Gesellschaftliche Aspekte der Entwicklung des deutschen Buchhandels


Magisterarbeit, 2005

107 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

Einleitung

1. Lesen als gesellschaftliche Aktivität in der Freizeit
1.1 Leseakt
1.2 Lesekompetenz und Leseverhalten
1.2.1 Alphabetisierungsgrad
1.2.2 Entwicklungen in der BRD
1.3 Lesarten

2. Begriffsklärungen: Buch und Buchhandel
2.1 Begriffsklärung Buch
2.1.1 Das Buch als Handelsware
2.1.2 Das Buch aus sozialund kommunikationswissenschaftlicher Sichtweise
2.2 Buchhandel: Begriffsklärung und Organisationsformen
2.2.1 Herstellender Buchhandel
2.2.2 Verbreitender Buchhandel
2.2.3 Gesellschaftliche Aufgabe des Buchhandels

3. Der deutsche Buchmarkt
3.1 ‚Books are different’ – Geist oder Ware?
3.1.1 Buchpreisbindung
3.1.2 Weitere staatliche Subventionen
3.2 Buchmarkt und Buchmarketing
3.2.1 Aktuelle Situation
3.2.2 Entwicklung der Marktteilnehmer: Konzentration
3.2.3 Buchmarketing: Vom Verkäuferzum Käufermarkt
3.2.3.1 Verlagsmarketing
3.2.3.2 Sortimentsmarketing
3.3 Kaufverhalten
3.4 Der Börsenverein des Deutschen Buchhandels
3.4.1 Tätigkeitsfelder des Börsenvereins
3.4.2 Kulturund sozialpolitisches Engagement

4. Historischer Überblick über die Entwicklung des Buchhandels
4.1 Gutenberg und der Beginn des Buchdruckzeitalters
4.2 Herausbildung buchhändlerischer Strukturen
4.3 Die „Leserevolution“
4.4 Das Buch als Massenmedium

5. Der Buchmarkt der DDR
5.1 Buchund Verlagswesen der DDR
5.2 Buchund Literaturpolitik der DDR
5.3 Das Leseland DDR
5.4 Wiedervereinigung des deutsch-deutschen Buchmarktes

6. Buch und Buchhandel in der Informationsgesellschaft
6.1 Medienkonkurrenz
6.2 Exkurs: Internet
6.3 Änderungen für den Buchhandel
6.3.1 CD-ROM
6.3.2 E-Book
6.3.3 Internetveröffentlichungen
6.3.4 Print-On-Demand
6.3.5 Online-Buchhandel
6.4 Maßnahmen des stationären Buchhandels
6.5 Mediennutzung

Fazit

Literaturverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Einleitung

Das Land der Dichter und Denker macht in letzter Zeit vermehrt negative Schlagzeilen, was die Grundfertigkeiten Lesen und Schreiben bei Kindern und Jugendlichen betrifft. So hat Deutschland bei den PISA-Studien im europäischen Vergleich mehrfach einen der hinteren Plätze belegt und die Öffentlichkeit widmet ihre Aufmerksamkeit seitdem verstärkt dem deutschen Bildungssystem. Es steht in der Kritik, obwohl es reformiert wurde und wird (vgl. VON BORSTEL, Stefan: Die Republik der Arbeitslosen. http://www.welt.de/data/2005/03/02/554834.html?s=2, Stand: 10.03.2005). Die Leseund Schreibfähigkeit ist nicht nur eine Voraussetzung „[...] für das Lernen in der Schule, sondern auch für fast alle Formen der Teilnahme am gesellschaftlichen Leben unerlässlich [...]“ (Lesen + Schreiben 2003: 1). Neben der Schule haben die Eltern wesentlichen Einfluss auf den Schriftspracherwerb von Kindern. Nur ein „[...] lesendes und schreibendes Vorbild [...]“ regt Kinder dazu an, es nachzumachen (ebd.). Doch welchen Stellenwert hat Lesen als Freizeitbeschäftigung in unserer Gesellschaft? Umfragen der Stiftung Lesen zufolge ist die Lesehäufigkeit der Deutschen zwischen 1992 und 2000 zugunsten der Nutzung anderer Medien zurückgegangen. Aber trotz aller technischer Errungenschaften werden Bücher nach wie vor als eine wichtige Quelle genannt, was die Wissensvermittlung und die private Freizeitunterhaltung angehen (vgl. Stiftung Lesen 2001: 10).

Ziel meiner Arbeit ist es, heraus zu finden, inwieweit sich diese Veränderungen im Freizeitverhalten auf dem Sektor des deutschen Buchmarktes widerspiegeln. Um eine Grundlage zu schaffen, werde ich im ersten Kapitel auf die gesellschaftliche Bedeutung von Freizeit im Allgemeinen und die Beschäftigung Lesen im Besonderen eingehen. Im zweiten Kapitel kläre ich, was unter Buch und Buchhandel verstanden wird. Der Schwerpunkt meiner Literaturanalyse liegt in der Herausforderung des Buchhandels, gleichzeitig Kulturvermittler und Wirtschaftsunternehmen zu sein. Die Sonderstellung der Handelsware Buch und die damit verbundenen Aufgaben und das Selbstverständnis des Buchhandels sowie aktuelle Tendenzen auf dem deutschen Buchmarkt werden im dritten Kapitel ausgeführt. „[...] Wirtschaftssoziologen [...] deuten die moderne Wirtschaft [...] als Ausdruck eines bestimmten historischen Entwicklungsprozesses“ (BUß 1995: 5). Aus diesem Grund beschreibe ich im vierten Kapitel, wie es zum heutigen Stand des Buchhandels gekommen ist. Ich untersuche die geschichtliche Entwicklung nach bestimmten Aspekten, wie technischen Neuerungen und gesellschaftlichen Veränderungen, die den Buchhandel beeinflusst haben oder vom Buchhandel beeinflusst worden sind und sich auf das Leseverhalten ausgewirkt haben. Dazu zählt u.a. die Teilung Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg. Der Buchmarkt der DDR wird unter Einbeziehung der literarischen Zensur und ihrer Folgen für Buchproduzenten und Buchleser im fünften Kapitel gesondert behandelt.

Der soziale Wandel im Freizeitverhalten der Deutschen hängt eng mit der gesamtgesellschaftlichen Entwicklung hin zu einer Informationsgesellschaft mit neuen Kommunikationstechnologien und –medien zusammen. Das Thema des sechsten Kapitels ist die veränderte Mediennutzung und was der Buchhandel tun kann und tun muss, um die Menschen trotz dieser Konkurrenz zum Lesen zu animieren.

Im Schlussteil erfolgt eine Zusammenfassung meiner Ergebnisse, in der ich klären werde, ob und wie sich der Stellenwert der Freizeitbeschäftigung Lesen in der Gesellschaft verändert hat und wie sich das auf den Buchhandel auswirkt.

Ich beschränke mich auf die Entwicklung des deutschen Buchhandels seit der Erfindung des Buchdrucks durch Gutenberg im 15. Jahrhundert bis in die heutige Zeit. Die Buchgeschichte und das Leseverhalten seit damals sind mit Hilfe von Quellen und Aufzeichnungen mehr oder weniger umfassend erforscht worden.1 Seit den 60er Jahren gibt es in Deutschland empirische Untersuchungen zur Buchmarktund „Buchlese(r)forschung“ (BONFADELLI 2001: 87)2. Darin wird sowohl nach den Lesegewohnheiten als auch nach dem Kaufverhalten der Personen gefragt (vgl. a.a.O.: 88f.)3. Es fehlen Untersuchungen zur besonderen Stellung des Buches als Medium und Kulturgut (vgl. ebd.). In den letzten Jahren ist die Medienforschung, die nach der Nutzungshäufigkeit aller Massenkommunikationsmittel wie Printmedien, Fernsehen, Radio usw. im Vergleich fragt, stärker in den Mittelpunkt gerückt (vgl. a.a.O.: 98).

1. Lesen als gesellschaftliche Aktivität in der Freizeit

Mit dem Begriff Freizeit wird in der Soziologie die Zeit bezeichnet,

„[...] die frei ist von Erwerbsarbeiten oder berufsähnlichen Tätigkeiten (Haushaltsarbeiten, Hausaufgaben), von der Befriedigung notwendiger biol. Bedürfnisse (Schlaf, Ernährung, Hygiene) und von obligatorischen Beschäftigungen mit Verpflichtungscharakter im familiären und sozialen Bereich.“ (OPASCHOWSKI 1998: 92)

Durch den Rückgang der Erwerbsarbeitszeit und die technischen Errungenschaften im Haushalt und bei der Nahrungsproduktion ist der Umfang der Freizeit, die den Menschen in der BRD zur Verfügung steht, im Laufe der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts enorm angestiegen und steht seitdem im Interesse der Wissenschaft.4 Heute überwiegt die arbeitsfreie Zeit in unserem Leben und sie hat die Arbeit als „[...] Mittelpunkt unseres Denkens und Handelns [...]“ abgelöst (PRAHL 2002: 9). Diesem Wandel liegt ein gesamtgesellschaftlicher Trend der Wertschätzung von Arbeit zugrunde.

