wir uns auch von anderen Menschen ab, wenn wir deprimiert sind. Und sobald wir uns so zu verhalten beginnen, fällt es uns vielleicht schwer, wieder aus diesem Teufelskreis herauszukommen“ (Rego & Fader 2019: S. 48).

3 Auswirkung sozialer Isolation auf verschiedene Generationen

Die soziale Isolation und Einsamkeit werden oft als Volkskrankheit in unserer hektischen und dynamischen Gesellschaft bezeichnet. So wurde beispielsweise in Großbritannien vor einigen Jahren die erste Ministerin für Einsamkeit (2018) ernannt. Wenn man über die soziale Isolation spricht, denkt man meist, dass es sich nur um die Generation 60plus handelt, also um die Menschen, die über sechzig Jahre alt, deren Partner*innen bzw. Freund*innen gestorben sind und deren Kinder ihr eigenes Leben führen. Die aktuellen Forschungen zeigen jedoch, dass dies gar nicht der Fall ist. Heutzutage leiden an sozialer Isolation erstaunlicherweise vor allem junge Menschen, denen moderne Technologien, unbegrenzte Möglichkeiten zu Kommunikation und Austausch zur Verfügung stellen. Die seit März 2020 auf der Welt herrschende Corona-Pandemie mit den damit einhergehenden Kontaktbeschränkungen hat die psychologische Relevanz des Themas nochmals verdeutlicht (vgl. Epp 2020). Das vorliegende Kapitel konzentriert sich auf die möglichen Auswirkungen der sozialen Isolation auf Vertreter verschiedener Generationen. Das Kapitel beginnt mit der Analyse von den drei Generationen – X, Y und Z – und deren Wertsystemen, da diese Informationen für die Untersuchung relevant sind.

3.1 Generationenklassifikation

In der Soziologie versteht man unter dem Begriff „Generation“ „die Gesamtheit von Individuen ungefähr gleicher Altersstufe mit ähnlicher sozialer Orientierung und einer Lebensauffassung, die ihre Wurzeln in den prägenden Jahren einer Person hat“ (Mangelsdorf 2015: S. 12). In jeder Generation wachsen die Menschen mit diversen Werten, Vorstellungen, Zielen auf und werden im Rückgriff auf Modetrends, Musikstile, Kommunikationsinstrumente, geschichtliche Ereignisse usw. grob eingeteilt. In der wissenschaftlichen Literatur lassen sich zurzeit fünf Generationen unterscheiden: Traditionalisten (1922-1955), Babyboomer (1955-1969), Generation X (1965-1980), Generation Y (1980-1995) und Generation Z (ab 1995) (vgl. Hartmann 2019: S. 32). Zur Entwicklung bzw. Popularisierung des Generation-Konzeptes trug in hohem Maße der kanadische Schriftsteller Douglas Coupland mit seinem berühmten Werk „Generation X“ (1991) bei. „Die Einteilung in Generationen wäre eine wenig sinnvolle Spielerei von Statistikern und Soziologen, wenn sich den jeweiligen Generationen nicht tatsächlich bestimmte Gemeinsamkeiten und Besonderheiten zuordnen ließen. So fließend die Übergänge zwischen den Generationen sind und so ungerecht solche Typisierungen verallgemeinern - dennoch kann man gewisse markante Generationsunterschiede in Verhalten und Einstellungen feststellen“ (Gerken & Konitzer 2015: S. 37). Eine generelle Einteilung in Generationstypen ist kompliziert, weil jede Person ihren individuellen Charakter hat. Trotzdem lassen sich zwischen den Generationen grundsätzliche Unterschiede sowie Gemeinsamkeiten hinsichtlich ihrer Generationsprägung, ihrer Werte und ihres Verhaltens feststellen (vgl. Oertel 2014: S. 27).

