Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
1 Einführung
2 Blaupause Lobbyismus
3 Das Automobil und seine Lobbyisten
3.1 Deutschlands Wirtschaftsgut par excellence
3.2 Lobbystrukturen der Automobilindustrie in Deutschland
3.3 Europäische Lobbystrukturen
4 Lobbying um Corona-Konjunktur-Milliarden
5 Fazit
Literaturverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
ACEA Association des Constructeurs Européens d’Automobiles
AG Aktiengesellschaft
BMVI Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur
BMW Bayerische Motoren Werke
BUND Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland e.V.
CDU Christlich Demokratische Union Deutschlands
CSU Christlich-Soziale Union in Bayern e.V.
EU Europäische Union
FDP Freie Demokratische Partei Deutschland
IG Metall Industriegewerkschaft Metall
Kfz Kraftfahrzeug
Lkw Lastkraftwagen
Nabu Naturschutzbund Deutschland e.V.
Pkw Personenkraftwagen
SPD Sozialdemokratische Partei Deutschlands
VDA Verband der Automobilindustrie e.V.
VW Volkswagen
WWF World Wide Fund For Nature
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1 Kfz-Neuzulassungen Deutschland Januar 2018 - Mai 2021
1 Einführung
Der Deutsche Carl Benz revolutionierte 1885 mit seiner Erfindung des Automobils die Mobilität der Welt nachhaltig. Im Jahr 2020 waren bereits knapp 1,2 Milliarden Pkw weltweit unterwegs (Verband der Automobilindustrie e.V., o. D.-d). Das moderne Automobil basiert bis heute auf das Grundprinzip von Carl Benz‘ Erfindung. Allein in Deutschland sind 48,2 Millionen Pkw registriert (Verband der Automobilindustrie e.V., 2021a). Hinzuzurechnen sind Nutzfahrzeuge, Omnibusse, Lkw, Sattelzugmaschinen und übrige Kraftfahrzeuge. Das Automobil ist eine Erfolgsgeschichte und eines der wichtigsten Wirtschafts- und Exportgüter Deutschlands. Die drei Autokonzerne Volkswagen AG (VW), Daimler AG (Daimler) und Bayerische Motoren Werke AG (BMW) spielen sowohl in Deutschland, Europa als auch global in der ersten Liga mit. Es scheint daher wenig verwunderlich, dass die starke Automobilbranche eine ebenso starke, schlagkräftige und einflussreiche Lobby für ihre Interessenvertretung auf bundesdeutscher, europäischer und globaler Ebene etabliert hat.
Interessensvertretungen sind in einer pluralistischen Gesellschaft und einem korporatistischen Staat unabdingbar und legitim. Ein unregulierter und übermäßiger Lobbyismus einzelner mächtiger Akteure birgt jedoch die Gefahr der direkten, einseitigen Einflussnahme auf die Gesetzgebung und Ministerialbürokratie, um unternehmerische (Partikular-)interessen und Ziele zu verwirklichen. Die Lasten werden auf die Gesellschaft übertragen und laufen oftmals dem Gemeinwohl zuwider. Schaden können hierbei sowohl die Repräsentanten der exekutiven und legislativen Staatsgewalt, das Vertrauen in den Staat und seine Institutionen sowie das politische System an sich nehmen.
Diese Abhandlung stellt die Struktur der deutschen Automobillobby auf deutscher und europäischer Ebene und deren Beeinflussung politischer Entscheidungsvorgänge dar. Beispielgebend für eine politische Entscheidung wird das im Juni 2020 verabschiedete 130 Milliarden Euro schweren Konjunktur- und Zukunftspakets des Bundes, nachfolgend Corona-Konjunkturpaket genannt, sein. Die Strukturen auf europäischer Ebene werden hierbei verkürzt betrachtet, da sie für das bundesdeutsche Paket keine tragende Rolle einnehmen. Zur weiteren Eingrenzung, fokussiert die Ausarbeitung die maßgeblich einflussreichsten Lobbyakteure der Automobilindustrie, namentlich VW, BMW und Daimler, wenngleich die Branche eine Vielzahl weiterer Unternehmen und Verbände umfasst. Leitende Fragen sind hierbei: Welche Lobbystrukturen besitzt die deutsche Automobilindustrie? Wie versuchte die Branche ihre Interessen im Kontext des Corona-Konjunkturpaketes durchzusetzen?
Nach grundlegender theoretischer Einführung in den Lobbyismus, schafft Kapitel 3 einen Überblick über den Wirtschaftsfaktor Automobil und die Struktur der Automobillobby in der Bundesrepublik und der Europäischen Union (EU). Anschließend wird die Einflussnahme sowie die Grenzen der Lobby und ihrer Unterstützer auf das Corona-Konjunkturpaket analysiert. Abschließend wird kurz die zukünftige Stärke des Automobilsektors bewertet.
