Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Lernen
2.1 Lerntheorien
2.2 Biologische Grundlagen und Gedächtnis
2.3 Formen des Lernens
2.3.1 Habituationslernen
2.3.2 Klassische Konditionierung
2.3.3 Operante Konditionierung
2.3.4 Beobachtungslernen
3. Kognition und Lernen
3.1 Kognition und Habituation
3.2 Kognition und klassische Konditionierung
3.3 Kognition und operanten Konditionierung
3.4 Kognition und Beobachtungslernen
4. Anwendungsbereiche des Beobachtungslernens
4.1 Beobachtungslernen und Prävention
4.2 Chancen und Risiken der sozialen Medien
5. Diskussion
6. Fazit und Ausblick
Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Im Laufe der Evolution war die Fähigkeit zu lernen eine der wichtigsten phylogenetischen Umweltanpassungsleistungen der Lebewesen (Maderthaner, 2017, S. 168). Für die meisten Organismen bedeutet diese Fähigkeit eine Anpassung an die sich ständig verändernde Umwelt und das damit verbundene Überleben. Bei den meisten Säugetieren ist das Verhalten in großen Teilen vorprogrammiert. Der Mensch ist nur mit geringsten vorprogrammierten Verhaltensmustern ausgestattet und damit unverzichtbar auf das Lernen angewiesen (Becker-Carus & Wendt, 2017, S. 292).
Lernen und Lernprozesse sind grundlegende Fähigkeiten des Menschen und beeinflussen seine Verhaltensweise. Wenn in dieser Arbeit von Lernen gesprochen wird, dann meint dies die nachhaltige und langfristige Veränderung im Verhalten bzw. im Verhaltenspotenzial.
Ziel dieser Arbeit ist es die elementaren Lerntheorien und Basisphänomene des Lernens darzustellen. Im theoretischen Teil sollen die vier grundlegenden Ansätze des Lernens auf Basis der behavioristischen Sichtweise dargestellt und später um Banduras sozial-kognitive Theorie erweitert werden.
Des Weiteren wird der Einfluss der Kognition auf das Lernen vertieft, um anschließend im Praxisteil dieser Arbeit den Einsatz des Modelllernens in der Prävention aufzuzeigen. Abschließend sollen die Chancen und Risiken der sozialen Medien in Bezug auf das Modellernen verdeutlicht werden.
Kapitel 5 soll die Erkenntnisse und die Relevanz der jeweiligen Lerntheorien kritisch diskutieren, während im Anschluss, Kapitel 6 offene Forschungsfragen und einen Ausblick in die Zukunft aufzeigt.
2. Lernen
Kein Thema kommt dem Kern der Psychologie näher als das Lernen (Myers, 2014, S. 290).
In der Psychologie versteht man unter Lernen die durch Erfahrung entstandenen, relativ überdauernden Verhaltensänderungen. Lernen kann als ein Prozess verstanden werden, der lebende Organismen, befähigt, aufgrund früherer Erfahrungen und durch organische Eingliederung weiterer Erfahrungen situationsangemessen zu reagieren (Becker-Carus & Wendt, 2017, S. 293).
Definition: Lernen ist eine auf Erfahrung basierende, dauerhafte Veränderung in der Verhaltensdisposition eines Individuums (Hoyer & Knappe, 2020, S. 114).
Historisch ist die psychologische Lernforschung mit dem Begriff der Assoziation verbunden. Bereits von Aristoteles wurden drei Prinzipien der Assoziationsbildung beschrieben (Müsseler & Rieger, 2017, S. 322): Kontiguität, Ähnlichkeit und Kontrast. Das Kontiguitätsprinzip besagt, dass zwei Ereignisse assoziiert werden, wenn sie wiederholt zeitlich oder räumlich gemeinsam auftreten (z.B. Blitz und Donner).
Definition: Assoziatives Lernen – Lernen, dass bestimmte Ereignisse zusammen auftreten. Bei den Ereignissen kann es sich (in der klassischen Konditionierung) um zwei Reize oder (in der operanten Konditionierung) um eine Reaktion und ihre Konsequenzen handeln (Myers, 2014, S. 291).
