Die Absenz des "personifizierten Bösen" in polytheistischen Religionen


Bachelorarbeit, 2015

48 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Die Ambivalenz des Bösen

3. Satan. Teufel. Luzifer - Religionsgeschichtliche und theologische Grundlagen
3.1. Genese und Entwicklungsphasen der Teufelsfigurationen in monotheistischen Religionen
3.1.1. Judentum - Der Satan im Tanach
3.1.2. Christentum - Der Teufel im Neuen Testament
3.1.3. Teufelsfigurationen im abendländischen Mittelalter
3.2. Höllenkonzepte

4. Die Absenz des „personifizierten Bösen“ in polytheistischen Religionen
4.1. Die Konzeption des Bösen in der griechisch- römischen Mythologie
4.2. Die Konzeption des Bösen in der ägyptischen Mythologie

5. Schlussbetrachtung

Abbildungsteil mit Abbildungsnachweis

Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Sein Name variiert - Satan, Teufel, Luzifer, Azazil, Belial, Beelzebub etc. Der Teufel möchte zwar erkannt werden, entzieht sich aber einer klaren Benen­nung. Trotz seiner Wandelbarkeit und vielfältigen Neuadaptionen, die er im Lau­fe seiner Geschichte durchlaufen hat, steht er in erster Linie als »Personifikation des Bösen«. Daher unterliegt seine Bedeutung, über die frühjüdisch-christliche Kulturen hinaus, primär einer negativen Konnotation.

Doch wo zum Teufel? In den antiken polytheistischen Religionen, wie etwa die der Ägypter, Griechen oder der alten Römer, scheint ein Teufel als solches zu fehlen. Oder möchte er nur nicht erkannt und kann deswegen nicht klar benannt werden? Es ist allgemein bekannt, dass der Teufel oft im Detail steckt. Daher soll im Rahmen dieser Arbeit die Absenz des personifizierten Bösen, anhand der im Vorfeld genannten polytheistischen Religionen und deren Konzeptionen des Bösen, untersucht werden.

Nicht nur in der Kultur- und Religionswissenschaft ist die Teufelsfigur immer wieder Gegenstand wissenschaftlicher Ausarbeitungen. In den letzten Jahren wurden einige wissenschaftliche Abhandlungen publiziert, in denen die Ge­schichte, Funktionen und Bedeutungen der Teufelsfigur ausgiebig erläutert wurden. Zur Untersuchung der ausgehenden Absenz einer kosmisch bösen Personifikation in polytheistischen Religionen bietet die Wissenschaft jedoch nur eine begrenzte, wenn nicht sogar unzureichende Quellenlage.

Der Hauptteil dieser Arbeit gliedert sich in vier Kapitel. Im ersten wird auf die Ambivalenz des Bösen näher eingegangen. Daher werden zunächst die Bemü­hungen, sich dem Phänomen des Bösen, anhand verschiedener philosophi­scher und theologischer Erklärungsansätze, begrifflich zu bemächtigen, ver­deutlicht. Der religionswissenschaftliche Diskurs ist hierbei von besonderem Interesse. Im zweiten, überwiegend rekonstruktiv angelegten Kapitel, wird sich mit der theologischen und kulturgeschichtlichen Genese und den Entwicklungs­phasen der Teufelsfigur näher auseinandergesetzt. Neben einer der frühesten bekannten Darstellungen, werden Funktion und Bedeutung eines absoluten, bösen Prinzips im Tanach und im Neuen Testament näher herausgearbeitet. Zudem wird die Teufelsfigur anhand ihrer Entwicklung und Darstellung im abendländischen Volksglauben, von ca. 500-1.200 n. Chr., näher erläutert. Im dritten Kapitel erfolgt eine Untersuchung der Absenz des personifizierten Bösen in polytheistischen Religionen. Es werden zunächst die stärksten Teufelsadap­tionen der griechischen, römischen und ägyptischen Religion vorgestellt und anhand einer vergleichenden Analyse, den monotheistischen Teufelsfiguratio­nen, gegenübergestellt.

