Jesu Auffassung der Blindheit sowie das Unverständnis der Pharisäer über die Gebote Gottes

Biblische Exegese Mk 3,1-6


Hausarbeit, 2021

41 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einführung

2 Feststellung der Textgrundlage

3 Textanalyse
3.1 Gliederungs- und Argumentationsanalyse
3.2 Kontextanalyse
3.3 Grammatisch-syntaktische Analyse
3.4 Stilistisch-rhetorische Analyse

4 Semantische Analyse

5 Form- und Gattungsanalyse

6 Traditions- und Motivanalyse

7 Redaktionsanalyse

8 Narratologische Analyse
8.1 Figurenanalyse

9 Fazit

10 Literaturverzeichnis
10.1 Literaturquellen
10.2 Internetquellen

11 Anhang

1 Einführung

In meiner Proseminararbeit „Jesu Auffassung der Blindheit sowie das Unverständnis der Pharisäer über die Gebote Gottes“ werde ich die Perikope Mk 3,1-6 mit Hilfe meh- rerer Methodenschritte analysieren und somit eine biblische Exegese anfertigen. Eine Auslegung bzw. Interpretation der Bibelstelle mache ich in Form einer historisch-kri- tischen Exegese, weil einerseits der historische Entstehungskontext des Textes berück- sichtigt werden muss und andererseits eine kritische Auseinandersetzung mit nach- vollziehbaren Kriterien auf wissenschaftlicher Ebene notwendig ist, um die Auslegung argumentativ zu untermauern und für andere Personen nachvollziehbar zu machen.1 Im ersten Methodenschritt wird die Textgrundlage festgelegt, indem unterschiedliche formale Übersetzungen miteinander verglichen werden. Die Übersetzung, die am nächsten am Ursprungtextes liegt, wird im weiteren Verlauf als Textgrundlage für die folgenden Methodenschritte verwendet.2 Im nachfolgenden Schritt wird eine Textana- lyse durchgeführt, die vier Teilschritte beinhaltet.3 Der erste Teilschritt ist die Gliede- rungs- und Argumentationsanalyse. Hier werden die Textabschnitte gegliedert und auf der Mikroebene detailliert untersucht. Der zweite Teilschritt ist die Kontextanalyse. Hier wird der Textabschnitt Mk 3,1-6 unter Bezugnahme auf die umliegenden Text- stellen auf der Makroebene betrachtet. Es geht um die Einbettung der Teststelle in den Gesamtkontext der Bibel. Der dritte Teilschritt bildet die Grammatisch-syntaktische Analyse, hier werden grammatische und syntaktische Auffälligkeiten unter Beleuch- tung der Wortarten hervorgehoben und diskutiert. Der vierte Teilschritt ist die Stilis- tisch-rhetorische Analyse. Die übergeordnete Aufgabe der gesamten Textanalyse ist zu untersuchen, ob durch die Argumentations- und die Erzählstruktur das Textver- ständnis verdeutlicht wird. Es geht nicht nur um die Erkennung einzelner Strukturen und Stilmittel, sondern auch darum, welchen Effekt diese Stilmittel erzeugen.4 Im An- schluss wird die Semantische Analyse durchgeführt. In diesem Methodenschritt wer- den Wortfelder bestimmt und einzelne Wörter, Sätze und komplette Texte auf ihre Bedeutungsaspekt hin untersucht.5 Im nachfolgenden Schritt wird die Form- und Gat- tungsanalyse durchgeführt. Die Perikope wird in diesem Schritt auf Ihre Eigenschaften und sprachlichen Muster geprüft, um die Textstelle einem Gattungsschema zuzuord- nen.6 Anschließend führe ich die Traditions- und Motivanalyse durch. In diesem Schritt wird detailliert auf die religiösen Traditionen sowie die kulturellen, wirtschaft- lichen und politischen Hintergründe des damaligen Zeitgeschehens in Bezug auf die neutestamentlichen Texte eingegangen.7 Im Weiteren folgt die Redaktionsanalyse. Hier wird auf die Besonderheiten der redaktionsführenden Person eingegangen. Es wird ein synoptischer Vergleich durchgeführt, um die Paralleltexte aus den anderen Evangelien zu vergleichen, damit dann eine Schlussfolgerung über die Theologie bzw. Motivation der redaktionsführenden Person getroffen werden kann. Im Zuge dessen wird auch die Zweiquellentheorie beleuchtet, um zu analysieren, wie die redaktions- führende Person mit den Quellen umgegangen ist.8 Die Narratologische Analyse mit dem Unterpunkt der Figurenanalyse bildet den nächsten Methodenschritt. Es wird eine genaue Analyse der Figuren durchgeführt.9 Abschließend werden alle zentralen In- halte der Methodenschritte in einem Fazit zusammengefasst und miteinander verwo- ben. Es wird eine Gesamtaussage und methodenschrittübergreifende Interpretation an- gefertigt, welche die Exegese abschließt. Auch werde ich an diesem Punkt darauf ein- gehen, welchen Erkenntnisgewinn ich durch die Anfertigung dieser Exegese erlangt habe.

