Die Prozesse gegen die RAF Terroristen

Stammheim 1977


Seminararbeit, 2008

24 Seiten, Note: Sehr gut


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Literaturverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

I. Einleitung

II. Der Deutsche Staat und die RAF
1. Terrorismus versus Alltagskriminalität
2. Im Vorfeld des Stammheimer Prozesses

III. Der Prozess
1. Zuständigkeit und Tatbestand
2. Verteidigerausschuss - § 138a - d StPO
3. Einschränkung der Anzahl Wahlverteidiger auf maximal drei -
§ 137 StPO
4. Verbot der Mehrfachverteidigung - § 146 StPO
5. Verhandlung in Abwesenheit des Angeklagten - § 231a StPO

IV. Epilog und Zusammenfassung

Literaturverzeichnis

Die angeführten Autoren/Autorinnen werden, wenn bei den einzelnen Publikationen nicht anders angegeben, mit ihrem/ihren Nachnamen und der betreffenden Seitenzahl oder Randnote zitiert.

- Bakker Schut Pieter, Stammheim – Der Prozess gegen die Rote Armee Fraktion, 2. Auflage, Amsterdam/Bordesholm 1997
- Bressan Susanne / Jander Martin, „Gudrun Ensslin“ in „Die RAF und der linke Terrorismus“, Band I, Kraushaar Wolfgang (Hrsg.). 1. Auflage, Hamburg 2006 (zit. Susanne Bressan / Martin Jander)
- Eschen Klaus, „Das Sozialistische Anwaltskollektiv“ in „Die RAF und der linke Terrorismus“, Band II, Kraushaar Wolfgang (Hrsg.). 1. Auflage, Hamburg 2006 (zit. Klaus Eschen)
- Hekmi Sara, "Terrorismus und Avantgarde" in „Die RAF und der linke Terrorismus“, Band I, Kraushaar Wolfgang (Hrsg.). 1. Auflage, Hamburg 2006 (zit. Sara hekmi)
- Jander Martin, „Horst Mahler“ in „Die RAF und der linke Terrorismus“, Band I, Kraushaar Wolfgang (Hrsg.). 1. Auflage, Hamburg 2006 (zit. Martin Jander)
- Kraushaar Wolfgang, „Mythos RAF“ in „Die RAF und der linke Terrorismus“, Band II, Kraushaar Wolfgang (Hrsg.). 1. Auflage, Hamburg 2006 (zit. Wolfgang kraushaar)
- Reinecke Stefan, „Die linken Anwälte“ in „Die RAF und der linke Terrorismus“, Band II, Kraushaar Wolfgang (Hrsg.). 1. Auflage, Hamburg 2006 (zit. Stefan reinecke)
- Römig Wolf, Der Prozess - Justiz in der Bundesrepublik Deutschland am Beispiel Peter-Jürgen Boock 1983/1984 zu Stuttgart Stammheim, Komitee für Grundrechte und Demokratie (Hrsg), 2. Auflage, Sensbachtal 1985 (zit. Wolf römig)
- Stuberger Ulf G., Die Tage von Stammheim, 1. Auflage, München 2007
(zit. Stuberger, "Die Tage von Stammheim")
- Stuberger Ulf G., In der Strafsache gegen Andreas Baader, Ulrike Meinhof, Jan-Carl Raspe, Gudrun Ensslin wegen Mordes u.a., Neuausgabe 2007
(zit. Stuberger, "In der Strafsache gegen.."
- Weinhauer klaus „Staat zeigen“ in „Die RAF und der linke Terrorismus“, Band II, Kraushaar Wolfgang (Hrsg.). 1. Auflage, Hamburg 2006 (zit. klaus weinhauer)
- wesel uwe, „Strafverfahren, Menschenwürde und Rechtsstaatprinzip“ in „Die RAF und der linke Terrorismus“, Band II, Kraushaar Wolfgang (Hrsg.). 1. Auflage, Hamburg 2006 (zit. uwe wesel)
- Wieland Karin, „Andreas Baader“ in „Die RAF und der linke Terrorismus“, Band I, Kraushaar Wolfgang (Hrsg.). 1. Auflage, Hamburg 2006 (zit. Karin Wieland)

