Systemisches Arbeiten in einem Mutter-Kind-Haus


Praktikumsbericht / -arbeit, 2020

27 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung

2. Vorstellung der Einrichtung
2.1. Der Träger der Jugendhilfe
2.2. Mutter-Vater-Kind-Haus (MuK)

3. Systemisches Denken und Handeln – Ein Abriss
3.1. Grundlagen des systemischen Arbeitens
3.2. Systemisches Arbeiten

4. Systemisches Arbeiten mit den Klient*innen
4.1. Die Genogrammexploration
4.2. Reflecting Team
4.3. Entwicklungs- und Beratungsgespräche
4.4. Tagesreflexion und Gruppenabende

5. Systemisches Arbeiten im Team
5.1. Fallgespräch – Fallberatung
5.2. Team Intervision

6. Fallvorstellungen aus dem Mutter-Kind-Haus im Kontext systemischen Arbeitens
6.1. Fall I: Anja und Luigi
6.2. Fall II: Sophie und Jana
6.3. Fall III: Celia und Lisa

7. Fazit

8. Reflexion

9. Abbildungsverzeichnis

10. Literatur- und Quellenangaben

1.Einleitung

„Wir alle sind, von der Wiege bis zum Grab, am glücklichsten, wenn unser Leben wie eine Serie von langen oder kurzen Ausflügen um die sichere Basis, die unsere Bezugspersonen bieten, organisiert ist.“ (John Bowlby)

Befasst man sich mit der Methode des systemischen Arbeitens muss in diesem Zusammenhang auch immer die Geschichte der systemischen Therapie und Beratung betrachtet werden. Hierauf werde ich in einem späteren Kapitel kurz näher eingehen. Grundsätzlich ist jedoch vorab zu erwähnen, dass der Ansatz des systemischen Arbeitens besonders auf Kommunikation fokussiert ist.

Meine Praktikumsstelle, für das Projekt Frühe Hilfen und Kinderschutz, im Mutter-Vater-Kind-Haus wählte ich, weil ich durch meine Vollzeitbeschäftigung als Nachtbereitschaft im Jugendhilfeträger bereits aushilfsweise in dieser Gruppe eingesetzt war. Jetzt wollte ich tiefere Einblicke in die Tätigkeit der Pädagog*innen in diesem Bereich erhalten. Die betreuende und unterstützende Arbeit in der Nacht unterscheidet sich gravierend von der pädagogischen Arbeit am Tag. Das Leitmotiv in diesem Mutter-Vater-Kind-Haus lautet:

„Ich helfe dir, es selbst zu tun!“

Meine Praxisanleiterin während meiner Praktikumszeit ist Diplompädagogin und systemische Beraterin und setzt mit ihrem Team den systemischen Gedanken in der tagtäglichen Arbeit um.

Zu Beginn dieser Arbeit stelle ich Ihnen die Institution vor, in welcher ich in den vergangenen beiden Semestern mein Projektpraktikum absolviert habe. Außerdem gewähre ich einen Einblick in meine Tätigkeiten und die dort gesammelten Erfahrungen. Anschließend gebe ich einen Abriss über das systemische Denken und Handeln. Der Hauptteil dieser Arbeit besteht aus der Erörterung der von mir gewählten Frage:

„Wie lässt sich der systemische Arbeitsansatz in ein Mutter-Vater-Kind- Haus integrieren?“

Ich möchte hiermit dem Leser einen Einblick in das systemische Arbeiten in einer Mutter-Vater-Kind-Einrichtung gestatten.

Nachdem die Frage formuliert war, informierte ich mich zu dem Thema und recherchierte hierzu. Auch wenn es nicht als wissenschaftliche Erhebung gelten kann und soll, befragte ich Kolleg*innen, Abteilungsleiter*innen und die Heimleitung des Jugendhilfeträgers, bei dem ich das Praktikum absolvierte.

Mit der vorliegenden Arbeit möchte ich darstellen, wie sich das systemische Arbeiten in einer Mutter-Vater-Kind-Einrichtung umsetzen lässt und welche Methoden hierbei bereits angewendet werden.

