Die Rolle der Translation in Österreich-Ungarn um 1900. Zwischen Kulturförderung und Destabilisierung


Bachelorarbeit, 2021

27 Seiten, Note: 1


Leseprobe

Inhaltsverzeichnis

1. Einführung

2. Heterogene Zusammensetzung der k. und k. Gesellschaft
2.1 Gesellschaftlicher Wandel um 1900
2.2 Wien – Schmelztiegel der Nationen
2.3 Mehrsprachige Normalität der Monarchiebevölkerung

3. Zwei- und Mehrsprachigkeit auf institutioneller Ebene
3.1 Die Sprachenfrage
3.1.1 Rechtliche Ursachen für den Sprachenstreit
3.1.2 Tschechisch und Deutsch im Aushandlungsprozess
3.2 Sprache als politisches Instrument in statistischen Erhebungen
3.2.1 Verzerrung der Umfrageergebnissen

4. Zwitterbeschaffenheit der Translation
4.1 Habituelles Übersetzen mit Konstruktcharakter
4.1.1 Konstitutive Rolle der Literaturübersetzungen
4.2 Instrumentelles Übersetzen als Destabilisierungsmittel
4.2.1 Translationsregime nach Meylaerts

5. Fazit

6. Literaturverzeichnis

7. Anhang

1. Einführung

In der vorliegenden Arbeit werden die Grundzüge einer Translationspolitik in der Habsburger Monarchie um die Jahrhundertwende vom 19. zum 20. Jahrhundert skizziert und in einen geschichts-sozialen Kontext eingeordnet. Zu den aktuellen Forschungssträngen in der Translationswissenschaft im deutschsprachigen Raum zählt dabei die Untersuchung der Verwicklung der Translatoren in ein machtpolitisches Feld, durch die Bedingungen auf dem Arbeitsmarkt maßgeblich geprägt wurden. Dies war auch in den letzten Jahrzehnten des Kaiserreichs zu beobachten, wobei die Bedingungen zu dieser Zeit andere waren.

In dieser Arbeit geht es insbesondere darum, diese Bedingungen zu untersuchen und darzulegen. Dies ist besonders vor dem Hintergrund wichtig, dass es im Kaisertum Österreich keinen staatlich anerkannten Beruf des Übersetzers bzw. des Dolmetschers gab und demzufolge auch keine einheitliche Translationspolitik. Aus diesem Grund kann auch nicht von einer Übersetzungspolitik im eigentlichen Sinne gesprochen werden. Die translatorische Tätigkeit galt zu der Zeit entweder als Teil des Kulturbereichs (literarische Translation) oder als eine der vielen Komponenten des Verwaltungsbereichs. Durch eine Betrachtung dieser beiden Kategorien können implizit Erkenntnisse zur Übersetzungspolitik gewonnen werden (vgl. Wolf 2012: 235).

Der Fokus dieser Arbeit liegt daher auf der gesetzlichen Lage und den politischen Instrumenten der Monarchie (Kapitel 3), mit denen auf die dynamischen sozial-politischen Entwicklungen der einzelnen Nationen (Kapitel 2) reagiert wurde. Die Betrachtung erfolgt dabei mit Bezug auf die Sprachenfrage, die die Politik der letzten Jahrzehnte der Monarchie maßgeblich mitbestimmte und die somit für die Translationspolitik von Relevanz war. In dieser Arbeit geht es um die Fragen, inwieweit die gesetzlichen Regelungen und der Verwaltungsapparat die sprachlich und ethnisch heterogene kaiserliche und königliche Gesellschaft (k. und k. Gesellschaft) widerspiegelten und inwieweit sie sich auf die ambivalente Rolle der Translation auswirkten. Einen wesentlichen Teil der Arbeit bildet demzufolge das Kapitel zur Zwei- bzw. Vielsprachigkeit der Bevölkerung, denn aus dieser lassen sich implizite Schlussfolgerungen in Hinblick auf die translatorische Tätigkeit ableiten.