„Arbeit und Beruf werden überwiegend nur noch geschätzt, weil und soweit sie finanziell unabhängig machen, Sicherheit verbürgen, soziale Kontakte stiften und Voraussetzungen schaffen, persönliche Bedürfnisse in der Freizeit zu befriedigen.“ (BUß 1995: 177)

Während ein Mensch um 1900 im Durchschnitt noch ein Viertel seines Lebens damit verbrachte zu arbeiten, war es im Jahr 2000 nicht einmal mehr ein Zehntel. Statistisch gesehen stehen dem Bundesbürger an Werktagen durchschnittlich etwa fünf Stunden, sonntags sogar acht Stunden freie Zeit zur Verfügung (vgl. PRAHL 2002: 15). Dabei gibt es Schwierigkeiten, die genaue Länge der Freizeit zu ermitteln, denn was für den einen ein Freizeitvergnügen darstellt, wird vom anderen als Arbeit angesehen. Verschiedene Faktoren wie Alter, Geschlecht, Bildung, Wohnsituation usw. beeinflussen das Freizeitverständnis (vgl. a.a.O.: 165).5

Der größte Teil der Freizeit wird im eigenen Heim und vorwiegend im Umgang mit Medien verbracht. Daneben existieren noch unzählige andere Freizeitbeschäftigungen, die allerdings in Untersuchungen aufgrund ihrer Vielfalt meist nicht aufgelistet werden. In einer Umfrage zur Mediennutzung und Freizeitbeschäftigung aus dem Jahre 1999 gaben 20,7 % der Befragten an, in ihrer Freizeit Bücher zu lesen. Am häufigsten genannt wurde Fernsehen (94,9 %) und Radio hören (84,9 %) (vgl. PRAHL: 180ff.). Die Tätigkeiten haben sich im Laufe der Jahre durch die neuen Möglichkeiten verändert. Dazu haben in Deutschland v. a. die Einführung des Fernsehens im Jahre 1954 sowie des Computers zu Beginn der 80er Jahre beigetragen. Während das Bücher lesen 1957 und 1975 noch hintere Plätze (8. bzw. 9.) belegte, war die Aktivität „Zur Unterhaltung oder Entspannung lesen“ im Jahre 1998 auf den zweiten Platz vorgerückt (a.a.O.: 183f.). Im Vergleich dazu ist das Fernsehen vom vierten Rang (1963) auf den ersten Rang vorgerückt (1986) und behauptet sich dort seitdem (vgl. ebd.).

Im Folgenden soll herausgearbeitet werden, was die Besonderheit des Lesens im Gegensatz zum Umgang mit anderen Medien ausmacht.

1.1 Leseakt

In der Kognitionswissenschaft wird unter Lesen das „[...] Handeln von Menschen [verstanden, die aus einem Text eine Bedeutung konstruieren und] sich durch ihr Tun ein Erleben selbst bereiten“ (SCHÖN 2001: 1). Dabei laufen umfassende neurobiologische sowie psychophysiologische Vorgänge ab. So wird das Gedruckte durch das Auge wahrgenommen und während der Umwandlungsund Transduktionsprozesse an den Photorezeptoren der Netzhaut wird „[...] das eingefangene Licht in neuronal verwertbare Informationen [...]“ umgewandelt (RAUTENBERG/WETZEL 2001: 7). Der Rezipient verarbeitet das Gelesene immer mit Hilfe seines bisherigen Wissens über die konkrete Sprache, in der der Text verfasst ist sowie über sein Weltwissen im Allgemeinen. Es gibt keine Garantie dafür, dass der Leser den Text so aufnimmt, wie es vom Autor beabsichtigt ist. Jeder Leseakt ist mit einer persönlichen Beziehungsaufnahme zwischen Leser und Buch verbunden, die sozial und kulturell erlernten Lektüremethoden entspricht und von Kenntnis und Bedarf abhängig ist. Man unterscheidet die individuelle und die kollektive Lesesituation. Letztere meint die gemeinschaftliche Aufnahme, während jemand in bspw. einer Aufführung etwas vorliest oder vorträgt. Hier sind die Grenzen zwischen mündlich und schriftlich fließend (vgl. ebd.).

Betrachtet man die Stammesgeschichte der Menschen, so ist die Lesefähigkeit eine relativ junge Errungenschaft, die neurobiologisch in den Gehirnregionen zu finden ist, in denen sich einst die visuellen Funktionen, wie bspw. das Lesen von Spuren auf der Jagd, entwickelt haben. Die konkreten „[...] Anfänge des abendländischen Lesens und Schreibens [, sieht man von] Vorformen [einmal ab, sind] im Gebrauch von Zählsteinen bzw. symbolischen Tonfigürchen zu rekonstruieren, die mindestens seit ca. 7.000 Jahren in Mesopotamien in Gebrauch waren“ (SCHÖN 2001: 2).

Es wird an dieser Stelle auf die historische Entwicklung des Lesens verzichtet, da im vierten Kapitel auf die Frage nach den Veränderungen der Art und Qualität des Lesens sowie insbesondere auf die Geschichte der lesenden Menschen eingegangen wird.

1.2 Lesekompetenz und Leseverhalten

Im Gegensatz zum Hören setzt der Umgang mit schriftlicher Sprache beim Leser andere und vor allem aufwendigere Leistungen, so genannte Reproduktionskenntnisse, voraus, um einen Text zu verstehen. Die Schreibund Lesefähigkeit werden als kulturelle Techniken meist institutionell, z.B. in der Schule, erlernt und sind ein Aspekt der Sozialisation (vgl. RAUTENBERG/WETZEL 2001: 43f.).

„Sozialisation ist – und dies ist Konsens in der gegenwärtigen Sozialisationsdebatte – zu verstehen als Prozess der Entstehung und Entwicklung der Persönlichkeit in wechselseitiger Abhängigkeit von der gesellschaftlich vermittelten sozialen und materiellen Umwelt. Die Akzentuierung bei sozialisationstheoretischen Fragenstellungen liegt im Mitglied-Werden in einer Gesellschaft.“ (ZIMMERMANN 2003: 16)

Die literarische Sozialisation baut auf der Lesekompetenz auf und wird ebenfalls durch das Schulwesen vermittelt. Die Kenntnis der verschiedenen Textarten sowie der Umgang mit ihnen, aber auch die Vertrautheit mit der speziellen Anordnung einer Buchseite, der „[...] buchmedialen ‚Grammatik’“, werden dabei verinnerlicht (RAUTEN- BERG/WETZEL 2001: 49). Ist die Kompetenz nicht vollständig ausgebildet, so stellt sich die Lesemotivation nicht ein und Lesen wird als Anstrengung betrachtet (vgl. BONFADELLI 2001: 108). Lesen als soziales Verhalten meint nämlich nicht nur den Leseakt an sich, sondern auch das Verhältnis zum Buch und zum Prozess des Lesens im Allgemeinen, d.h. das Verhalten des Rezipienten vor, während und nach der Lektüre (vgl. JÄGER 1987: 493). Das Schulsystem und die Lehrpläne beeinflussen damit in hohem Maße „[...] die Verteilung von literarischer Kompetenz und literaturbezogenem Wissen in einer Gesellschaft [...]“ (a.a.O.: 497). Zentrale Sozialisationsinstanzen sind neben der Schule Freunde und Familie (vgl. ZIMMERMANN 2003: 11). Durch ihre Vorbildfunktion haben sie ebenfalls einen großen Anteil daran, wie sich das Medienverhalten von Kindern und Jugendlichen ausbildet (vgl. TULLIUS 2001: 82, vgl. BONFADELLI 2001: 107f.).

