Instabilität der internationalen Kapitalströme und die Währungspolitik in der Türkei


Bachelorarbeit, 2008

68 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Die Zahlungsbilanz
2.1 Der Aufbau der Zahlungsbilanz in der Türkei
2.2 Kapitalzuflüsse
2.2.1 Das Problem der Kapitalzuflüsse
2.2.2 Exzessive Kapitalzuflüsse

3. Währungs-/Wirtschaftskrise im Jahr 2001
3.1 Gründe für die Krise
3.2 Maßnahmen und Reformen nach der Krise

4. Geldpolitische Strategie der türkischen Zentralbank
4.1 Währungsreform
4.2 Geldund Wechselkurspolitik der Zentralbank
4.3 Zinspolitik der türkischen Zentralbank seit 2002

5. Entwicklung der Währung, der Kapitalströme und der Leistungsbilanz nach der Krise im Jahr 2001
5.1 Der Wechselkurs
5.2 Die Kapitalströme
5.3 Die Leistungsbilanz

6. Wahrscheinlichkeit einer erneuten Krise
6.1 Zukünftige Kapitalflüsse
6.2 Mögliche Wechselkursabwertungen
6.3 Der Bankensektor
6.4 Öffentliche Finanzen und Unternehmen

7. Schlussfolgerungen und Verbesserungsvorschläge

1. Einleitung

Nach wie vor beschäftigen sich die internationalen Finanzmärkte mit dem Thema Subprime-Krise und ihren Auswirkungen. Noch immer kann nicht genau ermittelt werden, welche Auswirkungen sie auf die US-Wirtschaft und die Weltwirtschaft insgesamt haben wird. Eines ist aber schon sicher: Sie hat zu starken Turbulenzen weltweit an den Finanzmärkten geführt. Am Anfang waren die Befürchtungen noch relativ klein: Mitte Juli 2007 rechnete Fed-

Chairman Ben Bernanke mit Kreditverlusten von 50-100 Mrd. US-Dollar.1

In den darauf folgenden Wochen erreichten immer mehr negative Nachrichten über mögliche Insolvenzen von Hypothekenanbietern in den USA die internationalen Finanzmärkte. Sie ließen weltweit die Aktienkurse fallen und sorgten für kräftige Turbulenzen an den Finanzmärkten. Der Dow Jones fiel von seinem Höchststand von über 14.000 auf 12.600 Punkte und der Dax von seinem Höchststand um die 8100 auf 7.250 Punkte im August 2007. Nicht nur am Aktienmarkt führte die Subprime-Krise zu Unsicherheiten. Viele Währungen wurden stark abbzw. aufgewertet. Der Japanische Yen beispielsweise wertete in der Spitze gegenüber dem Euro innerhalb eines Monats um ca. 11% auf. Auch der Wert der Neuen Türkischen Lira reagierte mit einer starken Volatilität. In der Spitze wertete sie innerhalb eines Monats gegenüber dem Euro um 12% ab, der Verlust zum Dollar war sogar noch größer. Auch bei den Portfolioinvestitionen in die Türkei kam es zu starken Verzerrungen. Im Juli 2007 betrug der Kapitalzufluss durch Portfolioinvestitionen (netto) in die Türkei noch 2,5 Mrd. USD2. Im darauf folgenden Monat wurde daraus ein Kapitalabfluss bei den Portfolioinvestitionen in einer Höhe von 4,2 Mrd. USD.

In dieser Arbeit soll u. a. geklärt werden, warum bspw. wie oben ausgeführt, Ereignisse in den fernen USA die Türkei negativ beeinflussen können, sogenannte exogene Schocks. Darüber hinaus werden weitere Schocks der Vergangenheit analysiert und welche Auswirkungen sie auf den Währungskurs der Türkei sowie auf die internationalen Kapitalströme hatten.

