Automatisiertes Fahren. Radarbasierte Personendetektion mittels Vitalzeichenerkennung im Ultra-Nahbereich


Bachelorarbeit, 2021

122 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Tabellenverzeichnis

MATLAB-Programmcodeverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

1 Einleitung
1.1 Motivation und Problemstellung
1.2 Zielsetzung und Forschungsfragen
1.3 Aufbau der Arbeit

2 Stand der Technik
2.1 Anwendungsfälle des autonomen Fahrens
2.2 Relevante Fahrszenarien
2.3 Sensorik zur Personendetektion

3 Grundlagen der Radarsensorik
3.1 Einordnung und Erläuterung des Grundkonzeptes
3.2 Physikalische Grundlagen
3.2.1 Elektromagnetische Wellen
3.2.2 Doppler-Effekt
3.3 Radargleichung
3.4 Frequenzmoduliertes Dauerstrichradar
3.4.1 Funktionsprinzip
3.4.2 Signaltheorie
3.4.3 Abstands- und Geschwindigkeitsmessung

4 Signalverarbeitung zur Personendetektion
4.1 Aufbau der Signalverarbeitung
4.2 Objekterkennung
4.2.1 I&Q-Verfahren
4.2.2 CFAR-Algorithmus
4.3 Vitalzeichenerkennung
4.3.1 Phasenanalyse
4.3.2 Bandpassfilterung
4.4 Personendetektion
4.5 Entwickelte MATLAB-Applikation

5 Versuchsdurchführung und Performancebewertung
5.1 Bewertungsmethode
5.2 Versuchsaufbau
5.2.1 TI Single-Chip FMCW Radarsensor
5.2.2 TI mmWave Studio Software
5.3 Systemvalidierung unter Laborbedingungen
5.3.1 Präzision der Abstandsmessung
5.3.2 Genauigkeit der Vitalzeichenmessung
5.3.3 Genauigkeit der Personendetektion
5.4 Feldexperimente zu relevanten Fahrszenarien
5.4.1 Fußgänger in Parklücke
5.4.2 Fußgänger im Fahrschlauch
5.4.3 Fußgänger von Fahrzeug verdeckt
5.5 Resultate der Performancebewertung
5.5.1 Zwischenfazit Forschungsfrage 1
5.5.2 Zwischenfazit Forschungsfrage 2
5.5.3 Zwischenfazit Forschungsfrage 3

6 Zusammenfassung und Ausblick

Literaturverzeichnis

Anhang
Anhang A: Zusammenfassung der Chirp- & Frame-Parameter
Anhang B: Gesamtansicht MATLAB-Applikation
Anhang C: Range-FFT - Freifeldmessung
Anhang D: Range-FFT - Personendetektion
Anhang E: Range-FFT - Fußgänger in Parklücke
Anhang F: Range-FFT - Fußgänger im Fahrschlauch
Anhang G: Range-FFT - Fußgänger von Fahrzeug verdeckt

Abstract

In der hier vorliegenden Bachelorarbeit wird eine alternative Methode der Perso­nendetektion im Kontext des automatisierten Fahrens untersucht. Dazu wird ein FMCW-Radar verwendet, um die Vitalzeichen einer sich im Ultra-Nahbereich be­findlichen Person zu erfassen. Die Fußgänger werden dabei zunächst als Objekte mit einer definierten Distanz zum Radar erkannt und nachfolgend mittels der im Rahmen dieser Arbeit entwickelten Signalverarbeitung als Person klassifiziert, sofern eine Atem- bzw. Herzfrequenz ermittelt werden konnte. Die Vitalzeichen können dabei mittels Analyse des komplexen Phasensignals extrahiert werden, was eine rein radarbasierte Personendetektion ermöglicht.

Zur Verifizierung des Versuchsaufbaus sowie der programmierten Anwendungssoft­ware, wurden mehrere Experimente unter Labor- und Realbedingungen durchgeführt. Dazu wurden unter anderem zuvor festgelegte Fahrszenarien aus diversen Anwen­dungsfällen des automatisierten Fahrens näher betrachtet.

Die Ergebnisse der Versuche ergaben eine zufriedenstellende Genauigkeit der radarbasierten Personendetektion mittels Vitalzeichenerkennung, welche somit eine zukünftige Methode für Teilfunktionen des automatisierten Fahrens darstellen könnte. Stichworte: Personendetektion, Vitalzeichenerkennung, Umfelderfassung, Radarsen­sorik, Automatisiertes Fahren

In this bachelor thesis, an alternative method of pedestrian detection for automated driving functions is investigated. For this purpose, an FMCW radar is used to detect the vital signs of a person located in close range. The pedestrians are first detected as objects with a defined distance to the radar and subsequently classified as a person using the signal processing developed in this thesis, provided that respiratory and heart rates could be determined. The vital signs can be extracted by analyzing the complex phase signal, which allows a purely radar-based pedestrian detection.

To verify the experimental setup and the programmed application software, several experiments were conducted under laboratory and real conditions. For this purpose, previously defined driving scenarios from various application cases of automated driving were examined more closely.

The results of the experiments showed a satisfactory accuracy of the radar-based pedestrian detection by means of vital sign recognition, which could thus represent a future method for partial functions of automated driving.

Keywords: Pedestrian Detection, Vital Sign Detection, Environment Detection, Radar Sensor Technology, Automated Driving

