Die Funktion des Kanons bei der Definition von Weltliteratur


Seminararbeit, 2006

17 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Überblick über die Kanon-Debatte

3. Harold Bloom und der ästhetische Kanon
3.1 Theorie
3.2 Kanon und Weltliteratur
3.3 Kritik
3.4 Ausblick in die Zukunft

4. Horst Steinmetz und die Epoche der Weltliteratur
4.1 Theorie
4.2 Kanon und Weltliteratur
4.3 Kritik
4.4 Ausblick in die Zukunft

5. Fazit

6. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Die Auseinandersetzung mit Literatur ist heutzutage unweigerlich verbunden mit dem Gedanken an einen Kanon. Wir sehen uns mit einer Flut an Literatur konfrontiert, die wir gezwungen sind zu bewältigen.1 Angesichts dessen, ist es nur natürlich, dass eine Auswahl getroffen werden muss. Denn lediglich so können wir uns zurechtfinden in der schier unermesslichen Menge literarischer Werke.

Auch im Lehrbetrieb kommt man ohne eine Selektion nicht aus. An Schulen und Universitäten muss entschieden werden, welche Literatur gelesen werden soll. Ausgewählt werden dann meist die sogenannten Klassiker.

Dennoch ist der Kanon sehr umstritten. Auf der einen Seite dient er als Orientierung und bringt uns die großen Werke der Vergangenheit nahe. Auf der anderen Seite engt er unser literarisches Wissen ein, indem er andere Werke ausschließt, die vielleicht durchaus lesenswert wären.

Diese Kontroverse wird unter dem Stichwort Kanon-Debatte zusammengefasst. Sie ist nicht nur auf Nationalliteraturen beschränkt, sondern vollzieht sich ebenfalls in Bezug auf Weltliteratur. Weltliteratur wird gemeinhin als eine Selektion der besten Literatur der Welt verstanden, die in einem Kanon zusammengefasst wird oder gleich als die Summe aller Nationalliteraturen der Welt.2 Mit der zweiten Definition lässt sich allerdings in der Praxis recht wenig anfangen, wodurch meist doch der Kanongedanke verwirklicht wird. Die Definition von Weltliteratur ist also abhängig vom Kanonkonzept.

Aber stimmt das? Brauchen wir wirklich einen Kanon, um definieren zu können, was Weltliteratur ist? Oder gibt es vielleicht noch andere Möglichkeiten einer Definition?

Im Folgenden werde ich auf diese Fragen näher eingehen. Dazu gebe ich zunächst einen Überblick über die Kanon-Debatte. Danach werde ich die Theorie des populären Kanonbefürworters Harold Bloom erläutern und sie anschließend mit der Theorie von Horst Steinmetz kontrastieren.

2. Überblick über die Kanon-Debatte

Die Kanon-Debatte hatte ihren Höhepunkt in den 1960/70er Jahren vor allem im anglophonen Raum, dauert aber bis heute an.3 Es kursieren dabei so viele verschiedene Meinungen zum Kanon wie Kanones selbst.

Zahlreiche berühmte Persönlichkeiten, darunter z.B. Marcel Reich-Ranicki, erstellen ihren eigenen literarischen Kanon und vermarkten ihn. In den 1970er Jahren gab es in der Wochenzeitung Die Zeit eine Umfrage unter bedeutenden Prominenten, welche literarischen Werke sie als die wichtigsten der deutschsprachigen Literatur ansähen.4 Heraus kam – wenn auch unbeabsichtigt – ein Kanon, der in der Öffentlichkeit Beachtung fand und eine heftige Diskussion auslöste.

Selbst im Internet hat der Kanongedanke schon Einlass gefunden. Gottfried Willems formuliert diese Entwicklung so:

Was die Schulen nicht mehr dürfen, können oder wollen, das leisten die Medien: unermüdlich nehmen sie den Kanon im Rhythmus der Jubiläen durch, wie die Schulen früher am Leitfaden des Curriculums.5

Bei aller Beschäftigung mit der Thematik ist allerdings immer noch nicht geklärt, ob es überhaupt einen Kanon geben sollte und wenn ja, wie dieser auszusehen hat. Soll er offen oder geschlossen sein? Soll es für jede Nationalliteratur einen eigenen geben oder ein allumfassender Weltliteratur-Kanon angestrebt werden?