Im folgenden Abschnitt werden zunächst die makroökonomischen Kennzahlen der Türkei in den letzten Jahren beschrieben. Im zweiten Kapitel werden die Zahlungsbilanz der Türkei dargestellt, die Arten von Kapitalzuflüssen erklärt und auf deren Probleme hingewiesen. Im dritten Kapitel geht es dann um die Wirtschaftskrise aus dem Jahr 2001 in der Türkei. Dabei sollen die Gründe für diese Krise und die gewählten Auswege aus der Krise aufgezeigt werden. Im darauf folgenden Kapitel wird die geldpolitische Strategie der türkischen Zentralbank dargestellt, die seit der Krise im Jahr 2001 verfolgt wird. Im fünften Kapitel wird die Entwicklung des Wechselkurses der Neuen Türkischen Lira, der Kapitalströme und der Leistungsbilanz seit 2001 dargestellt.

Darauf folgend wird analysiert, wie wahrscheinlich eine erneute Krise in der Türkei ist. Im letzten Kapitel werden Schlussfolgerungen gezogen und Verbesserungsvorschläge entwickelt um die Instabilität ausgelöst durch die Kapitalströme zu minimieren.

Die Türkei ist im Vergleich zu vielen europäischen Ländern ein großes Land mit einer Bevölkerungszahl von 73,6 Mio. Menschen. Das Land wird noch immer von vielen internationalen Organisationen als Schwellenland bezeichnet, obwohl es hier keine international verbindlich festgelegten Kriterien oder Listen gibt. Die Türkei konnte allerdings durch ein starkes Wirtschaftswachstum in den letzten Jahren bis zum Jahr 2007 ihr BIP-Pro-Kopf auf 29,9% der Kaufkraftstandards der EU-27-Durchschnitte erhöhen.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Eurostat (Jahr 2007: Prognose)

Im Durchschnitt wuchs das reale BIP um 6,9% in den Jahren 2002-2007 und damit erheblich stärker als im Durchschnitt der EU-27 Länder. Die türkische Volkswirtschaft setzte im Jahr 2007 355,2 Milliarden Euro um. Sie erreichte damit eine Größe von 2,9% des BIPs der EU-27.

Die Arbeitslosenrate konnte von 10,3% im Jahr 2002 auf 9,7%3 im Jahr 2007 gesenkt werden. Im Jahr 2006 lag die Erwerbsquote bei 45,9%. Im EU-Vergleich hat die Türkei die niedrigste Beschäftigungsquote. Bei den Beschäftigungsquoten ist allerdings zu berücksichtigen, dass ein nicht unerheblicher Teil der türkischen Bevölkerung in der Schattenwirtschaft arbeitet. Das türkische Finanzministerium ging von einem Anteil der Schattenwirtschaft von 25,5% des BIPs im Jahr 2005 aus.4 Auch die Inflation ging zurück. Sie konnte von 29,7% im Jahr 2002 auf 8,4% im Jahr 2007 gesenkt werden. Bei den öffentlichen Finanzen konnte die Türkei ebenfalls Erfolge verzeichnen. So sank das öffentliche Finanzierungsdefizit von 12,3% im Jahr 2002 auf 0,7% im Jahr 2007. Der öffentliche Schuldenstand ging dabei von 94,3% des BIPs auf 54,1% zurück.

2. Die Zahlungsbilanz

In der Zahlungsbilanz werden die wirtschaftlichen Beziehungen eines Landes mit dem Rest der Welt innerhalb eines bestimmten Zeitraums systematisch erfasst und dargestellt.5

2.1 Der Aufbau der Zahlungsbilanz in der Türkei

Die Gliederung und Definitionen der Zahlungsbilanz der Türkei basieren auf den internationalen Standards, welche vom IWF empfohlen werden.6

Die Zahlungsbilanz umfasst:

1. Leistungsbilanz
1.1 Warenhandel (Handelsbilanz)
1.2 Dienstleistungen (Dienstleistungsbilanz)
1.3 Faktoreinkommen (Bilanz der Erwerbsund Vermögenseinkommen)
1.4 laufende Übertragungen (Bilanz der laufenden Übertragungen)

2. Bilanz der Vermögensübertragungen/ Kapitalbilanz
2.1 Bilanz der Vermögensübertragungen
a) Transfers von Migranten
2.2 Kapitalbilanz
a) Direktinvestitionen
b) Portfolioinvestitionen
c) sonstige Investitionen
d) Devisenbilanz

