Konversationelle Implikaturen


Hausarbeit (Hauptseminar), 2003

25 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Ausgangspunkt: Sagen und Meinen

2. Das Kooperationsprinzip und die Konversationsmaximen

3. Der Begriff der konversationellen Implikatur

4. Befolgung der Konversationsmaximen

5. Missachtung und „Ausbeutung“ der Konversationsmaximen

6. Eigenschaften von Konversationsimplikaturen

7. Typologie der Implikaturen

8. Skalare und klausale Implikaturen als Beispiele für generalisierte Quantitätsimplikaturen

9. Implikaturen als Beschränkungen für Lexikalisierungen

10. ‚Heckenausdrücke’ für Maximen (‚maxim hedges’)

11. Redecharakterisierung als selbstkritische Sprachreflexion

12. Ausblick: Weitere Anwendungsbereiche und offenen Fragen

1. Ausgangspunkt: Sagen und Meinen

Den Ausgangspunkt der Theorie der Konversationsimplikaturen, die der Sprachphilosoph H. P. Grice im Rahmen der „William James Lectures“ im Jahre 1967 an der Harvard University entwickelt und in den Folgejahren in Form von Aufsätzen[1] publiziert hat, bildet der besonders in Gesprächen häufig zu konstatierende Unterschied zwischen dem wörtlich Gesagten (‚what is said’) und dem mit der Äußerung Gemeinten (‚what is meant’). Grices Theorie geht von der Frage aus, woher wir in einer bestimmten Situation wissen, was der Sprecher bzw. Schreiber meint und versucht zu erklären, wie ein Hörer bzw. Leser[2] von der Ebene des explizit Gesagten zur Ebene der implikatierten Bedeutung gelangt. Sie beschäftigt sich mit den Mechanismen, durch die Implikaturen erzeugt und interpretiert werden und erklärt, inwiefern man in bestimmten Situationen mehr bzw.

etwas anderes meinen kann als man tatsächlich sagt, d.h. mehr als durch den konventionalen Gehalt der geäußerten sprachlichen Ausdrücke wörtlich übermittelt wird. Dies soll zunächst an einem Beispiel verdeutlicht werden, bei dem es sich um einen Logbucheintrag handelt:

(1) Ein Kapitän und sein Maat haben seit längerem Streit. Der Maat spricht gerne dem Rum zu, und der Kapitän will dies nicht länger dulden. Als der Mann wieder mal besoffen ist, trägt der Kapitän ins Logbuch ein: Heute, 11. Oktober, der Maat ist betrunken. Als der Maat während seiner nächsten Wache diese Eintragung liest, wird er erst wütend, dann überlegt er kurz, schließlich trägt er ins Logbuch ein: Heute, 14. Oktober, der Kapitän ist nicht betrunken.[3]

Der Eintrag des Maats sagt mehr aus als bloß, dass der Kapitän nicht betrunken ist. Vor dem Hintergrund, dass ein Logbuch dafür vorgesehen ist, besondere Vorkommnisse festzuhalten, meint die Eintragung des Schiffsoffiziers, dass es einer Seltenheit oder zumindest einer Besonderheit gleichkommt, dass der Kapitän nicht betrunken ist, und entkräftet somit den vorangegangenen Eintrag des Kapitäns in gewisser Weise.

Manchmal sagen wir exakt das, was wir meinen, aber meistens sind wir nicht absolut explizit. Die wörtliche Bedeutung einer Äußerung und das, was implikatiert wird, können auseinanderdriften: Was zu verstehen gegeben werden soll kann das Gesagte über- steigen. Solche Dissoziationen des Gesagten und des Gemeinten finden sich in Gestalt „vorgeprägter“ Formen bei Tropen wie etwa der Metapher, Metonymie, Synekdoche, Litotes, Hyperbel, Ironie usw. Die Theorie der konversationellen Implikaturen ist jedoch hauptsächlich für das Auseinandertreten des Gesagten und Gemeinten in nicht „vorge- prägten“ Fällen konzipiert.[4]

Grices Theorie birgt ein Erklärungspotential für eine Menge geläufiger Phänomene sprachlicher Verständigung in sich, die von einem rein semantischen Blickpunkt aus Schwierigkeiten bereiten. So erklärt sie beispielweise die tiefere Bedeutung der Äußerung von Tautologien, die streng genommen ja nicht sehr informativ sind, von Mehrdeutigkeiten und von offenkundig falschen Sätzen, wie etwa im Falle von Ironie.

2. Das Kooperationsprinzip und die Konversationsmaximen

(2) How many animals of each kind did Moses take on the ark?[5]

Auf diese Frage antworten die meisten Menschen mit „zwei“. Die korrekte Antwort hierauf wäre jedoch „null“, da es nicht Moses, sondern Noah war, der Tiere mit auf seine Arche nahm. Dieses Beispiel soll verdeutlichen, dass wir normalerweise und rationaler- weise davon ausgehen, dass der Sprecher kooperativ ist.