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

I. Einleitung

Während der juristischen Aufarbeitung des „Deutschen Herbst“ anlässlich dieser Arbeit bin ich zur für mich erstaunlichen Einsicht gekommen, dass die vorhandene Literatur zu einem sehr grossen Teil in irgendeiner politischen Couleur „eingefärbt“ ist[1]. Eine objektive Betrachtung des Prozesses und damit eine gänzlich nüchterne Beurteilung bzw. Aufarbeitung der damaligen Ereignisse scheint auch mehr als 30 Jahre später schwierig zu sein. Diesen Anspruch muss die vorliegende Arbeit m.E. aber auch nicht per se erfüllen. Die Deutsche Justiz sah sich in den Jahren 1974 bis 1977 mit Fragen konfrontiert, die sie nach dem Ende des nationalsozialistischen Regimes wohl bereits im Fundus der Geschichte entsorgt hatte. Das Studium der vorhandenen Literatur hat für mich gezeigt, dass i.c. Staat und Justiz wohl bisweilen selber überfordert gewesen sind und die Personen der RAF mit jenen Waffen geschlagen hat, die die nämlichen selber in den Kampf mitbrachten: Mit brachialer und teils unmenschlicher Gewalt.

II Der Deutsche Staat und die RAF

1. Terrorismus versus Alltagskriminalität

Ganz offensichtlich wurden in den Prozessen gegen die beschuldigten Mitglieder und Mitläufer der RAF andere Regeln angewendet, als in konventionellen Gerichtsverfahren[2].

Die bisher klare und unverrückbare Gewaltentrennung zwischen Politik und Justiz wurde durchlässig[3] und der Staat bediente sich seines einflussreichsten Instruments zur Bekämpfung des RAF Terrorismus; der Polizei[4]. Interessant ist, dass sich die vorliegende Literatur praktisch durchwegs (zumindest implizit) kritisch zur Einmischung der Politik äussert. Neben der immer fliessender werdenden Grenze zwischen Justiz und Politik ist auch festzustellen, dass RAF Mitglieder sehr oft im bereits im Vorfeld des Prozesses öffentlich vorverurteilt wurden[5]. Die Frage, ob die Justiz dem Druck der Politik überhaupt standhalten mochte ist m.E. sehr berechtigt und lässt zumindest Zweifel aufkommen, dass ein objektiv fairer Prozess überhaupt möglich gewesen ist. Immer wieder finden sich in der Literatur (zynische) Hinweise, die eine Ähnlichkeit zwischen den RAF Prozessen und denjenigen vor den nationalsozialistischen Volksgerichten herleiten wollen[6]. Es ist keine Frage, dass dieser Vergleich an den Haaren herbeigezogen ist und doch entsteht manchmal der fahle Nachgeschmack, dass die Deutsche Öffentlichkeit sich sehr schwer getan hat im Umgang mit den Exponenten der RAF bzw. mit dem Prozess gegen nämliche[7]. Im Vorwort einer Biographie des RAF Kadermannes Andreas Baader steht beispielsweise, dass die Stuttgarter Bevölkerung den Leichnam Baaders in der städtischen Müllabfuhr hätte „entsorgen“ wollen. Die Frage, ob der Prozess letztlich fair abgelaufen ist dürfte sehr schwierig zu beantworten sein. Ohne polemisch wirken zu wollen ist letztlich festzuhalten, dass auch der Prozess in einem Unrechtsstaat dogmatisch wohl immer irgendwie fair ist. Die v.a. von der linken Verteidigung vorgebrachten Argumente, wonach der Deutsche Staat durch die Einführung diverser Gesetze dafür gesorgt habe, dass das Verfahren im Sinne der Politik ablaufen würde, können m.E. nicht einfach so übernommen werden[8].

2. Im Vorfeld des Stammheimer Prozesses

In dieser Arbeit werden die kriminelle Taten der RAF nicht weiter beleuchtet. Im Jahr 1972 wurden die RAF Mitglieder Andreas Baader, Gudrun Ensslin, Ulrike Meinhof, Holger Meins und Jan-Carl Raspe nach der so genannten Mai Offensive durch die westdeutsche Polizei festgenommen[9]. Holger Meins kam in die Haftanstalt Wittlich und starb am 9. November 1974 nach einem wochenlangen Hungerstreik. Die anderen vier wurden zwar nach ihren Verhaftungen in verschiedenen Haftanstalten eingesperrt, kamen für den Prozess letztlich aber alle in die Haftanstalt Stuttgart Stammheim[10]. Keiner der vier Beschuldigten erlebte den Urteilsspruch, da sie sich bereits vorgängig das Leben genommen haben. Im Zusammenhang mit dem Stammheimer Prozess wurden verschiedene Gesetzesänderungen vorgenommen[11], welche in der Folge genauer untersucht werden. Ich möchte einleitend erwähnen, dass ich mich explizit auf die Rechtsstaatlichkeit der neu geschaffenen Normen konzentriert habe und diese unter anderem mit Auslegung zu analysieren versuchte. Nicht untersucht habe ich die Umstände, dass die Gesetze während eines laufenden Prozesses geschaffen und angewendet worden. Dies weil die Anwendung von neuem Recht unter dem Titel der Intertemporalität grundsätzlich kein Problem ist. Die Frage ist i.c. jeweils einfach, ob das richtige zur Beurteilung angewendet worden ist oder nicht. Dieser Frage bin ich wiederum verschiedentlich nachgegangen.