Die theoretische Arbeit stützt sich auf konkrete Beispiele und Darstellung der gesellschaftlichen Verhältnisse in den Ländern der Böhmischen Krone, um auf diese Weise den Sachverhalten klare Konturen zu geben. Überdies sind diese Gebiete noch aus einem anderen Grund für die Arbeit relevant: Indem die tschechischen Politiker die Sprachenfrage zu ihrem Hauptthema um die Jahrhundertwende machten, wurde das Missverhältnis zwischen den durch die Verfassung garantierten Sprachenrechten und der realen Machtausübung sichtbar. Somit war die Frage nach der Anerkennung der Mehrsprachigkeit und der Multikulturalität in der Monarchie gestellt, die bis zu deren Ende unbeantwortet blieb. Ein Vergleich mit den aktuellen Zugängen zur Mehrsprachigkeit der demokratischen Staaten laut der Gliederung nach Reine Meylaerts (Kapitel 4.2.1) rundet diese Arbeit dann ab.

Die vorliegende Bachelorarbeit besteht also aus drei großen inhaltlichen Teilen. Im ersten (Kapitel 2) wird die soziale Heterogenität der Habsburger Gesellschaft vorgestellt, bevor im dritten Kapitel die Zwei- und die Mehrsprachigkeit mehrperspektivisch betrachtet werden. Im dritten Teil (Kapitel 4) der Arbeit geht es darum, die beiden vorherigen Themen in Verbindung zueinander zu setzen, um so die Fragestellung zu beantworten.

Es ist darauf hinzuweisen, dass mit dieser Arbeit kein Anspruch auf Endgültigkeit oder Vollständigkeit erhoben wird. Dies gilt insbesondere für das vierte Kapitel, das auf einer Interpretation der Erkenntnisse der vorherigen beiden Kapitel beruht. Auch aufgrund des geringen Umfangs dieser Arbeit können diese beiden Aspekte nicht gewährleistet werden. Für einen besseren Lesefluss wird in dieser Arbeit für personenbezogene Bezeichnungen die männliche Form benutzt, die somit geschlechtsneutral zu verstehen sind.

2. Heterogene Zusammensetzung der k. und k. Gesellschaft

Bevor auf die heterogene Zusammensetzung der k. und k. Gesellschaft näher eingegangen wird, ist es zunächst zu konstatieren, dass im Rahmen dieser Arbeit die transkulturelle Kommunikation als Alltagsgeschehen zwischen den verschiedenen Sprachen und Nationalitäten der Habsburger Monarchie verstanden wird. Laut Wolf (2012: 90) erfolgten Übersetzungen in einem weit gefassten Verständnis, auf zwei prinzipiellen Ebenen: der habitualisierten und der institutionalisierten.

Habitualisiertes Übersetzen wendete die Mehrheit der damaligen Einwohner im Rahmen des alltäglichen Sprach- und Kulturaustauschs im Kontext des Vielvölkerstaats an. Diese Kommunikationsart zeichnete sich dadurch aus, dass sie stets in neuen Kontexten zum Tragen kam und sie von breiten Bevölkerungsteilen (vor allem von Handwerkern, Dienstmädchen und anderen Angehörigen der Arbeitsschicht) getragen wurde (vgl. ibid.: 91). Die Kommunikation findet bei dieser Übersetzungsform vordergründig symmetrisch unter den Beteiligten statt.

Das institutionalisierte Übersetzen bezieht sich demgegenüber auf Domänen der öffentlichen Verwaltung, wie Schulwesen, Behörden, Gerichte oder das Heer (vgl. ibid.: 2012: 103). Hier stehen die Kommunikationspartner vorwiegend in einer asymmetrischen Beziehung zueinander und der Spracheinsatz wird nicht ausgehandelt, sondern institutionell vorgegeben und daher normiert. Im folgenden Abschnitt wird die erste Ebene des habitualisierten Übersetzens in verschiedenen Ausprägungen dargelegt.

