Die Wohnungseigentümergemeinschaft und der Winterdienst


Seminararbeit, 2021

23 Seiten, Note: Sehr Gut


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

A. Einleitung

B. Rechtsgrundlagen
1. § 1319a ABGB Haftung des Wegehalters
2. § 93 StVO
3. § 1319 ABGB
4. Allgemeine Verkehrssicherungspflichten
5. Haftung „ex contractu“
6. Übertragung der Verkehrssicherungspflichten

C. Eigentümergemeinschaft
1. Rechtspersönlichkeit
2. Haftung der Eigentümergemeinschaft für mangelhaft ausgeführten Winterdienst
3. Haftung der Eigentümergemeinschaft gegenüber ihren Mitgliedern bei mangelhaftem Winterdienst

D. Literaturverzeichnis

E. Judikaturverzeichnis

A. Einleitung

Bei einem entstandenen Schaden aufgrund unzureichend durchgeführten Winterdienstes ergeben sich haftungsrechtliche Problematiken und Fragestellungen. Es wird in dieser Seminararbeit betrachtet, aufgrund welcher gesetzlichen Grundlagen und in welchem Ausmaß die Wohnungseigentümergemeinschaft auf den mit ihrer Liegenschaft in Zusammenhang stehenden Wegen für die Durchführung von Winterdienstarbeiten wie Schneeräumung und Verwendung von Streumitteln zu sorgen hat.

Als gesetzliche Regelungen für die Besorgung des Winterdienstes lassen sich § 93 Straßenverkehrsordnung (StVO), aufgrund der §§ 93 Abs 4 und 94 d Z 18 StVO ergangene ortspolizeiliche Verordnungen einer Gemeinde und die Wegehalterhaftung nach 1319a ABGB heranziehen. Zudem ist zu fragen, ob und welche vertraglichen Beziehungen zwischen der Wohnungseigentümergemeinschaft, dem Verwalter und der geschädigten Person vorliegen und welche Rolle die Übertragung der Winterdienstarbeiten auf ein Fremdunternehmen spielt. Von der Übertragung der Schneeräum- und Streuarbeiten auf ein Fremdunternehmen abzugrenzen ist auch die Erledigung dieser durch einen als Hausmeister angestellten Wohnungseigentümer. Dabei ist zu überlegen, ob schadenersatzrechtlich zu unterscheiden ist, ob es sich beim Geschädigten um einen Wohnungseigentümer oder eine hausfremde Person handelt.

Bezüglich der Zurechnung des Gehilfenverhaltens an die Wohnungseigentümergemeinschaft ist zu prüfen, ob eine vertragliche Erfüllungsgehilfenhaftung nach § 1313a ABGB oder eine deliktische Besorgungsgehilfenhaftung nach § 1315 ABGB vorliegt. Auch ein mögliches Organisations-, Auswahl- oder Überwachungsverschulden des Verwalters ist in Betracht zu ziehen. Weiters ist nach dem in der jeweiligen Situation und Konstellation gebotenen Sorgfaltsmaßstab hinsichtlich der Verrichtung des Winterdienstes zu fragen.

Durch Heranziehen von Fachartikeln, Entscheidungen des OGH und Rechtsätzen werden die aufgeworfenen Fragestellungen abgehandelt.

B. Rechtsgrundlagen

Unzureichend durchgeführter oder unterlassener Winterdienst kann zum Schadenseintritt führen. Verletzt sich jemand auf einem mangelhaft gestreuten oder nicht von Schnee oder Glatteis befreiten Weg, können Schadenersatzansprüche die Folge sein. Aus haftungsrechtlicher Sicht sind verschiedenste Aspekte zu betrachten. Dazu zählen unter anderem, welche Anspruchsgrundlage herangezogen werden kann, ob eine etwaige Gehilfenzurechnung möglich ist, ob ein Mitverschulden vorliegt, und welche Sorgfalt anzuwenden gewesen wäre.

Hinsichtlich der Rechtsgrundlagen für die Pflicht zur ordnungsgemäßen Durchführung von Winterdienst Verrichtungen können folgende Bestimmungen herangezogen werden.