Bei der Erstellung meiner Arbeit wende ich die hauptsächlich die Methoden der Literaturauswertung bzw. die Sekundärauswertung vorhandener Daten an .

Zum Abschluss werde ich ein Fazit aus den gewonnenen Erkenntnissen ziehen und meine Praxisphase reflektieren. Ich gehe auf eventuelle Schwierigkeiten ein, die sich für mich ergeben haben und die Frage beantworten, ob eine Tätigkeit in diesem Arbeitsfeld für mich vorstellbar ist.

2. Vorstellung der Einrichtung

Der Jugendhilfeträger besteht aus drei parallel nebeneinander bestehenden Organisationsformen.

2.1. Der Träger der Jugendhilfe

Der Jugendhilfeträger, wurde bereits 1928 von Ordensschwestern gegründet. Zu dieser Zeit lag das Hauptaugenmerk des Kinderheims, elternlosen oder obdachlosen Kindern eine Heimat zu geben. Das Haupthaus befindet sich auch heute noch an seinem damaligen Standort. Der Träger ist ein korporatives Mitglied eines kirchlichen Verbandes und leistet gemeinsam mit seiner Partnerorganisation Hilfen im Rahmen vom SGB VIII in vier Bereichen: den Ambulanzen, den Heilpädagogischen Tagesgruppen, den Kinderhäusern und den stationären Jugendwohngruppen.

In der heimeigenen Erziehungshilfeschule mit dem Förderschwerpunkt sozial-emotionale Entwicklung und Schule für Kranke mit verschiedenen Abteilungen: für Schüler*innen mit normaler Begabung, für Schüler*innen mit besonderer Begabung und mit dem Ziel der Reintegration in eine weiterführende Schule, können die Klient*innen beschult werden.

Alle betreuten Kinder und Jugendlichen weisen deutliche Verhaltensprobleme auf, sodass Maßnahmen nach SGB VIII erforderlich sind. Derzeit besteht der Jugendhilfeträger aus der Schule zur Erziehungshilfe, Ambulanzeinrichtungen, Tagesgruppen, Wohngruppen, Kinderhäusern, Inobhutnahmestellen, Außenwohngruppen, dem Mutter-Vater-Kind-Haus, der Verwaltung, dem Haustechnischen Dienst und der Abteilung Hauswirtschaft.

Auftraggeber des Trägers sind hauptsächlich die Jugendämter der näheren Umgebung. Aufgrund der Einzigartigkeit in Deutschland, auch hochbegabte Minderleister, die sogenannten Underarchiever, beschulen zu können und zu einem Schulabschluss zu führen, kann eine Unterbringung von Kindern und Jugendlichen auch aus der gesamten Bundesrepublik möglich sein.

2.2. Mutter-Vater-Kind-Haus (MuK)

Das Mutter-Vater-Kind-Haus ist eine vollstationäre Gruppe, in der Mütter, ganz selten auch Väter, ihr Kind selbst betreuen können. Dies geschieht unter Anleitung und mit Unterstützung von pädagogischem und/oder medizinischem Personal. In der Folge wird aus Gründen der Vereinfachung von Müttern die Rede sein, da seit Bestehen des Hauses bisher nur ein einziger Vater mit seinem Kind in der Gruppe gelebt hat. Die Mutter-Kind-Gruppe wurde im September 2013 aufgebaut, sodass im Dezember 2013 die erste Aufnahme stattfinden konnte. Seit diesem Zeitpunkt ist die MuK 365 Tage im Jahr und 24 Stunden am Tag geöffnet. Im MuK sind sechs Betreuerinnen mit medizinischer oder pädagogischer Ausbildung beschäftigt. Diese decken den Tagdienst ab und erfüllen so ihren pädagogischen Auftrag. Die Betreuung in der Nacht ist durch zwei Nachtbereitschaften gewährleistet. Während dieser Zeit befindet sich der letzte Spätdienst in Rufbereitschaft. Unterstützend ist an den Werktagen eine Hauswirtschaftskraft tätig, die für die Umsetzung der Hygienestandards verantwortlich ist. Aufgrund der Thematik und der Problematik der untergebrachten Mütter, sind konzeptionell tatsächlich nur weibliche Pädagogen in der Gruppe vorgesehen.

