Hooliganismus im Fußballsport - Entstehung, Merkmale und Lösungsansätze


Examensarbeit, 2007

179 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


1. Einleitung

Spätestens seit den Ereignissen von Lens 1998, während der Fußball- Weltmeisterschaft in Frankreich, dürfte ein Großteil der deutschen Bevölkerung wissen, dass es Hooligans gibt. Die Ereignisse rund um Daniel Nivel, einen französischen Gendarmen und die folgenden Prozesse in der Bundesrepublik und Frankreich waren in den Medien stark vertreten und lösten Betroffenheit in der Öffentlichkeit aus. Sie werden von der Öffentlichkeit als brutale Schläger, zurückgebliebene Jugendliche mit schlechter Kindheit, Neonazis und nur als vermeintliche Fußballfans angesehen. Hier sind sich die Offiziellen von den Vereinen, dem DFB und die Medien weitgehend einig. Hooligans wurden und werden gemeinhin als Gefahr für die Gesellschaft angesehen. Gerade die Gewaltdebatte ist in der Öffentlichkeit immer wieder zu einem zentralen Thema geworden, wobei die Frage nach den Ursachen nur selten gestellt und noch seltener beantwortet wird. Mit dieser Arbeit will ich die Hintergründe und die Motivation dieser gewaltbereiten Jugendlichen und jungen Männer darstellen und aufzeigen das man nicht einfach ein derart einfach gestricktes Raster über sie legen kann. Ich will die Subkultur der Hooligans gründlich analysieren, um dabei die Vorurteile von den wirklich empirisch nachgewiesenen Gegebenheiten zu trennen. Konzentrieren werde ich mich dabei auf die Beschreibung und Erklärung der Erscheinungsformen und Strukturen der jugendlichen Subkultur der Hooligans, die seit Mitte der achtziger Jahre die aktivste und aggressivste Gruppierung in deutschen Fußballstadien darstellt. Schwerpunkt der Darlegungen wird die Entwicklung der aktuellen Lage des Hooliganismus in der Bundesrepublik Deutschland sein. Dies geschieht natürlich unter Beachtung der Veränderungen, die sich in den neuen Bundesländern seit der Wiedervereinigung ergeben haben.

Um sowohl die historischen Wurzeln als auch die internationalen Dimensionen des Phänomens erkennen zu können, bleibt die Arbeit jedoch nicht auf die Situation in Deutschland beschränkt, sondern beschreibt vergleichend auch den Hooliganismus in Großbritannien.

Hooligans finden Spaß an körperlicher Auseinandersetzung, und sie treffen sich, um gegenseitig innersubkulturell körperlich gewalttätig zu werden. Sie nehmen aus diesem Grund eine Sonderstellung innerhalb der gewaltbereiten Subkulturen unserer Gesellschaft ein, die ihre gewalttätigen Handlungen nach außen richten. Ich habe mir in der hier vorgelegten Arbeit die Frage gestellt, wie es zu einer Subkultur kam, in der die Mitglieder aus Spaß und ohne ideologischen oder politisch motivierten Hintergrund untereinander und innerhalb der eigenen Subkultur Gewalt anwenden?

Ich werde zunächst die Geschichte des modernen Fußballs darstellen, wie er zu dem wurde wie wir ihn heute kennen. Im dritten und vierten Kapitel werde ich dann den Fußball und seine Rolle in den Medien, insbesondere im Fernsehen, bzw. die ökonomischen Aspekte der „Wirtschaftsmaschinerie Fußball“ aufzeigen. Denn viele Experten sehen in der Globalisierung des Fußballs und in der intensiven Berichterstattung über die Spiele und das drum herum, also eben auch über Ausschreitungen im Rahmen von Fußballspielen, einen wichtigen Zusammenhang mit den Ausschreitungen selbst. Durch die reißerische Aufmachung in den Medien könnten gewaltbereite Fans ihrer Meinung nach erst dazu gebracht werden Gewalt anzuwenden. Darum werde ich detailliert darstellen wie sich der Fußball in den Medien entwickelt hat und wie Fußball und Medien heute zueinander stehen. Mit den Fans in Deutschland werde ich mich im fünften Kapitel beschäftigen, um erstens einen Überblick über diese Gruppe zu geben und zweitens aufzuzeigen, dass die Gruppe der Fans keinesfalls so homogen ist wie von der Gesellschaft zumeist angenommen. Hierbei werde ich auch auf eine in Deutschland relativ neue Fangruppe, die „Ultras“ eingehen. Ich will zeigen, dass die „Ultras“ nicht, wie von der Öffentlichkeit häufig angenommen, eine Untergruppe bzw. extremere Form der Hooligans sind. Auch die Thematik Fußballfans und Gewalt soll hier behandelt werden. Dabei orientierte ich mich an der allgemein gängigen Einstufung und Klassifizierung von Fußballfans, welche sowohl von der Polizei als auch von der Wissenschaft genutzt wird.

Im sechsten Kapitel werde ich mich ausgiebig mit der Subkultur der Hooligans auseinandersetzen. Ich werde zunächst versuchen den Hooliganismus als Subkultur zu bestätigen. Im Folgenden beschäftige ich mich mit der Entstehungsgeschichte des Hooliganismus zunächst im

„Mutterland“ Großbritannien und dann in Deutschland, wobei ich separat auf die neuen Bundesländer und die Entstehungsgeschichte der Hooliganszene dort eingehen werde. Hier werde ich die speziell die Unterschiede und Gemeinsamkeiten der West- und Ostdeutschen Szene herausarbeiten. Weiterhin habe ich mich hier mit Ausschreitungen in der Sportgeschichte beschäftigt, die tatsächlich schon Jahrtausende zu bestehen scheinen. In diesem Kapitel werde ich ebenfalls besonderes Augenmerk auf drei aktuellere Ereignisse legen, die mir zu diesem Thema sehr wichtig erscheinen. Da ist zum einen Die Tragödie von Heysel 1985 und ihre Folgen zu nennen, der Fall Daniel Nivel in Lens 1998, nach dem alle Beteiligten Europaweit versuchten besser zusammenzuarbeiten, und sehr Aktuell, die Ausschreitungen vom 10.02.2007 in Leipzig, wo mehrere Hundert gewaltbereite Fans Zivilbeamte der Polizei jagten.

Mit dem Vorurteil dass Hooligans rechte Schläger, bzw. Schlägerkommandos der politischen Rechten sind werde ich mich im siebten Kapitel beschäftigen und aufzeigen das diese in der Gesellschaft doch recht häufig anzutreffende Meinung nicht ganz den Fakten entspricht. Im darauf folgenden Kapitel werde ich mich mit den Ursprüngen des Hooliganismus beschäftigen und die wissenschaftlichen Theorien dazu analysieren und im Hinblick auf ihren Erklärungswert für das Hooliganismusphänomen überprüfen.

Abschließend werde ich mich im neunten Kapitel mit den Präventionsmaßnahmen zum Thema Hooliganismus auseinandersetzen. Prävention wird von allen Instanzen, die sich mit Hooliganismus beschäftigen, groß geschrieben. Wie dies praktisch umgesetzt wird und verwirklicht werden kann, ist jedoch sehr unterschiedlich. So wird in der Sozialarbeit, allen voran in der Fanprojektarbeit, Akzeptanz für die Lebenswelt und für die Bewältigungsstrategien der Fans gefordert. Dem gegenüber stehen die überwiegend repressiv orientierten Maßnahmen der Polizei. Auch die Regierung hat versucht, den Fußballausschreitungen Einhalt zu gebieten, indem sie im „Nationalen Konzept Sport und Sicherheit“ und in anderen Gesetzen Richtlinien für die Stadionordnung, bauliche Maßnahmen, den Ordnerdienst etc. aufgestellt hat.

Im Zehnten Kapitel gebe ich noch einen Ausblick auf die Situation des Hooliganismus heute.

2. Die Geschichte des Fußballs wie wir ihn kennen

2. 1. Die Geburtsstunde des Fußballs

Das moderne Fußballspiel entstand nicht etwa auf dem grünen Rasen, sondern vielmehr am grünen Tisch. Am 23.Oktober 1863 fanden sich Vertreter der vornehmen Public Schools und der Universitäten Oxford und Cambridge im Freemasons’s Tavern in London ein, um die höchst unterschiedlichen Spielregeln der einzelnen Bildungsinstitutionen zu vereinheitlichen.1

So sollten die Vorraussetzungen geschaffen werden um untereinander Spiele austragen zu können, ohne die Regeln jedes Mal aufs Neue besprechen zu müssen und sich im Nachhinein über deren Auslegung zu streiten. Als Ergebnis dieses „Gentleman Treffens“ erfolgte daher nicht nur die Festlegung verbindlicher Spielregeln, sondern auch die Gründung einer Football Association (FA), die als Aufsichtsbehörde fungieren und in Zweifelsfällen das Interpretationsmonopol ausüben sollte.2

Für die meisten Sporthistoriker stellt dies die Geburtsstunde des modernen Fußballs dar, denn diese beiden Maßnahmen zusammen schufen die Voraussetzung für die erfolgreiche Institutionalisierung und zugleich Reproduzierung des Fußballspiels.