Für Grice gibt es ein generelles, übergeordnetes Kooperationsprinzip, das die Grundlage für eine rationale und effiziente Kommunikation darstellt. Dieses Prinzip lautet:

(3) „Make your conversational contribution such as is required, at the stage at which it occurs, by the accepted purpose or direction of the talk exchange in which you are engaged.“[6]

Grice formuliert außerdem vier diesem Kooperationsprinzip untergeordnete Konversa- tionsmaximen, die er als Maximen der Qualität (‚quality’), Quantität (‚quantity’), Relation[7] (‚relation’) und Modalität[8] (‚manner’) bezeichnet.

Die Griceschen Konversationsmaximen, die sich teilweise in Submaximen untergliedern, finden sich im folgenden Schema[9] wieder:

(4) QUANTITY

1. Make your contribution as informative as is required (for the current purposes of the exchange).
2. Do not make your contribution more informative than is required.

QUALITY RELATION

Try to make your contribution one that is true. Be relevant.

1. Do not say what you believe to be false.
2. Do not say that for which you lack adequate evidence.

MANNER

Be perspicuous.

1. Avoid obscurity of expression.
2. Avoid ambiguity.
3. Be brief (avoid unnecessary prolixity).
4. Be orderly.

Es handelt sich beim Kooperationsprinzip und den Konversationsmaximen trotz der vielleicht etwas irreführenden und mehrfach fehlinterpretierten[10] Formulierung in Imperativform nicht um eine Anleitung zu richtigem kommunikativen Verhalten, sondern um Annahmen über das rationale Verhalten der Gesprächspartner. So macht beispiels- weise die Qualitätsmaxime keine Aussage über die moralische Vertretbarkeit einer Lüge, sondern drückt lediglich aus, dass wir unseren Gesprächspartnern rationalerweise unter- stellen, dass diese nicht lügen.

Es lässt sich feststellen, dass die einzelnen Maximen einen unterschiedlichen Stellenwert besitzen und deren eventuelle Nichtbeachtung durch den Sprecher vom Hörer in unterschiedlicher Weise bewertet wird. Während ein Versagen hinsichtlich der Quantität oder Relation häufig „nur“ als mangelnde kommunikative Kompetenz bzw. als ästhetische Unzulänglichkeit gedeutet wird, gilt eine Verletzung der in der Rangordnung zuoberst angesiedelten Maxime der Qualität eher als moralischer denn als intellektueller Fehler und kann damit einer Beleidigung gleichkommen.[11]

Grundsätzlich kann ein Sprecher alle Maximen beachten (s. Kapitel 4) oder aber eine oder mehrere Maximen nicht beachten (s. Kapitel 5). Dabei sei jedoch darauf hinge- wiesen, dass ein allzu strenges Festhalten an den Konversationsmaximen zwar Klarheit und Effizienz garantiert, aber etwa unter dem Aspekt der Höflichkeit nicht unbedingt immer den „Idealfall“ von Kommunikation darstellt. Unter diesem Gesichtspunkt ist beispielsweise die in (5) von B gegebene Antwort einer eventuellen direkten Äußerung des Missfallens überlegen:

(5) A: Gefällt die meine neue Haarfarbe? B: Sie ist grün!

Unsere grundsätzliche Kooperationsannahme und die genannten Konversationsmaximen haben bei Kindern, Sprechern bzw. Hörern anderer Kulturen sowie bei Betrunkenen lediglich eine eingeschränkte Gültigkeit. Außerdem hat bereits Grice darauf hingewiesen, dass die Konversationsmaximen auch außerhalb von Gesprächen Anwendung finden[12],

nämlich immer dann, wenn zwei Menschen zusammenarbeiten und somit auf die Kooperation des jeweils anderen angewiesen sind.

3. Der Begriff der konversationellen Implikatur

Grice nennt in seinem Aufsatz „Logic and conversation“ selbst folgendes Beispiel für eine konversationelle Implikatur.[13] Darin unterhalten sich A und B über einen gemein- samen Freund C, der jetzt in einer Bank arbeitet:

(6) A: Und wie geht es C in seinem neuen Job?

B: Oh, ganz gut, nehme ich an; im Gefängnis ist er bisher noch nicht gelandet.

Der Äußerung von B kann als wörtliche Bedeutung entnommen werden, dass es C in seinem neuen Job gut geht und er nicht im Gefängnis gelandet ist. Darüber hinaus kann jedoch noch etwas anderes gemeint sein. B kann beispielsweise ausdrücken wollen, dass er C für potentiell unehrlich hält. Diese zusätzliche, kontextabhängige Bedeutung bezeichnet Grice als konversationelle Implikatur. Sie steckt nicht in der wörtlichen Bedeutung der Äußerung, sondern muss aus dem Kontext erschlossen werden.