Um den möglichen Einwand vorwegzunehmen - für diese Untersuchung nicht mehr praktizierende polytheistische Religionen des Altertums heranzuziehen: Zum einen ist die Ausübung einer Religion weder Gegenstand noch wesentli­ches Kriterium dieser Untersuchung. Zum anderen liegt die Entstehungsge­schichte der Religionen zeitlich verhältnismäßig nahe beieinander. Dies kann einen viel größeren Erkenntnisgewinn, bezogen auf etwaige Interferenzen und (Inter-) Dependenzen, in Hinblick auf eine Teufelsfigur, geben.1 Abschließend werden im letzten Kapitel die Erkenntnisgewinne zusammenfasst und zu einem Fazit gelangt.

Um einen allgemeinen Überblick über die theologische und kulturgeschichtliche Entwicklung der Teufelsfigur zu erhalten wird sich zunächst mit Jeffrey B. Rus- sells »Biographe des Teufels«2 näher auseinandergesetzt. Er thematisiert den menschlichen Umgang mit dem immerwährenden Problem des Bösen - insbe­sondere die theologische Reflexion in Form einer Personifizierung. Zudem wer­den Gestalt, Wesen und Wirkung der Teufelsfigur von der Antike bis zur Ge­genwart eingehend dargestellt. Einen allgemeinen Einblick der frühjüdisch­christlichen Teufelstraditionen werden hier ebenfalls Gustav Roskoff3 und Al­fonso di Nola4 geben. Zudem thematisieren beide, unter Heranziehung unter­schiedlichster Religionen, weitere Konzeptionen des Bösen. Im Rahmen dieser Arbeit von besonderem Interesse, die griechische, römische und ägyptische Religion und deren Umgang mit dem Bösen. Zudem bietet Luther Linkmit sei- ner Monographie »Der Teufel. Eine Maske ohne Gesicht«5 eine umfassende Darstellung ikonographischer Explikationen des Teufels vom 6. bis zum 16. Jahrhundert. Die Vielzahl seiner vorgestellten visuellen Teufelsdarstellungen ermöglicht es, sich einen groben Überblick über die vielfältigen damaligen Vor­stellungen zu verschaffen.

Auch wird »Die Bibel«6, als normative Quelle und wesentliche Interpretations­und Definitionsgrundlage der jüdisch-christlichen Konfessionen, und damit auch des Teufels, mit einbezogen. Für die Untersuchung der Darstellung des Bösen der hier herangezogen polytheistischen Religionen, wird sich neben Roskoff vorrangig mit den Homerischen Epen »Ilias «7 und »Odyssee «8 und diversen Lexika auseinandergesetzt.

Da es sich hinsichtlich dieser theoretischen Ausarbeitung um ein weites The­mengebiet handelt, unterliegt diese Arbeit einer eingeschränkten Quellen- und Literaturauswahl. Es wird lediglich eine Darstellung anhand der herangezoge­nen Expertise dargelegt. Demnach erhebt diese Ausarbeitung keinen Anspruch auf Vollständigkeit.

2. Die Ambivalenz des Bösen

Das Böse hat viele Gesichter: Es begegnet uns in moralischer, ethischer, natür­licher oder metaphysischer Form. Wir nehmen es physisch oder psychisch war. Es wird direkt erfahren oder intuitiv wahrgenommen.9 Doch was genau ist das Böse? „Das Böse beschreibt den Gegenbegriff zum Guten und nur im Zusam­menhang damit erfassbar.“10 Zu banal und der Komplexität des Begriffs nicht gerecht werdend wäre es, das Böse als rein gegensätzliche, negative Kraft zu bezeichnen. Denn bereits hierbei greift die Problematik den Begriff unter Zuhil­fenahme von Beispielen festmachen zu wollen: Ist etwas, was unter guten Ab­sichten geschieht böse? Ist eine Lüge, die unter einem guten Vorsatz erfolgt, böse? Oder ist es böse, in Notwehr jemand anderen zu schaden, um sich selbst zu schützen?

Von Anbeginn menschlicher Selbstrezeption ist das Böse Gegenstand philoso­phischer und theologischer Kontemplation. Mithilfe unterschiedlichster Erklä­rungsansätze wurde in der Vergangenheit versucht, das Böse zu benennen und somit erklärbar zu machen. Die zu diesem Zweck herangezogenen Texte stel­len daher nur eine Auswahl dar, ohne Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben. Vielmehr soll der philosophische und theologische Variantenreichtum an Defini­tionen und der damit einhergehende Diskurs verdeutlicht werden.