2 Blaupause Lobbyismus
Lobbytätigkeiten setzen notwendigerweise Interessen als Basis voraus. „Das Interesse ist eine Grundkategorie in der Politik, um den Antrieb für bestimmte Handlungen zu erklären. Aber erst die Formierung zu einer Interessengruppe oder -organisation macht die Interessen politikfähig und damit zum Ausgangspunkt für das Lobbying“ (Leif & Speth, 2006, S. 13). Interessensvertretung und Lobbyismus ist mit der parlamentarischen Demokratie, dem pluralistischen System und dem korporatistischen Staat untrennbar verbunden. Deutschland fügt über ein differenziertes Verbandswesen, dessen vornehmliche Aufgabe es ist Interessen einzelner Akteure zu bündeln, zu artikulieren und damit das politische System mit mehrheitsfähigen Positionen zu entlasten und somit den politischen Diskurs zu verkürzen (Wissenschaftlicher Dienst des Deutschen Bundestages, 2003). Dem politischen Diskurs wohnt inne verschiedene aggregierte Positionen abzuwägen und auszugleichen. Zwischen Interessensvertretung und Lobbyismus besteht jedoch nach Thomas Leif und Rudolf Speth (2006, S. 13) eine deutliche Differenz: Ist Interessensvertretung mehr eine „unspezifische Repräsentation von Interessen im politischen Raum“ (ebd.), zielt Lobbying „auf die Artikulation und konkrete Durchsetzung von Einzelinteressen [sowie] Beeinflussung oder Verhinderung konkreter Gesetzesvorhaben [ab]“ (ebd., S. 14). Auch zeitlich unterscheiden sich beide Aktivitäten. Erfolgt Lobbying punktuell anhand konkreter Gesetzesvorlagen und weist damit Projektcharakter auf, ist die Interessensvertretung dauerhaft ausgelegt (ebd.).
Lobbyismus ist legitim und steht als Ausdruck der Meinungs-, Vereinigungs-, Koalitions- und Berufsfreiheit unter dem Schutz des Grundgesetzes (Plehwe, 2019; Strässer & Meerkamp, 2015, S. 220; von Alemann & Eckert, 2006, S. 6). Es „ist eine Mischung aus Informationsbeschaffung und -vermittlung, Kontrolle des Regierungs- und legislativen Handelns sowie natürlich politischer Beeinflussung“ (Strässer & Meerkamp, 2015, S. 219).
Von Alemann und Eckert (2006, S. 6-9) differenzieren zwischen weißem (legal, legitim), schwarzem (illegal) und grauem (legal, illegitim) Lobbyismus. „Zwischen Hell- und Dunkelfeld erstreckt sich eine vielfältig abschattierte Grauzone [...]. Dieser Sektor ist nicht klar verboten, also strafrechtlich sanktioniert, aber er ist ein Minenfeld von Aktivitäten, die von der Gesellschaft schwerlich akzeptiert werden“ (von Alemann & Eckert, 2006, S. 4). Zu schwarzen Lobbyaktivitäten zählen beispielsweise illegale Parteienfinanzierung, Druckausübung, Erpressung und Bestechung politischer Entscheidungsträger. Sie sind klar reguliert und illegal.
Der weiße Lobbyismus umfasst alle legitimen und legalen Instrumente und Aktivitäten der Interessensvertretung. Als einige Beispiele sind Imagekampagnen, Sponsoring, Informationsvermittlung, Netzwerkbildung, Austausch mit politischen Entscheidungsträgern und weitere zu nennen. Aktivitäten im grauen Lobbybereich sind zwar legal und nicht reguliert beziehungsweise nicht illegal, aber gelten in der öffentlichen Wahrnehmung als illegitim (ebd., S. 7). In diesen Bereich lassen sich etwa Verschleierungstaktiken privater Interessen hinter Gemeinwohlideologie und Expertengremien, nahtlose Wechsel von politischer in wirtschaftliche Tätigkeit, legislative Verbandsfärbung und „Verbandsminister“ sowie Parteispenden von juristischen Personen einordnen (ebd., S. 7-9). Ebenso können Nebentätigkeiten von Abgeordneten in wirtschaftlichen Bereichen, in denen sie ebenso politisch zuständig sind, zu Interessenkonflikten und Lobbyismus für entsprechende Unternehmen führen. Abgeordnete sind per se Interessensvertreter ihres jeweiligen Wahlkreises und damit auch der ansässigen Unternehmen.