So entwickeln Kinder,

„[...] deren Eltern zu den Intensivnutzern von Büchern gehören […], besonders häufig ebenfalls stabile Lesegewohnheiten […]; doch auch Kinder aus Familien, die zu den Intensivnutzern vieler Medien gehören […], finden überdurchschnittlich oft Zugang zum Buch. Ungünstigere Startbedingungen haben dagegen Kinder aus Familien, deren Mediengebrauch sich auf Fernsehen, Video und/oder Computermedien konzentriert oder die generell wenige Medien nutzen.“ (EGGERT/GARBE 2003: 112)

Die effektivste Möglichkeit, seine Kinder zum Lesen zu bringen, ist, selbst viel zu lesen und damit ein „Lesevorbild“ zu sein sowie ein positives „Leseklima“ zu schaffen, in dem Haushalt und Kinderzimmer reichlich mit Büchern ausgestattet sind (a.a.O.: 112, 150). Doch die Tendenz geht dahin, dass sich das Fernsehen zum „[...] Familienmedium par excellence [...]“ entwickelt hat (a.a.O.: 112). Besonders bei Kindern und Jugendlichen kann sich fernsehen auch unterstützend auf das Leseverhalten auswirken. Sie wollen mehr über das Gesehene erfahren und suchen in Büchern nach näheren Informationen. Es kommt jedoch immer auf die Art und die Qualität des Programms an. Dieser positive Aspekt gilt erst, wenn Kinder bereits lesen gelernt haben. Jedes Kind muss sich die Lesefähigkeit mühsam aneignen. Fernsehen dagegen bedarf keinerlei spezieller Kenntnisse, deswegen ziehen es kleinere Kinder gern dem Lesenlernen vor. Dieses Verhalten zieht einen negativen Kreislauf nach sich. Kinder, die Schwierigkeiten beim Lesen haben, gucken Fernsehen, statt ihre Lesefertigkeit zu verbessern. Sie bekommen Probleme in der Schule, haben beruflich keine guten Chancen und werden in ihrer Freizeit nicht lesen und damit Eltern von Kindern, die keinen Spaß am Lesen haben werden. Das heißt nicht, dass es ohne Fernsehen keine schlechten Leser gäbe, sondern sie würden sich dann einfach andere Freizeitbeschäftigungen suchen. Die Lesesozialisation wird aber durch das Vorhandensein des Fernsehers erschwert (vgl. BONFADELLI 2001: 118f.).

1.2.1 Alphabetisierungsgrad

Mit dem Begriff Alphabetisierung wird das technische Erlernen von Lesen und Schreiben bezeichnet. Es ist die Voraussetzung für die Aneignung der notwendigen kulturellen und sozialen Denkund Verhaltensweisen, die einen dazu befähigen, „[...] sich in

einer bestimmten Gesellschaft literal zu verhalten“, da Schrift zwar materiell dargestellt, aber gesellschaftlich realisiert wird (RAUTENBERG/WETZEL 2001: 44). Der Lesevorgang wird sozial sowohl durch die Bedeutung, die Schriftsprache für den Einzelnen besitzt, als auch durch den gesellschaftlichen Stellenwert bestimmt (vgl. a.a.O.: 49).

Nach dem Verbreitungsgrad der Leseund Schreibkompetenz von sehr gering bis hin zur Massenalphabetisierung unterscheidet man präliterale, hypoliterale und literale Gesellschaften (vgl. RAUTENBERG/WETZEL 2001: 44). Wobei es sich bei der deutschen um letztere handelt. Der Trend geht jedoch dahin, dass die eigene Lesefähigkeit nur noch dann eingesetzt wird, wenn es privat oder beruflich von Nutzen ist. So machen die Personen in vollständig literalen Gesellschaften, die regelmäßig lesen, nur einen geringen Teil aller Lesefähigen aus. Man spricht auch vom sekundären Analphabetismus oder von „aliterates“, wenn jemand zwar über die formale Fähigkeit des Lesens verfügt, jedoch keine Lust hat zu lesen, besonders wenn es sich um lange Texte wie in Büchern handelt (DÖRRICH 1991: 82).

Die UNESCO schätzt die Zahl der funktionellen Analphabeten, die Menschen, die gar nicht oder nur sehr mangelhaft lesen und schreiben können, in Deutschland auf etwa drei bis vier Millionen. Diejenigen, die lesen können, verfügen allerdings nicht alle über die gleichen Fähigkeiten. In einer Umfrage der OECD 1994/95, in der fünf Grade der Lesekompetenz, von der „[...] ‚Fähigkeit, unter einfachen Bedingungen eine Einzelinformation zu lokalisieren’ bis zur ‚Fähigkeit, hochverdichtete Informationen mit zahlreichen Fehlermöglichkeiten für komplizierte Schlußfolgerungen zu nutzen, und zwar ggf. unter Hinzuziehung speziellen Hintergrundwissens’ “ unterschieden wurden, kam heraus, dass etwa 50 % der Deutschen nicht über die ersten beiden Schwierigkeitsstufen hinauskommen (FOLTIN/OLDEWAGE 1999: 281). Nur 13,4 % bewältigten die zwei höchsten Stufen. Im Gegensatz zu anderen Ländern wie Amerika „[...] gibt es bei uns zwar weniger ganz schwache Leser, aber auch deutlich weniger mit guter oder sehr guter Qualifikation“ (ebd.). Die Ergebnisse der Untersuchungen zur Lesefähigkeit von Kindern und Jugendlichen sind ebenfalls Besorgnis erregend. So ist die Zahl der Kinder mit Sprach(entwicklungs)-Störungen seit den 70er Jahren deutlich angestiegen, was sich v. a. bei Einstellungstests von Auszubildenden in Wirtschaftsunternehmen bemerkbar macht (vgl. a.a.O.: 281f.). Aber auch die eingangs erwähnte PISA-Studie im Jahre 2000 bestätigte diese Zahlen. So war fast „[...] ein Viertel der deutschen SchülerInnen […] nach dem PISA-Test somit gegen Ende ihrer Pflichtschulzeit nur mit minimalen Lesefähigkeiten ausgestattet, jeder zehnte Jugendliche lag sogar unterhalb dieses Minimums“ (EGGERT/GARBE 2003: 160). Die Ursache dafür liegt vermutlich in der Unfä- higkeit der Schulausbildung, „[...] die milieubedingten Bildungsvoraussetzungen auszugleichen: In Deutschland gibt es den stärksten Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und Bildungserfolg [...]“ (EGGERT/GARBE 2003: 161). So kann die Fähigkeit des Umgangs mit literarischen Texten als ein Aspekt des „[...] kulturellen Kapitals [...]“ bezeichnet werden, wie Pierre Bourdieu das Wissen und die Geschicklichkeit bezeichnet, welche die Bildungsund Lebenschancen beeinflussen (ZIMMERMANN 2003: 57f).

1.2.2 Entwicklungen in der BRD

In der BRD wird deswegen vermehrt über die Rolle des Lesens und die Zukunft der deutschen Lesekultur debattiert und Studien, Prognosen und Thesen zu diesem Thema veröffentlicht (vgl. DÖRRICH 1991: 84). Dabei steht seit den 70er Jahren vermehrt die Nutzungsforschung und damit der Leser bzw. das Buch im Verhältnis zu anderen Medien im Mittelpunkt, während man davor hauptsächlich auf die Buchwirkung eingegangen ist (vgl. CONRADY 2001: 20). Es kommen teilweise sehr unterschiedliche Ergebnisse zustande, weil die Lese-Definitionen und die Befragungsarten bzw. die Grundgesamtheiten variieren.

Die Bertelsmann-Studie ‚Lesebarometer’ kommt zu dem Schluss, dass die Erwachsenen ihre Freizeit kaum noch mit Bücherlesen verbringen und Kinder ebenfalls mit zunehmendem Alter ihre Begeisterung am Lesen verlieren. Obwohl sich die Rahmenbedingungen für das Lesen von Büchern und anderen Printmedien durch ein gestiegenes Bildungsniveau und mehr freie Zeit stetig verbessert haben, stagniert der Leseranteil der Bevölkerung seit Jahren (vgl. HEINOLD 2001: 54f.). Diese Entwicklung beeinträchtigt auch den Umgang mit neuen Technologien, da Lesen, Schreiben und Rechnen die Grundlagen und Voraussetzungen für die soziale und gesellschaftliche Kompetenz sind und die darin geübten Anwender im Wissensvorteil sind (vgl. DÖRRICH 1991: 89). So sind Vielleser auch häufiger Nutzer von anderen Medien und es stieg vor allem die Zahl der gelesenen Bücher bei dieser Lesergruppe (vgl. RIEHM/ORWAR/WINGERT 2001: 63, vgl. FRANZMANN 2001: 12). Dadurch besteht die Gefahr, dass sich die Gesellschaft in Informierte und Nicht-Informierte teilt: diejenigen, die lesen, steigern ihren Lesekon- sum immer mehr, während die anderen, trotz der vorhandenen Fähigkeit, kaum oder nie lesen. Dieser „Neo-Analphabetismus“ kann auch für die Wirtschaft und die Politik Konsequenzen haben und deswegen kommt der öffentlichen Leseförderung eine immense Bedeutung zu (HEINOLD 2001: 55). Der verbreitende Buchhandel sollte mit den Institutionen der Leseförderung zusammenarbeiten und sie bei ihren Aktionen unterstützen, da er selbst auch nur davon profitieren kann, wenn sich sein Image als „[...] kulturpolitische Institution [...] innerhalb des Medienverbundes festigen läßt“ (DÖRRICH 1991: 85). Die Schwierigkeit besteht aber nach wie vor darin, dass viele Menschen erfolgreich verbergen, dass sie nicht oder nur mangelhaft lesen und schreiben können bzw. es einfach nicht freiwillig tun (vgl. a.a.O.: 82f.).

