Freizeit – Integration – Gender - Zum Freizeitverhalten türkischer Mädchen und junger Frauen


Diplomarbeit, 2007

113 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung
1.1 Vorgehensweise
1.2 Forschungsstand

2. Freizeit
2.1 Migranten in der Freizeitsoziologie
2.2 Freizeit von Frauen
2.3 Freizeit in der Türkei

3. Kultur

4. Integration

5. Die These vom Kulturkonflikt

6. Erziehung in türkischen Familien

7. Zur sozialen Konstruktion von Geschlecht und Ethnie
7.1. Ethnie
7.2 Geschlecht
7..3 Geschlechterkonstruktionen in der Türkei, in Deutschland und in der 34 Migration
7.3.1 Geschlechterrollen in der Türkei
7.3.2 Geschlechterrollen unter türkischen Migranten in Deutschland
7.3.3 Geschlechterrollen in Deutschland
7.3.4 Zur Rolle der Frau im Islam

8. Die Lebenslage und Rahmenbedingungen der Freizeitgestaltung von türkischen Mädchen und jungen Frauen
8.1 Wohn- und Familiensituation
8.2 Bildung und Erwerbstätigkeit
8.3 Finanzielle Rahmenbedingungen
8.4 Zeitbudget

9. Freizeitkontakte
9.1 Inner- und interethnische Freundschaften
9.2 Geschlechtsgemischte Gruppen
9.3 Freizeit in der Familie
9.4 Sprache im Freundeskreis
9.5 Ethnisch orientierte Cliquenformationen
9.5.1 Türkische Street Gangs
9.5.2 Die türkischen Powergirls

10. Freizeitaktivitäten
10.1 Freizeitaktivitäten im Überblick
10.2 Freizeiträume
10.3 Diskotheken und Musikszenen
10.4 Fernsehnutzung
10.5 Sport
10.6 Vereine und Organisationen
10.7 Organisierte Freizeitangebote – Angebote für Mädchen

11. Fazit

Literaturverzeichnis

Tabellenverzeichnis

1. Einleitung

Vorweg gesagt: Die Gruppe der türkischen Mädchen und jungen Frauen ist in sich äußerst heterogen. Sie setzt sich zusammen aus Personen verschiedener Schichten, Milieus, Konfessionen und regionaler Herkunft (mit entsprechend unterschiedlichen regionalen Traditionen), sie unterscheiden sich in der Wanderungsgeschichte ihrer Familien. Sie nach ihrer türkischen Herkunft differenziert zu untersuchen ist damit nur eine von vielen Möglichkeiten.

In den Medien, Alltagsdeutungen, sowie Teilen der wissenschaftlichen Literatur dienen türkische Frauen als Symbol für mangelnde Integration. Ihr „Anderssein“ bezüglich Verhalten, Kleidung und Stellung in der Familie wird thematisiert in integrationsbezogenen Diskussionen um das Kopftuch, Ehrenmorde, islamischen Fundamentalismus etc.

In diesem Zusammenhang wird Migranten mit türkischem Migrationshintergrund zugeschrieben, dass ihre Geschlechterrollen deutlich unterschiedlich sind von denen „der“ deutschen bzw. westlichen Kultur. Dies wird als Integrationshemmnis und Anzeichen mangelnder Integrationsbereitschaft gedeutet. Teilweise ausgeblendet werden hierbei die Veränderungen von Werten und Normen, die Familien und Individuen durch Migrationsprozesse erfahren.

Thematisiert wird das Anderssein „der“ türkischen Mädchen und Frauen auch in Bezug auf das Freizeitverhalten:

„Sie dürfen nicht nur nicht tanzen, sondern auch nicht an Klassenfahrten teilnehmen, nicht ins Kino oder ins Cafe gehen, nicht alleine spazieren gehen. Es werden nur die notwendigen Kontakte wie Schulbesuch, eventuell Einkaufen und Behördengänge zugelassen. Hingegen nehmen die Verpflichtungen im Haushalt einschließlich der Versorgung kleinerer Kinder zu. Für die meisten türkischen Mädchen sind Freizeitkontakte mit einem Freund undenkbar; einige von ihnen dürfen sich innerhalb einer Gruppe bewegen; längst nicht alle Mädchen dürfen mit der Freundin ein Kino besuchen und noch weniger mit einer nach Geschlecht gemischten Gruppe ins Kino gehen; kaum ein Mädchen darf in die Disko […]. Die Mädchen sind auf Freizeitbetäti

gungen mit ihren Eltern verwiesen, wie gemeinsam spazieren gehen und Besuche von Verwandten […].“[1]

Die heute in Deutschland lebenden Mädchen und jungen Frauen mit türkischem Migrationshintergrund kennen das Herkunftsland ihrer Eltern überwiegend nur noch

als Urlaubsland[2]. Sie wachsen in „der“ deutschen Kultur auf, sind aber in der familiären Sozialisation von kulturellen Einflüssen des Herkunftskontextes ihrer Eltern beeinflusst. Dabei übernehmen sie – auch in ihrem Freizeitverhalten – kulturelle Werte, Praktiken und Gewohnheiten beider Länder bzw. Kulturen.

Der Aspekt des Freizeitverhaltens ist in diesem Zusammenhang interessant bezüglich:

- kultureller Integration: Ablehnung und Annahme von kulturellen Praktiken und Gewohnheiten des Herkunfts- und Aufnahmelandes; Sprache im Freundeskreis; Auswirkungen von ethnisch-kulturell unterschiedlichen Geschlechterrollenverständnissen auf die Gestaltung der Freizeit;
- Umgang mit verschiedenen kulturellen Einflüssen und Gegensätzen;
- Vermischung türkischer und deutscher kultureller Praktiken und Gewohnheiten zu einem neuen Stil der Freizeitgestaltung;
- sozialer Integration: inner- und interethnische Freizeitkontakte;

Freizeitverhalten kann also als ein Integrationsindikator dienen. In der vorliegenden Arbeit soll anhand des Freizeitverhaltens überprüft werden, ob das am weitesten verbreitete Muster der Integration türkischer Mädchen und junger Frauen die Mehrfachintegration im Sinne der Eingebundenheit in beide Gesellschaften bzw. Kulturen ist. Im Weiteren ist zu untersuchen, ob und inwieweit sich kulturell unterschiedliche Geschlechterrollenverständnisse auf die Freizeitgestaltung türkischer Mädchen und junger Frauen auswirken. In Bezug auf Geschlechterrollen kann Freizeitverhalten widerspiegeln, inwiefern spezifische Geschlechter(rollen)-Konstruktionen, die bestimmten Ethnien zugeschrieben werden, auch von den Angehörigen dieser - in diesem Fall türkischen - Ethnie als Selbstzuschreibung und im Alltagshandeln vorzufinden sind.

Wenn man über Freizeit und Integration sprechen möchte ist eine Definition des Integrationsbegriffes unabdingbar. Integration wird in der politischen Diskussion als Leistung der in Deutschland lebenden Migranten eingefordert. Hierbei ist von einer Anpassung an die deutsche Kultur oder sogar von Anerkennung und Übernahme der deutschen „Leitkultur“ die Rede - ohne weitgehende Klärung, was diese deutsche (Leit-)Kultur beinhalten und bedeuten soll. Diese Anpassungsleistung wird lediglich von Menschen mit Migrationshintergrund erwartet; Personen ohne Migrationshintergrund werden – auch wenn sie in Ihrem Lebensstil, ihrem Verhalten, ihrer sozialen, politischen und kulturellen Einbindung weitgehend am Rande der Gesellschaft stehen – aus der Integrationsdiskussion ausgeblendet. Die Forderung nach Integration ist also eine Erwartung, die sich ausschließlich an Menschen richtet, die aufgrund ihrer Staatsangehörigkeit oder ihrer ethnischen Zugehörigkeit als „anders“ definiert werden.

Freizeitverhalten als Integrationsindikator zu verwenden wäre problematisch, da unklar bleibt, was Anpassung an die deutsche Kultur und was in diesem Zusammenhang konkret Integration bedeuten soll. Integration kann jedoch als ein Prozess oder Zustand verstanden werden, der verschiedene Dimensionen beinhaltet, die im Einzelnen beleuchtet werden können. Dabei ist zu bedenken, dass Integration nicht ausschließlich auf Integration bzw. Assimilation in die Aufnahmegesellschaft hinauslaufen muss, sondern Integration auch in Form der Binnenintegration in Migrantencommunities oder auch als transnationale Integration – in mehrere Gesellschaften gleichzeitig erfolgen kann.