Durch die Nähe zwischen Lobbyisten und politischen Entscheidungsträgern besteht die Gefahr der Einflussnahme, der Lenkungswirkung und der damit verbundenen Beeinflussung des Gesetzgebungsprozesses. Lobbyismus gilt mit vorgenannten Eigenschaften für die Politikwissenschaftler Leif und Speth (2006) gar als fünfte Gewalt im politischen System der Bundesrepublik.
Die Lobbyarbeit kann sich an alle politischen Entscheidungsträger aller politischen Ebenen richten. Zur Eingrenzung fokussiert diese Arbeit die Verbindungen der Lobby zur Bundesregierung, den Koalitionsfraktionen CDU/CSU und SPD im Deutschen Bundestag sowie auf europäischer Ebene die EU-Kommission.
3 Das Automobil und seine Lobbyisten
„In Deutschland wurde das Automobil – und zwar der PKW, der LKW und auch der Omnibus - erfunden. Und hier wird es mit Leidenschaft und Ingenieurskunst immer wieder neu erfunden, um Mobilität noch sicherer, effizienter, komfortabler sowie umwelt- und klimafreundlicher zu gestalten“ (Verband der Automobilindustrie e.V., o. D.-c). Auch um diese technologischen Errungenschaften und den Vorsprung von Beginn an zu verteidigen hat die Automobilbranche über die Jahrzehnte schlagkräftige Lobbystrukturen aufgebaut. Neben einem starken institutionellen Verbandswesen weist die Automobilbranche zahlreiche Verbindungen zu politischen Entscheidungsträgern auf, bis hin zum personellen Wechsel zwischen beiden Bereichen.
Aufgrund der wirtschaftlichen Bedeutung, der Vorherrschaft des Automobils im Individualverkehr und der breiten Akzeptanz innerhalb der Bevölkerung konnte die Verflechtung von Wirtschaft und Politik fast gänzlich geräuschlos erfolgen. Erst die neuen Kommunikationsmöglichkeiten und modernen Informationstechnologien der letzten Jahre erhöhten die Transparenz und das zivilgesellschaftliche Engagement in Hinblick auf diese Verflechtung. Neben die 1983 gegründete Nichtregierungsorganisation Transparency International Deutschland traten 2004 der Verein Parlamentswatch mit seiner bekannten Webseite abgeordnetenwatch.de und 2005 der Verein Lobbycontrol.
3.1 Deutschlands Wirtschaftsgut par excellence
„Die Automobilindustrie ist die größte Branche des Verarbeitenden Gewerbes und gemessen am Umsatz der mit Abstand bedeutendste Industriezweig in Deutschland“ (Bundesministerium für Wirtschaft und Energie, o. D.). Die Branche umfasst hierbei die Kraftfahrzeughersteller, die Zulieferer von Kfz-Teilen sowie Hersteller von Aufbauten und Anhängern. Die drei Konzerne VW, BMW und Daimler dominieren den deutschen und europäischen Markt und nehmen ebenso auf dem Weltmarkt eine entscheidende Rolle ein.
In Deutschland setzte die Branche 2019 mit ihren knapp 833.000 Beschäftigten 436 Milliarden Euro um und trug somit 153 Milliarden Euro zum Bruttoinlandsprodukt der Bundesrepublik bei (Verband der Automobilindustrie e.V., 2021a). Der Wirtschaftszweig hat zudem starke Verbindungen zu, und dadurch maßgeblichen Einfluss auf, weitere starke deutsche Wirtschaftszweige wie beispielsweise der Kunststoff- oder Metallindustrie, aber auch zum Maschinenbau und zum Dienstleistungsbereich. Unter Einbeziehung vor- und nachgelagerter Bereiche sind „etwa 1,75 Millionen Erwerbstätige in Deutschland, also rund 4 % der Erwerbstätigen, mit der Automobilbranche verbunden“ (Statistisches Bundesamt, 2019). Das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie geht gar von „2,2 Millionen und damit rund sieben Prozent der sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätze“ (Bundesministerium für Wirtschaft und Energie, o. D.) aus.
Ebenso weist der Wirtschaftszweig eine starke Internationalisierung und weltumspannende Wertschöpfungsketten auf. Verdeutlich wird dies dadurch, dass etwa Dreiviertel des Herstellerumsatzes und Zweidrittel des Branchenumsatzes außerhalb Deutschlands generiert werden (Verband der Automobilindustrie e.V., 2021a). Drei von vier hierzulande produzierten Pkw sind für den Export bestimmt und tragen maßgeblich zur Exportstärke Deutschlands bei. Im Spitzenjahr 2016 wurden mehr als 4,4 Millionen Pkws exportiert, davon der überwiegende Teil in die europäischen Nachbarstaaten (61 Prozent) (Verband der Automobilindustrie e.V., 2021b).