Abbildungsverzeichnis

2.1 SAE J3016 Level des autonomen Fahrens

2.2 Autobahnautomat mit Verfügbarkeitsfahrer - Autobahnpilot

2.3 Autonomes Valet-Parken

2.4 Vollautomat mit Verfügbarkeitsfahrer

2.5 Vehicle-on-Demand

2.6 Vorrangige Einsatzfelder der beschriebenen Anwendungsfälle

2.7 Fußgänger im Fahrschlauch

2.8 Fußgänger nah am Fahrschlauch

2.9 Fußgänger verdeckt nah am Fahrschlauch

2.10 Fußgänger im Seitenbereich bei Kurvenfahrt vorwärts

2.11 Fußgänger im Seitenbereich bei Kurvenfahrt rückwärts

2.12 Fußgänger unmittelbar vor dem Fahrzeug während Anfahrmanöver

2.13 Systemarchitektur des AVP-Systems der Robert Bosch GmbH

2.14 BMW Sensorsetup zur Umgebungserfassung

3.1 Das Radarprinzip eines monostatischen Primärradars

3.2 Linear polarisierte elektromagnetische Welle

3.3 Elektromagnetisches Spektrum

3.4 Beispiel für den akustischen Doppler-Effekt

3.5 Farbverschiebung des Lichtes

3.6 Anwendung eines Radargerätes in der Schifffahrt

3.7 Ungerichtete Leistungsdichte eines isotropen Kugelstrahlers

3.8 Blockschaltbild eines FMCW-Radars

3.9 Zeitverlauf der Sende- und Empfangsfrequenz eines FMCW-Signals

3.10 Range-FFT mit drei Zielobjekten

3.11 Range-Slow Time Matrix

3.12 Gegenüberstellung Range-Slow Time und Range-Doppler Matrix .

4.1 Vereinfachter Aufbau der digitalen Signalverarbeitung

4.2 Objekterkennungsabschnitt der digitalen Signalverarbeitung

4.3 Exemplarischer Aufbau eines Radar Data Cube

4.4 Gegenüberstellung IQ-Demodulation und einfache Real-Demodulation

4.5 Falschalarme und Entdeckungen bei einem statischen Schwellenwert

4.6 Beziehung zwischen den Zellen einer CA-CFAR-Detektion

4.7 Vitalzeichenerkennungsabschnitt der digitalen Signalverarbeitung

4.8 Personendetektionsabschnitt der digitalen Signalverarbeitung

4.9 Gesamtansicht der MATLAB-Applikation

4.10 Radar Window mit angezeigter Range-FFT

4.11 Vital Signs Window mit angezeigtem Phasensignal

4.12 Pedestrian Detection Window

5.1 KPI-Entscheidungsmatrix

5.2 Blockdiagramm des Versuchsaufbaus

5.3 Gesamtaufbau der Radareinheit

5.4 TI Entwicklungsboard mit AWR1843AOP

5.5 Funktionales Blockdiagramm des AWR1843AOP

5.6 Sendeeinheit eines einzelnen Kanals

5.7 Empfangseinheit eines einzelnen Kanals

5.8 Parameter der Chirp-Konfiguration

5.9 Parameter der Frame-Konfiguration

5.10 Radarreflektor in Form eines Tripelspiegels

5.11 Versuchsaufbau zur Bestimmung der Abstandsgenauigkeit

5.12 Mittlere Range-FFT pro Messung

5.13 Mittlere Range-FFT mit CFAR-Detektionen

5.14 Versuchsaufbau zur Genauigkeitsbestimmung der Vitalzeichenmessung

5.15 Mittlere Herzraten

5.16 Mittlere Atemraten

5.17 Versuchsaufbau zur Bewertung der Personendetektion

5.18 Prozentualer Anteil der Objektdetektionen pro Range-Bin

5.19 Gesamtleistung der Personendetektion

5.20 Versuchsaufbau Personendetektion Liegend

5.21 Versuchsaufbau - Fußgänger in Parklücke

5.22 Prozentualer Anteil der Objektdetektionen pro Range-Bin

5.23 Gesamtleistung der Personendetektion

5.24 Versuchsaufbau - Fußgänger im Fahrschlauch

5.25 Prozentualer Anteil der Objektdetektionen pro Range-Bin

5.26 Gesamtleistung der Personendetektion

5.27 Versuchsaufbau - Fußgänger von Fahrzeug verdeckt

5.28 Prozentualer Anteil der Objektdetektionen pro Range-Bin

5.29 Gesamtleistung der Personendetektion

5.30 Entdeckungsraten der Personendetektion

5.31 Falschalarmraten der Personendetektion

A.1 Gesamtansicht MATLAB-Applikation

A.2 Range-FFT - Freifeldmessung

A.3 Range-FFT - Personendetektion

A.4 Range-FFT - Fußgänger in Parklücke

A.5 Range-FFT - Fußgänger im Fahrschlauch

A.6 Range-FFT - Fußgänger von Fahrzeug verdeckt

Tabellenverzeichnis

3.1 Rückstreuflächen einfacher geometrischer Körper

5.1 Eigenschaften des AWR1843AOP Radarsensors

5.2 Verwendete Chirp-Parameter

5.3 Verwendete Frame- und A/D-Wandler-Parameter

5.4 Resultierende Radareigenschaften

5.5 Ergebnisse der Abstandsmessung

5.6 Ergebnisse der Vitalzeichenmessung

A.1 Zusammenfassung der Chirp- & Frame-Parameter

MATLAB­Programmcodeverzeichnis

4.1 Programmausschnitt zur CA-CFAR-Initialisierung

4.2 Programmausschnitt zur Gain Control

4.3 Programmausschnitt zum Phase Unwrapping

4.4 Programmausschnitt zur Signalentstörung

4.5 Programmausschnitt zum Bandpassfilter

Abkürzungsverzeichnis

ACC Adaptive Cruise Control

ADAS Advanced Driver Assistance Systems

ADC Analog-to-Digital Converter

AVP Autonomes Valet-Parken

BR Breathing Rate

CA-CFAR . . . Cell Averaging-CFAR

CFAR Constant False Alarm Rate

CW Continuous Wave

DSV Digitale Signalverarbeitung

FFT Fast Fourier Transform

FMCW Frequency-Modulated Continuous Wave

FOV Field of View

GPS Global Positioning System

GUI Graphical User Interface

HR Heart Rate

I&Q-Verfahren In-Phase-&-Quadrature-Verfahren

IF Intermediate Frequency

KPI Key Performance Indicator

LIDAR Light Detection and Ranging

LNA LowNoise Amplifier

LRR Long-Range Radar Sensor

LVDS LowVoltage Differential Signaling

MAE Mean Absolute Error

MRR Mid-Range Radar Sensor

RADAR Radio Detection and Ranging

RCS Radar Cross Section

SAE Society of Automotive Engineers

SRR Short-Range Radar Sensor

VCO Voltage-Controlled Oscillator

VRU Vulnerable Road User

VS Vital Signs

ZF Zwischenfrequenz

Kapitel 1

1. Einleitung

1.1 Motivation und Problemstellung

Nur wenige Themen der Automobilbranche werden in gesellschaftlichen Diskussionen so kontrovers behandelt wie das autonome Fahren, obgleich der weltweite Wettbewerb um die beste Technologie für automatisierte Fahrfunktionen bereits in vollem Gange ist. Die Potenziale für die Gesellschaft, die Sicherheit des Straßenverkehrs sowie für den Wirtschaftsstandort Deutschland, als weltweit viertgrößter Produzent von Personenkraftwagen, sind enorm 1. Durch das autonome Fahren ergibt sich für die Gesellschaft unter anderem die Chance, ihre älteren oder mobilitätseingeschränkten Mitbürger1 besser einzubinden und bspw. ländlichere Gegenden einfacher an das bestehende Verkehrsnetz anzubinden. Ebenso könnte jeder Einzelne an autonomen Fahrfunktionen, wie bspw. dem Autobahnpiloten1 2, profitieren und lange Fahrtzeiten produktiv oder zur Erholung nutzen.

Autonome Fahrfunktionen werden je nach Grad der Automatisierung in sechs ver­schiedene Level eingeteilt, welche in der Norm SAE J3016 von der Organisation SAE International definiert werden. Für die hier vorliegende Arbeit sind insbesondere die höheren SAE Automatisierungsgrade von Interesse, welche im allgemeinen Sprachge­brauch als autonome Fahrfunktionen bezeichnet werden. Zu den hoch automatisierten Anwendungsfällen ab Level 3 gehören bspw. der Staupilot3 oder fahrerlose und zu jeder Zeit verfügbare Taxis.

Trotz der vielen komplexen Herausforderungen, welche die Entwicklung des autono­men Fahrens mit sich bringt, sind die Prognosen vielversprechend und rechtfertigen Investitionen in diesem neuartigen Sektor. So werden für das Jahr 2030 in Euro­pa bereits mehr als 1,5 Billionen autonom gefahrene Kilometer und 27 Millionen Neuzulassungen autonomer Personenkraftwagen vorhergesagt 2, 3.

Mit einer der komplexesten Herausforderungen in der Sensorverarbeitung der sogenannten Advanced Driver Assistance Systems, kurz ADAS, ist die Detektion von Fußgängern im Straßenverkehr. Personen werden im Straßenverkehr den Vulnerable Road Users (VRUs) zugeordnet und gehören somit zu den gefährdeten Verkehrsteil­nehmern. Dies wird durch die vom statistischen Bundesamt veröffentlichten Zahlen nochmals verdeutlicht: Jedes Jahr verunglücken mindestens 30.000 Fußgänger bei Verkehrsunfällen in Deutschland 4.

Um die Akzeptanz der Bevölkerung gegenüber autonomer Fahrzeuge zu steigern und einen Beitrag zur Sicherheit im Straßenverkehr zu leisten, muss der Schutz menschlichen Lebens sichergestellt werden. Somit ist die zuverlässige und schnelle Erkennung von Fußgängern eine der wichtigsten Herausforderungen, welche es auf dem Weg zum autonomen Fahren zu meistern gilt.

Die sich daraus ergebenden zentralen Problemstellungen sind folgende: Wie können Personen im Straßenverkehr zuverlässig detektiert werden? Wie kann si­chergestellt werden, dass sich keine Fußgänger im Gefahrenbereich eines Fahrzeuges befinden, bevor dieses autonome Fahrmanöver einleitet? Existieren alternative De­tektionsverfahren, mit denen eine Erkennung von Personen auch unter erschwerten Witterungsverhältnissen möglich ist?

Diese Problemstellungen existieren auch bei der BMW Group, die es gilt im Rahmen der Arbeit genauer zu beleuchten und eine alternative Methode der Perso­nendetektion zu untersuchen. Im Gegensatz zu herkömmlichen Herangehensweisen soll in dieser Arbeit ein Radar verwendet werden, um im Ultra-Nahbereich erkannte Objekte mittels Vitalzeichenerkennung als Fußgänger zu klassifizieren. Die daraus abgeleiteten Vorteile, wie bspw. Unabhängigkeit von Licht- und Wettereinflüssen, werden neben der technischen Realisierung in den nachfolgenden Kapiteln dieser Arbeit erörtert.

