Die Rolle der Grammatik beim Textverstehen. Eine Zusammenfassung der Forschungsberichte von Reinold Funke, Jasmin Sieger und Johannes Fix


Ausarbeitung, 2020

8 Seiten, Note: ohne Note


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Forschungsbericht I

2. Forschungsbericht II

Literaturverzeichnis

1. Forschungsbericht I

Reinold Funke und Jasmin Sieger untersuchen in ihrem Forschungsbeitrag „Die Nutzung von orthographischen Hinweisen auf syntaktische Strukturen und ihre Bedeutung für das Leseverständnis. Empirische Daten und didaktische Folgerungen.“ aus dem Jahre 2009 die Überlegungen von Hans Glinz, inwiefern das Erfassen syntaktischer Strukturen Einfluss auf das Leseverstehen hat. Dieser geht in eben jenen sogar so weit, die Lesefähigkeit als eigentliches Ziel des Grammatikunterrichtes herauszustellen (vgl. Funke/Sieger 2009: 31). Die Studie basiert auf einem Leseverständnis, das mehr als die Herstellung von Kohärenz umfasst, sondern vielmehr ein Erfassen des thematischen Schwerpunktes des Textes beinhaltet. Damit soll ein Verständnis nicht nur innerhalb der inhaltlichen Stimmigkeit, sondern auch in textueller Hinsicht erfolgen. Textuelle Merkmale werden unter anderem durch sprachliche Formulierungen angezeigt. Durch das Erschließen dieser rückt die Verarbeitung syntaktischer Strukturen beim Lesen in den Fokus der Betrachtung. Leser*innen erhalten hierdurch Hinweise, wie sie Weltwissen heranziehen können, um den Text zu verstehen (vgl. Funke/Sieger 2009: 32). In diesen Fällen sei es ausschlaggebend, in welchem Umfang syntaktische Informationen den Lesenden über ihre erstmalige Nutzung hinaus für interpretative Prozesse verfügbar bleiben. Die Syntaxverarbeitung ist bereits vielfach untersucht worden, jedoch nicht unter dem differentiellen Aspekt des unterschiedlichen Erfassens beim Lesen und den Auswirkungen auf das Leseverstehen (vgl. Funke/Sieger 2009: 34). Zwei Forschungsansätze liegen bisher vor. Der syntactic sensitivity- Ansatz und der syntactic awareness- Ansatz. Aus diesen ergibt sich die Annahme, dass sich gute und schwache Leser*innen vor allem darin unterscheiden, syntaktische Strukturmuster sicher zu erkennen und sich zu vergegenwärtigen, wenn kein Kontext gegeben ist, der diese betonen würde (vgl. Funke/Sieger 2009: 35). Um zu erfassen, inwiefern Schüler*innen beim Lesen syntaktische Strukturen erkennen, wurde in dieser Studie getestet, in welchem Ausmaß sie beim Lesen die Großschreibung von Nomen im Kontrast zur Kleinschreibung nichtnominaler Einheiten beachten. Ältere Studien kamen bereits zu der Erkenntnis, dass die Groß- und Kleinschreibung genutzt wird, um dem Gelesenen eine syntaktische Struktur zuzuschreiben (vgl. Funke/Sieger 2009: 35). Die Erhebung wurde an süddeutschen Haupt- und Realschulen im achten Jahrgang durchgeführt. Sie erfasst nur Kinder, die vor der Einschulung bereits Deutsch sprachen (vgl. Funke/Rieger 2009: 40). Man gab ihnen Sätze, deren syntaktische Struktur lediglich von der Groß- und Kleinschreibung eines einzelnen Wortes abhing. Als Beispiel führen Funke und Sieger den Satz „Richtige Fußballfans erkennt man daran, dass sie lautstark p feifen und Jubelschreie der Gegner übertönen.“ an. An dem Wort <pfeifen> wird deutlich, dass je nach Groß- oder Kleinschreibung eine andere Bedeutung entsteht. <Pfeifen> bezieht sich auf die Gegner und <pfeifen> auf die Fans selbst (vgl. Funke/Sieger 2009 33-36). Die Autoren nennen einen Begriff wie <pfeifen> daher kritische Einheit (vgl. Funke/Sieger 2009: 37). Als Variablen wurden die Beachtung der Groß- und Kleinschreibung, die Stabilität der diesbezüglichen Beachtung und inferentielles Textverstehen herangezogen. Als Ergebnisse der Studie lässt sich festhalten, dass die Schüler*innen in dem Ausmaß der Nutzung von Groß- und Kleinschreibung beim Lesen sehr variabel sind. Des Weiteren macht die Auswertung deutlich, dass im Fall der durch die Groß- und Kleinschreibung eines Wortes vermittelten Information unterschieden werden muss zwischen spontaner Beachtung und ihrer stabilen Verfügbarkeit. Es zeigt sich vor allem die Schwierigkeit, dem Gelesenen eine syntaktische Struktur zuzuschreiben, wenn dies ausschließlich abhängig von der Groß- und Kleinschreibung der kritischen Einheit ist. Eine festgestellte Übergangsasymmetrie scheint das Ergebnis daraus zu sein. Die Schüler*innen, die in ihrer Erstantwort die Groß- und Kleinschreibung richtig aufgefasst hatten, gingen in ihrer Zweitantwort immer wieder zur entgegengesetzten Lesart über. Die Erstantworten waren offen interpretativ gestaltet, die Zweitantworten im Multipe-Choice-Format. Die kritische Einheit wird beim ersten Lesen spontan beachtet und erhält dadurch höhere Auffälligkeit. Die Asymmetrie zeigt allerdings, dass die Schüler*innen keinen stabilen Zugang zu der syntaktischen Information haben. Aber nur durch diesen ist diese Information als zuverlässiger Hinweis auf die syntaktische Struktur des Gelesenen nutzbar. (vgl. Funke/Sieger 2009: 47). Für Schüler*innen ist es offenbar schwierig, syntaktische Informationen beim Lesen stabil zugänglich zu halten. Für Funke und Sieger ergeben sich daraus insgesamt drei sprachdidaktische Konsequenzen. Zum einen die Frage, ob und in welchem Umfang es in Sekundarschulen Lernprozesse hinsichtlich der Dimension der Variabilität gibt. Des Weiteren das erneute Aufgreifen der anfangs gestellten Glinzschen Frage nach der Förderung des Leseverstehens durch einen Sprachunterricht, der auf Einsicht in grammatische Strukturen zielt. Als Letztes fordern sie Alternativen zu einem analytisch vorgehenden Grammatikunterricht, den sie sich beispielsweise in einem auf das Handeln mit sprachlichem Material zielenden Unterricht vorstellen könnten (vgl. Funke/Sieger 2009: 50).

