Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1.Einleitung
2.Theoretische Grundlagen
2.1. Konzeptspezifikation des sozioökonomischen Status
2.2. Erklärungsansätze: Einfluss des sozioökonomischen Status der Eltern auf das Gesundheitsverhalten und die Gesundheit ihrer Kinder
2.2.1 Schichtspezifisches Gesundheitsverhalten
2.2.2 Materielle und strukturelle Faktoren
2.2.3 Psychosoziale Faktoren
2.2.4 Kulturelles Verhalten
2.3. Zusammenfassung der erwartbaren Unterschiede im Gesundheitsverhalten und des Gesundheitsstatus
3. Empirische Ergebnisse: Einfluss des sozioökonomischen Status der Eltern auf das Gesundheitsverhalten und die Gesundheit ihrer Kinder
3.1.Datengrundlage und Methode
3.1.1. Forschungsdesign, Stichprobenauswahl und Studiendurchführung
3.1.2. Operationalisierung des sozioökonomischen Status
3.1.3. Operationalisierung des Gesundheitsverhaltens und des Gesundheitsstatus
3.2 Ergebnisse
3.2.1. Gesundheitsverhalten
3.2.2. Gesundheitsstatus
4. Fazit
Abbildungs- und Tabellenverzeichnis
Abbildung 1:Studiendesign KiGGS Studie (Mauz 2017: 5, eigene Darstellung)
Abbildung 2: Berechnungsgrundlage Index SES (Lampert et al 2018: 131f.)
Abbildung 3: Verteilung der Familien in KiGGS Welle 2 (Lampert et al 2018: 119)
Abbildung 4: Häufigkeiten Ernährung (Kuntz et al. 2018a: 50, eigene Darstellung)
Abbildung 5: Häufigkeiten Freizeitsport (Kuntz et al. 2018a: 50, eigene Darstellung)
Abbildung 6: Odds Ratio Sportverhalten Jungen und umweltbezogener Einflüsse (Krug et al. 2018:10).
Abbildung 7: Häufigkeiten Substanzkonsum (Kuntz et al. 2018a: 53, eigene Darstellung)
Abbildung 8: Häufigkeiten Substanzkonsum (Kuntz et al. 2018a: 52, eigene Darstellung)
Abbildung 9: Häufigkeiten Übergewicht und Adiposität (Kuntz et al. 2018a: 52, eigene Darstellung)
Abbildung 10: Häufigkeiten der Asthmaerkrankungen in den letzten 12 Monaten (Kuntz et al. 2018b: 25, eigene Darstellung
Abbildung 11: Häufigkeiten psychische Auffälligkeiten (Kuntz et al. 2018b: 25f., eigene Darstellung)
Tabelle 1: sozioökonomische Unterschiede im Gesundheitsverhalten von Kindern und Jugendlichen (Kuntz et al. 2018a: 54, eigene Darstellung)
Tabelle 2: sozioökonomische Unterschiede im Gesundheitsstatus von Kindern und Jugendlichen (Kuntz et al. 2018b: 27, eigene Darstellung
Abkürzungsverzeichnis
RKI Robert-Koch-Institut
SES sozioökonomischer Status
1.Einleitung
„Die Gesundheitschancen von Kindern und Jugendlichen in den verschiedenen Ländern der Erde unterscheiden sich immens“ (Jungbauer-Gans und Kriwy 2004: 9). Aber nicht nur zwischen den Ländern herrscht eine gesundheitliche Ungleichheit, auch in Deutschland lassen sich schichtspezifische Unterschiede in der Gesundheit feststellen (Richter und Hurrelmann 2006: 11). Da die gesundheitliche Ungleichheit sich im Themenkontext der sozialen Ungleichheit bewegt, welche als gesellschaftliche Vor- und Nachteile von Individuen definiert werden (Hradil 2006: 34), drängt sich die Frage nach Gerechtigkeit auf. Blickt man zusätzlich darauf, dass Kinder von den sozialen Verhältnissen der Eltern abhängig sind (Richter 2005: 9), und dadurch in ihrem Gesundheitsverhalten und ihrer Gesundheit durch den sozioökonomischen Stauts der Eltern beeinflusst werden, wird die Frage nach sozialer Gerechtigkeit verstärkt. Denn wie kann es gerecht sein, dass Kinder in ihrem Gesundheitsstatus von den sozioökonomischen Verhältnissen der Eltern abhängig sind? Und wie kann diese Ungerechtigkeit beeinflusst oder sogar verhindert werden? Um jedoch die Frage nach Gerechtigkeit und Lösung der Ungerechtigkeit überhaupt stellen zu können, müssen die ursächlichen Mechanismen des Einflusses des sozioökonomischen Status der Eltern auf das Gesundheitsverhalten und die Gesundheit ihrer Kinder erarbeitet und der Einfluss des sozioökonomischen Status der Eltern empirisch belegt werden.
