Leseprobe
Diese Hausarbeit will einen Überblick über das Arts and Crafts Movement geben, über Grundideen, Hauptvertreter und deren Werke berichten. Da besonders auf die Weiterentwicklung der Ideen in Amerika durch Frank Lloyd Wright eingegangen wird, müssen vorher die Anfänge der Bewegung in England, hier durch William Morris und Philip Webb betrachtet werden.
Das „Arts and Crafts Movement“ entwickelte sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in England und wurde dort, aber auch in anderen Teilen der Erde, wie zum Beispiel in Amerika, bis in die 20er Jahre des vergangenen Jahrhunderts und in manchen Aspekten auch darüber hinaus praktiziert.
Der Begriff „Arts and Crafts“ wurde von T.J.Cobden-Sanderson (1840-1922) geprägt und bedeutet soviel wie „Künste und Handwerk“ (Kirsch, S.269). Bereits im Namen der Bewegung erkennt man, für was das Movement steht: zurück zu den alten Künsten und zu echtem handwerklichen Können. Dies bezieht sich sowohl auf die damalige Architektur, als auch auf das zeitgenössische Innendesign. Im folgenden Zitat von Walter Crane, erster Präsident der „Arts and Crafts Exhibition Society“, werden Ziele der Bewegung treffend formuliert: „Sie stellt in gewissem Sinn eine Revolte gegen das harte, mechanische, konventionelle Leben und seine Unsensibilität für Schönheit dar. Sie ist ein Protest gegen den so genannten industriellen Fortschritt, der Schundwaren hervorbringt, deren Billigkeit mit dem Leben der Erzeuger und der Entwürdigung ihres Verbrauchers bezahlt ist.“ (Kirsch, S.269).
Die Bewegung war zunächst eine Reaktion auf die Viktorianische Zeit, in der Königin Viktoria von England regierte (1837-1901). In der „Victorian era“ waren die Häuser meist an den Baustil der Antike angelehnt, mit pompösen Veranden und Terrassen, die über eine große Treppe in riesige Portale mündeten. Außerdem schmückten sehr verspielte Ornamente die Außenmauern und die Häuser glichen prunkvollen Palästen. Die Anhänger des Arts and Crafts Movements störten sich an diesem Erscheinungsbild und wollten zurückkehren zu gradlinigen, einfachen Formen und Gebäuden.
Der Bewegung gehörten Künstler an, darunter auch Schriftsteller und Handwerker jeglicher Fachrichtung, wie zum Beispiel Architekten, Drucker und Buchbinder, Juweliere, Töpfer, Bildhauer und Maler. All diese verschiedenen Künstler hatten jedoch eines gemeinsam: die Ablehnung der Auswirkungen der Industriellen Revolution, die im 19.
Jahrhundertvon England aus die Welt eroberte. In dieser Zeit etablierte die Fließbandarbeit und somit die Aufteilung eines Arbeitsprozesses in verschiedene einzelne, stupide Arbeitsschritte. Dabei, so argumentierten die Arts and Crafts Anhänger, werde der Mensch seiner eigenen Kreativität beraubt, seine Arbeit sei ihm vorgegeben und handwerklich seien ihm keine neuen Herausforderungen angeboten. William Morris (1834-1896), der Hauptvertreter der englischen Arts and Crafts Bewegung, drückt dieses Postulat wie folgt aus: „he saw the worker at the bench, lathe, land loom, reduced to an animated component of the mechanical process; dehumanised, robbed of responsibility, his innate creativity totally annulled – and this in the interest of producing articles inferior to what had formerly been made by hand. It was a condition of life he knew he would not tolerate for himself: why then should it be tolerated at all?“ (Watkinson, S.76).
