Entwicklung des Verständnisses von Liberalismus in der Familienpolitik der FDP von 1980 bis 2017

Eine datenanalytische Herangehensweise


Hausarbeit, 2021

17 Seiten, Note: 2,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Konzeption

2 Methodisches Vorgehen für die Umsetzung der Schlagwortsuche

3 Reflexion der Schlagworte nach Niehr

4 Fazit der Untersuchung

5 Zusammenfassung der erarbeiten Ergebnisse aus der Untersuchung

6 Erstellung eines Kategoriensystems

7 Diskussion und Interpretation der Ergebnisse im Vergleich mit Codes, der Einbeziehung des Manifesto-Projekts und weiterer Literatur und Einbettung in ein klassisches Links-Rechts-Schema

8 Fazit

9 Literaturverzeichnis

1 Konzeption

,,Die menschliche Gesellschaft ist die Vereinigung der Menschen zu gemeinsamem Handeln‘‘ (von Mieses 2006: 16). Mit diesen Worten beschrieb der österreichische Ökonom Ludwig von Mises den Charakter einer liberalen Gesellschaft. Demnach besteht diese aus dem dringlichen Bedürfnis von Interaktionen von Individuen in marktpolitischer Hinsicht. Jedoch lässt sich der Liberalismus auch in gesellschaftspolitische Fragen einbetten. Möchte man die politische Weltanschauung des Liberalismus mit einer deutschen Partei in Verbindung setzen, so führt die mentale Brücke schnell zur Freien Demokratischen Partei, der FDP. Was jedoch bedeutet Liberalismus und welche Stellung besitzt dieser im Familienprogramm der FDP in den Jahren von 1980-2017? Zieht man Definitionen zum Liberalismus heran, welche besagen, dass die Freiheit des Individuums im Vordergrund steht und das Oktroyieren des ,,geistigen, sozialen, politischen oder staatlichen Zwangs‘‘ abgelehnt wird (BPB), so ist höchst verwunderlich, dass der selbsternannte Lieblingskoalitionspartner immer noch in Form der konservativen CDU existent ist. Zwar sind marktliberale Überschneidungen innerhalb der beiden Parteien offensichtlich und lassen sich in dieser Hinsicht klar in ein gemeinsames Links-Rechts-Schema einordnen, jedoch nicht innerhalb des Familienprogramms. Man kommt schließlich nicht um die Vermutung herum, dass heutzutage die liberale Idee der FDP erstrangig auf das ökonomische Programm, aber nur sekundär auf das Familienprogramm Anwendung findet. Unterstrichen wird dies dadurch, dass die FDP in der jüngeren Vergangenheit auch von der Bevölkerung vorrangig mit Wirtschaftspolitik in Verbindung gebracht wurde, sodass diese beispielsweise im Bundestagswahlkampf 2009 in erster Linie als ,,Steuersenkungspartei‘‘ (Treibel 2017: 327) wahrgenommen wurde. Es ist auf den ersten Blick also schwierig die FDP über die einzelnen Themenfelder des Wahlprogramms in ein statisches Links-Rechts-Schema einzuordnen. Während die Kernkompetenz in der Ökonomie liegt und somit eher das bürgerliche, neoliberale Milieu bedient, lässt sich vermuten, dass das familienpolitische Feld vor allem von Repräsentanten des klassischen Liberalismus geprägt ist. Diese Arbeit soll also nun die Analyse betreiben inwieweit ein liberales Weltbild in den Parteiprogrammen von 1980-2017 zu finden ist und wie sich dieses im Laufe der Zeit verändert hat. Für die Verdeutlichung des Interesses auf diesem Forschungsgebiet lässt sich mit der Hilfe von MAXQDA zügig zeigen, welche zentralen, programmatischen Themen im FDP-Wahlprogramm bedient werden. Während man sich beispielsweise im Wahlprogramm von 1980 noch viel mehr mit dem Versuch der Auflösung der traditionellen Familie auseinandersetzte, scheint sich der Begriff der ,,Tradition‘‘ im Programm von 2017 nur noch einem ökonomischen Kontext zu bedienen. Es stellt sich nun die Frage, ob die FDP sich von gesellschaftspolitischen Themen verabschiedet hat, um sich stärker auf die Unternehmerschicht zu konzentrieren oder ob gesellschaftliche und familiäre Liberalisierungsprozesse in den Augen der Freien Demokraten bereits gelungen und abgeschlossen ist. Um den inhaltlichen Rahmen nicht zu sprengen, soll die ökonomische Programmatik im analytischen Teil jedoch keine nähere Beachtung finden. Vielmehr gilt es das Hauptaugenmerk auf die Familienpolitik zu richten. Dabei soll eine Verknüpfung zu freiheitlichen Grundeigenschaften, wie der Meinungsfreiheit, Gleichberechtigung und der freien Entwicklung der Persönlichkeit, hergestellt werden.

