"Time without change" - kann es Zeit ohne Veränderung geben?

Eine kritische Diskussion des Aufsatzes von Sidney Shoemaker


Hausarbeit (Hauptseminar), 2004

16 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhalt

1. Vorüberlegungen und Methodisches

2. Das Gedankenexperiment

3. Schluss

4. Literaturverzeichnis

Kann es Zeit geben, wenn in ihr keine (physikalischen) Veränderungen stattfinden, oder ist Zeit not­wendig an solche Veränderungen geknüpft? Diese Frage stellt sich Sidney Shoemaker in seinem Auf­satz "Time without change", mit dem ich mich im folgenden beschäftigen möchte. Shoemaker vertritt dort die These, dass es Zeitintervalle ohne (physikalische) Veränderungen geben kann. Allerdings ist seine Argumentation m.E. an vielen Stellen nicht schlüssig. Um mich nicht unnötig zu wiederholen und den Leser zu verwirren, werde ich immer gleich intervenieren, sobald ich an einer Stelle seiner Argumentation denke, einen Fehler entdeckt zu haben, anstatt, wie es sonst üblich ist, dies aus­schließlich am Schluss der Arbeit zu tun. Dort werde ich noch einmal seine These diskutieren und einige Gegenargumente ins Feld führen. Vorher möchte ich den Text jedoch erst einmal zusammen­fassend darstellen.

1. Vorüberlegungen und Methodisches

"It is a widely held view that the passage of time necessarily involves change in such a way that there cannot be an interval of time in which no changes whatever occur." (Shoemaker, 1993, 63) Mit die­sem Satz beginnt Sidney Shoemaker seinen Aufsatz zur Frage, ob es Zeitintervalle ohne Veränderun­gen geben kann. Shoemaker möchte hier gegen die Philosophen argumentieren, die behaupten, dass Zeit notwendig an Veränderungen geknüpft ist.[1]

Sein Vorgehen sieht dabei wie folgt aus: Seine These ist: Es kann Zeit ohne Veränderung geben. Um dies zu beweisen, nimmt er zuerst die Gegenposition ein – Zeit ist zwangsläufig an (physikalische) Veränderungen gekoppelt – und versucht, diese inkonsistent erscheinen zu lassen, indem er so lange dafür zu argumentieren versucht, bis er sich in Widersprüche verwickelt (woraus er dann ableitet, dass seine These wahr sein muss). Dies tut er anhand eines Gedankenexperimentes, das beweisen soll, dass diese These nicht umfassend haltbar ist, sondern dass es tatsächlich Zeit ohne Veränderun­gen geben kann; in seinem Gedankenexperiment beruht dieser Sachverhalt jedoch auf einem Induk­tivschluss der Bewohner seiner imaginären Welten. Ist man nicht bereit, diesen Induktivschluss anzu­erkennen – und dieser Induktivschluss beruht einzig und allein auf der fraglichen These, dass, wenn wir zwei Erklärungen für ein beobachtetes Phänomen haben, wir die simplere von beiden heran zie­hen –, ist seiner Theorie das Fundament entzogen.

Shoemaker möchte sich dabei klar von der Haltung abgrenzen, die McTaggart vertreten hat: dass allein die Tatsache, dass Zeit verstreicht, Veränderung bedeutet: Zeit vergeht, Dinge altern (wenn auch nicht sichtbar) und es vergeht nicht ein Moment, in dem das, was gerade noch Zukunft war, nicht Gegenwart und schließlich Vergangenheit wird. Shoemaker geht für seine Argumentation hin­gegen von wirklichen Veränderungen aus ("pure becoming" – Shoemaker, 1993, 64), d.h. Verände­rungen in bezug auf physikalische Eigenschaften wie Farbe, Größe, Form, Gewicht und dergleichen.

