Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
Quellendiskussion und Recherchestrategie
1. Theoretischer Hintergrund (Begriffsklärung Empowerment)
2. Die Partizipative Video - Methode
2.1 Prozess
2.2 Anwendungsgebiete und Ziele
3. Projektanalyse eines ausgewählten Beispiels
3.1 Vorgehensweise
3.2 Projekt „Solar Power in Turkmenistan“
3.2.1 Planungsphase
3.2.2 Umsetzungsphase
3.2.3 Evaluation
Fazit
Literaturverzeichnis
Einleitung
In den 1980er Jahren hat sich in der Entwicklungshilfe eine neuartige Arbeitsphilosophie ausgebildet, mit dem Ansatz, durch vereinfachte, nicht standardisierte Methoden unter Einbeziehung der lokalen Bevölkerung und ihres Wissens innerhalb kurzer Zeit handlungsrelevante Informationen über lokale Lebensverhältnisse und lokale Ressourcen zu sammeln, analysieren und auszuwerten, wobei die einheimischen Betroffenen selbst die aktive Rolle übernehmen, während das multidisziplinäre Forscherteam an Außenstehenden lediglich eine unterstützende Rolle als Facilitator einnehmen soll. Der Expertenstatus wird dabei an die Lokalbevölkerung abgegeben, welche sich als Besitzer der erzielten Ergebnisse fühlen und in der Lage sein soll, die daraus abgeleiteten Aktivitäten selbst in die Hand zu nehmen. Diese als Participatory Rural Appraisal (PRA) bekannte Vorgehensweise will Betroffene also zur Selbstaktion ermächtigen und besteht mittlerweile aus einem Repertoire verschiedenster Lern-Ansätze, welchen allesamt eine gemeinsame partizipative Beratungsphilosophie zu Grunde liegt. Die Partizipative Video-Methode ist eine dieser Instrumente, und inwieweit sie ihrer Aufgabe nachkommt, möchte ich in dieser Arbeit anhand der Analyse einer ausgewählten Case Study überprüfen.
Dabei wird zunächst ein kurzer Einblick in die Köpfe und das Schaffen der Entwicklungsorganisation gegeben werden, welche auf diesem Gebiet Pionierstellung hat.
Anschließend wird der zum weiteren Verständnis vorausgesetzte Begriff Empowerment erläutert. Im nächsten Schritt soll der verallgemeinerte Prozessablauf der Partizipativen Video-Methode, sowie die zahleichen Anwendungsgebiete, bei welchen der Einsatz dieser Methode sich als vorteilhaft erwiesen hat, zusammengefasst werden. Um zu ermessen, inwieweit Partizipative Videos zu Empowerment verhelfen können, wird sowohl die Planungs-, Umsetzungs-, und Evaluationsphase des ausgewählten Projekte anhand der im Kapitel Vorgehensweise näher erläuterten Leitkriterien, welche mir im Laufe des Seminars als von besonderer Wichtigkeit aufgefallen sind, untersucht werden. Abschließend werden die herausgearbeiteten Punkte in meiner Schlussfolgerung zusammengefasst.
Ziel dieser Arbeit ist es, anhand der Analyse einer ausgewählten Case Study festzustellen, ob und inwieweit Partizipative Videos ihrem Versuch, zu Empowerment zu verhelfen, nachkommt.
Quellendiskussion und Recherchestrategie
Das Projekt “Solar Power in Turkmenistan” wurde vor allem wegen seiner langjährigen Fortdauer, welche Erfolg zu versprechen scheint, und wegen der langjährigen Erfahrung des Projektleiters Chris Lunch, der Begründer der renommiertesten Organisation im Bereich der Arbeit mit der Partizipativen Video-Methode, ausgewählt. Ein weiteres Kriterium besteht darin, dass seine Organisation über diese Fallstudie auf ihrer Webseite verhältnismäßig umfangreiches Informationsmaterial bereitgestellt hat.
Chris Lunch hat nach Abschluss seiner Studien der Anthropologie und Archäologie in seiner Heimatstadt an der Universität Oxford, im Laufe seiner Arbeitserfahrung mit einem Hirtenvolk in Kasachstan als Mitglied eines Forscherteams, erkannt, dass traditionelle Forschungsmethoden in dieser ruralen Umgebung nicht ausreichten, um den Menschen wirklich helfen zu können. Somit kam es im Jahr 1999 zur Gründung der heutzutage unter dem Namen InsightShare bekannten Entwicklungsorganisation, die er gemeinsam mit seinem Bruder Nick (InsightShare 2015-a) gründete. Seitdem haben die beiden Brüder mit mehr als 15 Jahre Erfahrung erfolgreich zahlreiche Videoprojekte in zahlreichen unterschiedlichen Anwendungsbereichen geleitet, wovon ein Großteil frei online auf ihrer Webseite einsehbar ist.