Es wäre folgender informeller, d.h. nicht notwendigerweise expliziter und vollkommen bewusster Gedankengang von A denkbar, durch den dieser zu der von B intendierten Zusatzinformation gelangen könnte:

(i) B hat offensichtlich die Maxime ‚Sei relevant’ verletzt (Maxime der Relation). Ferner hat er wohl gegen eine der Maximen verstoßen, die zur Klarheit gehören (Maximen der Modalität).

(ii) Ich habe jedoch keinen Grund zu der Annahme, dass er die Geltung des Kooperationsprinzips außer Kraft setzt.

(iii) Angesichts der Umstände kann ich die Irrelevanz seines Beitrags dann, und nur dann, als bloß scheinbar auffassen, wenn ich annehme, dass er C für potentiell unredlich hält.

(iv) B weiß, dass ich es schaffen kann, durch Überlegung auf Schritt (iii) zu kommen. Somit

implikatiert B, dass C potentiell unehrlich ist.[14]

Hierbei ist die rationale Annahme in (ii), dass zumindest das Kooperationsprinzip beachtet wird, von besonderer Bedeutung. Ohne diese Voraussetzung wäre laut Grice der angeführte Schlussprozess und somit letztlich das Gelingen der Verständigung zwischen A und B nicht möglich.

Bei einem solchen Schlussprozess ist der Verdacht, der Gesprächspartner könne mit seiner Äußerung gegen die Konversationsmaximen verstoßen haben, Auslöser dafür, über zusätzlich vermittelte Bedeutungen nachzudenken.

[...]


[1] Hierbei ist besonders sein Aufsatz „Logic and Conversation“ (Grice 1975) von großer Bedeutung.

[2] Im Folgenden soll aufgrund der besseren Lesbarkeit nur vom ‚Sprecher’ und ‚Hörer’ die Rede sein, wobei jedoch immer auch der ‚Schreiber’ bzw. ‚Leser’ sowie die entsprechenden femininen Formen miteinge- schlossen sein sollen.

[3] Beispiel nach Meibauer 22001: 40.

[4] Vgl. Rolf 1994: 110 f.

[5] Bishop 1997: 173 f.

[6] Grice 1975: 45. Eine mögliche deutsche Übersetzung des Kooperationsprinzips lautet (nach Rolf 1994: 103): „Mache deinen Gesprächsbeitrag jeweils so, wie es von dem akzeptierten Zweck oder der akzeptierten Richtung des Gesprächs, an dem du teilnimmst, gerade verlangt wird.“

[7] Als Bezeichnung dieser (dritten) Maxime findet sich in der deutschsprachigen Literatur auch häufig eine Übersetzung mit ‚Relevanz’.

[8] Diese (vierte) Maxime wird auch manchmal mit Maxime der ‚Art und Weise’ übersetzt.

[9] Vgl. hierzu Grice 1975: 45 f.

Mögliche deutsche Übersetzung der Konversationsmaximen (nach Meibauer 22001: 25, Rolf 1994: 104):

Maxime der Quantität:
1. Mache deinen Gesprächsbeitrag so informativ wie es der augenblickliche Gesprächszweck verlangt.
2. Mache deinen Gesprächsbeitrag nicht informativer als nötig. Maxime der Qualität: Versuche, deinen Gesprächsbeitrag so zu gestalten, dass er wahr ist.
1. Sage nichts, was du für falsch hältst.
2. Sage nichts, wofür du keine hinreichenden Beweise hast. Maxime der Relation: Sei relevant.

Maxime der Modalität: Sei klar.
1. Vermeide Unklarheit im Ausdruck.
2. Vermeide Mehrdeutigkeit.
3. Fasse dich kurz (vermeide unnötige Weitschweifigkeit).
4. Verwende die richtige Reihenfolge.

[10] Für eine Zusammenstellung der häufigsten Fehlinterpretationen zur Theorie der Konversations- implikaturen von Grice siehe Thomas 1998a: 173 f.

[11] Vgl. hierzu Rolf 1994: 108.

[12] Vgl. Grice 1979: 251.

[13] Vgl. Grice 1979: 245 f.

[14] Die Darstellung dieses Gedankengangs orientiert sich an dem von Grice (1979: 255) angegebenen allgemeinen Schema zum Erschließen einer konversationellen Implikatur.

Ende der Leseprobe aus 25 Seiten

Details

Titel
Konversationelle Implikaturen
Hochschule
Universität Passau  (Lehrstuhl für Romanische Sprachwissenschaft)
Veranstaltung
"Pragmatik"
Note
1,0
Autor
Jahr
2003
Seiten
25
Katalognummer
V114600
ISBN (eBook)
9783640161881
ISBN (Buch)
9783640163816
Dateigröße
576 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Konversationelle, Implikaturen, Pragmatik
Arbeit zitieren
Thomas Strobel (Autor:in), 2003, Konversationelle Implikaturen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/114600

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