Zudem seien maschinell hergestellte Waren schlecht gestaltet und von minderer Qualität. Dies ist darauf zurückzuführen, dass der Handwerker seine Produkte nicht mehr selbst konzipieren durfte und Waren, die von Designern lieblos entworfen worden waren, unter Zeitdruck fertig stellen musste. Bei der Produktion kam es nicht länger auf Originalität und besondere sorgfältige Ausführung an, die Waren mussten nur noch in möglichst kurzer Zeit fertig gestellt werden, um den Ertrag zu maximieren. Es wurde bemängelt, dass der „pursuit of profit, not the well-making by modern means of making, ... be the dominant force in industry“ (Watkinson, S.76). Das Arts and Crafts Movement forderte dagegen, dass der Designer auch der ausführende Handwerker sein sollte, damit er alle ausgearbeiteten Ideen durch handwerkliches Können in die Tat umsetzt. „Künstler sollten selbst am Produktionsprozeß der Gegenstände beteiligt sein und es nicht Fabrikarbeitern oder Handwerkern mit zweifelhaften Fähigkeiten überlassen“ (Kirsch, S.119). Qualität, nicht Quantität sollte wieder das Ziel des Herstellungsprozesses werden.
Aber wie sollten diese Arts and Crafts Möbel und Gebäude aussehen? Es gibt einige Kennzeichen, die alle Arts and Crafts Häuser und Möbelstücke verbinden. Anhand des „Red House“ und des „Standen House“, beide von Philip Webb (1831-1915) entworfen und gebaut, werden die wesentlichen Merkmale beschrieben.
Das vielleicht beste Beispiel für ein Arts and Crafts Haus wurde für das Ehepaar Morris selbst erbaut, von seinem Mitstreiter und engem Freund Philip Webb. Die Rede ist von dem „Red House“, das 1859 erbaut wurde, und bis heute in Bexleyheath, Kent, steht [Abb.1]. Das Gebäude sticht einem sofort ins Auge: es wurde aus rotem, naturbelassenen Ziegel erbaut und lässt erkennen, dass weder am Material noch an der Struktur von Dingen übermäßige Veränderungen vorgenommen wurden. Das Haus wurde nicht verputzt und nicht geweißelt, so dass die natürlich rote Farbe des Ziegels besonders gut zur Geltung kommt. Das Dach wurde mit bräunlichen Dachziegeln gedeckt, was sehr gut mit dem Ziegelrot harmoniert. Wenn Holz oder Stein an einem Haus verarbeitet wurden, dann sind diese Materialien keineswegs verdeckt. Sie wurden absichtlich offen zur Schau gestellt und unterstreichen damit den natürlichen Charakter des Gebäudes. Dies ist ein unverwechselbares Kennzeichen der Arts and Crafts Bewegung: „back to nature“, also zurück zu den natürlichen Materialien wie Holz, Leder, Ziegel oder Stein. Die Materialien, aus denen ein Haus oder ein Möbelstück angefertigt wurden, sollten möglichst unbehandelt verarbeitet werden, so dass man den unverfälschten Anblick von Natürlichkeit genießen kann. Im Inneren blieb das Treppenhaus des Red Houses aus diesem Grund unvertäfelt und auch der Boden wurde aus naturbelassenem Holz gefertigt. Manche Möbelstücke blieben sogar absichtlich unvollendet, um den bäuerlich rustikalen Stil noch zu betonen. Sie werden als „schwer, feierlich und düster“ (Kirsch, S.268), aber auch als ehrlich bezeichnet, was den Unterschied zum verspielten Design der Viktorianischen Zeit noch deutlicher macht.
Weiterhin findet man im Red House einfache weiße Wände, die jedoch hin und wieder mit Fresken und Bildern verziert sind, was den romantischen Charakter des Hauses unterstreicht. Die Bilder zeigen oft Pflanzenmotive und sollen somit die Bedeutung von Natur für das Arts and Crafts Movement unterstreichen. Die Verwendung von Buntglas verstärkt den Eindruck der Romantik. Das Gebäude war ursprünglich als Treffpunkt und Aufenthaltsort für befreundete Maler und Handwerker des Ehepaars Morris gedacht, um dort künstlerisch arbeiten zu können. Allerdings wurde dieser Ort nie wirklich zu der kreativen Oase, wie es beabsichtigt war. Fakt ist, das meist Morris und seine Ehefrau allein darin wohnten und nur ab und zu Besuch von befreundeten Künstlern hier logierte.
