Das Umgangsrecht sozialer Bezugspersonen. Entwicklungshilfe für das Kind oder Störung des familiären Friedens?


Hausarbeit, 2020

13 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Wer hat unter welchen Umständen ein Umgangsrecht?
2.1. Was bedeutet Umgangsrecht?
2.2. Wer hat ein Umgangsrecht?
2.3. Was bedeutet die Voraussetzung des Kindeswohls?

3. Sind die potentiell umgangsberechtigten Personen eine Entwicklungshilfe für das Kind?

4. Wann liegt eine Störung des familiären Friedens vor?

5. Fazit: Was bedeutet das für die Beratung in der Sozialen Arbeit?

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1. Einleitung

Die vorliegende Arbeit geht der Frage nach, ob ein Umgangsrecht für soziale Bezugspersonen der kindlichen Entwicklung dient oder ob es dazu führt, dass der familiäre Frieden gestört wird. Die §§ 1684 bis 1686a BGB regeln das Umgangsrecht für rechtliche und leibliche Eltern, sowie für andere Bezugspersonen. Der § 1684 BGB beinhaltet die Umgangsrechte der Eltern, die Raum für eine weitere Arbeit bieten würden, § 1686a BGB umfasst die Rechte des leiblichen, nicht rechtlichen Vaters. Für die zu untersuchende Personengruppe der anderen sozialen Bezugspersonen wurde 1998 mit dem § 1685 BGB ein eigenes Umgangsrecht eingeräumt (Deutscher Bundestag, 1998). Hier heißt es zudem: „Eine Beistandschaft soll auch schon vor der Geburt des Kindes beantragt werden können, damit die notwendigen Maßnahmen so frühzeitig wie möglich ergriffen werden“ (Deutscher Bundestag, 1998, S. 76). In § 1685 BGB werden einige umgangsberechtigte Personengruppen explizit benannt, andere unter bestimmten Voraussetzungen zusammengefasst, die in Kapitel 2 nähererläutertwerden. In diesem Kapitel wird zunächst umrissen, was der Begriff „Umgangsrecht“ bedeutet, anschließend die umgangsberechtigten Personen aufgeführt und die Umstände, unter denen Bezugspersonen ein Umgangsrecht haben. Es wird sich hier die Frage nach dem Begriffdes Kindeswohls ergeben, derebenfalls erläutert wird.

Während der § 1684 BGB eine rechtliche Vorannahme auf einen dem Kindeswohl dienlichen Umgang der Eltern trifft, muss die Bedeutung des Umgangs einer Bezugsperson nach § 1685 BGB im Einzelfall geprüft werden. Da in § 1685 Abs. 1 BGB zwei Personengruppen konkret benannt sind, wird sich Kapitel 3 damit beschäftigen, warum diesen Gruppen eine besondere Stellung in dem Paragraphen zukommt. Hier werden Studien angeführt, die auf eine Kindeswohldienlichkeit des Umgangs mit Großeltern und Geschwistern schließen lassen. Kapitel 4 untersucht die Frage nach dem familiären Frieden und betrachtet Fälle, in denen gegen ein Umgangsrecht entschieden wurde, da das Gericht Anhaltspunkte für die Störung des familiären Friedens gesehen hat. Im letzten Kapitel wird zusammengefasst, was die Schwierigkeiten im Falle eines Rechtsstreits sind und es werden Schlüsse gezogen, was dies für die Praxis der sozialen Arbeit bedeutet. Es werden Möglichkeiten genannt, wie in der Beratung nach Lösungen gesucht werden könnte, um für alle Beteiligten das bestmögliche Ergebnis zu erzielen und Kindeswohl und Familienfrieden gleichermaßen zu schützen.

Um den Paragraphendschungel anschaulicher zu gestalten, werden immer wieder konkrete Fälle genannt und Urteilsbegründungen, die darauf schließen lassen, wie zukünftig in ähnlichen Fällen entschieden werden könnte.

2. Wer hat unter weichen Umständen ein Umgangsrecht?

Der § 1685 BGB, der das Umgangsrecht für soziale Bezugspersonen regelt, beinhaltet einige voraussetzungsvolle Begriffe, die an dieser Stelle geklärt werden sollen. Z.B. ist ein Umgangsrecht nicht gleichbedeutend mit dem Sorgerecht. Was eine sozial-familiäre Beziehung ist, bedarf einer Erläuterung und auch der Begriff des Kindeswohls ist nicht klar definiert und benötigt ebenfalls eine Erklärung.