Konkrete Befunde über die Lesehäufigkeit und die Lesedauer der Deutschen werden außerdem in der Langzeitstudie zur Mediennutzung ‚Massenkommunikation’, die von der ARD und dem ZDF initiiert wird, sowie in einer Repräsentativbefragung der Stiftung Lesen veröffentlicht. Danach haben im Jahre 1992 16 % der Befragten angegeben, sie lesen täglich, 23 % mehrmals die Woche, 15 % selten, aber nicht jeden Monat und 20 % lesen nie (vgl. FOLTIN/OLDEWAGE 1999: 282). Die Zahlen haben sich im Jahr 2000 kaum verändert und dennoch bezeichneten 77,6 % der Befragten sich selbst als Buchleser (vgl. RIEHM/ORWAR/WINGERT 2001: 60f.). Auch in anderen Untersuchungen kam man zu dem Ergebnis, dass etwa je ein Drittel der deutschen Bevölkerung als

„Vielleser, Gelegenheitsleser und Nichtleser zu klassifizieren ist“ (FOLTIN/OLDEWAGE 1999: 282). Auffällig ist, dass Vielleser nicht mehr freie Zeit zur Verfügung haben als die anderen Gruppen, sondern eher weniger. Sie nehmen sich die Zeit zum Lesen und verzichten dafür auf andere Beschäftigungen (vgl. FRANZMANN 2001: 8).

In den westdeutschen Bundesländern ist laut der o.g. Studie ‚Massenkommunikation’ die Aktivität des Bücherlesens von 1980 bis 1995 um 3 % auf 86 % gestiegen, die dafür verwendete Zeit im gleichen Zeitraum von 22 auf 15 Minuten pro Tag zurückgegangen. Dieser Rückgang trifft besonders auf Personen unter 30 zu. Es wird die freie Zeit unter den verschiedenen Medien aufgeteilt und dabei wurde das Buch weit nach hinten gedrängt. Die Zahl der Buchleser in Ostdeutschland ging merklich zurück, obwohl dort nach wie vor etwas mehr gelesen wird als in Westdeutschland (vgl. a.a.O.: 8ff.).

Besonders von sozial und beruflich Höhergestellten wurde und wird Lesen als positive Beschäftigung angesehen, mit der man sich nicht nur ablenken und entspannen, sondern

auch auf angenehme Art Wissen aneignen kann. Es besteht immer noch ein Zusammenhang zwischen dem Bildungsgrad und der Nutzung von Büchern, der aber langsam zurückgeht (vgl. WITTMANN 1999: 442ff.).

Frauen lesen grundsätzlich mehr als Männer und bevorzugen dabei belletristische Lektüre zur Unterhaltung, während Männer lesen, um sich zu informieren (vgl. RIEHM/ORWAR/WINGERT 2001: 62, vgl. BONFADELLI 2001: 138).

1.3 Lesarten

Der Trend geht aber, besonders bei jüngeren Lesern, Frauen wie Männern, generell dahin, dass hauptsächlich gelesen wird, um sich mit Sachen vertraut zu machen und beruflich fortzubilden. Während Vielleser, die seit ihrer Kindheit mit Büchern vertraut sind, v. a. Romane, Erzählungen und Gedichte lesen, haben Sachund Fachbuchleser keine tiefe Verbundenheit zum Buch und ihr Interesse daran erlischt, sobald sie die Informationen haben, die sie brauchen (vgl. FRANZMANN 2001: 30). Der Anteil der Belletristik, der 1967 noch weit vorn lag, ist zugunsten der Sachund Fachlektüre zurückgegangen. Im Jahre 1992 waren beide gleichauf. Ähnlich wie beim ‚Zappen’ durch das Fernsehprogramm werden auch Bücher oft nur noch angelesen und das herausgepickt, was einen interessiert. Der Grund für dieses selektive Lesen liegt in der Flut an Reizen, die durch die vielen verschiedenen Medien vermittelt werden und „[...] auf ein reduziertes Konzentrationsvermögen [...]“ beim Nutzer stoßen (FOLTIN/OLDEWAGE 1999: 283). Bereits in der Schule werden meist nur Auszüge von literarischen Werken besprochen und „[d]as Magazinformat, das sich ja auch im Radiound Fernsehprogramm durchgesetzt hat und nach wie vor die Publikumszeitschriften strukturiert, greift allmählich auf die Buchproduktion über [...]“ (ebd.). Durch das Überfliegen der Texte nimmt die Lesegeschwindigkeit zu, aber oftmals wird nur gelesen, um Zeit zu überbrücken: im Zug, beim Essen, während man beim Arzt wartet usw. (vgl. Kind 1994: 64).

Es werden verschiedene Arten des Lesens nach ihrer Funktion unterschieden, wobei jede eine bestimmte Typographie erfordert, die bereits bei der Planung und Herstellung eines Titels im Verlag bedacht werden muss. Ich beziehe mich auf die Einteilung von Rautenberg/Wetzel (2001: 46f.). Das lineare Lesen wird bei Prosatexten wie Romanen

und Erzählungen, aber auch in populären Sachbüchern angewendet und meint das fortlaufende Lesen über einen meist längeren Zeitraum. Die entsprechende Typographie sollte dieser freiwilligen und ausdauernden Lektüre angemessen sein. Im Gegensatz dazu wird beim informierenden Lesen meist diagonal gelesen. So werden in Ratgebern oder Zeitungen nur die Artikel oder Beiträge gelesen, die einem die benötigten oder gewünschten Informationen liefern. Typographisch wird der Text deshalb in klar überschaubare Einheiten unterteilt. Wird eine bestimmte Auskunft im Lexikon oder Wörterbuch gesucht, so wendet man das konsultierende Lesen an. Es wird nur ein Stück gelesen und die Typographie zeichnet sich u. a. durch die Hervorhebung der Stichworte, kleine Schriftgrade sowie mehrspaltigen Satz aus. Differenzierendes Lesen ist dem informierenden sehr ähnlich und wird meist beim Lesen wissenschaftlicher Bücher benutzt. Allerdings erfordert es eine noch stärker strukturierte Typographie mit vielen Hervorhebungen. Zum Schluss ist noch das selektierende Lesen zu nennen. Es wird v. a. bei didaktischen Büchern wie Schulund Lernmitteln eingesetzt und ist dadurch gekennzeichnet, dass verschiedene Ebenen eines Textes wie Formeln, Tabellen, Beispiele usw. klar gegliedert werden müssen, damit je nach Bedarf beliebig darauf eingegangen werden kann. Dabei werden typographisch Farben, Markierungen, Kästchen, Flächen usw. eingesetzt (vgl. GROOTHUIS 2001: 112f., vgl. RAUTENBERG/WETZEL 2001: 46f.). Es ist wichtig hervorzuheben, dass die beschriebene Lesetypographie nicht die genannten Buchgattungen hervorbringt, sondern „ [...] sie orientiert sich vielmehr an konkreten gestalterischen Aufgaben, wobei allerdings bestimmte Textsorten auch Buchtypen vorgeben können“ (RAUTENBERG/WETZEL 2001: 47).

2. Begriffsklärungen: Buch und Buchhandel

In diesem zweiten Kapitel soll durch die Eingrenzung des Objektes Buch und die genaue Beschreibung der Bestimmungen des Buchmarkts eine Grundlage geschaffen werden, um von da aus weitere Überlegungen anstellen zu können.

Die verwendete Literatur beschränkt sich auf zwei Hauptwerke, die gelegentlich durch andere Bücher ergänzt werden. Es handelt sich um den Titel „Buch“ von Ursula Rautenberg und Dirk Wetzel, der in der Reihe „Grundlagen der Medienkommunikation“ 2001 bei Niemeyer erschienen ist sowie um das von der Stiftung Lesen ebenfalls im Jahre 2001 herausgegebene „Handbuch Lesen“.

