Eine Analyse des pädagogischen Aspektes des Märchens "Der kleine Häwelmann" von Theodor Storm aus dem 19. Jahrhundert


Hausarbeit (Hauptseminar), 2020

13 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Märchen von Theodor Storm

3 Der kleine Häwelmann.
3.1 Die Rolle des Kindes
3.2 Die Rolle des Mondes
3.3 Die Rolle der Sonne

4 Pädagogik im Märchen Der kleine Häwelmann.

5 Fazit

Literaturverzeichnis

1 Einleitung

Kinder sind ein literarisches Motiv in der Literatur des 19. Jahrhunderts. Diese Relevanz der Kindheit und Kindlichkeit ist eng verbunden mit dem familiären Hintergrund und der literarischen Fokussierung auf Privatheit. Die Familie und die Kindheit werden zunehmend in die Literatur eingearbeitet. Die Darstellung von Kindern in der Literatur des 19. Jahrhunderts ist oft mit dem Phänomen des Kindstods, welcher eine Gemeinschaftstragödie ist, verbunden. Gleichsam erscheint immer mehr Literatur für Kinder, denn Kinder rücken mehr denn je ins Zentrum familiärer Aufmerksamkeit (vgl. Forasacco 146, 152).

Die Kinderliteratur wird laut Bachmann-van Helt als eine Gruppe von Texten und Werken verstanden, welche identische Textmerkmale aufweisen. Darunter zählt das Vorhandensein „kindliche[r] Protagonisten, geringer Komplexität in Aufbau und Perspektive sowie weitgehender Vermeidung von Fremdwörtern und anspruchsvollen Stilmitteln“ (3f.). Demnach ist der Unterschied zwischen Kinderliteratur und Erwachsenenliteratur signifikant.

Aufgrund der scheinbaren Einfachheit der Kinderliteratur, wird sie vorrangig als nicht interpretationswürdig angenommen. So schreibt Ewers:

„Vielen Arbeiten liegt allem Anschein nach die unausgesprochene Haltung zugrunde, daß Kinderliteratur nicht interpretationsbedürftig, ja vielfach nicht interpretationswürdig sei und daß allein ihre soziale Bedeutsamkeit, ihre weitreichenden Sozialisationsfunktionen es rechtfertigen, sich mit ihr wissenschaftlich auseinanderzusetzen.“ (468)

Das Analysieren von Kinderliteratur galt lang als literaturwissenschaftlich unbedeutend. Im Folgenden soll jedoch ein Kunstmärchen von Theodor Storm analysiert werden, sowohl literaturwissenschaftlich als auch sozialpsychologisch. Dafür werden beginnend Informationen zu den Märchen Theodor Storms gegeben. Anschließend wird das Märchen des Kleinen Häwelmanns.orgestellt und analysiert. Dabei wird der Fokus auf die Protagonisten gelegt, welche der Mond, die Sonne und der Junge selbst sind. Im Anschluss soll das Märchen erziehungstheoretisch untersucht und eingeordnet werden.

2 Märchen von Theodor Storm

Theodor Storm ist ein Autor des 19. Jahrhunderts. Neben vielen anderen Werken veröffentlichte er auch Texte, welche in die Gattung der Märchen einzuordnen sind. Die von Storm veröffentlichten Märchen gleichen sich jedoch kaum, es ist eine sehr heterogene Zusammenstellung (vgl. Müller-Wille 89). In seinen Märchen orientiert sich Storm offensichtlich an dem gebrochenen, ironischen Ton der Märchen und Geschichten von Hans Christian Andersen (vgl. ebd.).

Storms Märchen haben einen autoreferentiellen Charakter. Petersen bezieht sich auf Detering (2011) und äußert, dass über das Phänomen der Kindheit hinaus auch das „Phantasma des Märchens als eine naive kindliche Form der Literatur kritisch behandelt“ wird (88). Zunehmend stellt sich in der literarischen Analyse von Storms Märchen die Frage, ob die Gattung des Märchens in der Vielzahl seiner Werke zum Experimentieren dient, also zum Erproben innovativer Erzählverfahren, oder doch zur Betrachtung neuer Themenspektren (vgl. Petersen 87). Festzuhalten ist, dass Storm die Gattung des Märchens teilweise geschickt nutzt, um „sich kritisch mit dem familiären, ökonomischen und politischen Imaginären, d[as] h[eißt] mit den zentralen Wunsch- und Wahnvorstellungen seiner Zeitgenossen, auseinanderzusetzen“ (Petersen 88).

Theodor Storm macht sich diese Gattung zunutze und entwickelt Geschichten, welche Problemkomplexe aufgreifen und gleichzeitig hinterfragen. Er bezieht sich demnach auf „zentrale anthropologische Grunderfahrung[en] der Adoleszenz“ und „romantische Verklärung von Kindheit und Kindlichkeit als vermeintlicher Verkörperung und Vergegenwärtigung einer verlorenen Heilszeit“ (Detering 92). Dabei orientiert er sich auch an Novalis Grundsätzen, der beschreibt, dass Märchen „wunderbar - geheimnißvoll und unzusammenhängend seyn [muss] - alles belebt“ sein muss (Novalis: Fragmente oder Denkaufgaben, Nr. 193).