2.1 Gesellschaftlicher Wandel um 1900

Die Habsburger Monarchie war ein heterogenes staatliches Gebilde mit einer Vielzahl an regionalen ethnisch-sprachlichen Identitäten (siehe Anhang). Vor allem zum Ende des 19. Jahrhunderts kam es im Zuge der Industrialisierung vermehrt zu inneren Migrationsströmen, durch die ein multikulturelles urbanes Milieu entstand. Wien war damals infolge des wachsenden Zustroms aus dem Binnenland die viertgrößte Stadt Europas (vgl. Csáky 2010: 11). Diese Entwicklungen brachten neue Gesellschaftsordnungen mit sich und die Großstädte wurden zur Drehscheibe der neuen Lebensweisen. Es entstanden neue Berufe, wodurch sich auch neue soziale Schichten herausbildeten (z. B. die Arbeiter in Fabriken). Dies begünstigte die Entstehung vieler Parallelkulturen, die sich gegenseitig durchdrangen. Die traditionellen Ordnungsmuster, die noch vor der Abschaffung der Leibeigenschaft und der Industrialisierung die Gesellschaft prägten, verschwanden und die sozialen Grenzen wurden durchlässiger.

Eine unklare Stellung des Einzelnen innerhalb der Gesellschaft, die Fragmentierung der Gesellschaft sowie neu zu schaffende kollektive Identitäten (vgl. ibid.: 33) waren Folgen der schnellen Veränderungen. Während die mehrheitliche Bevölkerung noch vor der industriellen Ära keine klare Vorstellung über eine Nationzugehörigkeit oder einer nationalen Sprache hatte (vgl. Sakai 2018: 64), änderte sich dies schnell im Laufe der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. In Kapitel 3 wird gezeigt, dass die späteren innerpolitischen Krisen in dieser Zeit ihren Anfang nahmen. Es erhoben sich nationale Widerstandswellen im Reich, bei denen verstärkt die jeweilige Nationalitätensprachen in den Interessensvordergrund gestellt wurden. Durch die innerpolitischen Kämpfe um den Stellenwert der eigenen Minderheitensprache wurde der Grundstein für den Individuationsprozess der Sprache sowie auch der gesamten Nation gelegt.

2.2 Wien – Schmelztiegel der Nationen

Wie unter 2.1 erwähnt wurde, kam es in Wien um die Jahrhundertwende zu einer hohen Zuwanderung. Im Jahr 1880 waren von den Einwohnern der Stadt lediglich 38 % auch dort geboren (vgl. Csáky 2010: 134). Unter den Immigranten war besonders die Landbevölkerung aus Böhmen und Mähren vertreten. Gemäß den Angaben von Csáky waren im „Spitzenjahr“ 1900 rund 30,9 % aller Einwohner Wiens in diesen beiden Kronländern heimatberechtigt (2010: 134). Somit galt Wien in dieser Zeit als größte tschechische Stadt. Zum Vergleich besaßen die Zugezogene aus den Ländern der ungarischen Krone in demselben Jahr mit nur 8,4 % das Heimatrecht1. Diese Zahl nahm bis 1918 kontinuierlich ab und ferner sind Schwankungen zu berücksichtigen. Obwohl es Viertel gab, in denen die Siedler aus den Ländern der tschechischen Krone in der Mehrheit waren z. B. Favoriten oder Ottakring, bildeten sie nie eine geschlossene Minorität. Dies ist damit zu begründen, dass sie ihren Wohnort nach ökonomischen Möglichkeiten und ungeachtet der Nationalitätszugehörigkeit auswählten (vgl. ibid.: 136). Die Wiener Tschechen, wie sie später von den Historikern genannt wurden, hinterließen dauerhafte Spuren in der Stadt, die bis heute präsent sind.