1.2 Zielsetzung und Forschungsfragen

Diese Bachelorarbeit soll einen Beitrag zur Forschung im Bereich der radarbasierten Nahfeldsensorik im Kontext der Fußgängerdetektion für das automatisierte Fahren darstellen. Die Arbeit wird in Kooperation mit der BMW Group als Industrie­partner erstellt. Mit einem FMCW-Radar eines renommierten Industriepartners sollen im Ultra-Nahbereich erkannte Objekte als Fußgänger identifiziert werden, indem die Vitalzeichen der Person erkannt und ausgewertet werden. Als Vitalzeichen werden hierbei die Atmung und der Herzschlag verstanden, welche durch die aus der Herzmuskel- und Atmungsaktivität resultierende Brustbewegung erfasst werden können. Der Ultra-Nahbereich ist in dieser Arbeit als der 360°-Bereich mit einem Radius von 2 , 5 m um das Fahrzeug herum definiert.

Die allgemeine technische Realisierbarkeit der Vitalzeichenerkennung mittels Radar, wurde bereits in diversen Veröffentlichungen nachgewiesen 5, 6, 7. Der Anwendungsbereich begrenzte sich dabei jedoch auf Räumlichkeiten im medizinischem Umfeld. Durch die sich ständig verändernde Umgebung und die daraus resultierenden dynamischen Störeinflüsse, lässt sich somit eine erfolgreiche Vitalzeichenerkennung zur Personendetektion im Außenbereich von Fahrzeugen nicht aus den oben genannten Veröffentlichungen ableiten. Die Notwendigkeit der hier vorliegenden Arbeit beruht somit auf der Untersuchung der Realisierbarkeit der Vitalzeichenerkennung unter erheblichen Störeinflüssen, welche zahlreich in unterschiedlichsten Fahrszenarien auftreten. Wenn dies mit hinreichender Genauigkeit möglich ist, kann eine Nutzung zur Fußgängerdetektion für das automatisierte Fahren realisiert werden.

Um die nachfolgenden drei Forschungsfragen beantworten zu können, muss zu­nächst ein Versuchsaufbau inklusive Software entwickelt werden. Die gesamte höhere Signalverarbeitung wird mit Hilfe von MATLAB programmiert und in Form einer autarken Applikation zur Durchführung der Messversuche verwendet. Um die Ge­nauigkeit der Personendetektion zu bestimmen, soll auf in der Literatur bekannte Schlüsselindikatoren zurückgegriffen werden.

Forschungsfrage 1: Kann die radarbasierte Vitalzeichenerkennung unter Laborbedin­gungen zur Detektion von Personen verwendet werden?

Nachdem die für die weitere Untersuchung benötigte Software, bestehend aus digi­taler Signalverarbeitung und Radarinterface, programmiert wurde, soll diese samt dazugehöriger Hardware unter Laborbedingungen getestet werden. Um die Ergebnisse der Personendetektion sowie die Messung der Vitalzeichen zu verifizieren, soll der Versuchsaufbau in einer statischen Versuchsumgebung mit geringen Störeinflüssen aufgebaut und erprobt werden. Dazu soll zunächst die korrekte Abstandmessung mittels Radarreflektoren sichergestellt werden. Des Weiteren gilt es die korrekte Vitalzeichenmessung zu belegen, indem die Messresultate mit denen eines Referenz­gerätes aus der Medizintechnik abgeglichen werden. Die allgemeine Robustheit und Genauigkeit der Personendetektion soll mit bekannten Schlüsselindikatoren bewertet werden.

Forschungsfrage 2: Kann die radarbasierte Vitalzeichenerkennung unter Realbedin­gungen zur Detektion von Personen verwendet werden?

In der zweiten Forschungsfrage wird Bezug zu den Anwendungsfällen und Fahrsze­narien des automatisierten Fahrens genommen. Zusätzlich zu den Ergebnissen aus dem Laborversuch gilt es ein Feldexperiment durchzuführen, um die Anwendung im realen Fahreinsatz zu untersuchen. Dazu soll die Genauigkeit der Detektion einer stehenden Person mittels der bekannten Schlüsselindikatoren ermittelt werden. Die Fahrszenarien beschränken sich dabei auf stehende Fahrzeuge.

Forschungsfrage 3: Für welche Fahrszenarien und Anwendungsfäl le des automati­sierten Fahrens wäre die hier untersuchte Methode zur Personendetektion anwendbar?

Nachdem die Genauigkeit der Personendetektion unter Laborbedingungen sowie im Feldexperiment ermittelt wurde, soll die Anwendbarkeit für den Realeinsatz bewertet werden. Dazu sollen die untersuchten Schlüsselindikatoren und Ergebnisse der durchgeführten Versuche ausgewertet werden, um eine Aussage zu möglichen Einsätzen in den zuvor definierten Fahrszenarien, bzw. Anwendungsfällen zu treffen.

1.3 Aufbau der Arbeit

Nachdem im ersten Kapitel auf die Problemstellung und Ziele der Bachelorarbeit sowie die zu bearbeitenden Forschungsfragen eingegangen wurde, folgen im zweiten Kapitel die Definitionen der Anwendungsfälle und Fahrszenarien des automatisierten Fahrens sowie ein Überblick der derzeitig verwendeten Konzepte und Sensoren zur Personendetektion. Im dritten Kapitel werden die Grundlagen der Radarsensorik erörtert, um dem Leser das benötigte Grundverständnis für die nachfolgende Signal­verarbeitung zur Personendetektion im vierten Kapitel zu vermitteln. Das Spektrum rund um die physikalischen Grundlagen, die Signaltheorie sowie die Funktionsweise des im Versuch verwendeten Radartyps werden dabei abgedeckt.

Das nachfolgende Kapitel Vier beschreibt die Entwicklung der für die Mess­versuche benötigten Applikation mit einem tiefen Einblick in die Prozesse der an­gewendeten Signalverarbeitungsschritte. Im fünften Kapitel werden die Versuche zur Personendetektion durchgeführt und ausgewertet. Dabei werden die bekannten Schlüsselindikatoren unter Laborbedingungen sowie im Feldexperiment berücksich­tigt. Die Ergebnisse werden im sechsten Kapitel zusammenfassend betrachtet, um abschließend eine Aussage über die Anwendbarkeit der untersuchten Methode zur Personendetektion zu tätigen.

Kapitel 2

2. Stand der Technik

In diesem Kapitel wird zunächst ein Auszug der geläufigen Anwendungsfälle des autonomen Fahrens vorgestellt, um darauf aufbauend eine Reihe ausgewählter und für diese Arbeit relevante Fahrszenarien zu erörtern. Des Weiteren wird der derzeitige Stand der Technik in Hinblick auf die Sensorik zur Personendetektion untersucht, um dem Leser einen Überblick über die existierenden Verfahren zu ermöglichen.

2.1 Anwendungsfälle des autonomen Fahrens

Wie bereits in Kapitel 1.1 erwähnt, werden autonome Fahrfunktionen den sechs Automatisierungsgraden der SAE J3016 Norm zugeordnet. Innerhalb dieser Rahmen­definitionen der einzelnen SAE Level existiert eine Vielfalt an Einsatzmöglichkeiten und Ausprägungen des autonomen Fahrens. Um diese Mannigfaltigkeit der An­wendungsfälle und Möglichkeiten zu beherrschen, werden sogenannte Stellvertreter definiert. Diese Stellvertreter bilden die Variationsbreite der Unterscheidungsmerk­male ab, welche im Folgenden aufgeführt werden [8, S. 10]. Unter „Anwendungsfälle“ werden typische Einsatzszenarien des autonomen Fahrens verstanden. Häufig wird in der Praxis und Literatur der Begriff Use-Case verwendet, um die Variationsvielfalt von möglichen Ausprägungen des autonomen Fahrens zusammenzufassen.

Im Folgenden werden vier Anwendungsfälle vorgestellt und zusätzlich durch Unterscheidungsmerkmale beschrieben, um bei dem Leser ein Verständnis für das autonome Fahren zu schaffen. Die vier vorgestellten und nach Maurer 8 definierten Anwendungsfälle lauten:

- Autobahnautomat mit Verfügbarkeitsfahrer - Autobahnpilot
- Autonomes Valet-Parken
- Vollautomat mit Verfügbarkeitsfahrer
- Vehicle-on-Demand

Jeder dieser vier Anwendungsfälle wird dem SAE Level 4 zugeordnet. Es handelt sich hierbei demnach um hochautomatisierte Fahrfunktionen, bei denen ein Eingreifen des Passagiers nicht notwendig ist. In einer ersten Entwicklungsphase ist jedoch eine vorläufige Level 3 Einordnung des Autobahnpiloten denkbar. So kann dieser bspw. bei Annäherung an eine Baustelle die Übergabe der Fahrzeugsteuerung an den Fahrer anfordern.