III. Der Prozess

1. Zuständigkeit und Tatbestand

Die Justiz sah sich mit der Frage konfrontiert, wo die beschuldigten RAF Mitglieder vor Gericht gebracht werden sollten und v.a. i.Z. mit welchem Sachverhalt. Aufgrund der komplexen Zuständigkeitsregelung[12] in der deutschen Strafverfolgung entschied sich die Bundesanwaltschaft, das Verfahren unter den Titel von § 129 StGB zu stellen. Dieser „Kunstgriff“ ermöglichte es der Bundesanwaltschaft, alle Beschuldigten zusammen und an einem eigens für den Prozess geschaffenen Sondergericht anzuklagen[13]. Bemerkenswert ist, dass die einzelnen Beschuldigten eben gerade nicht primär wegen den ihnen zur Last gelegten Delikten gegen Leib und Leben (so z.B. Tötungsdelikte, Körperverletzung, Entführung) bzw. wegen Sprengstoffdelikten angeklagt worden sind. Hätte sich die BAW zu diesem Vorgehen entschieden, so wäre die Zuständigkeit bei verschiedenen Staatsanwaltschaften gelegen. Es ist nahe liegend, dass die Verteidigung sich sehr kritisch zu diesem Vorgehen gestellt hat. Eine dezentrale Anklagevertretung wäre sicherlich wesentlich schwieriger zu handhaben gewesen. Interessant scheint die juristische Beurteilung der Frage, warum die Bundesanwaltschaft bereits in dieser frühen Phase der Strafuntersuchung über den tatbestandsmässigen Anfangsverdacht urteilen konnte bzw. musste[14]. Im § 74a, Abs. 2 GVG wird beschrieben, dass der Bundesanwalt in Fällen mit besonderer Bedeutung bereits zu Beginn der Ermittlungen (i.c. Verfolgung) zuständig zeichnet[15]. Vorliegend und unter Berücksichtigung des speziellen Wortlautes von § 129 StGB ist anzunehmen, dass die Auslegung von § 74a, Abs. 2 GVG eben gerade dann die Zuständigkeit des Bundesanwalts bejaht, wenn der Staat in seiner inneren Sicherheit gefährdet ist bzw. sich als gefährdet betrachtet. Die eher kritische Haltung von Bakker Schut[16] teile ich nicht. Die Frage nach dem Tatbestand ist nach meiner Meinung nicht kausal zur Frage des strafprozessualen Vorgehens. Wenn von § 129 StGB ausgegangen wird, dann muss § 74a, Abs. 2 GVG zwangsläufig greifen. Dem Bundesanwalt vorzuwerfen[17], er hätte den betreffenden Tatbestand gewählt um ein Sondergericht rechtfertigen zu können und seine eigene Zuständigkeit zu legitimieren greift meines Erachtens zu kurz. Vielmehr könnte man sich fragen, ob der Deutsche Gesetzgeber in diesem komplexen Verfahren von Zuständigkeiten und Kompetenzen nicht etwas gar langatmig legeferiert hat. Darüber ist aber an dieser Stelle nicht zu urteilen, auch wenn die rechtsgeschichtliche Betrachtung des Deutschen (Prozess-)Rechts m.E. sehr interessant ist. Damit die BAW überhaupt § 129 StGB hat anwenden können, musste sie vorgängig die kritische Frage nach dem vorhanden sein einer kriminellen Vereinigung beantworten. In Bejahung[18] dieser Frage hat die westdeutsche Justiz gegenüber den ersten RAF Prozessen eine 180° Drehung vollzogen[19]. Zu bedenken ist auch, dass die Festnahmen der Baader-Meinhof Gruppe lange vor den bekannten RAF Tötungsdelikten erfolgt sind. Womit ich keineswegs eine Verharmlosung der von Baader und Co. begangenen Tötungsdelikten propagieren möchte; vielmehr lässt es erahnen, wie sehr sich die Stimmung in Deutschland zwischen 1968 und 1972 geändert hat[20].

