Das Konstrukt Intelligenz. Kritische Auseinandersetzung mit den Thesen von Roth und Harris


Hausarbeit, 2013

19 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung

2. Was ist Intelligenz? Was ist Hochbegabung?

3. Wie entsteht Intelligenz?
3.1 Einflüsse der Umwelt auf die Intelligenzentwicklung
3.2 Wieviel Intelligenz kann als angeboren gelten?
3.3 Intelligent durch intelligente Eltern?
3.4 Die Hälfte ist genetisch vorgegeben – oder?

4. Sensible Phasen – oder: kann man Intelligenz trainieren?

5. Fazit

6. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Im Wintersemester haben wir, ein Seminar vor allem von Lehramtsstudierenden, aber auch von angehenden BildungsforscherInnen, mit erheblicher emotionaler Beteiligung über die Thesen von Gerhard Roth, einem Gehirnforscher, diskutiert. Für einen Gehirnforscher scheint eine Ursachenzuschreibung von Lernprozessen leichter möglich zu sein als für einen Pädagogen. Das ist auf den ersten Blick verlockend, weil es das „Technologiedefizit“ der Pädagogik ausgleichen könnte. Allerdings ist die Pädagogik keine Inselwissenschaft - längst hat sie sich mit den Ergebnissen anderer Wissenschaften, wie eben der Hirnforschung und der pädagogischen Psychologie, auseinandergesetzt. Aber sie versucht nicht zu beantworten, woher Intelligenz kommt. Dies ist ein Kernthema der Psychologie- und Hirnforschung. Intelligenztests sollen nach Roth die aussagekräftigsten Tests der Psychologie sein.1 Sie können Menschen einteilen, aber nicht die Ursachen erklären – die sind vielfältig und trotz jahrzehntelanger Forschung gar nicht so eindeutig.

Im Unterricht von Erstklässlern2 habe ich mich gefragt, wie man diese erheblichen Unterschiede zwischen den Kindern erklären kann. Sie haben ja noch relativ wenig Beschulung – wenn auch erhebliche Lernprozesse – hinter sich. Ab wo unterscheiden sich Kinder in ihrer „Intelligenz“? Ausgehend von Roths Buch: Bildung braucht Persönlichkeit, Kapitel 6, „Intelligenz“ habe ich mich auf die Spurensuche begeben.

2. Was ist Intelligenz? Was ist Hochbegabung?

Jeder Mensch besitzt eine Grundintelligenz. Diese ermöglicht seinem Körper zu leben. Je nach Möglichkeiten kommen keine, normale oder außergewöhnliche Fähigkeiten in verschiedenen Bereichen hinzu. Intelligenz wird - nicht nur von Roth - als Fähigkeit eines Menschens zum Problemlösen definiert3. Problemlösen? Das ist zweifelsfrei eine Domäne der Naturwissenschaften und der Mathematik. So mag es auch nicht verwundern, dass einige Intelligenztests vorwiegend mathematische bzw. logische Fähigkeiten abprüfen. In der Schulberatung – wenn also die Eltern in Baden-Württemberg wissen wollen oder wissen sollten, wie „intelligent“ ihr Kind ist - wird die Intelligenz mit Hilfe des „CFT-20 “ gemessen. Beim genaueren Hinsehen auf den Test erkennt man, dass vor allem Logik und non-symbolische (quasi Rechenoperationen ohne Zahlen) Mathematik abgeprüft werden. Die verbalen Fähigkeiten werden ebenfalls abgeprüft. Reicht das, um über die Intelligenz eines Kindes Bescheid zu wissen? Gardner hat postuliert, dass es noch weitete Intelligenzfelder gibt: neben der logisch-mathematischen und der sprachlichen noch eine räumliche, musikalische, körperlich-kinestäthische, interpersonale, intrapersonale sowie eine naturalistische Intelligenz. Mittlerweile hat er die Anzahl der Intelligenzfelder noch weiter erhöht.4

