Dominanz durch Einstellung. Filmanalyse zu "Pulp Fiction"


Studienarbeit, 2018

33 Seiten, Note: 90%


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung

2. Einordnung der Sequenz in den Film

3. Analyse
3.1. Montage und Bildkomposition
3.2. Kamera
3.3. Geräusche
3.4. Beleuchtung und Kontrast

4. Fazit

5. Literaturverzeichnis

6. Anhang
6.1. Produktionsdaten
6.2. Einstellungsprotokoll

1. Einleitung

„/ dare you! I double dare you motherfucker!”

Quentin Tarantino gilt unweigerlich als einer der bedeutendsten Filmdirektoren unserer Zeit. Er ist insbesonders für seinen non-linearen Erzählungsstil, seine Verherrlichung von Gewalt und überragende Dialoge bekannt geworden. Manche Kritiker sprechen ihm sogar einen eigenen Filmstil zu. Paradebeispiel für seinen Stil ist der Erfolgsfilm „Pulp Fiction“ und die „Double-Dare“-Sequenz welche in dieser Arbeit analysiert wird.

Pulp Fiction gehört schon lange zu meinen Lieblingsfilmen und besonders die analysierte Szene ist mir durch den überragenden Dialog im Gedächtnis geblieben. Durch die Sequenzanalyse hat sich gezeigt, dass der Dialog nicht nur besonders durch Schnitt und Bildkomposition eingerahmt wird, sondern dass der Dialog aus dem Zusammenspiel von den unterschiedlichen cineastischen Elementen erst an Bedeutung gewinnt. Die zunächst simpel erscheinende Sequenz hat somit durch die Analyse erst die Genialität ans Licht gebracht und mich dadurch nur noch mehr von ihr überzeugt.

Wo andere Direktoren sich auf komplizierte Kameraschnitte, große „Action“ und emotionale Musik verlassen, nutzt Tarantino die Macht simpler durchdachter Kompositionen und Montage.

In dieser Analyse wird vor allem das Zusammenspiel aus Bildkomposition, Einstellungsgröße und Kamerawinkel sowie Schnitt hinsichtlich der fortlaufenden Handlung untersucht. Das Einstellungsprotokoll erscheint zunächst sehr lang (Sequenzdauer circa sechs und halb Minuten), was aber dadurch revidiert wird, dass viele Schnitte nur wenige Sekunden dauern und sich viele Einstellungen wiederholen oder ähneln.

2. Einordnung der Sequenz in den Film

In dem Film „Pulp Fiction“ geht es um die Gangsterfreunde Vincent Vega und Jules, welche im Auftrag von Mobster Marcellus Wallace arbeiten und verbunden mit vielen Problemen diesem einen Koffer mit mysteriösem Inhalt besorgen sollen. Parallel dazu geht es um den Boxer Butch, welcher mit Marcellus Wallace einen Deal abgeschlossen hat, diesen aber betrügt.

Um welche Thematik es auf einer Metaebene geht wird viel diskutiert, da eine Reihe von Themen wie Drogen, Freundschaft, Gerechtigkeit, Rassismus und viele mehr angesprochen werden. Ich bin der Meinung der Film handelt, wenn überhaupt, von Erlösung, käme aber auch ohne tiefere Sinnebene gut aus.

Der gesamte Film verläuft non-linear mit einem Handlungsstrang, der über vier Tage verteilt ist und in unterschiedlich angeordneten Szenen dargestellt wird. Daher sind die beiden Handlungsstränge, welche die „Double-Dare“ Sequenz umrahmen, nicht direkt mit dieser zeitlicher verbunden. Eröffnet wird der Film mit einer Überfallssequenz in einem Restaurant, die zeitlich erst nach der analysierten Sequenz stattfindet. Daraufhin folgen zwei Sequenzen mit Jules und Vincent, die Fahrt zu einem Haus und das Betreten des Hauses, in welcher die dritte analysierte Sequenz spielt (diese drei Sequenzen sind Teil der „Abholen des Koffers Szene 2“ in Abb.1). Die anschließende Sequenz handelt von Butch und Marcellus und findet zeitlich erst nach dem Überfall statt.

tnanordnung im Filn

erste Mal vorgestellt wird. Darüber hinaus, ist sie Auftakt für den weiteren Verlauf von Vincent und Jules Handlung und stellt dem Zuschauer deren Charaktere vor.