3. Statistisch nicht zurechenbare Kapitalbewegungen7

In der Handelsbilanz werden grenzüberschreitende Handelsströme erfasst. In der Dienstleistungsbilanz wird der Dienstleistungsverkehr mit dem Ausland dargestellt. Bei der Bilanz der Erwerbsund Vermögenseinkommen werden Faktoreinkommen erfasst, die Ausländer in der Türkei erzielen und umgekehrt. Dazu zählen die Kapitalerträge und Einkommen aus unselbstständiger Arbeit. Bei der Bilanz der laufenden Übertragungen werden die unentgeltlichen

Leistungen dargestellt, wie z.B. Heimatüberweisungen von Gastarbeitern oder Beihilfen zwischen Ländern.8 Ergibt der Saldo der Leistungsbilanz einen negativen Wert, spricht man von einem Leistungsbilanzdefizit. Fällt der Saldo positiv aus, wird dieser als Leistungsbilanzüberschuss bezeichnet.

Der Transfer von ausländischem Vermögen von Migranten in die Türkei wird in der Bilanz der Vermögensübertragungen festgehalten. Wenn eine gebietsansässige Körperschaft ein Investment mit der Übernahme einer (Teil)Kontrolle des Unternehmens im Ausland tätigt, spricht man von Direktinvestitionen. Portfolioinvestitionen bestehen aus Investitionen in das Anteilskapital und in festverzinsliche Wertpapiere. Die sonstigen Investitionen beinhalten alle Finanztransaktionen, welche nicht bei den Direktinvestitionen, Portfolioinvestitionen und in der Devisenbilanz zu sehen sind. Dazu gehören z.B. Handelskredite, Bankkredite und Änderungen der Devisenpositionen der Banken bei ihren Korrespondenzbanken im Ausland. In der Devisenbilanz sind die Positionen im IWF und die offiziellen Reserven aufgezeichnet.9 Überschüsse bzw. Defizite in der Leistungsbilanz müssen durch die Bilanz der Vermögensübertragungen/Kapitalbilanz ausgeglichen werden. Sollte dies nicht der Fall sein, wird der offene Betrag den statistisch nicht zurechenbaren Kapitalbewegungen zugeschrieben.

2.2 Kapitalzuflüsse

Fließen Direktinvestitionen, Portfolioinvestitionen und sonstige Investitionen in ein Land, spricht man aus Sicht des Empfängerlandes von Kapitalzuflüssen. Generell führen Kapitalzuflüsse dazu, dass das Wirtschaftswachstum sich in einem Land beschleunigt.

2.2.1 Das Problem der Kapitalzuflüsse

Die Kapitalmobilität bringt aber auch ein Hauptproblem mit sich: Es kann Länder gefährden, wenn sich die Kapitalströme umkehren, und ein Land sogar in die Krise stürzen. Haben sie vorher noch das Wirtschaftswachstum unterstützt, so können sie abrupt zu einem Negativfaktor werden. Einige Kapitalströme sind stabiler als andere. Grundsätzlich lässt sich sagen, dass Direktinvestitionen die stabilsten Zuflüsse darstellen, auch wenn sie die teuersten sind, da sie die höchsten Erträge für die Investoren bringen. Zusätzlich bringen sie intellektuelles Vermögen mit ins Land. Hinzu kommt, dass der Investor das ganze Risiko des Investments trägt sowie es zu positiven externen Effekte führt im Land des Investments. Portfolioinvestitionen tendieren dazu, Krisen zu unterstützen. Sie sind dementsprechend anfälliger für Kapitalumkehrungen. Positiv für das Empfängerland ist bei Portfolioinvestitionen, dass der Investor das volle Risiko des Investments trägt und es auch hier zu positiven Externalitäten kommen kann. Die größte Quelle von Instabilität stammt aus den Bankkrediten, die den “sonstigen Investitionen“ zugeordnet werden. Dabei sind kurzfristige Kredite instabiler als langfristige. Hierbei sind allerdings Handelskredite zu unterscheiden, sie scheinen wenig volatil zu sein. Bei Krediten wird das wirtschaftliche Risiko vom Darlehensnehmer getragen. Sind die Kredite in Auslandswährung, wird das Wechselkursrisiko auch vom Darlehensnehmer getragen. Der Vorteil bei Krediten liegt darin (insbesondere bei Krediten in Dollar), dass sie die günstigste Alternative bei Kapitalzuflüssen sind. Je kürzer die Laufzeit desto günstiger gilt dabei. Das Zinsrisiko trägt bei Krediten in Auslandswährung der Darlehensgeber und in Inlandswährung der Darlehensnehmer.10