Die allgemeine Relevanz der Thematik wird neben der gesellschaftlichen moralischen Pflicht, die Gesundheit der Kinder nicht von den sozialen Verhältnissen der Eltern abhängig zu machen (Halldórsson et al. 1999: 47), durch eine Forschungstradition und einer „Konjunktur“ des Themas (Mielck 2001: 806) in den letzten Jahrzehnten deutlich. Trotz zahlreicher Studien, die sich mit der Erklärung gesundheitlicher Ungleichheit beschäftigen (Mielck 2000; Richter und Hurrelmann 2006; Helmert 2003), kann eine Forschungslücke zur Erklärung der gesundheitlichen Ungleichheit bei Kindern definiert werden (Richter und Hurrelmann 2008: 22). Zudem konzentriert sich die Forschung weiterhin auf Beschreibung der sozialen Unterschiede (Richter und Hurrelmann 2006:18), nicht auf die Erklärung der Wirkung des sozioökonomischen Status. Dennoch ist die Betrachtung des Einflusses des sozioökonomischen Status der Eltern auf das Gesundheitsverhalten und die Gesundheit ihrer Kinder sinnvoll, da Kinder ihren sozialen Status nicht beeinflussen (Richter 2005: 9), dieser jedoch maßgeblich für die Gesundheit der Kinder ist (Jungbauer-Gans und Kriwy 2004: 12).
Vor diesem Hintergrund soll die Forschungsfrage: „Wie wirkt sich der sozioökonomische Status der Eltern auf das Gesundheitsverhalten und die Gesundheit ihrer Kinder aus?“ bearbeitet werden. Die Zielsetzung der Arbeit folgt den Zielen der empirischen Sozialforschung (Schnell et al. 2013: 4), es sollen nicht nur Aussagen über den Einfluss des sozioökonomischen Status der Eltern auf ihre Kindern gemacht werden, sondern dieser kausal erklärt werden. Zudem soll durch die empirischen Ergebnisse der Einfluss des sozioökonomischen Status der Eltern auf das Gesundheitsverhalten und die Gesundheit ihrer Kinder belegt werden. Die Arbeit wird sich in der empirischen Überprüfung auf die Querschnittserhebung der zweiten KiGGS Welle, damit auf Deutschland, beschränken. Kinder sind als Kinder und Jugendliche bis zum 18. Lebensjahr definiert, da diese Alterspanne in der KiGGS Studie untersucht wurde (Mauz et al. 2017: 4) und gleichzeitig die Kinder in dieser Alterspanne, durch einen geteilten Haushalt, den sozialen Verhältnissen der Eltern unterliegen (Richter 2005: 9). Dennoch ist anzumerken, dass ein Trend zum späteren Verlassens des Elternhauses in den letzten Jahren sichtbar wurde (Wagner und Huinink 1991: 39).
Zu Beginn der Arbeit erfolgt die Konzeptspezifiaktion des sozioökonomischen Status, danach folgen die Erklärungsansätze zum Einfluss des sozioökonomischen Status der Eltern auf das Gesundheitsverhalten und die Gesundheit ihrer Kinder. Da gemäß der definierten Forschungslücke keine explizierte Theorie zur Erklärung der Wirkung des sozioökonomischen Status vorliegt, wird eine Theorie aus ähnlichem Gegenstandsbereich verwendet (Schnell et al. 2013: 5). Folglich wird die Erklärungen der gesundheitlichen Ungleichheit genutzt, um den Einfluss des sozioökonomischen Status der Eltern auf das Gesundheitsverhalten und die Gesundheit ihrer Kinder zu erklären. Zuerst wird das schichtspezifische Gesundheitsverhalten beschrieben und der Einfluss des sozioökonomisch geprägten Gesundheitsverhalten auf Kinder dargestellt. Da dieses Gesundheitsverhalten sozioökonomischen Strukturen folgt (Helmert und Schorb 2006: 138), die von materiellen, sozialen und kulturellen Faktoren abhängig sind (Hradil 2006: 40), werden diese Erklärungsansätze in der genannten Reihenfolge in den anschließenden Erklärungsansätzen erläutert. Danach folgen die empirischen Ergebnisse der KiGGS Studie, die den Einfluss des sozioökonomischen Status der Eltern auf ihre Kinder belegen. An dieser Stelle werden das Forschungsdesign, die Stichprobe und die Erhebungstechnik skizziert und die Operationalisierung der Indikatoren dargestellt. Im Zuge der Operationalisierung wird eine Kritik der Vorgehensweise angeführt. Danach folgen die Ergebnisse der Studie, die die formulierten Hypothesen des Einfluss des sozioökonomischen Status der Eltern auf die Kinder prüfen. Zum Schluss erfolgt ein Fazit über die Aussagekraft der Ergebnisse und eine kritische Betrachtung der Maßnahmen, welche die soziale Ungleichheit bei Kindern reduzieren könnten.
2.Theoretische Grundlagen
Wie bereits in der Einleitung skizziert, besitzen sozial schwache Individuen einen schlechteren Gesundheitszustand (Richter und Hurrelmann 2006:11) der sich durch gesundheitliche Ungleichheit begründen lässt. Jedoch sind nicht nur die Inhaber des jeweiligen sozioökonomischen Status von der gesundheitlichen Ungleichheit betroffen, sondern auch die Gesundheit und das Gesundheitsverhalten der Kinder von dem jeweiligen sozioökonomischen Status beeinflusst. (Lampert et. al. 2018: 114). Durch die Abhängigkeit der gesundheitlichen Ungleichheit bei Kindern und der Faktoren des sozioökonomischen Stauts der Eltern, wie Bildung, Einkommen und berufliche Stellung (Richter und Hurrelmann 2006:11), wird die beschriebene Problematik deutlich. In diesem Kapitel sollen nun die Ursachen für die Abhängigkeit des sozioökonomischen Status der Eltern und dem Gesundheitsverhalten sowie der Gesundheit ihrer Kinder herausgearbeitet werden. Es folgt eine kurze Konzeptspezifikation des Begriffes des sozioökonomischen Status, danach folgen die ursächlichen Erklärungen für den Einfluss des sozioökonomischen Status auf die gesundheitsbezogenen Aspekte der Kinder.