2.1 Begriffsklärung Buch

In „[...] literalen Gesellschaften [...]“ wie der deutschen besteht in der alltäglichen Kommunikation durchaus Einigkeit darüber, was mit dem sprachlichen Ausdruck Buch gemeint ist, da es ein „ [...] wesentlicher Teil der medialen Umwelt [...]“ ist (RAUTEN- BERG/WETZEL, 2001: 1). Das Wörterbuch des Buches definiert das Objekt Buch wie folgt und gibt damit das gängige Alltagsverständnis wieder: „Eine in einem Umschlag oder Einband durch Heftung zus’gefaßte, meist größere Anzahl von leeren, beschriebenen oder bedruckten einzelnen Papierblättern oder Lagen bzw. Bogen“ (HILLER 1980: Buch). Dabei wird die Materialität des Gegenstandes betont und auch die Herkunft des Wortes Buch beweist, dass eine enge Verbindung zwischen der Bezeichnung und dem Objekt besteht (vgl. RAUTENBERG/WETZEL 2001: 1). So geht der Begriff vermutlich auf das Germanische zurück und lässt sich von den Buchenholztafeln ableiten, die ca. seit dem sechsten Jahrhundert als „Beschreibstoff“ dienten (http://www.wissen.de: Buch, Stand: 14.03.2005).

Da das Buch jedoch „[...] in vielfältigen Formen auftreten und unterschiedliche Funktionen [...]“ erfüllen kann, gibt es je nach wissenschaftlichem Schwerpunkt keine eindeutige Antwort auf die Frage danach, was genau ein Buch sei (RAUTENBERG/WETZEL 2001: 1). In diesem Kapitel soll es aber nicht darum gehen, welche Auffassung eine bestimmte Wissenschaftsdisziplin vom Buch hat, sondern wie der Buchhandel den Begriff definiert.

2.1.1 Das Buch als Handelsware

Das Buchhandwerk hat eine ganz konkrete Vorstellung vom Buch, die sich auf die Art der technischen Herstellung bezieht. So besteht es für

„[...] Buchgestalter, Buchdrucker und Buchbinder [...] aus einem Buchblock, der unter Verwendung eines Vorsatzpapiers (Doppelblatt) in eine separat hergestellte Einbanddecke eingehängt wird. Die Art der verwendeten Materialien für Buchblock und Einband, die Bindeart sowie das Buchformat und der Buchumfang bestimmen wesentlich die haptischen und optischen Eigenschaften des Buches. [...] Beim aufgeschlagenen Buch liegen jeweils zwei Seiten nebeneinander, die durch die Symmetrieachse des Buches spiegelbildlich aufeinander bezogen sind und in der Vorwärtsoder Rückwärtsbewegung des Blätterns um diese Achse bewegt werden.“ (RAUTENBERG/WETZEL 2001: 2)

Der Vorläufer davon war der rechteckige Kodex, „[...] ein mit Scharnieren, Ringen oder Riemen zusammengehaltenes Heft, das aus zwei oder mehr hölzernen, mit Wachs überzogenen Tafeln bestand. Diese konnten mit einem Griffel beschrieben werden und waren nach dem Glätten der Oberfläche wieder verwendbar“ (Microsoft Encarta Enzyklopädie 2002: Buch).

Der herstellende und der verbreitende Buchhandel haben diese Definition weitgehend übernommen und benutzen verschiedene Klassifikationsverfahren, um den Buchbegriff näher zu erfassen (vgl. RAUTENBERG/WETZEL 2001: 3). So hat sich die Einteilung nach inhaltlichen Kriterien in verschiedene Warenoder Sachgruppen (Belletristik, Reise, Sachbuch/Ratgeber, Philosophie/Psychologie, Sozialwissenschaften etc.) durchgesetzt. Üblich ist außerdem die Gliederung „[...] nach Lesergruppen (Kinderund Jugendbuch etc.), Verwendungszweck bzw. Leseinteresse (Ratgeber etc.), Sachgebieten, Darstellungsart (Belletristik etc.) oder Niveau (Trivialliteratur, anspruchsvolle Literatur etc.) [...]“ (ebd). In den letzten Jahren hat sich der Buchbegriff des Handels immer weiter ausgedehnt. Er bezieht sich nicht länger nur auf „[...] bedrucktes Papier [...]“, sondern auch CD-ROMs und Hörbücher gelten als Buch, da sie mit einer „International Standard Book Number“ (ISBN) beschriftet sind und im „Verzeichnis lieferbarer Bücher“ (VLB) sowie in der Nationalbibliographie erfasst sind (ebd.). Damit ist nicht länger die Art des Mediums entscheidend dafür, ob es zum Sektor des Buchhandels zugerechnet werden kann, sondern der Inhalt und die Tatsache, dass es sich auf dieselbe Art und Weise vermarkten lässt (vgl. ebd.).

2.1.2 Das Buch aus sozialund kommunikationswissenschaftlicher Sichtweise

Bei der Eingrenzung des Buchbegriffs darf man die sprachwissenschaftliche Zeichentheorie nicht außer Acht lassen (vgl. RAUTENBERG/WETZEL 2001: 4). „Zwischenmenschliche Kommunikation [...]“ meint den Verlauf des Austausches von Zeichen zwischen einem Sender und einem Empfänger, die meist für beide Interaktionspartner eine Bedeutung tragen und darauf abzielen, das Verhalten oder Handeln des Anderen zu beeinflussen. Einzelne Zeichen und Zeichenkomplexe können nur in Verbindung mit einem Medium auftreten. Bei sprachlicher Kommunikation sind es „[...] standardisierte gesprochene Laute oder graphische (geschriebene) Zeichen“ (ebd.). Das Buch ist ein materieller Schriftträger und damit Medium schriftsprachlicher Kommunikation. Es ist ein Sekundärmedium, da es nicht ohne großen Aufwand bei der Herstellung durch den Kommunikator möglich ist, der Rezipient jedoch ohne die Hilfe technischer Geräte mit ihm umgehen kann.6 Im Gegensatz dazu werden bei tertiären Medien wie Radio und Fernsehen kodierte Informationen über eine große Distanz übertragen und technische Geräte benötigt, um die empfangenen Daten wieder zu entschlüsseln (vgl. ebd.).

Der Zeichenträger Buch ermöglicht mehr als nur Sprachkommunikation, da in diesem Zeichensystem über Sprachund Zahlzeichen hinaus auch Musiknoten und Bilder enthalten sein können. Dabei handelt es sich bei allen um „[...] visuelle Ereignisse [, die] optisch entschlüsselt werden [...]“ (a.a.O.: 5). Durch den Vorgang des Schreibens und Druckens gehen Zeichenkomplexe im Buch eine feste Verbindung mit dem beschriebenen bzw. bedruckten Stoff ein, die höchstens dadurch wieder aufgehoben werden kann, dass man die Schrift unkenntlich macht bzw. den Buchkörper vernichtet. So sind die

„Speicherungsvorgänge im Buch […] immer auch Festschreibungen“ von unveränderbaren gedruckten Zeichen, die „ [...] potentiell räumlich wie zeitlich ungebunden“ sind (ebd.). Der Gegenstand Buch selbst ist jederzeit frei beweglich.

Zur Stärke des Buches zählt die Variabilität dieses Mediums hinsichtlich verschiedener Textarten, Themen und Funktionen der Lektüre, die „[...] unabhängig von literarischen, ethischen und kulturpolitischen Wertungen [...]“ sind (a.a.O.: 7). Sowohl das materielle als auch das ideelle Objekt ‚Buch’ ist von der Gesellschaft geschaffen und dabei in ver-

schiedene soziale Vorgänge wie die Herstellung, Verbreitung und den Gebrauch eingebunden und mit bestimmten Werten und Ansprüchen versehen (vgl. RAUTEN- BERG/WETZEL 2001: 10).

