Der Begriff recusatio als Terminus, der bestimmte Gedichte und Gedichtformen der antiken Literatur beschreibt, ist ein Produkt der Moderne, die mit ihm versucht, sowohl gewisse Leitlinien und Abhängigkeiten in der literarhistorischen Betrachtung aufzuzeigen, als auch immer auf gewisse Eigenarten eines Dichters oder einer Gruppe von Dichtern zu stoßen. Bei Letzterem sind sogenannte poetologische Gedichte von entscheidender Bedeutung, d.h. solche, in denen das lyrische Ich, also das, was man in Zeiten positivistischer Literaturwissenschaft als den »Dichter« bzw. seine angeblich historisch fassbare Person bezeichnet hatte, in der Rolle des poeta erscheint, der den eigenen Standpunkt zu Grundfragen der literarischen Produktion seiner eigenen Person wie auch der von anderen reflektiert und hinterfragt.
Poetologische Gedichte oder diejenigen, die sich als solche interpretieren lassen,sind in der antiken Literatur durchaus häufig, so kennen wir von den einigermaßen erhaltenen Lyrikern kaum einen, der nicht in irgendeiner Weise zu seiner Dichtungskonzeption Stellung genommen hätte. Auffallend ist, dass die Motive und Techniken, derer sich poetologische Aussagen in der griechisch-römischen Antike – hier sei nur beispielhaft auf den Musenanruf und Inspirationsszenen verwiesen - bedienen, durchaus über eine überaus lange Halbwertszeit verfügen, die bis in die Moderne reicht. Dass Dichter dabei unter Zuhilfenahme von Variation und Abgrenzung, gleichermaßen aber auch vor allem Selbsteinordnung und -orientierung innerhalb der literarischen Tradition diese Motive auf verschiedenste Weise nutzen, sie im Rahmen einer literarischen imitatio übernehmen oder die Grenzen der Vorlage durch aemulatio verändern,aufweichen, in ihr Gegenteil verkehren oder völlig sprengen, ist ein konstituierendes Merkmal der Literaturgeschichte, dass kontrastierende Untersuchungen wie den literarischen Diskurs überhaupt erst ermöglicht. Nicht weniger setzen auch dieselben Autoren innerhalb ihres Werkes dieselben Techniken variierend ein und oft ist das nicht nur »literarisches Spiel«, sondern durchaus ernstzunehmende Beleuchtung der eigenen Dichtung aus verschiedenen Blickwinkeln und mit unterschiedlichen Absichten.[...]
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Die literarische Tradition
- Formen und Merkmale der recusatio vor Horaz
- Recusatio bei Horaz
- Die recusatio in den Satiren (I 10, II 1)
- Die recusatio in den Oden
- Ode I 6 Ein dreifaches Enkomium
- Ode IV 15 Herrscherpanegyrik
- Ode II 12 Maecenas, oder: Von der Fremd zur Selbstdarstellung
- Von den Oden zur Augustusepistel: Grenzformen der recusatio
- Fazit
- Literaturverzeichnis
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die vorliegende wissenschaftliche Arbeit befasst sich mit der Form und Funktion der recusatio im Werk des römischen Dichters Horaz. Ziel ist es, die verschiedenen Formen der recusatio in den Satiren und Oden des Horaz zu analysieren und ihre Bedeutung für die poetologische Selbstpositionierung des Dichters zu beleuchten. Dabei werden die literarischen Traditionen der recusatio sowie die spezifischen Merkmale der horazischen Anwendung des Motivs untersucht.
- Die literarische Tradition der recusatio
- Die verschiedenen Formen der recusatio bei Horaz
- Die Funktion der recusatio in der poetologischen Selbstpositionierung des Dichters
- Die Beziehung zwischen recusatio und anderen literarischen Motiven
- Die Bedeutung der recusatio für das Verständnis der horazischen Lyrik
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung führt in das Thema der recusatio ein und erläutert die Bedeutung des Begriffs für die literarische Analyse. Sie stellt die Forschungsfrage nach der Funktion der recusatio im Werk des Horaz und skizziert den Aufbau der Arbeit.
Das zweite Kapitel beleuchtet die literarische Tradition der recusatio, indem es die Formen und Merkmale der recusatio vor Horaz untersucht. Dabei werden wichtige Vorläufer wie Kallimachos und seine Rezeption in der römischen Literatur betrachtet.
Das dritte Kapitel widmet sich der Analyse der recusatio im Werk des Horaz. Es werden die verschiedenen Formen der recusatio in den Satiren und Oden des Dichters untersucht, wobei die spezifischen Merkmale und Funktionen der recusatio in den einzelnen Gedichten herausgearbeitet werden.
Schlüsselwörter
Die Schlüsselwörter und Schwerpunktthemen des Textes umfassen die recusatio, die poetologische Selbstpositionierung, die literarische Tradition, die Formen und Funktionen der recusatio bei Horaz, die Satiren und Oden des Horaz, die literarische Tradition der recusatio, die Rezeption von Kallimachos, die poetologische Selbstpositionierung des Dichters, die Beziehung zwischen recusatio und anderen literarischen Motiven, die Bedeutung der recusatio für das Verständnis der horazischen Lyrik.
- Arbeit zitieren
- Robert Igel (Autor:in), 2008, Form und Funktion der recusatio bei Horaz, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/113896