Nietzsche erklärt das Böse zu einem Konstrukt jüdisch-christlicher Sklavenmo­ral, das die Bedeutung von Gut und Böse nach Belieben neu definieren kann. Wer die gesellschaftliche Macht besitzt, entscheidet somit was gut und böse ist. Andere Bemühungen das Böse zu fassen, zielen auf dessen Lokalisierung. So sieht Platon den menschlichen Körper als Ursprung und Sitz alles Bösen. Auch Kant ist der Meinung, dass das Böse dem menschlichen Wesen innewohne und wesentlich in der Vorstellung und im Denken postuliert ist. Demgegenüber meint Rousseau, dass der Mensch von Geburt an gut sei - erst das Leben in einer Gemeinschaft mache ihn böse. Augustinus benötigt keine Gemeinschaft um das Böse zu bestimmen und erklärt es durch die Freiheit jedes einzelnen Menschen, sich gegen das Gute zu entscheiden.11 Auch Safranski sieht das Böse als ein Tribut menschlicher Autarkie und meint, dass man nicht den Teufel bemühen müsse, um das Böse zu verstehen, da das Böse zum Drama menschlicher Freiheit gehöre.12

„Da steh ich nun, ich armer Thor, und bin so klug als wie zuvor!“ 13

Die Bemühungen, sich dem Phänomen des Bösen begrifflich zu bemächtigen, zielen an dessen Wesen vorbei. Denn Beherrschen setzt Bestimmen voraus - das Böse aber zeichnet sich vielmehr dadurch aus, dass es sich nicht bestim­men lässt. Dennoch bewegen wenige Dinge ein Individuum mehr, als das Ver­stehen für das in der Welt widerfahrene Elend und Übel. „Für die menschliche Psyche gibt es zwei Möglichkeiten, dies zu erklären: Man geht entweder die negativen Ereignisse mittels des Verstandes an und verändert sie, indem man sie dem menschlichen Einflussbereich zuweist, oder man verfremdet sie zum Negativpol der Wirklichkeit und projiziert sie auf eine Figur, welche das Böse im menschlichen Dasein erklärt. “ 14

Das Bedürfnis das Böse erklären zu wollen, kulminieren im frühjüdisch­christlichen Kontext in die Theodizee: Wie kann man die Existenz des Bösen mit der Vorstellung eines vollkommenen, gütigen und allmächtigen Schöpfergot­tes vereinbaren?

Indem man Gott ein geistiges, dem Herrn widerstreitendes, Wesen als Quelle des Bösen gegenübersetzt.15 Der entstehende Spannungszustand, aus der Gegenüberstellung eines omnipotenten und guten Gottes und der Existenz des Bösen, ist laut Russel letztendlich der Ursprung der Teufelsvorstellung.16

3. Satan. Teufel. Luzifer - Religionsgeschichtliche und theolo­gische Grundlagen

3.1. Genese und Entwicklungsphasen der Teufelsfigurationen in monotheistischen Religionen

Die Untersuchung der Absenz einer kosmisch bösen Personifikation in polythe­istischen Religionen setzt einen groben historischen Überblick über die ur­sprünglichen Formen, Funktionen und Bedeutungen monotheistischer Teufels­figurationen voraus.

Eine der frühesten bekannten Darstellungen eines absoluten Prinzips des Bö­sen findet sich um 1.200 v. Chr. Dessen Personifikation, Angra Manju bzw. Ah­riman, ist nach heutigem Kenntnisstand eines der frühesten Konzepte einer Teufelsfigur. Der iranische Prophet Zarathustra realisierte die Grundlage für die erste dualistische Religion, den Zoroastrismus, und setzte damit die Grundlage des Monotheismus, indem er den vedischen Gott Ahura Mazda zum alleinigen Schöpfergott erhebt. Mit seinem dualistischen Gedanken vom Kampf gegen Gut und Böse hatte der Zoroastrismus einen immensen Einfluss auf zahlreiche wei­tere Religionen wie Judentum, Islam und Christentum - welche direkt oder indi­rekt Elemente dieser Urreligion übernahmen. Hierbei besonders hervorzuheben ist, der Glaube an eine Teufelsfigur.17