2. Forschungsbericht II

Johannes Fix untersucht in seinem Forschungsvorhaben „Morphologie als Lesehilfe. Eine empirische Untersuchung mit Grundschülern.“ an Drittklässlern, inwiefern Schüler*innen Morphologie als Lesehilfe nutzen und welcher Zusammenhang dabei mit deren Leseverständnis besteht (vgl. Fix 2015: 55). In den theoretischen Grundlagen seiner Arbeit führt er daher zunächst die vier orthographischen Prinzipien, das phonographische, silbische, morphologische und das syntaktische Prinzip, an. Anschließend legt er das Hauptaugenmerk besonders auf das morphologische Prinzip, da es silbische und phonographische Prinzipien vereine und hauptsächlich dem Dekodierprozess bzw. der Sinnentnahme beim Lesen diene. Für das Leseverstehen sei das Morphemkonstanzprinzip dabei von besonderer Bedeutung (vgl. Fix 2015: 56). Die vier Formen der morphologischen Konstanthaltung – Umlautung des Stammvokals wie bei <Nagel> und <Nägel>, die Silbengelenkschreibung wie bei <stoppt>, die Auslautverhärtung wie beispielsweise bei <Tag> und das silbeninitiale <h> wie bei <leihen> verdeutlichen, dass verschiedene orthographische Prinzipien ineinandergreifen. Das Re- und Dekodieren auf Wortebene werde durch die Konstanthaltung erleichtert. Der Stamm ermögliche einen schnelleren Bezug zur inhaltlichen Bedeutung (vgl. Fix 2015: 57). Hinsichtlich der Auswirkung dieser Formen auf das Leseverständnis liegen bislang nur wenige Studien im deutschsprachigen Raum vor. Studien im englischsprachigen Raum zeigen hingegen, dass ein signifikanter Zusammenhang zwischen den Einsichten in morphologische Wortstrukturen und dem Leseverständnis auf Wort- und Satzebene vorliegt (vgl. Fix 2015: 58-59). Fix stellt für seine diesbezügliche empirische Untersuchung vier Hypothesen auf (vgl. Fix 2015: 59-61). Diese wurden in einer Querschnittsuntersuchung auf freiwilliger Basis an 33 monolingualen Kindern zwischen acht und neun Jahren an einer Hildesheimer Grundschule mithilfe drei verschiedener Testverfahren überprüft. Test A beinhaltet einen Leseverständnistest (vgl. Fix 2015: 62-63). Die Untersuchung ergab, dass die unterschiedlichen Formen der morphologischen Konstanthaltung in ihrem Schwierigkeitsgrad variieren. Schüler*innen besitzen ein implizites Regelwissen zur morphologischen Konstanthaltung, wenden dieses jedoch nicht immer korrekt auf alle Wörter an. Hinsichtlich der Formen der Morphemkonstanthaltung lässt sich eine hierarchische Ordnung ableiten. Die Auslautverhärtung gelang den Schüler*innen am besten, da sie die Schreibung über Wortverlängerungen wie bei <Weg> und <Wege> argumentierten. Danach folgt das silbeninitiale <h> und anschließend die Silbengelenksschreibung. Die Umlautung des Stammvokals fiel ihnen am schwersten, da sie das Stammmorphem nicht identifizieren konnten wie beispielsweise bei <schläft> (vgl. Fix 2015: 70-72). Des Weiteren lässt sich sagen, dass ein Zusammenhang zwischen dem Leseverständnis auf Wort-, Satz- und Textebene und dem Erkennen von fehlerhaften morphologischen Schreibungen während des stillen Lesens besteht (vgl. Fix 2015: 76). Schüler*innen mit einem höheren Leseverständnis können morphologische Strukturen beim Entscheidungsprozess erkennen und nutzen. „Schüler, die hingegen einen lautorientierten Zugriff zur Schrift haben, machen deutlich mehr Fehler.