Damit die These, dass Zeit an Veränderungen geknüpft ist, mehr als eine Trivialität sein soll, muss man also von Un-McTaggart'schen Veränderungen ausgehen. Die Veränderungen die Shoemaker im Blick hat, sind notwendig mit der Existenz eines materiellen Universums verbunden. Das bedeutet, dass das (materielle) Universum keinen zeitlichen Anfang haben kann, ohne dass man gleichzeitig annimmt, dass die Zeit selber im gleichen Moment anfing, als das Universum entstand, bzw. vice versa, dass das Ende des Universums auch das Ende von (jeglicher) Zeit bedeuten würde. Es kann also keine Zeit geben, wenn das Universum nicht existiert. Vom McTaggart'schen Standpunkt aus ist dies natürlich nicht der Fall; legt man ihn zu Grunde, gab es vor dem Universum eine unendliche Spanne von Zeit, in der nichts passierte (d.h. in der es keine substanziellen Veränderungen gab), und nach dem Ende des Universums wird es wieder eine unendliche Spanne von Zeit geben, in der sich nichts ereignet.

Auch von Veränderungen wie dem Prädikat ‚Grue’ von Nelson Goodman will Shoemaker sich dis­tanzieren. Diese Art Veränderungen schließt er für seine Betrachtung ebenfalls aus.

Eine andere Sicht auf das Thema Zeit bietet der Aristotelische Standpunkt: nur, wenn sich unser Gemütszustand verändert, d.h. nur, so lange wir bei Bewusstsein sind, bekommen wir mit, dass Zeit verstreicht; dies lässt sich auf die Formel reduzieren: ohne Bewusstsein keine Zeit.[2]

Ferner sei Zeit nach Aristoteles unmittelbar die Maßeinheit von Bewegung und nur indirekt die des Restes. Shoemaker hält es jedoch gerade für falsch, daraus die Behauptung abzuleiten, dass Zeit not­wendig an (physikalische) Veränderung geknüpft ist. Die führt natürlich zu der Frage, ob man Zeit überhaupt messen kann. Theoretisch ist es möglich, dass riesige Intervalle von Zeit verstrichen sind, seit ich meine letzte Mahlzeit zu mir genommen habe, ohne dass meine Uhr sich bewegt hat oder meine Verdauung weiter stattgefunden hätte und ohne, dass ich während dieser Zeitspanne bewusst war.

Shoemaker schließt ganz richtig, dass es logisch unmöglich ist, sich der Existenz solcher verände­rungslosen Zeitintervalle während ihres Auftretens bewusst zu sein. Das heißt aber nicht, dass es (theo­retisch) unmöglich ist, sich solcher Intervalle vor oder nach ihres Auftretens bewusst zu sein.[3] Dies will Shoemaker anhand des nun folgenden Gedankenexperimentes verdeutlichen.

2. Das Gedankenexperiment

In seinem Gedankenexperiment geht Shoemaker von möglichen Welten aus, in denen andere physika­lische Gesetze existieren. Da es sich dabei um ein Gedankenexperiment handelt, kommt es nur darauf an, ob es logisch oder begrifflich möglich ist, denn in der modernen Physik gibt es – laut Shoemaker – keinen Unterschied zwischen logisch/begrifflich Möglichem und tatsächlich Möglichem.