3 Der kleine Häwelmann

Der kleine Häwelmann.st eines von Theodor Storms Märchen. Es erschien 1849 und gilt als Kindermärchen (vgl. Detering 92), da es sich thematisch mit dem Themenkomplex der Kindheit befasst und der Definition eines Kindermärchens, wie es in der Vorrede der Kinder- und Hausmärchen.er Brüder Grimm von 1822 definiert ist, entspricht. Märchen erfreuen, bewegen und belehren (vgl. Grimm VIII). Auch halten die Brüder Grimm fest, dass sich „aus [...] Märchen eine gute Lehre [ergibt], eine Anwendung für die Gegenwart“ (XII). Dieser Realitätsbezug „war weder ihr [ursprünglicher] Zweck, noch sind sie darum erfunden, aber [er] erwächst daraus“ (Grimm XII). Somit ist festzuhalten, dass echte Poesie immer einen Bezug auf das Leben hat, da sie aus ihm aufgestiegen ist und dahin zurückehrt (vgl. Grimm XIII).

Der kleine Häwelmann.st eine Erzählung, welche im Erzählprozess psychisch und pädagogisch reflektiert wird. Das zeigt sich vor allem an der „überraschenden narrativen Wendung am Ende des Kleinen Häwelmann. (Detering 92).

Das vielfach veröffentlichte und illustrierte Märchen ist einer der weltweit wirkungsmächtigsten Texte von Theodor Storm (vgl. Detering 95). In einer Veröffentlichung von 1926, welche farblich und schwarz-weiß illustriert wurde, findet sich auf den ersten Seiten des Buches ein kleines Gedicht über den Häwelmann. In diesem Gedicht wird der kleine Junge als Sonnenschein und alles Glück der Familie dargestellt. Diese Darstellung steht im Kontrast zu der folgenden Märchengeschichte Der kleine Häwelmann. Detering bezeichnet den Kleinen Häwelmann.ls eine „Allegorie von Selbstüberhebung und Scheitern“ (94), der Junge erscheint als ungeduldig und frech, was in den folgenden Kapiteln genauer untersucht wird.

3.1 Die Rolle des Kindes

Der kleine Junge, welcher im Märchen als der kleine Häwelmann.ezeichnet wird, ist seines Namens entsprechend dargestellt. Die Bezeichnung Häwelmann.ird in Schleswig-Holstein zu Storms Zeiten als gebräuchliche Bezeichnung für sogenannte „Hätschelkinder“ verwendet (vgl. Detering 95). Dies bezieht sich auf das Kleinkind schlechthin, welches oft mit einer Nervensäge gleichgesetzt wird.

Der kleine Junge schläft des Nachts und Nachmittag in seinem Bett und hat eine Mutter, die sich um ihn kümmert und neben ihm schläft. Diese scheint ihn sehr zu lieben, jedoch lässt sie das Kind bald allein und schaukelt es nicht weiter in den Schlaf. Der Junge jedoch fordert das Schaukeln ein und erfährt durch die Abwesenheit der Mutter eine Kränkung, was später genauer thematisiert wird. Das Kind zeigt im Märchen viele Charakteristika, die schon Novalis und Jean Paul als bezeichnend für Kleinkinder festhielten. Der kleine Junge imitiert im Bett das Segel von Schiffen und nutzt dafür sein Bein als Mast und sein Hemd als Segel. Seine Atemluft dient als antreibender Wind (vgl. Storm 1). Der Häwelmann.cheint in der Geschichte im Traum zu sein, da er „die Wand hinauf, dann kopfüber die Decke entlang und dann die andere Wand wieder hinunter“ fahren kann (Storm 1). Die Kreativität und Unvoreingenommenheit, welche Kindern sowohl von Schlegel und Novalis als auch von Jean Paul zugeschrieben werden, sind in der Darstellung des Häwelmannes.iederzufinden. Auch die Überschwänglichkeit (vgl. Novalis) und heitere Selbstzufriedenheit, wie Schlegel es für die kleine Wilhelmine als typisches Kleinkind beschrieb (vgl. 13), finden sich in den Charakterzügen des fiktiven Häwelmannes. Während seiner Bettreise bekommt der Junge nicht genug vom Rollen und ruft „Mehr, mehr!“ (Storm 1). Dies findet wiederholend insgesamt sechs Mal statt. Bezeichnend für die Überschwänglichkeit des Kindes ist auch die Aussage des Erzählers:

„Es war ein großes Glück für den kleinen Häwelmann, dass es gerade Nacht war und die Erde auf dem Kopf stand; sonst hätte er doch gar zu leicht den Hals brechen können.“ (Storm 3). Storm thematisiert in der Darstellung des kleinen Häwelmannes.ie „Allmachtsphantasien eines frühkindlichen Narzissmus“ (Detering 95).