2.1. Was bedeutet Umgangsrecht?

Bevor wir uns der Frage widmen, wer ein Umgangsrecht bekommen kann, ist zu klären, was Umgangsrecht bedeutet. Umgangsrecht ist nicht mit dem in den §§ 1626 ff. BGB geregelten Sorgerecht identisch. In diesen Paragraphen wird die Personensorge, sowie die Vermögenssorge und die gesetzliche Vertretung beider Teilbereiche geregelt. Diese Aufgaben liegen in der Regel bei den Eltern, die schon qua Artikel 6 Abs. 2 GG das Recht und die Pflicht zur Erziehung und Pflege der Kinder haben, nachrangig auch nach dem Sozialgesetzbuch (§ 1 Abs. 2 SGB VIII) und dem Bürgerlichen Gesetzbuch (§ 1626 ff. BGB). Dabei hat die Mutter eine vorrangige Stellung inne (§ 1626a Abs. 3 BGB). Das Sorgerecht umfasst dabei alle Angelegenheiten, die das Leben des Kindes betreffen, wie Entscheidungen über den Namen, die Auswahl und Anmeldung in der Schule, Erziehungsfragen, religiöse Erziehung, die Bestimmung des Aufenthalts, Entscheidungen über medizinische Behandlung und ähnliches (Familienportal des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, o.J.). Im Gegensatz dazu beinhaltet das Umgangsrecht nur das Recht, das Kind regelmäßig zu sehen und zu sprechen. Konkret gehören zu den Kontakten neben persönlichen Begegnungen auch der telefonische, e-Mail-, Brief- und Videotelefonie-Kontakt (ebd.). Der Umgang sollte in regelmäßigen und zeitlich begrenzten Treffen bestehen, die das Gesetz in Länge und Häufigkeit nicht genauer definiert (Scheidung.de, o.J.). Das Familiengericht kann hier aber im Streitfall über Umfang und Ausgestaltung entscheiden (ebd). Bei Uneinigkeit der Eltern über den Umgang mit einem Dritten kann nach § 1628 BGB einem Elternteil allein die Entscheidung übertragen werden. Auch aktuelle Corona-Maßnahmen berechtigen nicht zum Aussetzen des Umgangsrechts, wie das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz festgelegt hat1 (BMJV, 2020).

2.2 Wer hat ein Umgangsrecht?

Das Umgangsrecht, bzw. die Umgangspflicht der Eltern ist im §1684 BGB geregelt. Auch der leibliche, nicht rechtliche Vater hat nach § 1686a BGB besondere Umgangsrechte. Daneben kann aber auch anderen sozialen Bezugspersonen nach §1685 BGB ein Umgangsrecht eingeräumt werden. §1685 Abs. 1 BGB beschreibt die erste Personengruppe, die unter der Bedingung, dass der Umgang dem Kindeswohl dienlich ist, ein Umgangsrecht hat. Es handelt sich dabei um Großeltern und Geschwister der Kinder. Es gilt der Verwandtenbegriff nach § 1589 BGB. Das bedeutet, dass nur die gesetzlichen Großeltern, vollbürtige und halbbürtige Geschwister, sowie durch Adoption hinzu gewonnene Geschwister ein Umgangsrecht bekommen können. Bezugspersonen wie neue Lebenspartner*innen eines Großelternteils können ein Umgangsrecht nach § 1685 Abs. 2 BGB erwirken (Götz, Pal, § 1685, Rn 7). Kinder sind nach § 9 Abs. 1 S. 3 FamFG erst mit Vollendung des 14. Lebensjahres verfahrensfähig, sodass ein Antrag eines jüngeren Kindes auf Umgang mit der Schwester wie im Beschluss des KG Berlin aufgehoben werden kann (KG Berlin, Senat für Familiensachen, Beschluss vom 24.10.2016 - 19 UF 32/16, https://openjur.de/u/2255115.html [01.12.2020]). Minderjährige Kinder sind nach § 52 ZPO nicht prozessfähig und werden gemäß § 1629 Abs. 1 BGB von den Eltern vertreten.