1.1 Vorgehensweise

Im Rahmen meiner Arbeit werde ich mich – angelehnt an verschiedene hier verwendete Mehrthemenuntersuchungen – auf die Altersgruppe von 15-30jährigen beschränken. Dies ist die Phase in der üblicherweise eine Ablösung vom Elternhaus erfolgt und Freizeit eigenständig geplant und verbracht werden kann. In die Analyse werden Mädchen und junge Frauen mit türkischem Migrationshintergrund unabhängig davon, wo diese geboren sind und welche Staatsbürgerschaft sie besitzen, einbezogen.

Die häufig genutzte Einteilung in „erste“ „zweite“ oder „dritte Generation“ wird hierbei nicht verwenden. Die Verwendung impliziert, dass es sich bei den in der Bundesrepublik Deutschland lebenden türkischstämmigen Frauen und Mädchen ausschließlich um Nachfahren einer bestimmten Generation der zwischen 1961 und 1973 nach Deutschland eingewanderten Arbeitsmigranten handelt. Bei der Verwendung des Begriffs der zweiten / dritten Generation wird ausgeblendet, dass der Zuzug von türkischen Migranten nach dem Anwerbestopp 1973 nicht beendet war[3]. Türkische Migranten kamen nach 1973 durch die Möglichkeit des Familienzuzugs sowie als Asylbewerber nach Deutschland. Daher ist eine Vielzahl von Generationenkonstellationen möglich: die EnkelInnen der Arbeitsmigranten der ersten Generation können inzwischen das Erwachsenenalter erreicht haben, gehören zur dritten Generation und können selbst schon Töchter und Söhne im Kleinkindalter haben, die der vierten Generation zuzurechnen wären. Eine in der Türkei geborene Kurdin, die erst vor wenigen Jahren als Asylbewerberin nach Deutschland kam, wäre wiederum als „erste“ Generation zu betrachten[4]. Auch ist es schwierig von Generationen zu sprechen, wenn Kinder aus Ehen hervorgehen, bei denen ein Ehepartner ein Nachfahre der Arbeitsmigranten ist, und somit der zweiten Generation angehörte, während der andere Ehepartner aus der Türkei stammt und erst vor kurzer Zeit nach Deutschland eingereist ist. Der Begriff der zweiten oder dritten Generation wäre eine unzulässige Verallgemeinerung und verschleiert die Pluralität von Wanderungsgeschichten der in Deutschland lebenden Migranten.

In der vorliegenden Arbeit beginne ich mit der Klärung der zugrundeliegenden zentralen Begriffe: Es wird zu Beginn der Begriff der Freizeit definiert und kurz auf Migranten in der Freizeitsoziologie eingegangen, die Einschränkungen der Freizeit von Frauen erörtert und ein Überblick über die Freizeitgestaltung im ländlichen Bereich der Türkei gegeben.

Es folgen weitere grundlegende Begriffe: Eine Definition des Kulturbegriffes, die in Kapitel 3 erfolgt ist unabdingbar, wenn man über kulturelle Unterschiede zwischen verschiedenen Gesellschaften oder Bevölkerungsgruppen schreibt. Im vierten Kapitel wird eine eingehende Beschreibung des Integrationsbegriffes gegeben, um anschließend auf die These vom Kulturkonflikt und die Erziehung in türkischen Familien einzugehen. Der Kulturkonflikt wird ebenso wie die Erziehung in türkischen Familien häufig als belastend und integrationshemmend für türkische Mädchen dargestellt, die Erziehung schränke den Handlungsspielraum türkischer Mädchen erheblich ein.

Im siebten Kapitel folgt auf die Definition von Geschlecht und Ethnie eine eingehende Beschreibung von Genderkonstruktionen in der Türkei, in Deutschland und unter türkischen Migranten. Diese sind wichtig, um verschiedene Wertmuster- und vorstellungen nachvollziehen zu können, nach denen sich türkische Mädchen und junge Frauen und / oder ihre Eltern richten.

Auf den ersten Teil in dem die theoretischen Grundlagen erörtert wurden folgt der zweite empirische Teil auf Literaturbasis. Zunächst werden die Lebenssituation von türkischen Mädchen und jungen Frauen sowie die objektiven Rahmenbedingungen der Freizeitgestaltung dargestellt, die den Handlungsspielraum erweitern oder beschränken können. Im neunten und zehnten Kapitel schließlich geht es um das Freizeitverhalten türkischer Mädchen und junger Frauen in Deutschland: Zunächst werden ihre Freizeitkontakte, inner- und interethnisch, geschlechtsgemischt und geschlechtshomogen, sowie die Bedeutung von Familienmitgliedern als Freizeitpartner besprochen. Hierbei wird auch der Sprachgebrauch im Freundeskreis mit einbezogen. Das Kapitel „Freizeitkontakte“ endet mit einer Darstellung ethnisch orientierter Cliquenformationen: Hier stelle ich zunächst türkische Street Gangs dar, die sich zwar ausschließlich aus männlichen Jugendlichen zusammensetzen, jedoch wird sich hierdurch den Geschlechterkonstruktionen von türkischen jungen männlichen Migranten, die sich in ihren Rollenbildern stark am Herkunftskontext orientieren, genähert. Als Kontrast stelle ich darauf folgend eine ethnisch orientierte Cliquenformation mit ausschließlich weiblichen Mitgliedern vor: die „türkischen Powergirls“. Diese sind weder an traditionell türkischen, noch an deutschen Werten orientiert und entwerfen ihre Geschlechterrollen im transkulturellen Kontext neu.

Im zehnten Kapitel stelle ich schließlich die Freizeitaktivitäten türkischer Mädchen und junger Frauen dar. Ich beginne mit einem Überblick über Freizeitaktivitäten und Freizeiträumen und stelle das Freizeitverhalten anhand von fünf Beispielen eingehender vor: Diskotheken und Musikszenen, Fernsehnutzung, Sport, Vereine und organisierte Freizeitangebote.

1.2 Forschungsstand

In den letzten Jahren wurde das Freizeitverhalten türkischer Mädchen und junger Frauen in der Literatur nicht mehr explizit, sondern nur noch als Unteraspekt in groß angelegten Mehrthemenuntersuchungen erforscht. Aktuelle Daten zum Freizeitverhalten finden sich in groß angelegten Mehrthemenuntersuchungen. Über die in dieser Arbeit am häufigsten genutzten Daten – zur allgemeinen Lebenssituation wie zum Freizeitverhalten - möchte ich hier einen kurzen Überblick geben:

Tabelle 1: Verwendete Mehrthemenuntersuchung

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Bevor ich mit dem theoretischen Teil der Arbeit beginne, gebe ich nun noch einen kurzen Rückblick über bisherige Studien zum Thema geben: Das Freizeitverhalten türkischer Mädchen und junger Frauen ist bisher in zahlreichen Untersuchungen angeschnitten worden. Es existieren zwei Veröffentlichungen, die sich explizit mit der Freizeit türkischer Mädchen beschäftigen, beide sind älteren Datums: Zum einen „Sozial-kulturelle Probleme junger Türkinnen in der Bundesrepublik Deutschland mit einer Studie zum Freizeitverhalten türkischer Mädchen in Köln“, einer qualitativen Studie von Pia Weische-Alexa aus dem Jahr 1977. Bei der zweiten Veröffentlichung handelt es sich um „Türkische Mädchen und Freizeit“ von Petra Pfänder und Fügen Turhan (1990).