2. Verteidigerausschluss - § 138 a-d StPO

Im Rahmen der Ermittlungen[21] gegen die Baader – Meinhof Gruppe entwickelte sich bei der BAW immer mehr die Überzeugung, die Verteidiger der RAF Mitglieder seien entweder selber im RAF Netzwerk aktiv oder wären zumindest Sympathisanten[22]. Ohne eigentliche (kodifizierte) gesetzliche Grundlage wurde bereits im Jahr 1972 der spätere Bundesinnenminister Otto Schily als Verteidiger von Gudrun Ensslin ausgeschlossen[23]. Dies nachdem er einen Kassiber aus der Zelle von Ensslin herausgeschmuggelt und diesen der später ebenfalls verhafteten Ulrike Meinhof übergeben haben soll[24]. Die Tat wurde Otto Schily als solches nie nachgewiesen, dafür hat der BGH in einer klassischen Beweisumkehr festgehalten, dass Gudrun Ensslin ja ihrerseits zugeben könne, wer die inkriminierte Notiz aus ihrer Zelle geschmuggelt habe. Mit einer entsprechenden Aussage würde sie den beschuldigten Anwalt entlasten[25]. Interessanterweise soll der BGH den Ausschluss Schilys mit Gewohnheitsrecht begründet haben. Eine m.E. doch sehr gewagte Begründung für ein faktisches Berufsverbot und damit einen nicht unerheblichen Eingriff in die Grundrechte[26]. Offensichtlich gelangte man auch auf Seite des deutschen Gesetzgebers zu dieser Einsicht und brachte in Rekordzeit den besagten § 138 a – d StPO durch das Parlament[27]. Bemerkenswert ist der Umstand, dass in der ersten Anwendung von § 138a StPO eine wichtige Grundregel des demokratischen Rechtsverständnisses gebrochen wurde. Der Grundsatz, wonach immer das für den Täter mildere Recht zur Geltung kommen muss. Rechtsanwalt Hans Christian Ströbele – Pflichtverteidiger von Andreas Baader wurde wird nach in Kraft treten von Art. 138a StPO von der Pflichtverteidigung Baaders entbunden und zwar aufgrund von Indizien, die vor der Gültigkeit der neuen Bestimmungen erhoben worden sind[28]. Ich stelle hier keinesfalls die Rechtmässigkeit des Gesetzgebungsverfahrens in Frage und masse mir auch nicht an, die Anwendung des Gesetzes zu kritisieren. Indessen ist es m.E. durchaus angezeigt, einen so eminent wirkenden Paragraphen auch aus heutiger Sicht kritisch zu hinterfragen. Erstes prominentes Opfer von § 138 StPO wurde der Baader Anwalt Klaus Croissant[29]. Klaus Croissant wurde mit der Begründung ausgeschlossen, er stehe unter dem dringenden Verdacht, die kriminelle Vereinigung des Angeklagten Baader zu unterstützen[30]. Ausführlicher und auch sehr viel kritischer äussert sich (naturgemäss) Bakker Schut zur Ausschliessung Croissants[31]. Objektiv betrachtet gab § 138 a – d StPO der Justiz ein ungeheures Machtinstrument in die Hand. Letztlich genügte es, wenn sich ein Anwalt rhetorisch und / oder durch seine politische Haltung in die Nähe der RAF manövrierte um möglicherweise ausgeschlossen zu werden. Der Staat und insbesondere natürlich der anklagende GBA hatte über weite Strecken die Möglichkeit, ihm unbequeme Anwälte loszuwerden. Offensichtlich schwebte die Angst vor diesem Damoklesschwert auch Jahre später über den Köpfen der RAF Verteidiger[32]. Erstaunlich scheint, dass sich selbst die bisweilen bürgerliche Berichterstattung eher kritisch zum Ausschluss-Paragraphen geäussert hat. Insbesondere nach der Ermordung des Berliner Richters von Drenckmann[33] hätte man annehmen können, dass der bürgerlichen Deutschen Gesellschaft jedes halbwegs rechtstaatliche Mittel willkommen ist, welches den Terror einzudämmen vermag. Es steht für mich ausser Frage, dass etliche Anwälte im Umfeld der RAF die Grenzen der Legalität bei Weitem überschritten haben. Die in den Zellen aufgefundenen Waffen sind wohl nur die Spitze des inkriminierten Eisberges anwaltschaftlicher Tätigkeiten[34]. Bei näherer Betrachtung des Verteidigerausschuss Paragraphen stellt sich zwangsläufig die Frage, warum dieser gerade i.Z. mit dem Stammheimer Prozess in Kraft getreten ist. In der BRD wurden auch früher schwierige und publizitätswirksame Prozesse geführt. Warum also gerade die RAF, warum Stammheim? M.E. muss zur Beantwortung dieser Frage auch die jüngere Geschichte Deutschlands betrachtet werden. Die Zeit, dass in Deutschland jemand ohne Verteidiger und de facto auch ohne substanzierten Grund vor Gericht gestellt werden konnte, lag noch nicht sehr lange zurück und die Deutsche Justiz stand noch lange über die 70iger Jahre hinaus unter dem Verdacht, mit ehemaligen Nazi Juristen besetzt zu sein. Die Bewältigung der Vergangenheit war 1975 noch längst nicht abgeschlossen und doch musste der junge (demokratisch legitimierte) Staat plötzlich mit einer Art der Kriminalität fertig werden, von der er sich in seiner Stabilität bedroht sah. Die LEX RAF mag auf den ersten Blick an die Nürnberger Gesetze erinnern; Gesetze also die lediglich zum Schutz des Staates und seiner Ideologie erlassen worden sind. Stimmt das aber? Schützte § 138 StPO nicht viel mehr die Mechanismen der rechtsstaatlichen Justiz, indem er faktisch den Wurmfortsatz der RAF Kriminalität unterbindet[35] ? In grammatikalischer Auslegung müsste man diese Frage eigentlich bejahen. Es kann ja nur derjenige Verteidiger ausgeschlossen werden, der entweder an der (behandelten) Tat selber beteiligt gewesen sein soll (§ 138a, I StPO) oder aber den anwaltschaftlichen Verkehr mit dem inhaftierten Täter dahingehend missbraucht, künftige Taten vorzubereiten bzw. an deren Ausführung in irgendeiner Tat mitzuwirken (§ 138a, II, Ziff. 1 f. StPO). Insbesondere dieser zweite Tatbestand zeigt meines Erachtens den Sinn dieses Paragraphen. Würde der Staat seinerseits zulassen, dass ein Anwalt in irgendeiner Form an den künftigen kriminellen Machenschaften seines Mandanten beteiligt ist, so würde das zu Recht kaum verstanden[36]. Letztlich ist es eine Güterabwägung im Sinne der Verhältnismässigkeit. Der Ausschluss eines Verteidigers als mildestes Mittel; die Frage der Geeignetheit der Massnahme; und letztlich die Verhältnismässigkeit zwischen Massnahme und Zweck. Gilt die individuelle Freiheit und der Schutz eines Grundrechtes i.c. mehr als die Sicherheit des Staates[37] ? Diese Frage ist trotz Bedenken und trotz verschiedenen, auch liberalen Einwänden m.E. doch zu bejahen[38]. Es mag sein, dass vorliegend die Grenze der Legalitätsmaxime ausgereizt worden ist und dennoch bewegt sich der Staat nach wie vor innerhalb der Spielregeln. Der damalige Bundeskanzler Helmut Schmidt sagte beim Staatsakt für GBA Buback, man werde „bis an die Grenzen des vom Rechtsstaat erlaubten gehen, um die Täter hinter Schloss und Riegel zu bringen[39]. Der Staat ist anlässlich des Stammheimer Prozesses sehr weit gegangen, aber niemals zu weit.