Richtungweisend war vor allem die konkrete Ausgestaltung der Spielregeln und des Spiels.

Die Gründer der FA entschieden sich gegen eine an der Rugby-Schule beliebte Spielweise mit einem eiförmigen Ball, bei der das Handspiel und das Treten des Gegners („hacking“) erlaubt waren und verständigten sich auf eine andere Variante, nämlich die mit einem kugelrunden Ball, den die Feldspieler nur mit den Füßen weitergeben durften. Diese Spielweise war weniger verletzungsträchtig und auch für Berufstätige geeignet. Sie ließ Raum für Kraft und Artistik, Kalkül und Spontanität. Und da die Athleten bestimmte Rollen, etwa die des Stürmers, Verteidigers oder Tormanns übernehmen mussten, konnten sich wie in einem Drama Individualität und Gemeinschaftsgeist, Egozentrik und Opfermut, Starallüren und Heldentum entfalten.3

Die Football Association beanspruchte uneingeschränkte Autorität über das Spiel. Sie veranlasste nicht nur die Publikation der verabredeten Regeln, sondern traf durch die Lizenzierung von Schiedsrichtern und sonstigem Fachpersonal auch Vorkehrungen zu ihrer Durchsetzung. Durch diese Maßnahmen wurden Streitigkeiten unter den Athleten verhindert. Zugleich bewirkten sie, dass eine Grenze zwischen dem abstrakten Spiel und seiner konkreten Umwelt gezogen und Interventionen Außenstehender in das Wettkampfgeschehen abgewehrt wurden.

Durch Organisierung eines Ligasystems bis hinunter auf die lokale Ebene sowie die Stiftung einer Trophäe, den seit 1871 ausgespielten „FA-Cup“, stimulierte die FA den Spielverkehr.4

Auf diese Weise war es möglich, auch indirekte Leistungsvergleiche zwischen den Mannschaften zu ziehen. Zugleich wurden die Spiele, die für sich gesehen diskrete Ereignisse waren, in eine Kontinuität gebracht und bekamen eine „Geschichte“ (so z.B. „legendäre Spiele“, Die „Ära“ bestimmter Clubs oder Spieler).5

Aufgrund der Periodizität der Matches konnte das Fußballspiel nun die für seine weitere Entwicklung so wichtige Symbiose mit Presse und Kommerz eingehen. Weiterhin verzichtete die Football Association auf die Festlegung sozialer Teilnahmekriterien. Im Gegensatz zu vergleichbaren Organisationen für Sportarten wie Leichtathletik, Rudern und Schwimmen, die nur wenige Jahre später gegründet wurden, führte jene für Fußball nicht einmal das Wort „Amateur“ im Namen.6

Die Gründer der FA hatten wohl nicht vorhergesehen, dass das Spiel jemals etwas anderes als ein geselliges Vergnügen für ihresgleichen sein könnte. Doch die soziale Offenheit blieb selbst dann noch erhalten, als Anfang der achtziger Jahre des 19. Jahrhunderts ein Teil der Mitglieder versuchte, bestimmte Klubs, die Spielern aus der Arbeiterschicht mehr als die Spesen erstatteten, von der Teilnahme auszuschließen. Stattdessen führte die FA den Status des Berufsspielers ein und eröffnete 1888 eine Profiliga.7

Diese straffe Organisierung des Spiels und des Spielbetriebs machte das Spiel der Football Association , kurz „Soccer“ zu einem Vergnügen, das im Prinzip überall gespielt werden konnte, wo ein den Normen entsprechender Platz vorhanden war. Jedermann konnte sich beteiligen, als aktiver Spieler, Zuschauer, Zeitungsleser oder eben als Teilnehmer am sportlichen Fachsimpeln.

In England, wo sich „Soccer-Fussball“ bald großer Popularität erfreute, trat dieser universelle Charakter unter anderem darin hervor, dass sich das zunächst von bürgerlichen Gentlemen regulierte und beaufsichtigte Spiel innerhalb weniger Jahre zu einem charakteristischen Element der Arbeiterkultur entwickelte. Unter den Klubmitgliedern und Funktionären stellten die Arbeiter zwar eine verschwindend geringe Minderheit, dennoch drückten sie der entstehenden Fußballkultur vor dem Hintergrund der englischen Hochindustrialisierung ihren Stempel auf. Sie rekrutierten nicht nur die besten und bekanntesten Profis und Halbprofis aus ihren Reihen, durch die seit den siebziger und achtziger Jahren des 19. Jahrhunderts erheblich gestiegenen Reallöhne und den durch die Gewerkschaften erstrittenen freien Samstagnachmittag war es ihnen auch möglich, regelmäßig zum Fußball zu gehen und den Ligabetrieb zu verfolgen.8

Um 1910 beliefen sich die Besucherzahlen in den Spitzenspielen von Aston Villa, Preston North End und Blackburn Rovers auf durchschnittlich 10.000, und in der Saison 1913/1914 wurden die Spiele der English Football League von durchschnittlich 23.000 Menschen besucht. Das Pokalfinale dieses Jahres erreichte den Vorkriegsrekord von 120.000 Zuschauern.9

2. 2. Der Fußball geht um die Welt

Der von der FA normierte englische Fußball fand in den folgenden Jahren dank seines universalen Charakters auch außerhalb seines „Mutterlandes“ viele Anhänger. Wichtige Vorraussetzung für diesen Kulturtransfer war jedoch eine technische Neuerung des Industriezeitalters, das Dampfschiff. Dieses moderne Verkehrsmittel trug seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert dazu bei, dass die europäische Überseewanderung nie gekannte Ausmaße erreichte und sich auch der allgemeine Verkehr zwischen England und dem europäischen Kontinent intensivierte. Nicht wenige jener Briten, die sich auf die Dampfschiffe begaben, hatten einen Fußball im Gepäck.10

Wohlhabende Touristen aus „Aristocracy“ und der „upper middle class“ wichen auf Urlaubsziele auf dem Kontinent aus, um sich den Begleiterscheinungen des beginnenden Massentourismus auf der Insel zu entziehen. Orte wie Nizza und Cannes, Alassio, Portofino und San Remo, aber auch z.B. die deutschen Modebäder Bad Homburg, Wiesbaden und Baden-Baden, stellten sich innerhalb weniger Jahre auf die sportlichen Neigungen der zahlungskräftigen Gäste ein. Auch britische Geschäftsleute, Bankiers und Industrielle mit ihren Managern, die im europäischen Ausland und in Übersee Filialen eröffneten, um mit billigen Arbeitskräften produzieren zu können, transportierten den Fußballsport in die ganze Welt. Weiterhin spielten britische Ingenieure und Techniker, die in den europäischen Metropolen Gas-, Wasserleitungen und andere Infrastruktureinrichtungen bauten sowie Studenten, die sich an den Technischen Hochschulen Deutschlands und der Schweiz ausbilden ließen, eine wichtige Rolle bei der Verbreitung des Fußballs außerhalb der britischen Inseln.11

Ihr Anschlussbedürfnis führte zu Klubgründungen und zur Entstehung eines Wettkampfbetriebes. Schon bald traten ökonomische Interessenten auf den Plan, um den Markt für Sportartikel und Sportzeitungen zu erschließen. Da die Gegner fehlten oder die Mannschaften schlichtweg unvollständig waren, wurden auch Einheimische mehr und mehr aufgefordert mitzuspielen. Dies führte zu einem wachsenden Interesse seitens der Einheimischen.

Die neuen Mit- bzw. Gegenspieler rekrutierten sich zunächst aus den unmittelbaren Kontaktpersonen der Briten. Es handelte sich also um Geschäftspartner, Manager und Techniker, in West- und Osteuropa darüber hinaus auch um die Sprösslinge aristokratischer Familien, bzw. in Südamerika um die Söhne der traditionellen Eliten, die in den von den Briten dort errichteten Colleges erzogen wurden. Viele der neuen Fußballjünger waren selbst Immigranten, und ein vergleichsweise hoher Anteil rekrutierte sich aus Juden, Studenten und dem wachsenden Heer der Angestellten, einer gewissermaßen traditionslosen, erst mit der

Hochindustrialisierung entstehenden Schicht.12

Alle diese Gruppen waren am Rand der bürgerlichen Gesellschaft angesiedelt und ihre Mitglieder strebten nach Integration. Arbeiter hielten sich von dem Spiel weitgehend fern, sie hatten kein Geld und keine Zeit dazu oder zogen andere Freizeitbeschäftigungen vor, wie etwa das Turnen oder Angebote der organisierten Arbeiterbewegung. Ein weiter Grund war, dass es in zahlreichen Ländern wie etwa Brasilien und anderen Südamerikanischen Ländern aufgrund der industriellen Rückständigkeit überhaupt erst wenige von ihnen gab.13

Dieser Mittel- bzw. teilweise sogar Oberschichtcharakter unterschied den europäischen und südamerikanischen Fußballsport vom „Soccer“-prototyp aus England. Während der englische Fußball seit den achtziger Jahren des