3. Analyse

3.1. Montage und Bildkomposition

Tarantino eröffnet die Sequenz mit einem „Establishing Shot" aus der Halbtotalen. Damit gibt er dem Zuschauer eine Übersicht über die Szene und die Personen in ihr. Auch verrät er dem Zuschauer in welcher Reihenfolge die drei Männer sterben werden, angefangen von dem Mann auf dem Bett. Jules nimmt in der Komposition eine dominante Rolle in der Mitte ein und wird somit direkt als Center der Sequenz identifiziert. Im späteren Verlauf der Sequenz wird deutlich, dass diese Einstellung unter anderem auch Veränderung in der Dynamik bedeutet.

Allgemein arbeitet die Sequenz mit wenigen Einstellungen und Kompositionen, die in ihrer Montage eine bestimmte Dynamik darstellen. Die Montagen wiederholen sich in ihren Mustern.

Zunächst beginnt Jules den Dialog. Hier wechseln sich zunächst in einer halbnahen Einstellung Schuss-Gegenschuss ab (3-8) bis Jules in Brad seinen Gesprächspartner gefunden hat. Die Situation ist entspannt.

Dann wendet er sich diesem im Dialog zu und die Einstellungen wechseln zu Groß, Amerikanisch und Halbnah (9-39). Durch dieses Gefälle an Einstellungsgrößen wird direkt eine Hierarchie aufgebaut. Jules mit dem größeren Gefälle (G^A) hat eindeutig mehr Handlungsspielraum, während Brad in der halbnahen Einstellung quasi „gefangen“ ist. Durch die Groß-Aufnahme von Jules Gesicht wird die Bedeutung seiner Worte unterstrichen.

Diese Hierarchie hat sich bereits am Anfang angekündigt. Denn die Kamera befindet sich dadurch, dass Jules steht, in einer höheren Position. Darüber hinaus bildet seine abwärts gerichtete Blickachse eine unsichtbare Linie mit Brads nach oben gerichteter Blickachse durch die Schnitte hindurch.

Die Hierarchie wird durch den einseitigen Dialog bekräftigt und Brad wird dadurch weiter in seiner Einstellung und Komposition „gefangen“, da er (mit Ausnahmen) nur während dieserAntworten „darf“; sein einziger Handlungsspielraum.

Die Abfolge von Schuss-Gegenschuss, mit den zwischengeschobenen Schnitten wird an der Stelle unterbrochen, an der der Burger in seinem eigenen Schnitt zu sehen ist, darauf in derselben Einstellungsgröße Groß Brads Gesicht mit einem Ausdruck von Ärgernis, fast schon Abscheu zeigt (24 & 25). Damit mit wird seine emotionale Bindung zu dem Bürger bzw. seinem Frühstück verdeutlicht, welche ja wie es Jules bereits genannt hat „die wichtigste Mahlzeit des Tages ist“.

Doch dies hat noch eine weiter Bedeutung. Brad wird nun eine neue Komposition und Einstellung zugefügt, welche seine Emotionen wiederspiegelt und diese hat Jules fest im Griff (wie sich auch später noch zeigen wird).

Bis hierhin ist Jules Dominanz eindeutig und bleibt unangezweifelt.

Nach dem „Re-establishing shot" (40) ändert sich die Dynamik, dies wird zuerst durch die Nahaufnahme des jungen Mannes an der Wand deutlich (42). Dies ist die einzige Nahaufnahme und aktive Interaktion mit ihm und stellt einen deutlichen Bruch in der Ordnung da, wofür er harsche Worte von Jules erntet.