2.1. Konzeptspezifikation des sozioökonomischen Status
Der sozioökonomische Status, in dieser Arbeit als SES abgekürzt, misst den sozialen Status eines Individuums im gesellschaftlichen Gefüge mittels gesellschaftlich relevanter Merkmale wie Bildung, Einkommen und beruflicher Stellung (Dittion und Maarz 2011: 193). Als sozialer Status wird die soziale Position eines Individuums im gesellschaftlichen Gefüge definiert (ebd.: 193). Wenn diese soziale Position mit Vor- und Nachteilen bezüglich der Erreichbarkeit gesellschaftlich relevanter Güter einhergeht, wird von sozialer Ungleichheit gesprochen (Lampert und Kroll 2006: 298). Die Güter sind als Ressourcen definiert, die eigenständiges Handeln durch Bildungsabschlüsse und Einkommen ermöglichen (Hradil 2006: 34). Da sich Vor- und Nachteile sozialer Positionen jedoch nicht nur auf die Erreichbarkeit knapp bemessener Güter beziehen, sondern auch ungleiche Einstellungen, Wertvorstellungen und Verhaltensmuster beinhalten, entsteht ein Gesellschaftskontext, der eine schlechte soziale Position mit einer gesamtheitlichen Benachteiligung in Verbindung bringt (Lampert und Kroll 2006: 298). Nach Lampert und Kroll (2006: 298) muss die Anordnung sozialer Positionen einem Modell der Gesellschaft mit vertikalem, hierarchisch gegliedertem Aufbau folgen. Als ein Beispiel eines Modells mit hierarchischem Aufbau der Gesellschaft kann das Schichtmodell nach Darendorf (1965) genannt werden. In neueren Sozialstrukturanalysen werden jedoch auch Modelle genutzt, die nicht nur einem vertikalen Aufbau folgen, sondern eine gleichzeitige Existenz mehrere Schichten horizontal erlauben (Hradil 2006: 34). Diese Modelle gehen aber von einer Einteilung nach Berufsgruppen aus, weniger nach sozialer Schicht (ebd.: 34). Die Einteilung in die sozialen Positionen wird in hierarchisch gegliederten Modellen von den Merkmalen des SES der Individuen abhängig gemacht, die zu einem Erleben der gleichen Lebensbedingungen und zu einem ähnlichen Verhalten bei sozioökonomisch gleichen Individuen führen (Dittion und Maarz 2011: 194). Der SES ist demnach ein Zuordnungsmerkmal der sozialen Position eines Individuums, das durch das Einkommen, die berufliche Stellung und den Bildungsabschluss gemessen wird (Lampert und Kroll 2006: 299). Zur Erklärung der Wirkung des SES wird ein Modell benötigt, das einen Zusammenhang zwischen der gesundheitlichen Ungleichheit und der sozialen Position im gesellschaftlichen Gefüge unter Berücksichtigung der Ausprägungen des SES herstellt (ebd.:300). Aus diesem Grund sollen in der Arbeit die materiellen, sozialen und kulturellen Ausprägungen der Indikatoren des SES erläutert werden, um zu erarbeiten, wie der sozioökonomische Status der Eltern auf das Gesundheitsverhalten und die Gesundheit ihrer Kinder wirkt.
2.2. Erklärungsansätze: Einfluss des sozioökonomischen Status der Eltern auf das Gesundheitsverhalten und die Gesundheit ihrer Kinder
Wie eingangs skizziert, stellt der SES einen der wesentlichen Wirkungsfaktoren auf die Gesundheit dar (Jungbauer-Gans und Kriwy 2004:12) und beeinflusst die Gesundheit von Kindern langfristig (Karlsson und Okoampha 2012: 231). Entsprechend der definierten Forschungslücke konnten sich Erklärungsansätze der gesundheitlichen Ungleichheit von Kindern nicht von Erklärungen gesundheitlicher Ungleichheit ablösen (Richter und Hurrelmann 2008: 22). Da sich die Erklärung der gesundheitlichen Ungleichheit bei Erwachsenen jedoch für die Erklärung der gesundheitlichen Ungleichheit bei Kindern nutzen lassen (ebd.: 22), sollen diese verwendet werden, um zu erläutern, wieso sich schichtspezifische Unterschiede der Gesundheit bei Kindern, durch den Einfluss des SES der Eltern, erwarten lassen.