Mit den Tests aus der Psychologie lässt sich vorhandene Leistung im logisch-mathematischen oder verbalen Denken definieren – hingegen ist Messen der verschiedenen Intelligenzen mangels Skalen derzeit nicht möglich. Zumal sowieso keine Einigung darüber besteht, ob dies der Intelligenz zuzurechnen ist, es könnten ja auch „nur“ Talente und Begabungen sein. Generell sind die Tests in ihrer Aussagekraft umstritten – warum gibt es weniger weibliche Hochbegabte? Und in Amerika „zeigen“ die Tests, dass Farbige weniger intelligent seien als Weiße – kann das sein? Testgläubige Menschen gehen davon aus, dass besonders hohe Intelligenz eben männlich ist – und Farbige eben weniger schlau als Weiße. Allerdings hat man vor wenigen Jahrzehnten auch geglaubt, dass es viel mehr hochbegabte Jungen als Mädchen gibt, da ja viel mehr getestet wurden. Heute weiß man, dass Mädchen aufgrund ihrer Anpassungsfähigkeit seltener auffällig werden, damit weniger getestet worden sind – und deshalb nicht in die Statistik eingehen konnten. Und: Tests können nur messen, worauf die Forscher den Fokus gelegt haben – und es wird in der Art gemessen, wie sie glauben, dass man das Merkmal erfassen kann. Selbstverständlich sind die Tests alle an Stichproben getestet worden und gelten damit als „geeicht“. Der normale Bürger hat einen Intelligenzquotienten von 100, 68% der Bevölkerung müssen also einen IQ zwischen 85 und 115 haben – der Test ist darauf eingestellt. Kann er dann so objektiv messen, wie es die Anbieter vermitteln? Natürlich nicht, denn er ist kulturspezifisch. Deshalb können sie nicht die besonderen intellektuellen Leistungen andersartiger Menschen abbilden – auch, wenn sie eine große Gruppe darstellen, wie Farbige. Ein Mensch aus einem Naturvolk würde als minderintelligent eingestuft werden – denn sein Denken und Aufgabenlösen ist von anderer Art. Ein moderner Mensch mit seiner „höheren“ Intelligenz würde dagegen in der Wildnis kläglich versagen …

3. Wie entsteht Intelligenz?

Zweifelsfrei entsteht Intelligenz aus einer Mischung von Anlage und Umwelt. Nur, zu welchen Teilen? Die Geschichte der psychologischen Forschungstendenzen gab zu den verschiedenen Zeitpunkten verschiedene Antworten: Watson erklärte, dass er ein Kind zu jedem beliebigen Beruf bringen könnte- vom Verbrecher zum Juristen – allerdings hat er wohl selbst nicht so ganz daran geglaubt, weshalb er keine „Versuchskinder“ dazu erhielt, wie Harris schreibt.5

3.1 Einflüsse der Umwelt auf die Intelligenzentwicklung

Die Behavioristen gingen davon aus, dass man durch äußere Einflüsse die Entwicklung eines Kindes steuern kann. Diese Überzeugung konnte in Form von Erziehungsratgebern bis in die Gegenwart ausstrahlen – sie gibt den Eltern die Schuld am Misslingen oder Geraten ihrer Nachkommen – was laut Harris die normalen Eltern der Mittelschicht unter unerträglichen Druck setzt. Andere Bevölkerungsgruppen halten nichts von den „weißen“ Erziehungsmethoden und halten sich lieber an „ihre Methoden“. Jüngstes dokumentiertes Beispiel ist der Bestseller „Die Mutter des Erfolges“ von Amy Chua, einer chinesisch-stämmigen Migrantin in den USA, die erklärt, dass man Kinder einfach nur entsprechend den asiatischen Traditionen zum Üben zwingen muss, ohne Gedanken an irgendwelche Spätfolgen.

Allerdings ist die Angst der Eltern, nicht genug für ihr Kind zu arrangieren, hierzulande nicht so viel anders: Wie lässt sich sonst die Nachfrage nach all den Frühförderangeboten erklären, ob der Nachwuchs nun schon im Kleinkindalter musikalische Frühförderung genießen sollte, Babyschwimmen absolvieren oder Englisch lernen sollte? Und der genannte Bestseller wird in der mittlerweile fünften Auflage verkauft!

Wie sich die anfängliche Begeisterung, dass das reine Hören klassischer Musik die Intelligenz erhöhen würde, nicht bestätigte6 , kann man auch bei aller anderen Frühförderung – Defizitbereich ausgeschlossen – den Eltern eher Gelassenheit empfehlen. Roth schreibt sogar, dass eine gezielte Förderung in den ersten drei Lebensjahren sich als schädlich erweisen könnte. Dem stimme ich zu, denn Förderung in einem Bereich bedeutet, dass das Kind in einem anderen Bereich weniger natürliche Lerngelegenheiten hat – oder gar weniger Ruhe, die das Gelernte verankert.