§ 1685 Abs. 2 BGB schließt auch andere „enge Bezugspersonen“ mit ein. Hierbei kann es sich z.B. um eine*n (aktuelle*n oder ehemalige*^ Lebenspartner*in eines Elternteils, bzw. Stiefeltern, andere Verwandte oder Nachbarn handeln (Götz, Pal, § 1685, Rn 8). Unter diese Norm fällt zudem das Umgangsrecht für gleichgeschlechtliche Lebenspartnerinnen, die keine Vaterschaft anerkennen können, aber auch nicht Mutter des Kindes sind. Mutter ist nach § 1591 BGB die Frau, die das Kind geboren hat. Es ergibt sich somit für Lebenspartnerinnen keine rechtliche Eltern-Kind-Beziehung, es sei denn das Kind wurde von der Partnerin adoptiert. Auch eine Ehe gleichgeschlechtlicher Lebenspartner*innen ändert nichts an dieser Tatsache (Beeden, 2020).

In der Praxis haben es Personen wie Nachbarinnen oder Verwandte schwer, ein Umgangsrecht nach § 1685 Abs. 2 BGB zu bekommen, da sie häufig nicht mit dem Kind zusammen leben. Sie können aber im Einzelfall versuchen, nach § 1666 BGB ein Umgangsrecht zu erwirken, indem sie den Nutzen des Umgangs für das Kindeswohl in den Fokus rücken (Deutscher Bundestag, 1998, S. 69). Zudem haben nur die in § 1685 BGB (sowie in § 1684 und § 1686a BGB) genannten Personen ein Umgangsrecht. Das Kind selbst hat kein Recht, einen Umgang mit Bezugspersonen zu erzwingen, da davon ausgegangen wird, dass eine erzwungene Beziehung dem Kindeswohl letzten Endes nicht dienlich wäre (Deutscher Bundestag, 1998, S. 68). Insofern besteht auch keine Umgangspflicht für die genannten Personen (Wabnitz, 2019, S. 95).

2.3. Was bedeutet die Voraussetzung des Kindeswohls?

Die genannten Personengruppen bekommen nicht unter allen Umständen das Umgangsrecht zugesprochen. § 1685 Abs. 1 BGB beinhaltet den Zusatz, dass der Umgang sozialer Bezugspersonen mit dem Kind dem Kindeswohl dienen muss. Dies rekurriert auf § 1626 Abs. 3 S. 2 BGB, demgemäß der Umgang des Kindes mit Personen, zu denen es eine Bindung besitzt, dem Kindeswohl dienlich ist.

Der unbestimmte Rechtsbegriff des Kindeswohls ist im Art. 3 Abs. 1 der UN-Kinder- rechtskonvention als „ein Gesichtspunkt, der vorrangig zu berücksichtigen ist“, festgesetzt (UN-Kinderrechtskonvention). Was der Begriff tatsächlich beinhaltet, kann zum Einen überden Umweg der Kindeswohlgefährdung definiertwerden. Der§ 1666Abs. 1 BGB grenzt ein, dass dann eine Gefährdung vorliegt, wenn „das körperliche, geistige oder seelische Wohl des Kindes oder sein Vermögen gefährdet“ seien. Zum Anderen werden in rechtlichen Fällen einige Beurteilungskriterien herangezogen, um zu prüfen, ob dem Kindeswohl entsprochen wird. Eines dieser Kriterien ist das Bindungsprinzip, demgemäß gefragt wird, ob das Kind eine starke Bildung an Personen hat; mit dem Förderungsprinzip wird geprüft, ob Pflege, Betreuung und Versorgung des Kindes, sowie seine Erziehung gewährleistet sind. Das Kontinuitätsprinzip legt fest, dass möglichst wenig Veränderung in der vertrauten Lebensrealität von Kindern passieren soll und zuletzt wird der Frage nach dem Kindeswohl nachrangig auch der ausdrückliche Wille des Kindes berücksichtigt (DAHAG, 2019). Hier kommt es aber darauf an, ob das Gericht eine Beeinflussung des Kindes z.B. durch die Eltern erkennt (Umgangsrecht.org, o.J.).