19. Jahrhunderts seinen Charakter als „Gentlemanvergnügen“ zunehmend einbüßte und bald als genuines Element der Arbeiterkultur galt, behielt das Spiel außerhalb Englands den in der Entstehungsphase erworbenen Elite- und Mittelschichtencharakter teilweise bis weit in das 20. Jahrhundert hinein bei. Für die Institutionalisierung des Fußballs in den betreffenden Ländern war das insofern von Vorteil, als damit soziale Nähe zum politischen Establishment und zu dessen Fördermitteln einherging. Auf die eine oder andere Weise wurde der Fußball in vielen Ländern von den

Dynastien und vom Militär, von der Politik und den Behörden unterstützt.14

In diesem sozialen Rahmen verkörperte das Fußballspiel das spezifisch moderne Lebensgefühl der Jahrhundertwende, insbesondere der Aufsteiger und „selfmademen“, die offen für alles Neue waren und sich um Konventionen wenig scherten. Für viele von ihnen war der Gebrauch der englischen Sprache und die Imitation des „English way of Life“ auch der Versuch, sich von bestimmten überkommenen Mustern der eigenen Kultur wie z.B. der Turnbewegung mit ihrer Neigung zum Kollektivismus und zur Korrektheit zu distanzieren.15

Im politisch aufgeheizten und aggressiven Klima der Jahre vor dem ersten Weltkrieg fand eine Emanzipation von den britischen Lehrmeistern des Fußballspiels statt. Äußerlich war dies in der Abkehr von der englischen Sportsprache zu erkennen. Die Fachverbände, die mit Ausnahme des

„Deutschen Fußball-Bundes“ zunächst wie in England „Football Association“ genannt worden waren, bekamen nun neue Namen in der jeweiligen Landessprache. So wurde aus „Football“ „Fußball“ oder

„voetbal“. Die Italiener wählten „Calcio“, den Namen eines alten florentinischen Spiels aus der Renaissance.

2. 3. Massenphänomen Fußball

In den meisten Ländern, in denen es vor 1914 erfolgreich etabliert worden war, entwickelte sich das Spiel zu einem Massenphänomen. In Südamerika wurde dieser Aufschwung vom Durchbruch der Industrialisierung bewirkt, in Russland darüber hinaus durch die Oktoberrevolution, die eine Erweiterung der sozialen Basis erzwang. In West- und Mitteleuropa war es der erste Weltkrieg, der dem Spiel die entscheidenden Impulse gab. Nahezu alle beteiligten Armeen führten spätestens mit dem Übergang zum Stellungskrieg 1916/1917 sportliche Wettkämpfe durch und bauten einen geregelten Trainingsbetrieb auf, um die Truppenmoral aufrechtzuerhalten. Die beliebtesten Disziplinen waren Fußball und das dem Fußball nachempfundene Handballspiel. Ein preußischer General dieser Zeit stellte missbilligend fest, dass diese Spiele „das militärische Leben bei einzelnen Truppen [bald] mehr beherrschten als der nüchterne Dienst mit der Waffe.“16

Vor allem in der Generation der in den neunziger Jahren des 19. Jahrhundert Geborenen, aber auch bei vielen Älteren wirkte der Weltkrieg so als eine Art Werbeveranstaltung für den Fußball. Dies sollte weitreichende Folgen für die Zeit nach 1918 haben. Zum einen sprengte die große Zahl sportfreudiger Kriegsheimkehrer, die nun in die Klubs, Vereine und auf die Zuschauertribünen drängten, die vorhandenen Kapazitäten, und die Wettkämpfe verloren den vor 1914 entwickelten elitären Charakter.

Zum anderen konnten viele der Kriegsheimkehrer, die im Krieg sportlich sozialisiert worden waren, das einmal angeeignete Sportverständnis nicht einfach ablegen wie ihre Uniform. Allerdings war als Folge der Vermischung sportlicher und soldatischer Verhaltensweisen in den Stadien ein bis dato nicht gekanntes Ausmaß an Fouls und Ruppigkeiten zu beobachten. Die Öffentlichkeit missverstand diese Entwicklung als Folge einer Proletarisierung, die indes auch jetzt nur sehr zögerlich erfolgte.17

Ob der Massencharakter des Spiels nun durch den Weltkrieg oder durch andere Faktoren gefördert wurde, seine Begleiterscheinungen waren überall die gleichen.

Es bildeten sich verschiedene Leistungsniveaus aus, und in den Metropolen bildeten sich rivalisierende Spitzenmannschaften. Diese wurden vom Publikum mit bestimmten ethnischen, konfessionellen und sozialen Kulturen identifiziert, ohne dass sich ihre soziale Basis unbedingt auf die entsprechenden Subkulturen beschränkt hätte. Nicht selten war es vielmehr so, dass solche symbolischen Konflikte oftmals erst durch das Spiel selbst geschürt, ja künstlich erzeugt wurden.

Weiterhin fanden nun auch jene Zeitgenossen Interesse am Fußball, die niemals selber aktiv gespielt hatten. Die Zuschauerzahlen stiegen in die Tausende und Zehntausende, und erstmals konnten auch Vereine außerhalb Englands mit regelmäßigen Einnahmen aus Eintrittsgeldern rechnen. Der Großteil der berühmten Fußballstadien Südamerikas und Europas (inkl. des legendären Londoner Wembley-Stadion) entstanden in dieser Boomphase nach dem ersten Weltkrieg.18

Dazu kam noch eine Intensivierung des Spielverkehrs in Kontinentaleuropa und Südamerika. Die Klubs luden ausländische Teams ein, um die großen Stadien zu füllen, oder gingen auf Auslandstournee, um die Hypotheken bezahlen zu können. Darüber hinaus wurden nun zunehmend internationale Turniere ins Leben gerufen. Die südamerikanischen Fußball-Länder, die sich bereits 1916 in einer Confederación Sudamericana de Fútbol (CONMEBOL) zusammengeschlossen hatten, spielten seit 1920 um einen Pokal und seit 1922 um die südamerikanische Meisterschaft. Auch in Europa organisierten nun einige Verliererstaaten des Weltkriegs, die von den Siegermächten boykottiert wurden und von den olympischen Spielen ausgeschlossen waren, internationale Fußballturniere der Vereinsmannschaften. So gab es seit 1927 den Mitropa-Cup und seit 1929 wurden der Balkan- und der Baltic-Cup ausgespielt.19

2. 4. Idealisten oder Profis?

Als Folge dieser Gegebenheiten wurde etwa seit der Mitte der zwanziger Jahre das Thema Berufsfußballer zunehmend diskutiert. Die Spitzenspieler sahen sich von ihren Vereinen immer stärker beansprucht und verlangten ihren Anteil an den Einnahmen. Dagegen beharrten die Klub- und Verbandsoffiziellen, im Allgemeinen Angehörige der Gründergeneration, auf dem Amateurprinzip. Begründet werden kann diese Einstellung der Offiziellen zum Teil mit finanziellen, zum Teil jedoch auch mit politischen Motiven. Fußballspieler, die als heldenhafte Vorbilder verkauft wurden, sollten zumindest pro forma Idealisten bleiben. Das Thema Professionalismus wurde international auch deshalb so kontrovers diskutiert, weil sich generelle Aussagen über die Natur der Sache nicht treffen ließen. In einigen Fällen, z.B. in Brasilien, war der Scheinamateurismus die Grundlage für Ausbeutungsverhältnisse. In anderen, so der Sowjetunion und in Deutschland, bot der vertragslose

Zustand den Spielern die Möglichkeit, ihre Marktchancen optimal auszunutzen.20

Der Durchbruch des Berufsfußballs, sei es auf einer offenen kommerziellen Basis, sei es verdeckt als Staatsamateurismus wie in der Sowjetunion, erfolgte in den meisten europäischen Ländern Anfang der dreißiger Jahre, also rund 40 Jahre später als im „Mutterland“ England. In Deutschland kam eine 1932 beschlossene Reichsliga wegen der nationalsozialistischen Machtübernahme nicht zustande. Erst die Gründung der Bundesliga im Jahr 1963 holte diesen Schritt nach.21

Ein Impuls ging dabei von der Weltwirtschaftskrise und der damit verbundenen Arbeitslosigkeit aus, durch die viele europäische Spieler in die Situation kamen, dass sie ihre Existenz vollständig aus dem „illegalen“ Fußballeinkommen bestreiten mussten. Ein weiterer Impuls war ein nach Differenzen mit dem IOC über den Amateurstatus gefasster Beschluss de FIFA aus dem Jahr 1930, kurzfristig eine Fußball-Weltmeisterschaft zu veranstalten.22

Bereits das erste Turnier dieser Art, welches noch im selben Jahr mit großem Aufwand von Uruguay ausgerichtet wurde, schlug auf die Fußballnationen durch, unabhängig davon, ob sie eine Mannschaft entsandt hatten oder nicht.