Insbesondere bei dem Autobahnpiloten und Autonomen Valet-Parken wird die Entwicklung seitens BMW vorangetrieben. Durch die abgrenzbare Umgebung sind diese beiden hochautomatisierten Fahrfunktionen als Einstiegsvarianten des auto­nomen Fahrens denkbar und rechtfertigen somit die hohen Investitionen diverser Hersteller der Automobilbranche 9.

Zur Veranschaulichung der einzelnen SAE Level und entsprechender Zuordnung der vorgestellten Anwendungsfälle, dient die nachfolgende Abbildung 2.1.

Abbildung aus urheberrechtlichen Gründen vom Redaktionsteam entfernt

Abbildung 2.1: SAE J3016 Level des autonomen Fahrens der Organisation SAE International 10.

Autobahnautomat mit Verfügbarkeitsfahrer — Autobahnpilot

Beim Autobahnpilot (Abbildung 2.2) übernimmt der Fahrroboter ausschließlich auf Autobahnen oder autobahnähnlichen Schnellstraßen die Fahraufgabe. Während der autonomen Fahrt wird der Fahrer zum Passagier und kann anderen Tätigkeiten nachgehen. Dabei gilt es je nach angestrebten SAE Level zu unterscheiden, ob der Fahrer innerhalb einer zuvor definierten Zeitspanne die Kontrolle über das Fahrzeug wieder übernehmen muss oder ob der Fahrroboter sämtliche Fahrszenarien ohne menschliche Interaktion absolvieren kann. In beiden Fällen wird dem Fahrer ab Autobahnbeginn die Möglichkeit geboten, den Fahrroboter zu aktivieren und sich bspw. bis zur Autobahnausfahrt an einer vom Fahrer festgelegten Zieladresse chauffieren zu lassen [8, S. 12]. Sämtliche Regelungs- und Bahnführungsaufgaben sowie die Navigation werden während des autonomen Fahrbetriebs vom Fahrroboter übernommen. Bei Auftreten eines nicht autonom zu bewältigenden Szenarios oder beim Verlassen der Autobahn, koordiniert der Fahrroboter die sichere Übergabe der Fahrzeugsteuerung zurück an den Passagier. Sollte dieser aus diversen Gründen nicht in der Lage sein die Kontrolle zu übernehmen, startet der Fahrroboter ein Nothalte-Manöver, um das Fahrzeug in einen risikominimalen Zustand auf dem Seitenstreifen oder außerhalb der Autobahn zu überführen [8, S. 13].

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2.2: Autobahnautomat mit Verfügbarkeitsfahrer - Autobahnpilot. Die gelbe Fahrspur symbolisiert die autonom, die blaue die manuell gefahrene Strecke 8.

Eine Einschränkung der Szenerie, wie es beim Autobahnpiloten der Fall ist, stellt eine signifikante Vereinfachung in der Entwicklung des Fahrroboters dar. So führt bspw. das Fehlen von Lichtsignalanlagen sowie die geringere Anzahl von dynamischen Objekten und VRUs zu einer Simplifikation, die aus diesem Anwendungsfall ein Einstiegsszenario machen könnte.

Für dieses Jahr plant Audi bereits die Einführung eines Autobahnpilotensys­tems auf SAE Level 3, welches auf Autobahnen mit fester Geschwindigkeitsbe­grenzung und ohne Baustellen einsetzbar sein soll. Auch die Robert Bosch GmbH kommunizierte bereits Vorhaben zur Realisierung von bedingt automatisierten Auto­bahnpiloten [11, S. 79]. Das Fahrzeug soll dabei in der Lage sein Fahrspurwechsel durchzuführen und andere Autos zu überholen. Dies ist bereits jetzt mit dem Tesla Autopilot möglich, jedoch nur unter konstanter Überwachung und Eingreifbereitschaft durch den Fahrer 12. Wodurch hier lediglich eine Klassifizierung als SAE Level 2 erfolgen kann, anders als der werbeträchtige Name „Autopilot“ es vermuten lässt. Um das SAE Level 3 zu erreichen, plant Audi die Einführung eines Systems zur Fahrerverfügbarkeitserkennung, welche bestätigt, dass der Fahrer aktiv und zum Eingreifen innerhalb einer definierten Zeitspanne bereit ist. Falls dies nicht der Fall ist, soll dem Anwendungsfall entsprechend ein Nothalte-Manöver durchgeführt wer­den. Aufgrund der hohen Einsatzgeschwindigkeit stellt jedoch die Realisierung eines Nothalte-Manövers zur Erreichung eines risikominimalen Zustandes eine erhebliche Herausforderung dar.

Der Anwendungsfall des Autobahnpiloten ist angesichts der hohen Geschwindig­keiten und der daraus resultierenden Bremswegverlängerung nicht für die Feldex­perimente dieser Arbeit praktikabel und dient an dieser Stelle lediglich dem Überblick.

Autonomes Valet-Parken

Beim Autonomen Valet-Parken, kurz AVP, stellt der Fahrroboter das Fahrzeug nach Verlassen der Passagiere und dem Ausladen von Transportgut auf den nächstmög­lichen Parkplatz ab (Abbildung 2.3). Dabei kann die autonom gefahrene Strecke sich innerhalb eines statischen Parkareals aber auch im öffentlichen Straßenverkehr befinden. Eine Simplifikation stellt auch hier die vorläufige Beschränkung auf fest definierte Parkzonen dar. So ist bspw. ein Parkhaus mit seiner begrenzten Anzahl an weiteren Verkehrsteilnehmern, den ausschließlich niedrigen Fahrgeschwindigkeiten sowie den kontrollierbaren Licht- und Wetterverhältnissen ein signifikant vereinfachte Umgebung, die es vom Fahrroboter zu bewältigen gilt. Zur Minimierung der An­zahl der beteiligten VRUs und den somit weiter reduzierten Anforderungen an den Fahrroboter, wären auch ausschließlich für das Autonome Valet-Parken freigegeben Parkareale, bspw. in Kooperation mit Carsharing-Anbietern, denkbar [8, S. 15].

Dank der automatisierten Parkplatzsuche, dem selbstständigen Abstellen des Fahrzeuges sowie der wegfallenden Distanz zwischen Stellplatz und Zielort, kann sich der Fahrer an einer deutlichen Zeitersparnis erfreuen. Zusätzlich ermöglicht das Autonome Valet-Parken eine effizientere Gestaltung von Parkarealen und kann diese den Fahrgästen komfortabler zur Verfügung stellen. Nach erreichen des Fahrtziels stoppt der Fahrer das Fahrzeug und verlässt dieses samt persönlicher Gegenstände. Den Befehl zum Parken erhält der Fahrroboter daraufhin per App und sucht sich im ausgewiesenen Parkareal einen sicheren Stellplatz. Ein nachträgliches Umparken zur Effizienzsteigerung durch ein System zur Parkplatzverwaltung ist denkbar. Wird das Fahrzeug wieder benötigt, so wird dieses nach Aufforderung durch einen autorisierten Nutzer vom Fahrroboter an die Abholposition, sogenannte Pick-up Areas, gefahren [13, S. 61].

In einer von AutoScout24 durchgeführten Erhebung befürworteten knapp zwei Drittel der Umfrageteilnehmer die Funktionen des Autonomen Valet-Parken und gaben an, diese in Zukunft gerne Nutzen zu wollen, um auf eine eigenständige Park­platzsuche komplett verzichten zu können. Insbesondere bei Bewohnern von urbanen Gebieten mit geringer Anzahl privater Stellplätze ist der Anteil der Befürworter erwartungsgemäß größer 14.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2.3: Autonomes Valet-Parken. Die gelbe Fahrspur symbolisiert die autonom, die blaue die manuell gefahrene Strecke 8.

Eine erste Umsetzung des AVP-Konzepts in einer Pilotanwendung wurde im Jahr 2017 von der Robert Bosch GmbH in Kooperation mit der Daimler AG erbracht. Im Parkhaus des Stuttgarter Mercedes-Benz-Museums wurde in dem gemeinsamen Entwicklungsprojekt ein im Realbetrieb funktionsfähiges System für fahrerloses Parken realisiert und der Öffentlichkeit vorgestellt. Dank enger Zusammenarbeit mit dem TÜV Rheinland und dem Regierungspräsidium Stuttgart konnten die beiden Hersteller bereits einen weiteren Meilenstein auf dem Weg zur Industriali­sierung des entwickelten Systems für sich verzeichnen. So wurde im Sommer 2019 dem AVP-System die Zulassung als weltweit erste vollautomatisierte und fahrerlose Parkfunktion für den Alltagsbetrieb gemäß SAE Level 4 erteilt 15.