Der Behaviorismus hat die Lernpsychologie lange beherrscht und dabei die Forschung auf Untersuchungen zur Entstehung und Veränderung von Reiz-Reaktions-Beziehungen reduziert (Hoffmann & Engelkamp, 2017, S. 11). Dabei rückten die Behavioristen die Untersuchung des beobachtbaren Verhaltens mit objektiven Methoden in den Vordergrund (Hoffmann & Engelkamp, 2017, S. 11; Hoyer & Knappe, 2020, S. 21). Mittels der gewonnenen Erkenntnisse wurden eine zuverlässigere Vorhersage von menschlichen Verhalten wie auch eine systematische Beeinflussung angestrebt. Vor diesem historischen Hintergrund entwickelten sich die behavioralen Komponenten in Form der lerntheoretischen Modelle. Diese bilden eine wesentliche Grundlage der kognitiven und kognitiv-behavioralen Perspektive (Hoyer & Knappe, 2020, S. 21).
Lernen wurde auch innerhalb der Biologie von Verhaltensforschern untersucht. Sie sahen Lernen im Rahmen von evolutionären Entwicklungen und waren primär an der Funktion von Lernen interessiert. Neue neurokognitive Ansätze, die die biologischen Grundlagen stärker betonen erscheinen vielversprechend (Hoyer & Knappe, 2020, S. 114).
Die Alltagssprache assoziiert Lernen meist mit dem Erwarb von Wissen sowie motorischen und sprachlichen Fertigkeiten (Becker-Carus & Wendt, 2017, S. 293). Lernen aus Lernpsychologischer Sicht grenzt sich vom Lernen von Wissen oder Inhalten ab. Dies ist Gegenstand der Gedächtnispsychologie. Auch temporäre Bedingungen des Organismus, wie z.B. Müdigkeit oder Krankheit und Reifungs- oder Entwicklungsprozesse wie z.B. körperliches Wachstum sind keine Aspekte der Lernpsychologie. Des Weiteren grenzt Becker-Carus & Wendt (2017, S. 293) das Lernen von dem Vorgang der Prägung ab, die per Definition nicht reversibel ist.
Definition: Prägung bezeichnet Lernprozesse, die an sensiblen Phasen der Verhaltensentwicklung gebunden sind und zu überdauernden (oft irreversiblen) Verhaltensänderungen führen (Becker-Carus & Wendt, 2017, S. 334).
Der Mensch, lernt Ereignisse zu erwarten und sich auf signifikante Ereignisse wie etwa Nahrung oder Schmerz vorzubereiten (klassische Konditionierung). Auch lernen wir, Handlungen mit positiven Ergebnissen zu wiederholen und Handlungen mit negativen Ergebnissen zu vermeiden (operante Konditionierung) (Myers, 2014, S. 290). Klassische und operante Konditionierung werden zusammenfassend auch als Assoziationslernen bezeichnet. Von diesen Lernformen grenzt man das nichtassoziative Lernen ab. Gemeint ist Lernen, ohne Verknüpfung von zwei bestimmten Ereignissen oder von Reiz und Reaktion, wie es bei der Habituation (Gewöhnung) der Fall ist. Habituation bedeutet, dass der Organismus z.B. durch permanente Reizdarbietung lernt, nicht mehr zu reagieren (Bak, 2019, S. 6). Beim Beobachtungslernen, einer Form des kognitiven Lernens, lernen wir aus den Erfahrungen anderer (Myers, 2014, S. 292). Und durch die Sprache lernen wir Dinge, die wir weder erlebt noch beobachtet haben (kognitives Lernen) (Myers, 2014, S. 290). Zusammenfassend wird festgestellt, dass fast das gesamte Verhaltensrepertoire eines Erwachsenen das Resultat von Lernprozessen ist (Hoffmann & Engelkamp, 2017, S. 3).