Die Weltmeisterschaft erweiterte den bis dahin auf Europa beschränkten internationalen Spielermarkt. So setzte, insbesondere in den kapitalschwachen südamerikanischen Ländern, ein Exodus an Spitzenspielern ein. Die Einführung des bezahlten Fußballs war dort nicht zuletzt eine Maßnahme um Stars im Land zu halten.23

Weiterhin stimulierte die Weltmeisterschaft erneut den sportlichen Nationalismus. Ähnlich wie in den Städten scheint es dabei auch auf dieser internationalen Ebene vergleichsweise unerheblich gewesen zu sein, ob den Rivalitäten reale politische Konflikte zugrunde lagen oder nicht. Allein der Wunsch, in der internationalen Konkurrenz zu bestehen, reichte aus, um das Interesse der Öffentlichkeit in den einzelnen Ländern zu wecken.

2. 5. Der Fußball entwickelt sich weiter

Die im Jahr 1904 gegründete FIFA war die Instanz, die den internationalen Spielverkehr und die Spielertransfers regulierte und überwachte. Seit 1930 veranstaltete die FIFA auch im Vierjahresrhythmus die Fußball- Weltmeisterschaft. Von Anfang an beanspruchte die FIFA ein Weltmonopol, blieb jedoch hinsichtlich der Zusammensetzung ihrer Führungsspitze und ihrer Politik zunächst eine von Europäern dominierte Organisation. Nach dem zweiten Weltkrieg sollte sich dies jedoch ändern, denn in Europa war der Spielbetrieb zwischen 1939 und 1945 zunehmend eingeschränkt worden und dann ganz zum Erliegen gekommen. Demgegenüber war die Entwicklung in vielen außereuropäischen Ländern kontinuierlich verlaufen, weil diese Länder entweder gar nicht am Weltkrieg teilgenommen hatten oder zumindest von Kampfhandlungen zuhause verschont geblieben waren. Dadurch gewann zunächst der südamerikanische Fußball an Gewicht, eine Entwicklung, die sich nicht nur auf dem Spielfeld zeigte, wo sich im Endspiel der WM 1950 Uruguay und Brasilien gegenüberstanden, sondern auch in der Sportpolitik.

In den Folgejahren nach dem 2. Weltkrieg war der Anteil der europäischen Fußballverbände an der Gesamtmitgliedschaft der FIFA von 54 auf 42 Prozent gesunken. Für die südamerikanischen Delegierten bei den Generalversammlungen war es daher ein Leichtes, die europäischen Delegierten zu majorisieren, zumal die CONMEBOL Blockabstimmungen organisierte. Nicht zuletzt aufgrund dieser Erfahrungen sahen sich führende europäische Fußballfunktionäre in der FIFA seit Anfang der fünfziger Jahre veranlasst, die Gründung einer eigenständigen Konföderation zur besseren Vertretung der europäischen Interessen in Erwägung zu ziehen. So entstand im Jahr 1955 die Union des Associations Européennes de Football (UEFA).24

Der europäische Fußball wurde nach 1945 natürlich auch durch den nun herrschenden kalten Krieg beeinflusst. Auf viele andere Sportarten hatte der Konflikt durchaus positive Effekte, da verstärkt staatliche Subventionen in den Sport flossen. Allerdings war dies im Fußball nicht der Fall. Die Verantwortlichen im Ostblock realisierten recht schnell, dass die Konkurrenz gegen die westlichen Profis mit Staatsamateuren nicht zu bestehen war. Dies führte dazu, dass talentierte Sportler eher in anderen Sportarten als dem Fußball untergebracht wurden.

Zu den Leidtragenden gehörte der bis dahin so erfolgreiche mitteleuropäische Fußball. Den Wiener Klubs kamen die Gegner in Ungarn, der Tschechoslowakei und Jugoslawien abhanden, und alle Versuche, den einst so beliebten Mitropa-Cup wieder zu beleben, scheiterten.

Erst Jahre später begann die UEFA ein neues, stärker westeuropäisch orientiertes Turnier zu organisieren. Ab 1955/1956 wurde der „Pokal der europäischen Meistervereine“ ausgespielt und seit 1960 der „Pokalsieger-

Pokal“, der 1971/1972 in den UEFA-Pokal überführt wurde. Für die Ländermannschaften wird seit 1968 im Vierjahresrhythmus die Europameisterschaft veranstaltet. Dazu kamen noch Turniere für die Jugendmannschaften.25

Auch mittel- und längerfristig sah sich der europäische Fußball durch die wachsende außereuropäische Konkurrenz immer wieder herausgefordert. Die europäische Sportpolitik der späten fünfziger und sechziger Jahre wurde insbesondere durch die Dekolonisierung Afrikas und Asiens stark beeinflusst, denn sie hatte zur Folge, dass eine Vielzahl neu entstandener Staaten in die FIFA drängten. Die meisten dieser Newcomer waren in Afrika beheimatet. Allein 31 von 43 neuen FIFA-Mitgliedern, die dem Weltfußballverband zwischen 1957 und 1967 beitraten, repräsentierten diesen Kontinent.26

Doch hinter den wenigsten Mitgliedsverbänden standen „Fußballnationen“. Zwar hatten die europäischen Kolonialherrscher in den größeren Städten Asiens und Afrikas bereits Klubs und Turniere ins Leben gerufen, so dass die Aktivisten nicht „bei null“ anfangen mussten, jedoch bedeuteten die übergroße Armut, die unzureichende Infrastruktur und die instabilen politischen Verhältnisse in vielen Fällen unüberwindliche Hindernisse für einen geregelten Spielbetrieb.27

Als die FIFA 1970 eine Erhebung unter ihren Mitgliedern durchführte, ergab sich ein ernüchterndes Bild. Obwohl die 1957 gegründete Conféderation Africaine de Football (CAF) mittlerweile 28 Prozent aller registrierten Fußballverbände umfasste, entfielen auf sie nur 3 Prozent der Teams und Spieler. Ein ähnlich ernüchternder Befund ergab sich für die Asian Football Confederation (AFC). Die Statistiken der karibischen und ozeanischen Verbände vermittelten ebenfalls den Eindruck, dass die Repräsentanten des Fußballs aus diesen Regionen der Welt zwar über Enthusiasmus, nicht jedoch über eine solide Basis verfügten.28

2. 6. Die Fifa wird ein weltweites Unternehmen

Da in der FIFA nach dem Prinzip „One Country – One vote“ abgestimmt wird, führte die Dekolonialisierung zu erneuten politischen Kräfteverschiebungen bei den Generalversammlungen und zu Konflikten, da die Haupteinnahmen der FIFA aus Europa stammten. 1974 schließlich wurde ein Nichteuropäer, der brasilianische Unternehmer Joao Havelange zum FIFA-Präsidenten gewählt. Er konnte die Wahl nur gewinnen, weil er die Stimmen der dritten Welt bekam, die mit seinem Vorgänger, dem Briten Sir Stanley Rous nicht zufrieden gewesen waren. Rous hatte für die Probleme der Dritte-Welt Länder nicht sonderlich viel Verständnis aufgebracht und manchmal sogar eine Kolonialherrscher-Attitüde an den Tag gelegt.29

Mit Havelange begannen neue Zeiten in der FIFA. Er verfolgte konsequent eine Politik der Kommerzialisierung des World Cup und erschloss der FIFA ganz neue Einkommensquellen aus Sponsoring, Werbung und dem Verkauf von Fernsehrechten. Einen erheblichen Anteil der so gewonnen Millionen wurde durch seine Initiative in Entwicklungshilfeprogramme für den Fußball in der dritten Welt verwandt. Bislang hatte die FIFA außerhalb Europas nicht viel für den Fußball getan, jetzt wurden Trainerakademien, sportmedizinische Kurse sowie administrative Unterstützung für bedürftige Mitgliedsländer organisiert. Mit Hilfe von großen, liquiden Sponsoren wie Coca-Cola und Adidas wurden als Teil dieser Entwicklungshilfe Weltmeisterschaften für Jugendmannschaften der unter 21- bzw. unter 17- Jährigen ausgetragen. Diese wurden gezielt an afrikanische, asiatische, karibische und südamerikanische Länder vergeben, um die Fußballpopularität dort zu steigern.30

Im Jahr 1982 wurde die Anzahl der teilnehmenden Mannschaften an der Endrunde der FIFA-Weltmeisterschaft von 16 auf 24 erhöht, so bekamen die Asiaten und Afrikaner erstmals feste Kontingente. Bis dahin hatte jedes

Mal ein Play-off zwischen den Siegern der beiden Kontinente darüber entscheiden müssen, wer teilnehmen durfte und von der Umverteilung der World-Cup-Einnahmen durch die FIFA profitieren würde.31

Havelanges Nachfolger, der Schweizer Joseph S. Blatter, führt die Entwicklungspolitik der FIFA seit 1998 in noch größerem Maß fort. Dies liegt begründet in der stetig wachsenden Rentabilität des Geschäfts mit dem Fußball. Die Einnahmen aus dem Verkauf von Fernsehrechten wuchsen in den letzten Jahren in die Milliarden. Blatter war als Technischer Direktor und Generalsekretär der FIFA bereits zwanzig Jahre lang mit der Implementierung der Entwicklungshilfeprogramme befasst gewesen, bevor er zum FIFA –Präsidenten gewählt wurde. Von Anfang an stand er für eine ausgesprochen globale Politik, womit er sich insbesondere in der UEFA auch Feinde machte. Mancher FIFA Kongress der letzten Jahre wurde geprägt von an Blatters Person entzündeten Konflikten. Zumeist ging es bei diesen Konflikten um differierende europäische und außereuropäische Interessen. Blatter konnte sich jedoch in den letzten Jahren seiner Position recht sicher sein, weil er nicht zuletzt die afrikanischen Länder, deren Gunst er sich immer wieder neu versichert hatte, hinter sich wusste.32

Auch die klassischen Fußballnationen Europas und Südamerikas erfuhren seit den sechziger und siebziger Jahren gründliche Veränderungen. Insbesondere die Medienpräsenz seit Mitte der achtziger Jahre und die damit einhergehende Kommerzialisierung des Spielbetriebs zeigten rasch Wirkung.

