Holm Tetens Versuch über rationale Theologie. Eine kritische Untersuchung


Hausarbeit, 2021

19 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

I. Einführende Bemerkungen – eine Gewinnwarnung

II. Gott denken?
A. Der Naturalismus als defizitäre Metaphysik
B. Gott als unendlicher Geist – Tetens‘ Panentheismus
C. Die Notwendigkeit des Leids – Der Theodizee Erster Teil
D. Rationale Eschatologie – Der Theodizee Zweiter Teil
E. Von moralischer und unmoralischer Metaphysik

III. Kritische Würdigung – Ein Strauß voller Möglichkeiten

IV. Abschließende Bemerkungen – Der Glaubenssprung ist der Willkür entzogen

V. Literaturverzeichnis

I. Einführende Bemerkungen – eine Gewinnwarnung

„Denken? [Gott]? – Sauve qui peut ! Rette sich, wer kann!“1 Ein Philosoph, der sich in unseren Tagen ernsthaft zum Ziel setzt, den irrationalen Glauben im Terrain der Philosophie zu rehabilitieren, setzt sich vor seinen Kollegen nicht nur, im Geiste Camus‘, dem Vorwurf des philosophischen Selbstmordes aus, ein solcher Buchtitel dürfte bei radikalen Verfechtern des Bilderverbots darüber hinaus für einen heftigen Affront sorgen. Beiderlei wäre jedoch ungerechtfertigt: erstens vollzieht der mittlerweile emeritierte Berliner Professor für theoretische Philosophie Holm Tetens (*1948) in seinem Büchlein Gott denkenEin Versuch über rationale Theologie keinen irrationalen Glaubenssprung oder Ähnliches. Vielmehr wagt er ein Gedankenexperiment, welches uns – sollte es denn gelingen – erlaubt, Gott anzusehen als „eine begriffliche Möglichkeit, die zu erwägen keineswegs an den Haaren herbeigezogen ist.“2 Auch die zweite Gefahr ist schnell ausgeräumt, ist sein konzipierter Philosophengott doch keineswegs eine Skizze desjenigen, der uns in den christlichen Überlieferungen begegnet. Vielmehr gibt er eine auf das Allermindeste reduzierte Charakterisierung eines Schöpfergottes, welche er exemplarisch in folgendem – von wesentlichen Ingredienzen christlicher Dogmatik abstrahierenden – Fragment eines „rationalen Glaubensbekenntnisses“ ankündigt: „Ich glaube an Gott, den Vater den Allmächtigen, den Schöpfer des Himmels und der Erde. [...] Ich glaube an den Heiligen Geist, [...] Vergebung der Sünden, Auferstehung der Toten und das ewige Leben.“3 Wer sich also erhofft, Tetens’ Anspruch sei es, die christlichen Dogmen zu „rationalisieren“, wird das Buch enttäuscht beiseitelegen. Der fundamentaltheologische Ertrag für die Bestrebungen der Systematischen Theologie fällt also vergleichsweise begrenzt aus, die religionsphilosophische Prüfung der hier aufgeführten Elemente des Theismus, welche Tetens zu einem nicht geringen Teil durchaus der christlichen Religion entlehnt, kann sich aber auch für den Christen als sehr fruchtbar erweisen. All dies erfolgt in einer dialektischen Auseinandersetzung mit dem Naturalismus und dessen Unzulänglichkeiten, das Phänomen des Geistigen hinreichend verständlich zu machen. In der Absicht, diese zu umgehen, entwirft Tetens eine Spielart des Panentheismus, welche darüber hinaus die vermeintlich problematischen moralischen Implikationen des Naturalismus umgehen und angesichts der Verlegenheit des Gottesglaubens innerhalb der Theodizee-Debatte für ein Umdenken sorgen soll. Der vorliegende Essay macht es sich zum Anspruch, Tetens‘ Argumentationslinie zu rekonstruieren und sie im Anschluss hieran anhand weniger kurzer Bemerkungen kritisch zu diskutieren.