Eine vollständige Theorie des Buches würde die Bestimmung der Funktionen des Buches in der Gesellschaft stark vereinfachen, liegt aber leider noch nicht vor. Grundsätzlich hat Schriftlichkeit eine Entlastung für das Gedächtnis des Einzelnen und der Gemeinschaft zur Folge, da man sich nicht mehr alles merken bzw. mündlich weitergeben muss, sondern jederzeit nachschlagen kann. Weiterhin wird das Geschriebene für nahezu jedermann zugänglich. Buchkommunikation zielt darauf ab, veröffentlicht zu werden. Insbesondere bei wissenschaftlichen Texten bedeutet das, die Gesellschaft glaubt an das Geschriebene und spricht Autor und Text eine gewisse Kompetenz zu (vgl. a.a.O.: 42ff.). Das Buch ist nicht wie bspw. das Fernsehen ein Medium, bei dem der Nutzer passiv bleiben kann, sondern es erfordert ständige physiologische und kognitive Anstrengungen und die Kenntnis der „[...] eigene[n] medienspezifische[n] ‚Grammatik’ [...]“ des Buches (a.a.O.: 49). Diese arbeitet zwar mit Schrift und Sprache, ist aber dennoch ein „[...] unabhängiges semiotisches System“ und bezieht sich sowohl auf den Text als auch auf die Bilder auf einer Buchseite (ebd.). Der kulturelle Wert des Bücherlesen ist vermutlich auf diese Besonderheit des Mediums zurückzuführen. So sind gewisse Fähigkeiten auf Seiten des Lesers notwendig, um den Text zu erschließen. Dazu zählen die technische Beherrschung der Schrift und die Aktivität des Lesens, die Fertigkeit, „[...] sich sozial literal zu verhalten [und eben] die Beherrschung einer unter Umständen ausgefeilten buchmedialen ‚Grammatik’“ (ebd.). Nach inhaltlichen Kriterien lassen sich folgende individuelle Funktionen des Buches unterscheiden: „[...] informierend und kommentierend, bildend und unterhaltend [...]“ (a.a.O.: 50). Dieser Einteilung lassen sich die meisten Buchtypen nur eingeschränkt zuordnen, da viele Textsorten in mehrere Kategorien fallen bzw. bei jedem Leser andere Funktionen erfüllen können. Wird das Buch benutzt, um gesellschaftliche Interessen, wie z.B. „[...] systemstabilisierendes oder destabilisierendes [...] Verhalten [...]“ durchzusetzen, spricht man von der

„[ü]berindividuelle[n] Funktion [...]“ (ebd.). Dabei geht es um „[...] Handlungsnormierung, Sozialisation (sozial und kulturell) und Identifikationsbildung“ (ebd.). Es ist aber umstritten, ob das Buch überhaupt in der Lage dazu ist. An dieser Stelle möchte ich

nicht näher darauf eingehen, da dieser Punkt im Abschnitt über die literarische Zensur (Kapitel 5.2) ausführlich behandelt wird.

2.2 Buchhandel: Begriffsklärung und Organisationsformen

Die Bezeichnung Buchhandel umfasst sämtliche „[...] Aktivitäten, die sich mit dem Buch als Handelsobjekt [...]“ befassen und zwischen Literatur und Gesellschaft vermitteln (UHLIG 2001: 358, vgl. DÖRRICH 1992: 22). Dazu zählen das gewerbliche Herstellen sowie Verbreiten von meist schriftsprachlichen Produkten, „[...] die an einen materiellen Träger gebunden sind [...]“ (RAUTENBERG/WETZEL: 62). Wie oben bereits erwähnt, handelt es sich dabei nicht ausschließlich nur um gedruckte Bücher, sondern ebenso um elektronische Medien (vgl. ebd.).

Im „Mitgliederhandbuch des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels“ werden die Gegenstände des Buchhandels klar benannt.

„[Es] sind alle Werke der Literatur, Tonkunst, Kunst, Fotografie, die durch ein grafisches, fonografisches, fotografisches, fotomechanisches oder magnetisches Verfahren (auch im Wege der Fotokopie, Xerografie, Mikrokopie oder dgl.) vervielfältigt sind, wie z.B. Bücher, Zeitschriften, Musikalien, Tonträger, Bildträger, Kunstblätter, Kalender, Diapositive, Atlanten, Landkarten, Globen, Schulwandbilder und andere dieser Begriffsbestimmung entsprechende Lehrund Lernmittel.“ (§ 4 Satzung Börsenverein; Mitgliederhandbuch, 15)

Die Gemeinsamkeit dieser Erzeugnisse ist ihre Funktion: Sie sind Informationsträger und bezwecken Kommunikation. Im Gegensatz zu anderen Handelswaren gibt es im Buchhandel eine sehr große Anzahl von einzelnen Titeln, die nur begrenzt, wie bspw. Lexika oder andere Texte mit austauschbarem Inhalt, miteinander vergleichbar sind. Als Resultat daraus folgt, dass jeder Titel von einem Kunden meist nur einmal gekauft wird und jedes Jahr eine Fülle von Neuerscheinungen auf den Markt kommt. Es müssen immer mehr Titel produziert werden und die Lager müssen immer wieder um diese ergänzt werden (vgl. UHLIG 2001: 359).

Umgangssprachlich wird mit dem Ausdruck Buchhandel meist nur der Buchladen vor Ort gemeint. Der Börsenverein des Deutschen Buchhandels7 unterscheidet jedoch den Buchhandel im weiteren Sinne, dazu zählen das Verlagswesen, der Groß- bzw. Zwischenbuchhandel und der Sortimentsbzw. Bucheinzelhandel, sowie den Buchhandel

im engeren Sinne, der sich auf die Verbreitung bezieht und auf den Groß- bzw. Zwischenhandel und Bucheinzelhandel beschränkt ist. Um Missverständnissen vorzubeugen, spricht man auch vom herstellenden (Verlagsbuchhandel) und vom verbreitenden Buchhandel (Buchgroß- und Einzelhandel) (vgl. UHLIG 2001: 358).

2.2.1 Herstellender Buchhandel

Die Aufgabe des Verlagsbuchhandels ist die Vermittlung von Information zwischen dem Autoren eines Werkes und dem Leser, indem er gewerblich aus Manuskripten Bü- cher produziert, d.h. Texte materiell vervielfältigt, und sie an den Bucheinzeloder Zwischenhandel vertreibt. Die Entscheidung für oder gegen einen bestimmten Autoren oder ein Thema wird vom Programmprofil eines Verlages, aber auch von der Qualität bzw. der Wirtschaftlichkeit beeinflusst (vgl. RAUTENBERG/WETZEL 2001: 62). Ein Verlag ist meistens in Verlagsleitung und folgende Hauptabteilungen gegliedert: Das Lektorat und die Redaktion sind dafür zuständig, geeignetes Material bzw. Autoren zu finden. Die Herstellung fertigt das Buch an. Kleinere Verlage übergeben allerdings die technische Herstellung häufig an Druckereien, so dass es sich nicht mehr um einen Industriebetrieb, sondern vielmehr um ein Dienstleistungsunternehmen handelt. Größere Verlage als Teile eines Multimediakonzerns besitzen oftmals eigene Druckvorrichtungen. Der Absatz der Produkte wird durch das Marketing8 und den Vertrieb geregelt. Die Finanzabteilung und die Verlagsleitung übernehmen die Finanzierung. Das Rechnungswesen und das Controlling überwachen, ob alles nach Plan läuft. Der Verleger selbst oder die Geschäftsführung planen und leiten den Verlag in Abstimmung mit den anderen Abteilungen und strecken zunächst das für Manuskriptbeschaffung, Herstellung und Vertrieb benötigte Kapital vor (vgl. UHLIG 2001: 373f.). Nach der Fertigstellung einer Buchproduktion wird diese an den Bucheinzelhandel, den Zwischenhandel oder im Direktverkauf an den Endkunden vertrieben (vgl. RAUTENBERG/WETZEL 2001: 63). Dabei werden vom Verlag Vertreter eingesetzt, die zweimal im Jahr zu den Buchhandlungen reisen, um Neuerscheinungen bekannt zu machen und zu verkaufen. Außerdem sollen sie sich einen Eindruck davon verschaffen, welche Buchinhalte und –gattungen beim Endkäufer besonders gefragt sind. Der Buchhändler profitiert vom Besuch des Verlagsvertreters, indem ihm höhere Rabatte eingeräumt werden, wenn er seine Bücher bei ihm kauft. Der

Vertreter selbst befindet sich in einer schwierigen Lage, da seine Bezahlung meist von seiner Verkaufsleistung abhängig ist und er somit auch Produkte verkaufen muss, von denen er weniger überzeugt ist (vgl. RAUTENBERG/WETZEL 2001: 93).

Verlage werden meist nach inhaltlichen Gesichtspunkten oder Zielgruppen, wie zum Beispiel Sachbuchverlag oder Kinderund Jugendbuchverlag, unterteilt (vgl. UHLIG 2001: 377).