3.1.1. Judentum - Der Satan im Tanach

Einen der frühesten biblischen Hinweise auf ein widergöttliches Prinzips gehen aus dem Tanach18 hervor - dort unter dem Begriff »satan «. Dies ist allerdings erst einmal kein Hinweis auf die Figur Satan selbst. Vorerst findet der Gebrauch des Wortes nicht als Name, sondern als Verb seine Funktion. Im 4. Buch Mose steigt der Engel des Herrn auf die Erde hinab um Bileam aufzuhalten, der sich aufmacht, um einen Fluch über das israelische Volk auszusprechen. Der Wort­laut, welcher dabei verwendet wird ist »Satan «, im Sinne von »er kam herab und hat sich ihm entgegengestellt«19 und meint damit das gegnerische oder feindliche Verhalten jemand anderem gegenüber.20 Es handelt sich in diesem Kontext weder um einen Eigennamen oder Titel, noch um die Funktion eines himmlischen Wesens.21

Insgesamt kommt Satan, als personifiziertes himmlisches Wesen im Tanach an vier Stellen vor.22 Das Buch Hiob gilt als erster zentraler Beleg dafür. In der Er­zählung äußert Satan Gott gegenüber Bedenken, indem er die Gottesfürchtig- keit des Hiob in Frage stellt. Diese solle nur daraus resultieren, da es Hiob durch Gott so gut erginge. Um dies zu prüfen schlägt Satan vor, Hiobs Treue zu prüfen. Woraufhin er mit Gottes Vollmacht Hiob ins Unglück stürzt und ihm alles nimmt, was er je besessen hat.

Als Teil von Gottes Hofstaat steht Satan im Dienste Gottes mit der Aufgabe, auf der Erde umherzustreifen und nach dem Rechten zu sehen und Vergehen vor Gottes Thron zu bringen.23 In diesem Kontext handelt es sich bei Satan nicht mehr um ein Verb sondern um eine Stellung, dessen Funktion die eines Anklä- gers24 und Verleumders25 gleichkommt. Ein von Gott gegebener Titel, welcher an- aber auch aberkannt werden kann und somit auf jegliches weitere himmli­sche Wesen übertragbar ist.

Zudem bereits hier latent erkennbar die Rolle des Verführers und Anstifters, indem Satan Gott dazu verleitet Hiob zu prüfen.26 Im 1. Buch der Chronik tritt Satan als Verführer bereits deutlicher hervor, indem er David zur Volkszählung verleitet. David lässt diese ausführen und widersetzt sich damit dem Befehl Got­tes, der eine solche Zählung ablehnt. David wird darauf von Gott bestraft.27 Ein weiteres Mal tritt Satan als exekutive Gewalt Gottes im Buch Sacharja auf. Die Erzählung handelt vom Hohepriester Josua, der wegen seiner Unwürdigkeit vor dem Gottesgericht steht. Satan fungiert hierbei als Ankläger, wird von Gott je­doch daran gehindert, seine Anklage vorzubringen. Die Anklage wird abgelehnt und Josua für frei erklärt.28 Hervorzuheben ist hierbei der Umstand, dass Satan ein von Gott abhängiges, ihm untergebenes Wesen ist und seine Wirksamkeit durch göttliche Zulassung bedingt ist.29

Dem Satan werden im Tanach mehrere Charakterzüge zugesprochen. Er ist der Verleumder, der Gott über die Verfehlungen der Menschen unterrichtet, und der Ankläger, der die Bestrafung der Menschen durch Gott bewirken will. Er trägt erste Züge des Verführers, wenn er Gott im Buch Hiob gleich zweimal zur Wette reizt und David zur Volkszählung verleitet.30 Eine negative Konnotation in Bezug auf die Figur Satan selbst, als ein widergöttliches Prinzip, ist jedoch nicht deutlich erkennbar. Er handelt weder autonom, noch grundlos oder in böser Absicht. Es bildet sich zwar ein personifiziertes himmlisches Wesen heraus, jedoch beschreibt der Begriff Satan im Kanon des Alten Testaments einen Titel, nicht irgendjemandes Name. Somit ist der alttestamentarische Satan kein Teu­fel.31