1. § 1319a ABGB Haftung des Wegehalters

Nach § 1319a ABGB haben der Wegehalter und seine Leute für den mangelhaften Zustand eines Weges einzustehen. § 1319a ABGB ist lex specialis zu allgemeinen Verkehrssicherungspflichten, weshalb im Anwendungsbereich des § 1319a ABGB andere Verkehrssicherungspflichten verdrängt werden.1

Als „Weg“ im Sinne des § 1319a ABGB versteht man eine Landfläche, die von jedermann unter den gleichen Bedingungen für den Verkehr jeder Art oder für bestimmte Arten des Verkehres benützt werden darf, selbst wenn sie nur für einen eingeschränkten Benutzerkreis bestimmt ist. Zum Weg gehören auch die dort befindlichen und dem Verkehr dienenden Anlagen wie Brücken, Stützmauern, Futtermauern, Durchlässe, Gräben und Pflanzungen. Ob der Zustand eines Weges mangelhaft ist, orientiert sich daran, was nach der Art des Weges, besonders nach seiner Widmung, für seine Anlage und Betreuung angemessen und zumutbar ist. Halter des Weges ist derjenige, der die Kosten zur Errichtung und Erhaltung des Weges trägt und die Verfügungsmacht hat. Nicht erforderlich ist, dass der Halter auch der Eigentümer des Weges ist.2

Als Kriterium für einen Weg im Sinne dieser Bestimmung ist verlangt, dass die Fläche von jedermann zu gleichen Bedingungen für den Verkehr jeder Art oder für bestimmte Arten des Verkehrs benutzt werden darf. Steht eine Fläche nur einem eingeschränkten Kreis, wie etwa Fußgängern oder Radfahrern, all diesen jedoch zu gleichen Bedingungen offen, ist ein Weg im Sinne des § 1319a ABGB gegeben. In einem abgezäunten Grundstück befindliche Wege wie beispielsweise in einem Fabrik-, Krankenhaus- oder Eisenbahngelände gelegene Verkehrsflächen, ebenso wie der Öffentlichkeit nicht zugängliche Wege in einem privaten Garten, Park oder Wald sind außerhalb des Anwendungsbereiches des § 1319a ABGB.3

Kein „Weg“ ist gegeben, wenn ausschließlich den Eigentümern einer Wohnanlage oder deren Mieter die Nutzung der Fläche erlaubt ist.4 Dagegen ist ein innerhalb der Wohnanlage einer Eigentümergemeinschaft gelegener, von einer Vielzahl von Personen benützter Verbindungsweg für den allgemeinen Fußgängerverkehr - wie etwa ein Gehweg mit öffentlichem Fußgängerverkehr innerhalb der Anlage, vom Anwendungsbereich des § 1319a ABGB erfasst.5 Entsprechendes betrifft einen privaten Parkplatz, der für den allgemeinen Verkehr wie etwa Kunden und Lieferanten offen ist.6

Für eine Haftung nach § 1319a ABGB ist daher stets abzuklären, auf welcher Fläche sich der Schadensfall, zum Beispiel dass jemand wegen Glatteis oder unzureichender Schneeräumung gestürzt ist und sich verletzt hat, ereignet hat.

Weiteres Kriterium für eine Haftung nach § 1319a ABGB ist die in der Bestimmung genannte Mangelhaftigkeit des Weges. Als Beurteilungsmaßstab für die Mangelhaftigkeit des Weges heranzuziehen sind das Verkehrsbedürfnis und die Zumutbarkeit entsprechender Maßnahmen. Es sind die nach der Art des Weges angemessenen und zumutbaren Vorkehrungen zu erbringen. Der Umfang der Sorgfaltspflicht eines Wegehalters ist im jeweiligen Einzelfall für den konkreten Weg, auch bezugnehmend auf dessen Widmung und Benutzung abzugrenzen. Beachtenswert dabei sind zudem die geographische Lage des Weges und die jahreszeitlichen Bedingungen. Auch die objektive Zumutbarkeit der aufzuwendenden Sorgfalt kann variieren. Wenn jemand nur aus Gefälligkeit den Verkehr über das eigene Grundstück zulässt, sind zum Beispiel in geringerem Umfang Maßnahmen zur Instandhaltung des Weges zumutbar. Es kann auch nötig werden, auf besondere Gefahren durch entsprechende Warnungen und Beschilderungen hinzuweisen.7 Das Aufstellen von Warnschildern befreit den Wegehalter jedoch nicht von seiner Haftung, wenn die Beseitigung der Gefahr zumutbar wäre.8

Zur Pflege eines Weges zählen die Reinigung, Bestreuung und Vorkehrungen gegen Glatteis, zu berücksichtigen sind aber auch hier das Verkehrsbedürfnis und die Zumutbarkeit entsprechender Maßnahmen.9

Der Wegehalter haftet, wenn er oder seine „Leute“ den mangelhaften Zustand des Weges mit Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit verursacht haben. Anders als bei der allgemeinen Regelung des § 1315 ABGB wird daher eine Haftung des Wegehalters für das Verhalten Dritter begründet, jedoch beschränkt auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit.10 Für Besorgungsgehilfen nach § 1315 ABGB hat der Geschäftsherr nur zu haften, wenn diese wissentlich gefährlich oder habituell untüchtig sind.