Leistungsgrundlage sind § 19 SGB VIII, §27 Abs. 4 SGB VIII und in Einzelfällen auch §35 a SGB VIII.

Das Mutter-Vater-Kind-Haus ist eines der Angebote des Jugendhilfeträgers und befindet sich in einer Eigenheimsiedlung, die mit öffentlichen Verkehrsmitteln, sehr gut zu erreichen ist. Die Gruppe ist in einem Zweifamilienhaus untergebracht und besteht aus zwei Wohnetagen und einem Untergeschoss. Das Mutter-Vater-Kind-Haus bietet Wohnmöglichkeiten für sechs Mütter mit einem Kind. Im Untergeschoss befinden sich die Büroräume und das große Spielzimmer. In den beiden anderen Etagen leben jeweils drei Frauen mit ihrem Kind in einem ca. 12m² großen Zimmer. Diese drei Frauen benutzen ein geräumiges Bad, die Küche mit angrenzendem Essbereich und ein großes Wohnzimmer mit Terrasse bzw. Balkon gemeinsam.

Aufgenommen werden Frauen, die die Vorgaben der oben erwähnten Paragraphen des SGB VIII erfüllen. Die Zielgruppe liegt daher bei einem Alter von bis zu 27 Jahren mit Kindern, die das sechste Lebensjahr noch nicht vollendet haben.

Im Laufe der Jahre zeigte sich, dass die jüngste Bewohnerin gerade 15 Jahre und die Älteste 28 Jahre alt war. Ein Teil der Frauen wurde bereits während der Schwangerschaft in das Mutter-Vater-Kind- Haus aufgenommen, andere werden erst nach der Geburt in der Einrichtung betreut. Allen gemeinsam ist, dass der Grund der Unterbringung der Frauen fast immer im Zwangskontext des Jugendamtes steht. Meist ist die Unterbringung in dieser Gruppe die einzige Möglichkeit, weiter gemeinsam mit ihren Kindern zusammenzuleben. Die Aufträge durch das Jugendamt sind breit gefächert. So reichen sie zum Beispiel von der Unterstützung im Aufbau einer tragfähigen Mutter-Kind-Beziehung, über die Sicherstellung des Kindeswohls bis hin zur Unterstützung beim Erlernen von lebenspraktischen Tätigkeiten. Ein Großteil, der jungen Frauen, die im MuK untergebracht sind, haben keine Unterstützung aus ihren Herkunftsfamilien, kommen aus desolaten Familienverhältnissen, es bestehen ungeklärte Partnerschaften oder aber sie verfügen bereits über eine längere Jugendhilfekarriere.

Da es sowohl für die Frauen, als auch für die Kinder wichtig ist Strukturen und Rituale zu erlernen und zu erleben, wird dies in der Mutter-Kind-Gruppe tagtäglich praktiziert. Einige der Frauen kennen weder Regeln noch Strukturen, sodass diese Umstellung sich anfangs schwierig gestalten kann. Es ist einige Zeit und intensive Arbeit erforderlich, damit die Regeln nicht als „böswillige“ Einschränkung angesehen werden, sondern als Hilfsmittel, die sowohl ihnen, als auch ihren Kindern Sicherheit geben und ihrem eigenen Wohl sowie dem ihrer Kinder dienen. Ziel der Arbeit der Pädagog*innen im Mutter-Vater-Kind-Haus ist es, mit dem Prinzip der Hilfe zur Selbsthilfe die jungen Frauen dabei zu unterstützen eine sichere und tragfähige Bindung zu ihren Kindern aufzubauen, sowie lebenspraktische Aufgaben selbstständig zu meistern. Außerdem wird Wert darauf gelegt, dass sie nach dem Auszug finanziell unabhängig in der Lage sind ihr und das Leben ihrer Kinder zu bestreiten. Darauf wird, durch Unterstützung und Ermunterung, sich wieder in einer Schule oder Ausbildungsstelle zu integrieren, hingewirkt. Wichtig ist, dass die Frauen immer wieder verdeutlicht bekommen, dass SIE? die Experten in Bezug auf die Bedürfnisse ihrer Kinder sind und sie durch die Fachkräfte lediglich Unterstützung und Beratung in Erziehungs- oder psychosozialen Fragen erhalten.