Der methodisch-theoretische Analyserahmen soll sich an der Arbeit von Laurent Thévenot und Luc Boltanski anlehnen. In ihrem Werk ,,Die Soziologie der kritischen Kompetenz‘‘ beschäftigten sie sich mit auftretenden Disputen, welche nicht nur unter Menschen entstehen, sondern auch auf Gegenstände bezogen sein können (vgl. Boltanski/Thévenot 2011: 45). Es wird beschrieben, dass ein Disput vor allem durch die Reflexion des Vergangenen hervorgerufen wird, denn ,,Menschen, die in alltäglichen Beziehungen leben […], stellen fest, dass etwas falsch läuft, dass sie nicht mehr zurechtkommen, dass etwas sich ändern muss‘‘ (Boltanski/Thévenot 2011: 43). Durch die Reflexion der negativen Erfahrungen wird schließlich eine Unzufriedenheit entstehen, die durch die Interaktion mit anderen Personen durch das Auftreten einer Diskussion geäußert wird. Denn wer ,,andere Personen kritisiert, muss Rechtfertigungen produzieren, um die eigene Kritik zu stützen, während Personen, die Ziel der Kritik sind, ihr Handeln rechtfertigen müssen, um ihre Sache zu verteidigen‘‘ (Boltanski/Thévenot 2011: 44). Besonders interessant und bedeutungsvoll für die Arbeit erscheint das Konzept der spezifischen Wertordnungen. Jeder Mensch definiert die Wertigkeit dieser Wertordnungen in unterschiedlicher Weise. Um dieses Phänomen zu verdeutlichen, lässt sich die Impfung gegen das Coronavirus heranziehen: Anfangs galt die Frage nach der Impfpriorisierung. Wer soll seine Freiheit zuerst zurückerlangen? Die ältere Generation, die anfälliger für das Virus ist und bei denen der Virus einen gefährlicheren Verlauf nimmt? Oder die jüngere Generation, die sich aufgrund von Rücksichtnahme innerhalb von Beruf, Bildung und Freizeit am meisten einschränken musste? Die FDP hat sich dabei, entgegen ihres liberalen Geistes, für eine vom Staat diktierte Impfreihenfolge ausgesprochen, bei der ältere Menschen bevorzugt werden. Es soll also mit Hilfe von Wertigkeitsordnungen erklärt werden wer zuerst versorgt werden soll (vgl. Boltanski/Thévenot 2011: 49). Obwohl Thévenot und Boltanski in ihrem Werk von der Existenz sechs gemeinsamer Welten ausgehen, ist hierbei anzumerken, dass ich mich primär auf jene Wertordnungen beziehen werde, die zum thematischen Schwerpunkt der Familie passen, nämlich die häusliche und staatbürgerliche Wertordnung. Andernfalls würde der inhaltliche Rahmen gesprengt werden. Diese Wertordnungen sollen herangezogen werden, um die Wertigkeit in den einzelnen Wahlprogrammen zu analysieren und somit eine deduktive Herangehensweise zu ermöglichen. Die Wertigkeit einer Person in der häuslichen Welt wird vor allem durch die Hierarchie bestimmt. Der Ranghöchste, im Regelfall der Vater, ist demnach derjenige mit der größten Wertigkeit. Aufgrund der hierarchischen Ordnung entsteht ein Abhängigkeitsverhältnis innerhalb einer festen familiären oder ständischen Ordnung (vgl. Boltanski/Thévenot 2011: 58 f.). Generell ist so bei der häuslichen Welt zu konstatieren, dass eine besondere Bedeutung verschiedener Gruppen im Allgemeinen zukommt. Dabei spielt neben der Familie auch die lokale Verbundenheit eine übergeordnete Rolle (vgl. Thévenot 2011: 148). Würde man eine Wortliste zur häuslichen Welt erstellen, so wären typische Begriffe ,,Tradition‘‘, ,,Familie‘‘, ,,Respekt‘‘ und ,,Vertrauen‘‘.