Eine dieser Spuren ist das Böhmakeln. Mit diesem Begriff wird ein gebrochenes Deutsch beschrieben, das häufig für Parodien benutzt wird und auch Eingang in das Wienerlied fand. Dieses Deutsch war durch einen typischen Tonfall gekennzeichnet, der bewirte, dass auch die edelsten Worte mit einem Schmäh herabgesetzt und lächerlich gemacht werden konnten (vgl. Csáky 2010: 168f., zit. n. Friedländer 1976: 121f.). Ein weiteres bekannteres Beispiel tschechischen Einflusses in Wien sind Bezeichnungen aus der böhmischen Gastronomie, die in die österreichische Küche einflossen, z. B. Golatsche, Powidl, Palatschinken usw. Da diese kulturellen Elemente einerseits in die dominante Kultur integriert wurden, andererseits aber immer noch auf die Ursprungskultur hinweisen, handelt es sich um gute Beispiele für eine kulturelle Verflechtung, die eines der wichtigsten Merkmale der hybriden Kulturformen ist (vgl. Csáky 2010: 167f.). Der Grad der kulturellen Mischformen variiert dabei in Bezug auf das Verhältnis zwischen Ausgangs- und Zielkultur – einmal waren sie mehr der Ausgangskultur, zum zweiten Mal wiederum der Zielkultur treu. So ist zum Beispiel die Prager deutsche Literatur weltweit bekannt, weniger gilt es jedoch über die tschechische Literatur in Wien (vgl. ibid.: 267).

2.3 Mehrsprachige Normalität der Monarchiebevölkerung

In diesem Abschnitt wird die zwei- und die mehrsprachige Realität in der k. und k. Monarchie behandelt. In Kapitel 3 werden sie dann in Bezug zur Translationspolitik gesetzt. Denn, wie Sakai (vgl. 2018: 61) ausführt, ist diese Realität stets von Machtkämpfen umwoben und – solange dank Translation neue soziale Beziehungen gestiftet oder vermieden werden – greift sie in diese Realität ein und ist deshalb ein Ausdruck der Politik selbst.

Der aktive sowie auch der passive Bilingualismus war für große Teile der Reichspopulation ein alltäglicher Bestandteil des Lebens. Charakteristisch war er vor allem für höhere Gesellschaftsschichten, für die es eine Notwendigkeit darstellte, sich in beiden Sprachen verständigen zu können. So besaßen böhmischen Adelige oft auch in deutschsprachigen Gebieten Ländereien und viele Studierende studierten auf Tschechisch, mussten jedoch ihre Teil- oder Abschlussprüfung auf Deutsch ablegen. Außerdem sind Geistliche zu nennen, denen eine Pfarrei in anderssprachigen Gemeinden zugewiesen wurde (vgl. Wolf 2012: 147). Unter den bilingualen Personen waren einige bekannte Literaten, z. B. Max Brod, Egon Erwin Kisch und Rainer Maria Rilke.

Für eine soziale Gruppe stellte die sorgsam gepflegte Zwei- bzw. Mehrsprachigkeit sogar eine Überlebensstrategie dar. Bei dieser Gruppe handelt es sich um die Juden, die sich überall in der Monarchie in einer Zwischenstellung befanden. Besonders in der hochangespannten Zeit des Nationalisierungsprozesses fungierten sie als Vermittler zwischen den beiden Lagern und versuchten, ihre neutrale Position zu wahren. In Prag und anderen größeren Städten war es um die Jahrhundertwende üblich, dass die Kinder einer jüdischen Familie sowohl an tschechischen als auch an deutschen Schulen ihrer Schulpflicht nachgingen (vgl. ibid.: 156).

