Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Theoretische Grundlagen
2.1 Schreibmotivation
2.2 Schreibkompetenz
2.3 Ansätze der Schreibdidaktik
2.4 Die Bausteine des Konzepts zur Förderung der Schreibmotivation und Schreibkompetenz in der Erprobungsstufe
2.4.1 Das Lesetagebuch
2.4.2 Das kreative und das freie Schreiben
2.4.2.1 Das kreative Schreiben
2.4.2.2 Das freie Schreiben
2.4.3 Schreibwettbewerbe/-projekte
2.4.4 Förderung der Schreibkompetenz durch Textüberarbeitungen
3. Der Aufbau des Konzepts
3.1 Zeitlicher Ablauf (Übersicht)
3.2 Der Fragebogen
3.3 Die Bausteine des Konzepts im Unterricht
3.3.1 Das Lesetagebuch im Unterricht
3.3.2 Das kreative Schreiben im Unterricht
3.3.3 Das freie Schreiben im Unterricht
3.3.3.1 Schreibanlässe
3.3.3.2 Das Freie-Texte-Heft
3.3.3.3 Die Schreibstunde
3.3.3.4 Die Vorlesestunde
3.3.4 Schreibprojekte/-wettbewerbe im Unterricht
3.3.4.1 Schreibprojekte
3.3.4.1.1 Schreibprojekt: „Die Straße, in der ich wohne“
3.3.4.1.2 Schreibprojekt: „Büchererstellungen“
3.3.4.2 Schreibwettbewerbe
3.3.5 Textüberarbeitungen
3.3.5.1 Die Rechtschreibkorrektur
3.3.5.2 Das Schreibkarussell
3.3.5.3 Die Textlupe
3.3.5.4 Die Schreibkonferenz
3.4 Veröffentlichungen
3.4.1 Der Freie-Texte-Ordner
3.4.2 Textausstellungen
3.4.3 Autorenlesung
3.4.4 Homepage der Schule
4. Evaluation und Ausblick
4.1 Evaluation
4.2 Ausblick: Das schulische Schreib- und Lesezentrum (SLZ)
5. Literaturverzeichnis
6. Anhang
1. Einleitung
Seit Februar 2004 unterrichte ich im Rahmen meines Referendariats die Fächer Deutsch und Kunst an der Gemeinschaftshauptschule …. Die Hauptschule wird von 797 Schülern besucht. Sie ist sechszügig[1] und aufgeteilt in 35 Klassen.
47 % der Schüler und Schülerinnen haben Migrationshintergrund. Bei diesen Schülern sind die Basiskompetenzen in den Bereichen Schreiben, Lesen und Sprechen, auch wenn sie die Grundschule durchlaufen haben, überwiegend schwach, da sie zu Hause in ihrer Muttersprache reden. Die Eltern sind häufig der deutschen Sprache nicht mächtig und können ihre Kinder bei schulischen Fragen nicht unterstützen. Die Mehrzahl der Schüler und Schülerinnen der Hauptschule … kommen aus einem sozialen Umfeld, das nicht schreibförderlich ist. Deshalb ist es hier besonders wichtig, zunächst zum Schreiben zu motivieren um dann eine „Schreibkultur“ aufzubauen.
Schreiben und Lesen sind die vorrangigen Schlüsselkompetenzen, die eine erfolgreiche Schullaufbahn und spätere Berufsausbildung ermöglichen. Schreiberziehung in der Schule bildet die Grundlage für beruflichen und persönlichen Erfolg. Mein „Konzept zur Förderung der Schreibmotivation und Schreibkompetenz in der Erprobungsstufe“ setzt daher die Schwerpunkte auf die Lehrerfunktionen Unterrichten und Erziehen und berücksichtigt die Bereiche Evaluieren, Innovieren und Kooperieren.
Ich möchte nun einige Situationen aus meinem Unterricht in einer 6. Klasse schildern, in denen mir bewusst wurde, dass ich meine Schülerinnen und Schüler dauerhaft zum Schreiben motivieren muss:
- Nach den Herbstferien 2004 gab ich die Deutscharbeiten zurück. Als die Schüler/innen mit der Berichtigung begannen, fiel mir ein Schüler mit einer sehr unordentlichen Schrift auf. Auf meine Aufforderung, ordentlicher zu schreiben, entgegnete er: „Ich habe die ganzen Ferien nicht geschrieben! Ich muss mich erst wieder ans Schreiben gewöhnen.“ Sein Nachbar stimmte ihm zu. Dadurch erfuhr ich, dass diese Schüler zwei Wochen nicht geschrieben hatten.