Eine Weiterentwicklung der Ausbildung und Vorstellung vom Satan als ein wi­dergöttlich böses Prinzip findet sich in dem apokryphen, außerkanonischen, griechisch geschriebenen, von der jüdisch-alexandrinischen Geisteswelt beein- 32 flussten Buch der Weisheit.32 Hier wird der Teufel33 als neidisch und als Ursa­che des Todes in der Welt beschrieben. Der Neid gehört somit zum Wesen die­ses Teufels, und sein Ziel ist der Tod.34

Die heterogenen Vorstellungen eines Satans lassen sich zum einen darauf zu- 35 rückführen, dass allein der Tanach über einen Zeitraum von etwa 1.200 Jah­ren komplettiert wurde.36 Eine kohärentere Vorstellung einer personifizierten Figuration des Bösen gewähren die Schriften des Neuen Testaments.

3.1.2. Christentum - Der Teufel im Neuen Testament

Die neutestamentlichen Teufelsvorstellungen stammen in erster Linie aus der hebräischen Weltanschauung, insbesondere aus der apokalyptischen Traditi- on.37 Obgleich der Begriff Satan im Alten Testament eher sporadisch auftritt und vielmehr einen Titel als eine Person beschreibt, nimmt der Satan bzw. Teufel38 im Neuen Testament, als »Personifikation des Bösen «, eine zentrale Rolle ein. Denn im Mittelpunkt des Kanons steht der Kampf zwischen Gut und Böse.39

Der Einzug des Bösen auf der Welt nahm mit dem Engelssturz seinen Anfang.40 Als Grundlage des biblischen Engelsturzes dient das 1. Buch Henoch in Ver- bindung mit anderen apokalyptischen Büchern.41 In der Erzählung ist die Sünde der gefallenen Engel die Begierde, da sievom Himmel hinabgestiegen sind, um die sterblichen Frauen zu verführen. Zusammen zeugen sie menschenfressen­de Riesen, worauf die gesündigten Engel von Michael und seiner himmlischen Gefolgschaft im Namen Gottes bestraft und in die Finsternis geworfen werden. Aufgrund des Fehlverhaltens der Engel kam das Böse auf die Welt, wodurch die ganze Erde voll Blut und Gewalttätigkeit geworden ist.42

Der biblische Himmelssturz wird auf dieser Grundlage und in Verbindung mit der Erzählung des Königs von Babel,43 der Beschreibung des lichttarnenden Satans,44 und der großen Schlange oder Drachen, der auch Teufel bzw. Satan genannt wird, welcher auf die Erde hinabgeworfen wurde,44 zur Entstehung der Teufelsgestalt Luzifer.46 In ihrer Gesamtheit ergeben sie die neutestamentliche Erzählung von einem abtrünnig gewordenen Engel, der sich gegen Gott auf­lehnt.

Luzifer, der hierbei synonym für den Teufel oder Satan steht, hat die Sünde in sich47 und wird zur Strafe einschließlich seiner infernalischen Gefolgschaft aus dem Himmel auf die Erde verbannt. Er fährt jedoch erst in die Hölle nachdem Gott über ihn am Jüngsten Tag richten wird.48 Der Fall wird unterschiedlich er­klärt: mit dem Streben nach Gottgleichheit, 49 Lust 50 oder Stolz 51 . Er wird zum Prinzip des Bösen oder vielmehr die Personifikation des Bösen selbst. Seine Hauptaufgabe besteht darin, so lange und so gründlich wie möglich,das Reich Gottes zu unterbinden.52 So figuriert der Teufel als eine den Menschen wider- setzende53 und dessen Wohl gefährdende Macht.54 Er erscheint als Verderber 55 bzw. Vernichter,47 welcher mittels seiner Dämonen Krankheiten bewirken kann56 und darüber hinaus Einfluss auf den Tod ausüben kann.57 Er ist der 58 Feind, der speziell im Gegensatz zu Gott und Jesus gesehen wird59 undwird der erbitterte Feind Christi und besonderer Widersacher und Verderber der Christusgläubigen. Infolgedessen spaltet sichdie Welt in ein doppeltes Reich:

das Reich Gottes und das Reich des Teufels.60 Zudem agiert der Teufel inden Erzählungen des Neuen Testaments willkürlich und grundlos - diese Gegeben- heit unterscheidet sich gänzlich von der im Alten Testament.61 Er behält jedoch auch einige seiner alttestamentarischen Merkmale: So ist der Teufel weiterhin Gottes Geschöpf54 und Verführer der Menschen.63