Die Studie von Weische-Alexa aus dem Jahr 1977 untersucht das Freizeitverhalten anhand einer Stichprobe von 100 Schülerinnen im Alter von 13 bis 17 Jahren in Köln[8]. Hauptergebnisse der Arbeit sind:

- Türkische Mädchen müssen aufgrund der traditionellen Rollenstruktur in ihren Familien schon früh Aufgaben im Haushalt übernehmen. Die Hälfte der Mädchen muss regelmäßig Geschwister betreuen, fast alle befragten Mädchen sind fast täglich oder zumindest mehrmals wöchentlich mit Haushaltsarbeit betraut. Sechs der befragen Mädchen versorgen den Haushalt sogar alleine[9].
- Verbote der Eltern orientieren sich an Normen des Herkunftskontextes und schränken die Bewegungsfreiheit ein: ¾ der Mädchen halten sich nach Einbruch der Dunkelheit nicht draußen auf; Freundschaften mit Jungen nehmen mit zunehmendem Alter (ab der Pubertät) ab[10]. Allerdings geben 37 % der Mädchen an, einen Freund zu haben - oder schon einmal gehabt zu haben.
- Freizeitaktivitäten sind zum Teil an „traditionellen Normen“ orientiert (Aussteuererstellung, Verwandtenbesuche), die Mädchen verbringen ihre Freizeit aber auch mit jugendgemäße Freizeitaktivitäten wie Musikhören, Fernsehen, Lesen. Peer-group-orientierte Kontakte[11] sind seltener als familienorientierte Kontakte. Es bestehen überwiegend Einzelkontakte zu Freundinnen, Kontakte zu Gruppen von Gleichaltrigen sind äußerst selten, da diese zumeist geschlechtsgemischt und gemischtethnisch sind[12].
- Die Freizeitaktivitäten werden häufig selbst eingeschränkt, um Konflikte mit den Eltern zu vermeiden. Dies bezieht sich besonders auf die Ablehnung interethnischer Freizeitkontakte. Türkische Mädchen beschränken sich daher häufig auf individuelle Freizeitaktivitäten.[13]
- Freizeitgewohnheiten deutscher Mädchen erfreuen sich auch bei türkischen großer Beliebtheit: Das Lesen der Bravo und die Beschäftigung mit Popstars ist weit verbreitet, moderne Tänze werden begeistert aufgenommen, obwohl Besuche von Tanzveranstaltungen eher selten sind. Die Bekleidung unterscheidet sich nicht von der deutscher Mädchen, das Kopftuch wird nur von wenigen Mädchen getragen. Der Wunsch nach Jugendgruppen und Cliquen ist in hohem Maße vorhanden, wie der Wunsch nach Freizeitaktivitäten die auch deutsche Jugendliche interessieren. Diesen Wünschen sind durch die Eltern enge Grenzen gesetzt. Das Freizeitverhalten bleibt daher familienzentriert[14].

Die Untersuchung von Pfänder und Turhan von 1990 thematisiert die Teilnahme türkischer Mädchen an Angeboten der Jugendarbeit. In Gesprächen mit 15 Mädchen im Alter von 14-18 Jahren (zusammen mit deren Eltern), die bisher an Angeboten der Jugendarbeit teilgenommen haben, sowie weiteren 15 die dies noch nicht getan haben, versuchen die Autorinnen zu ergründen, worauf die Unterrepräsentation türkischer Mädchen in der Jugendarbeit (insbesondere nach Erreichen der Pubertät) zurückzuführen ist[15].

Nach den Ergebnissen dieser Studie wird die Freizeitgestaltung eingeschränkt durch:

- Verbot am Abend bzw. im Dunkeln etwas zu unternehmen
- das Verhalten der Mädchen muss für die Eltern kontrollierbar sein, d.h. sie wollen zumindest wissen, was ihre Töchter machen. Häufig wird die Freizeit deshalb – und wegen der beengten Wohnsituation – in unmittelbarer Nähe der Wohnung verbracht
- Die Eltern legen auffallend hohen Wert darauf, die Freundinnen ihrer Töchter wie auch deren Eltern persönlich zu kennen.
- Unkontrollierbare Kontakte zu Jungen werden abgelehnt, es sei denn es handelt sich um Verwandte.[16]
- Die meisten Mädchen sind zur Mithilfe im Haushalt verpflichtet, sie nimmt aber keinen zentralen Stellenwert ein. Zumeist muss nur dann ein größerer Teil der Haushaltsarbeit übernommen werden, wenn die Mutter voll berufstätig ist[17].

Die Nichtteilnahme an Angeboten der Jugendarbeit hat verschiedene Gründe: persönliche Motive (keine Interesse an den Angeboten), objektive Rahmenbedingungen (wenig Zeit), und auch Verbote der Eltern[18]. Folgende Rahmenbedingungen sollten gegeben sein, um die Teilnahme zu fördern: Nahegelegener Veranstaltungsort, reine Mädchengruppen, vertrauenswürdiger Träger, Angebote für alle Familienmitglieder[19], sinnvolle Angebote, bei denen etwas gelernt werden kann[20].

Aufgrund des Alters dieser Studien können durch diese nur noch bedingt Rückschlüsse auf die Lebensrealität der heute in Deutschland aufwachsenden Mädchen mit türkischem Migrationshintergrund gezogen werden.

2. Freizeit

Im Rahmen des vorliegenden Themas bedarf es einer Definition des Freizeitbegriffes. Zunächst scheint uns der Begriff der Freizeit einfach zu fassen: Als Freizeit erscheint uns jene Zeit, die nicht durch Erwerbstätigkeit, Schule oder Ausbildung besetzt ist. Es gibt Tätigkeiten, die der Freizeit eindeutig zuzuordnen sind, wie z.B. der Besuch eines Schwimmbads, Lokal- und Cafébesuche, Fernsehen, Sport etc.[21].

Bei näherer Betrachtung finden sich jedoch Grenzbereiche: Sind Tätigkeiten wie Putzen, Einkaufen und Reparaturen im Haushalt dem Freizeitbereich zuzuordnen? Diese Tätigkeiten müssen erledigt werden, sind in ihrer Art, ihrem Umfang, dem dafür gewählten Zeitpunkt und im Umfang der aufgewandten Zeit weniger fremdbestimmt als Erwerbsarbeit, Schule und Ausbildung. Opaschowski verwendet hierfür den Begriff der Obligationszeit. Gemeint ist also die „Erfüllung obligatorischer Alltagsaufgaben“.

Hierunter fasst er:

- Haushalts- und Reparaturarbeiten,
- Einkäufe und Konsumentscheidungen,
- Behördengänge,
- Erledigungen und Besorgungen,
- familiäre und soziale Verpflichtungen,
- gemeinnützige Tätigkeiten und Freiwilligenarbeit.[22]

Auch innerhalb der Obligationszeit ist das Maß an Verpflichtung einer weiten Spannbreite unterworfen: Während ein Behördengang irgendwann erledigt werden muss und die Nichterledigung im Normalfall Konsequenzen (auch finanzieller Art) nach sich zieht, können andere obligatorische Verpflichtungen nicht erfüllt oder auf einen späteren Zeitpunkt verlegt werden. Hier sind die Konsequenzen eher sozialer Art. Wer das Putzen im Haushalt weitgehend aufgibt, wird möglicherweise irgendwann keinen Besuch mehr empfangen wollen oder können, wer Einladungen häufig nicht wahrnimmt, wird zukünftig wahrscheinlich weniger Einladungen erhalten.

Als Freizeit bezeichne ich im Weiteren die Zeit, die frei von Berufs- und Lernarbeit sowie obligatorischen Alltagsaufgaben ist und nach eigenen Vorstellungen gestaltet werden kann[23]. Die Übergänge zwischen Frei- und Obligationszeit müssen hierbei fließend und nicht klar abgrenzbar bleiben. Es lässt sich lediglich feststellen, dass, je weniger eine Tätigkeit Züge von Notwendigkeit, Zwang oder Verpflichtung trägt, um so eher der Freizeit zuzurechnen ist.

Besonders deutlich wird die Schwierigkeit der Grenzziehung zwischen „Freizeit“ und „Nicht-Freizeit“ bei Hausfrauen (und, wenn auch immer noch die Ausnahme, Hausmännern). Hier gibt es keine klare zeitliche Abgrenzung. Freizeit, Haushaltsarbeitszeit, Obligationszeit und Freizeit gehen nahtlos ineinander über.

Bei der Betreuung von Kindern sind auch geschlechtsspezifische Unterschiede auszumachen. Während die nicht berufstätige Hausfrau die Kinderbetreuung der Pflichterfüllung zurechnet, wird sie bei berufstätigen Männern und Frauen eher der Obligations- oder Freizeit zugerechnet[24]. Freizeit hat auch eine subjektive Komponente: Wer ein Kind betreut und mit ihm z.B. ein Eis essen geht, kann dies als Freizeit betrachten – oder als Pflichterfüllung. Im Grenzbereich zwischen Freizeit, Haushalts-arbeitszeit und Obligationszeit findet sich hier auch die Einordnung von Bereitschaftszeiten, in denen man jederzeit für die Betreuung von Kindern verfügbar sein muss, aber keine aktive Kinderbetreuung ausübt.

Freizeit hat ebenfalls finanzielle Aspekte, das Maß an freier Zeit und die Gestaltungsspielräume sind nach Einkommen bzw. Schicht unterschiedlich. Das Sprichwort „Zeit kann man nicht kaufen“ ist unzutreffend. Viele Tätigkeiten, die während der Obligationszeit erledigt werden müssen sind käuflich und delegierbar, an Haushaltshilfen, Tagesmütter und Babysitter, durch Erledigungen von Einkäufen über das Internet etc. Ein hohes Einkommen kann helfen ein höheres Maß an Freizeit gewinnen zu können; dem kann jedoch ein höheres Maß an Zeit, das für Erwerbsarbeit aufgewandt werden muss, entgegenstehen.

