Kontext zwischen Gewalt und der Entstehung von Psychosen in Familien


Hausarbeit, 2000

23 Seiten, Note: sehr gut


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitende Gedanken

2. Kontext zwischen Gewalt und der Entstehung von Psychosen in Familien
2.1 Allgemeines zu Gewalt und der Zusammenhang von Gewalt und Psychose
2.2 Das Modell der psychosomatischen Familie nach Salvador Minuchin
2.2.1 Verstrickung
2.2.2 Überfürsorglichkeit
2.2.3 Starre Familien
2.2.4 Konfliktvermeidung
2.3 Hypothesen zur Entstehung von Schizophrenie nach Bateson, Jackson, Lidz, Wynne u.a.
2.3.1 double bind Situation
2.3.2 Pseudo Gemeinschaft
2.4 Zur Entstehung von Schizophrenie nach Jay Haley
2.5 Zur Entstehung der Schizophrenie nach Selvini Palazzoli, Cirillo, Selvini, Sorrentino
2.5.1 Imbroglio (betrügerische Verwicklung)
2.5.2 Anstiftung
2.5.3 Das sechsstufige Prozessmodell
2.5.3.1 Das Patt zwischen den Eltern
2.5.3.2 Das Kind wird in das Spiel des Elternpaares miteinbezogen
2.5.3.3 Das ungewöhnliche Verhalten des Kindes
2.5.3.4 Die Kehrtwendung des vermeintlichen Verbündeten
2.5.3.5 Ausbruch der Psychose
2.5.3.6 Strategien auf der Grundlage des Symptoms
2.6 Erfahrungen in Familienaufstellungen von Bert Hellinger und Robert Langlotz
2.6.1 Identifizierung
2.6.2 Für die anderen etwas tragen
2.6.3 Übernahme von Schuld
2.6.4 Ausklammerung Frühergeborener
2.7 Virginia Satir

3. Schlussbetrachtung

Literaturverzeichnis

Anhang

Interview mit M. D.-, Fachkrankenpfleger für Psychiatrie; Ausbildung in Systemischer Paar -und Familienterapie 22

Ergebnis des Gesprächs mit einer KommilitonIn: 23

1. Einleitende Gedanken

In meiner Studienarbeit möchte ich mich mit dem Zusammenhang zwischen Gewalt und der Entstehung von Psychosen auseinander setzen. Hierzu möchte ich zunächst darauf eingehen, was Gewalt ist und dies in Bezug zu dem Thema stellen. Mir geht es in dieser Arbeit nicht um körperliche Misshandlungen, denen durch das Gesetz Grenzen gesetzt werden, sondern um Familiensysteme, in denen durch die persönliche Dynamik der Eltern mit den Kindern die Entstehung von Psychosen begünstigt werden. Eine nähere Erläuterung dafür, dass auch solche Dynamiken eine Gewalteinwirkung für das Kind bedeuten, möchte ich im ersten Kapitel näher ausführen. Diese Bedeutung der Gewalt möchte ich dann in Beziehung zu den folgenden verschiedenen Erklärungsansätzen von Psychosen setzen. Die verschiedenen Erklärungsansätze werde ich kurz und exemplarisch darstellen.

Zunächst anhand des Modells von psychosomatischen Krankheiten von Salvador Minuchin. Hier geht es in engerem Sinne nicht um Psychosen, sondern um die psychosomatisch diagnostizierten Krankheiten: Anorexie, Diabetes und Asthma. Diese verschiedenen Merkmale ähneln aber den anderen Erklärungsansätzen, die ich in dieser Arbeit noch vorstellen werde (vgl.:Minuchin;1995;42).

Danach möchte ich auf zwei Hypothesen der Entstehung von Schizophrenie in dem Buch von Bateson, Jackson, Laing, Lidz, Wynne u.a., ,,Schizophrenie und Familie" eingehen. Diese Forschungsgruppe (Palo Alto Gruppe genannt) hat sich bei der Erforschung der Entstehung von Psychosen, insbesondere der Schizophrenie, die Interaktionsprozesse der Familienmitglieder miteinbezogen.

Im darauffolgenden Kapitel möchte ich auf die Entstehung der Schizophrenie aus dem Buch von Jay Haley, ,,Gemeinsamer Nenner Interaktion", der auch schon an dem vorhergehenden Buch von Bateson mitgearbeitet hat, eingehen. Haley geht in seinem Buch vordergründig auf die Kommunikationsformen der Schizophrenen ein, und schließt von der Ursache dieser Kommunikation auf die Entstehung der Krankheit.

