Charles Taylor. Multikulturalismus und die Politik der Anerkennung

Darstellung und Kommentierung


Hausarbeit, 1995

26 Seiten, Note: 1


Leseprobe


INHALTSVERZEICHNIS

I. Einleitung

II. Darstellung der Argumentation von Charles Taylor
1. Identität und Anerkennung
2. Die Identitätsentwicklung im historischen Rückblick
3. Identitätsbildung durch Dialog
4. Die Politik der gleichheitlichen Anerkennung und die Politik der Differenz
5. Die Politik der allgemeinen Menschenwürde : die Varianten von Rousseau und Kant
6. Prozeduraler und substantieller Liberalismus
7. Das Problem des Multikulturalismus

III. Kommentare zu Taylors` Diskurs
1. Susan Wolf
2. Michael Walzer
3. Steven C. Rockefeller

IV. Eigener Kommentar

LITERATURVERZEICHNIS

I. Einleitung

Die Menschheit ist – obwohl sie biologisch gesehen eine Spezies darstellt – keine homogene Weltgemeinschaft, sondern seit Beginn ihrer Existenz vor ca. 40.000 Jahren hochgradig heterogen und fragmentiert – zum einen natürlich durch verschiedene Lebensräume, zum anderen aber besonders durch verschiedene Sprachen, verschiedene Verhaltens-, Denk- und Glaubensweisen und daraus resultierenden Gesellschaftsformen (prägt die Gesellschaft den Menschen oder der Mensch die Gesellschaftsform?); kurz: durch einen Pluralismus an Kulturen. Problematisch an dieser Kulturenvielfalt ist die – vermeintliche? – Unvereinbarkeit jener Daseinsformen, die zum Teil konträr zueinander, ja sogar feindselig gegeneinander stehen. Ein Blick in die Geschichte zurück zeigt, dass verschiedene Kulturen sich stets voneinander abgrenzten, indem sie ihre jeweilige Lebensform anfangs durch ein Territorium, später durch einen Nationalstaat von anderen isolierten. Nichtsdestoweniger versuchte – fast – jede Kultur, jeder Nationalstaat, seine Lebensform expandieren zu lassen, sprich: den andersartigen Kulturen seine vermeintlich bessere aufzuzwingen.

Es wurde und wird die Frage gestellt, welche von diesen Kulturen denn die wahre, die vernünftigste, die zu bevorzugende für die gesamte Menschheit sei. Spätestens seit der industriellen Revolution vor knapp 200 Jahren hat die sogenannte westliche Welt – Europa und Nordamerika – die „Führung“ der Erde übernommen. Es könnten aber auch schon die mittelalterliche Christianisierung mittels Kreuzzügen, die Konquistadorenzeit und die Ära „neuer“ Erdteilentdeckungen als Hegemonie angesehen werden. Jedenfalls hat die westliche Welt das Selbstverständnis, mit ihrer liberalen, demokratischen Gesellschaftsform und ihrer freien oder sozialen (?) – sozialeren – Marktwirtschaft die geeigneteste und ideale Gesellschaftsform für die ganze Menschheit zu sein. Andere Kulturen mit jeweils differenten Lebensformen erheben diesen Anspruch aber ebenso – z.B. die islamische Welt, der Kommunismus mit seinen verschiedenen Ausgestaltungen oder faschistische, monarchistische und oligarchische Staaten.

Schließlich besteht das Problem der verschiedenen Kulturen nicht nur international, sondern auch innerhalb e i n e r Gesellschaft, in der Binnenstruktur, wo sich die Konflikte mit der Kulturdifferenz besonders herauskristallisieren. In den meisten bi- und multikulturellen Gesellschaften gibt es eine Mehrheit, die dementsprechend über wirtschaftliche und politische Macht verfügt, sowie eine oder mehrere ethnische Minderheiten. Häufig werden diesen Minderheiten Rechte vorenthalten, werden sie als Bürger zweiter Klasse behandelt. Diese Unterdrückung beginnt mit Geringschätzung und kann über massive Diskriminierung bis zum Schlimmsten, dem Völkermord, führen.