Ein weiteres Merkmal von Arts und Crafts Möbeln und Gebäuden ist ihre Einfachheit und Funktionalität. Dies bezieht sich nicht nur auf die verwendeten Materialien, die, wie schon beschrieben, naturbelassen und schlicht sein sollten, sondern auch auf das Design.
Klare Linien und rechte Winkel dominieren und stehen im deutlichen Kontrast zu den vorher üblichen Verschnörkelungen und Ornamenten der „Victorian era“. Manche Räume im Red House, wie zum Beispiel das Esszimmer, wirken fast etwas zu geometrisch und durchkonstruiert, was aber zweifellos von Morris und Webb beabsichtigt worden war.
Funktionalität soll folgendermaßen verstanden werden: „the function of a design: human activity or pleasure which the design must serve“ (Watkinson, S.78). Somit bedeutet Funktionalität, dass das Design eines Möbelstücks oder eines Hauses zur Aktivität anleitet oder gefallen muss, dass dies der Kern seiner Funktion ist.
Zuletzt sollten in Arts and Crafts Häusern nur Möbel und Gebrauchsgegenstände stehen, die auch sinnvoll waren und nicht nur allein zur Zierde dienten, also funktional eigentlich überflüssig waren. Da also Gegenstände nicht nur schön, sondern auch sinnvoll sein sollten, war ein weitere Forderung der Bewegung „to have nothing in your houses that you not know to be useful or believe to be beautiful“ (Watkinson, S.75). Auch dieses Kriterium trifft auf das Interieur des Red Houses zu.
Das Standen House ist auf andere Art und Weise ein gutes Beispiel für die Architektur und das Inne]ndesign des Arts and Crafts Movements [Abb.2]. Hier wird besonders der Bezug zur Natur klar, sowohl am Außen-, als auch am Innendesign. Es wurde erst 1892 entworfen und gebaut, also gut 30 Jahre nach der Fertigstellung des Red House. Bis heute steht das Standen House in East Grinstead, Sussex. Äußerlich erkennt man sofort den Einfluss des Arts and Crafts Movements. Standen wurde genau wie das Red House aus rotem Ziegelstein erbaut und, um dies zu verdeutlichen, blieb es größtenteils unverputzt. Man erkennt naturbelassenes Holz und unbehandelte Steine, die fast den Eindruck eines Rohbaus vermitteln. Zudem steht Standen inmitten vieler Bäume und Büsche, die das Haus umrahmen. Es entsteht der Eindruck, als würde das Gebäude buchstäblich aus der es umgebenden Natur emporwachsen, als sei es in die Landschaft eingearbeitet worden. Das Standen House scheint eins geworden zu sein mit der Natur. „Morris Architekturbegriff reichte vom kleinsten dekorativen Detail in einem Zimmer bis zum Bild der Landschaft. Er schließt das, was wir heute Ökologie nennen, wie selbstverständlich mit ein“ (Kirsch, S.92).
Der Einfluss der Natur und somit der Arts and Crafts Bewegung ist allerdings auch innerhalb des Standen Houses deutlich sichtbar. William Morris gründete 1861 die Möbelfirma Morris, Marshall, Faulkner und Co. Hier wurden Tapeten, Buntglas, Stoffe und Stickereien mit Pflanzenmustern (zum Beispiel die „Goose Girl“-Tapete, „Woodpecker“-, oder „Forest“-Tapete) gefertigt (Adams, S.46), die von ihrer Art her sehr an japanische Muster erinnern und grundsätzlich sehr detailgetreu und verspielt wirken. Insgesamt hat Morris für seine Firma über 500 Entwürfe für Muster für Teppiche, Tapeten und Stoffe gefertigt (Kirsch, S.254). Außerdem wurden Möbelstücke hergestellt, deren Sitzflächen und Lehnen mit den bestickten Stoffen überzogen wurden und somit auch einen gewissen Naturcharakter erhielten. Um ihrem Prinzip der Naturabbildung in ihren Möbeln und Waren gerecht zu werden, nutzte die Firma Morris, Marshall, Faulkner und Co. nur natürliche Färbemittel für ihre Muster und Tapeten. Da Morris „die Natur und die Wildnis“ (Kirsch, S.258) liebte, hielt er sich bei seinen Mustern an den Leitsatz: „If the craftsman or woman follows the example of Nature on his or her design, the result ... will necessarily be beautiful.“ (Adams, S.41).