Als entscheidenste Neuerung gegenüber den vorhergehenden Jahrzehnten kann die Umstrukturierung der Finanzierungsbasis des Spitzenfußballs angesehen werden. Die großen Klubs beziehen heute nur noch einen kleinen Teil ihrer Einnahmen aus dem Verkauf von Eintrittskarten und sichern ihre Existenz zunehmend durch den Verkauf von Fernsehrechten sowie durch „Merchandising“, also die Vergabe von Logos gegen Lizenzgebühr. Als

Folge des Eindringens von Marktprinzipien sind Höchstgehälter und Transferregelungen gestrichen worden und der Kartellcharakter der Ligen ist weitgehend verloren gegangen.33

Der Beruf des Fußballspielers hat eine ganz neue Qualität erhalten. Erhielten die Spieler in den Anfängen des Profifußball noch kleine finanzielle Unterstützungen, um ihre Familien ernähren zu können , da sie keine Zeit hatten einer „richtigen“ Arbeit nachzugehen, so sind sie heute Unternehmer in eigener Sache. Zusammen mit den Klubs verkaufen sie Erlebnisse und werden so zu Akteuren des Showbusiness.34

2. 7. Entwicklung des Fußballs zum Volkssport Nummer eins in der BRD

Während in England der Fußball am Ende des 19. Jahrhunderts auf einen nahezu unbesetzten Sportraum traf, musste er in Deutschland um seine gesellschaftliche Anerkennung ringen. Der Fußball hatte es in seinen Ursprüngen aus mehreren Gründen besonders schwer, sich in Deutschland zu etablieren.

- Zum einen sahen sich die Fußballer immer wieder Anfeindungen ausgesetzt, weil sie etwas „Undeutsches“ betrieben und nachahmten, was Engländer erfunden hatten.35
- Zum anderen hatte sich im deutschen Kulturraum mit dem Turnen bereits eine Sportart als „nationaler Sport“ etabliert und duldete schon gar keine ausländische Konkurrenz neben sich.36

Die deutsche Turnerschaft war eng verbunden mit dem Nationalismus. Folglich betrachteten die Turner den Fußballsport als „undeutsche“, importierte Modetorheit, deren Verbreitung es mit allen Mitteln zu begegnen galt. Typischerweise erfuhr der Fußball eine ideologisierte

Ablehnung in so genannten Kampfschriften. So veröffentlichte der prominente Turnführer Karl Planck unter dem Titel „Füßlümmelei, Über Strauchballspiel und englische Krankheit“ eine Hetztirade gegen den Fußball, in der er den Fußball, wie auch die dort durchgeführten Bewegungen als hässlich bezeichnete und die Spieler mit Affen verglich.37

Maßgeblich an der Verbreitung des Fußballspiels in Deutschland beteiligt war der Turnlehrer Konrad Koch, der das „englische“ Spiel 1874 als Schulspiel am Braunschweiger Martino-Katharineum-Gymnasium einführte. Dort gründete er auch den ersten Fußballverein auf deutschem Boden, den „Schüler Fußballklub“.38 Die Durchsetzung des Fußballs in Deutschland wurde möglich durch die Etablierung in höheren Schulen und Gymnasien. Diese Etablierung ging jedoch zunächst recht langsam vonstatten. Denn anfangs teilte nur eine kleine Minderheit der Schulleitungen Kochs pädagogisches Konzept, in dem der Fußball eine zentrale Rolle spielte. Für Kochs pädagogisches Verständnis erschien das Fußballspiel weitaus tauglicher für den Schulsport als das autoritäre und militärische Turnen. Das Fußballspiel zeichnete sich gegenüber dem Turnen dadurch aus, dass es den Schüler als Fußballspieler zum selbstständigen, den Umständen des Spiels angemessenen Urteilen und Handeln anhielt. Auf der anderen Seite wurde demgegenüber den Schülern beim Turnen, anders als beim Fußball, durch den Turnlehrer oder Vorturner ein fremder Wille diktiert. Genau diese Gründe waren der fruchtbare Boden, der es dem Nationalsozialismus sehr einfach machte, die dahinter stehende Philosophie für ihre Zwecke ideologisch und politisch zu vereinnahmen. In der Regel wurde Kochs pädagogisches Konzept von den Schulleitungen untersagt.39

Hinzu kam der bereits erwähnte Widerstand der Turnvereinigungen gegen den Ballsport. Erst in den Jahren vor dem ersten Weltkrieg errang das Fußballspiel gesellschaftliche Anerkennung, als sich Mitglieder führender Dynastien öffentlich zu ihm bekannten.

Die frühen Kicker lehnten sich an studentische Bräuche an, kleideten sich in Farben wie schlagende Verbindungen und legten sich lateinisierte Namen zu, wie etwa „Borussia“, „Fortuna“ oder „Alemania“, die bis heute keinen schlechten Klang im Fußballsport haben. Bei einem „Fußball-Kommers“ hatten die Herren Fußballer in tadelloser Form und unter Einhaltung des akademischen Viertels anzutreten. Nach dem Wettkampf sang man gemeinsam nach der Melodie eines Burschenliedes die Hymne „O wonnevolles Fußballspiel“. Dann wurde gezecht (womit vielleicht die Herkunft des bis heute anzutreffenden exzessiven Bierkonsums unter Spielern und Zuschauern zu erklären ist), „mancher herrlicher Salamander getrieben“ und viele Hochs auf das Kaiserhaus ertönten. Zu dieser Zeit hieß der Mannschaftskapitän einer Fußballmannschaft noch „Spielkaiser“.40

Zunächst waren die deutschen Fußballer im 1891 gegründeten „Deutschen Fußball und Cricket-Bund“ organisiert. Auch die enge Verflechtung mit dem Cricketspiel untermauert, wo der Fußball damals gesellschaftlich aufgehoben war. Am 28. Januar 1900 wurde in Leipzig schließlich in Anwesenheit der Vertreter von 86 Vereinen die Gründung des „Deutschen Fußball Bundes“ (DFB) vollzogen.41

Am sozialen Charakter des Fußballsports in Deutschland änderte sich durch diese Trennung vom Cricket jedoch zunächst nichts. Der Fußball war zu dieser Zeit ein exklusives Freizeitvergnügen von Angehörigen des bürgerlichen Milieus und noch weit entfernt vom Status einer Volkssportart. Viele Fußballvereine nahmen bis in die zwanziger Jahre des zwanzigsten Jahrhunderts hinein nur Mitglieder mit höherer Schulbildung auf.42

Diesen elitären Charakter konnte sich der Fußball nicht lange bewahren. Sein martialischer Jargon mit „Schuss“, „Angriff“, „Verteidigung“,

„Kämpfen bis zum Umfallen“ usw. lenkte die Aufmerksamkeit der Militärs auf den Fußballsport, zumal die „neue Kriegsführung“ weniger den mechanischen Turnergehorsam als vielmehr selbstständiges Rennen und Schiessen, also echte Fußballertugenden, erforderte.43

Die Marine machte 1908 den Anfang und ließ Schiffsjungen und andere niedere Chargen um die Meisterschaft der Geschwader sowie um den von Prinz Heinrich gestifteten „Deutschlandschild“ spielen. 1910 wurde Fußball dann in den Ausbildungsplänen der Armee verankert.

Mit der Durchmischung der Klassen in den Gräben des ersten Weltkrieges begann Fußball auch bei der Arbeiterschaft beliebt zu werden. Parallel zu England war auch in Deutschland die Arbeitszeitverkürzung nach dem ersten Weltkrieg ein weiterer Katalysator des Fußballsports in Deutschland. Im November 1918 ordnete das Reichsamt für wirtschaftliche Demobilmachung an, dass die reguläre tägliche Arbeitszeit acht Stunden nicht überschreiten dürfe. Mit der Arbeitszeitverordnung vom 21. Dezember

1923 fand der Achtstundentag auch Einzug in die ordentliche Gesetzgebung.44

Nach 1918 verzeichnete der DFB trotz hoher Verluste an jungen Männern durch Kriegsgefallene enorme Zuwachszahlen. Jedoch überschritt man erst 1931 die Millionengrenze. Trotz des beginnenden Kultes um proletarische Fußballhelden, wie etwa die Schalker Kuzorra und Szepan, waren unter den deutschen Nationalspielern der zwanziger Jahre nur fünfzehn, ein Jahrzehnt später dreißig Prozent Arbeiter.45

Dem Wettkampfspiel Fußball war sozusagen von Natur aus der bürgerliche Konkurrenzgedanke immanent. Da überrascht es nicht, dass von linken Theoretikern geargwöhnt wurde, Fußball fördere die Verbürgerlichung des Proletariats, ein Arbeiterfußballer entwickele sich zielstrebig zum Halbrechten.46

Der endgültige Durchbruch des Fußballs zum Volkssport Nummer eins ist nach Meinung vieler Fußballhistoriker, und dieser Meinung will ich mich hier anschließen, untrennbar mit dem Gewinn der Fußball- Weltmeisterschaft 1954 in der Schweiz, dem so genannten „Wunder von Bern“ verbunden.