Einerseits streben kulturelle Minoritäten die Gleichberechtigung an, verlangen also dieselben Rechte, die der Majorität eigen sind. Andererseits wollen ethnische Minderheitskulturen zwar gleichberechtigt werden, Gleichwertigkeit erfahren, jedoch nicht von der Mehrheit assimiliert – und somit wiederum diskriminiert – werden. Das Ziel von ethnischen Minderheiten ist das Recht, die Freiheit zu erhalten, mit der sie ihre ureigene Kultur erhalten und entfalten können – ebenso, wie die Mehrheit ihre Kultur frei entfalten kann. Als Beispiel hierfür kann der Konflikt zwischen Kurden und Türken in der Türkei angeführt werden: Das kurdische Volk möchte einerseits gleichberechtigt werden, aber nicht zu Türken homogenisiert werden, sondern das Recht erhalten, die kurdische Kultur frei leben und entfalten zu können. Sie beanspruchen genau dieselbe Freiheit, kraft deren das türkische Volk sich frei entfalten und erhalten kann. Das ist die Forderung nach gleichwertiger Achtung für ihre Kultur.

Somit kämpfen ethnische Minderheiten nicht ausschließlich für Gleichberechtigung, sondern für die Akzeptanz ihrer Andersartigkeit, für ihr Recht auf Verschiedenheit.

Schließlich gibt es nicht nur Differenzen zwischen verschiedenen Völkern, sondern auch innerhalb eines Volkes, einer Kultur: innergesellschaftlich werden ebenfalls Gruppen oder Teile der Bevölkerung geschlechtsspezifisch oder wegen ihrer sexuellen Vorlieben – subtil oder offen – unterdrückt und fordern Gleichberechtigung bzw. die Achtung für ihre eigene Kultur.

Im Idealfall sollten alle Kulturen in einem multi- oder bikulturellen Staat gleichwertig und gleichberechtigt sowie friedlich und frei neben- und miteinander leben.

Gesteht man nun aber einer ethnischen Minderheit weitreichende Freiheiten zu, geht damit meist eine Einschränkung der anderen Volksgruppe(n) einher. Wie weit kann und sollte die Majorität ihre Rechte zugunsten einer Minorität einschränken (lassen)? Und häufig wollen auch ethnische Minderheiten gar keine Koexistenz; vielmehr verlangen sie einen eigenen, autonomen Staat – was wiederum zur Spaltung des bisherigen Staates und somit u.a. zu neuen Minderheitsproblemen führt.

Die Zahl solcher weltweiter ethnischer Konflikte und Kriege ist lang: der Nordirland-Konflikt; der Krieg in ex-Jugoslawien; Tschetschenien – Rußland; Spanien – Baskenland; Indonesien – Ost-Timor; Russland – ehemalige sowjetische Unionsrepubliken; Nagorny-Karabach; Italien – Südtirol; Sri-Lanka – Tamilen; Indien – Kashmir; China – Tibet; Marokko – Tuareks; Tutsis uns Hutus in Burundi/Ruanda; Australien – Aborigines; Südafrika; Birma – Karen; Mexiko – Chiapas; Flamen – Valonen… Hier ist die Aufzählung ganz sicher noch nicht zu Ende, sie kann um etliche Konflikte erweitert werden. Allerdings muß bei dieser Aufzählung bedacht werden, dass die Konflikte nicht gänzlich unter den selben Vorzeichen und Ausgangspositionen stattfinden, sondern innerhalb verschiedener Kontexte - und deshalb auch differenziert voneinander betrachtet werden müssen.

Bedacht werden muß auch, daß ethnische Minderheiten in einigen Fällen Kulturen durchsetzen wollen, die den demokratischen Staat hochgradig unterlaufen. Wie soll in solch einer Situation - die so abwegig nicht ist - mit einer ethnischen Minderheit umgegangen werden, die eine traditionell antidemokratische und menschenrechtsverachtende Kulturform hat? Besonders uns in den westlichen Industrieländern muß die Frage beschäftigen: Welche Urteilswege stehen uns überhaupt für andersartige Kulturen offen? Sollen und dürfen wir unsere Ideale von Toleranz, Freiheit, Demokratie und Menschenrechten der ganzen Welt mit ihren zahlreichen antidemokratischen Gesellschaften aufzwingen? Haben wir das Recht, auf - vermeintlich - rückständige, atavistische Kulturen mißliebig zu schauen? Oder sollen wir fremde Kulturen, sind sie auch menschenrechtsfeindlich, akzeptieren als eben andere, "exotische" Kulturen mit ureigenem Reiz, als die Schönheit der Andersartigkeit? Und dürfen die westlichen Demokratien kommunizieren und Handel betreiben mit Ländern, welche in ihrer Gesellschaft unsere hehren Werte mit Füßen treten?