[...]


[1] Vgl. dazu bsp. Stuberger, Die Tage von Stammheim, S. 272 und dazugehörig Fussnote 51 (àS. 312). Der Autor beschreibt zutreffend, dass man in der Deutschen Gesellschaft damals entweder für oder gegen die RAF und deren Protagonisten gewesen sein konnte. Eine Zwischenlösung war de facto inexistent.

[2] Uwe Wesel schreibt in seinen Erläuterungen zum Prozess gegen Astrid Proll (vgl. S. 1051), dass (zit .)„die vorsitzende Richterin ihn als normales Strafverfahren führte, nach den dafür üblicherweise geltenden Regeln und nicht als Terroristenprozess nach dem Freund-Feind-Schema von beiden Seiten.“ Diese Aussage lässt im Umkehrschluss annehmen, dass Terrorismus Verdächtige bereits damals in einer Art prä-Guantanamo Ära anders behandelt wurden, als konventionelle Beschuldigte. Dieses Phänomen lässt sich auch in den (hier nicht weiterbehandelten) Haftbedingungen für RAF Mitglieder erkennen. Dazu eindrücklich bsp. in Bakker Schut (S. 90ff.) wo die oft angewandte Isolationshaft als Vernichtungshaft bezeichnet, und damit unweigerlich ein Assoziation zu den nationalsozialistischen Vernichtungslagern geschaffen wird. Ebenfalls betreffend Haftbedingungen verweise ich auf die Äusserungen von Uwe Wesel in seinem Intro auf S. 1048. M.E. eine kurze aber sehr nachhaltig wirkende Beschreibung über den Zustand der Häftlinge an den einzelnen Prozesstagen und vielleicht eine implizite Erklärung für die Vorgänge im Gerichtssaal.