Die Community Development-Organisation InsightShare mit Sitz in Oxford, UK, ist ein Vorreiter bei der Nutzung Partizipativer Videos und vertritt die Mission, mithilfe der Partizipativen Video-Methode sozialen Randgruppen die Möglichkeit zu geben, selbst auf ihre Situation aufmerksam zu machen und möchte sie in der Fähigkeit der Lösungsfindung zu den gegebenen politischen, ökonomischen oder umweltbedingten Problemen bestärken (Lunch/ Abdul 2004: 4, InsightShare 2015-b). Dabei sollen die Betroffenen zur Auseinandersetzung mit ihrer Situation und deren Bewältigung angeregt werden, wobei auch umliegende Gemeinden mit ähnlichen Verhältnissen zur Mitarbeit ermuntert werden sollen, und das Drehen von Videos oft mit anderen partizipativen Techniken (wie etwa das Erstellen von Diagrammen, quantitative Berechnungen mithilfe des Matrix Rankings, Rollenspiele, semistrukturierte Interviews etc.) zur Steigerung der Bevollmächtigung und Herausarbeitung der anzugehenden Kernpunkte kombiniert wird (vgl. Lunch/ Abdul 2004: 4). Das Ziel ist dabei immer, die Gemeinde dazu anzuregen, in eigener Initiative selbst Lösungsstrategien herauszuarbeiten und auszuführen (Lunch/ Abdul 2004: 4). Dazu arbeitet InsightShare mit einem weltweiten Netzwerk an Partnerorganisationen zusammen und hat bereits über 150 Projekte in über 50 Ländern abgeschlossen (InsightShare 2015-b). Auf der Internetseite der Organisation befindet sich die weltweit größte Plattform mit den Ergebnissen zahlreicher Partizipativer Video-Projekte (öffentlich einsehbar auf: Insightshare.org) sowie eine große Fülle an weiterem Informationsmaterial über laufende und abgeschlossene Projekte, welche für diese Seminararbeit verwendet wurden.
Alle weiteren Quellen wurden rein zur Unterstützung verwendet, und sollen der Aufführung von verständniserleichternden Beispielen oder der Verdeutlichung dienen.
Um einen Überblick über die themenspezifische Literatur zu erhalten, wurde online sowie in der Bibliothek der Universität Trier vor allem nach den Begriffen Participatory Video, Empowerment, Partizipation und Participatory Video Case Study geforscht. Die gefundenen Bücher und Texte wurden verwendet, um Verständnis über die Thematik zu erlangen und das eigene Wissen zu vertiefen. Dabei ist besonders das Kulturglossar zu nennen, in welchem oben genannte Begriffe aufschlussreich erläutert werden.
1. Theoretischer Hintergrund (Begriffsklärung Empowerment)
Um feststellen zu können, inwieweit Partizipative Videos zu Empowerment beitragen, ist es notwendig, diesen Begriff zum erweiterten Verständnis zunächst genauer zu erläutern.
Mit Empowerment (engl. Übertragung von Verantwortung, Ermächtigung) werden in der Entwicklungshilfe Strategien und Maßnahmen bezeichnet, welche „den Grad an Autonomie und Selbstbestimmung im Leben von Menschen oder Gemeinschaften erhöhen sollen und es ihnen ermöglichen, ihre Interessen eigenmächtig, selbstverantwortlich und selbstbestimmt zu vertreten. Empowerment bezeichnet dabei sowohl den Prozess der Selbstbemächtigung als auch die professionelle Unterstützung der Menschen, ihr Gefühl der Macht- und Einflusslosigkeit (powerlessness) zu überwinden und ihre Gestaltungsspielräume und Ressourcen wahrzunehmen und zu nutzen. Der Begriff Empowerment wird auch für einen erreichten Zustand von Selbstverantwortung und Selbstbestimmung verwendet; in diesem Sinn wird im Deutschen Empowerment gelegentlich auch als Selbstkompetenz bezeichnet.“ (Wikipedia 2015).
Empowerment mithilfe der Partizipativen Videos (kurz PV) umschreibt somit einen lokalen Entwicklungsprozess, in dessen Zuge soziale Randgruppen durch die eigenständige Arbeit vor und hinter der Kamera, sowie bei der gemeinsamen Auswertung, Ausarbeitung und Verbreitung des fertigen Films zunehmendes Vertrauen in ihre eigene Selbstwirksamkeit gewinnen, die Fähigkeit erlangen, eigenständig ihre Probleme herauszuarbeiten und mit den nötigen Mitteln versorgt werden, um öffentlich ihre Interessen zu vertreten und selbstbestimmt zu leben und (vgl. Schönhuth 2015, InsightShare 2015).