Die Arbeit des Mutter-Kind-Hauses ist auf eine starke Vernetzung angewiesen. Eine intensive Zusammenarbeit bzw. Kooperation findet mit anderen Helfersystemen, wie beispielsweise Kinderärzt*innen, Gynnäkolog*innen, Therapeut*innen, Berater*innen im Rahmen der Frühen Hilfen und Lehrer*innen, statt. Die Kooperation mit einer Kinderarztpraxis besteht schon seit Eröffnung der Hauses und hat den Vorteil, dass für alle Kinder lediglich ein Kinderarzt zuständig ist. Dieser kennt die Einrichtung, das Team, dessen Arbeitsweise und natürlich auch die Patient*innen.

Bei allen Aktivitäten werden die Mütter, die Väter und auch die Herkunftsfamilien mit einbezogen, um den Müttern und Kindern, bei einem Auszug ein stabiles Umfeld und ein sozialen Netzwerk mit an die Hand zu geben.

3. Systemisches Denken und Handeln – Ein Abriss

Um das systemische Arbeiten in Therapie und Beratung besser verstehen zu können, ist es wichtig sich mit dem Begriff „System“ auseinanderzusetzen. Die Definition des Begriffs im pädagogischen bzw. psychologischen Kontext, ist fast selbsterklärend. So wird hier berücksichtigt, dass jeder Mensch Teil eines Systems ist. Dieses System beeinflusst die Person und die Person beeinflusst gleichzeitig das System. Die erste Systemtheorie ist auf die Biologie und Physiologie zurückzuführen.

Der Ansatz des systemischen Arbeitens, und in diesem Zusammenhang auch die systemische Psychotherapie, die systemische Beratung und die systemische Supervision, alle bauen auf den modernen Konzepten systemtheoretischer Wissenschaft auf, die mittlerweile auch Zugang zu allen anderen Wissenschaften, wie den Natur-, Geistes- und Sozialwissenschaften gefunden haben. Hierdurch wird ermöglicht komplexe Phänomene, die das menschliche Leben und das Zusammenleben charakterisieren, zu erfassen. Betrachtet man die Familie systemisch, ist es wichtig die zum Teil über Generationen entwickelten Muster und Rollen mit in den Blick zu nehmen.

Dadurch eröffnet sich die Möglichkeit und eine passende Methodik zu ihrer Behandlung zu entwickeln. Nach dem systemischem Verständnis wird der Mensch immer sowohl als biologisches, als auch als soziales Wesen betrachtet. Der systemische Ansatz unterscheidet sich grundlegend von anderen Arbeitsansätzen. Das Denken und das Symptomverhalten von Klient*innen werden in ihrer kommunikativen und beziehungsgestaltenden Form begriffen.

Um den Menschen und seine psychischen Störungen verstehen zu können, betrachtet man unter der systemischen Perspektive die physischen und psychischen Eigenschaften ebenso wie die sozialen Lebensbedingungen. Das systemische Arbeiten verfügt über eine eigene klinische Theorie und Methodologie zur Erklärung und Behandlung psychischer Störungen. Hier wird weniger über Defizite und Probleme diskutiert, sondern es werden eher Stärken und Ressourcen betrachtet. Man kann auch kurz zusammenfassen, systemisches Arbeiten ist immer lösungsorientiert (vgl.Schwing, Fryszer 2018, S. 9). So werden in der systemischen Therapie psychische Erkrankungen als Störung der Systemumwelt dargestellt und nicht als Störungen der Klient*innen. Individuelle Symptome betrachtet man als Ergebnis von krankmachenden bzw. aufrechterhaltenden Beziehungsmustern im Kontext der wichtigen Bezugspersonen. Das erklärt, wieso diese Personen nach Möglichkeit mit in den Prozess einbezogen werden sollen. Die Systemiker*innen gehen bei ihrer Arbeit immer davon aus, dass nur durch das Einbeziehen des Systems, der Familie, der Umwelt eine Veränderung des Verhaltens möglich ist (vgl. Schwing, Fryszer 2018, S. 9). Eine weitere Grundlage für die systemische Praxis ist die Kooperation zwischen Klient*innen und Helfer*innen (vgl. Rotthaus 2017).

