Literatur oder Journalismus. Peter Weiss "Die Ermittlung" und die Factual Fiction von Niels Werber


Hausarbeit (Hauptseminar), 2017

18 Seiten, Note: 1,7

Anonym


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung
1.1 Ursprung und Bedeutung des Themas
1.2 Überblick und Leitfragen

2. Niels Werbers „Factual Fiction“
2.1 Textüberblick und Kurzanalyse
2.2 Textkritik
2.3 Zwischenfazit

3. Peter Weiss'“Die Ermittlung“
3.1 Textüberblick und Kurzanalyse
3.2 Textkritik
3.3 Exkurs: Was dokumentiert Weiss' Text?
3.4 Zwischenfazit

4. Fazit und Ausblick

5. Literatur und Quellen

Einleitung

Im Rahmen des Seminars haben wir unterschiedlichste Texte zum Themenbereich „Realismus“ gelesen und besprochen. Aus den erörterten Fragestellungen erscheint mir ein Bereich besonders interessant: Gibt es eine klare Grenze zwischen Fakten und Fiktion und wenn ja, wo liegt diese? Welche Auswirkungen hat dies auf den Differenzierungsversuch, Literatur und Journalismus voneinander abzugrenzen? Auf Grund meines vorherigen Ethnologiestudiums und meines persönlichen Interesses hat schwingt bei alledem auch immer eine politische Dimension mit: Welche politischen Folgen und gesellschaftlichen Konsequenzen hat oder hätte es, wenn Fakt und Fiktion nicht oder nur unscharf abgegrenzt sind?

1.1 Ursprung und Bedeutung des Themas

Niels Werber legt in seinem Text unter Bezugnahmen auf Niklas Luhmann dar, dass es letztlich irrelevant sei, ob es sich in einem Text um Fakten oder Fiktion handle. Insbesondere mit Blick auf politisch relevante Fragestellungen kann ich diese Sichtweise überhaupt nicht teilen und habe daher im Rahmen meines Referates auch versucht, eine kontroverse Debatte zu dieser These hervorzurufen. Auch im Hinblick auf meine spätere Tätigkeit als Lehrerin halte ich es für wichtig, Literatur als ein mögliches Medium zu begreifen, um Bewusstsein zu schaffen und Menschen an andere Welten, geschichtliche Ereignisse, politische Fragen, persönliche Konflikte und vieles mehr auf ganz andere Weise heranführen zu können, als ein Sachtext das kann. Doch welche Relevanz hat in diesem Zusammenhang die Frage nach Fakt oder Fiktion? Vor diesem Hintergrund sollen die Texte von Werber und Weiss gelesen und analysiert werden.

Peter Weiss' Text habe ich aus verschiedenen Gründen gewählt: Zum einen gilt Weiss als einer der wichtigsten deutschen Vertreter der Dokumentarliteratur, so dass Werbers Thesen an einem zentralen Text dieser Gattung abgeglichen werden können. Zum anderen halte ich nach wie vor, insbesondere in Anbetracht der Bundestagswahlergebnisse im September, eine Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus und seinen Verbrechen für unabdingbar und hochaktuell. Peter Weiss Theaterstück ist eine mögliche Form, um Zugang zu dem zu schaffen, was gemeinhin als nicht darstellbar gilt.

1.2 Überblick und Leitfragen

Im Folgenden soll zu diesem Zweck zunächst der Text von Niels Werber dargelegt, analysiert und kritisch betrachtet werden. Im Anschluss daran soll dann exemplarisch ein Text der Dokumentarliteratur herausgegriffen werden, um auch diesen zu analysieren und in Folge dessen Niels Werbers Sichtweise auf ihn anzuwenden. Die zentrale Fragestellung dabei ist die bereits genannte Unterscheidung von Fakt und Fiktion. Welche Rolle spielt die Dokumentarliteratur in der von Werber dargelegten Debatte um Factual Fiktion? Sind Werbers Thesen auf Weiss Text anwendbar, und falls ja, zu welchem Ergebnis kommt man? Welche Rolle spielt die politische Dimension in diesem Zusammenhang?