- Ende 2004 wurde in einem Gespräch mit der Klasse zum Freizeitverhalten deutlich, dass die überwiegende Zahl meiner Schüler außerhalb der Schule kaum schrieb. An oberster Spitze auf der Beliebtheitsskala der Freizeitbeschäftigungen waren „fernsehen“ und Computerspiele (insbesondere „Play Station 2“) angesiedelt.
- „Mir fiel nichts mehr ein!“, hörte ich des Öfteren als Begründung für viel zu kurz geratene Hausaufgaben.
- Einige Schüler/innen meiner Klasse hatten außerdem Schwierigkeiten sich angemessen sprachlich auszudrücken.
- Zudem schienen viele Schüler/innen unmotiviert zu sein.
Was war zu tun?
Die Schüler sollten wieder lernen so begeistert zu schreiben wie in der Grundschule.[2] Warum hatte diese Begeisterung in der weiterführenden Schule bei vielen Schülern so rapide abgenommen? Für die Schüler/innen der Hauptschule dürfte ein Grund für das Verschwinden der Schreiblust in der Erfahrung von Misserfolg und der daraus resultierenden Angst und Frustration liegen.
Der kontinuierliche Aufbau von Zuversicht in das eigene Können sollte eines der Hauptziele des Deutschunterrichts sein.
Die unterschiedlichen Lerntempi, die kreativen Ideen, die außerschulischen Erfahrungen und die Individualität der Schüler/innen können durch den Frontalunterricht allein nicht berücksichtigt werden und damit nicht genügend zur Schreibmotivation beitragen.
Durch die Fachliteratur (Spitta, Braukmann u.a.) und die Gespräche mit dem Fachseminarleiter und den Fachkollegen und habe ich die Methode des Lesetagebuchs, das kreative und das freie Schreiben sowie Schreibwettbewerbe/-projekte kennen gelernt.
Da der Kernlehrplan Deutsch für die Hauptschule „Schreibformen (fordert, ) […] die die kreativen Anlagen entwickeln“ (S. 11), habe ich diese Schreibformen und Schreibanlässe in den Unterricht meiner 6. Klasse eingebracht. Danach hat sich die Schreibmotivation entscheidend verbessert (vgl. Kapitel 4.1). Wenn wir sofort in Jahrgangsstufe 5 mit diesen Schreibformen und Schreibanlässen beginnen, nutzen wir die vorangegangene Leistung der Grundschule und führen diese Arbeit zur Förderung der Schreibmotivation weiter. Ausgehend von meinen Erfahrungen sowie der engen Zusammenarbeit mit den Deutschlehrern und Deutschlehrerinnen unserer Schule entstand der Wunsch das Lesetagebuch, das kreative und das freie Schreiben, sowie die Teilnahme an Schreibwettbewerben/-projekten, dauerhaft in den Deutschunterricht der Erprobungsstufe einbinden zu wollen. Daher entwickelte ich das vorliegende Konzept, das die zuvor genannten Elemente beinhaltet.
Die These, die diesem Konzept zugrunde liegt, lautet:
Schreibmotivation und Schreibkompetenz werden durch das kreative und das freie Schreiben, das Lesetagebuch, die Teilnahme an Wettbewerben/Projekten und Textüberarbeitungen gefördert.
Eine Förderung der Schreibmotivation und Schreibkompetenz ist nicht allein im Hinblick auf die Schülerleistungen im Deutschunterricht gewinnbringend, sondern erleichtert den Schülerinnen und Schülern das Schreiben in allen Fächern.
Die Examensarbeit beginnt mit der Fragestellung: Was macht Schreibmotivation und Schreibkompetenz aus? Nach dem Kapitel „Ansätze der Schreibdidaktik“, werden die außerschulischen Schreiberfahrungen der Schüler/innen der 5. Klassen dargestellt, die in einer von mir durchgeführten Umfrage ermittelt wurden. Nachfolgend erläutere ich die Bausteine des Konzepts. Im folgenden Kapitel „Der Aufbau des Konzepts“ wird die Umsetzung der Bausteine im Unterricht aufgezeigt. Hierbei schildere ich neben meinen eigenen Erfahrungen auch Umsetzungsmöglichkeiten, die ich der Fachliteratur entnommen habe.