Auch die Gestaltungsspielräume innerhalb der Freizeit sind nach Einkommen unterschiedlich. Während untere Einkommensgruppen auf Freizeitbeschäftigungen mit geringerem finanziellem Aufwand angewiesen sind, sind die Gestaltungsspielräume von höheren Einkommensgruppen größer. Die häufigere Teilnahme an finanziell aufwändigeren Angeboten der Freizeitindustrie steht ihnen, sofern die Zeit zur Teilnahme vorhanden ist, offen.

Mit den finanziellen Möglichkeiten hängt auch ein weiterer Aspekt der Freizeitgestaltung zusammen: das örtliche Umfeld und der räumliche Aktionsradius. Größerer finanzieller Spielraum erweitert die Wahlmöglichkeiten des Wohnortes, bei dessen Wahl auch die Attraktivität von am Ort vorhandenen Freizeitmöglichkeiten eine Rolle spielen kann. Ebenso sind Entfernungen leichter überbrückbar, die Möglichkeiten der Mobilität sind weniger beschränkt, sei es in Bezug auf die häufige Nutzung des Autos, die Erweiterung der Möglichkeit von (Fern-)Reisen. Auch die eigentliche Wohnsituation hat Auswirkungen auf die Freizeitgestaltung. Enge Wohnverhältnisse lassen Freizeitbeschäftigungen außerhalb der eigenen Wohnung attraktiver erscheinen - eine großzügigere Wohnsituation lässt eine größere Bandbreite von Möglichkeiten innerhalb der eigenen vier Wände zu.

Der räumliche Aspekt der Freizeit ist nicht nur finanziell determiniert. Die räumliche Distanz zu Bekannten, Freunden und Familie ist durch moderne Kommunikations- und Transportmittel teils überbrückbar, das Vorhandensein dieser Bezugspersonen in erreichbarer Nähe hat Einfluss auf die Freizeitgestaltung – es ermöglicht intensivere und häufigere Kontakte und gemeinsames Gestalten der Freizeit. Zugleich kann dies aber auch durch soziale Kontrolle einschränkend wirken.

Die Möglichkeiten der Freizeitgestaltung werden durch objektive Rahmenbedingungen beeinflusst und sind folglich abhängig von:

- dem Umfang an freier Zeit, der nach Erledigung der Erwerbs-, Ausbildungs- oder Schulzeit verbleibt;
- den zu erledigenden obligatorischen Alltagsaufgaben;
- den sozialen Verpflichtungen – in Abhängigkeit vom Ausmaß des sozialen Drucks bezüglich der Erledigung dieser Verpflichtungen;
- den finanziellen Möglichkeiten und der materiellen Ausstattung;
- sozialen Kontakten – Familie, Freunde, Beziehung etc. erweitern und beschränken die Möglichkeiten der Freizeitgestaltung;
- vorhandenen Angebote sozialer Einrichtungen;
- räumlichen Aspekten: Aktionsradius, Wohnumfeld, Wohnsituation.

2.1 Migranten in der Freizeitsoziologie

Die Freizeitgestaltung von Migranten ist ein in der Freizeitsoziologie bisher weitgehend ausgeblendeter Forschungsbereich. So findet sich z.B. bei Prahl lediglich ein kurzes Kapitel zur Freizeit von Ausländern. Es wird nicht auf Forschungen zum Thema verwiesen, sondern lediglich angeführt, dass Wohnung und Wohnumfeld für die Freizeit ausschlaggebend sind. Somit ergeben sich für Ausländer durch durchschnittlich geringere Wohnungsgröße und schlechtere Infrastruktur geringere Handlungsspielräume[25]. Es werden lediglich objektive Gegebenheiten erörtert, kulturelle Gewohnheiten, Werte und Normen werden ausgeblendet - es besteht auf diesem Gebiet eine Forschungslücke in der Freizeitsoziologie. Die Freizeit von Migranten wird in anderen Forschungsbereichen untersucht, in der Sozialarbeit und -pädagogik, oder auch der Migrationssoziologie.

2.2 Freizeit von Frauen

Eingehender als das Freizeitverhalten von Migranten wurden bisher die Unterschiede im Freizeitverhalten von Männern und Frauen erforscht. Frauen sind stärker durch die Doppelbelastung von Haushalt und Beruf eingeschränkt und können ihre Freizeit weniger deutlich von Familienarbeitszeit abgrenzen. Freizeit von Frauen ist, sobald ein Haushalt geführt oder Kinder betreut werden müssen, kaum von der Obligations- und Haushaltsarbeitszeit zu trennen, Freizeitaktivitäten in der Familie finden überwiegend innerhäuslich statt[26]. Doch nicht nur Haushalts- und Betreuungsarbeit schränken die Freizeit und den Bewegungsradius von Frauen ein. Sicherheitsüberlegungen spielen eine große Rolle, weitgehend unabhängig von der wirklichen Wahrscheinlichkeit Opfer einer Straftat zu werden[27]. Frauen neigen eher als Männer dazu, ihren Bewegungsradius selbst einzuschränken, ihre Freizeit stärker zu planen, insbesondere nach Einbruch der Dunkelheit öffentliche Verkehrsmittel, Parks und andere als unsicher empfundene Gebiete zu meiden - sie lernen schon früh sich entsprechend zu verhalten[28].

2.3 Freizeit in der Türkei

Im ländlichen Bereich der Türkei gibt es - wie wohl in allen agrarisch geprägten Armutsgesellschaften – keine genaue Trennung der Arbeits- und Freizeit, auch die Bereiche Arbeit und Wohnen sind örtlich kaum getrennt. Die Zeit ist weitgehend ausgefüllt mit dem Erwirtschaften des zum Leben notwendigen und der häuslichen Pflichten[29]. „Freizeit“ im Verständnis westlicher Gesellschaften gibt es daher nicht. Freizeitangebote und Freizeittreffpunkte sind, insbesondere für Frauen und Jugendliche, kaum vorhanden. Der Kontakt zu Menschen des Dorfes ist eng, es ist daher weniger notwendig, wie in Gesellschaften, in denen der Lebensunterhalt vorwiegend durch Erwerbsarbeit erwirtschaftet wird, Freizeitkontakte durch verabredete Treffen zu organisieren und aufrechtzuerhalten. Die zentralen Bezugsgruppen sind keine Freundeskreise oder Cliquen, aus denen man sich aufgrund von Sympathie oder gemeinsamer Interessen trifft, sondern die Dorfgemeinschaft und Verwandtschaft. Die Orte an denen man gemeinsame Zeit verbringt, sind für Männer Tee-[30] und Volkshäuser, Frauen treffen sich im privaten Raum[31]. Hierbei sind die Aktivitäten der Männer in ihren Treffpunkten klarer dem Freizeitbereich zuzuordnen, da Frauen auch beim Zusammensitzen im privaten Raum häufig weiteren Hand- und Haushaltsarbeiten nachgehen. Eine Jugendphase mit Hinwendung zur Peer-group und Aktivitäten ohne die Familie fehlt auch aufgrund des frühen Beginns der Familienphase weitgehend, daher gibt es kaum für Jugendliche typische Freizeitbeschäftigungen[32].

Zwar sind die Veröffentlichungen auf die sich diese Aussagen beziehen älteren Datums und es dürfte sich – insbesondere durch die Verbreitung des Fernsehens – inzwischen einiges geändert haben, jedoch stammen die in den 60er- und 70er Jahren zugewanderten Arbeitsmigranten vorwiegend aus dem ländlichen Bereich der Türkei[33] und haben aktuelle Änderungen dort selbst kaum noch miterlebt. Dieser Hintergrund kann einige Konflikte erklären, die diese mit ihren Kindern in Bezug auf deren Freizeitgestaltung haben.

3. Kultur

In der Diskussion um die Integration geht es auch immer um kulturelle Distanzen zwischen der einheimischen Bevölkerung und Migranten. Um über Kulturkonflikte, kulturelle Distanzen oder Gemeinsamkeiten, über kulturelle Integration reden zu können, ist eine Klärung des Begriffes „Kultur“ notwendig.

Kultur wird häufig wenn es um Integration, Anpassung an eine Leitkultur oder um Kulturkonflikte geht, als etwas homogenes, statisches betrachtet, das bestimmten Bevölkerungsgruppen zugeschrieben wird. Hierbei wird übersehen, dass sowohl die deutsche als auch die türkische Kultur nichts Unveränderbares ist, was jeweils alle Angehörigen dieser Staaten gemeinsam haben.

