Sollte das Bundesverfassungsgericht nicht sein Veto einlegen, so ist es am 18.9.2005 wieder soweit: In Deutschland wird dann ein neuer Bundestag gewählt. Das bedeutet auch, dass die Hochzeit der Wahlforscher angebrochen ist, die unter anderem über mögliche Wahlausgänge spekulieren und die Wahlbeteiligung der Bevölkerung messen werden. Im nationalen Kontext ist diese Form der Wahlforschung ein stark bearbeitetes Feld. Im internationalen Kontext hingegen gibt es bisher noch relativ wenig aktive Forscher, die sich mit der wohl wichtigsten Form von politischer Partizipation beschäftigen. Doch sind gerade im Vergleich der etablierten Demokratien erstaunliche Differenzen zu erkennen, vor allem in Hinblick auf die Wahlbeteiligung. Wie ist es zu erklären, dass in Australien und in Belgien bei nationalen Wahlen über 90% der Bevölkerung wählt, wohingegen in der USA und in der Schweiz kaum mehr als die Hälfe der Wahlberechtigten den Gang zur Urne antritt? Kurz: Worin liegen Gründe für die starke Varianz in der Wahlbeteiligung der etablierten Demokratien? Mit dieser Frage wird sich die vorliegende Hausarbeit, welche sich thematisch in den Teilbereich der vergleichenden Politikwissenschaft (im engeren Sinne) einordnen lässt, beschäftigen. Ziel ist es, auf der Makroebene einen Überblick über die wichtigsten Erkenntnisse der vergleichenden Wahlforschung zu geben: Beginnend mit institutionellen Faktoren, soll anschließend die Dimension der soziopolitischen und der politisch-kulturellen Faktoren erörtert werden. Des weiteren wird sich diese Arbeit sowohl mit den sozioökonomischen und demographischen als auch mit den historischen Faktoren beschäftigen. Dabei soll gezeigt werden, dass durchaus vielfältige Gründe für diese Niveauunterschiede in der Wahlbeteiligung existieren – einige mit größerer, andere mit geringerer Bedeutung.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Institutionelle Faktoren
3. Sozio-politische und politisch-kulturelle Faktoren
4. Sozioökonomische und demographische Faktoren
5. Historische Faktoren
6. Schlussbetrachtungen
1. Einleitung
Sollte das Bundesverfassungsgericht nicht sein Veto einlegen, so ist es am 18.9.2005 wieder soweit: In Deutschland wird dann ein neuer Bundestag gewählt. Das bedeutet auch, dass die Hochzeit der Wahlforscher angebrochen ist, die unter anderem über mögliche Wahlausgänge spekulieren und die Wahlbeteiligung der Bevölkerung messen werden. Im nationalen Kontext ist diese Form der Wahlforschung ein stark bearbeitetes Feld. Im internationalen Kontext hingegen gibt es bisher noch relativ wenig aktive Forscher, die sich mit der wohl wichtigsten Form von politischer Partizipation beschäftigen. Doch sind gerade im Vergleich der etablierten Demokratien erstaunliche Differenzen zu erkennen, vor allem in Hinblick auf die Wahlbeteiligung. Wie ist es zu erklären, dass in Australien und in Belgien bei nationalen Wahlen über 90% der Bevölkerung wählt, wohingegen in der USA und in der Schweiz kaum mehr als die Hälfe der Wahlberechtigten den Gang zur Urne antritt? Kurz: Worin liegen Gründe für die starke Varianz in der Wahlbeteiligung der etablierten Demokratien? Mit dieser Frage wird sich die vorliegende Hausarbeit, welche sich thematisch in den Teilbereich der vergleichenden Politikwissenschaft (im engeren Sinne) einordnen lässt, beschäftigen. Ziel ist es, auf der Makroebene einen Überblick über die wichtigsten Erkenntnisse der vergleichenden Wahlforschung zu geben: Beginnend mit institutionellen Faktoren, soll anschließend die Dimension der soziopolitischen und der politisch-kulturellen Faktoren erörtert werden. Des weiteren wird sich diese Arbeit sowohl mit den sozioökonomischen und demographischen als auch mit den historischen Faktoren beschäftigen. Dabei soll gezeigt werden, dass durchaus vielfältige Gründe für diese Niveauunterschiede in der Wahlbeteiligung existieren – einige mit größerer, andere mit geringerer Bedeutung.