Zentral bei den Erklärungsansätzen ist die Frage nach dem ursächlichen Mechanismus nach Selektion durch Gesundheit oder Verursachung durch Faktoren, die sich auf die Gesundheit auswirken (Richter und Hurrelmann 2006: 18). Die Erklärungsansätze der Selektion durch Gesundheit implizieren, dass sich gesundheitliche Ungleichheiten auf Selektionsprozesse in der Gesellschaft zurückführen lassen (ebd: 18). Der Gesundheitszustand der Individuen wirkt dabei auf die soziale Position in der Gesellschaft, wodurch die Gesundheit der Individuen den SES bestimmt (Mielck 2005: 49). Die Abhängigkeit zwischen dem SES und der Gesundheit lässt sich darin begründen, dass gesunde Individuen in der Gesellschaft aufsteigen, während kranke Personen absteigen (Richter 2005: 108). Demnach ist der SES nicht der verursachende Faktor, sondern die abhängige Variable (Richter 2005: 109), und die Gesundheit der Individuen wirkt als verursachende Kraft, also als unabhängige Variable (ebd.: 109), auf Selektionsprozesse, welche sich in der sozialen Mobilität widerspiegeln (Richter und Hurrelmann 2006: 18). Bei den Selektionsprozessen ist es erforderlich, zwischen natürlichem und sozialem Selektionsprozessen zu differenzieren (vgl. Richter 2005: 110), die unter den Bezeichnungen der harten und weichen Version der Selektionsprozesse bekannt sind (Macintyre 1997: 727). Da jedoch bei den Erklärungsansätzen der Selektion durch Gesundheit der SES der Eltern kein Einfluss auf das Gesundheitsverhalten und die Gesundheit ihrer Kinder hat, werden diese Erklärungsansätze nicht erläutert. Im folgenden Teil der Arbeit werden die Erklärungsansätze beschrieben, in denen der SES der Eltern auf die Lebensverhältnisse der Kinder einwirkt und deren Gesundheit beeinflusst. Grundsätzlich ist der Einfluss jedoch indirekt und wird über Faktoren erwirkt, die mit dem SES zusammenhängen (Mielck 2005: 47).
2.2.1 Schichtspezifisches Gesundheitsverhalten
Der Erklärungsansatz des Gesundheitsverhaltens in Abhängigkeit zum SES schildert die sozioökonomischen Unterschiede im gesundheitlichen Risikoverhalten, welches die Inanspruchnahme von Gesundheitsversorgung, insbesondere Präventivmaßnahmen, beinhaltet. Die grundlegende Erklärung dieses Ansatzes impliziert, dass schichtspezifische Unterschiede in der Morbidität und Mortalität durch ein gesundheitliches Risikoverhalten, das von dem jeweiligen SES bestimmt wird, verursacht werden (Steinkamp 1999: 120). Begründet werden kann dieses schichtspezifisches Risikoverhalten durch sozioökonomische Kulturkreise (Richter et al. 2011: 12), die als Zusammenschluss von Individuen verstanden werden, die einen ähnlichen SES besitzen (Richter und Hurrelmann 2006: 19).
Empirisch lassen sich für diese Erklärung Zusammenhänge zwischen dem SES und dem Gesundheitsverhalten, sowohl für das Risikoverhalten also auch für die Inanspruchnahme von Gesundheitsversorgungen, feststellen (Richter 2005; Janßen et al. 2006: 145). Als gesundheitsschädigendes Verhalten wird vor allem Substanzkonsum, Fehlernährung und Bewegungsmangel verstanden (Richter 2005: 115). Bei diesen Risikofaktoren besteht ein negativer Zusammenhang mit dem SES, das gesundheitsschädigende Risikoverhalten ist vor allem bei Personen mit niedrigem SES zu finden (Mielck 2000: 185). Besonders bei dem Risikoverhalten des Rauchens lässt sich ein Zusammenhang mit dem SES darstellen. Mehrere Studien konnten belegen, dass bei Personen mit geringer Schulbildung, geringem beruflichem Status, und niedrigem Einkommen das Rauchverhalten ausgeprägter ist (Mielck 2000; Helmert 2003). Entgegengesetzt ist ein erhöhter Alkoholkonsum bei sozial starken Personen vorzufinden. Besonders bei Frauen mit hohem SES ist der Alkoholkonsum erhöht (Mielck 2000: 204). Erfahren sozioökonomisch schwache Personen Arbeitslosigkeit, besonders Langzeitarbeitslosigkeit, steigt hingegen das Risiko einem erhöhten Alkoholkonsum zu erliegen (Pockrandt et al. 2007: 633). Der Missbrauch von den gesundheitsschädigen Substanzen kann als Bewältigungsstrategie von Alltagsproblemen verstanden werden (Haustein 2005: 630). Zusätzlich zu dem erhöhten Konsum legaler Drogen zeigen Studien sozioökonomische Unterschiede in Bezug auf Übergewicht. Das Risiko an Adipositas zu leiden nimmt mit sinkendem Bildungsstand zu (Helmert 2003: 54). Dies kann durch ungesündere Ernährung sozioökonomisch schwacher Haushalte begründet werden (Mielck 2000: 198). Zudem spielt auch das Wissen um Gesundheit bei Ernährung eine Rolle: Personen, die glauben eine ungünstige Ernährung wirke sich auf chronische Krankheiten aus, ernähren sich deutlich gesünder als Personen, die dieser Annahme nicht folgen (Weyers et al. 2013: 292). Dieser Zusammenhang von Ernährung und Prävention von Krankheiten wird mit steigendem SES häufiger erkannt (ebd.: 292). Zusätzlich sinkt die körperliche Aktivität mit sich verringerndem SES (Mielck 2000: 185). Grundsätzlich steigt somit das gesundheitliche Risikoverhalten mit sinkendem sozioökonomischem Status (vgl. Mielck 2000: 18).