Auch in Fragen des Umgangsrechts sind einige der Kriterien von Bedeutung. Ob eine starke Bindung zur Bezugsperson besteht, wird daran gemessen, ob die Person Verantwortung für das Kind übernommen hat und über einen längeren Zeitraum mit dem Kind zusammen gelebt hat. Diese Kriterien sind ebenfalls in § 1685 Abs. 2 BGB geregelt. Eine solche Beziehung wird dort „sozial-familiäre Beziehung“ genannt. Der genaue Zeitraum des Zusammenlebens wird nicht definiert. Ein Beschluss vom OLG Koblenz führt aber explizit auf, dass eine Beziehung am Wochenende über einen längeren Zeitraum, in diesem Fall zwei Jahre, grundsätzlich ausreichend wäre (OLG Koblenz, Beschluss vom 17.09.200 - 7 UF 237/08, https://www.haufe.de/recht/deutsches- anwalt-office-premium/olg-koblenz-beschluss-vom-17092008-7-uf- 23708_idesk_PI17574_HI2192617.html [01.12.2020]). Voraussetzung dafür sei aber, dass das Vertrauensverhältnis zwischen Kind und Bezugsperson noch besteht oder daran anzuknüpfen ist. Bei einer eingetretenen Entfremdung sei dies nicht der Fall (ebd). Ein längeres Zusammenleben in häuslicher Gemeinschaft ist auch Voraussetzung dafür, dass eine Verantwortungsübernahme angenommen werden kann.

3. Sind die potentiell umgangsberechtigten Personen eine Entwicklungshilfe für das Kind?

Da der § 1685 BGB vielfältige Möglichkeiten der Bezugspersonen einschließt, kann nicht generell eine Funktion als Entwicklungshilfe für das Kind festgestellt werden. Wie hilfreich ein Kontakt für das Kind ist, kann nur von Fall zu Fall entschieden werden. Deshalb haben soziale Bezugspersonen nach § 1685 Abs. 2 BGB einen Nachweis zu erbringen, dass ein Umgangsrecht dem Kindeswohl zuträglich wäre. Großeltern und Geschwistern wird auch von rechtlicher Seite eine Sonderstellung in der Kindeswohldienlichkeit zugesprochen. Dieses Kapitel bezieht sich deshalb vor allem auf Absatz 1 des § 1685 BGB, also die Funktion für Großeltern und Geschwister.

Die Beziehung zwischen Geschwistern ist komplex und kann weder von dieser Arbeit noch vom Gesetz vollständig durchdrungen werden. Zudem müssen Kriterien wie der Altersabstand zwischen den Geschwistern, das Geschlecht und die Anzahl der Geschwisterkinder berücksichtigt werden, sodass eindeutige Strukturmerkmale innerhalb dieser Beziehungen kaum festgestellt werden können (Adam-Lauterbach, 2007, S. 203). Jedoch kann davon ausgegangen werden, dass Geschwister schon sehr früh als bedeutsame Objekte wahrgenommen werden und schon ein sechs Monate alter Säugling eine Beziehung zu ihnen herstellt (Adam-Lauterbach, 2007, S. 204). Das Branden- burgische OLG hat konstatiert: „Die Trennung von Geschwistern bei einer insgesamt positiven Geschwisterbeziehung ist grundsätzlich zu vermeiden und nur bei Vorliegen besonderer Ausnahmegründe zuzulassen“ (OLG Brandenburg, Beschluss vom 06.09.2011 - 10 UF 74/10, Rn 46, https://openjur.de/uZ285237.html [01.12.2020]). Wie eng die Bindung ist, muss dennoch im Einzelfall entschieden werden. Hinzu kommen noch rechtliche Rahmenbedingungen. In einem Beschluss des OLG Dresden wurde der Antrag eines Jungen auf Umgang mit seiner leiblichen Schwester abgewiesen, da das Mädchen von einer anderen Familie adoptiert wurde und damit der Anspruch auf ein Umgangsrecht nach § 1755 Abs. 1 S. 1 BGB erlischt (OLG Dresden, Beschluss vom 12.10.2011 - Az: 21 UF 0581/11 https://www.anwaltonline.com/familienrecht/urtei- le/6275/adoption-vollstaendiges-erloeschen-der-verwandtschaftsverhaeltnisse [01.12.2020]). Die Schwierigkeit der Verfahrensfähigkeit für Kinder ab der Vollendung des 14. Lebensjahres wurde bereits in Kapitel 2.2. angesprochen. Da es unwahrscheinlich ist, dass Kinder aus eigenem Antrieb ein Umgangsrecht mit ihren Geschwistern einfordern, unter anderem weil sie eher selten voneinander getrennt werden, sind die Beschlüsse in diesem Kontext rar gesät.