Nicht immer zeigen wir alles was wir gelernt haben (Bak, 2019, S. 5). Lernerwerb kann erst zu einem späteren Zeitpunkt sichtbar werden, z.B. wenn das entsprechende Verhalten eine Bekräftigung erfährt. Man spricht in diesem Fall von latentem Lernen (Becker-Carus & Wendt, 2017, S. 348). Die Messung von Lernprozessen ist schwierig, da ohne vorliegendes Verhalten, keine Auskunft erteilt werden kann, was genau gelernt wurde (Bak, 2019, S. 5). Lernforscher unterscheiden zwischen Kompetenz (was wir tun können) und Performanz (was wir tatsächlich tun). Lernen bezieht sich somit auf Veränderungen der Kompetenz. Kompetenzveränderungen sind nicht direkt beobachtbar, sondern nur indirekt aus Veränderungen der Performanz erschließbar (Hoyer & Knappe, 2020, S. 114).
2.1 Lerntheorien
Innerhalb der Lernpsychologie gibt es verschiedene Ansätze, Lernen zu erklären, wie auch gewisse Kontroversen zwischen den Vertretern verschiedener Ansätze (Becker-Carus & Wendt, 2017, S. 347).
In der Psychologie sind die theoretischen Vorstellungen zum Lernen weitgehend durch den Behaviorismus bestimmt worden. Annahmen über innere Prozesse und Zustände wie etwa Ziele, Wünsche oder Erwartungen, die nur der Selbstbeobachtung (Introspektion) zugänglich sind und somit nicht objektiv gemessen werden können, sollten als Erklärungskonzepte keine Rolle spielen (Hoffmann & Engelkamp, 2017, S. 3).
Zur Erklärung von Lernerfahrungen wurden vor allem drei Arten des Lernens verwendet (Asendorpf, 2019, S. 29): 1. Klassische Konditionierung (Signallernen), entdeckt vom russischen Nobelpreisträger Ivan P. Pavlov (1849-1936) durch Experimente an Hunden. 2. Operantes Konditionieren (Lernen durch Belohnung/Bestrafung), erforscht vor allem vom US-Amerikaner Burrhus F. Skinner (1904-1990) durch Experimente mit Tauben und Ratten. 3. Beobachtungslernen (Nachahmungslernen), erforscht vor allem vom Kanadier Albert Bandura (1925-) durch Experimente mit Kindern.
Albert Bandura betont in seiner sozial-kognitiven Lerntheorie die Möglichkeit, durch die Beobachtung einer Modellperson das eigene Verhalten zu verändern (Urhahne, Dresel & Fischer, 2019, S. 243). Seine sozialkognitive Lerntheorie unterscheidet sich vom strikten Behaviorismus insofern, als die Bedeutung der kognitiven Prozesse hervorgehoben wird (Becker-Carus & Wendt, 2017, S. 347).
Jede (gute) Lerntheorie sollte wenigstens zu drei Dingen verbindliche Aussagen machen (Hoffmann & Engelkamp, 2017, S. 3): Erstens zu den Strukturen und Mechanismen, die der Generierung und Ausführung von Verhalten zugrunde liegen. Zweitens zu den möglichen Änderungen in diesen Strukturen und Mechanismen. Und drittens dazu, welche Erfahrungen zu welchen Änderungen führen.
2.2 Biologische Grundlagen und Gedächtnis
Mit neuen bildgebenden Verfahren der Neurowissenschaften wird verstärkt nach Lernmechanismen direkt am Ort ihrer Entstehung geforscht. Nämlich am Gehirn.
Beim Lernen hinterlassen Erfahrungen und Lernprozesse dauerhafte Spuren, ein Prozess, der sich in schwächerer Form bei Erwachsenen fortsetzt. Unser Gehirn verändert sich ständig mit dem Lernen. Dabei ist Lernen auch immer mit Emotionen verknüpft. Dies liegt darin begründet, dass die beteiligten hirnbiologischen Strukturen, das limbische System, sowohl beim Lernen als auch bei der emotionalen Verhaltenssteuerung eine herausragende Rolle spielen (Hoyer & Knappe, 2020, S. 129).