Eben diese Möbelstücke, Tapeten, Stoffe und Stickereien der Morris Co. schmücken das Interieur des Standen Houses. Der Aufenthaltsraum ist vielleicht das beste Beispiel dafür [Abb.3 und 4]. Hier entstammen die mit Stickereien überzogenen Stühle, die Kissen, der handgewebte Teppich und die Tapete allesamt den Herstellungsräumen der Morris Co.
Überall ist das verspielte Pflanzenmuster wieder zu erkennen, überall die grünen Verschnörkelungen auf beigem Grund. Auch die Lampenhalter sind Produkte der Firma, diese hier wurden speziell von Philip Webb gestaltet, wie auch viele andere Möbelstücke im Haus. Als schönes Beispiel sei hier noch der Tisch von Webb im Morning Room genannt.
Insgesamt sind also sowohl das Red House, besonders durch die natürlichen Materialien, die verarbeitet wurden, als auch das Standen House durch das pflanzenartige Interieur in Verbindung mit der Natureingebundenheit des ganzen Hauses hervorragende Beispiele für Gebäude und Möbelstücke des Arts and Crafts Movements.
Was eine Bewegung zur Bewegung macht, sind allerdings nicht nur gemeinsame ästhetische Vorstellungen, sondern auch gleiche Ansichten und Ideale. Diese beziehen sich im englischen Arts and Crafts Movement auf die Ablehnung der Arbeitsbedingungen des kleinen Mannes in der Zeit des industriellen Aufschwungs, der Industriellen Revolution des 19.
Jahrhunderts. Besonders Morris, aber auch Webb haben sich diesem Thema in vielen Schriftstücken und Reden gewidmet. Morris tat seine Meinung im Zeitraum von 1884 bis 1890 in über 250 öffentlichen Reden kund (Kirsch, S.255). Beide sahen die Arts and Crafts Bewegung als eine Reformbewegung, und glaubten, die Gesellschaft durch eine ästhetisch gestaltete Umgebung, durch ansehnliche Gebäude und Möbelstücke, Wandteppiche und Keramik verbessern zu können.
Was Morris, als Mitglied der „sozialistischen Liga“, an der Industriellen Revolution störte, war also nicht nur der Qualitätsverlust von Waren durch die Fließbandarbeit, sondern auch die schlimmen Arbeitsbedingungen der ausgebeuteten Arbeiterschaft. Der Arbeiter hatte nicht selten einen 12 oder 14 Stunden Arbeitstag und trotzdem gerade nur genügend Geld zum Überleben für sich und seine Familie.
Außerdem verschaffte die Arbeit keine Befriedigung, wenn man tagein tagaus ständig nur den gleichen Arbeitsschritt zu erledigen hatte. Morris beschreibt diesen Zustand wie folgt:
„Since all persons ... must produce in some form or another it follows that under our present system most honest men must lead unhappy lives since their work ... is devoid of pleasure.“
(Adams, S.49). Und so sah Morris die Lösung für dieses Problem: da Fließbandarbeit nicht glücklich macht, und somit keine schönen Waren entstehen, musste man zurück zur Handarbeit! Gebäude oder Möbelstücke, die nach den Idealen der Arts and Crafts Bewegung gefertigt wurden, sollten nicht nur schön sein, sie mussten auch das Resultat zufriedenstellender Arbeit sein. Da zufriedene Arbeiter ästhetische Produkte hervorbrächten, sollte man den Arbeitsprozess wieder auf Handarbeit umstellen!
Das Arts and Crafts Movement in England, besonders unter Morris und Webb, wollte also sowohl die ästhetischen Standards von Gebäuden und das Innendesign der Häuser verbessern, als auch auf die sozialen Umstände der Produktion aufmerksam machen und die Arbeitsbedingungen verbessern.
[...]