Unter dem Begriff „Leute“ sind nicht nur Dienstnehmer des Wegehalters zu verstehen, sondern es genügt, wenn ein bestimmtes Naheverhältnis zum Wegehalter besteht, welches zulässt, dass der Wegehalter seinen Leuten auch konkrete Anordnungen erteilen kann.11

Selbstständige, weisungsfreie Unternehmer, welche vom Wegehalter mit der Erfüllung der den Wegehalter zukommenden Aufgaben betraut werden, sind nicht „Leute“ im Sinne § 1319a ABGB.12Werden die Aufgaben des Wegehalters durch jemanden besorgt, der wie ein selbständiger Unternehmer einen eigenen Organisationsbereich und Verantwortungsbereich begründet, so gehört er nicht mehr zu den "Leuten" des Wegehalters. In einem solchen Fall trifft ja nicht der Wegehalter die an sich in seinen Verantwortungsbereich fallenden Maßnahmen“.13

Wenn der Wegehalter einen selbstständigen, weisungsfreien Unternehmer zur Erhaltung des Weges beauftragt, haftet der Wegehalter selbst nicht mehr nach § 1319a ABGB. Es trifft ihn nur noch eine Haftung für Auswahl- und Überwachungsverschulden.14 Aber zur Begründung der Haftung wegen eines Auswahl- oder Überwachungsverschuldens reicht jedoch bereits leichte Fahrlässigkeit bei Fehlern der Auswahl und der Überwachung aus.15

Zu betonen ist auch, dass der weisungsfreie Unternehmer ebenso nicht nach § 1319a ABGB haftet, sondern nur deliktisch nach dem allgemeinen Schadenersatzrecht.16 Dafür, dass ein beauftragter Dritter nicht mehr zu den „Leuten“ im Sinn des § 1319a ABGB gehört, genügt nach der Rechtsprechung, dass der Dritte die Aufgaben des Wegehalters so verrichtet, wie ein selbständiger Unternehmer mit eigenem Organisations- und Verantwortungsbereich. Der Dritte haftet dann nach den Allgemeinen Schadenersatzregeln.17

§ 1319a ABGB ist begrenzt auf grobes Verschulden, sprich grobe Fahrlässigkeit oder Vorsatz, des Halters oder seiner Leute am mangelhaften Zustand des Weges. Dies muss vom Geschädigten bewiesen werden. „Dem Geschädigten obliegt neben dem Beweis der Wegehaltereigenschaft und des mangelhaften Zustands des Weges auch jener der groben Fahrlässigkeit.“18

Grobe Fahrlässigkeit im Sinne des § 1319a ABGB ist eine auffallende Sorglosigkeit, bei der die gebotene Sorgfalt nach den Umständen des Falles in ungewöhnlicher Weise außer Acht gelassen wird. Der Eintritt eines Schadens ist nicht nur möglich, sondern als geradezu wahrscheinlich vorauszusehen. Grobes Verschulden war etwa vorliegend, als im Interesse des Fremdenverkehrs und um ein einheitlich weißes Landschaftsbild zu erhalten, eine unzureichende Splittstreuung auf schneebedeckter Fahrbahn erfolgte.19

2. § 93 StVO

§ 93 StVO enthält Pflichten der Anrainer zur Vornahme von Winterdienst Arbeiten. Die Eigentümer von Liegenschaften in Ortsgebieten haben sich unter anderem darum zu kümmern, dass die entlang der Liegenschaft in einer Entfernung von nicht mehr als drei Meter vorhandenen, dem öffentlichen Verkehr dienenden Gehsteige und Gehwege, einschließlich der in ihrem Zuge befindlichen Stiegenanlagen, entlang der ganzen Liegenschaft in der Zeit von 6 bis 22 Uhr von Schnee und Verunreinigungen gesäubert, sowie bei Schneelage und Glatteis bestreut sind.