3.1. Grundlagen des systemischen Arbeitens

In den 1950er Jahren begann man, die Settings der Einzel- und Gruppentherapie zu verlassen und sich der Familie zuzuwenden. In den Anfängen der systemischen Therapie waren es beispielsweise die Arbeiten Gregory Batesons, Virginia Satir, Jay Haley und Paul Watzlawick, die den Blick vom Individuum lösten und die komplette Familie in den Blick nahmen Dies geschieht intergenerational, weil verschiedene Themen nur verstanden werden können, wenn man sie generationsübergreifend betrachtet. Hier waren es hauptsächlich Familien, deren Mitglieder psychische Störungen hatten. Sie wirkten mit ihren Mustern innerhalb von Konflikten, ihren Beziehungen und ihrer zum Teil eingeschränkten Kommunikation auf das System Familie. Die oben erwähnten Vorreiter des systemischen Arbeitens kamen alle zu einer ähnlichen Erkenntnis. Möchte man Probleme verstehen und dann auch lösen, ist dies einfacher und Erfolg versprechender, wenn die gesamte Familie mit in die Betrachtung mit einbezogen wird. Es ist wirkungsvoller die Kommunikation und die Beziehung der Personen in der Familie zu beobachten und diese gegebenenfalls zu verändern, als die betroffene Einzelperson langwierig zu behandeln (vgl.Schwing, Fryszer 2018, S.16). Der Amerikaner Harry Stuck Sullivan war ein weiterer Vordenker dieser Zeit, der vor allem psychische Störungen als Ausdruck und Folge bestimmter Beziehungsmuster sah (vgl. Stierlin 2001, S.258ff). Auf diese Art und Weise entstand die Familientherapie und sie fand nach und nach immer mehr Anhänger. Gerade in der Jugendhilfe oder auch bei der, in dieser Arbeit beschriebenen gemeinsamen Wohnform von Kindern und Eltern, ist das systemische Arbeiten besonders geeignet, weil das persönliche Umfeld der Klient*innen mit einbezogen wird, die Gestaltung eines förderlichen Lebensraumes im Mittelpunkt steht und der Fokus auf der Zukunft und nicht auf der Vergangenheit liegt (vgl.Winkelmann 2014, S. 32).

3.2. Systemisches Arbeiten

Zentrales Arbeitsmittel beim systemischen Arbeiten ist der öffnende Dialog. Den Klient*innen gegenüber bemühen sich die Therapeut*innen, Berater*innen oder Supervisor*innen um eine Haltung des Respekts, der Unvoreingenommenheit, des Interesses und der Wertschätzung bisheriger Handlungs- und Lebensstrategien. Die Haltung der Berater*innen ist grundlegend für den Beratungsprozess. Ein ebenso wichtiger Aspekt, den systemische Berater*innen immer berücksichtigen sollen, ist bereits die Wertschätzung der bloßen Präsenz der Klient*innen beim Beratungs-gespräch. Jeder noch so kleine Lösungsversuch seitens der Klient*innen ist zu würdigen, um ihnen die Verantwortung für ihr Tun zu überlassen. Die Klient*innen sind als Expert*innen in eigener Sache zu betrachten und auch so zu behandeln (vgl.Giering et.al 2015).