Bei der Entwicklung des Konzeptes flossen methodische, didaktische und fachliche Ideen ein, die ich aus der Arbeit im Fachseminar Deutsch des Studienseminars Sekundarstufe I Bielefeld unter der Leitung von … übernehmen konnte.
Als das vorliegende Konzept ins Schulprogramm der Gemeinschaftshauptschule … aufgenommen wurde, war ich sehr glücklich, da „die Erziehung […] zum Schreiben […] nachhaltig gestaltet sein (muss). Das kann nur gelingen, wenn sie konsequent […] zu einem Grundprinzip innerer Schulentwicklung wird“ (vgl. Bräuer, S. 18).
Das folgende Konzept stellt ein Basismodell dar, das erweiterbar ist. Es erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
2. Theoretische Grundlagen
In diesem Kapitel kläre ich die Begriffe Schreibmotivation und Schreibkompetenz und ihre Bedeutung für den Deutschunterricht. Ansätze der Schreibdidaktik schließen das Kapitel.
2.1 Schreibmotivation
Welche zentrale Bedeutung die Schreibmotivation besitzt, bringt Bräuer (S. 95) im folgenden Satz treffend zum Ausdruck:
„Wenn wir Kindern nicht zeigen, dass man im Wasser schwimmen kann, müssen wir uns nicht wundern, wenn sie später einmal unsere eigene Wasserscheu noch übertreffen“.
Wer keine Schreibmotivation besitzt, wird das Schreiben nicht richtig lernen und immer nur das Nötigste schreiben.
Um Informationen über die Schreibmotivation der Hauptschüler/innen der Erprobungsstufe zu erlangen, habe ich einen Fragebogen (s. Anhang A-2) erarbeitet. Die daraus gewonnenen Erkenntnisse sollen von den Deutschlehrern der Jahrgangsstufe 5/6 genutzt werden, um an den Voraussetzungen und Erfahrungen der Schüler/innen anzuknüpfen und damit die Schüler/innen dort abzuholen, wo sie stehen. So sind Freunde-Bücher, SMS-Texte und Tagebucheinträge schülernahe Schreibanlässe, die lebendiges Schreiben ermöglichen und die Schüler/innen gezielt motivieren.
Schreiben lernen die Schüler/innen durch Schreiben. Daher sollten sie viel schreiben, sowohl in der Schule als auch zu Hause. Damit dies gelingt, müssen die Schüler/innen motiviert sein.
Besonders demotivierend sind für die Schüler/innen das Schreiben für Noten und der traditionelle Klassenaufsatz. Die Schüler/innen lernen, dass die Note etwas darüber aussagt, ob sie einen guten oder schlechten Text geschrieben haben. Langfristig sehen sich die Schüler/innen dann entweder als gute oder schlechte Textschreiber. Anstelle der Schreibkompetenz (s. Kapitel 2.2) wird die Schreibunlust gefördert. (vgl. Bartnizky, S. 73)
Meine Erfahrungen im Unterricht haben gezeigt, dass sich die kreativen und freien Schreibformen besonders eignen, die Schreibmotivation der Schüler/innen zu fördern.
Die Würdigung der Texte in Form von Veröffentlichungen (s Kapitel 3.4) stärkt die Motivation der Schüler/innen für weitere Schreibaktivitäten.
2.2 Schreibkompetenz
Annette Schavan, Ministerin für Kultur, Jugend und Sport in Baden-Württemberg, plädiert dafür, dass Schreib- und Leseförderung in den Schulen oberste Priorität haben muss. Die Förderung von Schreib- und Lesekompetenz ist eine erstrangige, gesellschafts- und bildungspolitische Aufgabe, da diesen Kompetenzen „nicht nur intellektuelle, sondern auch soziale Funktionen“ zukommen (vgl. Bräuer, S. 13ff). Da Kinder und Jugendliche Sprachkompetenz nur durch eigenes Schreiben, Lesen und Sprechen erwerben, „gehört zur heute notwendigen Weiterentwicklung von Schule zentral die Weiterentwicklung der Lese- und Schreibkompetenz“ (ebd.).