Nach Roth sind die wichtigsten Umweltfaktoren für Intelligenz eine positive Bindungserfahrung, ein sensorisch und kognitiv stimulierendes Umfeld sowie die Ermutigung durch die Eltern.7 Da diese Aussage elementar ist, möchte ich näher auf sie eingehen. Harris sieht in der Bindungssicherheit nur die Vergangenheit: Wie das Kind bisher von der Mutter getröstet werden konnte. Sie lehnt ganz entschieden ab, daraus Schlussfolgerungen für zukünftige soziale Bindungserfahrungen ziehen zu können. Über ein Verhältnis zur Intelligenz äußert sie sich nicht, geht aber davon aus, dass die Beziehung zu einem Gleichaltrigen reicht, um ein „normales“ Leben als Erwachsener führen zu können. Ich habe allerdings Zweifel an diesem „normalen“ Erwachsenenleben: Woran wird es gemessen? Menschen sind soziale Wesen, die Geborgenheit brauchen und soziale Beziehungen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass diese Menschen zufrieden oder –um ein strapaziertes Wort in unserer Zeit im ursprünglichen Sinn zu benutzen – glücklich sind. Würden wir von einem gelungenen Leben sprechen, wenn es unseres wäre?

Kinder brauchen die sichere Bindung, die natürlich nicht auf die Mutter beschränkt ist, um sich in die Welt zu wagen: Wer das stimulierende Umfeld erkunden möchte, muss mit Rückschlägen, die Angst auslösen, rechnen. Fehlt dieser Rückhalt, wird ein Kind weniger intensiv seine Umwelt erforschen – und damit weniger geistige Anregung erhalten.

Hüther geht davon aus, dass ein Kind, dass eine sichere Bindungsbeziehung entwickelt hat, all das übernimmt, was diese Bindungspersonen selbst an Kompetenzen, Fähigkeiten und Haltungen entwickelt haben. Ein Kind mit Schlangenangst wird bei einem Vater, der ein Schlangennarr ist, seine Angst auf Dauer besiegen – wenn der Vater mit ihm Probleme löst, viel Freude teilt und noch dazu in schwierigen Situation für das Kind da ist. Hüther spricht in diesem Zusammenhang von „nutzungsabhängiger Stabilisierung synaptischer Netzwerke“8. Als Beispiel führt er die Nachtigall an, wo der junge Vogel die komplizierten Lieder nur lernen kann, wenn der männliche Altvogel sie ihm vorsingt. Die Anlagen sind im Kind vorhanden – sie müssen jedoch auch genutzt werden, um aktiviert zu werden.

Ein sensorisch und kognitiv stimulierendes Umfeld erweitert die Erfahrungen des Säuglings: Schon im Mutterleib sammelt der Säugling Erfahrungen. Man weiß, dass er schmecken kann, bereits tasten, riechen9 und etwa ab der 20. Woche auch hören kann10. Der Säugling schmeckt, was seine Mutter für Nahrung zu sich nimmt – dokumentiert ist die Vorliebe bzw. Abneigung der Säuglinge von Anis, je nachdem, welche Vorlieben ihre Mutter in der Schwangerschaft hatte11 , Säuglinge bevorzugen süß und lehnen bitteren Geschmack ab.12 Durch die Prägung auf den Geschmack der Mutter findet das Neugeborene die Brustwarze der Mutter. Es riecht sie, was mit Kaninchen bewiesen wurde: Im letzten Teil der Schwangerschaft wurde ihr Fruchtwasser mit Zitronenaroma angereichert. Als die Kaninchen auf der Welt war, rieb man der Mutter den Rücken mit Zitronenaroma ein, während die Brustwarzen mit Seife gewaschen wurden. Die Kaninchen suchten die Brustwarzen ausschließlich am Rücken ihrer Mutter.13

Das Säuglinge bereits im Mutterleib hören, dürfte den meisten jungen Müttern sehr plausibel vorkommen: So konnte ich schon beim Neugeborenen beobachten, dass es sehen wollte, wie sein Vater, der gerade sprach, aussah – die Hebamme war weniger interessant. Auch die beruhigende Wirkung von Musik, die Mütter während der Schwangerschaft hörten oder machten, dürften viele kennen: So können die Säuglinge unseres Posaunenchores beruhigt schlafen, wenn ihre Eltern doch recht laut nebendran musizieren. Vielleicht sind Schlaflieder deshalb Traditionsgut?