Ziel der systemischen Arbeitsmethoden ist es, Menschen in den Systemzusammen-hängen zu betrachten und eine gleichberechtigte, kooperative Beziehung zwischen allen Beteiligten zu suchen. Dadurch gelingt es Systeme, die aus mehreren Personen bestehen, zu interviewen. Diese Systeme sind nicht als starr zu betrachten sondern sollen in Bewegung gebracht werden, um die gewünschten Erfolge zu erzielen. Viele Klient*innen erklären ihr Vorgehen als Reaktionen auf das Verhalten von anderen Personen. Dadurch wird die Verantwortung von sich selbst weggeschoben. Sie sehen sich in einer Opferrolle, die es ihnen nicht ermöglicht, einzugreifen oder eine Veränderung herbeizuführen. Das führt dazu, dass sich vorhandene Interaktionsmuster stabilisieren. Der systemische Ansatz kann diese bereits eingeschliffenen Muster auflösen, weil nicht das Problem an sich im Fokus steht. Viel mehr wird in den oben beschriebenen Kreislauf von Aktion und Reaktion eingegriffen und dieser zur Problembewältigung genutzt. Die systemische Therapie hat in den letzten 50 Jahren verschiedene Instrumente entwickelt, die zum Teil einzeln oder auch in Kombination angewendet werden. Zu diesen zählen u.a. das Arbeiten mit Genogrammen, Skulpturen, Ritualen u.v.m. Einige Arbeitsmethoden bzw. Instrumente werde ich im Anschluss an Beispielen des Mutter-Kind-Hauses näher erläutern.

4.Systemisches Arbeiten mit den Klient*innen

Bei den Klient*innen im Mutter-Kind-Haus ist es wichtig besonders wertschätzend zu sein, da es für viele eine große Leistung darstellt, sich für ein Zusammenleben mit ihrem Kind zu entscheiden. Auch gilt es sich möglichst schnell in eine neues System zu integrieren, wenn man davon ausgeht, dass die Wohngemeinschaft mit fremden Frauen, auch als ein System angesehen werden kann. Der Wechsel erfolgt abrupt. Plötzlich leben mehrere fremde Personen mit der Klient*in unter einem Dach. Täglich wechseln mehrmals die Pädagog*innen, die Herkunftsfamilie rückt eventuell immer mehr in den Hintergrund oder erschwert das Ankommen und Integrieren im neuen System. Für die Pädagog*innen steht deshalb immer die Frage: Was brauchen Mutter und Kind?, bei der Wahl des Unterstützungsangebotes im Vordergrund. Durch Verbindlichkeiten und durch Teilhabe fühlen sich die Frauen ernst genommen und die Selbstwirksamkeit wird gestärkt.