Durch die Verbreitung ihrer selbstgedrehten Partizipativen Videos treten die Randgruppen aus dem Schatten und ihr Anliegen wird der Öffentlichkeit zugänglich gemacht, sodass ein Bewusstsein über ihre Situation soziale Institutionen und Geldgeber zur Mithilfe animieren kann.
2. Die Partizipative Video - Methode
Die Partizipative Video-Methode wird weltweit in unterschiedlichsten Projekten angewendet. Als Teilnehmer eignen sich Menschen jeder Altersstufe und jeden Geschlechts. Gerade auch für Gemeinden mit mangelnder Bildung ist diese Methode sehr gut geeignet, da keine Lesefähigkeiten erforderlich sind, um Videos drehen zu können und auch jede Altersklasse am Projekt teilnehmen kann (Lunch/ Lunch 2006: 14). Im Folgenden sollen der verallgemeinerte Prozessaufbau der Partizipativen Video-Methode, sowie die ihm zugrunden liegenden Ziele und Anwendungsgebiete erläutert werden.
2.1 Prozess
Grob lässt sich der Prozess eines Partizipativen Video-Projekts in eine Planungs- Umsetzungs- und Evaluationsphase einteilen.
Voraussetzung für die Durchführung der Partizipativen Video-Methode ist zunächst das Vorhandensein der technischen Rahmenbedingungen, welche entsprechende Ressourcen wie Stromversorgung, Videokameras, Laptops oder Computer zur Bearbeitung des Filmmaterials mithilfe geeigneter Software und bestenfalls Leinwände oder Fernsehapparate für Community Screenings (Vorführung der Videoaufnahmen in der Gemeinde). Sofern dies gegeben ist, lernen die Projektteilnehmer ( einheimische Männer, Frauen und Jugendliche) in der Einführung unter der Leitung der Projekt-Facilitators in Trainingsgruppen durch Spiele und Übungen die Nutzung des Video-Equipments kennen und erwerben moderatorische Fähigkeiten (Lunch/ Lunch 2006: 12).
Sobald die Trainees im Umgang mit der Kamera vertraut sind, helfen die Facilitators den Lokalgruppen bei der gemeinsamen Identifizierung und Analyse ihrer lokalen Probleme, Bedürfnisse und Ziele (Lunch/ Lunch 2006: 12). Hierbei sollen die Facilitators als Unterstützer fungieren und die Einheimischen ihre Bedürfnisse und Kernpunkte im Wesentlichen selbst herausarbeiten lassen. In diesem Schritt können auch weitere Partizipative Methoden als Hilfsmittel zur vereinfachten gemeinsamen Entscheidungsfindung angewendet werden. Sobald die wichtigsten Punkte von der Gemeinde herausgearbeitet worden sind, wird ein Drehplan entworfen, bei welchem bestenfalls sämtliche lokalen Projektteilnehmer gleichwertiges Mitspracherecht haben sollen (Lunch/ Lunch 2006: 12).
Nachdem die Teilnehmer sich über die Auswahl des Mediums (Theater, Musik, Geschichtenerzählen, Interview etc.), über welches die Lokalgruppe auf ihre Situation aufmerksam machen will, geeinigt haben, können die Handlungsdetails festgelegt, und weitere Rahmenbedingungen wie Drehort, Personen, Hintergrundmusik usw. ausgearbeitet werden (Lunch/ Lunch 2006: 12).
Dann erst beginnt das eigentliche Drehen, d.h. die Sammlung von Videomaterial. Auch hier übernehmen die Lokalgruppen den gesamten Dreh in der Regel selbst, während die Entwicklungshelfer der reinen Unterstützung und Vermittlung dienen. Sobald einiges an Videomaterial gesammelt wurde, finden in der Gemeinde regelmäßige Präsentationen (Community Screenings) statt, welche die neusten Videoaufnahmen und das entsprechend der Wünsche der Gemeinde neu überarbeitete Video zeigen und Diskussionsrunden zum Ideenaustausch unter den Gemeindemitgliedern anregen sollen (Lunch/ Lunch 2006: 12). Gleichzeitig kann dieser reflexive Prozess für die Analyse und Dokumentation jeder neuen Entwicklungsstufe des Projekts und ihrer Teilnehmer genutzt werden. Durch den Austausch über das Videomaterial kann die Gemeinde neue Erkenntnisse gewinnen und einen neuen gemeinsamen Konsens bilden (Lunch/ Lunch 2006: 12). Außerdem werden Teile des Videomaterials von den lokalen Projektteilnehmern, falls nötig mithilfe der technischen Unterstützung der Facilitators, zu einem oder mehreren Endfilmen zusammengeschnitten und mit dem Einverständnis ihrer Besitzer (= der Gemeinde) auch fremden Gruppen gezeigt, um die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit für die Lage der Betroffenen zu wecken, Hilfsstiftungen zu gewinnen, oder um in anderen Gemeinden für das Projekt zu werben (Lunch/ Lunch 2006: 12).