Das Gesamtbild eines widergöttlichen Prinzips in Form eines Teufels erscheint im Neuen Testament um vieles kohärenter als im Alten Testament. Ein einheit­liches neutestamentlichen Satans- /Teufelsbild scheitert jedoch auch hier an der vielfältigen Terminologie und den unterschiedlichen Funktionen, die der Figur des Teufels zugewiesen werden.

Trotz der mehrheitlichen Erwähnungen eines Teufels Alten und Neuen Testa­ment, wurde sich bislang nicht mit seinem äußeren Erscheinungsbild auseinan- dergesetzt.64 Auch die ersten nachchristlichen Jahrhunderte geben wenig Auf-schluss über die äußere Gestalt eines Teufels.65 Weiterhin geht die neutesta­mentarische Teufelsfigur in den ersten vier nachchristlichen Jahrhunderten mit einem sonderbaren Status hervor:66 Es gab ihn zwar, aber man wusste nicht, wer genau er war. Man wusste nicht welche Sünde ihn zu Fall gebracht hatte - ob Neid, Wollust oder Stolz. Man wusste nicht wie er aussah, ob er ein durch und durch geistiges oder ein feinstoffliches oder sogar körperliches Wesen war - noch wo er sich genau aufhielt. Eine zusammenhängende Teufelsdoktrin war nicht erkennbar.67 Dies ändert sich jedoch mit dem Aufkommen des Mittelalters.

3.1.3. Teufelsfigurationen im abendländischen Mittelalter

Da sich die mittelalterliche Epoche über einen Zeitraum von 1.000 Jahren er­streckt, kann nicht erschöpfend auf die zahlreichen Teufelsfigurationen einge­gangen werden. Vielmehr soll ein grober Überblick der volkstümlichen Vorstel­lungen des Teufels (von ca. 500-1.200 n. Chr.) gegeben werden. Im Mittelalter prägte der Klerus, Hauptträger der geistig herrschenden Gesellschaftsschicht, besonders das bäuerliche Milieu68 in allen Lebensbereichen. Die religiöse Lite­ratur der Klöster war ein wichtiges Kultur-, Literatur- und Bildungszentrum und nahm im hohen Maße Einfluss auf Theologie, Gelehrsamkeit und Bildung.69 Die Figur des Teufels, hat dabei eine stets zunehmend bedeutendere Rolle einge­nommen. Unter Zuhilfenahme der Medien wie Predigten, Mysterienspiele, farbi­ge Glasfenster, Mosaiken und Skulpturen,70 wurde im kirchlichen Auftrag be­gonnen, die Vorstellungen eines Teufels, hinsichtlich seiner äußeren Erschei­nung zu erfassen. Zum einen um den kirchlichen Machtbereich zu erweitern und die päpstliche Macht zu festigen.71 Zum anderen bediente sich die Kirche der enormen Symbolkraft eines Teufels, um ihre Gegner in Angst zu versetzen und die Theisten von der Sünde fernzuhalten. Die Furcht vor einem Teufel fun­giert in diesem Kontext als Propagandafiktion, dessen Instrumentarium die Angst war.72

[...]


1 Der Nichtheranziehung der nach wie vor praktizierenden Religionen Buddhismus und Hinduismus lässt sich damit argumentieren, dass es sich strenggenommen nicht um polytheistische Glaubensrichtungen handelt.

2 Russell, Jeffrey Burton: Die Biographie des Teufels. Das radikal Böse und die Macht des Guten in der Welt, Wien: Böhlau 2000.