4.1. Die Genogrammexploration

Die Genogramm Arbeit ist eine bewährte Methode der Familientherapie und wird deshalb auch in anderen Bereichen angewendet. Sie gehört zu den rekonstruktiven Methoden und ist auf Ressourcenorientierung ausgelegt. Wenn eine Klient*in in das Mutter-Kind-Haus aufgenommen werden soll, geht eine Fallanfrage durch das Jugendamt voraus. Die zuständigen Sozialarbeiter*innen werden mit den potenziellen Klient*innen zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen. Das Vorstellungsgespräch beginnt in der Regel mit einem Joining. Das ist eine Anwendungstechnik von systemischen Berater*innen und Therapeut*innen und ist als ein therapeutisches Bündnis zwischen Klient*innen, ihren Familienmitgliedern und der systemischen Fachkraft zu verstehen. Direkt nach der Begrüßung wird die Klient*in mit der Sozialarbeiter*in durchs Haus geführt, sodass sich beide einen ersten Eindruck über die Räumlichkeiten machen können. Ein Ziel dieser Joinings ist es, dass die systemische Berater*in beobachten kann, wie sie auf die Mitbewohner*innen zugeht, wie sie auf die neuen Eindrücke reagiert und was die Körpersprache aussagt. Am Ende des Rundgangs begeben sich alle in den Besprechungsraum. Dort erläutert die systemische Berater*in die Methode der Genogrammexploration. Es ist hierbei besonders wichtig, der Klient*in zu vermitteln, dass dieses Instrumentarium angewendet wird, weil das Team Interesse an ihr hat und deshalb mehr über sie erfahren möchte. Auch ist es eine Möglichkeit zu erkennen, welche Unterstützung sie benötigt und ob die Unterstützung, die konzeptionell verankert ist, die Richtige für sie ist. Die Klient*in darf entscheiden, ob während der Exploration ein Genogramm erstellt werden darf. Die meisten Klient*innen entscheiden sich dafür zuerst von sich erzählen zu dürfen, weil sie dadurch einen Raum für sich haben, in dem sie von sich erzählen können und sich wertgeschätzt fühlen. Bei allem was in Bezug auf die Klient*innen geschieht ist es wichtig, sie zu beobachten. Anhand von Körpersprache und Sitzposition ist zu erkennen ob noch immer eine Anspannung besteht oder ob sich die Klient*in schon langsam etwas entspannt. In der Exploration werden unterschiedliche Bereiche angesprochen. Die Klient*in und ihre Ressourcen stehen auch hierbei immer im Mittelpunkt. Die Fragen nach dem liebsten Hobby und dem Berufswunsch lassen einen Einblick in die Klient*in zu. Auch Informationen zu ihrer Herkunftsfamilie und den sozialen Beziehungen sind bei der Erstellung eines Genogramms sehr wichtig. Die einzelnen Personen werden durch Beziehungslinien verbunden. Manchmal werden diese von der Klient*in treffend beschrieben, ein anderes Mal beruhen sie nur auf Vermutungen der systemischen Berater*in. Während der Erstellung des Genogramms werden der Klient*in alle Zeichen erläutert und erklärt, warum sie an diese Stelle gesetzt werden. Es ist wichtig die ganze Zeit die Klient*in wertzuschätzen und Ressourcen und Resilienzfaktoren zu erkennen. Das BASK Modell nach Braun (B ehavior-Verhalten, A ffect-beteiligte Gefühle, S ensation-Körperempfindungen, K nowledge-Wissen) hilft Zusammenhänge zu verstehen und alle Bestandteile in die Bearbeitung mit einzubeziehen. Besonders die Körpersprache ist während der Exploration bezeichnend. Die in sich gekehrte Sitzhaltung entspannt sich mit den ersten Worten der Wertschätzung und das Erzählen fällt leichter. Nachdem das Genogramm erstellt ist und die Klient*in das Problem, aus ihrer und aus Sicht des Jugendamtes schildern durfte, wird ein kurzer Abriss über die Arbeit in der Einrichtung und den Tagesablauf gegeben. Beide Parteien erhalten Bedenkzeit und verabreden sich zu einem Entscheidungstelefonat. Die Methode der Genogrammexploration wird im gesamten Trägernd seit Gründung des Mutter-Kind-Hauses auch hier regelmäßig angewendet und hat sich als ein sehr hilfreiches Werkzeug erwiesen, die meist verworrenen, vielschichtigen Familien-strukturen und eventuelle Fallen bzw. Verstrickungen zu verstehen. Bei der Exploration ist es wichtig, die Klient*in gut im Blick zu behalten, um auftretende emotionale Regungen rechtzeitig erkennen zu können. Teilweise werden während der Exploration Themen angesprochen, die sehr nahe gehen, belasten und retraumatisieren können. Der Prozess kann aber durch das Herausarbeiten von Ressourcen in eine positive Verstärkung umgewandelt werden (vgl. Schlippe; Schweitzer 2007).

[...]

Ende der Leseprobe aus 27 Seiten

Details

Titel
Systemisches Arbeiten in einem Mutter-Kind-Haus
Hochschule
Hochschule Darmstadt  (Soziale Arbeit)
Veranstaltung
Projektmodul Frühe Hilfen und KInderschutz
Note
1,0
Autor
Jahr
2020
Seiten
27
Katalognummer
V1138904
ISBN (eBook)
9783346546432
ISBN (Buch)
9783346546449
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Systemisch, Mutter-Kind-Haus, gemeinsame Wohnformen, §19 SGB VIII, Genogramm, kollegiale Fallberatung
Arbeit zitieren
Steffi Gesser (Autor:in), 2020, Systemisches Arbeiten in einem Mutter-Kind-Haus, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1138904

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