Der eigentliche Filmprozess wird häufig zusätzlich mit der Monitoring & Evaluation-Methoden verbunden, d.h. während des gesamten Projekts werden regelmäßige Video-Interviews mit Einheimischen zu ihrer Meinung bezüglich der gegenwärtigen Entwicklungen geführt (InsightShare 2015).
2.2 Anwendungsgebiete und Ziele
Die Einsatzgebiete von Partizipativen Videos sind sehr vielseitig und finden mittlerweile auf der ganzen Welt zu unterschiedlichsten Gegebenheiten Anwendung (Lunch/ Lunch 2006: 11). Je nach Thematik und Lage werden verschiedene Ziele verfolgt (Lunch/ Lunch 2006: 13). InsightShare teilt seine Projekte dabei in die folgenden Überkategorien ein:
Unter dem Stichwort Advocacy werden Partizipative Videos von Gemeinden oder Individuen zur Einforderung von bestimmten verletzten Rechten verwendet und dienen als Treibstoff für Rechts-Kampagnen und zur Unterstützung der Perspektiven der Gemeinde (Lie/ Mandler 2009: 7) . Bei der Kategorie Human Rights Based Approach geht es genauer um Projekte mit dem Ziel der Erfüllung von verletzten Grundrechten des Menschen.
Eine weitere Nutzungsmöglichkeit liegt im Bereich des Cultural Exchange, bei welchem beispielsweise unter verschiedenen Gemeinden kulturelles Wissen und modernisierte Arbeitsmethoden mithilfe von Partizipativen Videos ausgetauscht werden (vgl. Lunch/ Lunch 2006: 95ff). Ebenso gibt es Partizipative Videos, welche dem Zweck dienen, indigenes Kulturgut mit dem Rest der Welt zu teilen und damit Traditionen und Kulturerbe zu erhalten und zu verbreiten (Documenting Heritage) (vgl. InsightShare 2015:d).
Sehr häufig werden Partizipative Videos zu Monitoring & Evaluation (kurz M&E)-Zwecken verwendet. Dabei wird ein Entwicklungsprojekt den gesamten Prozess hindurch visuell begleitet ( Lunch/ Lunch 2006: 83) . In Kombination mit der MSC-Technik (kurz für Most Significant Change) kommt es mithilfe eines beständigen Feedback-loops zur Gewinnung authentischer Meinungen, welche ein Stimmungsbild der Einheimischen über das Projekt zeichnen. Diese Technik kann zur Methodenverbesserung sowie zu Forschungszwecken angewendet werden und bietet ein umfassendes Bild des Projekts, schafft nebenbei neue Anregungen und führt zur Festigung des Gefühls der Kontrolle und Macht der Einheimischen (InsightShare 2015-c).
Ein weiteres Anwendungsgebiet ist die Community Consultation. Hierbei ist das Ziel, Informationen und Lösungsansätze bei Krisen und Problemen auszuarbeiten, Konflikte zu bearbeiten und Konsens in der Gemeinde zu erreichen. Außerdem dienen die erstellten Videos als Hilfe bei der Vermittlung zwischen Stakeholdergruppen bzw. Stakeholdern und Entscheidungsträgern (vgl . Lunch/ Lunch 2006: 92ff) .
In Capacity Building - Programmen werden lokale Trainees zu neuen Facilitators in der Partizipativen Video-Methode ausgebildet (Lunch/ Lunch 2006: 92ff).
Bestehende Partizipative Videos können hierbei dazu genutzt werden, um Werbung für bestehende Projekte zu machen, damit sie auf weitere Gemeinden ausgedehnt werden können (Network Development).
Darüber hinaus lässt sich mit der Partizipativen Video-Methode auch P articipatory Research betreiben, d.h. das Forscherteam kann neue Erkenntnisse über die Lokalgruppen und ihre Kultur, Mentalität und Lebenssituation gewinnen (Lunch/ Lunch 2006: 87ff).
Zu den Rezipienten der fertigen Videos können u.a. die eigene oder fremde Gemeinden, Forscher, Entwicklungshelfer, NGOs, Interessensvertreter, Entscheidungsträger oder Geldgeber zählen.
Zusammenfassend handelt es sich bei der Partizipativen Video-Methode um einen sehr flexiblen Prozess, welcher immer mehrere Ziele auf verschiedenen Ebenen anstrebt.
[...]