Ebenso Weltspitze sind die deutschen Autobauer auf dem Gebiet der Forschung und Entwicklung. Zu den weltweiten Aufwendungen im Jahr 2018 steuerten die deutschen Entwickler 44,6 Milliarden Euro bei. Das entspricht mehr als einem Drittel der Gesamtaufwendungen und damit mehr als die amerikanische und japanische Konkurrenz investierte. Die deutsche Automobilindustrie bindet und sichert damit hochqualifizierte Industrie-, Ingenieurs- und Forschungsarbeitsplätze in der Bundesrepublik. Bis Mitte des Jahrzehnts sollen weitere 150 Milliarden Euro in Zukunftstechnologien, wie Elektromobilität und Digitalisierung investiert werden (Meyer, 2021). „Die deutsche Automobilindustrie gilt [im Bereich technischer Innovationen und Verbesserungen] als weltweiter Impulsgeber für Produkt- und Prozessinnovationen“ (Bundesministerium für Wirtschaft und Energie, o. D.).
Die Gewichtung der Automobilindustrie im politischen Berlin speist sich einerseits aus der dargestellten wirtschaftlichen Stärke sowie arbeitspolitischen Bedeutung für den Produktionsstandort Deutschland und andererseits aus mächtigen Lobbystrukturen.
3.2 Lobbystrukturen der Automobilindustrie in Deutschland
Die drei Automobilhersteller VW, BMW und Daimler unterhalten Büros zur Interessenvertretung in Berlin. Bereits hier wird die Verbundenheit zwischen Politik und Autowirtschaft deutlich. So leitet mit Michael Jansen (CDU) ein ehemaliger Büroleiter (2006-2009) der CDU-Bundesvorsitzenden Angela Merkel seit 2015 die Konzernrepräsentanz des größten europäischen Autobauers VW. Vor der Beschäftigung im Konrad-Adenauer-Haus war Jansen zudem für verschiedene Bundestagsabgeordnete tätig und Referent der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Die im Parlament und der CDU-Bundesgeschäftsstelle aufgebauten Netzwerke sind für die jetzige Betätigung zuträglich. Die Karenzzeit zwischen beiden Tätigkeiten erscheint für das Abkühlens der Beziehungen als ausreichend und ist daher dem weißen Lobbyismus einzuordnen.
Mit ähnlichen Instrumenten wird auch der Cheflobbyist von Daimler, Eckart von Klaeden (CDU) als ehemaliger Bundestagsabgeordneter (1994-2013) und Staatsminister im Bundeskanzleramt (2009-2013) arbeiten können. Der nahtlose Wechsel ist als grauer Lobbyismus anzusehen und löste zum damaligen Zeitpunkt Irritationen und Unverständnis innerhalb der Bevölkerung aus. Die Berliner Staatsanwaltschaft leitete im Herbst 2013 gegen von Klaeden mit Verdacht auf Vorteilsnahme ein Ermittlungsverfahren ein (Der Spiegel, 2013). Anfang 2015 wurde das Verfahren ohne hinreichenden Tatverdacht eingestellt (Der Tagesspiegel, 2015). Vermutlich auch unter Berücksichtigung dieses Falls gelangte 2013 ein Passus zur Karenzzeit für Regierungsmitglieder in den Koalitionsvertrag 2013 zwischen CDU/CSU und SPD. Ein entsprechendes Gesetz mit einer Karenzzeit von mindestens 12 Monaten zwischen politischer und wirtschaftlicher Tätigkeit wurde im Juli 2015 vom Bundestag beschlossen (Bundesregierung, 2015).
Seit April 2021 leitet Marcus Wachtmeister die Berliner Repräsentanz von BMW und ist Maximilian Schöberl unterstellt. Schöberl gehört dem Unternehmen seit 2003 an und leitete von 1992 bis 1998 die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der CSU in München. Durch seine politische Tätigkeit hat er Verbindungen zum früheren CSU-Vorsitzenden und Bundesfinanzminister Theo Waigel (Quadriga Hochschule Berlin, o. D.). Aufgrund der Zeitspanne zwischen beiden Tätigkeiten legitimer Lobbyismus.