2 Feststellung der Textgrundlage

Die Feststellung der Textgrundlage der Perikope Mk 3,1-6 führe ich durch, indem ich die Elberfelder 2008, Luther 2017 und die Bibel in gerechter Sprache 2006 miteinan- der vergleiche. Ich arbeite prägnante Unterschiede, Gemeinsamkeiten und Auffällig- keiten heraus, um einen Eindruck zu gewinnen, welche der formalen Übersetzungen dem griechischen Urtext am ähnlichsten ist. Die Faustregeln „lectio brevior potior“ (die kürzere Lesart ist die ursprünglichere) und „lectio difficilior potior“ (die kompliziertere Lesart ist die ursprünglichere) helfen dabei die unterschiedlichen Bi- belübersetzungen zu bewerten. Vorerst werde ich die einzelnen Verse miteinander ver- gleichen und darauf basierend dann eine Entscheidung treffen, welche Übersetzung für die weitere Exegese verwendet wird. Eine Tabelle ist dem Anhang beigefügt. In dem ersten Vers der Perikope Mk 3,1-6 ist am auffälligsten, dass in der Luther Bibel und der Elberfelder Bibel Jesus nur durch das Pronomen „er“ zu identifizieren ist. So- mit kann nur aus dem Kontext verstanden werden um wen es geht. Ausschließlich in der Bibel in gerechter Sprache wird Jesus namentlich erwähnt. Auch die bildliche Be- schreibung der verletzten Hand die „[…] wie abgestorben war“ sticht in der Bibel in gerechter Sprache besonders hervor, da im Vergleich die Elberfelder Bibel und die Luther Bibel die Hand durch das Wort „verdorrt“ beschreiben. Die Abweichung könnte dafürsprechen, dass die Bibel in gerechter Sprache weniger nah am griechi- schen Originaltext ist. Auch die Person mit der kranken Hand, die sich in der Synagoge befindet, wird in den einzelnen Übersetzungen unterschiedlich beschrieben. Die Bibel in gerechter Sprache betitelt den Menschen mit der kranken Hand als „Person“, wäh- rend die Elberfelder Bibel und die Luther Bibel von einem Menschen sprechen. Die Pharisäer, in Vers 2, als Beobachter der Heilung in der Synagoge werden in allen Über- setzungen als „sie“ bezeichnet. Die Tätigkeit des Beobachtens wird unterschiedlich beschrieben. In der Bibel in gerechter Sprache wird von „beobachten“ gesprochen, dies ist ein recht wertungsneutrales Wort. In der Luther Bibel heißt es, dass die Phari- säer „Acht geben“, das beschreibt nun deutlicher, dass die Sinne der Pharisäer ge- schärft sind. In der Elberfelder Bibel wird der Ausdruck „lauerten“ verwendet. Dieser Ausdruck bewirkt eine spannungsvolle Atmosphäre, die den Konflikt zwischen den Pharisäern und Jesus erahnen lässt. Dieses Spannungsfeld wird in der Traditions- und Motivanalyse genauer behandelt. Eine weitere Auffälligkeit des zweiten Verses ist, dass in allen Übersetzungen der Konjunktiv verwendet wird. Der Konjunktiv verdeut- licht, dass die Pharisäer sich an dieser Stelle des Textes noch nicht sicher sind, ob Jesus am Sabbat (dem strengen Ruhetag) wirklich ein Werk verrichten wird und den Kran- ken heilt. Die sehr gesetzestreuen Pharisäer beobachten Jesus, um ihn bei einem Ver- stoß gegen das Sabbatgebot unmittelbar anzuklagen. Im dritten Vers ist in allen Über- setzungen eine wörtliche Rede wiederzufinden. Innerhalb der wörtlichen Rede nutzen die Übersetzungen alle den Imperativ. Besonders ist hier bei der Elberfelder Bibel, dass von Präteritum in Präsens gewechselt wird, welches den Leser/Innen eine zeitli- che Nähe zu Jesu Worten vermittelt und besondere Aufmerksamkeit schafft. Eine Besonderheit der Bibel in gerechter Sprache ist in diesem Vers, dass nun von einer gelähmten Hand gesprochen wird, obwohl in Mk 3,1 von einer abgestorbenen Hand die Rede war. Dies könnte auf die vielen Autor/Innen zurückzuführen sein, die an der Bibel in gerechter Sprache mitgewirkt haben.10 Auch wird in allen Übersetzungen Je- sus nur als Pronomen in Form von „er“ genannt. Dies zieht sich auch durch den vierten Vers. In der Elberfelder und der Luther Bibel stellt Jesus die Frage was am Sabbat erlaubt ist. Obwohl es eine rhetorische Frage ist, werden die Leser/Innen angeregt die Frage selbst zu beantworten. Bei der Bibel in gerechter Sprache wird durch die Art der Fragestellung die Antwort vorweggenommen, denn Jesus sagt: „Ist es nicht gebo- ten, am Sabbat Gutes und nicht Böses zu tun, ein Leben zu retten und nicht zu töten?“. Hier wird direkt ausgeschlossen, dass überhaupt Böses getan werden soll, weil eine Verneinung durch das „nicht“ jeweils vor das „Böse“ und das „Töten“ geschrieben wurde. Aufgrund der Einzigartigkeit dieser Ausdrucksweise zeigt sich, dass die Bibel in gerechter Sprache stark von dem griechischen Urtext abweicht. Eine weitere Beson- derheit des vierten Verses ist, dass in der Luther Bibel eine Doppelung bezüglich des Schweigens der Pharisäer zur Verdeutlichung des Kontextes gemacht wird, indem Lu- ther schreibt: „Sie aber schwiegen still.