Die Experten weisen darauf hin, dass eine Generation immer das Produkt ihrer Jugend ist, da gerade im Jugendalter die Persönlichkeitsentwicklung eines Individuums stattfindet. Diese Entwicklung ist einerseits durch äußere Einflüsse und andererseits durch innere Befindlichkeiten geprägt. Um Vertreter einer Generation verstehen zu können, muss man vor allem das gesellschaftspolitische Umfeld analysieren, in dem sie aufgewachsen sind: War es stabil oder ging es um einen Umbruch? Waren die Lebensbedingungen sicher oder musste man für die Existenz kämpfen? Gleichzeitig werden junge Menschen von Eltern und deren Wertesystem stark beeinflusst: Die Eltern sind diejenigen, die mit ihrem Erziehungsstil und ihrem eigenen Wertesystem die Kinder zu dem formen, was sie sind (vgl. Bublitz 2017). Ein Individuum kann mehreren Generationen zugeordnet werden, wenn sein Geburtsjahr an der Grenze zu einer neuen Generation liegt (vgl. Eberhardt 2016: S. 36).

Die Einteilung in Generationenkohorten stellt eine der zahlreichen Möglichkeiten dar, Personen mit ähnlichen Eigenschaften zu gruppieren und mag auf den ersten Blick als unzuverlässige Verallgemeinerung erscheinen. Es ist klar, dass jeder einzelne Vertreter einer bestimmten Generationenkohorte ein Individuum mit bestimmten Charakteristiken ist. Es hat sich aber gezeigt, dass politische, ökonomische sowie soziale Entwicklungen bzw. Ereignisse eines bestimmten Zeitalters die Kultur und Eigenschaften der Individuen beeinflussen, die in dieser Zeitperiode aufgewachsen sind und so diese typischen Entwicklungen bzw. Ereignisse als Kinder und Jugendliche erleben. So bilden sich Ähnlichkeiten, die letzten Endes eine Generation formen. Sackmann weist darauf hin, dass man bei der Betrachtung diverser Generationen nicht nur von den Jahreszahlen ausgehen sollte, sondern eher von den zugrunde liegenden Werten und typischen Eigenschaften (Sackmann 2019: S. 68).

3.1.1 Generation X (Twentysomethings)

Die Generation X umfasst in etwa die Geburtsjahrgänge zwischen 1965 und 1980 und ist die Nachfolgegeneration der Babyboomer. Die Vertreter dieser Generation sind in der Regel geplante Wunschkinder, die in stabilen Umweltbedingungen aufwuchsen. Die Jugend der Generation X war stark von der Welt ihrer Eltern geprägt und ist aufgewachsen in der Welt der Scheidungen, der atomaren Aufrüstung und der wachsenden Arbeitslosigkeit. Eine der grundlegenden Charakteristiken der Xer ist es, in zwei Welten zu leben: Sie sind in der analogen Welt aufgewachsen und leben heute bereits in einer digitalen Welt. Gerade aus der Generation X stammen führende Technologiepioniere wie Elon Musk oder Lars Hinrichs (vgl. Bublitz 2017).

Die meisten Vertreter der Generation X haben eine gute Qualifikation, streben im beruflichen Leben nach einer permanenten Weiterbildung und sind für neue Themen und Technologien offen. Die Xer sind selbstbewusst und haben einen stark ausgeprägten Leistungswillen. Als Erwachsene verfügen die Vertreter*innen der Generation X über ein stabiles Wertesystem, das inhaltlich auf den Grundwerten basiert, zu denen vor allem Menschenwürde, Freiheit und Frieden gehören (vgl. Klaffke 2014: S. 48). Der Roman von Coupland, welcher der Generation X gewidmet ist, zeigt deutlich, „wie sich die Generation X als Produkt des Zeitgeistes fast folgerichtig entwickelt und zu einer Gedankenströmung mit klar ausgeprägten Wertemustern formt“ (Scholz 2014: S. 79). Der Generation X sind Konnotationen wie unabhängig, geschäftstüchtig, kreativ, multikulturell, technologisch und skeptisch eigen. Sie ist geprägt durch die Mischung aus Sympathie und Mitleid (vgl. Oertel 2008: S. 26). Als Kinder haben Vertreter*innen der Generation X von ihren Eltern und Großeltern eine massive Unterstützung bekommen (emotionale, zeitliche und ökonomische) (Bechtel et al. 2010: S. 227).