Neben den Konzernrepräsentanzen sind die drei Autohersteller und teilweise auch deren Töchterunternehmen im Verband der Automobilindustrie e.V. (VDA), zusammen mit etwa 650 weiteren Unternehmen der Automobilindustrie, organisiert. Neben den Herstellern speist sich die Mitgliedschaft des VDA zum Großteil (über 500 Unternehmen) aus dem Zulieferbereich. Hierunter finden sich bekannte deutsche Wirtschaftsgrößen wie BASF, Bosch, Continental, Infineon, Lanxess, LEONI, OSRAM, Siemens und ThyssenKrupp. Ergänzt wird die Mitgliedschaft durch nachgelagerte Wirtschaftsbereiche etwa Autobahn Tank & Rast, Esso, Shell sowie weitere Verbände: Zentralverband Karosserie- und Fahrzeugtechnik, Gesamtverband der Aluminiumindustrie, Verband der Arbeitsgeräte und Kommunalfahrzeug-Industrie und weiteren (Verband der Automobilindustrie e.V., o. D.-b). Damit weist der VDA eine ausgeprägte Vernetzung entlang der gesamten Wertschöpfungskette des Automobils auf und hat durch seine differenzierte Mitgliedschaft einen starken Einfluss. Strukturell beschäftigt der VDA etwa 100 Mitarbeiter und gliedert seine Interessensarbeit in rund 50 Arbeitskreise und Ausschüsse. Damit ist der VDA thematisch ausdifferenzierter als etwa der Deutsche Bundestag1. Der Verband hat seinen Sitz in Berlin und unterhält ebenso Repräsentanzen in Brüssel und China (Verband der Automobilindustrie e.V., o. D.-a).
Seit Januar 2020 ist Hildegard Müller VDA-Präsidentin. Müller ist CDU-Mitglied, gehörte von 2002 bis 2008 dem Deutschen Bundestag an und war von 2005 bis 2008 Staatsministerin im Kanzleramt unter Angela Merkel. Der Wechsel zwischen Politik und Lobbytätigkeit erscheint aufgrund einer angemessenen Zeitspanne und ohne inhaltliche Nähe beider Bereiche als legitim. Interessant erscheint dagegen die Mitgliedschaft Müllers im Wirtschaftsrat der CDU.
Anders als der Name vermuten lässt, ist der Wirtschaftsrat der CDU keine Parteigliederung, sondern ein Wirtschaftsverband (Roßmann, 2021) und vertritt die Interessen seiner 12.000 Mitgliedsunternehmen. „Seine irreführende Namenswahl und die Mitgliedschaft im Parteivorstand [der CDU] verschaffen dem Verband eine besondere Nähe zur größten deutschen Regierungspartei“ (Deckwirth, 2021b). Zudem unterliegt er, anders als Parteigremien, keinerlei Transparenzpflichten (ebd.). Präsidentin des Wirtschaftsrates ist die Unternehmerin Astrid Hamker. Sie darf „qua Amt als ‚ständiger Gast‘ an allen Vorstandssitzungen [der CDU] teilnehmen, samt Rederecht“ (Roßmann, 2021). Seit 2019 führt die Vizepräsidentschaft der ehemalige Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion (2000-2002) Friedrich Merz. Bereits seit 1999 ist er im Verbandspräsidium, und damit auch während seiner Abgeordnetentätigkeit (1994-2009), tätig. Die dadurch entstandene Nähe zwischen Politik und Wirtschaft könnte fast nicht enger sein. Christina Deckwirth konstatiert: „Der Wirtschaftsrat steht für einseitigen Lobbyismus im Machtzentrum der CDU. […] Von solchen privilegierten Zugängen können andere gesellschaftliche Gruppen nur träumen“ (Deckwirth, 2021a).
Auch die Automobilindustrie ist im Wirtschaftsrat vertreten:
Mit VDA-Präsidentin Hildegard Müller sitzt Deutschlands Chefautolobbyistin im Bundesvorstand des Verbands. Daimler-Vorständin Renata Jungo Brüngger ist Präsidiumsmitglied, Daimler-Trucks-und-Busse-Vorstand Martin Daum leitet den Industriebeirat des Verbands und der Brüsseler VW-Cheflobbyist Christof-Sebastian Klitz ist Vorstandsmitglied des Landesverbands Brüssel und war dort zeitweise auch Vorsitzender. (Deckwirth, 2021c)
Der Wirtschaftsrat der CDU hat seinen Hauptsitz in Berlin und ist ebenfalls mit einem Büro in Brüssel vertreten. Dem dortigen Landesvorstand gehören mit Holger Krahmer und Christof-Sebastian Klitz (CDU) zwei Lobbyisten von Daimler und VW an (Wirtschaftsrat der CDU, o. D.).
[...]
1 In der 19. Legislaturperiode hat der Deutsche Bundestag 25 ständige Ausschüsse gebildet.