Grundsätzlich spielen Kapitalzuflüsse eine bedeutendere Rolle für Schwellenländer als für Industrieländer. Allgemein scheinen Kapitalzuflüsse in Schwellenländern stark von dem Risikoappetit der ausländischen Investoren abzuhängen. Wenn der Risikoappetit der Investoren hoch ist, steigen die Kapitalzuflüsse. Sinkt der Risikoappetit (Risiko aversion), reduzieren sich die Zuflüsse. In diesen Zusammenhang stellt sich die Frage, warum sich der Risikoappetit der Investoren ändert. Ein Grund kann mit der Liquidität in industrialisierten Ländern zusammenhängen. Investoren bewegen ihr Kapital Richtung Schwellenländer, wenn alternative Investitionen unrentabel erscheinen. Sind die Zinsen in einem industrialisierten Land niedrig, sind die Kosten einer Investition in einem Schwellenland gering. Auch können sich die Schwellenländer in einem solchen Umfeld günstig extern finanzieren. Ein anderer Faktor, von dem der Risikoappetit abhängt, ist der Reformzustand bzw. das Reformtempo, in dem sich das Land befindet. Dies wird als Pull- Faktor bezeichnet.

Der Großteil der Evidenz suggeriert allerdings, dass die Push-Faktoren in industrialisierten Ländern eine dominantere Rolle haben, wie z.B. der oben genannte.11

Wie schon oben aufgeführt, führen kräftige Kapitalzuflüsse dazu, dass sich das Wirtschaftswachstum beschleunigt. Versucht eine Regierung sich diesem Boom mit einer restriktiven Fiskalpolitik zu widersetzen, setzt sie sich der Kritik aus, dass sie dieses Vermögen nicht zum Vorteil des Landes nutzt. Endet der Boom mit einem Kapitalabfluss und steigen dadurch die Zinssätze, wird dies den Staatshaushalt belasten, denn dann, steigen die Zinszahlungen des Staates und die Einnahmen werden geringer. Dieser Effekt kann schwerwiegender sein, wenn die Staatsschulden kurzfristiger Natur sind. Eine Zentralbank, welche versucht, diesen Boom mit hohen Zinssätzen zu bekämpfen, wird sich in einer Lage finden, wo die hohen Zinssätze erhöhtes Kapital anlocken. Selbst wenn die Zentralbank versucht, die Zuflüsse zu verringern, werden die Preise für Anlagegüter steigen, sodass das Vermögen von wohlhabenden Eigentümern ohne Einsparungen vergrößert wird. Gleichzeit wird der reale Wechselkurs aufgewertet, dadurch werden sich außer den Exporteuren alle vermögender fühlen. All dies kehrt sich um, wenn die Kapitalzuflüsse plötzlich stoppen.12

2.2.2 Exzessive Kapitalzuflüsse

Exzessive Kapitalzuflüsse bringen ein Problem mit sich, das unter dem Namen

„holländische Krankheit“13 (Dutch Disease) bekannt ist. Einige Ökonomen argumentieren, dass Länder ausländische Kapitalzuflüsse willkommen heißen sollten, da sie mehr reelle Ressourcen bedeuten und daher höheren Konsum und höhere Investitionen erlauben. Andere Ökonomen verweisen darauf, dass größere Zuflüsse nicht unbedingt besser sein müssen. Nur die kleinsten wenn es durch irgendeinen Grund (dies kann verschiedene Gründe haben, wie z.B. starke Kapitalzuflüsse oder verstärkter Export von Rohstoffen) zur Aufwertung der Währung eines Landes kommt und dadurch die übrigen exportierenden Industrien leiden. Der sinkende Export dieser Güter kann dann zum Schwächeln oder Verschwinden der betroffen Industrien und somit zu grundsätzlichen ökonomischen Problemen wie Arbeitslosigkeit führen.