Diese Zwischenpositionierung prägte nicht nur die jüdische Minderheit, sondern auch die Gruppe der Utraquisten. Diese Bezeichnung leitet sich vom lateinischen communio sub utraque specie (Abendmahl in beiderlei Gestalt) ab und weist auf die bewusste Bekennung zu einer binationalen Identität hin. Zusammen mit dem Adel und der damals neu gegründeten Bewegung der sozialdemokratischen Arbeiterschaft leisteten die Utraquisten sowie die Juden Widerstand gegen eine staatlich vorgenommene Kategorisierung nach Nationalität oder Muttersprache.

Mit der zunehmenden Aufspaltung der Gesellschaft im Zuge der nationalistischen Stimmung, wurde es für die Menschen immer schwieriger, eine Doppel- oder Mehrfachidentität zu behalten, ohne als Verräter der eigenen Nation zu gelten. Personen, die sich für keins der beiden Lager entscheiden wollten, gerieten somit in einen schwerwiegenden Interessenskonflikt. Als Folge sank die Zahl der zwischennationalen Gesellschaftsgruppen zur Jahrhundertwende rasant (vgl. ibid.: 163).

Noch tief im 19. Jahrhundert assoziierten die meisten Einwohner der böhmischen Länder Sprache mit regionaler Herkunft oder Beruf, kaum jedoch mit der eigenen Identität (vgl. ibid.: 157). Gegen Ende des Jahrhunderts wurde die Sprache jedoch als bedeutendes Zugehörigkeitsmerkmal politisiert, wobei individuelle Sprachenpluralität diffamiert wurde. Von den national gestimmten Bevölkerungsteilen war eine klare Bekennung zu der einen oder anderen Seite gewünscht, um eine Übersicht über die Stärke der eigenen Gruppe zu erhalten.

Zusammengefasst kann gesagt werden, dass die schwer differenzierbare sprachliche Heterogenität der überwiegenden Bevölkerungsteile Böhmens ein Hindernis für die Herausbildung des nationalen Bewusstseins darstellte, weil durch sie die eigene kulturelle und soziale Identität der Menschen in mehrere Teile aufgespalten wurde. Wie die Amtsstellen und die Regierung mit dieser Heterogenität umgingen und ob sie die entsprechenden Regelungen eher förderten oder unterbanden, ist Gegenstand des kommenden Kapitels.

3. Zwei- und Mehrsprachigkeit auf institutioneller Ebene

Wie in Kapitel 2.1 bereits dargelegt wurde, durchlief die Reichspopulation um das Jahr 1900 einen hastigen Wandel auf allen Ebenen. Die voranschreitende Industrialisierung und die zunehmende Anzahl an Bürgerschichten brachten auch neue politische und soziale Herausforderungen mit sich. Die traditionell ständische, stark hierarisierte Gesellschaftsordnung wurde in den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts allmählich aufgehoben, was den Weg zu einem wachsenden Gefühl der Zusammengehörigkeit zu einer Nation ebnete. Der Angelpunkt der Nationalisierungstendenzen der tschechischsprachigen Gebiete der Monarchie war in Kapitel 3.1 die weiter unten vorgestellte Sprachenfrage. Diese wirkte sich erheblich auf die translatorische Tätigkeit aus, da die Notwendigkeit einer Translation vom Stellenwert der Sprache und deren offiziellem Statut im hohen Maße abhing. In diesem Kapitel werden Sachverhalte aufgeführt, die für das Themengebiet des instrumentellen Übersetzens relevant wird.

3.1 Die Sprachenfrage

Der Ausgangspunkt für den zweiten großen Abteil der vorliegenden Arbeit ist der Artikel Nr. 19 des Grundgesetzbuches aus dem Jahr 1867, der den Sprachgebrauch im gesamten Staatsterritorium regelte. Auf dessen Grundlage wurden Stimmen vonseiten der tschechischen politischen Repräsentanten für eine gleichberechtigte Stellung der tschechischen Sprache mit der deutschen erhoben, deren Durchsetzung die deutschnationalen Politiker zu verhindern versuchten. Diese Auseinandersetzungen um die Sprache fanden in die Geschichte unter der Bezeichnung Sprachenstreit Eingang, wobei sie die Politik seit dem Ausgleich mit Ungarn im Jahr 1867 beträchtlich bestimmten.