Was die Bezeichnung „Generation X“ angeht, so steht das „X“ für die Schwierigkeit, diese Generation zu definieren, da es kein gemeinsames historisches Ereignis gibt, das die Vertreter dieser Generation verbindet. Trotzdem war das Leben der Generation X von einigen prägenden Krisen gekennzeichnet, darunter Tschernobyl, das Wald- und Artensterben, das Ozonloch sowie die AIDS- und Drogenproblematik. In Deutschland wird diese Altersgruppe auch unter dem Namen „Generation Gold“ bekannt, diese Bezeichnung wurde 2000 vom deutschen Schriftsteller Florian Illies verwendet, in seinem Bestsellerroman „Generation Gold – Eine Inspektion“ (vgl. Bechtel et al. 2010: S. 227).

3.1.2 Generation Y (Millennials)

Bei der Generation Y handelt es sich um Personen, die zwischen 1980 und 1995 geboren wurden. Dies ist die am meisten erforschte Generation, für die sich eine Vielzahl von Bezeichnungen entwickelt hat. Diese Bezeichnungen beziehen sich auf verschiedene Eigenschaften und Vorurteile. Die Vertreter*innen dieser Generation lassen sich auch Millennials (Jahrtausender) nennen, weil ihre Jugendphase in der Jahrtausendwende lag. Oder sie werden auch als „Digital Natives“ bezeichnet, da die aktuell 18- bis 35-Jährigen im digitalen Zeitalter aufgewachsen sind. In Bezug auf die Millennials wird auch die Bezeichnung „Playstation Generation“ verwendet, weil sie vor Herausforderungen keine Angst haben und Dinge tun, die ihnen Spaß machen und die für sie relevant sind. Weitere zwei Bezeichnungen sind „Curling Kids“, „weil ihre Eltern ihnen den Weg freiräumen, wie die Wischer beim Curling2, und „Attention-deficit-disorder (ADD)-Generation, weil sie leicht ablenkbar sind“ (Sackmann 2019: S. 68). Die Jugend der Millennials verlief in den Anfangsjahren des Internets, des Auskommens von sozialen Netzwerken, E-Mails und SMS (vgl. Bechtel 2010: S. 228). Young weist darauf hin, dass die Generation Y die primitiven Anfänge des digitalen Zeitalters miterlebte und dass erst die Vertreter*innen der Generation Z die wahren Digital Natives sind (vgl. Young 2019: S. 46).

Die Millennials sind eine vielseitige und heterogene Zielgruppe, die sich bezüglich ihres Wertesystems, ihrer Lebensziele und Einstellungen teilweise stark von älteren Generationen unterscheiden (vgl. Pawlik 2020). Die elektronischen Medien haben die frühe Jugend der Millennials stark geprägt und Werte wie Autonomie, Flexibilität sowie der Wunsch nach Transparenz gefördert (vgl. Sackmann 2019: S. 69). Unter den typischen Charakteristiken von Millennials sind auch Selbstwertschätzung, Durchsetzungsfähigkeit und Narzissmus bzw. Selbstdarstellung zu nennen (vgl. Miebach 2017: S. 381). Die Generation Y fällt mit einer Epoche zusammen, in der die guten Zeiten zu Ende sind. „Es ist viel unwahrscheinlicher, dass sie ein eigenes Haus besitzen, Kreditkarten nutzen, ein Auto kaufen oder fahren oder im selben Alter heiraten wie ihre Eltern“ (Young 2019: S. 47). Wesentliche Veränderungen im Bildungswesen haben dazu beigetragen, dass die Millennials früher in das Erwerbsleben eingestiegen sind als Vertreter*innen vorheriger Generationen.