Ist ein Gehsteig oder Gehweg nicht vorhanden, dann ist der Straßenrand in der Breite von einem Meter zu säubern und zu bestreuen. Außerdem haben die Eigentümer von Liegenschaften in Ortsgebieten ohne zeitliche Einschränkung dafür zu sorgen, dass Schneewächten oder Eisbildungen von den Dächern ihrer an der Straße gelegenen Gebäude bzw. Verkaufshütten entfernt werden. Durch all diese Maßnahmen dürfen Straßenbenützer nicht gefährdet oder behindert werden. Wenn nötig, sind die gefährdeten Straßenstellen abzuschranken oder sonst in geeigneter Weise zu kennzeichnen.20

Die Rechtsprechung beurteilt das Erfüllen der Streupflicht nach objektiven Gesichtspunkten. Die Grenze der Streupflicht richtet sich nach den Verkehrsbedürfnissen und an der Zumutbarkeit für den Streupflichtigen.21 Wenn andauernder Schneefall gegeben ist und ständig erneuerndes Glatteis entsteht, kann dem Verpflichteten eine ununterbrochene Schneeräumung und Sicherung der Verkehrswege nicht zugemutet werden.22

Ob eine ausreichende Streuung gegeben ist, ist nicht davon abhängig, wie viele Menschen den Gehsteig ohne zu stürzen, benützten, sondern ob der Gehsteig in einen das Höchstmaß an Sicherheit für Passanten gewährleistenden Zustand gebracht und erhalten wurde.23 Bei ständiger Eisbildung infolge Eisregens ist zumutbar, in kürzeren Abständen als einer Stunde den Gehsteig zu bestreuen.24

Vom Verpflichteten dürfen keine zwecklosen Maßnahmen verlangt werden, der Aufwand muss in einem vernünftigen Verhältnis zur Zielerreichung stehen.25 „Rund um die Uhr“ Schneeräumung und Maßnahmen gegen Glatteis sind regelmäßig unzumutbar.26

[...]


1 RIS-Justiz RS0111360; OGH 31.08.2015, 6 Ob 85/15s.

2 RIS-Justiz RS0030011; Reischauer in Rummel, § 1319a ABGB3 Rz 8.

3 Weixelbraun-Mohr in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.06 § 1319a Rz 8.

4 RIS-Justiz RS0109222; OGH 3.7.2007, 5 Ob 117/07b.

5 OGH 2 Ob 217/08p Zak 2009/431, 275.

6 OGH 15.02.2017, 7 Ob 218/16h.

7 Weixelbraun-Mohr in ABGB-ON1.06 § 1319a Rz 10ff.

8 Reischauer in § 1319a ABGB3 Rz 15; OGH 30.08.2016, 1 Ob 143/16k.

9 Weixelbraun-Mohr in ABGB-ON1.06 § 1319a Rz 13.

10 Weixelbraun-Mohr in ABGB-ON1.06 § 1319a Rz 23f.

11 OGH 8 Ob 102/82 REDOK 2405.

12 OGH 1 Ob 220/12b immolex 2013/50, 155 (Klein).

13 RIS-Justiz RS0029995.

14 RIS-Justiz RS0030159.

15 OGH 29.04.2009, 2 Ob 217/08p.

16 OGH 21.02.2013, 2Ob231/12b.

17 OGH 26.06.2014, 8 Ob 53/14y; RIS-Justiz RS0029995 [T6 und T7].

18 RIS-Justiz RS0124486.

19 Weixelbraun-Mohr in ABGB-ON1.06 § 1319a Rz 25f; OGH 17.10.1989, 2 Ob 93/89.

20 Authried/Tretzmüller, Die Anrainerpflichten nach § 93 StVO im Winter, ZVR 2019/19, 46.

21 RIS-Justiz RS0023277.

22 OGH 10.04.2008, 2 Ob 66/08g.

23 OGH 07.07.1983, 6 Ob 676/82.

24 OGH 23.04.1989, 6 Ob 550/80.

25 OGH 25.05.2016, 2 Ob 211/15s.

26 OGH 28.03.2014 2 Ob 43/14h.

Ende der Leseprobe aus 23 Seiten

Details

Titel
Die Wohnungseigentümergemeinschaft und der Winterdienst
Hochschule
Universität Wien
Note
Sehr Gut
Autor
Jahr
2021
Seiten
23
Katalognummer
V1135117
ISBN (eBook)
9783346507266
ISBN (Buch)
9783346507273
Sprache
Deutsch
Schlagworte
WEG Wegerecht Haftung Winterdienst
Arbeit zitieren
Amanda Reiter (Autor:in), 2021, Die Wohnungseigentümergemeinschaft und der Winterdienst, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1135117

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