“. Denn eigentlich beinhaltet das Schweigen bereits, dass die Pharisäer still sind. Diese Doppelung ordne ich Luthers charakteristi- schem, verspielten Schreibstil zu. In dem fünften Vers unterscheiden sich die Überset- zungen darin, wie Jesus die Pharisäer mustert. Der Ausdruck der Elberfelder Bibel ist meiner Meinung nach am komplexesten und kürzesten, da Jesus hier „[…] auf sie um- her […]“ blickt, was eine Beschreibung ist, die viele Deutungen zulässt. Allgemein ist die Situation in Vers 5 bei der Elberfelder und der Luther Bibel am kürzesten beschrie- ben, was auch dafürspricht, dass diese Texte sehr nah am Original sind. Der Vers 5 ist besonders, weil hier intensiv über Jesu Gefühlsregungen gesprochen wird. Die Ge- fühlsregungen Zorn und Trauer, die gleichzeitig in Jesus auftreten, werden lediglich in der Bibel in gerechter Sprache als nacheinander auftretend beschrieben. Dies ist bei den anderen Übersetzungen nicht der Fall, dort treten die Gefühlsregungen gleichzeitig auf. Auffällig ist in Vers 5, dass in allen Übersetzungen die wörtliche Rede im Impe- rativ steht. Nach der wörtlichen Rede, welche die Heilung beschreibt, wird die nun wieder gesunde Hand durch unterschiedliche Ausdrucksweisen beschrieben. In der El- berfelder Bibel wird gesagt, dass die Hand wiederhergestellt ist. Dieser Begriff ist für den heutigen Sprachgebrauch untypisch. In der Luther Bibel und der Bibel in gerechter Sprache wird die Hand stattdessen als „wieder gesund“ bezeichnet. In Vers 6 ist auf- fällig, dass die unterschiedlichen Personengruppen namentlich benannt werden. Die Pharisäer werden in allen Übersetzungen benannt, nur in der Bibel in gerechter Spra- che wird hinzugefügt, dass es eine Gruppe ist. Meiner Meinung nach greift die Bibel in gerechter Sprache das auf, weil die Autor/Innen klarstellen wollen, dass die Phari- säer eine religiöse Gruppierung innerhalb des Judentums sind. Die Elberfelder Bibel beschreibt die Anhänger Herodes als „Herodianer“, dies setzt voraus, dass ein ge- schichtliches Vorwissen bei den Leser/Innen vorhanden ist. Die Luther Bibel benennt „die Anhänger des Herodes, […]“ explizit, sodass die Leser/Innen eine leichtere Ein- ordung des geschichtlichen Kontextes vornehmen können. Noch detaillierter be- schreibt die Bibel in gerechter Sprache die „Gefolgsleute des Herodes“. Auch hier kann wieder gesagt werden, dass die Elberfelder näher am Ursprungstext ist, weil sie die Situation nicht so ausführlich beschreibt und komplizierter zu verstehen ist. Eine weitere Besonderheit ist bei der Elberfelder und Luther Bibel in Vers 6 angesiedelt. Hier wird der Konjunktiv verwendet. In der Luther Bibel heißt es „umbrächten“ und in der Elberfelder Bibel „umbringen könnten“. Die Art der Ausdrucksweise hinterlässt jeweils einen anderen Eindruck. Der unterschiedliche Eindruck entsteht, durch feine Abänderungen in der Wortwahl, beispielsweise durch Worte wie „vernichten“ und „umbringen/umbrächten“, welche in den unterschiedlichen Übersetzungen an identi- schen Stellen verwendet werden. Die Worte „umbringen/umbrächten“ (in der Luther Bibel und Elberfelder Bibel) beschreiben eine eindeutige Handlung, hingegen das Wort vernichten (in der Bibel in gerechter Sprache) nicht konkretisiert ist, aber trotz- dem hart klingt. Zusammengefasst habe ich festgestellt, dass die Luther Bibel kürzer ist als die Bibel in gerechter Sprache. Die Luther und Elberfelder Bibel sind fast gleich lang, unterscheiden sich jedoch in ihrer Verständlichkeit. Die Luther Bibel ist aufgrund der oben aufgeführten Beispiele meist verständlicher als die Elberfelder Bibel. Inhalt- lich sind keine starken Unterschiede innerhalb der Übersetzungen zu erkennen. Die Bibel in gerechter Sprache ist aufgrund ihrer leichten Lesart, der Verwendung moder- ner Begriffe und der Länge des Textes weit entfernt vom Originaltext. Berücksichtige ich die Faustregeln „lectio brevior potior“ und „lectio difficillior potior“ über die ge- samten Verse hinweg, ist die Lutherbibel die kürzeste Textform und die Elberfelder Bibel die komplizierteste Lesart. Trotzdem erscheint mir die Luther Bibel mit ihrem verspielten Stil und ihrer Wortwahl moderner und weiter entfernt vom Ursprungstext als die Elberfelder Bibel. Daher schlussfolgere ich, dass die Elberfelder Übersetzung am stärksten dem Original ähnelt. Somit werde ich die weitere Exegese mit der Text- grundlage der Elberfelder Bibel 2008 bearbeiten.