[3] Bakker Schut spricht in diesem Zusammenhang gar von einer politischen Justiz (S. 179) und beschreibt damit den Umstand, dass die Politik plötzlich ein dezidiertes Interessen an Verurteilungen zeigte und durch ihre (gesetzgeberischen) Möglichkeiten ein günstiges Prozessergebnis zu präjudizieren versuchte. Im Gegensatz zu früheren terroristischen Aktivitäten (z.B. die Anschläge auf das israelische Team anlässlich der Olympiade 1972 in München) fühlte sich der Deutsche Staat durch die RAF Aktivitäten plötzlich existenziell bedroht und rechtfertigte so die – rechtsstaatlich zumindest heiklen – Massnahmen.
Vgl. dazu ebenfalls Stuberger – „In Strafsachen gegen..“, S. 7.

[4] Vgl. dazu ausführlich Klaus Weinhauer, S. 933ff. Interessant ist hier die schiere Machtfülle, die insbesondere dem BKA anfangs der 70iger Jahre im Kampf gegen den innerstaatlichen Terrorismus übertragen worden ist. Der damalige BKA Chef Schenk schreibt in seinem Buch „Der Chef“, dass die RAF Mitglieder die besten Lobbyisten für die Anliegen der Polizeiführung gewesen seien (sinngemäss). Diese Aussage lässt erahnen, welchen Stellenwert die Polizeikräfte im Kampf gegen die RAF hatte.

[5] Vgl. dazu Klaus Weinhauer, S. 939. Er erwähnt ebenda einen Beitrag der Zeitschrift „Der Spiegel“ vom 22. Februar 1971, in welchem Politiker die RAF als Kriminelle bezeichnen, welche hart und entschlossen bekämpft werden müssten.

[6] Vgl. dazu bsp. Bakker Schut, S. 41ff.

[7] Vgl. dazu Stuberger – „Die Tage von Stammheim“, S. 267.

[8] In diesem Zusammenhang aber auch sehr kritisch vgl. Uwe Wesel, S. 1048.

[9] Vgl. dazu u.a. Uwe Wesel, S. 1054.

[10] Vgl. Stuberger, „Die Tage von Stammheim“, S. 268.

[11] Vgl. z.B. Stuberger, „In der Strafsache gegen..“, S. 8. Er bezeichnet die Gesetzesänderungen als eine Lex RAF. Ebenfalls in gleicher Sache, S. 118. RA Heidenmann spricht in einem Schreiben an das OLG Stuttgart von der Lex RAF. Hier i.Z. mit § 231 StPO, welcher die Anwesenheitspflicht des Beschuldigten aufweicht.

[12] Vgl. dazu Bakker Schut, S. 37ff. und insbesondere die Grafik auf S. 39.

[13] Dazu sehr kritisch, Bakker Schut, S. 41ff. und S. 48.

[14] Wäre dieses Verfahren in der Schweiz geführt worden, so wäre wohl anfänglich eine kantonale Untersuchungsinstanz zuständig gewesen und die Bundeszuständigkeit wäre erst zu einem späteren Zeitpunkt mit der (langwierigen) Beantwortung der Kompetenzfrage geklärt worden – oder eben auch nicht.

[15] Quelle: Online Gesetzessammlung des Deutschen Rechts, www.gesetze-im-internet.de.

[16] Vgl. Bakker Schut S. 37.

[17] Bakker Schut erhebt diesen Vorwurf nicht explizit, lässt aber in seiner kritischen Beurteilung implizit erkennen, dass er die Rechtsauslegung durch den Bundesanwalt für inadäquat hält (vgl. S. 38. Mitte). Sehr viel konkreter äussert sich der nämliche dann auf S. 41 wo er das Grundrecht verletzt sieht und die Entscheidungskompetenz des GBA als verfassungsfeindlich bezeichnet.