Anfangs hatte die deutsche Bevölkerung diesem Turnier, der ersten Weltmeisterschaft mit deutscher Beteilung seit dem verlorenen zweiten Weltkrieg, keine große Bedeutung zugemessen. Die übereinstimmenden Kommentare in sämtlichen großen Zeitungen des Landes, so sie denn die Berichterstattung überhaupt für nötig hielten, waren im Wesentlichen nicht durch Sachkenntnis gekennzeichnet, Fußball war zu Beginn der WM eine Nebensache.

Als die deutsche Mannschaft dann überraschend ins Halbfinale und schließlich ins Finale vordrang, war das Interesse der deutschen Bevölkerung ungemein gewachsen. Der Sieg im Endspiel dieser Fußball- Weltmeisterschaft gegen die favorisierten Ungarn löste neun Jahre nach der Kapitulation eine bis dahin noch nie da gewesene Masseneuphorie um den Fußball in Deutschland aus.

Zum ersten Mal nach dem Krieg wagten die Deutschen den kollektiven Blick in den Spiegel und verschafften sich, zwischen Selbsterkenntnis und Selbstgefallen, mit dem makellosen Sieg ihrer Mannschaft den Beweis ihrer Vollwertigkeit im Kreis der Nationen. Die Spieler wurden in Presse und Bildmedien als Helden emporgehoben. Ihre auf dem Spielfeld gezeigten Tugenden und Wertvorstellungen stammten doch unmittelbar von den

Arbeitsplätzen und Betrieben.47

Den endgültigen Aufstieg zum Volkssport Nummer eins verdankt der deutsche Fußball ganz gewiss diesem Erlebnis des emotionalen Zusammenschweißens und der symbolischen Rehabilitation der Bundesrepublik durch die deutschen Außenseiter, um Bundestrainer Sepp Herberger und seinen legendären Kapitän Fritz Walter.

3. Fußball und Medien

Das Fernsehen hat den Fußball wie kein anderes Medium verändert. Erst das Fernsehen machte eine Verbreitung des Fußballs in allen Bevölkerungsschichten möglich. So war es dem ursprünglichen Arbeitersport schnell möglich, auch den Rest der Bevölkerung zu erfassen und zum sportlichen Event Nummer 1 in der Bundesrepublik zu avancieren. Ein wichtiger Faktor war hier sicherlich die Dramaturgie der Fernsehübertragungen. Wie beliebt der Fernsehfußball bei Menschen auf der ganzen Welt seit Jahren ist, zeigt eine Zahl aus dem Jahr 1994. Die WM in den Vereinigten Staaten von Amerika mit ihren 52 Spielen erlebten weltweit 32 Milliarden Fernsehzuschauer auf ihren Bildschirmen. Das Finale sahen weltweit 3 Milliarden Menschen zeitgleich in 185 Ländern.48

Hier stellt sich doch die Frage, warum gehen alle diese Zuschauer nicht in ein Stadion wenn sie ein Spiel sehen wollen? Was macht den Fußball im Fernsehen derart beliebt? Die zwei einfachsten Erklärungen sind zum einen die räumliche Überbrückung des Fernsehens und zum anderen die mangelnde Kapazität der Stadien. Es ist dem Fernsehzuschauer möglich, sich Spiele aus der ganzen Welt auf den Schirm zu holen, und das mittlerweile nahezu jeden Tag der Woche.

Aber diese beiden leicht nachvollziehbaren Argumente allein reichen als Erklärung für die Faszination Fernsehfußball nicht aus. Denn der Fernsehzuschauer zuhause sieht ein ganz anderes Spiel als der Zuschauer im Stadion. Gert Hortleder hat im Zusammenhang von Live-Übertragungen eines Fußballspiels von der „Verbesserung des Originals durch die Kopie“ gesprochen.49 Durch die vielen Kameras und Mikrofone, die rund um das

Spielfeld angebracht sind, ist die Aufzeichnung bzw. Übertragung des Spiels der individuellen Wahrnehmung des am Ereignis teilnehmenden Zuschauers überlegen. Doch dazu in den folgenden Abschnitten mehr.

3. 1. Entwicklung der Fußballberichterstattung

Bereits einen Tag nach der Einführung des Fernsehens in Deutschland begann die Symbiose zwischen Fernsehen und Fußball. Am ersten Weihnachtsfeiertag des Jahres 1952 wurden die ersten beiden Partien live ausgestrahlt. Da ein gemeinsames Programm der Sendeanstalten Berlin, Köln und Hamburg erst ab dem 1.1.1953 möglich war, übertrug der Sender Köln die Partie FC Köln gegen Roter Stern Belgrad und der Sender Hamburg das Spiel St. Pauli gegen Hamborn 07.50

Obwohl die Verbreitung der Fernseher in der Anfangszeit noch sehr gering war und sich hauptsächlich auf Geräte in Gaststätten beschränkte, erfreuten sich die Fußballübertragungen einer großen Beliebtheit bei den Zuschauern. Die Programmverantwortlichen in den Sendeanstalten hatten jedoch zunächst Probleme mit Sport im Fernsehen.

„Doch wurde der Sport in vielen der oberen Programmetagen noch nicht als so wichtig erkannt und als billiges Volksvergnügen eingestuft. Fernsehen galt als Kulturinstrument, und Fernsehspiele waren den damaligen Verantwortlichen wichtiger. Die meisten Chefkameramänner waren sich für Fußballübertragungen zu vornehm. Außerdem saßen sportfremde Regisseure an den Regiepulten, darunter Assistenten von Gründgens und

Brecht. Der Sport führte zunächst eine Rand- und Kümmerexistenz.“51

Zwar wurden die Fernsehübertragungen des Fußballs zumeist von der zweiten Garde des Personals der Sendeanstalten organisiert, aber innerhalb des Fernsehprogramms wurde der Fußball nicht an den Rand gedrängt. Jeden Sonntag wurde ein Spiel aus einer der Oberligen übertragen. Die Vereine erhielten dafür eine Gage zwischen 1000,- und 2500,- DM pro Spiel, was selbst für damalige Verhältnisse wenig Geld war. Die Fernsehübertragungen konnten von den Vereinen mit gutem Gewissen außer Acht gelassen werden, stellten sie doch ob der geringen Anzahl an Fernsehgeräten weder eine Gefahr dar in Bezug auf die Anzahl der

Besucher im Stadion, noch waren sie ein lukratives Geschäft.52

Mit der Übertragung der Fußballweltmeisterschaft 1954 aus der Schweiz wurde der Fußball im Fernsehen populär. In dieser Zeit wurden zweihundert Prozent mehr TV-Sendeempfänger gekauft als zuvor. Ein „Run“ auf die Geräte räumte die gesamten Lagerbestände. Der Hörfunk war zwar noch immer populärer als das Fernsehen, aber im Fernsehprogramm machte der Sport mittlerweile dreißig Prozent aus.53

Das Zuschauerinteresse war enorm. Ca. 90 Millionen Zuschauer an vier Millionen Übertragungsgeräten verfolgten die Fußballspiele. Zehn bis zwanzig Personen pro Empfänger in Privathaushalten und sechzig bis siebzig Personen in Gaststätten und sonstigen öffentlichen Stellen wurden als Maßstab angelegt.54

In den folgenden zwei Jahren stieg die Anzahl der Fernsehhaushalte von 11.600 Haushalten im Januar 1954 auf 283.800 im Januar 1956. Fußball im Fernsehen war in dieser Zeit, genauso wie in den „Berliner Fernsehstuben“ zu Zeiten der olympischen Spiele 1936 in Berlin, ein Gemeinschaftserlebnis, das jetzt vor allem in geselliger Runde in Gaststätten stattfand. Mitte 1954 gab es in Deutschland ungefähr 27.000 Empfangsgeräte, so dass man trotzdem selbst bei großzügiger Schätzung von nicht mehr als einer bis anderthalb Millionen Zuschauern ausgehen kann. Der Großteil der Bundesbürger verfolgte das Finale an den Radiogeräten und sah die bewegten Bilder erst einige Tage später in der

Kinowochenschau.55

Diese Kombination der Rundfunkreportage Herbert Zimmermanns und der Filmbilder war es auch, die, künstlich geschaffen, wesentlich zur Erzeugung des Mythos „Das Wunder von Bern“ beigetragen hat. Vor allem im Fernsehen wird diese Collage, die es so damals nicht gab, immer wieder präsentiert, da andere Aufzeichnungen schlicht nicht vorhanden sind.56 Selbst wenn die WM aus technischen Gründen vor allen ein Radioereignis war, so brachte sie doch den Durchbruch für das neue Medium Fernsehen. Im Anschluss an die WM erlebten sowohl das Fernsehen als auch der Fußball einen Boom.