Was also verbirgt sich also hinter dem Begriff der Kultur? Kultur kann nach Auernheimer verstanden werden als „ein Orientierungssystem mit einem gemeinsamen Repertoire an Symboldeutungen, Kommunikations- und Repräsentationsmittel.“[34] Kultur ist also etwas, was Bevölkerungsgruppen gemeinsam haben können, jedoch nicht an nationalstaatliche Grenzen gebunden ist. Komplexe Gesellschaften bestehen aus vielen Kulturen, auch wenn in allen diesen Teil- oder Subkulturen gemeinsame Elemente zu finden sind[35]. Nieke geht von einem „gesellschafts- und kulturübergreifenden Universalismus“ aus, von „gleichen Grundelementen in allen Kulturen mit ähnlichem Organisationsgrad“[36]. Mit andere Worten: Es mag sein, dass ein Bochumer Großstadtbewohner (abgesehen von der Sprache) mehr „Kultur“ mit einem Einwohner von Istanbul gemeinsam hat als mit einem bayrischen Bergbauern. Insofern ist es wenig hilfreich von „der“ türkischen oder „der“ deutschen Kultur zu reden. Tendenziell lassen sich höchstens Tendenzen festmachen, die regional, und nicht nach Nationalstaat, differenziert werden müssen[37]. So ist die (kulturell konstruierte) Frauenrolle im ländlichen Raum der Türkei tendenziell eine andere als in den Großstädten (siehe Kap. 7.3.1).

Kultur wird durch Erziehung und Sozialisation vermittelt. Das heißt, dass Kultur prinzipiell wandelbar ist, sie ist nicht statisch und verändert sich unter Bedingungen des gesellschaftlichen Wandels – wobei Migration einen sehr raschen gesellschaftlichen Wandel - den örtlichen Wechsel in ein Umfeld mit einem anderen Orientierungssystem bedeutet. In welche Richtung der kulturelle Wandel im Migrationsprozess geht ist hierbei offen: Ob es eine Annäherung an kulturelle Muster des Ankunftslandes gibt, ob die Herkunftskultur stärker betont wird, oder ob beide Kulturen miteinander zu etwas völlig Neuem verbunden werden.

Wenn Kultur so verstanden wird, wie Auernheimer es definiert, so könnte von einem Kulturkonflikt nur dann die Rede sein, wenn das Orientierungssystem nur einer Gesellschaft angenommen und verstanden wird. In Deutschland aufgewachsene MigrantInnen sind in beiden Gesellschaften sozialisiert worden – sie kennen daher die „Symboldeutungen, Kommunikations- und Repräsentationsmittel“ beider Gesellschaften – die Kenntnis einer Kultur schließt die Kenntnis einer zweiten nicht aus. Zum Kulturkonflikt kann es nur dann kommen, wenn den Eltern nur das eine türkische Orientierungssystem bekannt ist und sie von ihren Kindern verlangen, sich ausschließlich für die türkische Kultur zu entscheiden.

Auf die Verbindung zweier Kulturen verweisen verschiedenste Begriffe: Interkulturell, bikulturell, multikulturell, transkulturell. Während Multikulturalität die Wandelbarkeit von Kulturen ausblendet, verweist Interkulturalität darauf, dass Kulturen als Resultat menschlicher Beziehungen zu sehen sind. Transkulturalität betont den dynamischen Aspekt, die Bewegung, das Jenseits der kulturellen Dichotomie, also die Möglichkeit Elemente zweier Kulturen zu verbinden, woraus mehr als nur die Kombination beider entstehen kann[38]. Transkulturell meint im Gegensatz zum Transnationalen nicht die Verbindung zweier Gesellschaften bzw. Nationen miteinander (die in sich verschiedenste Kulturen vereinigen können), sondern die Verbindung von zwei oder mehr Kulturen.

Der Alltag von Jugendlichen mit Migrationshintergrund ist geprägt von „transkultureller Transfer- und Übersetzungsarbeit“, sie haben zumeist gelernt mit der Vielfältigkeit kultureller Selbstverständnisse, Wissenformen und Praktiken umzugehen[39], wobei der transkulturelle Alltag auch von Widersprüchlichkeiten und Konflikten geprägt sein kann. Das Verbinden von Elementen zweiter Kulturen ist nicht als Integrationshemmnis zu sehen – Integration meint nicht die Aufgabe der Herkunftskultur, sondern die Möglichkeit beide Kulturen zu wertschätzen, beide Orientierungssysteme zu verstehen und den Alltag transkulturell zu leben.

4. Integration

Um über Freizeitverhalten in Bezug auf Integration sprechen zu können, bedarf es einer Klärung dieses Begriffes. Allgemein versteht man in der Soziologie unter Integration den „Prozess der Bildung von Ganzheiten (Einheiten) aus Teilen, speziell von sozialen Systeme aus Elementen.“[40]. Diese sehr weite Definition bedarf einer Konkretisierung in Bezug auf die Integration von Einwanderern. Um über Integration sprechen zu können, muss die Vielschichtigkeit des Begriffs und die mit dem Begriff verbundenen Theorien und Begrifflichkeiten erläutert werden. Der Begriff der Integration ist in seiner Verwendung und Definition (sowie seiner Abgrenzung zu verwandten Begriffen) nicht eindeutig. Ikonomu führt hierzu aus: „Der Tatsache, dass der Terminus sowohl für einen Prozess wie auch für einen Zustand, für die unterschiedlichen Betrachtungsebenen von Theorie und Praxis, sowohl für Individuen, Gruppen, Institutionen und Systeme verwendet wird, hat jeder Definitionsversuch Rechnung zu tragen.“[41]

In der Migrationssoziologie sowie in der wissenschaftlichen wie öffentlichen Diskussion wird das Verhältnis des Einwanderers zur Einwanderungsgesellschaft mithilfe einer Vielzahl von in ihrer Bedeutung ähnlichen oder gleichen Begriffen diskutiert, zwischen denen nicht unbedingt trennscharf unterschieden werden kann: Integration, Assimilation, Anpassung, Akkulturation, Enkulturation, Eingliederung, Inkorporation, Akkomodation, Adaption; oder bei Misslingen derselben: Isolation, Segregation, Separation, Marginalisierung.

Um den Begriff der Integration zunächst von dem der Assimilation abgrenzen zu können, ist es hilfreich, sich die verschiedenen Ergebnisse von Eingliederungsprozessen (hier wird der Begriff der Akkulturation verwendet) bzw. die verschiedenen Strategien im Rahmen des Akkulturationsprozesses anhand einer Tabelle zu verdeutlichen:

Tabelle 2: Akkulturationsstrategien nach Berry

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Berry, John W.: Immigration, Acculturation and Adaption. In: Applied Psychology: An International Review 46, 1/1997, S. 9., zit nach: Trebbe/ Weiß 2007, S. 137

Deutlich wird hier der Unterschied zwischen Assimilierung und Integration. Assimilierung meint die Abwendung von der Herkunftsgesellschaft und ihrer Kultur bei gleichzeitiger Übernahme der Kultur der Ankunftsgesellschaft. Integration hingegen zielt nicht auf die völlige Anpassung an beide Gesellschaften / Kulturen, sondern auf ein positives Verhältnis zu Ankunfts- und Herkunftsgesellschaft, die Wertschätzung beider Kulturen und den erfolgreichen Umgang mit Widersprüchen - in diesem Sinne kann auch von Mehrfachintegration gesprochen werden. Ausgeblendet werden im Rahmen der Integrations-Diskussion die Veränderungen, die die Aufnahmegesellschaft durch die Einwanderung erfährt. Wenn Integration, nach der allgemeinen Definition, die Bildung von Ganzheiten aus Teilen meint, muss der Prozess der Angleichung nicht auf eine Seite beschränkt bleiben.

Wenn Personen oder Gruppen daraufhin untersucht werden sollen, ob oder inwieweit sie integriert sind, zeigt sich die Problematik und Vielschichtigkeit des Begriffes: Eine beruflich erfolgreiche Migrantin mit Hochschulabschluss gilt zunächst einmal als (in das Wirtschaftssystem) integriert, wird aber dann als nicht integriert (bzgl. Werte / Kultur) wahrgenommen, wenn sie dabei ein Kopftuch trägt. Der Begriff der Integration ist an sich für Forschungszwecke eher schwierig zu handhaben.