2. Niels Werbers „Factual Fiction“

Der im Rahmen des Seminars gelesene Text „Factual Fiction“ von Niels Werber ist sein Versuch, eine gattungsgeschichtliche Antwort auf die Differenzierungsfrage von Literatur und Journalismus zu finden. Werber bezieht sich dabei stark auf die Thesen und Konzepte von Niklas Luhmann und blickt auf einer systemtheoretischen Perspektive auf diese Differenzierungsproblematik.

2.1 Textüberblick und Kurzanalyse

Eine von Werbers zentralen Thesen ist, dass es den Rezipienten nicht darum geht, informiert oder belehrt zu werden, sondern darum, etwas Spannendes und Unterhaltsames zu lesen. Werber geht von LeserInnen aus, die „sich bei der Lektüre vor allem auf interessante Weise ihre freie Zeit vertreiben wollen, statt sich informieren oder belehren zu lassen“1. Er folgert aus dieser Annahme, dass Texte im Allgemeinen daher in erster Linie unterhaltsam sein müssen, alle weiteren Parameter seien variabel: „Unterhaltung ist die conditio sine qua non des Textes, weitere Effekte sind weder unmöglich noch notwendig“2. Dabei entscheidet seiner Meinung nach die Zuschreibung zu Journalismus oder Literatur darüber, ob der Rezipient Fakten oder Fiktion erwartet3. Werber stellt daher zum einen Faktentreue und einen persönlichen Erzählstil und zum anderen Information und Nicht-Information als Gegensatzpaare einander gegenüber4 und diskutiert in diesem Zusammenhang auch die Mehrfachrezeption:

„Die Medien verwandeln ständig Information in Nichtinformation, und die Nachricht, 'die ein zweites Mal gebracht wird, behält zwar ihren Sinn, verliert aber ihren Informationswert ' (Zitat im Zitat von Luhmann 1996:41). Man weiß es schon und will es nicht noch mal hören. Darin besteht für Niklas Luhmann eine Differenz zur Kunst, die Mehrfachrezeption ermutigt“5.

Werber setzt sich in seinem Text zudem mit den Massenmedien und teilweise auch mit deren historischer Entwicklung und Wandlung auseinander. Er zitiert in diesem Zusammenhang erneut Luhmann und kommt mit ihm zu dem Schluss, dass die Massenmedien die zentrale Rolle bei der Vermittlung von Informationen spielen: „Was wir über unsere Gesellschaft, ja über die Welt, in der wir leben, wissen, wissen wir durch die Massenmedien“6. Er sieht die Macht der Massenmedien offensichtlich als gegeben und unveränderlich an und rät davon ab, die Frage nach Fakt oder Fiktion zu stellen:

„Manche Ereignisse ereignen sich von selbst. [...] Andere werden für die Massenmedien produziert. Es mache jedoch in beiden Fällen [...] wenig Sinn zu fragen, ob oder wie die Massenmedien eine vorhandene Realität verzerrt wiedergeben, sie erzeugen eine Beschreibung der Realität, an der die Gesellschaft sich orientiert“7.

Relevant für die vorliegende Arbeit sind zudem die Passagen, in denen Werber sich zur Differenzierungsproblematik zwischen Fakten und Fiktion äußert:

„Es hat sich herausgestellt, dass manches in dieser parajournalistischen non­fiction-novel gleichwohl erfunden war. Ihre Bedeutung aus diesem Grund herabzusetzen wäre ein Missverständnis: Man würde die Effekte des Buches fälschlicherweise nicht dem Text, sondern seiner Referenz zuordnen“8.