2.2.2 Verbreitender Buchhandel

Der Zwischenbuchhandel ist Teil des verbreitenden Buchhandels und vermittelt zwischen Verlag und Sortiment. Er fungiert als Großhandel und Dienstleister. Große Bü- cherlager mit den gängigen lieferbaren Titeln werden von „Barsortimenter[n] und Buchgroßhändler[n] [...] in eigenem Namen und auf eigene Rechnung [gehalten], um Sortimentsbuchhandlungen kurzfristig mit fehlenden Einzeltiteln (z.B. Kundenbestellungen) zu beliefern, deren Bezug über den Verlag zu langwierig wäre“ (RAUTEN- BERG/WETZEL 2001: 63). Die Auslieferung erfolgt über ein eng vernetztes Logistiksystem in fast jede deutsche Buchhandlung innerhalb von einer Nacht. Vorteile für den Bucheinzelhandel sind neben der schnellen Lieferung auch die Möglichkeit von Sammelbestellungen bei nur einem Auslieferer. Allerdings fällt der Sortimenterrabatt bei dieser Art von Bestellungen deutlich geringer aus als bei direkter Verlagsbestellung und die Möglichkeiten zur Rücksendung von nicht verkauften Titeln sind begrenzt (vgl. a.a.O.: 93). Beim Kommissionsbuchhandel werden die Bücher im Auftrag des Verlegers oder des Sortimenters auf Provisionsbasis vermittelt. Die Verlagsauslieferung, auch Verleger-Kommissionär genannt, übernimmt für den Verlag die Lagerhaltung und den Versand der Bestellungen an Bucheinzelhandelskunden und spart ihm damit Kosten für die Einlagerung, das Rechnungswesen und den Transport ein. Auch Sortimenter können so einen Dienst in Anspruch nehmen und das Bestellwesen und den Büchersammelverkehr an einen Sortimenter-Kommissionär abgeben (vgl. a.a.O.: 63.).

Der Bucheinzelhandel verkauft die Handelsware Buch an den Endkunden. Es werden verschiedene Betriebsformen unterschieden. Der klassische Sortimentsbuchhandel erbringt dabei den größten Teil des gesamten Umsatzes des Buchhandels (vgl. UHLIG 2001: 379). Er hat „ein allgemeines oder spezialisiertes (Fachbuchhandlung, wissen-

schaftliche und Universitätsbuchhandlung) Angebot vorrätig und kümmert sich um das Bestellgeschäft“ (RAUTENBERG/WETZEL 2001: 63). Über Neuerscheinungen und aktuelle Trends informiert sich der Buchhändler durch die Halbjahres-Programmvorschau der Verlage, die Besuche des Verlagsvertreters, die Lektüre von Fachzeitschriften und das Verzeichnis lieferbarer Bücher (vgl. HEINOLD 2001: 177f.).

Titel, die nicht am Lager sind, werden über den Zwischenbuchhandel bestellt und können deutschlandweit innerhalb von 48 Stunden geliefert werden. Besonders in Groß- städten sind in den letzten Jahren Großsortimente in Form von Buchund Medienkaufhäusern entstanden, die über ein breites Angebot an Büchern und elektronischen Medien verfügen (vgl. UHLIG 2001: 379). Dazu kommen immer mehr Filialunternehmungen mit dem Ziel einer „Umsatzerhöhung durch Dezentralisierung des Angebots“ (a.a.O.: 379f.). Indem man so gut wie überall erreichbar ist, will man möglichst viele Kunden anziehen. Von Vorteil ist dabei auf ökonomischer Seite die Möglichkeit, größere Mengen eines Titels zu ordern und dadurch höhere Rabatte bei den Verlagen gewährt zu bekommen. Gleichzeitig muss aber ein hoher Logistikaufwand betrieben werden, was die Bereiche des Warenlagers, der Verteilung und das Personal betrifft. Weitere Betriebsformen, auf die ich an dieser Stelle nicht eingehe, sind der Warenhausbuchhandel, der Bahnhofsbuchhandel und der Antiquariatsbuchhandel (vgl. UHLIG 2001: 380ff.). All diese Betriebsformen sind an ein Ladengeschäft gebunden (vgl. RAUTENBERG/WETZEL 2001: 63). Daneben gibt es den Reiseund Versandbuchhandel, den werbenden Buchund Zeitschriftenhandel sowie den Internetbuchhandel, der sich gerade in den letzten Jahren in Deutschland mehr und mehr durchgesetzt hat und gesondert im sechsten Kapitel erläutert wird (vgl. UHLIG 2001: 380ff.).

Die Anzahl der Verkaufsstellen insgesamt kann nur auf mehrere Zehntausend geschätzt werden, da durch den großen Nebenmarkt und die vielen Mischformen wie Bahnhofsbuchhandel, Schreibwarengeschäfte, die Bücher führen usw. keine konkreten Angaben möglich sind (vgl. RAUTENBERG/WETZEL 2001: 94).

2.2.3 Gesellschaftliche Aufgabe des Buchhandels

Der gesamte Buchhandel, Verleger wie auch Sortimenter, trägt eine große Verantwortung, da er für die Vermittlung, die strukturierende Auswahl und eine angemessene,

„[...] auch wirtschaftlich [vertretbare] Präsentation von Texten für den Endverbraucher

– das Publikum im privaten wie im öffentlichen Bereich“ zuständig ist (UHLIG 2001: 358). Auf die Funktion des Buches wurde bereits unter Punkt 2.1.2 eingegangen. Es unterhält seinen Leser, aber in erster Linie informiert es diesen. Verleger und Buchhändler sind demnach „[...] wichtige Agenten des Wissenstransfers in einer Gesellschaft“ (UHLIG 2001: 358). Das Objekt Buch und seine Organisation bilden eine feste Einheit und der Buchhandel steht hinter seinen Produkten. Verleger und Sortimenter treffen Entscheidungen, was veröffentlicht und verkauft wird und nehmen dem Autor dadurch einen Teil seiner Verantwortung ab. Damit wird ihr wirtschaftliches Handeln zu einem politischen Gegenstand. Der Buchhandel hat die Aufgabe, dafür zu sorgen, dass die Literatur, die für eine Gesellschaft von Bedeutung ist, fortwährend produziert wird und für den Leser zugänglich bleibt (vgl. RAUTENBERG/WETZEL 2001: 65f.). Er spielt eine bedeutende soziale Rolle. Unter dem Begriff der sozialen Rolle wird aus soziologischer Sicht eine soziale Position und die damit verbundenen normativen Verhaltenserwartungen verstanden (vgl. HILLMANN 1988: 111).9 Rollenerwartungen treten in

Verbindung mit positiven oder negativen Sanktionen auf. Es werden „[...] Muß-, Soll- und Kann- Erwartungen unterschieden“, wobei „Muß-Erwartungen [...] aus Rechtsnormen resultieren“ (ebd.).10 Hier beginnt der Konflikt des Buchhändlers. Einerseits erwarten die Buchkäufer von ihm, dass er literarische, wissenschaftliche und politische Inhalte auswählt und zu günstigen Bedingungen an die gesamte Bevölkerung, die interessiert ist, vermittelt. Andererseits muss er als Wirtschaftsorganisation auch gewinnorientiert denken, um auf dem Buchmarkt zu überleben (vgl. UHLIG 2001: 358). Der Buchhändler als Rolleninhaber ist verschiedenen Erwartungen seiner Rollenpartner ausgesetzt, die kaum miteinander vereinbar sind.

Mit der immer besser werdenden Versorgung durch andere Massenmedien wie Kino, Radio und Fernsehen hat sich das Berufsbild des Buchhändlers zudem in den letzten Jahrzehnten gewandelt. Das Buch ist nicht mehr der einzige Träger von wissenschaftlichen oder geistigen Inhalten und auch andere Medien können die Werte einer Gesellschaft vermitteln. Es wird aber dennoch an den alten Argumenten festgehalten (vgl.

RAUTENBERG/WETZEL 2001: 66f.). Das Kulturgut Buch hat eine wichtige „[...] gesellschaftliche Funktion [...]“ (BAER U.A. 2001: 464). Dabei können längst nicht mehr alle Produkte des Buchmarktes als Kulturgut bezeichnet werden, das es zu schützen und erhalten gilt, wenn man an die Trivialliteratur denkt (vgl. KERLEN 2001: 253).

In den letzten Jahren ist es für den Buchhändler schwieriger geworden, zwischen Verlag und Leser zu vermitteln. Grund dafür ist die Welle an jährlichen Neuerscheinungen. Der Leser erfreut sich an diesem vielfältigen Angebot, der Buchhändler kann ihn allerdings kaum noch umfassend beraten, da es ihm selbst nicht gelingt, sich einen Überblick über alle neuen Titel zu verschaffen. Damit entspricht der Buchhändler immer weniger seiner selbst so stark betonten Aufgabe als Vermittler von kulturellen Werten und ist ein Kaufmann wie jeder andere (vgl. DÄHNE 1998: 71).

Um diese schwierige Situation des Buchhandels zur allseitigen Zufriedenheit zu lösen, greift der Staat unterstützend in den Buchmarkt ein, wie im nächsten Kapitel näher ausgeführt wird.

3. Der deutsche Buchmarkt

In diesem Kapitel wird herausgearbeitet, wie der deutsche Buchmarkt strukturiert ist. Dabei geht es zunächst um die Sonderstellung der Ware Buch und die damit verbundenen staatlichen Vergünstigungen. Im Mittelpunkt stehen die Buchpreisbindung und ihre Auswirkungen. Ein weiterer Punkt sind die aktuellen Entwicklungstendenzen, was Umsatz und Marketing betrifft. Abschließend wird das Buchkaufverhalten näher betrachtet.