2. Institutionelle Faktoren
Der Bereich der institutionellen Faktoren lässt sich nach Markus Freitag in „formalrechtliche Rahmenbedingungen und politisch-institutionelle Variablen unterteilen“ (Freitag 1996: 8). Unter ersteren versteht man wahlorganisatorische E- lemente, die Anreize zur Wahlteilnahme schaffen sollen. Dazu zählen vor allem Faktoren wie beispielsweise die Wahlpflicht, die Wahlregistrierung und die Ausprägung des Wahlsystems. Zu den politisch-institutionellen Elementen hingegen gehören der „Disproportionalitätsgrad zwischen Stimmund Mandatsverteilung, der Wettbewerbsgrad des Parteiensystems und der Wahlen, die Referendumsmöglichkeiten, das Ausmaß der Regierungswechsel bzw. –änderungen und der Einführungszeitpunkt des Frauenwahlrechts“ (Freitag 1996: 10). Die bereits genannten Faktoren haben neben weiteren einen Einfluss auf die Kosten der Wahl, die für die Wahlberechtigten anfallen, auf die Wahlentscheidung der Bevölkerung und schließlich auch auf das Wahlergebnis (Norris 2002: 61) und sollen nachfolgend näher beleuchtet werden:
Betrachtet man Demokratien mit einer allgemeinen Wahlpflicht wie beispielsweise Australien, Belgien und Italien, registriert man in diesen Staaten konstante Wahlbeteiligungen von über 90%. Da eine Wahlpflicht zumeist mit Sanktionierungen bei Nicht-Wahl verbunden ist, muss man –wie in Australien und Belgien- mit Geldstrafen und strafrechtlicher Verfolgung rechnen. Nach dem Prinzip der Kosten-Nutzen-Abwägung schreiben die Wahlberechtigten bei einer allgemeinen Wahlpflicht dem Wahlgang die niedrigeren Kosten zu und bewirken somit eine überdurchschnittlich hohe Wahlbeteiligung (Crewe/Powell zitiert in: Freitag 1996: 8). Erwartungsgemäß hat sich die Wahlpflicht als wichtigste Determinante innerhalb der institutionellen Faktoren herausgestellt und neutralisiert mit ihrer starken Wirkung oftmals auch die Wirkung anderer potentieller Faktoren.
Neben der Wahlpflicht ist auf einen weiteren Faktor, nämlich die Registrierung, zu verweisen. Ohne vorherige Registrierung ist eine Stimmabgabe nicht möglich. In Ländern, in denen eine automatische Registrierung erfolgt (Bundesrepublik) bzw. die Registrierung durch den Bürger verpflichtend ist (Australien, Neuseeland), ist die Wahlbeteiligung statistisch gesehen höher als in Ländern, in denen sich die Bürger zunächst registrieren lassen müssen (Frankreich, USA).
„Diese administrative Barriere wird daher häufig als zentrales Kriterium für die geringe Wahlbeteiligung in den USA herangezogen, da zu den Kosten des Wahlgangs jedes Mal die Registrierung hinzukommt“ (Freitag 1996: 9).
Die Kosten der Wahlbeteiligung für den einzelnen Wähler können auch durch andere Möglichkeiten von Seiten des Staats beeinflusst und gesenkt werden:
„The difficulties of voting can be reduced by the widespread availability of special arrangements for mobile populations, such as mail, proxy, absentee and overseas voting, as well as polling facilities for the elderly and disabled in nursing homes and hospitals, and elections held on a weekend or holiday rather than on a workday“ (Norris 2002: 61).
Länder, in denen man sich um solche Maßnahmen bemüht, können demnach mit einer höheren Wahlbeteiligung rechnen.
Auch das Alter, ab dem Staatsbürger gesetzlich zur Wahl berechtigt sind, spielt eine Rolle. Junge Menschen sind politisch relativ uninteressiert. Demzufolge ist die Wahlbeteiligung bei einer niedrigen Altersschranke geringer als bei einer hohen (Blais/Dobrzynska 1998: 244).
