Der Boulangismus

Motive, Modernewahrnehmung und europäischer Vergleich


Hausarbeit (Hauptseminar), 2004

23 Seiten, Note: 2,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

I Analyse der Cocarde -Artikel
1) La sérieuse affaire – Artikel vom 19. Juli 1888 6
2) Rien de commun – Artikel vom 23. Juli 1888
3) Le clergé parisien – Artikel vom 13. August 1888
4) Boulangis me et Socialisme – Artikel vom 31. August 1888
5) La tour, prends garde! – Artikel vom 22. September 1888
6) Les deux républiques – Artikel vom 26. Januar 1889
7) Nos landlords – Artikel vom 8. März 1889

II Ergebnisse der Analyse

Schlußbetrachtung

Literaturverzeichnis

Einleitung

Diese Arbeit befaßt sich mit dem Problem des Boulangismus: Es gilt herauszufinden, wie die Boulangisten – die Mitglieder dieser Bewegung – die Moderne wahrnahmen, sie beschrieben und worin ihre Kritik der Moderne lag; dabei sollen die Motive und Ziele des Boulangismus herausgefunden werden und untersucht, inwiefern diese Bewegung einer gesamteuropäischen Tendenz, bzw. europäischen Parallelen, entsprach oder ob sie lediglich ein spezifisch französisches Phänomen war.

Über den Boulangismus, seine politische Wirkung und Einschätzung sowie über dessen Leitfigur, den General Boulanger, ist viel geschrieben und geforscht worden; die wichtigsten Arbeiten sind dabei folgende:

Zum Boulangismus allgemein liegen die etwas älteren Werke von Adrien Dansette[1] und Frederick Seager[2] sowie die etwas neueren von Michel Winock[3], Jean Garrigues[4] und Frédéric Frégneaux[5] vor; hierbei sind die Arbeiten von Dansette – trotz ihres Alters – und Garrigues besonders erkenntnisreich und vielrezipiert.

Von den Biographien über den General Boulanger ist wiederum besonders diejenige von Jean Garrigues zu empfehlen[6] – sie gilt als die beste, weil sie sehr informativ und gut geschrieben ist. Ferner sind noch die Biographien von Fresnette Pisani-Ferry[7] und von James Harding[8] erwähnenswert.

Zwei Arbeiten befassen sich mit dem Verhältnis zwischen Boulanger bzw. dem Boulangismus und den Monarchisten bzw. den radikalen Rechten: diejenige von Philippe Levillain[9] ist dabei mehr biographisch aufgebaut und fokussiert das Verhältnis zu den Monarchisten, während die von William Irvine[10] eher den Boulangismus an sich und die Entstehung der radikalen Rechten in den Blick nimmt.

Das Verhältnis zwischen Boulangismus und Sozialismus hat Michel Winock in einem Aufsatz beschrieben.[11]

Mit dem Problem von Boulangismus hinsichtlich des Aufkommens der Massenpolitik hat sich Patrick Hutton auseinandergesetzt.[12]

Jacques Néré untersuchte das Verhältnis zwischen Boulangismus und Presse[13] sowie den Zusammenhang der Industriekrise der 1880er Jahre mit der boulangistischen Bewegung.[14]

Michael Burns betrachtete den Boulangismus im Hinblick auf die Landbevölkerung.[15]

Schließlich ist von Bertrand Joly ein biographisch-geographisches Wörterbuch zum Nationalismus in Frankreich gegen Ende des 19. Jahrhunderts erschienen, das auch reichlich Informationen über den Boulangismus und dessen Protagonisten einschließt.[16]

Um nun die eingangs aufgeworfene Fragestellung dieser Arbeit – Motive, Modernewahrnehmung und Einordnung ins Europa um 1900 des Boulangismus – zu bearbeiten, wurde als Untersuchungsgegenstand die boulangistische Zeitschrift La Cocarde ausgewählt, weil sie nämlich zwischenzeitlich als eines der Hauptorgane dieser Bewegung fungierte und ein täglich erscheinendes Massenblatt war. Somit kann sie als aussagekräftige und repräsentative Quelle zur Fragestellung gelten. Diese Zeitung wurde – ein weiteres Qualifikationsmerkmal für ihre Auswahl – erst und ausdrücklich als boulangistisches Blatt im März 1888 von den Journalisten Mermeix[17] und Georges de Labruyère gegründet und stand ideologisch der Ligue des Patriotes um Paul Déroulède nahe.[18] Die Cocarde verstand sich explizit als republikanisches Blatt: In mehreren Artikeln wurde die Republik für die einzig sinnvolle Staatsform befunden und sich gegen eine mögliche Wiedererrichtung der Monarchie gewendet, eine solche als obsolet, die aktuellen Thronprätendenten als Witzfiguren bezeichnet.[19] Die Zuschreibung des Etikettes rechts oder links bezüglich dieses Blattes ist – wie übrigens für den Boulangismus insgesamt – wegen der Verquickung vermeintlich rechter und linker Ideen problematisch und wenig hilfreich, weshalb hier darauf verzichtet wird.