Das erhöhte gesundheitliche Risikoverhalten zeigt sich auch für die Gesundheit der Kinder als risikoreich, Kinder sozioökonomisch schwacher Eltern sind durch Passivrauchen gesundheitlicher Gefährdung ausgesetzt (Mielck 2000: 189). Zum einen rauchen Eltern mit niedriger Schulbildung, geringer beruflicher Stellung und geringem Einkommen häufiger als Eltern mit einem hohem SES, zum anderen rauchen sie mehr Zigaretten pro Tag, was für Kinder zu einem erhöhten Passivrauchen führt (ebd.: 189). Gleichzeitig wird durch das vermehrte Passivrauchen die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass die Kinder selbst zu Rauchern erzogen werden. Die ersten sieben Lebensjahre in unteren sozialen Schichten vergrößern das Risiko für einen Rauchbeginn (Haustein 2005: 631). Die direkten Einwirkungen des Rauchens der Eltern, insbesondere der Mutter, auf die Gesundheit der Kinder zeigt sich in der pränatalen Phase. Ein geringes Geburtsgewicht, verursacht durch das Rauchverhalten der Mutter, ist der höchste Mortalitäts- und Morbiditätsfaktor für Kinder (ebd.: 633). Zudem kann ein erhöhtes Suchtverhalten der Eltern sich negativ auf die Familiensituation auswirken und die Kinder zusätzlichen psychosozialen Belastungen aussetzen (Lampert und Richter 2006: 210). Diese erhöhen die Wahrscheinlichkeit selbst ein gesundheitliches Risikoverhalten auszuführen (Richter 2005: 127). Auch die ungesunde Ernährung sozioökonomisch schwacher Eltern wirkt sich auf das Gesundheitsverhalten im Bereich der Ernährung auf Kinder aus. Es kann angenommen werden, dass Kinder in sozioökonomisch schwachen Familien eine ungesunde Ernährungsweise erlernen (Mielck 2000: 201).
Neben den gesundheitlichen Risikofaktoren sind auch bei der Inanspruchnahme von Präventivmaßnahmen in der Gesundheitsversorgung sozioökonomische Unterschiede fest zu stellen. Bereits die Auswahl des Arztes, der bei gesundheitlichen Problemen kontaktiert wird, folgt einem schichtspezifischen Verhalten (Janßen et. al 2006: 145). Personen mit einem niedrigen SES konsultieren eher den Allgemeinmediziner, Personen mit hohem SES wenden sich eher an Fachärzte (ebd.: 145). Begründet werden kann dies durch einen direkten Effekt von Bildung auf Gesundheitswissen, Personen mit einem höheren SES können ihr Krankheitsleiden besser identifizieren und sich an den entsprechenden Facharzt wenden (Geling et al. 2004: 44). Gleichzeitig werden Präventivmaßnahmen von soziökonomisch schwachen Personen häufig nicht wahrgenommen. Dies zeigt durch schichtspezifische Unterscheide bei Vorsorgeuntersuchungen, zahnmedizinischer Prophylaxe, und dem Zustand gesundheitlicher Aufklärung (Mielck 2000: 208 ff.). Das unzureichende Wissen durch mangelnde gesundheitliche Aufklärung zeigt sich beispielsweise bei HIV-Infektionen. Hierbei sind sozioökonomisch schwache Personen schlechter über die Infektionswege informiert, bemühen sich weniger um Informationen und nehmen kaum an HIV-Tests teil (ebd.: 209). Dieses Verhalten wird bei Präventivmaßnahmen anderer gesundheitlicher Bereiche übernommen. Personen mit hohem SES gehen häufiger zu vorbeugenden Untersuchungen als Personen aus niedrigen sozialen Schichten (Lampert und Richter 2006: 212).
Die fehlende Bereitschaft Präventivmaßnahmen in Anspruch zu nehmen zeigt sich auch bei den Kindern sozioökonomisch schwacher Eltern. Diese nehmen bedeutend seltener U-Untersuchungen ihrer Kinder wahr, als Eltern mit hohem SES (Mielck 2000: 210). Das ist beachtlich, da diese Untersuchungen für die Eltern kostenlos sind (ebd.: 210) und folglich nicht durch fehlende finanzielle Ressourcen unterer Einkommensgruppen erklärt werden können. Als folgenschwer kann die mangelnde Inanspruchnahme der Schwangerschaftsvorsorgeuntersuchungen bezeichnet werden. Sozioökonomisch schwach aufgestellt Schwangere gehen deutlich seltener zur Vorsorgeuntersuchungen als Schwangere aus höheren sozialen Schichten (Simones et al. 2003: 629). Gleichzeitig hat für sozial schwache Frauen in der pränatalen Phase die Inanspruchnahme der Untersuchungen einen signifikanten Effekt auf die Gesundheit ihrer Kinder (ebd.: 629). Hinzukommend spiegeln sich fehlenden Präventivmaßnahmen auch in dem fehlenden Impfschutz der Kinder wider (Mielck 2000.: 213). Als Gründe hierfür können fehlendes Wissen um die Notwenigkeit von Impfschutz und die mangelhafte Nutzung der Präventivmaßnahmen genannt werden (Poethko-Müller und Mankertz 2013: 1251). Die fehlenden Vorsorgeuntersuchungen in der Schwangerschaft, die ausgebliebenen U Untersuchungen sowie der mangelnde Impfschutz wirkt sich bedeutend auf die Gesundheit der Kinder aus. Einerseits sind sie sind durch fehlenden Impfschutz vermeidbaren Krankheiten ausgesetzt (ebd.: 1251), andererseits können durch die versäumten U-Untersuchungen Krankheiten der Kinder oft nicht frühzeitig erkannt werden (Lampert und Richter 2006: 212).