Um den Begriff der Integration[42] fassen und für wissenschaftliche Forschung anwendbar machen zu können, halte ich es für sinnvoll, Gruppen und Personen nicht in ihrer Gänze als „integriert“, „weniger integriert“ oder „nicht integriert“ zu sehen, sondern den Begriff in einzelne zu untersuchende Dimensionen bzw. Problemebenen aufzuspalten:

- „"Soziale Dimension":[…] Zugang zu Primärgruppen wie Gleichaltrigengruppen; Nachbarschaft; Familien; Vereine; Kollegen- und Freundeskreise,“[43]
- „"Kulturelle Dimension" […] En- und Akkulturation in das gesellschaftliche Normensystem, in Rollenerwartungen und […] bei Migranten, in Lebensgewohnheiten, Werte und Sprache der Aufnahmegesellschaft;“[44]
- „"Persönliche" (oder "identifikatorische") Dimension, d.h. Identifikation mit der [Aufnahme-] Gesellschaft, und - besonders bei Migranten - Re-Stabilisierung des durch Wanderung destabilisierten Persönlichkeitssystems.“[45]
- „"Strukturelle Dimension", d.h. Gleichheit der sozialen und politischen Rechte und Gleichverteilung der Mitglieder unterschiedlicher sozialer und ethnischer Gruppen auf das Positionssystem der Aufnahmegesellschaft (Chancengleichheit) [dies beinhaltet auch den Zugang zu Arbeitsmarkt und Einkommen]“[46]

Der Schwerpunkt der vorliegenden Arbeit soll auf der sozialen, kulturellen und identifikatorischen Dimension liegen. Bezüglich des Freizeitverhaltens können folgende Indikatoren für die verschiedenen Integrationsdimensionen relevant sein:

- Soziale Dimension: Inner- und interethnische Freizeitkontakte;
- Kulturelle Dimension: Übernahme von Lebens- und Freizeitgewohnheiten sowie Werten und Normen (auch bezüglich Geschlechterrollen);
- Identifikatorische Dimension: ethnische Zugehörigkeitsdefinition; diese kann eng mit der Wahl von inner- und interethnischen Freizeitkontakten verknüpft sein;

Die strukturelle Dimension soll im Rahmen der vorliegenden Arbeit nicht an sich untersucht werden, kann aber u.U. als erklärender Faktor dienen, insofern z.B. geringes Einkommen oder niedrige Position im Berufsleben Einfluss auf die Gestaltungsmöglichkeiten in der Freizeit haben.

Integration wird häufig als Leistung betrachtet, die Migranten selbst zu erbringen haben. Ausgeblendet wird in einer solchen Sichtweise die Offenheit der Aufnahmegesellschaft gegenüber den Einwanderern. Der Integrationsprozess hat erst dann „sein Ziel erreicht, wenn die Eingewanderten sich in derselben Weise wie die Stammbevölkerung als zugehörig definieren und als zugehörig anerkannt werden.“[47]. Wem Rechte aufgrund der anderen Staatsbürgerschaft verwehrt werden, wer im alltäglichen Leben Diskriminierungen ausgesetzt ist, kurz, wer als „anders“ definiert wird, kann die erwartete Integrationsleistung nicht oder nur schwer erbringen – bezüglich des Freizeitverhaltens ist also auch die Frage nach der Offenheit der deutschen peer-group gegenüber interethnischen Kontakten zu stellen.

Unterschieden werden kann, wenn es um Integration geht, auch zwischen „inneren Zuständen“ und „äußerem Verhalten“[48]. „Innere Zustände“ meint die Identifikation eines Individuums mit einer Gruppe, beziehen sich also auf Zugehörigkeitsdefinitionen, die sich im „äußeren Verhalten“ widerspiegeln. Inneren Zuständen kann sich empirisch genähert werden über Fragen nach Zugehörigkeit zu einer Bevölkerungsgruppe, einem Staat, einer Ethnie. Äußeres Verhalten spiegelt diese Zugehörigkeitsdefinitionen, indem Vorstellungen und Konstruktionen von z.B. „deutsch-sein“, „türkisch-sein“ oder auch „Deutsch-Türke-sein“ mit bestimmten Wertvorstellungen und Verhaltensweisen verbunden werden und im Alltagsleben Auswirkungen auf konkretes Handeln – auch auf das Freizeitverhalten - haben.

In der wissenschaftlichen, kaum in der öffentlichen Diskussion wird auch die Möglichkeit der Binnenintegration diskutiert. Elwert stellt hierzu die These auf: „Eine starke Integration der fremdkulturellen Einwanderer in ihre eigenen sozialen Zusammenhänge innerhalb der aufnehmenden Gesellschaft – eine Binnenintegration also – ist unter bestimmten Bedingungen ein positiver Faktor für ihre Integration in die aufnehmende Gesellschaft.“[49] In der Theorie kann man sich zunächst durchaus die Frage stellen: Wo ist das Problem, wenn Zuwanderer unter sich bleiben: Es entstehen Netzwerke, Vereine, ethnische Ökonomien, es bestehen keine Sprachprobleme innerhalb der ethnischen Community und Migranten können sich gegenseitig Alltagswissen bezüglich der Ankunftsgesellschaft und ihrer Institutionen vermitteln.

Dies sind Argumente, die in der Zeit direkt nach der Einreise sicherlich Gültigkeit haben – Binnenintegration bringt jedoch auf Dauer Probleme mit sich: Die Aufstiegsmöglichkeiten in ethnischen Ökonomien sind begrenzt, Werte und Normen sowie Institutionen der Ankunftsgesellschaft können ohne Kontakt zu Einheimischen nur unzureichend verstanden werden, eine Identifikation mit dem Ankunftsland bleibt aus. Der Blickwinkel auf Integrationsprozesse wird jedoch ein anderer, wenn man Binnenintegration mitdenkt: Das Fehlen von Kontakt zur einheimischen Bevölkerung muss nicht zwangsläufig als Zustand der Desintegration gedeutet werden. Migranten sind, wenn sie nicht in die Ankunftsgesellschaft integriert sind, nicht per se desintegriert, sie sind eben anders integriert, eben in eine ethnische Community.

Die Eingliederung von Einwanderern wurde in den Anfängen der soziologischen Migrationsforschung im Rahmen verschiedener Sequenz- und Zyklenmodelle häufig als weitgehend linearer – in Abfolge verschiedener Phasen verlaufender - Prozess gefasst, der von der Ankunft der ersten Migrantengeneration über mehrere Generationen hin zu völliger Assimilation verläuft[50].

Solche Sequenz- und Zyklenmodelle werden vielfach kritisiert, da sie davon ausgehen, dass Eingliederungsprozesse zwangsläufig, linear und unumkehrbar in Richtung Assimilation hinauslaufen. Phänomene wie dauerhafte Ausgrenzung und Unterordnung, Re-Ethnisierung und dauerhafte ethnische Konflikte bis hin zur Eliminierung ethnischer Gruppen können anhand dieser Theorien nicht erklärt werden[51].

Diese älteren Theorien gehen davon aus, dass die Brücken zur Herkunftsgesellschaft nach und nach – über Generationen hinweg – abbrechen. Integration wird in diesem Zusammenhang als „Entweder-oder-Entscheidung“ gefasst. Seit den 1990er Jahren wird ein neuer Typus des Migranten in der Migrationsforschung thematisiert. Das bipolare Denkmodell (ausgehend vom einseitig fließenden Migrationsstrom vom Herkunfts- zum Empfängerland), das von der Aufgabe von Verbindungen (sozialer, ökonomischer, kultureller Art) zum Herkunftsland ausging, wird hier aufgegeben[52].

Zunächst wird dieser neue Typus der Migration in den USA in der Migrationssoziologie thematisiert[53]. Die Theorien und Diskussionen um diesen Typus der „transnationalen Migration“ und der „Transmigranten“, um den Prozess der „Transnationalisierung“, des Entstehens von „transnationalen sozialen Räumen“ und „transnational communities“ weisen schon in der in allen Begriffen verwendeten Vorsilbe „trans“ auf einen neuen Blickwinkel auf Migrations- und Eingliederungsprozesse hin.

Das Konzept der internationalen Migration meint den Wechsel von einem nationalstaatlichen „Container“ in einen anderen[54]. Unter traditionelle Formen internationaler Wanderung fallen Emigration / Immigration, Remigration und Diaspora-Wanderung. Diese Formen werden in den neueren Ansätzen der Migrationssoziologie ergänzt (nicht ersetzt) durch einen neuen Typus und eine neue Sichtweise auf Migrationsbewegungen: die Transmigration[55].