Ein Einsatz des von den Unternehmen Bosch und Daimler entwickelten Systems außerhalb des Parkhauses ist jedoch nicht möglich, da der Großteil der Umfelderfas­sung und Steuerung des Fahrzeuges die im Parkhaus verbaute Infrastruktur erfordert. Somit lässt sich über die Zulassung als hochautomatisiertes System auf SAE Level 4 streiten, welches definitionsgemäß eine Automatisierung eines straßengebundenen Kraftfahrzeuges, unabhängig von der gegenwärtigen Infrastruktur, erfordert.

Für die hier vorliegende Arbeit stellt das Autonomen Valet-Parken einen inter­essanten Anwendungsfall dar. Die Mehrzahl der zum AVP gehörigen Fahrszenarien, welche im nachfolgenden Kapitel erörtert werden, erfolgen mit geringer Geschwindig­keit oder im Stillstand des Fahrzeuges. Somit lässt sich eine praktikable Untersuchung im späteren Feldexperiment durchführen.

Vollautomat mit Verfügbarkeitsfahrer

Beim Vollautomat mit Verfügbarkeitsfahrer besitzt der Fahrer die Möglichkeit, die Steuerung an den Fahrroboter zu übergeben. In dafür freigegeben Bereichen über­nimmt der Fahrroboter sämtliche Regelungs- und Bahnführungsaufgaben sowie die Navigation zum vorher festgelegten Zielort. Gemäß der SAE Level 4 Definition wird der Fahrer in diesem Zeitraum zum Passagier und kann somit einer anderen Tätigkeit nachgehen, bis der für den Fahrroboter freigegebene Bereich verlassen wird. An diesem Punkt wird eine koordinierte Steuerungsübergabe an den Fahrer veranlasst.

Eine Abstufung auf SAE Level 3 zur Risikominimierung ist in einem ersten Entwicklungsstadium denkbar. Somit wäre eine Steuerungs- und Verantwortungs­übergabe an den Fahrer möglich, wenn Bereiche mit einem erhöhten Aufkommen an VRUs bevorstehen, wie es bspw. bei Fußgängerüberwegen der Fall ist (Abbildung 2.4). Auch eine vorläufige Beschränkung der für den Vollautomaten mit Verfügbarkeits­fahrer freigegebenen Bereiche wäre naheliegend. So könnten stark frequentierte oder sich durch zahlreiche Baumaßnahmen veränderliche Stadtbereiche von den freigege­benen Bereichen ausgenommen werden, um die Komplexitätsanforderungen an den Fahrroboter zu reduzieren. Bei einer späteren Vollautomatisierung auf SAE Level 5 wäre der Fahrroboter in der Lage sämtliche Bereiche im öffentlichen Straßenverkehr selbstständig zu befahren. Der Vollautomat mit Verfügbarkeitsfahrer wird dann zum Vollautomat und ist somit nicht mehr auf freigegebene Bereiche oder den Fahrer angewiesen.

Nach Maurer [8, S. 17] dürfte der Anwendungsfall des Vollautomaten mit Verfüg­barkeitsfahrer den heutigen Vorstellungen des autonomen Fahrens am nächsten kommen, da dieser stark mit der heutigen Kraftfahrzeug-Nutzung übereinstimmt. Trotz der nahezu vollständig an den Fahrroboter delegierten Fahraufgabe, begleitet der Hauptnutzer und Fahrzeugführer die Fahrt weiterhin.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2.4: Vollautomat mit Verfügbarkeitsfahrer. Die gelbe Fahrspur symboli­siert die autonom, die blaue die manuell gefahrene Strecke 8.

Bisher beschränken sich die Anstrengungen der Hersteller weniger auf die Entwicklung von Vollautomaten für private Anwender. Der Fokus liegt in dieser Kategorie deutlich beim Vehicle-on-Demand, welches im folgenden Abschnitt vorgestellt wird. Die Fahrzeughersteller verstehen sich vermehrt als Mobilitätsanbieter und konzentrieren sich auf automatisierte Carsharing bzw. Ridesharing Angebote [13, S. 62].

Der Vollautomat mit Verfügbarkeitsfahrer stellt für diese Arbeit einen begrenzt relevanten Anwendungsfall dar. So sind die Fahrszenarien, in denen das Fahrzeug Anfahren oder in Schrittgeschwindigkeit agieren muss für die Feldexperimente dieser Arbeit praktikabel und werden in die spätere Bewertung mit einbezogen.

Vehicle-on-Demand

Beim Vehicle-on-Demand (Abbildung 2.5) bewegt der Fahrroboter das Fahrzeug autonom in allen Szenerien mit Insassen, Fördergut oder aber auch komplett ohne Ladung bzw. Passagiere. Ein Eingreifen der Passagiere in die Fahraufgabe ist nicht möglich. Lediglich die Bestimmung des Fahrtziels sowie die Möglichkeit zur Aktivie­rung eines Nothalte-Manövers liegt bei den Fahrgästen. Die Fahrgäste können die Fahrzeit somit komplett frei gestalten und müssen der Bewältigung der Fahraufgabe keine Aufmerksamkeit widmen. Bei einer Einstufung auf SAE Level 4 operiert der Fahrroboter lediglich in freigegebene Bereichen, wie urbanen Regionen oder Vororten. Eine Anhebung auf das SAE Level 5 wäre in Zukunft denkbar und würde eine unbegrenzte Nutzung des Vehicle-on-Demands erlauben.

Ähnlich wie bei bereits bekannten Ridesharing-Modellen des Mobilitätsdienst­leisters Uber sollen die Passagiere zukünftig die autonomen Taxis per App bestellen können. Das Fahrtziel wird ebenfalls mittels App an den Fahrroboter übermittelt, welcher daraufhin die Route berechnet und mit der Fahraufgabe beginnt. Eine Zusam­menführung von Personen mit gleichen Zielregionen ist naheliegend und wird bereits jetzt im manuellen Fahrbetrieb durchgeführt. Somit werden die Grenzen zwischen den diversen Konzepten des Vehicle-on-Demands und dem öffentlichen Nahverkehr der Zukunft zunehmend fließender. Zur optimalen Systemauslastung sind Kurier und Lieferaufträge, bspw. auf dem Weg zum nächsten Fahrgast, möglich und bereits Teil der Entwicklung von automatisierten Fahrsystemen 16.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2.5: Vehicle-on-Demand. Die gelbe Fahrspur symbolisiert die autonom gefahrene Strecke, die rote Fläche den nicht freigegebenen Bereich 8.

Das im Dezember 2016 von der Firma Alphabet gegründete Tochterunternehmen Waymo setzt die Entwicklungsarbeiten des ehemaligen Projekts Google Driverless Car fort und erlangte durch vielversprechende Fortschritte mediale Aufmerksamkeit. Uber stellt einen weiteren amerikanischen Mobilitätsdienstleister dar, welcher ebenfalls hohen Entwicklungsaufwand in das Konzept des Vehicle-on-Demands investiert. Beide Unternehmen verfolgen das Ziel autonome Serviceleistungen, wie bspw. führerlose Taxis, bereitzustellen 17. In der neusten Generation von hochautomatisierten Fahr­zeugen der Firma Waymo sind Fahrer zur Überwachung der Fahrzeugsicherheit nicht mehr notwendig. Seit Herbst 2017 werden so zahlreiche Testfahrten in einem dünn besiedelten Vorort von Phoenix durchgeführt, wodurch die Komplexität des Verkehrs­geschehens eher geringe Anforderungen an den Fahrroboter stellt 18. Auch Uber führt seit 2019 automatisierte Fahrten in Washington DC sowie in Toronto durch, um sich rechtzeitig im Zukunftsmarkt der Mobilitätsdienstleister zu positionieren 19.

Ähnlich wie beim bereits vorgestelltem Vollautomaten mit Verfügbarkeitsfahrer stellt der Anwendungsfall des Vehicle-on-Demands einen nur begrenzt relevanten Use-Case für die hier vorliegende Arbeit dar. Dennoch sind auch hier die Fahrszena­rien mit geringer Geschwindigkeit sowie Anfahrmanöver aus Parkpositionen für die nachfolgenden Feldexperimente von Interesse und werden deshalb genauer untersucht.