Bei der von Psychologen angenommene Allgemeingültigkeit der Lerntheorie zeigt sich, dass gewonnene Erkenntnisse bestimmten biologischen Einschränkungen unterliegen. Beispielsweise stoßen wir im Bereich der operanten Konditionierung auf biologische bedingte Einschränkungen der Konditionierungsmöglichkeiten (Becker-Carus & Wendt, 2017, S. 331).
Die Entwicklung von Lernen und Gedächtnis sind zentrale Bereiche der kognitiven Entwicklung (Urhahne, Dresel & Fischer, 2019, S. 277). Ohne Gedächtnis gibt es kein Lernen, und ohne Lernen gelangt nichts Neues in unser Gedächtnis. Lernen und Gedächtnis sind also eng miteinander verknüpft (Müsseler & Rieger, 2017, S. 320).
Definition: Unter Gedächtnis versteht man Prozesse und Systeme, die für die Einspeicherung, die Aufbewahrung, den Abruf und die Anwendung von Informationen zuständig sind, sobald die ursprüngliche Quelle der Informationen nicht mehr verfügbar ist (Gruber, 2018, S. 2).
Das wir etwas lernen, erkennen wir daran, dass sich unser Verhalten aufgrund von gemachten Erfahrungen verändert. Dem Lernen liegen also Änderungen in verhaltenssteuernden Strukturen in der Folge individueller Erfahrungen zugrunde. Dabei versteht man unter einem kognitiven Lernvorgang die dauerhafte und zeitstabile Veränderung von Verhaltensmöglichkeiten und kognitiven Strukturen durch Erfahrung, Wiederholung und Übung (Hoffmann & Engelkamp, 2017, S. 2; Urhahne, Dresel & Fischer, 2019, S. 277).
Gedächtnis und Lernen beziehen sich also beide auf (Nach-) Wirkungen von in der Vergangenheit gemachten Erfahrungen auf das gegenwärtige Verhalten (Hoffmann & Engelkamp, 2017, S. 2). Dabei ist die menschliche Informationsverarbeitung und das kurzfristige Bereithalten von Informationen, also der „eigentliche Lernvorgang“, kapazitätsbegrenzt (Urhahne, Dresel & Fischer, 2019, S. 277).
Im Kontext der Gedächtnisentwicklung kann die Veränderung von Strukturen als Folge mehr oder weniger bewusster Prozesse (explizites versus implizites Lernen) betrachtet werden (Urhahne, Dresel & Fischer, 2019, S. 277).
2.3 Formen des Lernens
Als Lernformen werden in der Forschung Signallernen (klassische Konditionierung), Erfolgslernen (operante Konditionierung), kognitives Lernen, Beobachtungslernen (Imitationslernen) und die Habituation (Gewöhnung) unterschieden (Maderthaner, 2017, S. 201). Ergänzend werden noch Fertigkeiten (motorisches lernen) erwähnt. Darauf soll in dieser Arbeit aber nicht eingegangen werden.
Den Vorgang der Kopplung von Verhalten an äußere Bedingungen nennt man Konditionieren. Grundsätzlich werden zwei Arten von Konditionieren unterschieden (Felser, 2015, S. 50): klassisches und operantes Konditionieren. Zusammenfassend werden dies Formen des Lernens auch als Assoziationslernen bezeichnet (Becker-Carus & Wendt, 2017, S. 294). Eine Form des nichtassoziativen Lernens ist die Habituation. Der Fokus dieser Arbeit soll auf dem Beobachtungslernen und der Rolle der Kognition liegen.
2.3.1 Habituationslernen
Eine der ältesten Formen der Anpassung von Lebewesen an die Umwelt ist die Habituation, nämlich die Gewöhnung an diejenigen häufig auftretenden Umweltreize, die mit der Zeit als irrelevant eingestuft werden (Maderthaner, 2017, S. 181).