Um die Forderung nach Entwicklung der Schreibkompetenz zu erfüllen, bedarf es der Kombination von Schreiben, Reflexion und Überarbeitung der eigenen Texte. Dadurch erlangen die Schüler/innen eine Distanz zum eigenen Text und entwickeln ein Gehör für die Feinheiten der Formulierungen. Wichtige Überarbeitungsmethoden werden in Kapitel 3.3.5 vorgestellt.
Zwischen Schreibmotivation und Schreibkompetenz besteht eine Wechselwirkung: Ist ein Schüler oder eine Schülerin motiviert zu schreiben, wirkt sich das positiv auf die Schreibkompetenz aus, da ihm oder ihr daran gelegen ist, einen möglichst optimalen Text zu schreiben. Ebenso verhält es sich mit der Schreibkompetenz. Wenn ein Schüler oder eine Schülerin Schreibkompetenz erworben hat, wirkt sich dies positiv auf die Schreibmotivation aus, da er oder sie in seinem/ihrem Tun Bestätigung erfährt. Während die ersten vier Bausteine des Konzepts besonders gut geeignet sind die Schreibmotivation der Schüler/innen zu fördern, stärken die Textüberarbeitungen die Schreibkompetenz.
Vor dem Hintergrund, dass 90.000 Schüler/innen 2003 die Hauptschule ohne Abschluss verlassen haben und bundesweit vier Millionen funktionale Analphabeten zu beklagen sind, fordert der Bundesverband Alphabethisierung „mehr Fantasie und didaktische Ideen bei der Förderung lese- und schreibunkundiger Jugendlicher“ (vgl. Erziehung und Wissenschaft, S. 20). Mein Konzept zeigt eine Möglichkeit der Förderung auf.
Da ein grundlegender Zusammenhang zwischen dem Lesen- und Schreibenkönnen besteht, merkt Bräuer (vgl. S. 37) kritisch an, dass seit PISA die Lesekompetenz einen hohen Stellenwert in der didaktischen Diskussion eingenommen hat, der Austausch über die Schreibkompetenz aber vernachlässigt wurde.
2.3 Ansätze der Schreibdidaktik (vgl. Schuster, S. 112ff)
Bis zu Beginn der 70er Jahre stand der traditionelle Aufsatzunterricht im Mittelpunkt der Aufsatzdidaktik. Ein recht starres und recht gleichförmiges Bild des Schreibens zeichnete sich ab. Die klare Unterscheidung von Aufsatzarten wurde durch allgemeingültige Normen möglich, die „vermeintlich objektivierbare Leistungen“ gewährleisteten. Dies kam dem Interesse des Lehrers entgegen, „das Aufsatzschreiben nach vorher festgelegten Regeln lehrbar […] und bewertbar zu machen“ und beeinflusst daher auch heute noch teilweise den Unterricht. Eingeübt wurden subjektive (Erzählung, Schilderung) und objektive Aufsatzformen (Bericht, Beschreibung) mit dem Ziel dem jeweiligen Idealtyp möglichst nahe zu kommen.
Die in den 70er Jahren deutlich artikulierte und sicherlich auch berechtigte Kritik an dem traditionellen Aufsatzunterricht führte zur „kommunikativen Wende“ und somit zur „kommunikativen“ Aufsatzdidaktik. Texte sollten nun stets für Leser geschrieben werden.
Obgleich eine Veränderung des Aufsatzunterrichts besonders bezüglich der Berücksichtigung des Adressatenbezugs sinnvoll war, wurde eine massive Kritik gegen die „kommunikative“ Aufsatzdidaktik laut. Das „personal-kreative Schreiben“ wandte sich mehr und mehr der Person des Schreibers/der Schreiberin und seinen/ihren mentalen Vorgängen während des Schreibprozesses zu. Karl Schuster (ebd.) berichtet, „dass vor allem im traditionellen Aufsatzunterricht schwache Schüler im personal-kreativen Schreiben besonders gute Leistungen zustande brachten“. In den 80er und 90er Jahren wurde verstärkt die Bedeutung der rechten Gehirnhälfte für den Schreibvorgang erkannt. Neben anderen Schreibformen fanden das „kreative Schreiben“ und das „freie Schreiben“ Eingang in den Deutschunterricht.