Als Pädagogen wissen wir, wie wichtig eine anregende Umgebung ist – und was für die Schulkinder gilt, gilt natürlich auch für die Säuglinge. Natürlich ist mehr nicht gleichzusetzen mit besser – wie eine kindgerechte Ausstattung auszusehen hat, ist, je nach Weltanschauung, sehr verschieden. Deshalb ist die Zusammenfassung sensorisch und kognitiv stimulierend gut gewählt. Der „Beweis“ vom positiven Effekt der anregenden Umgebung wird über die defizitären Verhältnisse in russischen oder rumänischen Waisenhäusern geführt oder mit den Verhältnissen der wilden Kindern wie „Genie“, die in der Kindheit depriviert waren: Fehlt diese anregende Umwelt, kann ein Kind bestimmte Anlagen nicht ausbilden.

Nun komme ich zum letzten genannten Punkt, der elterlichen Ermutigung. Anders als Roth gehe ich nicht davon aus, dass ein Kind diese benötigt, denn ein normales Kind (ohne Traumata etc. ) wird mit Interesse auf seine Umgebung reagieren. Auch ein ängstliches Naturell wird sich seine Umwelt erobern – ganz von selbst, wenn es nicht gebremst wird, eventuell zeitlich etwas später. Es ist recht gut erforscht, dass Abwarten ein stabiles Persönlichkeitsmerkmal ist. Ein vorsichtiges Kind wird aller Voraussicht nach auch als Erwachsener erst einmal abwarten, während ein impulsives Kind diese Neigung ebenfalls beibehält. Evolutionsbiologisch macht das durchaus Sinn: in einer Jägergruppe wird beides gebraucht, die Impulsiven, die ein hohes Risiko eingehen, und die Besonnenen, die den Fortbestand der Gruppe sichern können. In der Intelligenz gibt es keinen Unterschied.

3.2 Wieviel Intelligenz kann als angeboren gelten?

Der genetische Teil der Intelligenz ist der Teil, der heute subsumiert, was nicht beeinflussbar scheint. Er soll jedem Menschen unveränderlich zugeteilt worden sein – und wird deshalb teilweise kritisch betrachtet. Intelligenztests dürfen nur mit Zustimmung der Eltern durchgeführt werden, was absolut seine Berechtigung hat: Bei Abweichungen von der Norm reagieren manche Lehrkräfte genervt, da sie sich für die Beschulung als nicht als zuständig sehen – was allerdings falsch ist. Roth schreibt, dass er 50% ausmachen würde14. Um die Anteile von Vererbung oder Umwelteinflüssen der Intelligenz wurde in der Wissenschaftsgeschichte erbittert gerungen, die Behavioristen behaupteten sogar, es gäbe keine genetische Komponente. In den USA scheint man noch vor wenigen Jahren allen Erfolg bzw. Misserfolg der Kinder als Ergebnis elterlicher Bemühungen gesehen zu haben, zumindest, wenn man Harris glauben schenkt. Da muss eine genetische Erklärung eine große Erleichterung sein, vor allem, wenn sie noch dazu erklärt, dass der Rest der menschlichen Anpassungsleistungen an seine Gesellschaft vor allem durch die Peer-Group erfolgt!

[...]


1 Roth, S. 148

2 hierbei sind selbstverständlich Kinder beiden Geschlechtes gemeint. Der Lesbarkeit halber habe ich mich darauf beschränkt, die männliche Form als Zusammenfassung für beide Geschlechter zu nennen

3 A.a.O., S.149

4 A.a. O., S. 149 f.

5 vgl. Harris

6 vgl. Roth

7 Roth,. S. 168f.

8 Hüther, S. 69f.

9 vgl. Spitzer 2007

10 Spitzer 2003, S. 52

11 Spitzer 2003, S. 53

12 vgl. Spitzer 2007

13 Hüther, S. 67 f.

14 S 157

Ende der Leseprobe aus 19 Seiten

Details

Titel
Das Konstrukt Intelligenz. Kritische Auseinandersetzung mit den Thesen von Roth und Harris
Hochschule
Pädagogische Hochschule Ludwigsburg
Note
1,0
Autor
Jahr
2013
Seiten
19
Katalognummer
V1127707
ISBN (eBook)
9783346506436
ISBN (Buch)
9783346506443
Sprache
Deutsch
Schlagworte
konstrukt, intelligenz, kritische, auseinandersetzung, thesen, roth, harris
Arbeit zitieren
Miriam Malcher (Autor:in), 2013, Das Konstrukt Intelligenz. Kritische Auseinandersetzung mit den Thesen von Roth und Harris, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1127707

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