Wirtschaften können ohne dynamische Produktion Erfolg haben. Produktion bietet die Möglichkeit, des Learning by doing und Fortschritt, was in den meisten anderen Branchen nicht möglich ist. Eine reale Aufwertung der Währung gefährdet die Wettbewerbsfähigkeit des Landes und kann daher die Produktion gefährden. Einige Modelle suggerieren, dass es ein optimales Niveau von Kapitalzuflüssen gibt. Dabei führen exzessive Zuflüsse mehr zu einem Verlust der Wohlfahrt statt zu einem Gewinn. In dem Modell von Liqing Zhang (2004) tritt das optimale Niveau auf, wenn marginale Einnahmen der den Kapitalzuflüsse und marginale Kosten gleich sind. Bei den marginalen Einnahmen ist zu erwarten, dass sie mit zunehmendem Kapital sinken, da andere Produktionsfaktoren wie z.B. Fachkräfte oder geeignete Technologie vorgegeben sind.14

Vorausblickende Regierungen sollten sich der Gefahr bewusst sein, dass sich an einem unvorhersehbaren Punkt überhöhte Kapitalzuflüsse umkehren bzw. oder zumindest neue Kapitalzuflüsse stoppen können. Die Situation erscheint wahrscheinlicher, je höher der Bestand ausländischen Kapitals ist (insbesondere kurzfristige Schulden). Konventionell werden dabei die ausländischen Schulden ins Verhältnis zu Reserven, Exporten oder zum BIP gesetzt. Steigt beispielsweise die Höhe von externen kurzfristigen Schulden im Verhältnis zu einem dieser Werte, wird das Land verletzlicher, insbesondere dann, wenn das Land einen fixen Wechselkurs hat.15

3. Währungs-/Wirtschaftskrise im Jahr 2001

Im Jahr 2001 wurde die Türkei von einer starken Währungsund Wirtschaftskrise belastet. Um diese Krise zu verstehen, ist es notwendig, die Ereignisse und Entwicklungen in den Jahren 1999 und 2000 zu analysieren.

Im Jahr 1999 wurde gemeinsam mit dem Internationalen Währungsfond (IWF) ein Inflationsabbauprogramm aufgelegt, um die chronische Inflation in der

Türkei zu bekämpfen. Im Wesentlichen war es ein auf dem Wechselkurs basierendes Stabilisierungsprogramm. Dabei sollten strukturelle Reformen in Angriff genommen sowie fiskalische Zielvorgaben erfüllt werden. Dieses Gesamtprogramm wurde vom IWF mit einem vier Milliarden US-Dollar umfassenden Stand-by-Abkommen16 über drei Jahre gefördert.17

Die Unterstützung vom IWF war dabei abhängig von der Erreichung verschiedener Ziele: Fiskalische Disziplin wurde beabsichtigt und es wurden Mindestwerte für den primären Überschuss im Staatshaushalt vorgegeben. Privatisierungen sollten voranschreiten. Weiterhin wurden Maximalwerte für neue externe öffentliche Schulden vorgegeben und ein Maximalwert für den Bestand externer kurzfristiger öffentlicher Schulden. Das Stabilisierungsprogramm beinhaltete außerdem strukturelle Reformen in der Landwirtschaft und in der Rentenversicherung. Zudem sollte die Transparenz der öffentlichen Finanzen ausgebaut werden. Weitere Reformen der Steuern und bei der Steuerverwaltung sollten ebenfalls durchgeführt werden.18