II. Gott denken?

A. Der Naturalismus als defizitäre Metaphysik

Der naturalistische Philosoph hat sich ein ehrgeiziges Ziel gesteckt: er will unsere Ehrfahrungswelt in ihrer gesamten Mannigfaltigkeit ausschließlich unter Rückgriff auf die Termini und Relationen enträtseln, welche uns die Sprache der empirischen Naturwissenschaften zur Verfügung stellt. Indem sich der Naturalismus – auch Physikalismus oder Materialismus genannt – dieser Maxime verpflichtet, begibt er sich unweigerlich in das Feld der Metaphysik, eben jener Wissenschaft, welche sich nicht mit der Beschreibung einzelner Prozesse oder Organismen der empirischen Natur zufriedengibt, sondern die grundlegenden Bestimmungen des Seins und dessen Struktur zu erkennen versucht. Die prinzipielle Notlage der Disziplin seit Immanuel Kant, von dem Hegel sagt, er habe sie „mit Stumpf und Styl“ ausgerottet,4 indem er die Unverfügbarkeit transzendentaler, i.e. die Mittel unseres sinnlichen Erfahrungsapparates übersteigender Erkenntnis nachwies, hat in der Philosophiegeschichte nach Kant zu einer flächendeckenden Enthaltsamkeit gegenüber metaphysischen Fragen geführt – „leider, denn mit welchem Recht verwirft man, ohne genauer auf den Einzelfall zu achten, die Möglichkeit, dass wir etwas Wichtiges über die Stellung des Menschen in der Welt [...] in Erfahrung bringen [...]?“5 In Anbetracht des unüberwindbar scheinenden Plateaus des Für-uns im Gegensatz zum An-sich der Dinge mahnt uns Tetens einerseits zur Unerschrockenheit, weist allerdings gleichwohl auf die Kühnheit des Erklärungsanspruchs sowie der Methode der naturalistischen Metaphysik hin.

Methodologisch werde die materialistische Grundannahme nämlich begleitet von einem Rahmenprinzip des Verbotes teleologischer Erklärungsweisen, was laut Tetens mit dem wissenschaftlichen Apriori einhergeht, das er als den „methodischen Atheismus“ bezeichnet: der Naturalismus – selbst verhaftet in seinem naturwissenschaftlichen Credo der empirischen Erkenntnis der Welt – verschließe sich Gott in ihren Erkärungsmodellen gemäß Ockhams Rasiermessers aus Gründen explanatorischer Sparsamkeit und behaupte gleichzeitig, rein gar nichts innerhalb ihrer Beobachtungen würde auf die Notwendigkeit der Hinzunahme der Variable Gott hinweisen: „‘Kunststück‘ [...]. Wer bereits im methodologischen Vorfeld Gott für die Wissenschaften als nicht-existent erklärt, kann ihn nicht finden. Ist damit das Dasein Gottes widerlegt? Wohl kaum.“6

Im Hinblick auf den eigenen Anspruch, das Physische als einzige ontologische Kategorie nachzuweisen, befinde sich der Naturalismus mit seiner Theorie der Reduktion der Wirklichkeit auf bloße tote Materie – trotz weitreichenden Konsenses innerhalb der philosophischen Zunft – in der argumentativen Bringschuld und müsse demnach nachweisen, dass es ihr gelinge, zwei grundlegende Seins-Typen miteinander in befriedigender Weise zueinander in Beziehung zu setzen: „Jede ernstzunehmende metaphysische Auskunft über das Universum und unseren Platz in ihm ist daher mit der Frage konfrontiert: Wie haben wir uns die Wirklichkeit im Ganzen vorzustellen, damit wir verstehen, wie materielle Dinge und Prozesse und zugleich erlebnisfähige selbstreflexive Ich-Subjekte zusammen ein und dieselbe Welt bilden?“7 Konkret offenbaren sich nach Tetens vier eklatante Unzulänglichkeiten in der naturalistischen Argumentation:

Erstens beschrieben die empirischen Naturwissenschaften ihre Untersuchungsgegenstände nach dem eigenen Selbstverständnis objektiv, d.h. unabhängig von der Erste-Personen-Perspektive.8 Daraus ergebe sich aber nun eine Unvollständigkeit ihres Geltungsbereiches, denn solche objektiven Beschreibungen ließen notwendig keine Informationen über das mentale Leben einer Person zu, deren irreduzibel subjektive Perspektive keine von Formulierung über den indexikalischen Ausdruck „Ich“ abstrahierende Charakterisierung zulasse und damit das zweite von Tetens ausgerufene Explanandum so problematisch mache.9 Als sein Gewährsmann fungiert hierbei der amerikanische Philosoph Thomas Nagel mit seinem 1974 erschienenem Essay: „Wie ist es, eine Fledermaus zu sein?“.10

Zweitens und darauf aufbauend entbehre die Wissenschaft jeglichen Vokabulars zur Artikulation des psychologischen Erlebens der Person: „Denn eine Erklärung hat immer die Form eines Schlusses, und eine physikalische Erklärung des Mentalen müsste ein Schluss aus rein physikalischen Prämissen auf mentale Sachverhalte sein“.11 Da diese Möglichkeit oben jedoch bereits verworfen wurde, „lässt sich aus rein physikalischen Prämissen niemals logisch-begrifflich auf mentale Sachverhalte schließen.“12