“ (Fix 2015: 75) Die einzelnen Formen der morphologischen Konstanthaltung korrelieren positiv mit dem Leseverständnis, unterscheiden sich jedoch in Stärke und Signifikanz. Lediglich bei der Auslautverhärtung zeigte sich eine nicht signifikante Korrelation. Der gleiche Zusammenhang zeigte sich beim lauten Lesen. Die Schüler*innen sollten einen manipulierten Test auf Fehler untersuchen. Ein Drittel aller Probanden identifizierten keine Fehler im Text (vgl. Fix 2015: 77) „Diejenigen, denen die Fehler sofort auffallen, verfügen mindestens über ein durchschnittliches Leseverständnis. Das Wortlesen erfolgt bei diesen Schülern dementsprechend nicht lautorientiert, sondern über größere bedeutungstragende Einheiten.“ (Fix 2015: 77) Jene Schüler*innen konnten dies über die Ableitung der Explizitform begründen (vgl. Fix: 2015, 78). Im Rahmen der Studie bestätigte sich ebenfalls, dass die Formen der morphologischen Konstanthaltung unterschiedlich schwierig seien, wobei die morphologischen Fehler, die von den Probanden leichter identifiziert werden, zu mehr Irritationen beim lauten Lesen führen als die Fehler, die schwer zu identifizieren sind (vgl. Fix 2015: 61). Die Auswertung der Ergebnisse zeigt, dass eine positive Beziehung zwischen dem Erkennen fehlerhafter Schreibungen und dem Leseverständnis besteht. Falschschreibungen, die sich auf die Formen der morphologischen Konstanthaltung beziehen und die nicht erkannt werden, stören beim lauten Lesen mehr. Dies ist damit ein Indiz, dass Leser*innen auf morphologische Informationen beim Leseprozess zurückgreifen. Je nach Form morphologischer Konstanthaltung können diese leichter oder schwerer dekodiert werden. Die Umlautung des Stammvokales beispielsweise wird weniger erkannt und stört beim Lesen weniger. Hier lässt sich das Wort auch lautorientiert korrekt lesen und führt zu richtiger Sinnentnahme (vgl. Fix 2015: 79). In diesem Fall ist dann das Leseverständnis nicht beeinträchtigt. Hierfür spräche, dass im Rahmen der Studie mehr als 80% der fehlerhaften Schreibungen richtig gelesen wurden. Zurückzuführen wäre dies ebenfalls auf den Satzkontext, den die Leser*innen beim Dekodieren der Wörter nutzen. Fehlerhafte Verschriftlichungen führen allerdings zu einem gestörten Leseverhalten (vgl. Fix 2015: 80). „Die Schüler verstehen die Schrift demzufolge nicht als ein Abbild von gesprochener Sprache, sondern nutzen die der Schrift zugrunde liegenden Regularitäten.“ (Fix 2015: 81) In einer Folgeuntersuchung müssten die Wörter isoliert betrachtet werden, um den Einfluss des Kontextes auszuschließen (vgl. Fix 2015: 81).

Literaturverzeichnis

Fix, Johannes: Morphologie als Lesehilfe. Eine empirische Untersuchung mit Grundschülern. In: Rautenberg, Iris/Reißig, Thilo (Hrsg.): Lesen und Lesedidaktik aus linguistischer Perspektive, 2015, 55-89.

Funke, Reinold/Sieger, Jasmin: Die Nutzung von orthographischen Hinweisen auf syntaktische Strukturen und ihre Bedeutung für das Leseverständnis. Empirische Daten und didaktische Folgerungen. In: Didaktik Deutsch 26, 2009, 31-53.

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Details

Titel
Die Rolle der Grammatik beim Textverstehen. Eine Zusammenfassung der Forschungsberichte von Reinold Funke, Jasmin Sieger und Johannes Fix
Hochschule
Christian-Albrechts-Universität Kiel
Note
ohne Note
Autor
Jahr
2020
Seiten
8
Katalognummer
V1141112
ISBN (eBook)
9783346527431
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Grammatik, Textverstehen, Deutschdidaktik, Forschungsbericht, Deutschunterricht
Arbeit zitieren
Ann-Marie Mau (Autor:in), 2020, Die Rolle der Grammatik beim Textverstehen. Eine Zusammenfassung der Forschungsberichte von Reinold Funke, Jasmin Sieger und Johannes Fix, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1141112

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