Schließlich lautet die Frage, wie die westlichen Demokratien mit der menschlichen Lebensform, die sich in eine Vielzahl von Daseinsformen differenziert hat, umgehen, wie wir ihr begegnen wollen - um eine Welt zu schaffen, in der verschiedenste Lebensweisen friedlich miteinander koexistieren, ohne einander zu diskriminieren.

In diese multikulturelle Debatte, die häufig sehr polemisch und undifferenziert geführt wird, hat u.a. der Kanadier Charles Taylor mit seinem Essay Multikulturalismus und die Politik der Anerkennung - 1992 in der Princeton University Press erschienen - versucht, Nüchternheit und Differenziertheit in die hitzige Auseinandersetzung zu bringen. Darüber hinaus versucht er, die Frage des multikulturellen Kontextes konstruktiv zu beantworten.

II. Darstellung der Argumentation von Charles Taylor

Charles Taylor - Professor für Philosophie und Politwissenschaften an der Mc Gill University in Montreal sowie aktiver Politiker in Quebec für die New Democratic Party - versucht in seinem 1992 erschienenen Buch mit dem Originaltitel Multiculturalism and `The Politics of Recognition` die Problematik von der Vielfältigkeit menschlicher Kulturen aufzuzeigen. Seine Ausgangspunkte sind hierbei zum einen die Pluralität der differenzierten menschlichen Daseinsformen, zum anderen die Identität des Menschen.

1. Identität und Anerkennung

Taylors` Ansatz stellt einen engen Zusammenhang zwischen der Identität und deren Anerkennung her. Den Begriff "Anerkennung" (S.13;Z.2f) verwendet er im Sinne von Wertschätzung und Achtung, mit "Identität" (S.13;Z.17) ist das Selbstverständnis des Menschen gemeint. Taylor stellt nun die These auf, daß die Identität eines jeden Menschen zu einem großen Teil von der Anerkennung anderer abhängt und geprägt wird - und demzufolge auch von der verweigerten Anerkennung, der "Nicht - Anerkennung" (S.13;Z.18f). So kann die Verkennung einem Menschen, einer Gruppe von Menschen als auch einem ganzen Volk immensen Schaden zufügen. Denn Taylor weist auf die suggerierende Wirkung von Nichtachtung hin : die Erzeugung von Selbstverachtung in dem nicht - anerkannten Menschen. Durch Nichtanerkennung wird der verkannten Person oder Minderheit ein vermeintlicher Spiegel vorgehalten, in dem ihre eigene, angeblich minderwertige Existenz projiziert wird. Schließlich nimmt der nach Anerkennung Strebende - laut Taylor - dieses falsche Spiegelbild der Verachtung zu seiner Identität auf. Diese suggerierte Selbstverachtung "deformiert" (S:13;Z.21) letztlich die Identität der Minderheit, und führt schließlich zu einer "destruktiven Identität" (S.14;Z.21). Taylor bezeichnet die Verkennung als Waffe der Majorität zur Unterdrückung von Minderheiten, indem sie Selbstverachtung produziert und damit die Minderheit durch Selbstzweifel und - haß zersetzt und ihr ihre vermeintliche Unfähigkeit und Abhängigkeit "beweist". Als Beispiele führt Taylor bedrohte ethnische Minoritäten und Frauen - die natürlich keine Minderheit sind ! - und trotzdem unterdrückt werden - an. Viele Frauen haben sich das patriarchalische Minderwertigkeitsbild angeeignet und sich danach gerichtet .

Aus diesen Gründen ist für Taylor die Anerkennung ein menschliches Grundbedürfnis, denn sie spielt eine wesentliche Rolle in der Entwicklung zu einer selbstbewußten und mündigen Identität des Menschen - und auch bei vielen in Gruppen und Völkern zusammengefaßten Menschen.

[...]

Ende der Leseprobe aus 26 Seiten

Details

Titel
Charles Taylor. Multikulturalismus und die Politik der Anerkennung
Untertitel
Darstellung und Kommentierung
Hochschule
Universität Lüneburg  (Kulturwissenschaften)
Veranstaltung
Seminar Einführung in die Kulturphilosophie
Note
1
Autor
Jahr
1995
Seiten
26
Katalognummer
V11456
ISBN (eBook)
9783638176149
ISBN (Buch)
9783638641821
Dateigröße
496 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Sehr dichte Arbeit.
Schlagworte
Charles, Taylor, Multikulturalismus, Politik, Anerkennung, Seminar, Einführung, Kulturphilosophie
Arbeit zitieren
Kulturwissenschaftler M.A. Adrian Flasche (Autor:in), 1995, Charles Taylor. Multikulturalismus und die Politik der Anerkennung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/11456

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