3.1.3 Generation Z

Die Generation Z ist ein Sammelbegriff für alle diejenigen, die nach der Generation Y kommen, das heißt ab 1995. Es handelt sich um die Jugend von heute, welche die globale Bewegung für Nachhaltigkeit und soziale Verantwortung anführt. In Bezug auf die Vertreter*innen dieser Generation können Worte des griechischen Philosophen Aristoteles angeführt werden: „Junge Menschen sind hochmütig, weil sie noch nicht vom Leben gedemütigt wurden und die Gewalt der Umstände noch nicht erfahren haben. Sie glauben, alles zu wissen, und sind sich dessen immer ganz sicher“ (Wei 2020). Sie kümmern sich lieber um ihre kleine als um die Verbesserung der großen Welt (vgl. Scholz 2014: S. 85). Die typischen Charakteristiken der Generation Z sind individuelle Selbstbestimmung, Hedonismus, Leistungsorientierung und optimistische Zukunftsaussichten. Die Zler ziehen vor, die Welt nicht zu verändern, sondern sich an die gegebenen Verhältnisse und Bedingungen bestmöglich anzupassen (vgl. Scholz & Grotefend 2019: S. 186).

Die Generation Z ist die erste Generation, die komplett von Internet, Digitalisierung und Smartphones geprägt ist. Die Internetnutzung wird zusehends mobil und damit räumlich unabhängig. Statt des Computers bzw. Laptops wird zunehmend das Smartphone genutzt, um ins Internet zu gelangen (vgl. Scholz & Grotefend 2019: S. 184). Laut den statistischen Daten haben im Jahr 2019 etwa 91,5 % der Befragten der Generation Z ihr Smartphone oder Handy verwendet, um im Internet zu surfen (vgl. Statista 2019). Aus diesem Grund wird die Generation Z auch „Generation Smartphone“, „Generation Kopf untern“ oder auch „Smombie“ (Kofferwort aus „Smartphone“ und „Zombie“) genannt. Vertreter*innen der Generation Z – die heutigen Jugendlichen – lassen sich durch einen kontinuierlichen Blick auf ihr Smartphone so stark ablenken, dass sie ihre Umgebung gar nicht mehr wahrnehmen (vgl. Gabriel & Röhrs 2017: S. 155).

[...]


1 körperliche als auch soziale Distanz eines Individuums von anderen Individuen

2 In den Anfängen des Curlings war das hektische Wischen mit den Besen seitens der zwei Spieler ein unverzichtbarer Bestandteil des Spiels; heute hat der Besen eine andere Funktion, damit zeigt ein Spieler an, wohin gespielt werden soll.

Ende der Leseprobe aus 86 Seiten

Details

Titel
Soziale Isolation während der Corona-Pandemie. Psychologische Auswirkungen auf die Generationen X, Y und Z
Untertitel
Eine quantitative Analyse
Hochschule
APOLLON Hochschule der Gesundheitswirtschaft in Bremen
Note
2,0
Autor
Jahr
2021
Seiten
86
Katalognummer
V1127342
ISBN (eBook)
9783346494580
ISBN (Buch)
9783346494597
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Diese Arbeit wurde gekürzt, da der Umfang die Anforderungen an eine Bachelor-Arbeit bei weitem überstiegen hat.
Schlagworte
Corona, Psychologische Auswirkungen, Analyse, Generationen X, Y und Z in Zeiten von Corona, Stress, Motivation
Arbeit zitieren
Mike Jäpel (Autor:in), 2021, Soziale Isolation während der Corona-Pandemie. Psychologische Auswirkungen auf die Generationen X, Y und Z, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1127342

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