Baurmann und Ludwig vertreten seit Jahren das „Schreiben als Prozess“. Bei diesem Ansatz müssen „stärker als bisher im Aufsatzunterricht die Teilhandlungen des Schreibens in den Blick kommen - vom Sammeln der Ideen über den Entwurf und die erste Niederschrift bis zur Überarbeitung.“ Es zählt nicht mehr allein der fertige Text, sondern der Weg zu ihm. Auf den von Baurmann und Ludwig propagierten Schreibunterricht beziehe ich mich in dieser Examensarbeit.
2.4 Die Bausteine des Konzepts zur Förderung der Schreibmotivation und Schreibkompetenz in der Erprobungsstufe
In diesem Kapitel werden die Bausteine vorgestellt, auf denen mein Konzept basiert. Es handelt sich dabei um: das Lesetagebuch, das kreative und das freie Schreiben, die Teilnahme an Schreibprojekten bzw. -wettbewerben und Textüberarbeitungen.
Inwieweit die Deutschlehrer/innen der Erprobungsstufe bereits Erfahrungen mit den Bausteinen gemacht haben, habe ich mit meinem Fragebogen (s. A-3) im April 2005 festgestellt: In der Jahrgangsstufe 5 hatte nur eine[3] von insgesamt vier Klassen das freie Schreiben kennen gelernt. In drei Klassen wurde das kreative Schreiben angewendet. Eine Klasse hatte ein Lesetagebuch geführt und an einem Schreibwettbewerb oder Schreibprojekt hatte keine Klasse teilgenommen. In der sechszügigen Jahrgangsstufe 6 hatte neben meiner Klasse auch eine weitere Klasse das freie Schreiben kennen gelernt. Das kreative Schreiben wurde in drei Klassen angewendet. Schreibwettbewerbe/-projekte und das Lesetagebuch wurden jeweils in zwei Klassen realisiert.
Diese Ergebnisse der Lehrer/innen - Umfrage zeigen, dass in der Erprobungsstufe selten frei geschrieben wird. Die in der Befragung genannten Gründe bestanden darin, dass die schreibschwächeren Schüler/innen überfordert werden könnten und dass Kriterien für eine Leistungsüberprüfung fehlen würden. Gegenüber dem freien Schreiben findet das kreative Schreiben größeren Zuspruch. Ein Grund dafür besteht sicher darin, dass die an den Hauptschulen verwendeten Sprach- und Lesebücher immer häufiger Ansätze des kreativen Schreibens enthalten (vgl. Kassing). Zu beklagen ist die geringe Beteiligung an Schreibwettbewerben und -projekten. Als Grund dafür wird z.B. „der ständige Zeitmangel“ angegeben.
2.4.1 Das Lesetagebuch
In der Fachliteratur wird die Methode ‚Lesetagebuch’ als eine Möglichkeit dargestellt, das Lesen von Kinder- und Jugendliteratur zu fördern, zu unterstützen und zu begleiten (vgl. Hintz, 2000, S. 139).
Liselotte Langemack beschreibt 1989 in der Zeitschrift Pädagogik erstmals das Lesetagebuch in seiner noch heute gebräuchlichen Form: „Formal gesehen, ist das Lesetagebuch ein einfaches Schulheft […], das jeder Schüler einer Lerngruppe, begleitend zur Buchlektüre, führt und in das er fortlaufend seine persönlichen Leseeindrücke notiert oder auch zeichnet“ (vgl. Langemack, S. 13).
Es werden drei Hauptformen von Lesetagebüchern unterschieden (vgl. Hintz, 1999, S. 35):
- Die Schüler/innen erhalten zu einzelnen Kapiteln Aufgaben, die sich auf das Buch beziehen und aus denen sie wählen können.
- Die Schüler/innen bekommen als Anregung einen allgemeinen Aufgabenkatalog, aus dem sie wählen können.
- Die Schüler/innen können ohne jede Vorgabe oder Anregung auf das Gelesene reagieren.
Gemeinsam ist allen Formen, dass die Schüler/innen in einem Lesetagebuch selbstständig und individuell unterschiedliche Eintragungen vornehmen und sich selbstständig und eigenverantwortlich mit dem Inhalt des Buches auseinandersetzen (vgl. Hintz, 2000, S. 140).