Grundsätzlich ist das schichtabhängige Gesundheitsverhalten nicht individuell gewählt, sondern hängt von sozioökonomischen Strukturen ab (Helmert und Schorb 2006: 138) und wird durch materielle, soziale und kulturelle Ressourcen geprägt (Hradil 2006: 40). Die Wirkungsweise der materiellen Ressourcen wird im Folgenden erläutert.
2.2.2 Materielle und strukturelle Faktoren
Dieser Erklärungsansatz impliziert, dass gesundheitliche Ungleichheit durch materielle und strukturelle Faktoren des SES verursacht wird (Richter und Hurrelmann 2006: 19), welche gesundheitsfördernd oder gesundheitsschädigend sein können (Bolte und Kohlhuber 2006: 91). Dabei steigen die unterschiedlichen Risikofaktoren mit sinkendem SES (Blane et al. 1997: 390). Gleichzeitig wird durch diesen Erklärungsansatz die Relevanz von wirtschaftlichen und damit verbundenen sozioökonomischen Faktoren bei der Gesundheitsverteilung zwischen den sozialen Klassen deutlich (Macintyre 1997: 728). Die verursachenden Faktoren unterliegen dabei nicht der Kontrolle des Individuums (Blane et al. 1997: 385). Die fehlenden Ressourcen führen stattdessen zu einem strukturell deprivierten Leben in einem gesundheitsschädigenden Lebensumfeld (Richter und Hurrelmann 2006: 19). Indes bedeuten fehlenden materielle Ressourcen psychosoziale Stressfaktoren (Bolte und Kohlhuber 2006: 93), was sich bereits im Kindesalter und langfristig gesundheitsschädigend auf die Individuen auswirkt (Richter und Hurrelmann 2008: 22). Doch wie äußert sich materielle und strukturelle Deprivation durch den soziökonomischen Status, und wie wirkt diese auf das Gesundheitsverhalten und die Gesundheit der Kinder?
Unterschieden werden muss bei diesem Erklärungsansatz zwischen psychosozialer Deprivation, welche sich in fehlendem sozialem Ansehen und relativer Benachteiligung materieller Güter äußert (Mielck 2000: 281), und absolute materieller Deprivation. Die absolute Deprivation, in Form von relativer Armut, bezogen auf den hohen Lebensstandard in Deutschland (Helmert 2003: 59), betrifft die sozialen Schichten mit geringem SES (Bolte und Kohlhuber 2006: 92). Die Kinder sozioökonomisch schwacher Haushalte sind durch Einkommensbedingungen, wie Sozialhilfe und Arbeitslosigkeit besonders von materieller Deprivation betroffen (Lampert und Schenk 2004: 57). Dabei wirkt sich die absolute materielle Deprivation auf die Lebens,- und Wohnverhältnisse der Individuen aus. Der soziökonomische Faktor des Einkommens wird für die Messung der sozialen Schichtangehörigkeit mittels Äquivalenzeinkommens bewertet, dessen relative Armutsgefährdung liegt ab unter 60% im Vergleich zum gesellschaftlichen Median des Äquivalenzeinkommens (Lampert und Kroll 2006: 311). Der soziökonomische Faktor des Einkommens ist wesentlich für den Erwerb der meisten Bedarfs- und Gebrauchsgüter und relevant für die Erfüllung grundlegender individueller Bedürfnisse (Lampert et al. 2005: 21).
Ein Zusammenhang lässt sich durch den Einfluss des SES auf das Einkommen, in Form von absoluter materieller Deprivation und relativer Armut, und dem Gesundheitsverhalten feststellen (Helmert 2003: 76). Individuen, die durch einen geringen SES von relativer Armut betroffen sind, ernähren sich schlechter als Personen mit einem höheren SES (Mielck 2000: 198) Die Ernährung sozioökonomisch schwacher Haushalte ist preisbewusst, der Preis der Lebensmittel ist das bestimmende Kriterium beim Erwerb(Leonhäuser und Lemkühler 2002: 30). Eigenschaften wie Mindesthaltbarkeitsdatum oder Saisonalität von Produkten wird in sozioökonomisch schwachen Haushalten weniger Bedeutung beigemessen (Leonhäuser und Lemkühler 2002: 30). Zudem steigen die Kosten von einer billigen Ernährungsweise zu einer vollwertigen Ernährung auf das Doppelte und übersteigen damit Budget der Sozialhilfe (Mielck 2000: 202). Dies führt zu einer Ernährung in sozioökonomischen schwachen Haushalten, die als „‚Unbekümmerter Billigesser‘“ typisiert werden kann (Mielck 2000: 202). Zudem wird in diesen Haushalten eher auf den Verzehr von Salat oder rohem Gemüse verzichtet (Helmert 2003: 72). Hinzukommend wird auf besonders teure Lebensmittel in besonders niedrigen Bildungsgruppen verzichtet (Weyers et al 2013: 291). Dies erklärt, weshalb die Ernährung sozioökonomisch schwacher Haushalte nicht nur preisbewusster, sondern auch vitaminärmer ist (Mielck 2000: 200). Weiterhin ist das Geld in Haushalten mit niedrigen Einkommen knapp bemessen und reicht oft nicht bis zur nächsten Geldauszahlung, sodass vor allem in den letzten Tagen des jeweiligen Monats an den Lebensmitteln gespart wird (Leonhäuser und Lemkühler 2002: 31). Darüber hinaus ist vor allem in sozial schwachen Familien, die von relativer Armut betroffen sind, ein Mangel an sportlicher Betätigung festzustellen (Helmert 2003: 71). Begründet werden kann zum Teil dies dadurch, dass Freizeitaktivitäten oft mit Waren und Dienstleistungen verbunden und daher kostenintensiv sind (Insegard 2005: 271). Mittels der schlechteren Ernährung sozioökonomischen schwacher Gruppen und der mangelnden Bewegung lässt sich das Mehraufkommen von Adipositas betroffenen Personen (Helmert 2003: 71), die einen niedrigeren SES besitzen, erklären (Mielck 2000: 198). Eine weitere finanzielle Belastung stellen teure Medikamente dar. Seit 2004 müssen gesetzlich Versicherte erwachsenen Personen zehn Prozent der Medikamentenkosten selbst tragen (Janßen et al. 2006: 145).