Mit einem Wechselkursanker („exchange rate anchor“) sollte die Konsumenteninflationsrate auf 25% gesenkt werden. Die Inflationsrate lag in den vorherigen Jahren mehr als doppelt so hoch. Dieses Stabilisierungsprogramm sollte die Türkei am Ende zu einem flexiblen Wechselkurssystem führen. In den ersten 18 Monaten sollte der Wechselkurs einem vorher veröffentlichten Weg („exchange rate path“) folgen. Nach 18 Monaten sollte dann eine Bandbreite für Wechselkursschwankungen eingeführt werden um dann schließlich sanft in ein flexibles Wechselkurssystem übergehen zu können. Dieses Programm beinhaltete Mindestanforderungen an die internationalen Währungsreserven der Zentralbank und Höchstgrenzen für das Nettoinlandsvermögen19 als Performance-Kriterien.20 Das Nettoinlandsvermögen sollte konstant auf dem Level von Dezember 1999 bleiben, es wurde aber eine kurzzeitige Flexibilität innerhalb eines Quartals erlaubt, um eine exzessive Volatilität bei den Übernachtzinsen zu vermeiden. Diese Schwankungen durften maximal 5% des Geldangebots am Ende des vorherigen Quartals betragen.21 Daher stellten die täglichen Liquiditätsanforderungen des Finanzsystems keine Priorität dar.

Folglich wurde die Liquidität hauptsächlich durch die internationalen Finanzströme bestimmt.22

Durch dieses Stabilisierungsprogramm veränderte sich Anfang November 1999 das Klima positiv für die Zukunft der türkischen Wirtschaft. Hinzu kam zu dieser Zeit, dass die Türkei Fortschritte in den Verhandlungen mit der Europäischen Union machte. Am 10-11. Dezember 1999 in Helsinki bekam die Türkei offiziell den Beitrittskandidatenstatus zuerkannt.23

Abb. 2: Ausländische Direktinvestitionen, Portfolioinvestitionen, sonstige Investitionen und statistisch nicht zurechenbare Kapitalbewegungen (Mio. USD)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Türkische Zentralbank

Die Abbildung 2 zeigt die internationale Unterstützung für die geplante EU- Erweiterung sowie die Aussicht auf das Stabilisierungsprogramm. Gegen Ende des Jahres stiegen die Portfolioinvestitionen (netto) an. Die erste vertikale Linie zeigt dabei den Start des Stabilisierungsprogramms.

Die gestiegenen Portfolioinvestitionen können dabei auch folgendermaßen erklärt werden: Der erwartete Ertrag einer türkischen Staatsanleihe in der Türkei entspricht dem risikofreien Ertrag (z. b. einer US-Staatsanleihe mit derselben Laufzeit) plus der Risikoprämie:24

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Die Risikoprämie teilt sich in das Länderrisiko und das Wechselkursrisiko auf. Risikoprämie = Länderrisiko + Wechselkursrisiko

Abb. 3: Ertrag und Spread für 5-jährige Staatsanleihen (%) (Türkischer Eurobond – US-Staatsanleihe)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Reuters

Abb. 4: Länderrisiko der Türkei (Basispunkte)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Reuters

Das Wechselkursrisiko wurde durch das Stabilisierungsprogramm stark reduziert, da es einen vorher festgelegten Wechselkurs für die nächsten 18 Monate gegenüber einem Währungskorb geben sollte. Durch die oben genannten strukturellen Reformen und die fiskalischen Zielvorgaben wurde das Länderrisiko ebenfalls reduziert. Dies bot eine Arbitrage Chance für internationale Investoren, weil der erwartete Ertrag jetzt den risikofreien Ertrag und das Länderrisiko überstieg. Daher fand solch ein Anstieg in den Portfolioinvestitionen statt.25

Abbildung 3 zeigt, wie sich der Spread zwischen den US-Staatsanleihen und den Türkischen Eurobonds verkleinert hat. Da der Ertrag der türkischen Eurobonds auch in USD stattfindet, führte die geringere Risikoprämie zu einem Fallen der Zinssätze bei den türkischen Eurobonds. Abbildung 4 zeigt an, wie das Länderrisiko der Türkei in dieser Zeit eingeschätzt wurde. Von Ende 1999 bis Februar 2000 nahm das Länderrisiko in der Spitze um 300 Basispunkte ab.