Die hier beschriebenen hochautomatisierten Fahrsysteme auf SAE Level 4 sind, wie zuvor erläutert, auf freigegebene Bereiche im öffentlichen Straßenverkehr begrenzt. Dabei ist zu beachten, dass eine erhöhte Einsatzgeschwindigkeit nicht unbedingt in einer ebenfalls erhöhten Komplexität der Fahrsituation resultiert. Zur nachträglichen Einordnung der möglichen Einsatzfelder der vorgestellten Anwendungsfälle soll die Abbildung 2.6 dienen.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2.6: Vorrangige Einsatzfelder der beschriebenen Anwendungsfälle [13, S. 64].

2.2 Relevante Fahrszenarien

Die im vorherigen Kapitel vorgestellten Anwendungsfälle enthalten eine Mannigfaltig­keit an möglichen Fahrszenarien. Als Relevantes Fahrszenario wird in dieser Arbeit eine Verkehrssituation bezeichnet, deren charakteristische Merkmale eine grundsätz­liche Anwendung im Feldexperiment erlauben. Durch die begrenzten Möglichkeiten werden somit Fahrszenarios mit hoher Geschwindigkeit und erhöhten Sicherheitsan­forderungen an die Versuchsdurchführung nicht hinzugezogen. Im Folgenden werden sechs ausgewählte Fahrszenarien vorgestellt, welche eine sichere und insbesondere für die BMW-interne Entwicklung des Autonomes Valet-Parken relevante Durchführung von Feldexperimenten erlauben. Im Rahmen dieser Arbeit werden jedoch lediglich Versuche mit stehenden Fahrzeugen durchgeführt, wie dem dazugehörigen Kapitel 5.4 zu entnehmen ist.

Nach Ulbrich 20 charakterisiert ein Szenario die zeitliche Entwicklung von Szenenelementen innerhalb einer Folge von Szenen. Eine Szene beschreibt dabei die Momentaufnahme eines Umfelds, welche die Szenerie, dynamische Elemente, die Selbstrepräsentation aller Akteure und Beobachter wie auch die Verknüpfung dieser Entitäten umfasst. Außerhalb von Simulationen ist eine Szene immer unvollständig, fehlerbehaftet, unsicherheitsbehaftet und aus der Perspektive eines oder mehrerer Beobachter. Im Gegensatz zu Szenen decken Szenarien eine gewisse Zeitspanne ab.

Um ein Fahrszenario vollständig zu beschreiben, müsste jedes mögliche Detail definiert werden. Da einige Eigenschaften eines Szenarios für die hier vorliegende Arbeit nicht relevant sind, werden die nachfolgenden Fahrszenarien ohne Berücksich­tigung weiter Umwelteinflüsse und als objektive Beschreibung der Situation erörtert. Die Fahrszenarien bestehen in dieser Arbeit grundlegend aus dem Ego-Fahrzeug und einem Fußgänger als weiterer Verkehrsteilnehmer in Form eines VRUs. Das Ego-Fahrzeug wird durch das durchzuführende Fahrmanöver sowie durch den Bewe­gungszustand des Fahrzeuges beschrieben. Die Umwelt der auftretenden Situation ist dabei lediglich von zweitrangiger Relevanz, da der Fokus hier auf der Personende­tektion liegt. Einzig bei Fahrszenarien mit durch Objekten verdeckten Fußgängern, wird die Umwelt der Situation genauer definiert.

Die folgenden sechs Fahrszenarien sind für die hier vorliegende Arbeit relevant:

- Fußgänger im Fahrschlauch
- Fußgänger nah am Fahrschlauch
- Fußgänger verdeckt nah am Fahrschlauch
- Fußgänger im Seitenbereich bei Kurvenfahrt vorwärts
- Fußgänger im Seitenbereich bei Kurvenfahrt rückwärts
- Fußgänger unmittelbar vor dem Fahrzeug während Anfahrmanöver

Fußgänger im Fahrschlauch

Bei dem in Abbildung 2.7 dargestellten Fahrszenario durchschreitet ein Fußgänger den Fahrschlauch des Ego-Fahrzeuges. Die Person befindet sich dabei im Ultra-Nahbereich des autonomen Fahrzeuges und muss somit durch das Sensorsetup erkannt werden, um mit einem Sicherheitsabstand stehen bleiben zu können. Die Erkennung muss unabhängig von der Steigung der Fahrbahn möglich sein, um auch steile Fahrrampen in Parkhäusern sicher befahren zu können.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2.7: Fußgänger im Fahrschlauch. Die blaue Fläche symbolisiert den Ultra-Nahbereich, die graue eine Parkhauswand [eigene Darstellung].

In diesem Fahrszenario kann von einer stehenden, bzw. aufrecht gehenden Person ausgegangen werden. Es kann sich hierbei um einen Erwachsenen, aber auch um kleinere Kinder handeln. Dies darf jedoch die Güte der Fußgängererkennung nicht beeinflussen.

Fußgänger nah am Fahrschlauch

Bei dem hier dargestellten Fahrszenario (Abbildung 2.8) bewegt sich ein Fußgänger in unmittelbarer Nähe zum Fahrschlauch des Ego-Fahrzeuges. Die Person befindet sich dabei bereits im Gefährdungsbereich. Eine sichere Erkennung des Fußgängers ist hier ebenfalls von hoher Bedeutung, um einen spontanen Richtungswechsel der Laufrichtung schnell zu erfassen. Die Fahrgeschwindigkeit des Ego-Fahrzeuges muss an die dargestellte Situation angepasst und somit reduziert werden. Bei zu geringem Sicherheitsabstand muss das Fahrzeug sicher zum Stillstand gebracht werden, um eine Gefährdung des Fußgängers zu verhindern.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2.8: Fußgänger nah am Fahrschlauch. Die blaue Fläche symbolisiert den Ultra-Nahbereich, die graue eine Parkhauswand [eigene Darstellung].

In diesem Fahrszenario kann ebenfalls von einer stehenden, bzw. aufrecht gehenden Person ausgegangen werden. Eine sichere Erkennung, unabhängig von der Körper­größe, muss auch hier sichergestellt werden.

Fußgänger verdeckt nah am Fahrschlauch

Das hier in Abbildung 2.9 dargestellte Fahrszenario ähnelt dem Vorherigen. Ein Fußgänger befindet sich hier ebenfalls in unmittelbarer Nähe zum Fahrschlauch des Ego-Fahrzeuges. Die erhöhte Komplexität besteht in diesem Szenario aus der verdeckten Sicht auf die Person, was eine Erkennung durch die Sensorsetups des autonomen Fahrzeuges erschwert. Der Fußgänger befindet sich zwischen zwei parken­den Personenkraftwagen und droht mit weiterem Voranschreiten der Gehbewegung in den Fahrschlauch des Ego-Fahrzeuges zu geraten. Die Person befindet sich somit im unmittelbaren Gefahrenbereich, was eine schnelle Detektion erfordert, um noch rechtzeitig ein Notbrems-Manöver einleiten zu können.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2.9: Fußgänger verdeckt nah am Fahrschlauch. Die blaue Fläche symbo­lisiert den Ultra-Nahbereich, die graue eine Parkhauswand [eigene Darstellung].

Eine Gefährdung besteht hier lediglich bei sich auf das Ego-Fahrzeug zu bewegen­den Personen. Somit kann in diesem Szenario von einer aufrecht gehenden Person ausgegangen werden, welche sich in Richtung des autonomen Fahrzeuges bewegt.

Fußgänger im Seitenbereich bei Kurvenfahrt vorwärts

Bei dem in Abbildung 2.10 dargestellten Fahrszenario befindet sich eine Person im Seitenbereich des Ego-Fahrzeuges. Das autonome Fahrzeug bewegt sich hier in einer Kurvenfahrt um ein Hindernis herum, um sich in eine neue Fahrbahn einzuordnen. Der Fußgänger ist dabei solange durch das Hindernis verdeckt, bis sich das Fahrzeug auf Sichthöhe der Person befindet. Bei Fortsetzung der Kurvenfahrt muss sichergestellt werden, dass die Person nicht durch die schwenkende Front zwischen Fahrzeug und Hindernis eingeklemmt wird. Eine sichere Fußgängerdetektion im Seitenbereich des Ego-Fahrzeuges ist somit unabdingbar.

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Abbildung 2.10: Fußgänger im Seitenbereich bei Kurvenfahrt vorwärts. Die blaue Fläche symbolisiert den Ultra-Nahbereich [eigene Darstellung].