Ob der Ohnmacht, begrifflich wahre naturgesetzliche Aussagen über das Mentale zu treffen, suchten Naturalisten drittens nach Brückenprinzipien im Sinne möglicher Korrelationsbehauptungen zwischen dem Physischen und dem Auftreten des Mentalen: Die Möglichkeit des Prinzips logisch-begrifflicher oder naturgesetzlicher Supervenienz, also der Veränderung mentaler Eigenschaften exklusiv durch Veränderung physischer Eigenschaften, stellt hierbei eine attraktive Option für den Naturalisten dar. Jedoch bilanziert Tetens im Hinblick auf beide Spielarten die Absenz jegliches begründeten Fundaments durch solide empirische Hinweise.13 Die einzig mögliche Alternative für den Physikalisten bilde demnach die weitaus schwächere Behauptung schwacher Supervenienz bzw. starker Emergenz des Psychischen, welche das vollkommen indeterminierte und gegenüber dem Materiellen etwas fundamental Anderes darstellende Aufkommen des Mentalen bedeutet: „Doch damit verflüchtigt sich die naturalistische Kernthese, das Mentale sei letztlich etwas Physisches, ins Nebulöse. [...] Starke Emergenz ist bereits Dualismus, aber noch im Gewande des Naturalismus.“14

Zu guter Letzt attestiert Tetens dem Naturalismus neben dieser „gravierenden Erklärungslücke“ einen noch fundamentaleren Mangel in seiner Argumentation, wenn dieser die prinzipielle Erkennbarkeit der Erfahrungswelt behauptet und sich gleichzeitig auf sein naturgesetzliches Apriori verpflichtet: „Es ist freilich ausgeschlossen, vollständig naturgesetzlich und zirkelfrei zu erklären, warum wir Menschen die materielle Realität zureichend erkennen“.15 Dem sich ankündigenden unendlichen Regress „entrinnen wir nur, wenn wir schließlich doch auf einen erklärenden Sachverhalt stoßen, den wir nicht naturgesetzlich, sondern auf andere Weise erklären können.“16

Eine rationale Theologie vermag das Leib-Seele-Problem – die Frage nach dem ontologischen Status des Mentalen sowie den Modalitäten seiner Interaktion mit dem Somatischen – gleichwohl ebenso wenig zu lösen, was auch gar nicht ihrer Maßgabe entspricht. Vielmehr zäumt sie das Pferd von hinten auf, indem sie nicht die Natur des Geistigen aus dem Physischen zu entschlüsseln, sondern die Notwendigkeit der Symbiose beider teleologisch zu deuten sucht: „Unser Argument erklärt nicht das Geistige aus dem Materiellen, sondern es erklärt eine Eigenschaft des Geistigen, nämlich, dass wir Menschen körperliche Wesen sind, weil wir endliche Ich-Subjekte sind.“17

An dieser Stelle bedient sich Tetens an einer Komponente der deskriptiven Metaphysik Peter Strawsons, welcher zufolge Intersubjektivität nur dann gelingen könne, wenn sich die Einzelsubjekte in Akten des Denkens, Wollens, Wahrnehmens, etc. aufeinander bezögen.18

[...]


1 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: Wer denkt abstrakt?, in: Moldenhauer, Eva, Michel, Klaus (Hrsg.): Gesammelte Werke. Bd. 2, 10. Auflage, Frankfurt am Main: 2020, S. 575.

2 Tetens, Holm: Gott denken. Ein Versuch über rationale Theologie, 6. Auflage, Stuttgart: 2015, S. 34.

3 Ebd. S. 10.

4 Jaeschke, Walter: Ein Plädoyer für einen historischen Metaphysikbegriff, in: Gerhard, Myriam, Sell, Annette, de Vos, Lu (Hrsg.): Metaphysik und Metaphysikkritik in der klassischen deutschen Philosophie, Hamburg: 2012, S. 15.

5 Tetens: Gott denken, S. 19.

6 Ebd. S. 15.

7 Ebd. S. 21.

8 Vgl. ebd. S. 22.

9 Vgl. ebd. S. 22f.

10 Nagel, Thomas: What Is It Like to Be a Bat / Wie ist es, eine Fledermaus zu sein? Ditzingen: 2016.

11 Tetens: Gott denken, S. 24.

12 Ebd. S. 23.

13 Vgl. ebd. S. 25.

14 Ebd. S. 26.

15 Ebd. S. 27.

16 Ebd. S. 28.

17 Ebd. S. 31.

18 Vgl. ebd. S. 30.

Ende der Leseprobe aus 19 Seiten

Details

Titel
Holm Tetens Versuch über rationale Theologie. Eine kritische Untersuchung
Hochschule
Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main  (Institut für katholische Theologie)
Note
1,0
Autor
Jahr
2021
Seiten
19
Katalognummer
V1137573
ISBN (eBook)
9783346562395
ISBN (Buch)
9783346562401
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Gott, Tetens, Theodizee, Philosophie, Theologie, Religionsphilosophie, Philosophy, Theology, Philosophy of Relgion, Religion, Ontologie, Ontology, Metaphysik, Metaphysics, Freiheit, Willensfreiheit, Freedom of Will, Death, Tod, Ethics, Ethic, Philosophy of Mind, Philosophie des Geistes, Idealism, Ideaslismus, Erkenntnistheorie, Epistemology, Will, Heaven, Materialism
Arbeit zitieren
Roman Rogg (Autor:in), 2021, Holm Tetens Versuch über rationale Theologie. Eine kritische Untersuchung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1137573

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