Es kann angenommen werden, dass das Gesundheitsverhalten der Kinder durch die materielle Deprivation unmittelbar geprägt wird, da das Freizeitverhalten und die Ernährung unmittelbar von den Eltern und deren finanziellen Möglichkeiten abhängt (Lampert und Richter 2006: 210). Vor dem Hintergrund, dass die Ernährung sozioökonomisch schwacher Haushalte preisbewusst, ungesund, und gleichzeitig kalorienreich ist (Muff und Weyers 2010: 84), kann die Hypothese aufgestellt werden, dass Eltern mit höherem SES gesündere und ausreichend Lebensmittel für ihre Kinder erwerben können, und deren Ernährung gesünder ist (Karlson und Okoampha 2012: 233) Zudem wird die Ernährung bereits in der Pränatalen Phase der Kindheit bedeutungsvoll für die Gesundheit des Kindes und kann diese maßgeblich beeinflussen, wodurch das Leben der Kinder sozioökonomisch schwacher Haushalte von Beginn an dem materiellen Ressourcen der Eltern unterliegt, die zahlreiche Risikofaktoren beinhalten (Lampert und Schenk 2004: 59). So wirkt sich materielle Deprivation in der Schwangerschaft auf die Auftretungswahrscheinlichkeit von Herz- Kreislauferkrankungen im Lebensverlauf der Föten aus (Lampert et al. 2006: 97). Zusätzlich sind die Freizeitmöglichkeiten sozial schwacher Kinder durch einen niedrigen SES der Eltern, und damit einhergehende materielle Deprivation, eingeschränkt (Lampert und Richter 2006: 210). Für Kinder aus sozioökonomisch schwachen Familien bedeutet dies, dass die finanziellen Mittel der Eltern oft nicht für kostenintensive Freizeitmöglichkeiten ausreichen (Lampert und Schenk 2004: 58). Folglich entwickelt sich ein Freizeitverhalten der Kinder aus sozioökonomisch schwachen Haushalten, welches durch mehr Medienkonsum und weniger körperliche Aktivität geprägt ist als das Freizeitverhalten der Kinder, deren Eltern einen höheren SES besitzen (Lampert und Richter 2006; Lampert et al. 2006: 97). Vor dem Hintergrund der ungesünderen Ernährung und der mangelnden körperlichen Aktivität lässt sich auch für die Kinder deren Eltern einen niedrigen SES besitzen, ein erhöhtes Risiko für Adipositas erwarten (Lampert und Richter 2006: 207).