Wie anfangs schon erwähnt, soll auch die staatbürgerliche Welt in dieser Arbeit Beachtung finden, welche sich durch die unangefochtene Souveränität des Herrschenden auszeichnet und über bürgerliche Einzelinteressen steht (vgl. Boltanski/Thévenot 2011: 60), wodurch eine Stärkung der Kollektivinteressen gewährleistet werden soll (vgl. Thévenot 2011: 144). Während die häusliche Welt von der Abhängigkeit zum Oberhaupt definiert wird, wirkt diese in der staatsbürgerlichen Welt eher kontraproduktiv und verhindert ein erfolgreiches Wirken der Gruppe. Die Durchsetzung egoistischer Einzelinteressen werden als negativ dargestellt, während die Fürsorge um andere Personen und die Wahrung und Verwirklichung von Kollektivinteressen vorteilhaft seien. Das Kollektiv wird dabei durch Repräsentanten nach außen vertreten, beispielsweise durch ,,Körperschaften‘‘ oder ,,Delegierte‘‘ (Boltanski/Thévenot 2011: 61), welche eine große Wertigkeit innehaben. Als typische Schlagworte sind hierbei ,,Gemeininteresse‘‘, ,,Kollektivismus‘‘ und ,,Gleichheit‘‘ zu nennen.

Im Laufe der Arbeit soll schließlich eine linguistische Analyse erfolgen, bei der die grammatikalische Ebene und Wortebene analysiert werden sollen. Hierbei soll beispielsweise ein grammatikalischer Vergleich zwischen den einzelnen Wahlprogrammen erfolgen. Bei der Erklärung der Veränderungen der Programme soll u. a. ein genauerer Blick auf die Zielvorstellungen geworfen werden. Die Wertvorstellungen, die übermittelt werden sollen, werden dabei besonders hervorgehoben und teilweise in den zeithistorischen Kontext gebracht. Auf diese Weise soll herausgearbeitet werden, ob die FDP eine statische, in seinen Grundkonzepten unerschütterliche Weltanschauung parteipolitisch bewahren möchte oder ob man bereit ist, sich im Laufe der Zeit an die Gesellschaft und dessen dynamischen Wertvorstellungen anzupassen.

Die methodische Grundlage soll schließlich durch den analytischen, linguistischen Ansatz des Sprachwissenschaftlers Thomas Niehr erfolgen. Hier wird die Wichtigkeit des historischen, parteipolitischen und zwischenmenschlichen Kontexts unterstrichen, denn auch er stellt fest, ,,dass es selbst über den Text hinausgehende Strukturen gibt, in denen sich politisches Sprachhandeln vollzieht‘‘ (Niehr 2014: 64). Ein besonderes Augenmerk soll mit der Hilfe der Schlagwortforschung auf auffällige Wörter gelegt werden. Um die verschiedenen Wortebenen analysieren zu können, sollen die Begriffe in vier Kategorien eingeteilt werden: In Institutionsvokabular, Ressortvokabular, Ideologievokabular und allgemeinem Interaktionsvokabular. Zusätzlich lässt sich die Bedeutung eines Wortes unterteilen in ,,denotativ‘‘, bei dem die alleinige Bezeichnung des Wortes nicht als alleiniges Analysekriterium genügt, in ,,evaluativ‘‘, bei dem wir eine automatische Bewertung eines Begriffs vornehmen und in ,,deontisch‘‘, wodurch eine Handlung herbeigeführt werden soll, indem ein Appell ausgedrückt wird (vgl. Niehr 2014: 67). Durch die Analyse von Schlagwörtern sollen besonders auffällige Begriffe untersucht werden, mit deren Hilfe beim Zuhörer oder Leser bestimmte Emotionen erzeugt werden. Sie dienen zur Vereinfachung von Sachverhalten und können somit zu wirkungsmächtigen Kampfbegriffen werden. Als Beispiel zieht Thomas Niehr den ,,Marxismus‘‘ heran, mit dem die aufstrebende Sozialdemokratie in der Kaiserzeit in Verbindung gebracht wurde und somit eine destruktive Wirkung erzielte (vgl. Niehr 2014: 69 ff.). Um sich gezielt von politischer Konkurrenz abzugrenzen werden Stigma- oder Fahnenwörter verwendet. Während Stigmawörter bewusst mit negativen Begriffen besetzt sind, beispielsweise ,,Coronadiktatur‘‘ oder ,,Klimahysterie‘‘, sollen Fahnenwörter eher positive Begriffe in die Öffentlichkeit transportieren, um eine Art moralische Überlegenheit zu symbolisieren.