[18] Schützenhilfe bekommt die BAW hier indirekt von Uwe Wesel, S. 1053. (Zit.) „Auch wenn es irrsinnig (..), sie (die RAF) hatte ein Recht darauf, sich als Kollektiv zu verstehen und zu verteidigen. Sie durfte den Prozess in Stammheim – und anderswo später – auch als Angriff auf ihre gemeinsame politische Identität. Genau dieser Kollektivgedanke wurde durch Bakker Schut ja heftig bestritten. Nach seiner Meinung (und nach derjenigen sämtlicher RAF Anwälte) hätte eben nicht die RAF sondern jeder einzelne Beschuldigten durch individuelle Gerichte beurteilt werden müssen.
Kollektiv = kriminelle Vereinigung? M.E. ja!

[19] Vgl. Sara Hekmi, S. 604. In den Brandstifter Prozessen schien noch so etwas wie spät 68iger Romantik mitzuschwingen. Den Täter (u.a. Baader und Enslin) wurde ein adäquater Leichtsinn zugestattet, was aus heutiger Sicht doch Ausdruck eines reichlich verklärten Blickes scheint.

[20] Eindrucksvoll dazu Karin Wieland in Ihrer Beschreibung von Baader / Ensslin anlässlich des „Kaufhausprozesses, S. 339 f.

[21] Für den gesamten Gesetzestext vgl. Stuberger, „In Strafsachen gegen..“, S. 11 bzw. Deutsche Gesetzessammlung online, www.gesetze-im-internet.de.

[22] Vergleich dazu unter anderem Stuberger, „In Strafsachen gegen..“, S. 11, und ebenfalls Bakker Schut, S. 130.

[23] Ausführlich dazu Bakker Schut, S. 65.

[24] Vgl. dazu Susanne Bressan / Martin Jander, S. 417 f.

[25] Vgl. Bakker Schut, S. 66 mit Hinweis auf die Palmströmsche Theorie, wonach nicht sein dürfe, was nicht sein könne (aus Christian Morgenstern, „Die unmögliche Tatsache“).

[26] Interessant ist auch die Tatsache, dass es sich bei Otto Schily um einen durchaus gemässigten RAF Verteidiger gehandelt haben dürfte. Vgl. dazu Stefan Reinecke über den Typus Schily, S. 952 ff. Dass die deutsche Justiz ausgerechnet ihn ins Visier genommen hat ist fragwürdig. Schily hat sich in seinen Äusserungen nie als RAF Sympathisant gezeigt und hat sich stets dezidiert gegen den Terrorismus als Mittel des Klassenkampfes ausgesprochen.

[27] Kritisch dazu Stefan Reincke, S. 955.

[28] Vgl. dazu Stuberger, „In der Strafsache gegen..“, S. 13. Dogmatisch betrachtet wäre das so, als hätte man einen Autofahrer nach Einführung der Gurtentragpflicht dafür bestraft, dass er den Sicherheitsgut vorher eben nicht getragen hat.

[29] Wobei man korrekt festhalten muss, dass Croissant der erste RAF Verteidiger war, der von der neuen (de lege lata) Bestimmung tangiert worden ist. Bereits vor ihm wurde der Kölner RA Wilpert bei einem ganz anderen Fall mit Berufung auf § 138 StPO ausgeschlossen (vgl. Bakker Schut, S. 156). Mit diesem Hinweis widerlegt Bakker Schut übrigens seine eigene Theorie, wonach es sich bei § 138 StPO um einen verfassungsfeindlichen Paragraphen (i.c. um eine lex imperfekta) handle, weil er eben individuell konkret sei (à lex RAF) und nicht generell abstrakt.

[30] Zitiert aus Stuberger, „In der Strafsache gegen..“, S. 15; Beschluss des OLG Stuttgart.

[31] Vgl. Bakker Schut, S. 161. Croissant hätte einen RAF Insassen unter Druck gesetzt, weiter habe er offen zur Solidarität mit der RAF aufgerufen und letztlich habe er ein Interview zwischen dem Spiegel und Baader ermöglicht. Alle diese Gründe seien unter dem Titel der „Unterstützung einer kriminellen Vereinigung“ anzusehen, weshalb er unter Berufung auf § 138a StPO auszuschliessen sei. Diese Beurteilung wurde letztlich auch vom Bundesverfassungsgericht geschützt.

[32] Vgl. dazu Wolf Römmig, S. 46. Offensichtlich wurde auch im Prozess gegen Peter Jürgen Boock die Anwendung von § 138a StPO (der nach dem Stammheimer Prozess am 18. August 1976 in seinem Wortlaut etwas angepasst worden ist) in Betracht gezogen. Wobei kein Zweifel besteht, dass der Boock Prozess nicht im Geringsten jene Publizität hatte, die dem Baader – Meinhof Prozess zuteil geworden ist.