Der Typus des Transmigranten „zeichnet sich durch die Tatsache aus, dass er, abweichend von dem traditionellen Bild der Immigranten, aus den zirkulierenden […] Migranten bestand, die sich ständig zwischen ihrer Residenz- und Herkunftsgesellschaft hin- und herbewegten […].“[56] Da die Erfahrungen dieses neuen Typus von Migranten nur unzureichend mit den klassischen Konzepten der Migrationssoziologie zu fassen waren, wurde das Konzept des „Transnationalismus“ entworfen. Der Transnationalismus wird „als ein Prozess definiert, in dem die Immigranten soziale Felder […] erschließen, die ihr Herkunftsland mit ihrem Aufnahmeland verbinden.“[57]

Als Transmigranten werden „[die] Immigranten, die solche sozialen Felder erschließen und dadurch mehrfache Beziehungen […] familialer, wirtschaftlicher, sozialer, religiöser, politischer und organisatorischer Art entwickeln und aufrechterhalten, die die nationalstaatlichen Grenzen überspannen, […] bezeichnet. Diese unternehmen Aktionen, treffen Entscheidungen, artikulieren Interessen und bilden Identitäten innerhalb ihrer sozialen Netzwerke, die gleichzeitig zwei oder mehrere Gesellschaften verbinden.“[58] Transmigranten bewegen sich ständig zwischen Herkunfts- und Aufnahmegesellschaft hin und her, ihr Leben spielt sich zunehmend im transnationalen sozialen Raum ab, der nicht an nationalstaatliche Grenzen gebunden ist[59]. Der transnationale soziale Raum bildet den Lebenskontext der Transmigranten, der von nationalstaatlichen Grenzen unabhängig ist[60]. Es handelt sich nicht um einen geographisch identifizierbaren, sondern einen relationalen sozialen Raum[61]. Innerhalb dieses Raumes finden alle Aktivitäten des alltäglichen Lebens statt. Transmigranten halten ständige Beziehungen, wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Art zu Herkunfts- und Ankunftsland aufrecht. Das Aufrechterhalten von Beziehungen zum Herkunftsland an sich begründet nicht allein den neuen Typus der Migration. Migranten haben schon immer Beziehungen zum Herkunftsland beibehalten[62]. Transnationalisierung ist weniger als neues Phänomen zu verstehen, sondern als neuer Blickwinkel, der sich davon löst, Migranten nur aus der (Interessen-) Perspektive der Aufnahmegesellschaften zu sehen[63].

Das Konzept des Transnationalisierungsansatzes entstand ursprünglich in den USA. Der neue Typus des Transmigranten wurde hier auf Migranten vorwiegend aus Mexiko, karibischen Ländern und den Philippinen bezogen. Ihre Art der Migration unterscheidet sich vom traditionellen Bild und Typus vor allem durch die ständige Bewegung zwischen Residenz- und Herkunftsgesellschaft[64]. Die Ergebnisse dieser Forschungen sind daher nicht uneingeschränkt auf die Migranten in anderen Ländern übertragbar.

Auch wenn die türkischen Migrantinnen und Migranten in einer anderen Art und Weise mit ihrem Herkunftsland verbunden sind als Migrantinnen und Migranten in den USA, so ist das Bestehen transnationaler sozialer Räume auch hier erkennbar. Der transnationale Lebenskontext türkischer Migrantinnen und Migranten wird in verschiedenen Kontexten fassbar: wirtschaftliche Verflechtungen durch Einfuhr von ethnischen Konsumgütern, soziale Verflechtungen durch das Aufrechterhalten von Verwandtschaftsbeziehungen über die Grenzen verschiedenster Staaten hinweg, anhaltend hohe Heiratsmigration, kulturelle Verflechtungen durch Aufrechterhaltung kultureller Praktiken des Herkunftslandes etc.. Das alltägliche Leben wird nicht an einer „nationalen Container-Gesellschaft“ ausgerichtet, sondern - auch über Generationen hinweg – von der türkischen Kultur, Gesellschaft, Politik und den Medien weiter beeinflusst. Unabhängig davon, ob im Herkunftsland gelebt wurde, es nur als Urlaubsland bekannt ist oder nie persönlich besucht wurde, beeinflussen transnationale soziale Netzwerke, wirtschaftliche Verbindungen und kulturelle Praktiken die alltägliche Lebensführung: Der transnationale soziale Raum ist Bezugsrahmen des alltäglichen Handelns.

Transnationale Lebenskontexte meinen mehr als nur die Verbindung zweier Länder / Kulturen. Es meint nicht nur, Elemente aus zwei Kulturen zu leben und soziale Kontakte zum Aufnahmeland zu erhalten. Aus der Verbindung beider Länder und verschiedener kultureller Einflüsse entsteht kein reines „zwischen“ den Kulturen, sondern es verweist auf etwas Neues, auf mehr als nur die Kombination von sozio-kulturellen Elementen zweier Länder[65]. Es entstehen neue, trans kulturelle Praktiken, Identitäten und Zugehörigkeiten.

Hierbei sind die augenscheinlich übernommenen kulturellen Praktiken, Lebensweisen und Werte teilweise nicht mehr zwingend im Herkunftsland zu finden. Sie können ebenso imaginierten Herkunftswelten entnommen sein, die über Medien produziert, über Erzählungen aus der Vergangenheit reproduziert, oder in Erinnerungen verklärt worden sind.

Migranten, deren Lebenskontext vom transnationalen sozialen Raum gebildet wird, sind konfrontiert mit verschiedenen Wertvorstellungen mehrerer Nationalstaaten, auch bezüglich verschiedener Konzepte von Ethnie und Geschlecht, sowie eben auch imaginierten Vorstellungen über dieselben.

Ethnische Identitäten können sich nicht auf binären Zugehörigkeitsstrategien – ‚Eigenes’ und ‚Fremdes’ beziehen, die transnationale Zugehörigkeit bringt facettenreiche, widersprüchliche Zugehörigkeiten mit sich[66]. Das Konzept der Transnationalisierung bringt somit auch Folgerungen für Konzepte der Integration mit sich: „Nimmt man transnationale soziale Räume als eine wichtiger werdende Form des gesellschaftlichen Zusammenlebens im Europa des 21. Jahrhunderts ernst […], so muss auch auf die auf Inkorporationsstrategien[67] und -ergebnisse gerichtete generelle Leitfrage geändert werden. Die Problemstellung‚ in welchem Ausmaß sollte oder kann die Inkorporation von Migranten in eine nationale Containergesellschaft erfolgreich sein’ muss ergänzt (nicht ersetzt!) werden, um die Frage, welche verschiedenen Typen nationaler und transnationaler Inkorporation existieren in der Gegenwart und könnten in der Zukunft entstehen?“[68]

Inkorporation ist nach Pries[69] folglich zu fassen als:

1) ein ergebnisoffener Prozess, der entweder

a) eindeutige Assimilation
b) partielle Integration
c) Re-Integration in die Herkunftsregion
d) pluri-lokalen und nicht abgeschlossene Inkorporation in Herkunfts- wie Ankunftsregion führen kann

2) ein komplexer und dialektischer sozialer Prozess der Selbst- und Fremdwahrnehmung; er erfordert eine erfolgreiche Interaktion zwischen Migranten, Herkunfts- und Ankunftsgesellschaft

3) ein multi-dimensionaler Prozess mit einer ökonomischen, einer politischen, einer sozialen und einer kulturellen Dimension mit einer Vielfalt von Mustern und Ergebnissen. Migranten können dabei zu einer Vielzahl von Bezugsgruppen gehören und Inkorporation kann gleichzeitig in verschiedene geographische Räume stattfinden.[70]

[...]


[1] Boos-Nünning 1986, S. 80

[2] Von den in Deutschland lebenden „ausländischen“ Jugendlichen sind ¾ hier geboren

(Fuhrer / Uslucan 2005a, S. 9)

[3] Haubner, 2005, S.5

[4] In der Untersuchung „Viele Welten leben“ geben 80 % der türkischen jungen Frauen als Einreisegrund (der Eltern) „Anwerbung als Arbeitnehmer“ an, 2 % Flucht und Asyl, 18 % sonstige Gründe. Boos-Nünning / Karakaşoğlu 2005, S. 65

[5] Im Datenbestand sind 148 Fälle enthalten von Personen mit deutscher Staatsbürgerschaft, die sich selbst aber aufgrund ihrer Abstammung als Türken / Italiener definieren. Diese Fälle wurden jedoch in die Auswertung nicht mit einbezogen.