Ein weiteres wichtiges Element, welches einen (wenn auch keinen sehr gewichtigen) Einfluss auf die Wahlbeteiligung hat, ist das Wahlsystem. In Verhältniswahlsystemen werden die Wählerstimmen proportional in Mandatssitze verrechnet und Stimmen für kleinere Parteien gehen nicht verloren. Das fördert die Parteienkonkurrenz und lässt eine größere Anzahl von Parteien zu. Mehrheitswahlsysteme weisen gegensätzliche Charakteristiken auf: Sie produzieren „eine große Disproportionalität zwischen gewonnenen Stimmen und zugewiesenen Mandaten der Parteien“, was „befremdend auf die Wähler“ wirke und „ihnen ein Gefühl der Wirkungslosigkeit der Stimmabgabe“ gebe (Freitag 1996: 9). Des weiteren ist in Mehrheitswahlsystemen eine Art „Verödungseffekt“ (Beyme zitiert in: Freitag 1996: 9) zu beobachten, das heißt, dass in Parteihochburgen der Anreiz zu Wählermobilisierung für andere Parteien sinke, wodurch kein Parteienwettbewerb mehr gegeben ist. Wenn somit der Wahlausgang bereits vorher absehbar ist und/oder der Wählerstimme mit großer Wahrscheinlichkeit der Status einer „wasted vote“ droht, sind dem Wähler kaum noch Anreize gegeben, zur Urne zu gehen (Norris 2002: 63). Daraus folgt, dass es ein positiver Zusammenhang zwischen dem Mehrheitswahlrecht und einer relativ niedrigen Wahlbeteiligung (Bsp. Großbritannien), bzw. zwischen dem Verhältniswahlrecht und einer relativ hohen Wahlbeteiligung (Bsp. Bundesrepublik) besteht.
Nach den formalrechtlichen Rahmenbedingungen sollen jetzt die politischinstitutionellen Variablen betrachtet werden. Zu diesen gehört der bereits im vorhergehenden Abschnitt über Wahlsysteme erwähnte Disproportionalitätsgrad von Stimmund Mandatsverteilung. Wie erläutert wurde, kann man wegen der Chancenlosigkeit vieler potentiellen Stimmen resümieren, dass ein steigender Grad an Disproportionalität die Wahlbeteiligung sinken lässt.
Auch der Wettbewerbscharakter innerhalb des Parteiensystems und der Wahlen wurde bereits angesprochen. Dazu gibt es zwei Hypothesen: Ein Ansatz besagt, dass die Wahlbeteiligung mit dem Ausmaß der Fragmentierung des Parteiensystems steigt:
„… all other things being equal, the greater the range of choice available on the ballot, the more voters will find a party, candidate, or referendum issue that reflects their viewpoint, and the stronger will be the incentive to vote” (Norris 2002: 62).
Der andere Ansatz sieht in einer zu erwartende Knappheit des Wahlausgangs den Grund für eine Mobilisierung der Wählerschaft, wohingegen ein deutliche stimmenanteilsmäßige Dominanz der Regierung(skoalition) „vor einer anstehenden Wahl den Wettbewerb innerhalb des Parteiensystems außer Kraft“ setzt (Freitag 1996: 11): In diesem Fall sind sowohl für den Regierungsparteianhänger als auch für den Anhänger einer Oppositionspartei die Kosten des Urnengangs höher als der Nutzen. Folglich ist die Wahlbeteiligung in solchen Fällen einer dominanten Regierung niedriger als in Demokratien mit geringeren Mehrheiten für die Regierung. Und sollte die Regierungszusammensetzung prinzipiell schon vor der Wahl feststehen, so wie es in der Schweiz auf Grund des Parteienproporzes üblich ist, dann ist eine dementsprechend besonders niedrige Wahlbeteiligung zu erwarten.
Auch das Ausmaß der Regierungswechsel oder –änderungen hat Auswirkungen auf die Wahlbeteiligung. Demnach weisen „Staaten mit häufigen Wechseln in der Regierungszusammensetzung im Anschluss an eine Wahl ... eine höhere durchschnittliche Wahlbeteiligung auf als Länder mit einer dauerhaften Hegemonie“ einer Regierungspartei (Freitag 1996: 12). Aber auch die Häufigkeit der Wahl kann ein Effekt auf die Wahlbeteiligung haben: „The more often national elections are held, the greater the voter fatigue“ (Norris 2002: 68). Dies lässt sich übertragen auf den Aspekt der nationalen Referenden: Am Beispiel der Schweiz kann man eine große Wahlmüdigkeit feststellen, welche unter anderem von der großen Häufigkeit der Wahlgänge, hervorgerufen durch nationale Referenden, herrührt. (Fast) keine Referenden in der Verfassung zuzulassen kann also eine positive Wirkung auf die Partizipationsbereitschaft der Bürger bei Wahlen haben.
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