Im nächsten Kapitel möchte ich auf die Ergebnisse von Selvini Palazzoli u.a., dem Mailänder Institut, näher eingehen. Dieses hat durch Inspiration der Palo Alto Gruppe, ein Therapiemodell entwickelt, für Familien mit schizophrener Störung. Dies wird in dem Buch ,,Paradoxon und Gegenparadoxon" beschrieben. In dieser Arbeit möchte ich das Modell zur Entstehung von Schizophrenie dieser Arbeitsgruppe vorstellen, das in dem Buch ,,Die psychotischen Spiele der Familie" beschrieben wird. In diesem Buch wird das ursprüngliche Therapiemodell weiterentwickelt und es wird auch eine Distanzierung von der extremen kommunikationstheoretischen Sichtweise Bateson beschrieben.

Weiterhin möchte ich noch auf die Erfahrungen von Bert Hellinger und Robert Langlotz bei Familienaufstellungen mit Psychosekranken berichten. Hier handelt es sich nicht um einen Erklärungsversuch zur Entstehung von Psychosen, sondern es werden an praktischen Beispielen Familiendynamiken gezeigt, die zu Psychosen geführt haben.

Bei der Auswahl dieser Erklärungsversuche war es mir wichtig, dass die Entstehung der Krankheit in einem systemischen Kontext der Familie gesehen wird, in dem ich auch die Gewalt sehe.

2. Kontext zwischen Gewalt und der Entstehung von Psychosen in Familien

Zuerst möchte ich eine kurze Definition von Gewalt geben und daraus entwickeln, wie diese in Zusammenhang mit der Entstehung von Psychosen in Familien steht.

2.1 Allgemeines zu Gewalt und der Zusammenhang von Gewalt und Psychose

Gewalt steht in einer Beziehung zu Macht. Gewalt wird als ein Mittel zur Erlangung von Macht verstanden (vgl.:Trotha;1997;61). In der politischen Diskussion wird von Gewalt gesprochen, wenn ein Mensch so beeinflusst wird, dass seine somatische und geistige Verwirklichung eingeschränkt wird. Das bedeutet Gewalt ist nicht erst dann vorhanden, wenn physische Beeinträchtigungen und Verletzungen entstehen, sondern auch dann, wenn Benachteiligung, Diskriminierung und psychische Beeinträchtigungen statt finden. In der Psychologie wird bei solchen Beeinträchtigungen eher von Machtausübung gesprochen. Weiterhin wird personale und strukturelle Gewalt unterschieden. Personale Gewalt liegt dann vor, wenn Beeinträchtigungen durch Personen statt finden. Findet eine Beeinträchtigung und Ungleichbehandlung durch staatliche Gesetze und Verordnungen statt, so wird nach dem Soziologen Galtung von struktureller Gewalt gesprochen (vgl.:Bierhoff;1998;6).

Auch an dem Beispiel der Psychose kann man strukturelle Gewalt beschreiben. Denn die Krankheit Psychose wird vorwiegend schulmedizinisch behandelt, und dies wird politisch, gesellschaftlich und strukturell gefördert. Meines Erachtens ist die schulmedizinische Sicht einseitig, weil vorwiegend die körperlichen Zusammenhänge gesehen werden, was bei der Psychose bedeutet, dass die Kranken mit Medikamenten behandelt werden, und in einer Akutphase auch dazu gezwungen werden. Dies ist auch eine Form von Gewalt, nämlich personal im direkten Umgang mit dem Patienten und strukturell, durch den gesetzlichen Rahmen. An dieser Stelle möchte ich in einem Exkurs, auf einen Teil des Buches, ,,Die unendliche und die endliche Psychiatrie" von Jochen Schweitzer und Bernd Schumacher, eingehen, um an dem Beispiel der Krankheit Psychose den Zusammenhang mit Psychiatrie und Gesellschaft zu zeigen. Diese gehen unter anderem auf die Konzepte der Psychose ein. Hierbei wird klar, wie schon die ersten Ideen zur Psychose von Kraeplin und Bleuler, die Unendlichkeit der Schizophrenie beschreiben, dass also Schizophrene nicht gesund werden können. Dies wird zwar heute differenzierter gesehen, allerdings ist die gängige schulmedizinische Behandlung, die Dauermedikation. Dieses Denken steht auch heute noch im Vordergrund. Dadurch werden Schizophrene zum einen stigmatisiert, zum anderen wird ihnen durch den Umgang mit der Krankheit, die Möglichkeit auf Entwicklung genommen. Wie in dem Buch beschrieben, wandelt sich durch die Neuroleptika die behandelte Plus-Symptomatik (z.B. Wahnvorstellungen) in eine Minus-Symptomatik (z.B. Antriebslosigkeit), um (vgl.:Schweitzer/Schumacher;1995;28ff). Die chronische Entwicklung dieser Krankheit wird durch diese Haltung unterstützt. Diese starre Haltung zur Schizophrenie stellt im direkten Umgang mit Kranken, zum einen eine personale Gewalt dar, zum anderen auf der Ebene der Diagnose ist die Gewalt strukturell bedingt.

