Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung – die Literaturgattung Fabel
2. Steinhöwels Äsop
2.1 Die Vorrede Steinhöwels
2.2 Die Fabel: Die ander fabel von dem wolff und dem lamp
3. Luthers Äsop
3.1 Die Vorrede Luthers
3.2 Die Fabel: Vom Wolf und Lemlin
4. Fazit
5. Literaturverzeichnis
Internet-Quelle:
6. Eigenständigkeitserklärung
1. Einleitung – die Literaturgattung Fabel
Die Geschichte der Literaturgattung Fabel (lat.: fabula: Erzählung, Sage1 ) geht zurück bis in die Antike. Bereits der allseits bekannte griechische Philosoph Aristoteles (384 – 322 v. Chr.) beschreibt die Fabel als „ein Instrument der Argumentation“2 in der Rhetorik3 .
Der genaue Ursprung der Fabel ist allerdings bis heute noch nicht gänzlich geklärt – so gibt es zwar den weitverbreiteten Mythos um den „sagenumwobene[n] Sklave[n] Äsop“4, welcher im 6. Jh. v. Chr. gelebt haben soll und der der vermeintliche Schöpfer der Fabel ist5 . Allerdings konnte seine sichere Existenz bis heute nicht eindeutig nachgewiesen werden6 .
Der Autor, mit einer der namhaftesten Fabeldichter seiner Zeit, Magnus Gottfried Lichtwer7 beschreibt in seinem Gedicht Die beraubte Fabel die Literaturgattung als „die Göttinn aller Dichter“8, welche sich zu ihrer Schuldbegleichung nackt ausziehen muss:
Ihr Beutel, den sie liefern müssen,
Befand sich leer: sie soll die Schuld
Mit dem Verlust der Kleider büßen;
Die Göttinn litt es mit Geduld.
Mehr, als man hoffte, war gefunden;
Man nahm ihr alles. Was geschah?
Die Fabel selber war verschwunden,
Es stund die bloße Wahrheit da.
Beschämt fiel hier die Rotte nieder:
Vergib uns, Göttinn, das Vergehn;
Hier hast du deine Kleider wieder:
Wer kann die Wahrheit nackend sehn?9
Laut Lichtwer sei die Fabel also eine versteckte Wahrheitserzählung, welche sich von poetischen Geschichten ummanteln und verschönern lässt. Fallen diese Kleidungsstücke ab, so bleibt einem am Ende nur noch der Anblick der nackten Wahrheit. Will man eine Fabel also verstehen, so gilt es, sie Schicht für Schicht zu entkleiden. Grubmüller definiert die literarische Gattung Fabel in seinem Aufsatz Zur Pragmatik der Fabel durch ein „Bündel[] von formalen wie inhaltlichen Merkmalen“10 . Dieses Bündel setzt sich zusammen aus:
Handlung, Tiere, Pflanzen oder Gegenstände der unbelebten Natur als Akteure; Das Vermögen dieser nichtmenschlichen Akteure, über Bewußtsein, Vernunft und Sprache des Menschen zu verfügen, d.h. ihre Anthropomorphisierung; daraus resultierend: die Fiktivität der Handlung; schließlich: eine auf die Zuspitzung von Konflikten gerichtete Struktur und eine demonstrativ-didaktische Grundintention.11
Die Fabel ist also eine Erzählung mit lehrhaftem Charakter, in deren Fokus anstatt Menschen Tiere oder Pflanzen mit menschlichen Eigenschaften auftreten.