Für diese Untersuchung wurde die Cocarde im Zeitraum von Juli 1888 bis März 1889 – das entspricht dem Höhepunkt der boulangistischen Bewegung – auf für die Fragestellung interessante Artikel hin ausgewertet; schließlich wurden die prägnantesten sieben Artikel ausgewählt.

Es gibt da allerdings einige methodische Schwierigkeiten und Bedenken, auf die hingewiesen werden muß: Da es sich beim Boulangismus um eine große populistische Bewegung handelte, die vom sozialistischen bis monarchistischen Flügel der Gesellschaft viele Franzosen aktivierte und mitriß, sich somit ein ziemlich breites Spektrum an Positionen und Zielvorstellungen ergab, ist es sehr schwierig, ja geradezu bedenklich, die in den Cocarde -Artikeln erkennbaren Motive und Ziele für diejenigen des Boulangismus schlechthin zu halten; ganz zu schweigen davon, daß sie im Grunde zuvörderst die Meinungen ihrer Verfasser wiedergeben. In dieser Arbeit wird also von der idealen Bedingung ausgegangen, die Cocarde sei gewissermaßen das offizielle Blatt dieser Bewegung – alle auf den folgenden Seiten gezogenen Schlüsse sind unter dieser idealtypischen Setzung zu verstehen.

Im ersten Teil dieser Arbeit werden die sieben ausgewählten Artikel, chronologisch geordnet, nacheinander analysiert: Es folgt auf eine kurze inhaltliche Zusammenfassung die Herausstreichung der im jeweiligen Artikel erkennbaren Motive und Zielvorstellungen der Boulangisten, wobei inhaltliche Zusammenfassung und Motivsichtung nicht immer getrennt voneinander dargestellt sind, sondern teilweise – des Sprachflusses halber – auch aus der Zusammenfassung heraus die Motive entwickelt werden. Danach wird aus diesen Motiven auf die Modernewahrnehmung der Boulangisten geschlossen.

Im zweiten Teil dieser Untersuchung werden die Ergebnisse dieser Analyse thematisch zusammengetragen: Dabei wird zwischen Motiven und sich aus ihnen ergebenden Zielvorstellungen als praktische Maßnahmen – den vier Bereichen Politik, Wirtschaft, Gesellschaft, Kultur zugeordnet – unterschieden; schließlich wird die konstatierte Modernewahrnehmung zusammengefaßt.

In der Schlußbetrachtung werden die in Teil Zwei dargestellten Ergebnisse in Bezug zum europäischen Kontext gesetzt und damit die Frage versucht zu beantworten, inwiefern der Boulangismus spezifisch französischer oder gesamteuropäischer Natur war.

I Analyse der Cocarde -Artikel

1) La sérieuse affaire – Artikel vom 19. Juli 1888

In diesem Artikel geht es um die bevorstehende Wahl im Departement Ardèche; dafür wird vor den Lesern und potentiellen Wählern noch einmal das Wahlprogramm der Boulangisten aufgeführt. In einem ersten Abschnitt werden die Absichten und Zielvorstellungen der Boulangisten genannt und in einem zweiten, folgenden Abschnitt die dafür nötigen Maßnahmen aufgelistet. Abschließend wird auf die für gefährlich gehaltenen Konsequenzen hingewiesen für den Fall, daß Boulanger im Ardèche nicht gewählt würde; so wäre der für verkommen gehaltene Parlamentarismus ohne Boulanger als „Bremsklotz“[20] entfesselt und verübte seine volle Rache am Volke, für dessen Liebäugeln mit Boulanger – die aktuelle Regierung zeige bereits autoritäre Tendenzen. Überdies – eine bissige Polemik am Ende dieses Artikels – sei die aktuelle, revisionsbedürftige Verfassung vielleicht gut für England, aber keinesfalls für Frankreich.[21]

Als Motive bzw. Zielvorstellungen des Boulangismus lassen sich aus diesem Artikel folgende Punkte herausarbeiten:

Da ist zunächst der Ruf nach direkter Demokratie deutlich, der sich in Forderungen nach Volksentscheiden und direkter politischer Teilnahme aller Bürger äußert:

Nous voulons, par le général Boulanger, ouvrir la République à tous les citoyens. […]

Nous voulons un gouvernement où la nation, sur les questions importantes, de liberté de conscience, par exemple, soit appelée par vote de plébiscite à faire elle-même sa loi.[22]