Das Gedankenexperiment sieht folgendermaßen aus: Es gibt in seiner Welt drei Regionen: A, B und C. Diese drei Regionen sind durch natürliche Barrieren voneinander getrennt, dennoch können die Bewohner sich zwischen den Welten hin- und herbewegen und auch beobachten, was in einer ande­ren Region geschieht. Regelmäßig wiederkehrend gibt es in dieser Welt Phänomene, die Shoemaker 'Local Freeze' nennt; während einer solchen Periode kommt in einer der drei Regionen alles zu einem kompletten Stillstand[4] – zumindest erscheint es den Bewohnern der nicht eingefrorenen Regionen so. Während einer Local-Freeze-Periode kann die eingefrorene Region von Bewohnern der anderen Regio­nen nicht betreten werden. Würde sie jedoch kurz nach dem Ende eines Local Freeze von einem solchen betreten werden, so sähe es für denjenigen aus, als wäre in der Zeit des Stillstands dort nichts passiert. Die Bewohner einer eingefrorenen Welt sind sich während des Local Freeze nicht bewusst, dass ihre Welt eingefroren war. Es sei denn, sie haben direkt vor dem Freeze eine der anderen Welten beobachtet – im nächsten Moment wird es ihnen erscheinen, als hätten sich dort vom einen Moment zum anderen gravierende Veränderungen ereignet (Dinge haben sich in Luft aufgelöst, aus Setzlingen sind mit einem Schlag große Pflanzen geworden usw.). Durch Messungen (Aufstellen von Zeit-Mess­geräten in den nicht eingefrorenen Regionen) finden die Bewohner dieser Welt heraus, dass ein Freeze immer gleich lang ist – immer genau ein Jahr. Zudem stellen sie fest, dass die Freezes in re­gelmäßigen Zeitabständen auftreten: in Welt A jedes dritte Jahr, in Welt B jedes vierte Jahr und in Welt C jedes fünfte Jahr.[5] Daraus ergibt sich, dass es gleichzeitige Freezes in mehreren Regionen gibt: in Region A und B jedes 12. Jahr, in A und C jedes 15. Jahr, in B und C jedes 20. Jahr und in allen drei Welten zusammen jedes 60. Jahr.

[...]


[1] Diese Behauptung muss jedoch unterschieden werden von der Tatsache, dass Veränderungen Zeit beinhalten, d.h. dass sobald etwas in Veränderung begriffen ist, immer Zeit vergeht.

[2] D.h. sogar wenn ein Objekt, das ich beobachte (z.B. ein Stein), sich während des gesamten Beobachtungszeitraumes nicht verändert, so ändert sich doch mein Bewusstseinszustand, nämlich insofern, dass ich weiß, wie lange ich dieses Objekt jetzt schon beobachtet habe, ohne, dass es sich verändert hat. Anders, während wir schlafen; wir bemerken nicht direkt, dass Zeit vergangen ist, wir schließen nur (induktiv), dass Zeit vergangen ist (die wir mitbekommen hätten, wären wir wach gewesen), tatsächlich aber verknüpfen wir ein früheres 'jetzt' mit einem aktuellen 'jetzt' und schneiden das Intervall dazwischen, in welchem wir nicht 'bewusst' waren, raus.

[3] Die Frage ist, ob solche Intervalle dann tatsächlich irgendeine Bedeutung für unsere Existenz haben; wenn ich innerhalb dieser veränderungslosen Intervalle nicht bewusst war, und zudem in ihnen nichts passiert ist – spielen sie dann über­haupt eine Rolle für mich und mein Leben?

[4] D.h. es gibt keine Bewegung, kein Wachstum, keine Verwesung usw..

[5] Freezes fangen beispielsweise immer am 1. Jan. eines Jahres an und hören am 31. Dez. auf.

Ende der Leseprobe aus 16 Seiten

Details

Titel
"Time without change" - kann es Zeit ohne Veränderung geben?
Untertitel
Eine kritische Diskussion des Aufsatzes von Sidney Shoemaker
Hochschule
Humboldt-Universität zu Berlin  (Institut für Philosophie)
Veranstaltung
Philosophie der Zeit
Note
1,7
Autor
Jahr
2004
Seiten
16
Katalognummer
V113871
ISBN (eBook)
9783640151820
ISBN (Buch)
9783640154210
Dateigröße
432 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Time, Zeit, Veränderung, Philosophie, Zeit
Arbeit zitieren
Claudia Hoppe (Autor:in), 2004, "Time without change" - kann es Zeit ohne Veränderung geben?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/113871

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