Für meine Arbeit habe ich die Fabelsammlung des Äsops erwählt, in welcher „die politische Macht der Fabel“12 durch die Geschichte des missgestalteten Sklaven verdeutlicht und klar hervorgehoben wird. Über ihre genaue Herkunft ist ebenso wenig bekannt, wie über die Herkunft der allgemeinen Fabel. Doderer zitiert hierzu den Autoren Arno Schirokauer, welcher die Herkunft der äsopischen Fabel nicht besser beschreiben könnte:
Wie weit für die äsopischen Fabeln Phädrus, Babrius, Avian, Romulus, das fünffache Gewebe Pantschantra, Bidpaj, Cyrillus als Erfinder, Sammler, Bearbeiter, Übersetzer nahmhaft sind, sind Fragen, auf die es auch fast so viele Antworten gibt wie Fabeln13
Um die Quellen sicherstellen zu können, sollen im Folgenden daher die beiden Bearbeitungen der Fabelsammlungen des Äsops von Heinrich Steinhöwel, sowie Martin Luther ihrer Kleidung entledigt und Schicht für Schicht durchleuchtet werden. Da der gesamte Inhalt der Fabelsammlungen diesen Rahmen sprengen würde, werde ich mich in dieser Arbeit vor allem auf die jeweiligen Vorreden, sowie die Fabel vom Wolf und Lamm zu konzentrieren. Diesbezüglich soll vor allem auf den äußeren Stil, die inhaltlichen Differenzen, die Intentionen des Autors, sowie auf die jeweiligen Rezipienten eingegangen werden.
2. Steinhöwels Äsop
Heinrich Steinhöwel war ein Arzt und Gelehrter aus Ulm. 1476 – zwei Jahre vor seinem Tod wurde sein Esopus „als zweisprachige (lat./dt.) und mit Holzschnitten illustrierte Ausgabe bei Johannes Zainer in Ulm verlegt“14, weshalb er auch oft als der Ulmer Äsop bekannt ist15 . Sein Werk „besteht bekanntlich aus einer zusammenstellung von fabeln und schwänken sehr verschiedener verfaßer, in welcher jedes einzelne stück außer in der lateinischen faßung auch in Steinhöwels deuscher übersetzung erscheint“16 . Die Sammlungen stammen vermutlich „aus der griechisch-römischen Antike“17 . Es ist dahingehend beeindruckend, als dass es im 16. Jahrhundert von zahlreichen Autoren weitergeführt und neuverlegt wurde.18 Mit seinem Werk beendete er die bis dato „mittelalterliche Fabeldichtung“19 und läutete das Zeitalter der ´humanistische[n] Phase der Fabelrezeption`20 ein. Steinhöwel war selbst ein leidenschaftlicher Humanist, hatte er doch bereits im Entstehungsland des Humanismus, in Italien, studiert21 . Die Epoche des Humanismus – oder auch der Renaissance – charakterisierte sich vor allem durch die Rückbesinnung auf die Antike und Naturwissenschaften. Zwischen dem 14. und 16. Jahrhundert versuchten die Gelehrten, das „Lebensgefühl [der Antike]“22 zu erneuern. Die Epoche zeichnete sich vor allem durch den „Bruch mit der spätmittelalterlichen Scholastik23 “24, einen „sozioökonomische[n] Strukturwandel“25 und einen „gesellschaftliche[n] Strukturwandel“26, in dem man durch Bildung erleichterte Aufstiegschancen erhielt, aus. Die Werte des Menschen wurden nun genauer betrachtet und hervorgehoben und es wurde sich nicht mehr blind auf die Unterstützung Gottes verlassen. Stattdessen konzentrierte man sich auf Bildung und die Gewinnung neuer Erkenntnisse27 . Dies erklärt auch Steinhöwels Interesse an der Übersetzung der Fabelsammlung des Esopus. Als Mitglied der „fortschrittlichen Kreisen des deutschen Bürgertums“28, musste das Konzept der lehrenden Erzählung wohl wie ein Diamant auf ihn gewirkt haben. Durch die Übersetzung der kurzen und prägnanten Geschichten war es ihm nun möglich, die Lehren für die Allgemeinheit zugänglich zu machen. Pichtownikowa schreibt über seine Fabelsammlungen, sie hätten
eine sehr wichtige soziale Funktion, indem sie der Entwicklung der geistigen und intellektuellen Emanzipation der niedrigeren Schichten des Volkes betrugen und den Idealen der bürgerlichen Freiheit, Gerechtigkeit und Bildung dienten.29
Wie Österley bereits schrieb, ist Steinhöwels Esopus in mehrere Einzelteile untergliedert. Da für meine Arbeit die ersten drei Teile wichtig sind, lege ich sie im Folgenden kurz dar.