Daraufhin folgen wieder eine Schuss-Gegenschuss Montage (43-47) zwischen Jules und dem Mann auf dem Bett, welche durch einen Schnitt von Vincent durchbrochen wird, wie dieser den Koffer sucht. Die Tatsache, dass der Mann auf der Couch nur in einer bestimmten Form von Einstellung zu sehen ist (2, 44, 46), weist auf die Aussichtlosigkeit seiner Situation hin; als ob Jules ihm keinen Handlungsfreiraum lässt und direkt zu Beginn (2) sein Schicksal entschieden hat.

Tatsächlich bewegen sich in der gesamten Sequenz nur Vincent und Jules und unterstreichen somit ihre Dominanz.

Die folgenden Schnitte sind das erste Mal, dass Vincent aktiv in der Komposition ist (49-53). Vincent ist eindeutig passiver als Jules und somit in der Hierarchie unter ihm, allerdings kaum, da er die einzige Person ist, der es „erlaubt“ ist durch die Schnitte und Kompositionen hindurch sich zu bewegen. So bewusst wie Vincent sich in der Montage immer platziert (eingerahmt hinter der Küchenzeile, später schräg hinter Brad) und wie ruhig er im Anblick von Jules Schauspiel bleibt, lässt darauf schließen, dass Jules und Vincent ein eingespieltes Team.

Der nächste „Re- Establishing“ Schnitt bleibt unverändert bis Vincents Antwort im nächsten Schnitt kommt. Im darauffolgenden „Re-Establishing“ Schnitt findet der Dialog und die lange Montage seinen Zenit.

Bisher waren die Zeitabstände relativ kurz, Jules Schnitte dauern tendenziell etwas länger aber niemals mehr als zehn Sekunden; dieser dauert allerdings 27 sekunden. Die Halbtotalen Schnitte haben bis jetzt durch ihre Komposition immer Jules Dominanz und Hierarchie wiedergespiegelt (Abb. 2). In dieser Ordnung begeht Brad nun einen großen Fehler: Brad versucht aufzustehen und mit Jules zu reden, wird aber von diesem direkt zurechtgewiesen; der Versuch erweist sich als Auftakt zur Katastrophe - Brad hätte seine Komposition und somit Platz in der Ordnung nicht verlassen dürfen. Noch im selben Schnitt erschießt Jules den Mann auf dem Sofa und reißt somit wieder alle Kontrolle an sich.

Die darauffolgenden Schnitte und Einstellungen zeigen durch die Große Einstellung besonders deutlich Brads und Jules Emotionen (55-61). Darauf folgt ein letzter „Re-Establishing“ Schnitt, welcher Brads Schicksal besiegelt, denn Jules verschmilzt nun mit diesem zu einer Einheit in der Komposition und übernimmt diese.

Darauf folgt eine schnelle Abfolge von Schuss-Gegenschuss Montage, welche gelegentlich durchbrochen wird. Die Komposition Spitzt sich wortwörtlich bis zu Schnitt 85 immer mehr zu und entlädt sich dann, im typischen Tarantino Style, in exzessiver Gewalt in der letzten Schuss-Gegenschuss Montage (86-95). Hier ist Brad nun von Jules und Vincent eingerahmt und wird erschossen.

3.2. Kamera

Die Kamerawinkel und Bewegung unterstreichen die bereits in der Montage und Bildkomposition analysierte Ordnung und Dynamik. Die Kamera befindet sich stehts höher, wenn sie auf Jules gerichtet ist und blickt im Winkel eher nach oben, während sie auf die anderen Charaktere eher herabblickt. Dies ist eine typische Technik, um die Beziehung zwischen Charakteren zu symbolisieren

Kamerabewegung ist in dieser Sequenz kaum vorhanden und dient hauptsächlich dazu, den Bewegungen der Charaktere zu folgen, welche ebenfalls kaum vorhanden ist. Da die Sequenz hauptsächlich in Dialog Form verläuft, ist dies allerdings auch nicht nötig und die Schnitte tragen trotzdem zu einem flüssigen Verlauf bei.