3.2 Die Rolle des Mondes

Nicht nur das Kind steht repräsentativ für den Narzissmus und Überschwänglichkeit der idealistischen Kinder, auch „der gute, alte Mond“ „mit seinem Pelzärmel“ (Storm 1) trägt eine wichtige Funktion in seinem Erscheinen. Der Mond nennt den Häwelmann.Junge“ (Storm 3). Detering beschreibt sogar die „Vaterinstanz des guten Mondes“ (95), welche auch darauf zurückzuführen ist, dass der Mond hier als Maskulinum auftritt. Der Mond ist Begleiter und Beschützer des Häwelmannes. Dies fällt auf, da er dem Jungen die Möglichkeit gibt, seinen Bewegungsdrang auszuleben, indem er dem Kind die Tür zur Straße hinaus öffnet und ihn durch Stadt, Wald, über die Heide bis ans Ende der Welt begleitet und ihm leuchtet (vgl. Storm 3). Die Darstellung des Mondes als Begleiter und Wegweiser lässt ihn als übernatürliche Vaterfigur auftreten, der aber auch pädagogisch versucht, auf das Kind einzuwirken: „'Junge', sagte er, 'hast du noch nicht genug?'“ (Storm 3). Er maßregelt das Kind verbal. Konsequent wird er jedoch erst, als der Junge ihm mit seinem Bett über die Nase fährt, woraufhin er, aber auch die Sterne im Himmel, sein Licht löscht und die Augen zu macht (vgl. Storm 10).

3.3 Die Rolle der Sonne

Wie auch der Mond erscheint die Sonne als Figur im Märchen Der kleine Häwelmann. Jedoch erfüllt sie ganz andere Funktionen als der begleitende und wegweisende Mond. Erst, als sowohl der Mond als auch die Sterne schlafen gehen, erscheint sie „unten am Himmelsrand“ (Storm 11). Der Häwelmann.erwechselt sie vorerst mit dem Mond, worüber sie sichtlich empört ist. Mit ihren glühenden Augen und dem kundgetanen Unmut bezüglich der Himmelsfahrt des Jungen setzt sie den finalen Gefühlszustandes des Mondes fort. Dieser hat das Märchen verärgert verlassen. Das Unbehagen äußert die Sonne mit den Worten: „'Junge', rief sie und sah ihm mit ihren glühenden Augen ins Gesicht, 'was machst du hier in meinem Himmel?'“ (Storm 11). Anschließend wirft sie den kleinen Jungen ins große Wasser, das Meer. Detering beschreibt die Sonne als „ins Kosmische gesteigerte Mutterinstanz“ (95). Die Ablehnung der Mutter des Häwelmannes. welche zu Beginn des Märchens durch die fehlenden Anstöße im Kinderbett gezeigt wurde, wiederholt sich im Auftreten und der Handlung der Sonne. Als feminines Substantiv liegt die Annahme nah, dass sie als Muttersymbol die Ablehnung wiederholt.

4 Pädagogik im Märchen Der kleine Häwelmann.

Das Märchen Der kleine Häwelmann.on Theodor Storm ist wie eine mündliche Erzählung konzipiert, in der „die monologische Erzählinstanz produktiv distanzschaffend aufgespalten“ wird (Detering 95). Die Erzählweise Storms ist hier vor allem besonders, was Detering festhält: „Storm [gewinnt] [.] erzählend Distanz zu den dort [in den frühkindlichen Einheitserfahrungen] überwältigend traumatischen Erfahrungen und reflektiert über die therapeutischen Möglichkeiten des Erzählens selbst“ (95). Das zeigt sich vor allem in der Rolle des der Geschichte zuhörenden Kindes: Das Kind, welches sich im Erzählen der Geschichte mit dem kleinen Häwelmann.dentifiziert hat, distanziert sich am Ende wieder von dieser Identifikation.

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Ende der Leseprobe aus 13 Seiten

Details

Titel
Eine Analyse des pädagogischen Aspektes des Märchens "Der kleine Häwelmann" von Theodor Storm aus dem 19. Jahrhundert
Hochschule
Humboldt-Universität zu Berlin
Note
1,3
Autor
Jahr
2020
Seiten
13
Katalognummer
V1140011
ISBN (eBook)
9783346516398
ISBN (Buch)
9783346516404
Sprache
Deutsch
Schlagworte
eine, analyse, aspektes, märchens, häwelmann, theodor, storm, jahrhundert
Arbeit zitieren
Annemarie Tippel (Autor:in), 2020, Eine Analyse des pädagogischen Aspektes des Märchens "Der kleine Häwelmann" von Theodor Storm aus dem 19. Jahrhundert, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1140011

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