3.1 ‚Books are different’ – Geist oder Ware?

Die Wirtschaftssoziologie geht davon aus, „[...] daß die Regeln, nach denen sich die Handlungen in einem Wirtschaftssystem richten, nicht allein ökonomischer Natur, sondern auch gesellschaftlich bedingt sind“ (BUß 1995: 1). Während die klassische Ökonomie nur die Wirtschaft als Einheit betrachtet, blickt die Soziologie darüber hinaus und bezieht auch gesellschaftliche Einflüsse in ihre Untersuchung mit ein. Sämtliche Lebensbereiche wie Wirtschaft, Politik, Kultur, Recht, Religion usw. „[...] können zwar unabhängig voneinander definiert und erklärt werden, aber in der Praxis überschneiden sie sich und beeinflussen sich gegenseitig [und] wirken zusammen“ (ebd.). Die Wirtschaft ist immer darauf angewiesen, dass auch alle anderen gesellschaftlichen Bereiche funktionieren: Die Politik ist dafür zuständig, den Frieden zu sichern, das Wissenschaftssystem sorgt für einen ständigen Erkenntnisfortschritt usw. (vgl. a.a.O.: 67).11

Unsere moderne Wirtschaft ist „[...] ein soziales System[...]“: kulturelle Institutionen bestimmen die Bedeutung wirtschaftlichen Handelns; es gibt „[...] Regeln des Handelns, Regeln der Legitimationsbeschaffung, Funktionen und Werte [...]“, die ebenfalls gesellschaftlich festgelegt sind (a.a.O.: 2). In Deutschland hat man sich für die Variante der sozialen Marktwirtschaft entschieden. Der Staat ist verpflichtet, „[...] ausgleichend, schützend, umverteilend in die Wirtschaft einzugreifen“ (a.a.O.: 17). Er darf sich

„[...] in die selbstregulativen Prozesse der Wirtschaft [einschalten], um die allgemeine Daseinsvorsorge sicherzustellen, Machtungleichgewichte zu verhindern und die Interessen aller Wirtschaftssubjekte auf sozialen Schutz zu wahren. Er leistet dies, indem er beispielsweise Steuern und Abgaben erhebt, Konjunkturförderungsprogramme auflegt, Mitbestimmungsgesetze erlässt, Subventionen gewährt und das vielzitierte soziale Netz knüpft. Das Recht und die Verpflichtung des Staates zum legitimen Eingriff in die Wirtschaft sind Ausdruck des Sozialstaatenprinzips als einer Institution der sozialen Marktwirtschaft.“ (a.a.O.: 18)

Mit diesen Eingriffen soll in Deutschland und anderen hoch industrialisierten Staaten verhindert werden, dass sich wirtschaftliche und kulturelle Aktivitäten in bestimmten Regionen eines Landes ballen, während andere Regionen brach liegen (vgl. BUß 1995: 45).

Im Falle des deutschen Buchmarktes subventioniert der Staat den herstellenden und vertreibenden Buchhandel mit gemilderten politischen Rahmenbedingungen. Erklärt werden diese damit, dass Güter von kultureller Bedeutung oft schwieriger herzustellen und zu verkaufen sind (vgl. BAER U.A. 2001: 464). Bücher vermitteln kulturelle und allgemeine gesellschaftliche Informationen und aus diesem Grund muss die Gesellschaft dafür sorgen, dass sie verbreitet und dem Publikum zugänglich gemacht werden können, indem sie die zuständigen Produzenten und Händler dabei unterstützt (vgl. UH- LIG 2001: 360). Die Begründung dafür ist eng verbunden mit dem Selbstverständnis des Buchhandels, wie es sich im 18. Jahrhundert herausgebildet hat und noch immer gilt. So erkennt man zwar mittlerweile den Warenwert des Buches an, aber in erster Linie sieht man das Buch nach wie vor als Kulturgut oder als Vermittler dessen an, was in einer Gesellschaft von Bedeutung ist (vgl. RAUTENBERG/WETZEL 2001: 64, vgl. BAER U.A. 2001: 464).

Ohne diese staatspolitische Subvention wäre der Buchhandel in der bestehenden Form gar nicht möglich. So erhält er kartellrechtliche Sonderstellungen, finanzielle Vergünstigungen und Rechtsschutz (vgl. RAUTENBERG/WETZEL 2001: 89ff.).

3.1.1 Buchpreisbindung

Die Buchpreisbindung ist eine bedeutende Ausnahmeregelung, die im § 16 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen verankert ist, da die BRD grundsätzlich keine Preiskartelle erlaubt und der Preis sich nach Angebot und Nachfrage richten soll (vgl. RAUTENBERG/WETZEL 2001: 64). Sie ermöglicht, dass der Verlag die Verkaufspreise festlegt und tritt beim Endkäufer in Kraft. Der Verlag gewährt dem Bucheinzelhändler einen Rabatt auf den Buchverkaufspreis und nach Abzug sämtlicher Kosten berechnet sich daraus der Gewinn oder Verlust des Buchhändlers (vgl. UHLIG 2001: 359).

Die Preisbindung wurde in Deutschland 1888 vom Börsenverein des Deutschen Buchhandels durchgesetzt und steht seitdem immer wieder in der Kritik (vgl. RAUTENBERG/WETZEL 2001: 64).

[...]


1 Als wichtige Werke sind die „Geschichte des Deutschen Buchhandels“ (1886 – 1913) von F. Kapp und J. Goldfriedrich und „Die Geschichte des deutschen Buchhandels“ (1999) von R. Wittmann sowie die „Wolfenbütteler Bibliographie zur Geschichte des Buchwesens im Deutschen Sprachgebiet“ (1999) und die jährlich erscheinende „Bibliographie der Buchund Bibliotheksgeschichte“ zu nennen.

2 Sie werden regelmäßig von der Bertelsmann Stiftung, dem Börsenverein des Deutschen Buchhandels und dem Allensbacher Institut in Auftrag gegeben.

3 Diese „ Marktbzw. Konsumforschung “ versucht, das Angebot auf die potentiellen Nutzer abzustimmen (BONFADELLI 2001: 100).

4 Folgende wissenschaftliche Disziplinen forschen neben der Freizeitsoziologie in diesem Bereich: Freizeitpsychologie, -pädagogik, -ökonomie, -ökologie, -sportwissenschaft, -kulturwissenschaft u.dgl.m. (vgl. PRAHL 2002: 28). Hauptbereiche der Forschung sind der Tourismus/Fremdenverkehr, Medien/Kommunikation, Kultur/Kulturelle Bildung, Sport/Spiel und Konsum/Unterhaltung (vgl. OPASCHOWSKI 1998: 92).

5 Es zeigt sich aber, dass Frauen generell weniger Freizeit zur Verfügung haben, weil sie sich noch immer mehr um Kinder und Haushalt kümmern müssen als Männer (vgl. PRAHL 2002: 174).

6 Vorausgesetzt wird jedoch die Fähigkeit zum Lesen, auf die bereits im ersten Kapitel Bezug genommen wurde.

7 Der Börsenverein ist die größte deutsche Buchhandelsorganisation. Seine Tätigkeiten werden in Punkt 3.4 dieser Arbeit beschrieben.

8 Die konkrete Bedeutung und Aufgabe von Marketing im Buchhandel wird in Punkt 3.2.3 erläutert.

9 Innerhalb der Wirtschaft werden u.a. folgende soziale Rollen unterschieden: Arbeitgeber und Arbeitnehmer, Händler, Käufer/Verbraucher, Unternehmer, Arbeiter (vgl. HILLMANN 1988: 50).

10 Als Beispiele nennt Hillmann, dass es dem Verbraucher verboten ist, Ladendiebstahl zu begehen und der Händler den Kunden nicht betrügen darf (1988: 111).

11 Mit diesem Ausspruch legte das englische Kartellgericht im Jahre 1962 die Sonderstellung der Handelsware Buch im Wirtschafsrecht fest (vgl. RAUTENBERG/WETZEL 2001: 63).

Ende der Leseprobe aus 107 Seiten

Details

Titel
Gesellschaftliche Aspekte der Entwicklung des deutschen Buchhandels
Hochschule
Universität Duisburg-Essen
Note
1,0
Autor
Jahr
2005
Seiten
107
Katalognummer
V113306
ISBN (eBook)
9783640140251
ISBN (Buch)
9783640140503
Dateigröße
960 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Gesellschaftliche, Aspekte, Entwicklung, Buchhandels
Arbeit zitieren
Sara Walden (Autor:in), 2005, Gesellschaftliche Aspekte der Entwicklung des deutschen Buchhandels, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/113306

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