Obwohl die Vorstellung eines Weltliteratur-Kanons in den letzten Jahren sehr populär geworden ist, ist ein solcher freilich nur schwer realisierbar, weil die jeweils kulturell bedeutendsten literarischen Werke deutlich voneinander abweichen. So ist z.B. die Bibel eine wichtige Schrift für die westliche Welt, jedoch nicht für den Osten, der vom Koran geprägt ist.6

Wie bereits erwähnt, geht die Debatte aber meist nicht einmal über die Diskussion des Sinns bzw. Unsinns eines Kanons hinaus. Manche Literaturkritiker fordern die Abschaffung, andere wiederum sehen im Kanon ein unumgängliches und – trotz kleiner Fehler – grundsätzlich erhaltenswertes Konzept und wieder andere würden ihn zwar gerne abschaffen, haben aber kein adäquates Ersatz-Modell anzubieten.7

Jedoch nicht nur zwischen diesen drei Lagern, auch innerhalb der Gruppen herrscht Uneinigkeit. So stellt sich beispielsweise bei einer Verkleinerung des Kanons die Frage, nach welchen Kriterien dies geschehen soll. Des Weiteren ist zu überlegen, wer diese Kriterien bestimmen darf. Die Reichen oder Gebildeten? Ein solches Urteil wäre allerdings sehr subjektiv und zudem äußerst undemokratisch. Selbst wenn die Kriterien einmal feststünden, wäre immer noch zu entscheiden, wann diese erfüllt worden sind, was in der Literatur manchmal durchaus strittig sein kann. Und wer soll letztendlich darüber entscheiden?

Schließlich lässt sich feststellen, dass ein solcher Ansatz schnell zu einer westeuropäischen Dominanz führen kann, die faktisch einem Ausschluss anderer Kulturen aus dem Kanon gleichkommt.

Um dies zu verhindern, müsste das genaue Gegenteil geschehen: eine Kanonerweiterung. Werke aus anderen Kulturen würden so bewusst aufgenommen und erhielten eine Chance gegenüber der westeuropäischen Literatur.8 Aber welche Werke sollten aufgenommen werden? Von jeder Kultur, von jeder Rasse, von jeder Religion eines? Und was ist mit den Frauen? Eine gerechte Auswahl wäre nahezu unmöglich. Zudem stellt sich die Frage nach dem Zweck eines solchen Kanons, da er in dieser

Form nicht mehr eine Auswahl der besten Werke darstellen würde, sondern ein Sammelsurium sozial repräsentativer Werke.

Unter anderem dort setzt die Argumentation der Kanonkritiker an, die einen Kanon generell für Unsinn halten und dessen Abschaffung fordern. Aber was machen wir ohne einen Kanon? Wie eingangs erwähnt, müssen wir eine riesige Menge an Literatur bewältigen. Eine Selektion ist demnach unerlässlich. Doch wie sollen wir unsere Auswahl treffen ohne einen Kanon als Orientierungspunkt?

Jedes dieser Konzepte ist also problematisch und wirft eine Reihe neuer Fragen auf. Trotz ihrer unterschiedlichen Ansichten scheinen die Literaturkritiker sich jedoch in einem Punkt einig zu sein: Die jetzige Koexistenz vieler verschiedener Kanones, erstellt von den unterschiedlichsten Persönlichkeiten für die unterschiedlichsten Regionen, ist auf Dauer unbefriedigend und es muss etwas dagegen unternommen werden.

[...]


1 Vgl. Harold Bloom, The Western Canon. The Books and School of the Ages (New York: Harcourt Brace & Company, 1994) 526.

2 Vgl. Horst Steinmetz, Literatur und Geschichte: 4 Versuche (München: iudicium Verlag, 1988) 2.

3 Vgl. Dennis Walder, Literature in the Modern World (New York: Oxford University Press, 2004) 2.

4 Vgl. Stefan Neuhaus, Revision des literarischen Kanons (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2002) 8.

5 Gottfried Willems, Der Weg ins Offene als Sackgasse. Zur jüngsten Kanon-Debatte und zur Lage der

Literaturwissenschaft (Bonn: Bouvier Verlag, 2000) 5.

6 Vgl. Harold Bloom, Shakespeare. Die Erfindung des Menschlichen (Berlin: Berlin Verlag, 2000) 1021.

Ende der Leseprobe aus 17 Seiten

Details

Titel
Die Funktion des Kanons bei der Definition von Weltliteratur
Hochschule
Universität Mannheim
Veranstaltung
Zwischen Third-World Literature und Globaler Literatur: Neuere Konzepte von Weltliteratur
Note
1,3
Autor
Jahr
2006
Seiten
17
Katalognummer
V114250
ISBN (eBook)
9783640152377
ISBN (Buch)
9783640154517
Dateigröße
431 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Funktion, Kanons, Definition, Weltliteratur, Zwischen, Third-World, Literature, Globaler, Literatur, Neuere, Konzepte, Weltliteratur
Arbeit zitieren
Saskia Bachner (Autor:in), 2006, Die Funktion des Kanons bei der Definition von Weltliteratur, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/114250

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