Ein weiterer Schwerpunkt sind die materiellen Auswirkungen eines niedrigen SES auf die Wohnbedingungen (Richter 2005: 118). Dabei führen steigende Mietpreise zu einer Abdrängung sozial schwacher Haushalte in gesundheitsschädliche Wohnumfelde (Bolte und Kohlhuber 2006: 93), die durch Schadstoff und Lärmbelästigung geprägt sind (Richter 2005: 118). Dies hat Einfluss auf die psychosoziale Deprivation, auf die „soft Facts“ (Shaw 2004: 398). Zudem bringen gesundheitsschädlichere Wohnumfelde zusätzliche Risikofaktoren wie Feuchtigkeit, Kälte und Schimmel mit sich (Bolte und Kohlhuber 2006: 103), die als „hard Facts“ (Shaw 2004: 398) benannt werden können, weil sie die Gesundheit des Individuums durch die schlechten Wohnbedingungen direkt beeinflussen (Shaw 2004: 398). Neben den Wohnungsausstattungen materiell deprivierter Haushalte, die durch unzureichende Heiz- und Sanitäranlagen geprägt sind, sind sozioökonomisch schwache Individuen häufiger in ihrem Wohnumfeld von Überbelegung der Wohnungen betroffen, die mit der Anfälligkeit für Asthma in Verbindung gebracht werden können (Shaw 2004: 402 f.). Zusätzlich wohnen Personen mit niedrigem SES häufiger in verkehrsstarken Wohngebieten, und sind dadurch einer höheren Schadstoffbelastung ausgesetzt (Bolte und Kohlhuber 2006: 96). Ergänzend behindern verkehrsstarke Wohngebiete die sozialen Nachbarschaftskontakte durch Zerschneidung des Wohngebiets mittels stark frequentierter Straßen (Bolte und Kohlhuber 2006: 104). Trotz verkehrsstarker Straßen führt eine mangelnde Verkehrsanbindung in sozioökonomisch schwachen Wohngebieten oft zu einem begrenzten Erreichen von medizinischen Versorgungen und sonstigen Bedarfsgütern (Frumkin 2005: 290), wodurch die Ernährung beeinflusst werden kann (Bolte und Kohlhuber 2006: 104 zit. N. Wakefield 2004). Dies könnte ein Grund für die schlechtere Ernährung sozioökonomischer Haushalte sein, denn durch die mangelhafte Infrastruktur wird der Erwerb von Lebensmitteln für sozioökonomisch schwache Familien aufwendig und kostspielig (Leonhäuser und Lemkühler 2002: 31). Des Weiteren hat die durch materielle Deprivation bestimmte Wohngegend negativen Einfluss auf das weitere Gesundheitsverhalten (Bolte und Kohlhuber 2004: 104). Personen aus sozioökonomisch schwachen Wohngegenden, die durch fehlende Grünflächen und starken Verkehr gekennzeichnet sind (ebd.: 104), weisen eine niedrige körperliche Aktivität auf, als Personen aus sozioökonomisch starken Wohngegenden, in denen die Laufmöglichkeiten uneingeschränkter sind (Saelens et al. 2003: 1555). Obendrein wirkt sich die geringe körperliche Aktivität auf den Body Mass Index der Personen in den Wohngegenden mit geringer Begehbarkeit aus, was sich in einem größeren Prozentsatz von Übergewichtigen in sozioökonomisch schwachen Wohngegenden zeigt (ebd.: 1555).
Der direkte Einfluss des SES der Eltern zeigt sich an der Wohnlage, in der die Kinder aufwachsen. Kinder, deren Eltern einen hohen SES besitzen, leben öfter in Wald- oder Stadtrandgebieten und erfahren durch die Wohngegend eine geringe Schadstoffbelastung (Bolte und Kohlhuber 2006: 96). Kinder aus sozioökonomisch schwachen Haushalten sind durch materielle Deprivation oft von einer kinderfeindlicheren Wohnlage betroffen (ebd.:93), die sich durch geringe Spiel- und Freizeitmöglichkeiten äußert (Lampert und Schenk 2004: 58). Hinzukommend sind die Kinder sozioökonomisch schwacher Familien einer höheren Schadstoff- und Feinstaubbelastung ausgesetzt, die bereits pränatal zu Gesundheitsrisiken führt. Das Risiko einer Frühgeburt im dritten Trimester der Schwangerschaft steigt mit sinkendem SES und einer steigenden Verkehrsdichte in der Wohngegend, während in Wohngegenden sozioökonomisch starker Haushalte dieser Zusammenhang nicht festgestellt werden konnte (Ponce et al. 2005: 145). Aber auch die schlechte Wohnungsausstattung sozioökonomisch schwacher Haushalte wirkt sich direkt auf die Gesundheit der Kinder aus. Sie sind besonders anfällig für Krankheiten, die durch Feuchte und Kälte entstehen (Shaw 2004: 403). Das Risiko für Kinder durch soziökonomische bedingte Deprivation in der Wohnlage an einer Atemwegserkrankung zu leiden, ist deutlich erhöht (Shaw 2004: 403). Zudem sind die Wohnlagen der Kinder mit niedrigem SES der Eltern deutlich unsicherer. Das Risiko sich zu verletzen steigt auf das Doppelte, wenn die Eltern einen niedrigen SES besitzen (Lampert et. al. 2006: 96). Somit kann angenommen werden, dass das schädlichere Wohnumfeld nachfolgenden Krankheiten maßgeblich beeinflusst (Steinkamp 1999: 129). Zusätzlich wirkt eine schlechte Wohnlage auf die psychosozialen Faktoren benachteiligter Kinder aus. Fehlen wichtige sanitäre Anlagen in der Wohnung, erhöht sich das Risiko für eine emotionale Störung der Kinder (Frumkin 2005: 290). Diese emotionalen Belastungen können sich auf das Gesundheitsverhalten und die Gesundheit der Kinder auswirken. Die Mechanismen der psychosozialen Faktoren werden im nächsten Teil erläutert.
2.2.3 Psychosoziale Faktoren
Wie bereits in dem Erklärungsansatz der materiellen Faktoren verdeutlicht, erleben Kinder die Stressoren materieller Deprivation vermehrt, da sie ihren Lebensstil mit gleichaltrigen Kindern vergleichen, deren Eltern einen höheren SES besitzen und über mehr materielle Ressourcen verfügen (Lampert und Schenk 2004: 58). Für Kinder sozioökonomisch schwacher Eltern bedeutet ein Aufwachsen in Armut neben dem Verzicht auf viele Dinge auch oft Ausgrenzung durch Gleichaltrige (Lampert et al 2006: 97). Vor diesem Hintergrund wird der Erklärungsansatz psychosozialer Faktoren dargestellt, welcher sich in die gesundheitsschädigen Mechanismen psychosozialer Faktoren und Bewältigungsstrategien aufteilt.
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