[6] Der vollständige Titel der Studie lautet: Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend: „Viele Welten leben - Lebenslagen von jungen Frauen mit griechischem, italienischem, jugoslawischem, türkischem und Aussiedlerhintergrund"

[7] Neben dem überdurchschnittlichen Bildungsniveau das die Stichprobe verzerrt, (Boos-Nünning / Karakaşoğlu 2005, S.4) werden durch den Ausschluss verheirateter Frauen vermutlich besonders jene aus der Stichprobe herausgefiltert, die besonders traditionelle Wertvorstellungen haben. Insbesondere bei türkischen Frauen, die ein im Durchschnitt früheres Heiratsalter haben, ist dieser Filter bedenklich. Dies mag ein Faktor für manche Ergebnisse der Studie sein – so bewerten auch die türkischen Befragten arrangierte Ehen überwiegend eher negativ (ebd. S. 255)- ein fragliches Ergebnis vor dem Hintergrund des Ausschlusses derer, die früh geheiratet haben.

[8] Weische-Alexa 1980, S. 5

[9] Weische-Alexa 1980, S. 223 und 165

[10] Weische-Alexa 1980, S. 224 f. und 210 f.

[11] Unter „Peers“ versteht man die Gleichaltrigengruppe von Kindern und Jugendlichen.

Schäfers 1998a , S. 24

[12] Weische-Alexa 1980, S. 225 f.

[13] Weische-Alexa 1980, S. 226 f.

[14] Weische-Alexa 1980, S. 227 f.

[15] Pfänder / Turhan 1990, S. I

[16] Pfänder / Turhan 1990, S. 39

[17] Pfänder / Turhan 1990, S. 32

[18] Pfänder / Turhan 1990, S. 55

[19] Pfänder / Turhan 1990, S. 59

[20] Pfänder / Turhan 1990, S. 50

[21] Opaschowski 2006, S. 26

[22] Opaschowski 2006, S. 34

[23] Des Weiteren können verschiedene Formen der Freizeit unterschieden werden: Tagesfreizeit (Feierabend), Wochenfreizeit (arbeitsfreie Tage), Jahresfreizeit (Urlaub, Ferien), Freie Zeit in einer Lebensphase (z.B. Sabbatjahr, Freisemester), Altersfreizeit, Zwangsfreizeit (Arbeitslosigkeit, Kurzarbeit, Krankheit etc.); vgl. Blanke / Ehling / Schwarz 1996 S. 221

[24] Opaschowski 2006, S. 26

[25] Prahl 2002, S. 274

[26] Opaschowski 2006, S. 85

[27] Männer werden wesentlich häufiger Opfer männlicher Gewalt als Frauen (Herrmann 2003, S. 16), allerdings ist die Art der Straftaten eine andere – Frauen werden häufiger Opfer von sexualisierten Gewaltstraftaten;.

[28] Opaschowski 2006, S. 121

[29] Pfänder / Turhan, S. 4

[30] Gemeint sind „Kahvehane“, also Kaffeehäuser, die im Deutschen üblicherweise als Teestuben bezeichnet werden. Es handelt sich um Cafes zumeist ohne Alkoholausschank. Ceylan 2006, S. 181

[31] Pfänder / Turhan, S. 5

[32] Weische-Alexa, 1980, S. 109.

[33] Scheinhardt 1980, S. 36; Viele der aus ländlichen Regionen stammenden Migranten waren vor der Einreise nach Deutschland aber auch Binnenmigranten und gehörten somit eher zu den sozial benachteiligten Bevölkerungsgruppen der türkischen Städte (Herwartz-Emden, 1995, S. 111).

[34] Auernheimer 2003, S. 110

[35] Nieke 2000, S. 47 f.

[36] Nieke 2000, S. 48

[37] Neben regionalen Gemeinsamkeiten können „Kulturen“ auch z.B. an Konfessionen oder Schichten gebunden sein – Kultur muss keinerlei geographischen Grenzen haben, die Übergänge zwischen „Kulturen“ sind fließend.

[38] Guitiérrez Rodriguez 2003, S. 91

[39] Guitiérrez Rodriguez 2003, S. 81

[40] Peuckert 1998, S.151

[41] Ikonomu 1989, S. 265

[42] Anette Treibel lehnt die Verwendung des Begriffs der Integration ab: „Den Integrationsbegriff bewerte ich aufgrund seiner politisch-normativen Verwendung einerseits (…) und der heterogenen soziologischen Bedeutung andererseits als zu unspezifisch. Stattdessen verwende ich den Begriff der Eingliederung.“, (Treibel 2003, S. 153); Pries bevorzugt die Verwendung des Begriffes „Inkorporation“: „dieser Begriff scheint neutraler und weniger wertbeladen als Ausdrücke wie Assimilation, Anpassung und Integration.“ (Pries 2005a, S. 36)

[43] Bendit 1999

[44] Bendit 1999

[45] Bendit 1999

[46] Bendit 1999

[47] Hoffmann, 1996 ,S. 245

[48] Friedrichs / Jagodzinski 1999, S. 10

[49] Elwert 1982, S. 2

[50] Han 2005, S. 41 ff.

[51] Han 2005, S. 47 f.

[52] Han 2005, S. 70

[53] Han 2005, S.70

[54] Pries 2001, S. 3

[55] Pries 2001, S. 8

[56] Han 2005. S.70

[57] Han 2005. S.70

[58] Han 2005. S.70 f.

[59] Han 2005. S.78

[60] Han 2005. S.80

[61] Apitzsch 2003, S. 65

[62] Als ursächlich für die verstärkte Herausbildung des Transnationalismus und des neuen Typus des Transmigranten werden folgende strukturelle Veränderungen und Entwicklungen genannt: Globalisierung der Weltwirtschaft; Entstehung transnationaler Familien; Politik der Herkunftsländer zur Reintegration ihrer Emigranten in die nationale Kultur und Wirtschaft; Soziale und rassische Diskriminierungen und Segregation der Immigranten im Aufnahmeland; Entwicklung der Informations-, Kommunikations- und Transporttechnologie. (Han 2005, S. 71-77)

[63] Mecheril 1997, S. 294

[64] Han 2005, S.70

[65] Pries 2005a, , S. 33

[66] Pries 2005a, S. 33

[67] Pries benutzt den Begriff der Inkorporation da dieser neutraler und weniger wertbeladen erscheint als der Integrationsbegriff.

[68] Pries 2005a, S. 33

[69] Pries 2005a S. 36 f.

[70] Pries 2005a, S. 36 f.

Ende der Leseprobe aus 113 Seiten

Details

Titel
Freizeit – Integration – Gender - Zum Freizeitverhalten türkischer Mädchen und junger Frauen
Hochschule
Ruhr-Universität Bochum
Note
1,3
Autor
Jahr
2007
Seiten
113
Katalognummer
V113367
ISBN (eBook)
9783640136193
ISBN (Buch)
9783640136391
Dateigröße
939 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Aus dem Gutachten: [...]tatsächlich geht es hier um mehr als nur eine Ausarbeitung "zum Freizeitverhalten". Die Verfasserin liefert eine theoretisch fundierte empirisch solide Analyse der Integrationsprobleme türkischstämmiger Mädchen und Frauen, für die nur unter anderem eine "freizeitsoziologische" Perspektive eingenommen wird. Die Arbeit stellt darüberhinaus einen fundierten Beitrag zur Migrationssoziologie, zur Soziologie sozialer Ungleichheit, zur Jugendsoziologie, zur Frauen- und Geschlechterforschung und zur Kultursoziologie dar. Der empirische Zugang über das Freizeitverhalten (wozu auch intelligente theoretische Überlegungen angestellt werden) ist in diesem Zusammenhang exemplarisch und kreativ. Die Arbeit ist anschaulich und auf sprachlich hohen Niveau geschrieben, die Verfasserin arbeitet auf einer breiten Grundlage einschlägiger wissenschaftlicher Literatur, die solide rezipiert und souverän verarbeitet wird. Die referierten empirischen Befunde, in denen z.B. eine hochgradige ethnische Homogenität der sozialen Kontakte junger Mädchen und Frauen mit türkischem Migrationshintergrund und eine starke Familienorientierung gefunden wird, werden unaufgeregt und ausgewogen interpretiert.
Schlagworte
Freizeit, Integration, Gender, Freizeitverhalten, Mädchen, Frauen, trankulturell, transkulturalität
Arbeit zitieren
Katrin Wilde (Autor:in), 2007, Freizeit – Integration – Gender - Zum Freizeitverhalten türkischer Mädchen und junger Frauen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/113367

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