Auch die Beziehung zu den Großeltern muss im Einzelfall betrachtet und zum Wohle des Kindes entschieden werden. Wie sich noch zeigen wird, wird zwar in Verfahren häufig gegen ein Umgangsrecht entschieden, jedoch soll zunächst betrachtet werden, ob die Beziehung zwischen Großeltern und Enkelinnen grundsätzlich förderlich für die Entwicklung des Kindes ist. Eine Studie der Emory Universität in Atlanta fand heraus, dass Kinder und Jugendliche, die Kontakt mit ihren Großeltern haben und ihre Familiengeschichte kennen, größeres emotionales Wohlbefinden und ein höheres Level an erarbeiteter Identität aufweisen (Clark & Kurylo, 2010). Eine Studie des DJI legt dar, dass die emotionale Nähe zwischen den Generationen trotz getrennten Wohnens hoch ist und dass diese mit Wohlbefinden und psychischer Gesundheit in Verbindung steht (Seilbeck & Langmeyer, 2018, S. 10). Gemäß der Brückenhypothese bilden Großeltern ihren Enkeln eine Brücke in die erweiterte soziale Umwelt (Seilbeck & Langmeyer, 2018, S. 12). Auch diese Studie hebt noch einmal die Bedeutung der Erzählungen aus der Vergangenheit hervor, die den Kindern ermöglicht, sich in einem übergreifenden Zusammenhang zu erleben (ebd.). Zudem übermitteln Großeltern den Enkeln Werte und haben so einen sozialisatorischen Einfluss (Seilbeck & Langmeyer, 2018, S. 13). Die Befragungen der Studie aus den Jahren 2008 und 2014 verzeichnen einen leichten Rückgang enger Beziehungen der Großeltern zu ihren Enkelkindern. Waren es 2008 noch 86,4% der rund 3000 Befragten, die eine enge oder sehr enge Beziehung zu ihren Enkelkindern angaben, waren es 2014 82,6%. Trotz leichtem Rückgang scheint die Bindung zwischen Großeltern und Enkelinnen also im Schnitt eng zu sein (Seilbeck & Langmeyer, 2018, S. 43). Auffällig ist, dass die enge Verbundenheit mit leiblichen Enkelkindern mit 84% höher ist als mit sozialen Enkelkindern mit 66% (Seilbeck & Langmeyer, 2018, S. 51). Grundsätzlich kann nach den genannten Studien davon ausgegangen werden, dass Großeltern der Entwicklung des Kindes dienlich sind. Dennoch muss dies genauer geprüft werden, wobei einige Hürden zu beachten sind.

4. Wann liegt eine Störung des familiären Friedens vor?

Bisher wissen wir, dass eine Person eine längere Zeit mit dem Kind zusammen gelebt und Verantwortung übernommen haben muss, um ein Umgangsrecht zugesprochen zu bekommen. Damit Großeltern, Geschwistern oder anderen Dritten ein Umgangsrecht gewährt wird, muss aber auch sichergestellt sein, dass der Umgang dem Wohl des Kindes dient und dadurch keine Konflikte innerhalb der Familie aufgeworfen werden, die seinem Wohl entgegen stehen könnten. Nach § 1632 Abs. 2 BGB können die Eltern über den Umgang mit Dritten entscheiden und könnten im Falle einer Gefährdung des Kindeswohls auch den Umgang mit den Großeltern verbieten. Das Kind sollte also, soweit es ihm aufgrund seines Alters möglich ist, den Wunsch äußern, Umgang mit der entsprechenden Person zu haben. Der Wille ist Ausdruck der Persönlichkeit, die nach Art. 1 und 2 GG einem besonderen Schutz unterliegt. Eine eigene Willensbildung kann auch dem selbstständigen Handeln Rechnung tragen, das laut Art. 6 Abs. 2 GG Ziel der Erziehung sein soll (OLG Koblenz, Beschluss vom 19.05.2020 - 9 UF 191/20, https://openjur.de/uZ2273341.html [01.12.2020]). Auch Kinder unter 14 Jahren müssen nach § 159 FamFG angehört werden, wenn der Kindeswille für den entsprechenden Fall wichtig ist. Ab 12 Jahren gilt der Kindeswille als beachtlich, wobei die individuelle Reife des Kindes beachtet werden muss. Auch der Wille von Kindern unter 12 Jahren wird gehört, jedoch wird hier häufiger davon ausgegangen, dass ein Unwillen gegen die Bezugsperson aus erzieherischen Maßnahmen herrührt und nicht dem Kind selbst entspringt (Umgangsrecht.org, o.J.). Doch auch der Kindeswille ist noch nicht hinreichend. Großeltern, die in der Vergangenheit viel Kontakt mit ihrem Enkelkind hatten, es an Wochenenden betreut und eine enge Bindung haben, die vom Kind auch erwidert wird, haben es vor dem Familiengericht dennoch schwer. Ziehen Großeltern vor Gericht, hat ihre Beziehung zu den Eltern des betreffenden Enkelkindes meist schon großen Schaden genommen.