1.) die Vita Esopi Fabulatris clarissimi e greco, in der er zunächst seine Vorrede in eigenen Worten verfasst und anschließend über das Leben des Äsops, welches in mehrere Anekdoten unterteilt ist, erzählt. Maximus Planudes soll sie „um 1327 aus Constantinopel nach Italien gebracht haben“30 .
2.) Explicit prologus. Die vorred Romuli philosophi in das buch Esopi, in der er über Romulus erzählt, welcher „durch syne fabeln die menschen gelert hat, wie sich die in tuon und laßen halten söllent“31 . Österley beschreibt sie in seiner Vorrede zum Äsop als „besondere, in älterer handschrift nicht nachgewiesene recension der fabeln des Romulus, welche außer der deutschen üversetzung, in den ersten drei büchern auch noch die bearbeitung des anonymus in lateinischen distichen enthält“32 .
3.) 20 verschiedene Fabeln aus dem Tierreich
Natürlich gibt es noch viel mehr Teile, wie zum Beispiel die Lateinischen Schriften. Diese hier darzustellen würde allerdings den Rahmen der Arbeit sprengen.
2.1 Die Vorrede Steinhöwels
Die Vorrede Steinhöwels steht ganz zu Beginn in der Vita Esopi Fabulatoris clarissimi e greco. Zunächst benennt Steinhöwel seine Quellen:
…uß krichischer zungen im latin durch Rimicium gemacht an den hochwirdigen vatter, herren Anthonium des titels sancti Chrysogoni priestern cadinaln; und fürbas das selb leben Esopi mit synen fabeln, die etwan Domulus von Athenis synem sun Thiberino uß kriechischer zungen in latin gebracht, hatt gesendet, und mer ettlich der fabel Aviani, auch Doligami, Aldefonsii und schimpfreden Poggii und anderer33
Er bezieht sich in seinem gesamten Werk also auf Rimicius, „die Sammlungen von Romulus, Avianus und Aldephonus, die Doligami des Adolf von Wien und die Facetiae Poggios“34 . Anschließend beschreibt er seine Übersetzungen, welche „nit wort uß wort, sunder sin uß sin“35, also sinnesgemäß, aber nicht Wort für Wort niedergeschrieben wurden. Auch später macht er nochmals darauf aufmerksam, dass es ihm „um eine möglichst getreue Wiedergabe der antiken Originaltexte geht“36:
[...]
1 DUDEN, 2015: 568
2 Leibfried, 1984: 9
3 Vgl. ebd.: 1984: 9
4 Doderer, 1977: 8
5 Vgl. ebd., 1977: 8
6 Doderer, 1977: 8
7 Kaufmann, 2015: 11
8 Lichtwer, 1793: 5
9 Ebd., 1793: 5
10 Grubmüller in Textsorten und literarische Gattungen, 1983: 473
11 Ebd., 1983: 473f.
12 Doderer, 1977: 12
13 Ebd., 1977: 8
14 Dithmar, 1982: 16
15 Vgl. Derendorf, 1996: 1
16 Österley, 1873: 1
17 Doderer, 1983: 208
18 Vgl. Schwitzgebel, 1996: 59
19 Derendorf, 1996: 3
20 Ebd., 1996: 3
21 Vgl. Pichtownikowa, 2008: 85
22 Aurnhammer, 2019: 25
23 Scholastik:1.) auf die antike Philosophie gestützte, christliche Dogmen verarbeitende Philosophie und Theologie des Mittelalters (9.-14-Jh.), 2.) (abwertend) engstirnige, dogmatische Schulweisheit (DUDEN, 2015: 1558); Die Scholastik sei also zwar an die Antike angelehnt, allerdings nicht so offenkundig, wie die Einstellung der Humanisten.
24 Aurnhammer., 2019: 25
25 Ebd., 2019: 27
26 Ebd., 2019: 27
27 Vgl. Pichtowka, 2008: 85
28 Ebd., 2008: 85
29 Ebd., 2008: 87
30 Österley, 1873: 1
31 Steinhöwel, 1873: 78
32 Österley, 1873: 1
33 Steinhöwel 1873: 4
34 Schwitzgebel, 1996: 59
35 Steinhöwel, 1873: 4
36 Schwitzgebel, 1996: 59