Die Person befindet sich in diesem sicherheitstechnisch kritischen Fahrszenario zu jeder Zeit im Gefahrenbereich des autonomen Fahrzeuges. Eine Detektion der Person muss in unterschiedlichen Bewegungszuständen des Fußgängers robust erfolgen. Somit muss unter anderem mit gehenden, stehenden, liegenden aber auch sitzenden Personen gerechnet werden. Auch hier darf die Körpergröße der gefährdeten Person keine negative Beeinflussung der Detektion verursachen.

Fußgänger im Seitenbereich bei Kurvenfahrt rückwärts

Das in Abbildung 2.11 dargestellte Fahrszenario beinhaltet ebenfalls eine Kurven­fahrt des Ego-Fahrzeuges. Im Gegensatz zum vorherigen Szenario wird hier eine Fahrt mit umgekehrter Fahrtrichtung durchgeführt. Der Fußgänger befindet sich seitlich hinter dem autonomen Fahrzeug im unmittelbaren Gefahrenbereich. Eine zusätzliche Gefährdung besteht im diesem Szenario durch das rückwärtsfahrende Ego-Fahrzeug. Bei einer rückwärts durchgeführten Kurvenfahrt liegt der Mittelpunkt der Kreisbewegung auf Höhe der Hinterachse, was die Gefahr eines Einklemmens der Person zwischen Fahrzeug und Hindernis erhöht. Es muss somit eine rechtzeitige Detektion des Fußgängers im Seitenbereich des autonomen Fahrzeuges sichergestellt werden.

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Abbildung 2.11: Fußgänger im Seitenbereich bei Kurvenfahrt rückwärts. Die blaue Fläche symbolisiert den Ultra-Nahbereich [eigene Darstellung].

Auch hier befindet sich die Person durchgehend im Gefahrenbereich des Ego-Fahrzeuges. Der Fußgänger muss unabhängig vom derzeitigen Bewegungszustand erkannt werden.

Fußgänger unmittelbar vor dem Fahrzeug während Anfahrmanöver

Bei dem in Abbildung 2.12 dargestellten Fahrszenario handelt es sich um das Haupt­szenario der im nachfolgenden Feldexperiment durchgeführten Versuche. Das Ego­Fahrzeug befindet sich hier im Stillstand und wird, bspw. im Rahmen des Autonomen Valet-Parken, aufgefordert die Parkposition zu verlassen. Ein Fußgänger befindet sich dabei im direkten Gefahrenbereich des autonomen Fahrzeuges. Es muss sichergestellt werden, dass die sich unmittelbar vor dem Fahrzeug befindliche Person sicher vom Sensorsetup des Ego-Fahrzeuges erkannt wird, bevor ein Wiederanfahr-Manöver eingeleitet wird. Dieses Fahrszenario beschränkt sich dabei nicht nur auf Parkanwen­dungen, sondern kann auch in alltäglichen Situation gefunden werden, in denen ein Wiederanfahren notwendig ist.

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Abbildung 2.12: Fußgänger unmittelbar vor dem Fahrzeug während Anfahrmanöver. Die blaue Fläche symbolisiert den Ultra-Nahbereich [eigene Darstellung].

In diesem Fahrszenario besteht eine erhöhte Komplexität durch die zahlreich mögli­chen Bewegungszustände und Positionen der gefährdeten Person. Neben bspw. vor dem Fahrzeug sitzenden Personen, kann es sich auch um abgestellte Kindersitze handeln, was die Notwendigkeit einer robusten Detektion nochmals verdeutlicht. Eine weitere Gefahr besteht zudem durch sich ganz oder teilweise unter dem Fahrzeug befindliche Personen. Hier wäre demnach auch eine Personendetektion notwendig, um Lebewesen vor dem Reifen des Ego-Fahrzeuges zu detektieren.

2.3 Sensorik zur Personendetektion

Bei der Sensorik zu Personendetektion kann grundlegend zwischen fahrzeug- und infrastrukturgestützten Lösungen unterschieden werden. Letztere kommt bei der bereits erwähnten Entwicklungskooperation zwischen der Daimler AG und Robert Bosch GmbH zum Einsatz. Zur Realisierung des Autonomen Valet-Parkens, setzen die Ingenieure auf eine intelligente Infrastruktur im Parkhaus des Mercedes-Benz­Museums. Dabei überwachen die installierten Sensoren den Fahrkorridor und direkten Gefahrenbereich um das autonom gesteuerte Fahrzeug herum.

Anders als bei der fahrzeuggestützten Lösung, erfolgen hier sämtliche Aufgaben der sensorischen Umfeldüberwachung sowie die Berechnung der auszuführenden Manöver innerhalb der AVP-Infrastruktur des Parkhauses. Das Fahrzeug übernimmt dabei lediglich die aktorischen Aufgaben und führt die Befehle der Infrastruktur aus 21. Die nachfolgende Abbildung 2.13 gibt einen Überblick über die Architektur des AVP-Systems mit Cloud, Parkhaus-Infrastruktur und Fahrzeugelektronik.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2.13: Systemarchitektur des AVP-Systems der Robert Bosch GmbH 15.

Im Detektionsbereich werden alle relevanten Objekte, darunter auch Fußgänger, von Stereo-Videokameras und einer Vielzahl von Gebäude-Lidarsensoren1 erfasst. Das Zusammenspiel der Sensoren sorgt somit für eine flächendeckende Überwachung des Fahrweges. Wird die Fahrzeugumgebung von der Parkhaus-Sensorik als frei gemeldet, wird die Fahrerlaubnis erteilt und die Ansteuerung des gewählten Parkplatzes durch­geführt. Bewegt sich ein Fußgänger innerhalb des berechneten Fahrschlauches, wird dieser von den Stereo-Videokameras und Lidarsensoren erfasst und dem Fahrzeug die Fahrerlaubnis entzogen, worauf dieses sicher stoppt.

Bei der fahrzeuggestützten Lösung findet hingegen der gesamte Prozess der Umge­bungserfassung im Fahrzeug statt. Das bedeutet, dass sämtliche benötigte Hardware und dazugehörige Software in die Fahrzeugarchitektur integriert ist. Die verbauten Sensoren liefern Daten, die zu einem 360°-Umfeldmodell der Fahrzeugumgebung zusammengeführt, bzw. fusioniert werden.

In der Abbildung 2.14 ist das Sensorsetup eines BMW Fahrzeuges dargestellt. Ein Lidarsensor misst präzise die jeweiligen Distanzen zu anderen Objekten im Frontbereich des Fahrzeuges und ermittelt deren Größe und Geschwindigkeit. Die hinter der Frontscheibe installierten Kameras bestimmen die Position anderer Ver­kehrsteilnehmer und führen eine Klassifizierung der erfassten Objekte durch.

Um das Fahrzeug herum sind diverse Radarsensoren montiert, welche die Richtung und Geschwindigkeit von Objekten erfassen sowie fortlaufend die Distanz zu den detektierten Objekten ermitteln. Unterteilt werden die Radarsensoren dabei je nach Überwachungsbereich, so wird beispielsweise der Fernbereichsradarsensor der Firma Bosch als LRR4 5 bezeichnet und kann bis zu 24 Objekte in einer Entfernung von maximal 250 m detektieren 22.

Die an jeder Fahrzeugseite installierten Ultraschallsensoren erkennen andere Fahr­zeuge und Hindernisse im Ultra-Nahbereich. Insbesondere bei Fahrerassistenzsystem zur Einparkhilfe kommen Ultraschallsensoren zum Einsatz, um das unmittelbare Fahrzeugumfeld zu erfassen. Zusätzlich zu den Daten der einzelnen Sensoren werden hochgenaue HD-Karten verwendet, um die Position des Fahrzeuges anhand von GPS6 zu bestimmen.

Die eigentliche Personendetektion der autonomen Fahrfunktionen basiert derzeit auf einer Fusion der Kamera- und Radardaten. Der Radarsensor detektiert dabei ein Objekt im definierten Erfassungsbereich und ermittelt unter anderem die Distanz zu dem Objekt. Die Kamera nutzt diese Informationen zur Generierung von Interessens- bereichen7 und sucht in diesen Bereichen nach Merkmalen, wie beispielsweise Kanten. Mittels weiterer optischer Auswertungsverfahren werden somit die Kameradaten verarbeitet, um die vom Radar detektierten Objekte zu klassifizieren und neben weiteren Verkehrsteilnehmern auch Personen zu erkennen.