[33] Günther von Dreckmann war Kammergerichtspräsident in Berlin und wurde am 10. November 1974 von einem Kommando der „Bewegung 2. Juni“ erschossen.

[34] Meines Erachtens objektiv fair äussert sich dazu Stefan Reinecke, S. 951 ff. Demgegenüber sieht Bakker Schut das Rollenverständnis einzelner Anwälte wesentlich weniger differenziert und sieht das Böse grossmehrheitlich nur in den Kreisen der staatlichen Justiz.

[35] Bemerkenswert scheint mir i.c. die Aussage von Gudrun Ensslin (vgl. Stefan Reinecke, S. 952) wonach (zit.) „Die roten Anwälte unentbehrlich seien und ohne ihre gebündelten und sortierten Informationen nichts gehen würde.“ Diese Aussage impliziert ja faktisch, dass ein Teil der RAF Verteidiger im Sinne der Organisation handelte und den Widerstand aus der Haft in die Öffentlichkeit trug bzw. das Weiterbestehen der RAF überhaupt erst ermöglichte. Man könnte i.c. durchaus den Weg weiterdenken und sich fragen, ob Anwälte wie Croissant, Groenewold, Newerla, etc. durch ihr Verhalten, an den späteren Tötungsdelikten (Schleyer, Buback, etc.) in einer Form der Gehilfenschaft beteiligt gewesen sind. Ich bin mir im Klaren, dass das ein sehr kritischer und vielleicht auch gewagter Gedankenexkurs darstellt. Und doch bin ich mir bisweilen nicht ganz sicher, ob das Verhalten gewisser RAF Anwälte wirklich so altruistisch daherkommt, wie es bisweilen von linker Seite dargestellt wird. Der Umstand, dass beispielsweise der frühere RAF Anwalt Horst Mahler plötzlich selber zum Terroristen wurde und im Namen der RAF Anschläge verübte, zeigt eindrücklich wie dünn die Grenze zwischen „Abgrenzung trotz Faszination“ und Aktivismus zu Gunsten der RAF gewesen sein muss. Insbesondere bei den Anwälten des sozialistischen Kollektivs hat sich diese Trennlinie wohl hin und wieder aufgeweicht.

[36] Interessant hierzu die Ausführungen von Bakker Schut, S. 162 ff. Zu Recht hält der Autor dort fest, dass man bei den RAF Gefangenen vorausgesetzt habe, diese würden auch aus ihren Stammheimer Zellen die Aktivitäten der RAF weiter koordinieren und Einsätze indirekt führen. Ohne diese Präjudizierung hätte das zuständige OLG RA Croissant nicht mit Hinweis auf § 138 a StPO ausschliessen können. Geradezu heuchlerisch erscheinen mir indessen die Ausführungen von Bakker Schut gegenüber dieser offenbar so haltlosen Vorverurteilung. Sowohl die Literatur als auch der weitere Verlauf der Geschichte lassen kaum Zweifel daran aufkommen, dass Baader & Co. auch weiterhin für die RAF tätig gewesen sind. Dies zumindest mit konkludenter Einwilligung ihrer Rechtsanwälte.

[37] Aus heutiger Sicht wurde die Macht und die Wirkung der RAF mitunter wohl etwas überschätzt. Vgl. dazu bsp. Wolfgang Kraushaar, S. 1198.

[38] Anderer Meinung vgl. dazu Wolfgang Kraushaar, S. 1198, wo er den staatlichen Einsatz gegen die RAF aus unverhältnismässig bezeichnet.

[39] Vgl. Stuberger, „Die Tage von Stammheim“, S. 161 f. Wobei Stuberger dem Kanzler indirekt Wortbruch vorwirft, weil die i.Z. mit dem Attentat gefasste und verurteilte RAF Aktivistin Brigitte Monhaupt nach 24 Jahren Haft letztlich begnadigt worden ist. Der Autor beweist da m.E. nicht sehr viel juristisches Verständnis sondern argumentiert auch nach so vielen Jahren nur subjektiv emotional.

Ende der Leseprobe aus 24 Seiten

Details

Titel
Die Prozesse gegen die RAF Terroristen
Untertitel
Stammheim 1977
Hochschule
Université de Fribourg - Universität Freiburg (Schweiz)
Note
Sehr gut
Autor
Jahr
2008
Seiten
24
Katalognummer
V113351
ISBN (eBook)
9783640141098
ISBN (Buch)
9783640141180
Dateigröße
492 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Prozesse, Terroristen
Arbeit zitieren
Daniel Stein (Autor:in), 2008, Die Prozesse gegen die RAF Terroristen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/113351

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