Den ersten Fußball Formaten im deutschen Fernsehen fehlte freilich noch das publizistisch-programmliche Konzept, das sie heute ausmacht, dennoch begann sich in jenen Sendungen eine neue publizistische Form der Sportberichterstattung zu entwickeln.57

Die „Sportschau“ leitete eine Trendwende in der Fußballberichterstattung ein. Im Sportalltag verdrängten bearbeitete Berichte immer mehr die zunächst noch dominierenden Live-Übertragungen.58

Am eigentlichen Konzept der „Sportschau“ hat sich bis heute nichts Grundlegendes verändert. Lediglich der Sendeplatz und die Sendezeit wurden gelegentlich den jeweiligen Bedürfnissen und vertraglichen Verpflichtungen angepasst. Ebenso konnte oder wollte man die enorme Sportartenvielfalt der ersten Jahre nicht aufrechterhalten.

1963 wurden der „Deutsche Fußballbund“ und das „Zweite Deutsche Fernsehen“ (ZDF) gegründet. Das ZDF trat mit den beiden Sportsendungen

„Der Sportspiegel“ und „Das aktuelle Sportstudio“ in Erscheinung. „Der Sportspiegel“ sollte helfen, mit anspruchsvollen Dokumentationen den Sport gesellschaftsfähig zu machen.59 „Der Sportspiegel“ wurde zunächst dienstags ausgestrahlt, wodurch er von dem Sportgeschehen am Wochenende deutlich abgegrenzt wurde.

Ab August 1963 wurde „Das aktuelle Sportstudio“ jeden Samstag ausgestrahlt. Diese weltweit erste Sendung dieser Art entwickelte sich rasch zum Aushängeschild des ZDF. „Dieser erstmalige Versuch, das Medium Fernsehen und das Phänomen Sport in einer Weise darzubieten, die nicht nur Experten und Sportfans begeisterte, sondern, der Sendezeit am Samstag angepasst, Sport in unterhaltender Form zu präsentieren, so dass auch Laien und sportuninteressierte Zuschauer am Bildschirm blieben, sollte sich zum publizistischen Knaller entwickeln.“60

Trotz des Namens hatte dieses Fußballformat des ZDF ein Aktualitätsdefizit. Die Ergebnisse der meisten Sportereignisse waren bereits bekannt, über viele wurde bereits bei der ARD berichtet. Natürlich muss man hier im Hinterkopf behalten, dass es zu dieser Zeit noch nicht annähernd so viele Sender gab wie heutzutage, die Programmauswahl war sehr beschränkt. Trotzdem machte sich „Das aktuelle Sportstudio“ diesen Nachteil zunutze, indem es die Schwerpunkte etwas anders legte. Da man mehr Zeit hatte bis zur Ausstrahlung, nutzte man diese bestmöglich. In Verbindung mit einem Studiogast analysierte man die Sportereignisse anstatt lediglich Ergebnisse zu verkünden. Durch viele Elemente, wie die Studiouhr, das Publikum, sichtbare Fernsehtechnik, Liveschaltungen, Studiogäste und nicht zuletzt dem Schießen auf die Torwand, wurde der Live-Charakter unterstrichen und das ZDF seinem Aktualitätsanspruch mehr als gerecht.61

„Das aktuelle Sportstudio“ baute die Sportereignisse in die Dramaturgie der Sendung ein, anstatt sich nach der Dramaturgie der Sportereignisse zu richten. Als Moderatoren wurden hier mehr Showmaster als Sportreporter eingesetzt, wie z.B. Wim Thoelke.

„Bereits durch diese Form soll ein eigener Spannungsbogen erzeugt werden. Der Aktualitätsverlust gegenüber der ARD soll durch die Live-Atmosphäre aus dem Studio kompensiert werden. (…) Die Live-Berichterstattung ist eigentlich die Präsentation des Studios mit den Studiogästen, den Zuschauern und dem Moderator, aber nicht die Berichterstattung der

Sportereignisse.“62

Diese Symbiose zwischen Fernsehen und Fußball sorgte jedoch auf jeden Fall auch für eine Etablierung der Bundesliga.

3. 2. Vom Traditionsverein zum Wirtschaftsunternehmen

Anfang der sechziger Jahre hatte sich die Schere zwischen dem, was für einen talentierten Fußballspieler hierzulande und im Ausland zu verdienen war, so weit aufgetan, das „Taschengeld“ und gute Worte nicht mehr ausreichten, die Leistungsträger zu halten. Bauplätze oder wenigstens zinslose Darlehen für Eigenheime neben beträchtlichen Geldzuwendungen

„unter der Hand“, die im Gegensatz zum Durchschnittsverdienst eines Bundesbürgers zu der Zeit enorm ausfielen, waren bei den reicheren Vereinen längst an der Tagesordnung.63

Der Fußball selbst hatte sich von seiner Sozialentwicklung her noch nicht an die neuen Medienstrukturen angepasst. Mit seiner Verwurzelung und in seiner Zuschauerstruktur war er im Prinzip immer noch Teil der Arbeiterkultur, während sich die Spieler immer mehr von diesem Milieu entfernten. Der DFB beharrte zwar weiterhin auf dem 1951 eingeführten Amateurstatus und lehnte das Profitum kategorisch ab, die Realität sah jedoch anders aus. Die Besten unter Deutschlands Fußballern, wie Karl- Heinz Schnellinger, Sportler des Jahres 1962, oder Helmut Haller, empfanden es inzwischen nicht mehr als ehrenrührig, ihr Geld in ausländischen Profiligen zu verdienen. Um Deutschland herum, so in den Niederlanden, England, Frankreich, Italien oder Spanien, waren schon in den frühen Nachkriegsjahren nationale Profiligen eingeführt worden.64

Die vielen Vereinswechsel der Spieler zwischen den Saisons sowie die Entwicklung vom traditionellen Stadtteilverein hin zum Großstadtclub führten nach und nach zu einer Entfremdung zwischen Aktiven und Zuschauern. Zwischen 1965 und 1973 befand sich der deutsche Fußball in einer Phase des Umbruchs. Auf der einen Seite gab es, vor allem im Ruhrgebiet mit seinen Scharen von Arbeitern, Vereine, die auf Grund ihrer Geschichte im Arbeitermilieu verwurzelt waren, oder Spieler, die ihrem Verein die Treue hielten und so zur Identifikation geeignet waren. Auf der anderen Seite aber war der Fußball auch zu einem Geschäft geworden, und es etablierte sich immer mehr das Bild des „abgezockten“ Profis, der nur auf seinen finanziellen Vorteil aus war.

In der Folge spielten sich während des ganzen Jahrzehnts zum Teil listig geführte Grabenkämpfe zwischen denen ab, die direkt oder indirekt vom Spielgeschehen profitierten, wie Trainer, Spieler, Vereine und deren

Sponsoren und diejenigen, welche „das Produkt“ Fußball über die engen Stadiongrenzen hinaus in die Öffentlichkeit transportierten wie die Fernsehanstalten, die ihnen zuarbeitenden Journalisten oder der DFB selbst. Je stärker von ökonomischer Seite der Druck auf die Attraktion Fußball wurde, desto schwieriger gestaltete sich für die öffentlich rechtlichen Medien der Abwehrkampf.65

Höhepunkt dieser Entwicklung war der Bundesligaskandal der Saison 1970/1971. Am Ende der Saison wurde bekannt, dass insgesamt über eine Million DM Bestechungsgelder für die Verschiebung von Spielen gezahlt worden waren. Der Zwangsabstieg von zwei Vereinen, die Bestrafung von fünfzig Spielern, Trainern und Funktionären, vor allem aber ein massiver Zuschauereinbruch waren die Folge.66

Die Berichterstattung von den Höhepunkten des Bundesligaskandals und dessen juristisches Nachspiel war Ausdruck für die große Bedeutung, die dem Fußball weiterhin zugemessen wurde. Trotz dieser Krisen war zwar ein Zuschauerrückgang in den Stadien zu verzeichnen, aber keiner an den Fernsehgeräten.67

3. 3. Die moderne Berichterstattung

Die neuere Berichterstattung änderte zunächst jedoch nicht nur die Sichtweise der Zuschauer, sondern auch das Spiel selbst, das in seiner damaligen Form über Jahrhunderte gewachsen war. Das Fernsehen berichtete jetzt nicht mehr über den Fußball, es inszenierte ihn vielmehr nach seinen eigenen Regeln. Diese Entwicklung begann mit der Ablösung der altehrwürdigen „ARD-Sportschau“ durch „Anpfiff“ von RTL im Jahre 1988. Allerdings waren die Luxemburger Fernsehmacher noch nicht wirklich in der Lage aus dem Schatten der „Sportschau“ zu treten. Dies geschah erst, als die beiden Medienmogule Kirch und Springer die

„Internationale Sportrechte Verwertungsgesellschaft“ (ISPR) gründeten.68

Noch im selben Jahr kaufte die ISPR die Fernsehrechte für die Übertragung der Fußball-Bundesliga auf fünf Jahre für 700 Millionen. Zur gleichen Zeit startete SAT 1 mit der Sendung „Ran“.69

Die „öffentlich-rechtlichen“ Sender zahlten weitere 55 Millionen DM für die Zweitverwertung der Senderechte, womit sie die Grundversorgung gewährleisteten.