Durch den Kapitalzufluss erhöhte sich die Liquidität am Geldmarkt. Dadurch gingen die Zinssätze zurück. Durch das Fallen der Zinssätze wurden die zukünftigen Zinszahlungen des Staates gemindert, was das Ausfallrisiko (Länderrisiko) reduzierte. Dies unterstützte ferner weitere Kapitalzuflüsse.26

Abbildung 5 zeigt, wie die Zinssätze auf die Einführung des Stabilisierungsprogramms reagierten:

Abb. 5: Fallende Zinsen, Dezember 1995 – August 2000 (jährlicher Durchschnitt in Prozent)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Türkische Zentralbank

Die Zinssätze gingen dabei stärker zurück als vom Programm beabsichtigt. Ein weiterer Grund warum es zu solch einem Sinken der Zinssätze kam, war, dass sich einige Banken aggressiv in der Erwartung fallender Zinsen positionierten. In dieser Erwartung kauften sie Staatsanleihen in exzessiven Beträgen. Dies führte zu steigenden Kursen bei den Staatsanleihen und zu fallenden Raten bei den Zinsen. Auch offerierten die Banken große Volumina von fixen Konsumentenkrediten. Diese Banken finanzierten sich fast ausschließlich durch

Repo-Geschäfte27 und kurzfristigen Interbankenkrediten. In einer Umgebung mit fallenden Zinssätzen führte diese Strategie der Banken zu positiven Erträ- gen. Allerdings ist solch eine Strategie unausgeglichen, denn 99% der Repo- Finanzierungen hatten eine Laufzeit von einem Tag, während die Staatsanleihen durchschnittlich eine Laufzeit von 15 Monaten hatten.28

Die Reduzierung in den Zinssätzen und die Möglichkeit Kredite aufzunehmen, ließ den Konsum und die Investitionen steigen. Dies führte allerdings zu einemnegativen Effekt bei der Leistungsbilanz, was wiederum nicht hilfreich für die Währungsreserven war.

[...]


1 Vgl. Bolton (2007)

2 USD: US-Dollar

3 Werte für 2007 sind Prognosen von Eurostat (Ausnahme: Inflationsrate 2007)

4 Vgl. Bundesagentur für Außenwirtschaft (2007)

5 Vgl. CENTRAL BANK OF TURKEY (2008a), S. 1

6 Vgl. ebd., S. 1

7 Vgl. CENTRAL BANK OF TURKEY (2008a), S. 22 ff.

8 Vgl. ebd., S. 13 ff.

9 Vgl. CENTRAL BANK OF TURKEY (2008a), S. 17 ff.

10 Vgl. Williamson (2005), S. 49 ff.

11 Vgl. Williamson (2005), S. 7 f.

12 Vgl. ebd., S. 8

13 Als holländische Krankheit bezeichnet man ein Paradoxon, bei dem es durch eine Aufwertung der Währung zu einem ökonomischen Niedergang kommen kann. Dazu kommt es,

14 Vgl. Williamson (2005), S. 8

15 Vgl. ebd., S. 8

16 Stand-by Abkommen: Hauptinstrument des IWF zur Kreditvergabe. Er bietet dem Mitgliedsland Sicherheit, dass es Kredite bis zu dem vorher bekannt gegebenen Betrag erhält um kurzfristige Leistungsbilanzprobleme zu bekämpfen.

17 Vgl. International Monetary Fund (1999)

18 Vgl. Alper (2001), S. 3

19 Das Nettoinlandsvermögen ist definiert als die Geldmenge minus dem Nettoauslandsvermögen

20 Vgl. Alper (2001), S. 3 f.

21 Vgl. Turkey Letter of Intent (1999)

22 Vgl. Alper (2001), S. 4

23 Vgl. ebd., S. 4

24 Vgl. Alper (2001), S. 5

25 Vgl. Alper (2001), S. 6

26 Vgl. ebd., S. 6

27 Repurchase Agreement: Rückkaufsabkommen; ist ein Offenmarktinstrument der Zentralbank

28 Vgl. Alper (2001), S. 6 f.

Ende der Leseprobe aus 68 Seiten

Details

Titel
Instabilität der internationalen Kapitalströme und die Währungspolitik in der Türkei
Hochschule
Fachhochschule für Wirtschaft Berlin
Note
1,7
Autor
Jahr
2008
Seiten
68
Katalognummer
V114178
ISBN (eBook)
9783640145027
Dateigröße
736 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Instabilität, Kapitalströme, Währungspolitik, Türkei
Arbeit zitieren
Serkan Bügrü (Autor:in), 2008, Instabilität der internationalen Kapitalströme und die Währungspolitik in der Türkei, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/114178

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