In älteren Urteilen, die nur wenige Jahre nach der Gesetzesänderung getätigt wurden, die Großeltern und anderen Personen, die nicht die Eltern des Kindes sind, ein Umgangsrecht einräumt (Deutscher Bundestag, 1998), war die Durchsetzung des neuen Gesetzesentwurfs für Großeltern noch eher möglich. In einem Beschluss des OLG Celle vom 22.04.1999 wird in der Begründung die feste Bindung zwischen Großeltern und Enkelinnen noch als ausreichend dienlich für das Kindeswohl angesehen. Spannungen zwischen Großeltern und Eltern der Kinder seien dabei regelmäßig unerheblich (OLG Celle, Beschluss vom 22.04.1999 - 18 UF 4/99, https://www.kostenlose- urteile.de/OLG-Celle_18-UF-499_Spannungen-zwischen-Grosseltern-und-Eltern- beeinflussen-nicht-Umgangsrecht-der-Grosseltern-mit-Enkelkindern.news18883.htm [01.12.2020]). In späteren Urteilen wird häufig aufgrund der Konflikte zwischen Eltern und Großeltern gegen ein Umgangsrecht entschieden. Im Beschluss des OLG Hamm vom 15.09.2009 heißtes:

„Das Umgangsrecht der Großeltern gern. § 1685 Abs. 1 BGB hat dort seine Grenzen, wo aufgrund einer Zerrüttung des persönlichen Verhältnisses zwischen den Großeltern und den Eltern Loyalitätskonflikte bei den Kindern ausgelöst werden können [...]. Das Umgangsrecht aller gern. § 1685 BGB Berechtigten hängt uneingeschränkt davon ab, dass sie den Erziehungsvorrang der sorgeberechtigten Eltern respektieren [...]“ (OLG Hamm, Beschluss vom 15.09.2009 - 11 UF 108/09, Rn26, https://openjur.de/uZ139301.html [01.12.2020]).

Auch in einem Verfahren um das beantragte Umgangsrecht der Großeltern mit ihren Enkelkindern entschied der BGH am 12.07.2017 gegen das Umgangsrecht, da zu viele Spannungen zwischen Großeltern und Eltern der Kinder zu Loyalitätskonflikten beim Kind führen würden und zudem der elterliche Erziehungsvorrang beachtet werden müsse. Großeltern haben also den Erziehungsstil ihrer Kinder zu respektieren. Gibt es Anzeichen dafür, dass sie es nicht tun, wie in diesem Fall, als die Großeltern dem Jugendamt "Vorfälle von seelischer Misshandlung“ ihrer Enkel melden, wird ihnen mit großer Wahrscheinlichkeit kein Umgangsrecht zugesprochen (BGH, Beschluss vom 12.07.2017 - XII ZB 350/16, Rn 2, https://www.iww.de/quellenmaterial/id/196066 [01.12.2020]).

[...]


1 „Die Coronakrise ändert nichts daran, dass minderjährige Kinder auf ihre Eltern angewiesen sind, um eine Persönlichkeit zu entwickeln. Der regelmäßige Umgang eines Kindes mitjedem Eltemteil gehört deshalb in der Regel zum Wohl des Kindes. Das Kind hat daher ein Recht auf Umgang mit jedem Eltemteil, das der andere Eltemteil nicht ablehnen kann. Der Umgang kann in Ausnahmefällen für das Kind schädlich sein; das zu beurteilen ist Sache des Familiengerichts. Das Familiengericht kann den Umgang regeln, einschränken oder ausschließen, wenn dafür die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt sind.“ (BMJV, 2020)

Ende der Leseprobe aus 13 Seiten

Details

Titel
Das Umgangsrecht sozialer Bezugspersonen. Entwicklungshilfe für das Kind oder Störung des familiären Friedens?
Hochschule
Hochschule Fresenius Idstein
Note
1,0
Autor
Jahr
2020
Seiten
13
Katalognummer
V1132863
ISBN (eBook)
9783346503855
ISBN (Buch)
9783346503862
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Umgangsrecht, § 1685 BGB, Kindeswohl, Großeltern, Geschwister, Bezugspersonen
Arbeit zitieren
Sabrina Kohl (Autor:in), 2020, Das Umgangsrecht sozialer Bezugspersonen. Entwicklungshilfe für das Kind oder Störung des familiären Friedens?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1132863

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