Im Bezug auf das Schreiben bietet die Methode des Lesetagebuches sowohl den Schülern, als auch dem Lehrer den Vorteil, dass die Selbsttätigkeit der Schüler/innen gefördert wird. Sie entscheiden eigenverantwortlich, was sie schreiben oder wie sie es schreiben möchten, je nach ihren Interessen und Fähigkeiten (vgl. Hintz, 2000).
Der Lehrer/die Lehrerin erhält durch das Lesetagebuch wichtige Aufschlüsse über:
- die schriftliche Ausdrucksfähigkeit der Schüler/innen.
- die verschiedenen Reaktionen der Schüler/innen auf das Gelesene.
- die Interessen der Schüler/innen.
- das tatsächliche Textverständnis und Leistungsvermögen der Schüler/innen.
(vgl. Langemack, 1989, S. 13)
Die Literatur bietet den Schülern ein literarisches Vorbild, das sie Gestaltungselemente und
-mittel anderer Schreiber kennen lernen lässt. Diese Erfahrungen können sie für ihr eigenes Schreiben nutzen und damit ihre Text- und Schreibkompetenz verbessern.[4] Bücher, die die Schüler/innen selbst ausgewählt haben, vermitteln neben vielen Schreibanstößen, auch Konstruktionshilfen und eine Fundgrube an Wörtern und Sätzen.[5]
2.4.2 Das kreative und das freie Schreiben
In der Fachliteratur werden die beiden Schreibformen nicht immer klar von einander getrennt. Der Begriff „kreatives Schreiben“ wird oft als Oberbegriff für kreatives und freies Schreiben benutzt, z.B. von Spinner (vgl. Schuster, S. 128). Werner Braukmann wählte für beide Schreibformen den umfassenden Begriff „freies Schreiben“ und betonte, dass es nicht leicht sei, „terminologisch Klarheit zu schaffen“ (vgl. S. 48). Horst Bartnizky stellt folgende Verbindung zwischen den Schreibformen her: „Alle Anregungen des kreativen Schreibens können auch zum freien Schreiben genutzt werden, so wie die Anregungen beim freien Schreiben auch das kreative Schreiben fördern“ (vgl. S. 102). „‚Frei’ bezieht sich in erster Linie auf Ort, Zeit, Thema und Form; ‚kreativ’ bezieht sich auf die arrangierten oder angeleiteten Zugänge zum Schreiben“ (vgl. Böttcher, S. 15).
Man kann sagen, dass jedes freie Schreiben kreativ sein sollte, umgekehrt aber nicht jedes kreative Schreiben frei. Die Bausteine „kreatives Schreiben“ und „freies Schreiben“ stellen meiner Meinung nach unterschiedliche Schreibformen dar und werden daher in meiner Arbeit getrennt voneinander erläutert.
2.4.2.1 Das kreative Schreiben
Unter kreativem Schreiben versteht man „ein Schreiben, das primär auf den persönlichen Ausdruck und die Entfaltung der Fantasie zielt“ (vgl. Spinner, 1996, S. 82). Spinner (ebd.) unterscheidet drei Grundtendenzen der Didaktik des kreativen Schreibens:
- Prinzip Irritation
Bei diesem Prinzip wird mit methodisierten Schreibanregungen, z.B. durch surreale Bilder, Fantasiewörter oder „verblüffende Textanfänge […] Irritation geschaffen, die zur Entfaltung neuer Einfälle provoziert; das Schreiben bekommt einen spielerischen Charakter.“
- P rinzip Expression
Durch das kreative Schreiben wird der „Ausdruck von Subjektivität“ ermöglicht. Kreativ ist ein Schreiben, wenn der Schreiber etwas von sich selbst, von seinen Gefühle, Ängste und Erfahrungen zum Ausdruck bringt.
In dem Unterricht in meiner 6. Klasse habe ich festgestellt, dass die Schüler/innen ihre Gefühle nur in einem begrenzten Maße verschriftlichen können. Im kreativen Schreiben konnten sie, zum Teil sicher unbewusst, ihre Träume, Erfahrungen und Ängste indirekt artikulieren.