Definition: Habituation bezeichnet die allmähliche Abschwächung einer Verhaltensreaktion auf einen Reiz, die auftritt, wenn der Reiz mehrfach nacheinander wiederholt wird. Nach wiederholten Habituationsdurchgängen kann die erzielte Habituation wochenlang andauern (Becker-Carus & Wendt, 2017, S. 296).
Die Habituation besteht darin, dass wir automatisch lernen, einen zunächst erregenden Reiz zu ignorieren, der uns durch häufige Wiederholung vertraut geworden. Andererseits gibt es auch den umgekehrten Fall, dass durch die häufige Wiederholung einer Reizung, insbesondere wenn auf sie ein erschreckender oder schmerzvoller Reiz erfolgt, eine erhöhte Empfindlichkeit und Reaktionsbereitschaft hervorgerufen werden. Dies bezeichnet man als Sensitivierung (Becker-Carus & Wendt, 2017, S. 294).
Eine Besonderheit des Habituationslernen ist die Beobachtung, dass Habituationsprozesse schon früh in der Entwicklung des Organismus einsetzen können. Des Weiteren gibt es beim Habituationslernen offenbar genetisch bedingte, artspezifische biologische Einschränkungen der Lernbereitschaft beziehungsweise der der Lernfähigkeit (Becker-Carus & Wendt, 2017, S. 295).
Habituationslernen ist von den nachfolgenden Theorien zur klassischen und operanten Konditionierung dadurch zu unterscheiden, dass hier keine Assoziationen geknüpft werden und auch keine Bekräftigung oder Belohnung erfolgt (Becker-Carus & Wendt, 2017, S. 294).
2.3.2 Klassische Konditionierung
Die Faszination der klassischen Konditionierung (Lernen von Signalen) liegt wohl in der Möglichkeit, ein Verhalten durch äußere Reize in eine bestimmte Richtung zu formen (Urhahne, Dresel & Fischer, 2019, S. 5). Sie ist eine der elementarsten Lernformen und setzt voraus, dass es eine unbedingte natürliche Reaktion auf eine gegebene Reizart gibt (Schneider, 2009, S. 7).
Definition: Die klassische Konditionierung beruht auf einer im Verhaltensrepertoire bestehende Reiz-Reaktions-Verbindung. Wenn ein zuvor neutraler Reiz wiederholt mit dem ursprünglichen Auslösereiz gekoppelt wird, löst er im Anschluss auch ohne das Auftreten des ursprünglichen Auslösereizes ebenfalls die Reaktion aus (Lohaus & Vierhaus, 2019, S. 19).
Die Voraussetzungen für klassische Konditionierungsprozesse sind bereits ab dem Säuglingsalter gegeben. Sie führen dazu, dass an sich neutrale Reize eine positive oder negative Bedeutung erlangen und als Hinweisreize für bestimmte Reaktionen dienen (Schneider, 2009, S. 8).
Der Pawlow´sche Grundansatz ist ein prominentes Beispiel für eine S-R-Theorie (stimulus-response-theory), die Verhaltenserklärungen auf das Zusammenspiel von Stimuli und darauf einsetzende Reaktion reduziert (Felser, 2015, S. 50): Wenn man einem Hund sein Fressen hinstellt, zeigt er reflexartig eine verstärkte Speichelsekretion. Der russische Physiologe Iwan Pawlow ließ vor der Fütterung eines Hundes einen Glockenton erklingen. Nach einigen Durchgängen zeigte der Hund den Speichelreflex auch auf den bloßen Glockenton, ganz unabhängig von der Fütterung. Damit war ein bedingter Reflex geschaffen worden. Die Speichelreaktion auf den Glockenton war aber von der Kopplung zwischen Glocke und Fütterung abhängig und erfolgte nur unter der Bedingung, dass beide Ereignisse gekoppelt waren.