In dem oben genannten Buch ist auch ein Artikel zur biologisch psychiatrischen Forschung zur Entstehung der Schizophrenie abgedruckt. Es werden die Ergebnisse wie z.B. der Populationsgenetik, Molekulargenetik, Neurotransmitterforschung und Neuroanatomie beschrieben. Wenn diese Ergebnisse zur Anwendung kommen, bedeutet dies, dass die Risikofaktorträger identifiziert werden sollen und dann ständig durch z.B. Stoffwechselkontrollen und Neuroleptika kontrolliert werden sollen. Dieser Umgang gibt dem Patienten keine Chance zur Veränderung, die Chronizität wird ,,konstruiert" (vgl.:Schweitzer/Schumacher;1995;47ff). Diese biologisch psychiatrische Forschung ist die Grundlage für die schulmedizinische Behandlung dieses Klientel. Die Behandlungsmethode ist zwar die freie Entscheidung des Arztes, aber im Studium ist dieser schulmedizinische Ansatz obligatorisch, und psychotherapeutische Zusatzausbildungen, können freiwillig nach der Ausbildung abgelegt werden. Hier handelt es sich sowohl um strukturelle Gewalt, weil dieser Umgang mit Krankheit gesellschaftlich gefördert wird, als auch um personale Gewalt, bei dem direkten Umgang mit Patienten.

Werden Menschen in einer akuten psychotischen Phase in die Psychiatrie eingeliefert, so können sie durch einen richterlichen Beschluss auch gegen ihren Willen, dort festgehalten werden und die Einnahme von Psychopharmaka nicht ablehnen. Dies ist eine strukturelle Gewalt gegen den Kranken, im persönlichen Umgang mit dem Patienten, findet eine personale Gewalt statt.

Dies steht in direktem Zusammenhang mit den medizinischen Grundlagen und diese wiederum mit den rechtlichen Vorgaben und der politisch unterstützen Forschung. Dies zeigt, dass Gewalt in direktem Zusammenhang mit Macht und diese mit Herrschaft steht. Laut Definition ist Herrschaft die ,,Ausübung von Macht über Untergebene und Abhängige durch Machtmittel" (http://www.iicm.edu/m10/ref.m10.H/ref.m10.H.20/0x811bc834_0x0002eb16;internal&action=hilite.action&Parameter=herrschaft#1st). Herrschaft ist somit nach dieser Definition institutionalisierte Macht und somit legitimierte Macht. Die Legitimierung findet in der Demokratie durch Wahlen statt. Hier kann man den direkten Zusammenhang zur strukturellen Gewalt sehen.

Zum Schluss dieser Abhandlung zum Thema Gewalt, möchte ich der Vollständigkeit halber noch darauf hinweisen, dass Gewalt auch einen Zusammenhang zur Aggression hat. Aggression aus dem englischen wird mit Angriff ins Deutsche übersetzt. In der Psychologie und auch der Soziologie wird Aggression kontrovers diskutiert, allerdings kann die Definition, dass aggressives Verhalten darauf ausgerichtet ist ,,einen Organismus oder Organismusersatz zu schädigen" (Michels/Novak;1987;11), als kleinster gemeinsamer Nenner gesehen werden. Hier möchte ich allerdings hinzufügen, dass Aggression auch etwas mit Verteidigung zu tun hat und, dass es darauf ankommt, wie damit umgegangen wird. So gesehen hat Aggression auch einen positiven Aspekt. Auch kann Aggression gegen einen selbst gerichtet sein. (vgl:http.//www.infoplease.com/ce6/sci/A0802736.html)