3.1.1 Rechtliche Ursachen für den Sprachenstreit

Die böhmischen Länder gerieten nach dem Ausgleich2 im Jahr 1867 in eine schwierige Lage, da die tschechische politische Repräsentation im aufkommenden Nationalismus dieselben Rechte anstrebte, die dem ungarischen Teil des Reiches zugestanden wurden. Ihre Gesuche wurden nicht erhört, woraufhin die tschechischen Abgeordneten aus Protest ihre Teilnahme am Wiener Reichstag für weitere zwölf Jahre verweigerten (vgl. Gamillscheg 2003: 42).

Hauptsächlich kam es wahrscheinlich aufgrund der Kombination aus dem wachsenden nationalen Bewusstsein der wichtigsten Vertreter Böhmes und Mährens und der Unklarheit der rechtlichen Stellung böhmischer Länder innerhalb der Monarchie zum Sprachenstreit. Ferner ist zu berücksichtigen, dass vor allem die Länder der böhmischen Krone das Zentrum der industriellen Entwicklung des Reichs darstellten – in diesen lag die ökonomische Stärke Österreich-Ungarns. Die dortigen Produktionen dominierten in den Bereichen Schwarzkohleabbau, Gusseisen, Glasindustrie, Wollware, sowie Porzellan, Papier und Zuckerproduktion (vgl. ibid.: 58f.). Die ökonomische Stärke der böhmischen Länder entsprach jedoch nicht ihrer politischen Bedeutung im Rahmen der Monarchie. Diese Disproportion war eine der Ursachen für den Sprachenstreit.

[...]


1 Das Heimatrecht war ein offizielles Dokument zur Zeit der österreichisch-ungarischen Monarchie, das mit der heutigen Staatsbürgerschaft gleichgesetzt werden könnte. Es bestimmte den Wohnsitz des Inhabers und infolge dessen auch seine Aufenthaltsberechtigung.

2 Der österreichisch-ungarische Ausgleich aus dem Jahr 1867 trennte den Gesamtstaat in zwei gleichberechtigte Reichshälfte ein: in die westliche, die inoffiziell Cislethanien genannt wurde, und die von der der östlichen Reichshälfte, Transleithanien, durch den Fluss Leitha getrennt war. Das dualistische Staatsgebilde wurde seitdem Österreich-Ungarn genannt.

Ende der Leseprobe aus 27 Seiten

Details

Titel
Die Rolle der Translation in Österreich-Ungarn um 1900. Zwischen Kulturförderung und Destabilisierung
Hochschule
Universität Wien  (Zentrum für Translationswissenschaft)
Veranstaltung
SE Bachelorarbeit Transkulturelle Kommunikation
Note
1
Autor
Jahr
2021
Seiten
27
Katalognummer
V1138895
ISBN (eBook)
9783346514684
ISBN (Buch)
9783346514691
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Translation, Österreich-Ungarn, Mehrsprachigkeit, Sprachenstreit, Habituelles Übersetzen, Instrumentelles Übersetzen, Meylaerts, Volkszählungen, politisches Instrument
Arbeit zitieren
BA Helena Fuxová (Autor:in), 2021, Die Rolle der Translation in Österreich-Ungarn um 1900. Zwischen Kulturförderung und Destabilisierung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1138895

Kommentare

  • Noch keine Kommentare.
Im eBook lesen
Titel: Die Rolle der Translation in Österreich-Ungarn um 1900. Zwischen Kulturförderung und Destabilisierung



Ihre Arbeit hochladen

Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit:

- Publikation als eBook und Buch
- Hohes Honorar auf die Verkäufe
- Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN
- Es dauert nur 5 Minuten
- Jede Arbeit findet Leser

Kostenlos Autor werden