Nachdem Werber zu Beginn seines Textes noch von Gegensatzpaaren sprach und die Schaffung einer neuen Kategorie, die als „Hybrid“9 zwischen Literatur und Journalismus verankert wäre, in Erwägung zog, kommt er im Laufe seiner Analyse zunehmend zu dem Schluss, dass die Frage nach Fakt oder Fiktion für die Zuordnung zu Genres irrelevant sei: „ Die jeweilige Referenz, reale oder fiktionale Realität, ist für die Zuordnung zum Genre nebensächlich geworden“10. Werber führt aus, dass er davon ausgeht, dass die Differenzierungsproblematik zwischen Journalismus und Literatur, die er mit seinem Text zu spezifizieren versucht, seiner Meinung nach bei den LeserInnen möglicherweise so gar nicht existiert: „Wäre es möglich, dass sich auf der Seite der Rezipienten niemand für die Systemgrenze zwischen Literatur und Massenmedien interessiert, solange sie sich nur gut unterhalten und spannend informiert wissen?“11. Es stellt zudem die These auf, dass - sofern die jeweiligen Regeln eingehalten werden - Dokumentarfilme, Reportagen, Autobiographien oder auch Romane unabhängig davon entstehen können, ob die Grundlage real oder fiktiv ist: „Ein guter Dokumentarfilm muss nichts mehr dokumentieren, er muss ein Set von Regeln beherrschen und so umsetzen, wie es der Diskurs des Dokumentarischen verlangt. Dasselbe gilt für Autobiographien, Reportagen oder Romane.“12

Neben den zuvor zitierten Passagen, die mit Luhmann aussagen, dass die Massenmedien das gesellschaftliche Wissen über Realität und Welt bestimmen und erzeugen, sind auch die folgenden Stellen im Zusammenhang dieser Hausarbeit nennenswert: Gegen Ende seines Textes beschäftigt Werber sich mit der Erinnerungskultur einer Gesellschaft und der Fragestellung, ob die etwas unterschiedlich gut erinnert wird, wenn es real oder fiktiv ist:

„Was derart vorausgesetzt werden kann, zählt zum 'Gedächtnis' des 'Gesellschaftssystems'. [...] Ob etwas nun 'kurzfristig oder langfristig' erinnert wird, hängt nicht davon ab, ob ein Ereignis fiktiv oder real gewesen ist, sondern davon, ob das Mediengedächtnis der Gesellschaft Anlässe für Wiederholungen nutzt und erinnert, statt zu vergessen“13

Erneut betont er die Rolle der Massenmedien, die letztlich darüber entscheiden, was erinnert und was vergessen wird. Seiner Meinung nach ist die Frage nach Fakt oder Fiktion unerheblich:

„Die Anschlussfähigkeit von Kommunikation wie auch ihre Profilierung als neu, unerhört, merkwürdig hängt also im Falle journalistischer wie literarischer Kommunikation vom Gedächtnis der Massenmedien ab. Für die Funktion dieses Gedächtnisses ist nicht die Unterscheidung Fakt / Fiktion erheblich, sondern die Kombination von Redundanz und Varietät“14

Werber beschreibt darin die Macht der Massenmedien, die letztlich darüber entscheiden, was in einer Gesellschaft erinnert und was vergessen wird.

[...]


1 Werber (2004): S. 178

2 Weber (2004): S. 178

3 Vgl. Werber (2004): S. 163

4 Vgl. Werber (2004): S. 161

5 Werber (2004): S. 161

6 Werber (2004): S. 170

7 Werber (2004): S. 182

8 Werber (2004): S. 180

9 Werber (2004): S. 167

10 Werber (2004): S. 182

11 Werber (2004): S. 166

12 Werber (2004): S. 182

13 Werber (2004): S. 183

14 Werber (2004): S. 185

Ende der Leseprobe aus 18 Seiten

Details

Titel
Literatur oder Journalismus. Peter Weiss "Die Ermittlung" und die Factual Fiction von Niels Werber
Hochschule
Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn
Note
1,7
Jahr
2017
Seiten
18
Katalognummer
V1132373
ISBN (eBook)
9783346501141
ISBN (Buch)
9783346501158
Sprache
Deutsch
Schlagworte
literatur, journalismus, peter, weiss, ermittlung, factual, fiction, niels, werber
Arbeit zitieren
Anonym, 2017, Literatur oder Journalismus. Peter Weiss "Die Ermittlung" und die Factual Fiction von Niels Werber, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1132373

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