Dann sind nationalistische Töne auszumachen: Die französische Republik solle das nationale Haus werden und aufhören, Besitz irgendwelcher Sektierer und windiger Händler zu sein:

Nous voulons que la République devienne la maison nationale et qu’elle cesse par conséquent d’être la propriété de quelques sectaires et de quelques trafiquants.[23]

Ferner solle eine künftige Regierung das Volksvermögen vor der internationalen Hochfinanz, womit unterschwellig möglicherweise auch ein gewisser Antisemitismus mitschwingen könnte, und vor dem Geldadel und dessen (möglichem) Einfluß auf die Politik schützen – dem einzigen noch zu fürchtenden Adel dieser Zeit:

[...]


[1] Dansette, Adrien: Le Boulangisme, Paris 1946.

[2] Seager, Frederick: The Boulanger affair, Ithaka 1969.

[3] Winock, Michel: La fièvre hexagonale. Les grandes crises politiques, 1871 – 1968, Paris 1990. – Ein Kapitel beschäftigt sich mit dem Boulangismus als eine dieser Krisen.

[4] Garrigues, Jean: Le Boulangisme, Paris 1992.

[5] Frégneaux, Frédéric: Le Boulangisme. Naissance d’une nouvelle tradition politique, Toulouse 1995.

[6] Garrigues, Jean: Le général Boulanger, Paris 1991.

[7] Pisani-Ferry, Fresnette: Le général Boulanger, Paris 1969.

[8] Harding, James: The astonishing adventures of General Boulanger, New York 1971.

[9] Levillain, Philippe: Boulanger – fossoyeur de la monarchie, Paris 1982.

[10] Irvine, William D.: The Boulanger affair reconsidered. Royalism, Boulangism, and the origins of the Radical Right in France, New York/ Oxford 1989.

[11] Winock, Michel: Socialism and Boulangism [Übersetzung von Arnold], in: Arnold, Edward J. (Hrsg.): The development of the Radical Right in France. From Boulanger to Le Pen, London 2000, S. 3-15.

[12] Hutton, Patrick H.: Boulangism and the advent of mass politics in France, 1886 – 1890, Journal of Contemporary History 11 (1976), S. 85-106.

[13] Néré, Jacques: Le Boulangisme et la presse, Paris 1964.

[14] Néré, Jacques: La Crise industrielle de 1882 et le mouvement boulangiste. Thèse de doctorat ès lettres, Paris 1959.

[15] Burns, Michael: Rural Society and French politics. Boulangism and the Dreyfus Affair, 1886 – 1890, Princeton 1984.

[16] Joly, Bertrand: Dictionnaire biographique et géographique du nationalisme français, 1880 – 1900. Boulangisme, Ligue des Patriotes, mouvements antidreyfusards, comités antisémites, Paris 1998.

[17] Pseudonym für Gabriel Terrail. Er war der eigentliche geistige Vater und Hauptjournalist – er schrieb die meisten Leitartikel – der Cocarde, obgleich Labruyère das erste Jahr lang als verantwortlicher Chefredakteur zeichnete.

[18] Die Cocarde wies in ihrem Anzeigenteil regelmäßig Mitgliederwerbeformulare der Ligue des Patriotes auf und positionierte sich des öfteren zu ihren Gunsten in den Leitartikeln – zum Beispiel anlässlich des Verbotes der Ligue des Patriotes, La Cocarde, 2.3.1889, S. 1.

[19] La Cocarde, 9.7.1888 (Le droit à la liberté), S. 1 sowie 29.8.1888 (L’idée républicaine), S. 1.

[20] La Cocarde, 19.7.1888, S. 1: „La peur du général est la seule entrave que le parlementarisme ait aux jambes.“

[21] Ebd.: „Les électeurs de l’Ardèche, par leur vote de dimanche, […] en élisant le général Boulanger; en affirmant sur son nom la volonté d’en finir avec une Constitution bonne, peut-être, pour l’Angleterre, mais insupportable à la France.“

[22] Ebd.

[23] Ebd.

Ende der Leseprobe aus 23 Seiten

Details

Titel
Der Boulangismus
Untertitel
Motive, Modernewahrnehmung und europäischer Vergleich
Hochschule
Albert-Ludwigs-Universität Freiburg  (Historisches Seminar - Lehrstuhl für Neueste Geschichte)
Veranstaltung
Europa um 1900
Note
2,3
Autor
Jahr
2004
Seiten
23
Katalognummer
V114184
ISBN (eBook)
9783640156634
ISBN (Buch)
9783640156658
Dateigröße
482 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Boulangismus, Europa
Arbeit zitieren
David Liebelt (Autor:in), 2004, Der Boulangismus, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/114184

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