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Abbildung 2.14: BMW Sensorsetup zur Umgebungserfassung 23.

Die vor allem auf Kameradaten basierte Erkennung von Fußgängern birgt zahlreiche Herausforderungen, welche die robuste Personendetektion erschweren. So gilt es eine Vielzahl an unterschiedlichsten Merkmalsausprägungen zu bewältigen, um Fußgänger trotz verschiedener Posen, Kleidungsstücke und Bewegungsabläufe sicher zu erken­nen. Des Weiteren sind Fußgänger meist im dichten Stadtverkehr anzutreffen, in welchem die Hintergrundtexturen von umgebenden künstlichen Strukturen, anderen Fahrzeugen und weiterer dynamischer Objekte, eine sehr unübersichtliche Umgebung darstellen 24.

Rein radarbasierte Lösungen zur Personendetektion sind derzeit noch nicht im Serieneinsatz, werden jedoch in diversen Forschungsansätzen untersucht. Einer dieser Ansätze ist die Verwendung von hochauflösenden Radarsensoren, mit denen es möglich ist, die einzelnen Gliedmaßen einer Person zu erkennen. So lassen sich insbesondere die unterschiedlichen Dopplergeschwindigkeiten der jeweiligen Körperteile bestimmen, um darauf basierend eine Mustererkennung durchzuführen. Voraussetzung dafür ist jedoch, dass sich die Extremitäten der Person mit einer ausreichend großen Dopplerverschiebung bewegen, d.h. nicht in tangentialer Richtung zum Radar. Durch das geringe Reflexionsvermögen und schwankende Streuverhalten der Extremitäten wird zudem, insbesondere bei größeren Distanzen, eine kontinuierliche Erfassung der Gliedmaßen erschwert. Dennoch zeigt die Verteilung der Dopplergeschwindigkeit über die Zeit eindeutige Klassifikationskriterien, mit denen einen Personendetektion grundsätzlich möglich ist 25.

Eine radarbasierte Personendetektion mittels Vitalzeichenerkennung im Außenbe­reich des Fahrzeuges ist nach derzeitigem Stand noch nicht auf Serienniveau realisiert. Lösungen zur Fahrerraum- und Passagierüberwachung existieren jedoch bereits. Die InnoSenT GmbH aus Deutschland stellt beispielsweise ihr Produkt zur Erkennung von Kindern im Fond des Fahrzeuges vor, in welchem ein 60 GHz Radar eingesetzt wird, um Atembewegungen millimetergenau zu erfassen 26. Auch Texas Instruments als renommierter Hersteller von Halbleiterbauteilen bietet eine Demo an, in der mittels Radar die Atmung sowie der Herzschlag von Personen gemessen werden kann. Die beiden genannten Produkte sind jedoch nicht im Außenbereich des Fahrzeuges anwendbar, da beide eine statische Umgebung erfordern und die Vitalzeichen lediglich in fest definierten Zonen erfassen.

Kapitel 3

3. Grundlagen der Radarsensorik

In diesem Kapitel wird zunächst auf die Historie der Radarsensorik in der Auto­mobilbranche eingegangen und das technische Grundprinzip zur Einordnung der Thematik erläutert. Bevor auf die für das Grundverständnis relevante Radargleichung, inklusive der dazugehörigen Erörterung des Themas Radarquerschnitte eingegangen wird, sollen zunächst die notwendigen physikalischen Grundlagen aufgezeigt werden. Des Weiteren wird am Ende dieses Kapitels die für diese Arbeit charakteristische Technik der frequenzmodulierten Dauerstrichradare erörtert und dazu das allgemeine Funktionsprinzip sowie die signaltheoretischen Grundlagen beschrieben.

3.1 Einordnung und Erläuterung des Grundkon­zeptes

Die mittlerweile schon mehr als hundert Jahre alte Radartechnik stellt einen festen Bestandteil der heutigen Sensorsets in modernen Fahrzeugen dar und ist somit nicht mehr aus der Automobilbranche wegzudenken. Erste Untersuchungen wurden gegen Ende des 19. Jahrhunderts von Heinrich Hertz durchgeführt, welcher 1886 beim experimentellen Versuch zum Beweis der maxwellschen Wellentheorie feststellte, dass elektromagnetischen Wellen von metallischen Gegenständen reflektiert werden. 1904 meldete schließlich der deutsche Hochfrequenztechniker Christian Hülsmeyer sein Patent zur Ortung und Entfernungsmessung von Objekten mittels Radiowellen an, welches den Titel trägt: „Verfahren, um entfernte metallische Gegenstände mittels elektrischer Wellen einem Beobachter zu melden“ 27.

Im Jahre 1998 waren die ersten mit Radar ausgestatteten Fahrzeuge auf dem freien Markt erhältlich. Die mit dem Mercedes-Benz DISTRONIC System erhältlichen Fahr­zeuge verfügten erstmals über eine radarbasierte adaptive Geschwindigkeitsregelung ACC8, woraufhin in kurzen Abständen weitere radargestützte Fahrerassistenzsysteme entwickelt wurden [28, S. 1].

Das aus dem englischen abgeleitete Wort Radar steht für „Radio Detection and Ranging“, was frei übersetzt so viel bedeutet wie „funkgestützte Ortung und Ab­standsmessung“. Die Hauptaufgabe eines Radarsensors ist die Messung von Distanz, Richtung und Höhenwinkel von Objekten mittels elektromagnetischer Wellen im Radiofrequenzbereich [29, S. 4]. Dies geschieht durch Aussendung gebündelter elek­tromagnetischer Wellen, welche von sich in Strahlungsrichtung befindlichen Objekten reflektiert werden. Das in Form eines Echos zurückgesendete Signal, bestehend aus einem Bruchteil der ausgesendeten Leistung, wird anschließend in der digitalen Signal­verarbeitung des Radars ausgewertet, um somit Informationen über das Zielobjekt zu gewinnen. Dabei ist unter Zielobjekt im weiteren Sinne jedes Objekt zu verstehen, das Energie und somit Informationen zum Radargerät reflektiert [30, S. 18].

In der Abbildung 3.1 ist das grundsätzliche Prinzip von Radargeräten visualisiert. Radarsensoren werden mittels verschiedener Radarprinzipen und -typen unterschie­den. Bei der für diese Arbeit wesentlichen Radarsensoren handelt es sich um mono­statische Primärradare. Folglich Radare, bei denen sich Sende- und Empfangseinheit, mit einem Abstand R SE zueinander, im selben Gerät befinden und das Radarziel ein nichtkooperatives, passives Objekt darstellt. Der besagte Abstand R SE liegt in der Größenordnung der zur Anwendung kommenden Wellenlänge A oder darunter, d.h. R se & A oder R SE < A [31, S. 5].

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 3.1: Radarprinzip eines monostatischen Primärradars. Das ausgesendete Radarsignal wird vom Zielobjekt reflektiert. Sender und Empfänger befinden sich in einer Radareinheit [eigene Darstellung].

[...]


1 Im Folgenden werden allgemeine personenbezogene Begriffe ausschließlich in maskuliner Form formuliert. Die Angaben beziehen sich jedoch auf alle Geschlechter, außer spezifische Personen werden genannt. Diese Art der Formulierung wird rein aus darstellerischen Gründen gewählt und ist kein Ausdruck von Diskriminierung oder Vorurteilen bezüglich der Geschlechter.

2 engl. Highway Pilot

3 engl. Traffic Jam Pilot

4 Lidar steht für light detection and ranging. Die Umfelderfassung erfolgt mit Hilfe von Laser­strahlen.

5 engl. Long-Range Radar Sensor

6 engl. Global Positioning System

7 engl. Area of Interest

8 engl. Adaptive Cruise Control

Ende der Leseprobe aus 122 Seiten

Details

Titel
Automatisiertes Fahren. Radarbasierte Personendetektion mittels Vitalzeichenerkennung im Ultra-Nahbereich
Hochschule
Hochschule Heilbronn, ehem. Fachhochschule Heilbronn
Note
1,0
Autor
Jahr
2021
Seiten
122
Katalognummer
V1140940
ISBN (eBook)
9783346522054
ISBN (Buch)
9783346522061
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Personendetektion, Vitalzeichenerkennung, Umfelderfassung, Radarsensorik, Automatisiertes Fahren
Arbeit zitieren
Felix Alexander Westphal (Autor:in), 2021, Automatisiertes Fahren. Radarbasierte Personendetektion mittels Vitalzeichenerkennung im Ultra-Nahbereich, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1140940

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