Ich möchte auf die verschiedenen Aspekte der Gewalt im allgemeinen nicht noch näher eingehen, dies sollte ein kurzer Überblick sein. An dieser Stelle möchte ich überleiten zu dem Zusammenhang mit meinem Thema. Eltern haben über ihre Kinder Macht, weil diese auf sie angewiesen, von ihren Eltern abhängig sind. Durch diesen Umstand kann in der Beziehung von Eltern zu ihren Kindern Gewalt vorkommen, auch ohne körperliche Übergriffe, sondern durch den Umgang der Eltern mit den Kindern, den die Kinder als Gewalt empfinden können und dem sie ausgeliefert sind. Es handelt sich hier um personale Gewalt, die strukturell durch die Gesetze einen großen Spielraum hat. Wie oben erwähnt, schreibt zwar Trotha, dass Gewalt als ein Mittel zur Erlangung von Macht verstanden wird, dies bedeutet aber nicht, dass bei der Erlangung von Macht immer Gewalt im Spiel ist. Macht bedeutet somit, meines Erachtens, nicht automatisch etwas Negatives. Eltern haben ja so zu sagen von Natur aus die Macht über ihre Kinder. Es ist also eher eine Frage des Umgangs mit dieser Macht. Meines Erachtens haben Eltern auch die Pflicht den Kindern Grenzen zu setzen, um so den Kindern, den für sie nötigen Rahmen für Ihre Entwicklung zu geben. Tun Eltern dies nicht oder nehmen Eltern ihre Elternrolle nicht klar an, so kann genau dies negative Auswirkungen auf die Entwicklung des Kindes haben. Dies zeigt, dass es auf den Umgang der Eltern mit der Macht ankommt, damit dieser für das Kind keine Gewalt bedeutet. Mit Gewalt in diesem Zusammenhang, verbinde ich immer negative Auswirkungen auf die Entwicklung des Kindes. Treten also Eltern nicht klar ihren Kindern gegenüber, so bedeutet genau dieses Nichtausüben der Macht, für die Kinder Gewalt, wie vorhergehend erläutert. Missbrauchen Eltern ihre Macht, (z.B. setzen sie diese für ihre eigenen Belange ein), so stellt dies direkt eine Gewaltausübung für die Kinder dar. Die Kinder können sich dieser Gewalt wegen ihre Abhängigkeit nicht entziehen. Maßstab dafür, ob es sich in der jeweiligen Dynamik um Gewalt handelt oder nicht, ist für mich die Entwicklungseinschränkung des Kindes. Ob dies bewusst oder unbewusst durch die Eltern geschieht ist für meine Definition von Gewalt unerheblich. Die Eltern geben den Kindern keine Klarheit oder missbrauchen ihre Macht nicht aus Willkür, sondern oft handeln Eltern so, weil sie nicht anders können. Es geht mir nicht um Wertung, sondern darum, Dynamiken aufzuzeigen.

Ob Gewalt in Bezug auf mein Thema vorliegt oder nicht, möchte ich noch von einer anderen Seite beleuchten. Georg Lind geht davon aus, dass die meisten Definitionen von Gewalt nicht weit genug gehen, wie z.B. der Definition von Galtung "vermeidbare Beeinträchtigung grundlegender menschlicher Bedürfnisse oder, allgemeiner ausgedrückt, des Lebens, die den realen Grad der Bedürfnisbefriedigung unter das herabsetzt, was potentiell möglich ist" (Galtung; S.106, nach Georg Lind;http://www.uni-konstanz.de/ag-moral/gewalt97.htm). Lind meint, dass auch dann von Gewalt gesprochen werden kann, wenn keine Motivation vorlag, den anderen zu schädigen, zu verletzen oder zu töten. Lind geht hier von der Sicht des Gewaltausübenden aus (vgl.: Georg Lind; http://www.uni-konstanz.de/ag-moral/gewalt97.htm). Diese Betrachtungsweise möchte ich noch dahingehend ergänzen, dass bei der Beurteilung über das Vorliegen von Gewalt, geschaut wird ob es für den Betroffenen eine Gewalteinwirkung war. Meines Erachtens kann auch von Gewalt gesprochen werden, wenn keine Absicht vorliegt, auch wenn es für den Betroffenen trotzdem eine Gewalteinwirkung ist.

[...]

Ende der Leseprobe aus 23 Seiten

Details

Titel
Kontext zwischen Gewalt und der Entstehung von Psychosen in Familien
Hochschule
Hochschule München  (Sozialwesen)
Note
sehr gut
Autor
Jahr
2000
Seiten
23
Katalognummer
V1128
ISBN (eBook)
9783638107075
ISBN (Buch)
9783640385171
Dateigröße
610 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Kontext, Gewalt, Entstehung, Psychosen, Familien
Arbeit zitieren
Alexander Thomas (Autor:in), 2000, Kontext zwischen Gewalt und der Entstehung von Psychosen in Familien, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1128

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