3 Roskoff, Georg Gustav: Geschichte des Teufels. Eine kulturhistorische Satanologie von den Anfängen bis ins 18. Jahrhundert, Nördlingen: Greno 1987.

4 Nola, Alfonso di: Der Teufel. Wesen, Wirkung, Geschichte [1987], übers. von Dagmar Türck- Wagner, München: Diederichs 1990.

5 Link, Luther: Der Teufel. Eine Maske ohne Gesicht. Übersetzt von Heinz Jatho, München: Wilhelm Fink Verlag 1997.

6 Die Bibel. Einheitsübersetzung der Heiligen Schrift, Gesamtausgabe, Stuttgart: Katholische Bibelanstalt 1980.

7 Homer: Ilias. Neue Übers. Nachw. und Reg. Roland Hampe, Stuttgart: Reclam, 1979.

8 Homer: Odyssee. Übers., Nachw. u. Reg. Roland Hampe, Stuttgart: Reclam, 2010.

9 Vgl.: Russell, Jeffrey Burton: Die Biographie des Teufels. Das radikal Böse und die Macht des Guten in der Welt, Wien: Böhlau 2000, S. 11-12.

10 Vgl.: Blume, Thomas: Online-Wörterbuch Philosophie: Das Philosophie-lexikon im Internet: http://www.philosophie-woerterbuch.de/boese/, [30.01.2015].

11 Vgl.: Wulf, Christoph: Die Ambivalenz des Bösen. In: Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland GmbH (Hrsg.): Das Böse. Jenseits von Absichten und Tätern oder: Ist der Teufel ins System ausgewandert?, Göttingen: Steidl Verlag 1995, S. 55.

12 Vgl.: Willnauer, Elmar: Heute das Böse denken. Mit Immanuel Kant und Hannah Arendt zu einem Neuansatz für die Theologie, Berlin: Rhombos-Verlag 2005, S. 13.

13 Goethe, Johann Wolfgang: Faust - Der Tragödie erster Teil [Nacht], Tübingen: Cotta 1808, Seite 33.

14 Nola, Alfonso di: Der Teufel. Wesen, Wirkung, Geschichte [1987], übers. von Dagmar Türck- Wagner, München: Diederichs 1990, S. 19.

15 Vgl.: Russel, 2000, S. 36.

16 Vgl.: Russel, 2000, S. 15.

17 Vgl.: Messadié, Gerald: Teufel, Satan, Luzifer. Universalgeschichte des Bösen. Deutscher Taschenbuchverlag: München 1999, S.116f.

18 Im Christentum wird der Tanach als das Alte Testament (AT) bezeichnet. Beide Schriften sind weitestgehend kongruent.

19 Vgl.: Fuller, Robert: Naming the Antichrist: The History of an American Ob-session, New York: Oxford University Press, 1995, p. 5

20 In diesem Zusammenhang wird es z. B. gebraucht im Ps 38,21; 55,4; 71,13.

21 Vgl.: Fuller, Robert C.: Naming the Antichrist: The History of an American Ob-session, New York: Oxford University Press 1995, S. 5.

22 Vgl.: Hi 1,6-12;2,1-7; Sach 3,1-7;1 Chr 21,1.

23 Vgl.: Brandenburger, 1986, S. 82.

24 Vgl.: Bräumer, Hansjörg: Wuppertaler Studienbibel, AT, Sonderausgabe, Das Buch Hiob, Wuppertal: Brockhaus 2002, S. 51.

25 Vgl.: Maag, Victor: Hiob. Wandlung und Verarbeitung des Problems in Novelle, Dialogdichtung und Spätfassungen, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1982, S. 62 ff.

26 Vgl.: Trummer, Manuel: Sympathy for the Devil? Transformationen und Erscheinungsformen der Traditionsfigur Teufel in der Rockmusik, Münster u.a.: Waxmann 2011, S.55.

27 Vgl.: 1 Chr 21,1.

28 Vgl.: Sach 3,1.

29 Vgl.: Roskoff, Georg Gustav: Geschichte des Teufels. Eine kulturhistorische Satanologie von den Anfängen bis ins 18. Jahrhundert, Nördlingen: Greno 1987, S. 190.