Sat 1 und der Sportchef des Senders, Reinhold Beckmann, revolutionierten in den nächsten Jahren die Fußballberichterstattung und verhalfen der Bundesliga so zu einem Boom, der natürlich auch im sportlichen Erfolg des deutschen Fußballs zu dieser Zeit begründet lag. In Italien war Deutschland 1990 Fußball-Weltmeister geworden. Die Wiedervereinigung hatte statt gefunden und es wurde erstmals wieder ein gesamtdeutscher Fußballmeister ausgespielt. Die enorm gestiegenen Zahlungen der Sendeanstalten für die Rechte an der „Ware Fußball“ und die enorme Medienpräsenz der Vereine sorgten natürlich auch für ständig steigende Werbeeinahmen der Vereine.

Zahlreiche Kritiker bezweifeln, dass diese Entwicklung ausschließlich positiver Natur war. So nannte Christoph Biermann einen zentralen Aspekt der „neuen“ Elemente innerhalb der „ran“ Berichterstattung: „Das Konzept von „ran“ beruhte erklärtermaßen von Anfang an darauf, ein jüngeres Publikum und vermehrt Frauen anzusprechen. Diesen Anspruch versuchte man durch größeren technischen Aufwand und damit aufregenderen Bildern sowie eine leichtere, boulevardeske Berichterstattung einzulösen. Die muffige Spießigkeit der Berichterstattung in der „Sportschau“ ersetzte „ran“ durch aufgesetzte Lässigkeit.“70

Trotz anfänglicher Skepsis seitens der Zuschauer gelang es SAT.1 innerhalb weniger Spielzeiten sich zu etablieren, was durch ständig anwachsende Einschaltquoten belegt werden konnte. Man setzte Leitbilder für alle anderen Sender in Bezug auf die Berichterstattung.

[...]


1 Goulstone, John; Football’s Secret History; London 2001

2 Eisenberg, Christiane; Fußball als globales Phänomen – Historische Perspektiven, S. 7

3 Eisenberg, Christiane; Fußball als globales Phänomen – Historische Perspektiven, S. 8

4 Huba, Karl-Heinz; Fußball Weltgeschichte 1846 bis heute, S. 28

5 Eisenberg, Christiane; Fußball als globales Phänomen – Historische Perspektiven, S. 8

6 Huba, Karl-Heinz; Fußball Weltgeschichte 1846 bis heute, S. 28

7 ebenda, S. 29

8 ebenda, S. 29

9 Zahlen nach Vamplew, Wray; Pay up and Play the Game. Professional Sport in Britain 1875-1914, Cambridge 1988, S. 62

10 Mason, Tony; Some Englishmen and Scotsmen abroad: The Spread of World Football; S.68

11 Mason, Tony; Some Englishmen and Scotsmen abroad: The Spread of World Football; S.69f.

12 Eisenberg, Christiane; Fußball als globales Phänomen – Historische Perspektiven, S. 9

13 Mason, Tony; Some Englishmen and Scotsmen abroad: The Spread of World Football; S.70 8

14 Eisenberg, Christiane; Fußball als globales Phänomen – Historische Perspektiven, S. 10

15 ebenda, S. 10 9

16 Maercker, Georg; Vom Kaiserheer zur Reichswehr; S. 309

17 Eisenberg, Christiane; Fußball als globales Phänomen – Historische Perspektiven, S. 11

18 Eisenberg, Christiane; Fußball als globales Phänomen – Historische Perspektiven, S. 11

18 Eisenberg, Christiane; Fußball als globales Phänomen – Historische Perspektiven, S. 11

20 Eisenberg, Christiane; Fußball als globales Phänomen – Historische Perspektiven, S. 11

21 Havemann, Nils; Fußball unterm Hakenkreuz, S. 90f.

22 Eisenberg, Christiane; Fußball als globales Phänomen – Historische Perspektiven, S. 12

23 Huba, Karl-Heinz; Fußball Weltgeschichte 1846 bis heute, S. 36

24 Huba, Karl-Heinz; Fußball Weltgeschichte 1846 bis heute, S. 37

25 Eisenberg, Christiane; Fußball als globales Phänomen – Historische Perspektiven, S. 13

26 ebenda, S. 13

27 Monnington, T.; Crisis Management in Black African Sport; S. 123f.

28 Huba, Karl-Heinz; Fußball Weltgeschichte 1846 bis heute, S. 37

29 Huba, Karl-Heinz; Fußball Weltgeschichte 1846 bis heute, S. 37

30 ebenda, S. 38

31 Eisenberg, Christiane; Fußball als globales Phänomen – Historische Perspektiven, S. 15

32 Huba, Karl-Heinz; Fußball Weltgeschichte 1846 bis heute, S. 38

33 Grüne, Hardy; 100 Jahre Deutsche Meisterschaft, S. 457f.

34 Eisenberg, Christiane; Fußball als globales Phänomen – Historische Perspektiven, S. 14

35 Schulze-Marmeling, Dietrich; Der gezähmte Fußball – Zur Geschichte eines subversiven Sports, S.64

36 ebenda, S.64

37 Aschenbeck, Arndt; Fans im Abseits, S. 14

38 Hoffmeister, Kurt; Ein Braunschweiger Lehrer als Begründer der Schulspiele in Deutschland, 1978; S. 35f.

39 Kirsch, Andreas; Gewalt bei sportlichen Veranstaltungen, S.68

40 Schulze-Marmeling, Dietrich; Der gezähmte Fußball – Zur Geschichte eines subversiven Sports, S.74

41 ebenda, S.74

42 ebenda, S.74

43 Aschenbeck, Arndt; Fans im Abseits, S. 14

44 Schulze-Marmeling, Dietrich; Der gezähmte Fußball – Zur Geschichte eines subversiven Sports, S.77

45 Hopf, W.; Fußball, Soziologie und Sozialgeschichte einer populären Sportart, S. 81ff.

46 Aschenbeck, Arndt; Fans im Abseits, S. 16

47 Eisenberg, Christiane; Fußball als globales Phänomen – Historische Perspektiven, S. 16

48 Aschenbeck, Arndt; Fans im Abseits, S. 19

49 Hortleder, Gert; Die Faszination des Fußballspiels, S.79

50 Hackforth, Josef; Sport im Fernsehen, S. 45

51 Seifart, Horst; Die Entwicklung des Fernsehbildes im Fußball; S. 290

52 Hackforth, Josef; Sport im Fernsehen, S, 46 und 286

53 Seifert, Horst; Die Entwicklung des Fernsehbildes im Fußball; S. 291

54 König, Thomas; Fankultur, S. 16

55 ebenda, S. 16

56 Schindelbeck, Dirk; Mittendrin statt nur dabei?, S. 16

57 Hackforth, Josef; Sport im Fernsehen, S. 54

58 ebenda, S. 63

59 König, Thomas; Fankultur, S. 17

60 Binnewies, Harald; Das „aktuelle Sportstudio“…lebt von seinen Menschen, S. 110

61 König, Thomas; Fankultur, S. 18

62 Binnewies, Harald; Das „aktuelle Sportstudio“…lebt von seinen Menschen, S. 96

63 Schindelbeck, Dirk; Mittendrin statt nur dabei?, S. 17

64 ebenda, S. 17

65 Schindelbeck, Dirk; Mittendrin statt nur dabei?, S. 18

66 Grüne, Hardy; 100 Jahre deutscher Liga, S. 165-190

67 König, Thomas; Fankultur, S. 19

68 Aschenbeck, Arndt, Fans im Abseits, S.23

69 König, Thomas; Fankultur, S. 20

70 Biermann, Christoph, Wenn du am Spieltag beerdigt wirst, kann ich nicht kommen, S.61

Ende der Leseprobe aus 179 Seiten

Details

Titel
Hooliganismus im Fußballsport - Entstehung, Merkmale und Lösungsansätze
Hochschule
Justus-Liebig-Universität Gießen  (Institut für Sportwissenschaften)
Note
2,0
Autor
Jahr
2007
Seiten
179
Katalognummer
V114130
ISBN (eBook)
9783640144921
ISBN (Buch)
9783640146116
Dateigröße
1141 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Hooliganismus, Fußballsport, Entstehung, Merkmale, Lösungsansätze
Arbeit zitieren
Tristan Lange (Autor:in), 2007, Hooliganismus im Fußballsport - Entstehung, Merkmale und Lösungsansätze, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/114130

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