Die Wenigsten würden sich heutzutage in Deutschland noch bewusst und öffentlich gegen das demokratische System wenden und besonders zur Zeit der Coronapandemie und der damit verbundenen Grundrechtseinschränkungen tritt der Begriff der ,,Freiheit‘‘ wieder stärker in das öffentliche Bewusstsein und gilt als nur bedingt, in Verbindung mit einer deutlichen politischen und gesellschaftlichen Legitimation, als einschränkbar. Es ist also festzuhalten, dass es in unserer Gesellschaft Begriffe gibt, die nahezu uneingeschränkt positiv konnotiert und nicht verhandelbar sind. In solchen Fällen spricht man von Hochwörtern. Solche Hochwörter sind besonders mächtig, da sie ein besonders starkes politisches und gesellschaftliches Grundfundament aufweisen. Es ist jedoch anzumerken, dass solche Hochwörter immer im Kontext des historischen und politischen Systems stehen müssen (vgl. Niehr 2014: 73 f.) Um dies zu verdeutlichen, lässt sich festhalten, dass der Begriff ,,Freiheit‘‘ in der VR China nicht als solches klassifiziert werden kann. Mit Hilfe einer quantitativen Wortanalyse lässt sich also die Wichtigkeit einzelner Begriffe für Parteien verdeutlichen.

Neben der Wortanalyse soll zusätzlich eine Dokumentenanalyse nach Stephan Wolff vorgenommen werden. Sein Verständnis von Dokumentenanalyse ist keine methodische Vorgehensweise, sondern in erster Linie eine ,,Zugangsweise zu schriftlichen Aufzeichnungen‘‘ (Wolff 2010: 3). Es wird eine Einteilung in Dokumente mit rhetorischem Charakter, Dokumente als institutionelle Zurschaustellungen und bürokratische Propaganda vorgenommen (vgl. Wolff 2010: 4). Im Rahmen der ethnomethodologischen Forschung lässt sich konstatieren, dass fehlerhafte oder unvollständige Dokumente eine rationale Daseinsberechtigung innehaben (vgl. Wolff 2010: 4 f.). Für das praktische Vorgehen innerhalb des qualitativen Analyseteils, der schlussendlich möglichst darin münden soll, eine Einteilung in ein Rechts-Links-Schema herzustellen, soll vor allem eine konversationsanalytische Maxime herangezogen werden, wodurch neben der oberflächlichen, äußerlichen Erscheinung des Wahlprogramms ebenfalls bestimmte Formulierungen untersucht werden sollen (vgl. Wolff 2010: 10 f.).

[...]

Ende der Leseprobe aus 17 Seiten

Details

Titel
Entwicklung des Verständnisses von Liberalismus in der Familienpolitik der FDP von 1980 bis 2017
Untertitel
Eine datenanalytische Herangehensweise
Hochschule
Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule Aachen  (Institut für Soziologie)
Veranstaltung
Sozialwissenschaftliche Datenanalyse I. und II.
Note
2,3
Autor
Jahr
2021
Seiten
17
Katalognummer
V1138533
ISBN (eBook)
9783346510389
ISBN (Buch)
9783346510396
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Datenanalyse, Politik, FDP, Wahl, Vergleich, Liberalismus, liberal
Arbeit zitieren
Jannick Skupin (Autor:in), 2021, Entwicklung des Verständnisses von Liberalismus in der Familienpolitik der FDP von 1980 bis 2017, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1138533

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