Urhahne, Dresel & Fischer (2019, S. 7) verweisen auf vier Eigenschaften der klassischen Konditionierung: 1. Bekräftigung – Der Erwerb einer konditionierten Reaktion ist an die weiderholte Kopplung von neutralen und unkonditioniertem Reiz gebunden. 2. Generalisierung – Die konditionierte Reaktion sollte auch bei anderen Stimuli auftreten, die dem konditionierten Reiz ähnlich sind. 3. Diskrimination – Der umgekehrte Vorgang zur Generalisierung nennt sich Reizdiskrimination. 4. Konditionierung durch höhere Ordnung – Wird ein konditionierter Reiz mit weiteren neutralen Reizen gekoppelt, sind diese bald selbst in der Lage, konditionierte Reaktionen auszulösen.
Eine Variante des Konditionierungslernens ist die evaluative Konditionierung. In diesem besonderen Fall werden emotionale Bedeutungen durch klassische Konditionierung gelernt. So erhält ein emotional neutraler Reiz durch die gleichzeitige Darbietung eines emotionalen Stimulus dessen emotionale Bedeutung. Für ältere Leute, die noch die Luftangriffe des 2. Weltkrieges erlebt haben, ist beispielsweise ein Sirenengeheul mit großer Furcht verbunden (Bak, 2019, S. 13).
Außerhalb des Forschungslabors ist klassische Konditionierung schwer nachzuweisen, weil sie sich beiläufig ereignet. Eine starre Bindung an Reflexe ist nicht zwingend gegeben. Es können auch andere, unbewusst ablaufende Verarbeitungsvorgänge Konditionierungsreaktionen hervorrufen (Urhahne, Dresel & Fischer, 2019, S. 8).
2.3.3 Operante Konditionierung
Auch bei der Theorie der operanten Konditionierung, welche das Lernen neuer Verhaltensweisen bezeichnet, wird ein Verhalten an angenehme oder unangenehme Reize gekoppelt. Hier machen wir aber eine entscheidende Zusatzannahme. Der Organismus wird selbst aktiv. Das erlernte Verhalten wird gezeigt, um die angenehmen Reize zu erleben (Becker-Carus & Wendt, 2017, S. 317; Felser, 2015, S. 62). Das bedeutet: Im Gegensatz zur klassischen Konditionierung, lernt der Organismus durch die operante Konditionierung sein eigenes Verhalten mit den daraus folgenden Konsequenzen zu assoziieren, die als Belohnung, Erfolg oder Misserfolg erlebt werden (Becker-Carus & Wendt, 2017, S. 317).
Definition: Beim operanten Konditionieren zeigt das Individuum mehr oder weniger zufällig ein Verhalten, dass dann durch entsprechende Reaktion aus der Umgebung verstärkt wird (z.B. durch Belohnung). Durch die Verstärkung wird die Auftretenswahrscheinlichkeit des Verhaltens erhöht. Das Individuum zeigt das Verhalten nun häufiger, um die Verstärkung zu erhalten (Lohaus & Vierhaus, 2019, S. 20).
Eine Erweiterung dieser Definition um die negative und positive Bestrafung als Formen der operanten Konditionierung wäre vorstellbar.
Ausgangslage für die Entdeckung der operanten Konditionierung waren die Tierexperimente von Edward Lee Thorndike. J.B. Watson und B.F. Skinner untersuchten ebenfalls die operante Konditionierung und bauten sie zu einer Theorie des Lernens aus (Bak 2019, S. 15; Becker-Carus & Wendt, 2017, S. 317).
Ein frühes Beispiel für operantes Lernen sind die berühmten Ratten in der Skinner-Box. Die Behavioristen haben gezeigt, dass Ratten lernen können, sich über eine Fütterungsvorrichtung Futter zu beschaffen. Ein sponates Verhalten, zum Beispiel das Drücken eines Hebels im Käfig, musste zuverlässig mit einer angenehmen Folge, etwa der Vergabe einer Futterpille, verbunden sein. Wenn eine hinreichend starke Verbindung zwischen dem Verhalten und den Konsequenzen bestand, fungierte die Konsequenz als Verstärker für das Verhalten. Die positive Konsequenz machte das vorausgehende Verhalten für die Zukunft wahrscheinlicher (Felser, 2015, S. 62).
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