- P rinzip Imagination
Dieses Prinzip kann als Bindeglied der Prinzipien Irritation und Expression verstanden werden. „Es zielt auf die Überschreitung des Gewohnten, es stellt der äußeren Welt etwas gegenüber, was sich das Subjekt ausgedacht hat und in dem seine Wünsche und Ängste Gestalt gewinnen können.“ Am stärksten wird das Prinzip der Imagination in Fantasiereisen sowie beim Schreiben und Lesen von fiktionalen Texten erfahrbar.
(vgl. Spinner 1996, S.82)
Im Gegensatz zum freien Schreiben, bei dem u.a. auch die Themenwahl frei ist, ist das kreative Schreiben ein gestalteter Schreibprozess.
2.4.2.2 Das freie Schreiben
Das freie Schreiben geht zurück auf den französischen Reformpädagogen Freinet (1896-1966) (vgl. Böttcher, S. 15). Immer war es Gegenmodell zum traditionellen Schreiben, bei dem alle Schüler/innen zur gleichen Zeit über das gleiche Thema schreiben sollten, ohne auf ihre Interessen Rücksicht zu nehmen (vgl. Bartnitzky, S. 67). Es gibt „viele Arten und Möglichkeiten frei zu schreiben, wobei die Freiheitsgrade, d.h. die Selbstbestimmtheit und Selbstverantwortung für Schreibanlass, Thema, Schreibzeit, Textsorte, […], Überarbeitung … je nach Lernbiographie von Kindern und Lehrpersonen […] unterschiedlich weit definiert sind […]“ (vgl. Spitta, S. 11).
Gudrun Spitta berichtet über Auswertungen von zehnjährigen Unterrichtserfahrungen mit dem freien Schreiben in Verbindung mit Schreibkonferenzen in den Klassen 5 und 6. Diese haben ein „eindrucksvolles Bild davon (gegeben), wozu Kinder schreibend in der Lage sind“ (Spitta, S. 36). Idealerweise sollte mit dem freien Schreiben in der Grundschule begonnen werden (ebd., S. 37). Braukmann (S. 43) beklagt, dass sich der Einsatz des freien Schreibens auf die Grundschule beschränkt und in der Sekundarstufe I nur noch selten fortgeführt wird, da „beim Schreiben das Wozu im Vordergrund“ stehe. Dies bestätigt die durchgeführte Lehrer/innen-Umfrage (s. Kapitel 2.4).
2.4.3 Schreibwettbewerbe/ -projekte
Schreibwettbewerbe möchten Schülerinnen und Schüler anregen, über die Hausaufgaben hinaus sowohl in der Schule als auch in der Freizeit zu schreiben.
Schreibwettbewerbe möchten Schülerinnen und Schüler anregen, über die Hausaufgaben hinaus sowohl in der Schule als auch in der Freizeit zu schreiben.
Durch Schreibwettbewerbe soll bei den Schreiberinnen und Schreibern und denen, die die Texte lesen oder hören, die Lust am (gemeinsamen) Schreiben gefördert werden.
„Ein Projekt ist eine von Kindern und Lehrerin oder Lehrer gemeinsam geplante, gestaltete und verantwortete Arbeit für ein vorzeigbares Ergebnis“. Schreibprojekte ermöglichen Schreibprozesse, die sich an der realen Verwendung orientieren. Sie können vom zeitlichen Umfang ein bis zwei Tage in Anspruch nehmen oder laufen über einen längeren Zeitraum im Unterricht nebenher mit. Das freie Schreiben kann durch die Veröffentlichung der Texte, z.B. durch Bücher oder Lesungen, auch zum Projekt werden (vgl. Bartnizky, S. 84). Vorschläge hierzu befinden sich im Kapitel 3.4.
[...]
[1] Eine Ausnahme bildet die 5. Jahrgangsstufe, die nur vierzügig ist.
[2] Meine Lehrerausbildung habe ich im Primarstufenbereich begonnen. In den Grundschulen konnte ich beobachten, dass die Kinder, die die Fähigkeit des Schreibens gerade erworben hatten, gerne und viel geschrieben haben.
[3] Die Deutschlehrerin dieser Klasse kommt ursprünglich aus der Primarstufe.
[4] vgl. Ministerium für Schule, Jugend und Kinder des Landes NRW 2003, S. 49.
[5] vgl. Sonderheft Praxis Deutsch (2004), Schreibaufgaben, S. 12.