Besonders gegen Ende gewinnt der Kamerawinkel an Bedeutung, ab Schnitt 61 kommt Tarantinos berühmter „Trunk-Shot“ zum Einsatz. Ursprünglich kam dieser in Szenen zum Einsatz in denen aus dem Kofferraum heraus gefilmt wird. Doch wird er von Tarantino öfters benutzt um die prekäre Lage von einem Charakter und die dominante eines anderen, wie hier Brad und Jules zum Ausdruck zu bringen.

3.3. Geräusche

Trotz der teils sehr aufgeregten Sequenz ist sie erstaunlich geräuschlos, was ihr allerdings zugutekommt. Die gesamte Sequenz verzichtet auf Hintergrundmusik und die einzigen Geräusche die der Zuschauer wahrnimmt entstehen durch die unmittelbare Handlung, wie zum Beispiel die Pistolenschüsse. In anderen Filmen an anderer Stelle würde sich der Zuschauer seltsam ohne Hintergrundgeräusche oder Musik vorkommen. Doch ähnlich wie die Pause in einem klassischen Stück den Nachhall der vorherigen Note akzentuiert, unterstreicht die Geräuschlosigkeit den Dialog. Darüber hinaus bringt sie eine paradoxe Ruhe in die Sequenz hinein (im Gegensatz zu spannender oder nervöser Musik zum Beispiel). An anderer Stelle unterstreicht sie die Handlung und die prekäre Lage. Bestes Beispiel wäre die unangenehme Ruhe nach dem Krachen des Tisches oder die alleinstehenden Schluchzer von Brad. Tatsächlich ist mir die Abwesenheit von Musik oder Hintergrundgeräuschen beim ersten Mal nicht aktiv aufgefallen. Dies liegt auch daran, dass die Sequenz durch den Dialog dominiert wird. Somit ist die Geräuschkulisse naturbelassen.

3.4. Beleuchtung und Kontrast

Die gesamte Sequenz spielt in einem Zimmer, welches, von der Tür aus gesehen, zur rechten Seite mit Fenstern ausgestattet ist und am Ende des Zimmers befindet sich ebenfalls ein Fenster. Die Fenster dienen als Hauptlichtquelle und beleuchten, je nach Schnitt die Charaktere unterschiedlich. Es könnte argumentiert werden, dass die Beleuchtung an einigen Stellen gezielt benutzt wird, um Gesichtsausdrücke hervorzuheben, darüber hinaus würde ich der Beleuchtung aber keinen besonderen Stellenwert in dieser Sequenz zuschreiben. Größtenteils ist auch die Beleuchtung naturbelassen (durch die Fenster, keine Extrabeleuchtung durch Lampen et cetera). Aus der Reihe fällt das goldene Leuchten aus dem Koffer, was den Zuschauer auf den Wert des unbekannten Inhalts aufmerksam machen soll, da goldenes Leuchten allgemein mit Schätzen oder Dingen von hohem Wert assoziiert wird. Mehr Bedeutungsinhalt hingegen haben die Kontraste zwischen den Anzügen von Jules und Vincent und den durcheinandergewürfelten naturbelassenen Hintergrundfarben. Die Anzüge heben sich konstant ab und verleihen nicht nur durch sich selbst, sondern eben durch den Kontrast Jules und Vincent eine bedeutende Stellung. Wie bereits ergründet geht es in dieser Sequenz besonders um Hierarchie und Gefüge und der Kontrast unterstützt Jules und Vincents Stellung. Sie wirken teilweise fast wie Fremdkörper.

[...]

Ende der Leseprobe aus 33 Seiten

Details

Titel
Dominanz durch Einstellung. Filmanalyse zu "Pulp Fiction"
Hochschule
Universität Hamburg
Note
90%
Autor
Jahr
2018
Seiten
33
Katalognummer
V1129003
ISBN (eBook)
9783346570642
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Analyse Pulp Fiction. Einstellung.
Schlagworte
dominanz, einstellung, filmanalyse, pulp, fiction
Arbeit zitieren
Moritz Ansorge (Autor:in), 2018, Dominanz durch Einstellung. Filmanalyse zu "Pulp Fiction", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1129003

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