30 Vgl.: Trummer, 2011, S.54.

31 Link, 1997, S. 23.

32 Vgl.: Henning, Max: Der Teufel. Sein Mythos und seine Geschichte im Christentum, Altenmünster: Jazzybee Verlag Jürgen Beck 2012, S.16.

33 Das hebräische Wort Satan wurde ins Griechische mit »diabolos« übersetzt, welches zur deutschen Übersetzung Teufel führte.

34 Vgl.: Roskoff, 1987, S. 197f.

35 Im Weiteren wird der Tanach als Altes Testament bezeichnet.

36 Vgl.: Kissel, Wolfgang Stephan: Dreitausend Jahre Europa – Konstellation des kulturellen Gedächtnisses. In: Liebert, Ulrike/Wolff, Janna (Hrsg.): Interdisziplinäre Europastudien, Eine Einführung. Wiesbaden: Springer VS 2015, S.36.

37 Russel, 2000, S. 49.

38 Die Begriffe »Satan« und »Teufel« sind im Neuen Testament zahlenmäßig paritätisch vertreten und werden synonym verwendet (vgl.: Russel, S. 47).

39 Vgl.: Russel, 2000, S. 48.

40 Vgl.: Büttner, Nils: Hieronymus Bosch. München: C.H. Beck 2012, S. 59.

41 Vgl.: Trummer, 2011, S.56.

42 Vgl.: 1 Hen 1, 6-10.

43 Jes 14,12-15.

44 2 Kor 11,14.

45 Offb 12,9.

46 Der Schriftsteller Tertullian (ca. 160–220 n. Chr.) war einer der ersten, der in seinem »Carmen adversus Marcionem« Lucifer mit dem Teufel gleichsetzte und darüber hinaus den Himmelssturzes zum Ursprung der Hölle erklärte (Vgl.: Alt, Peter-André: Ästhetik des Bösen, München: Verlag C.H. Beck 2010, S. 33).

47 Vgl.: Hes 28,16.

48 Vgl.: Offb 12,9-12.

49 Jes 14,12.

50 Gen 6,2.

51 Hes 28,14.

52 Vgl.: Wehrle, 2001, S. 203.

53 1 Thess 2,18.

54 Lk 22,31; 2 Kor 11,3.

55 1 Kor 10,10; Hebr 11,28.

56 Lk 13,16.

57 Hebr 2,14.

58 1 Petr 5, 8.

59 Vgl.: 2 Kor 4,4; 1 Joh 3,8.

60 Vgl.: Roskoff, 1987, S. 200f.

61 Vgl.: Messadié, 1999, S. 324.

62 Kol 1,16.

63 Mk 1,13.

64 Vgl.: Roskoff, 1987, S. 200.

65 Vgl.: Messadié, 1999, S. 358.

66 Vgl.: ebd., 1999, S. 341.

67 Vgl.: ebd., 1999, S. 358.

68 Ca. 80% der früh- und hochmittelalterlichen deutschen Bevölkerung lebte als Bauern auf dem Land. (Vgl.: Thieme, Frank: Kaste, Stand, Klasse. In: Korte, Hermann/Schäfers, Bernhard (Hrsg.): Einführung in hauptbegriffe der Soziologie, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften 2008, S. 192).

69 Vgl. Kinder, Hermann/Hilgemann, Werner: dtv-Atlas Weltgeschichte. Von den Anfängen bis zur Französischen Revolution. Bd. 1, München: Deutscher Taschenbuch Verlag 2003, S. 141ff.

70 Vgl.: Link, 1997, S. 43.

71 Vgl.: Russel, 2000, S. 112.

72 Vgl.: Messadié, 1999, S. 348.

Ende der Leseprobe aus 48 Seiten

Details

Titel
Die Absenz des "personifizierten Bösen" in polytheistischen Religionen
Hochschule
Humboldt-Universität zu Berlin
Note
2,0
Autor
Jahr
2015
Seiten
48
Katalognummer
V1127675
ISBN (eBook)
9783346491053
ISBN (Buch)
9783346491060
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Teufel, Religion, monotheismus, polytheismus
Arbeit zitieren
Stefanie Rosenkranz (Autor:in), 2015, Die Absenz des "personifizierten Bösen" in polytheistischen Religionen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1127675

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