3 Textanalyse

3.1 Gliederungs- und Argumentationsanalyse

In der Gliederungs- und Argumentationsanalyse untersuche ich die Perikope Mk 3,1- 6 auf der Mikroebene. Zunächst wird eine grobe Gliederung der Perikope erstellt, wel- che anschließend durch eine Feingliederung ergänzt wird. Dann werde ich eine Über- schrift für die Exegese erstellen. Durch die Hilfe expliziter und impliziter Gliederungs- signale lassen sich Sinnabschnitte bilden. Explizite Gliederungssignale sind Konjunk- tionen und Satzzeichen. Implizite Gliederungssignale sind beispielsweise zu erkennen durch Änderung der Erzähltechnik, der Erzählperspektive und Zeit-, Personen- oder Ortswechsel.11 Die Gliederung wird durch eine Tabelle visuell unterstützt.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

In der groben Gliederung stellen die Verse 1 und 2 die Einleitung dar, werden aber trotzdem nicht als Sinnabschnitt zusammengefasst. Die Verse 1 bis 5 ½ bilden den Hauptteil. Der Vers 5 ½ bis zum Anfang des sechsten Verses steht allein, da hier der Heilungsprozess im Fokus steht. Vers 6 bildet den Schluss.

Im ersten Vers begegnet Jesus dem Kranken in der Synagoge, es findet also ein Orts- wechsel statt. Auch beinhaltet der erste Vers eine Änderung der Figurenkonstellation, da Jesus auf den Kranken trifft. Diese impliziten Gliederungssignale in Form des Orts- wechsels und der Veränderung der beteiligten Figuren, lassen die beiden Aktionen des ersten Verses unabhängig voneinander stehen. Auch die beiden kopulativen, nebenge- ordneten Konjunktionen durch das „und“, führen zu einer Differenzierung innerhalb des ersten Verses (explizites Gliederungssignal). Der zweite Vers beschreibt die war- tenden Pharisäer, die Jesus beobachten, um zu kontrollieren, ob er am Sabbat heilen würde. Es wird bereits an dieser Stelle auf die Anklage hingedeutet, die bei dem Ver- stoß gegen das Sabbatgebot von den Pharisäern ausgelöst würde. Auch im zweiten Vers ist eine neue Anordnung der Figuren wiederzufinden, denn die Pharisäer treten zum ersten Mal auf. Deshalb steht der zweite Vers als eigenständiger Sinnabschnitt allein. Der zweite Vers wird feiner unterteilt durch das explizite Gliederungssignal „damit“. Diese finale, untergeordnete Konjunktion teilt die Absicht mit, welche die Pharisäer mit ihrem „Lauern“ vertreten, also die Konsequenz des Handelns und die Anklage Jesu. Im Vers 3-5 ½ geht es um die Handlungen, die Predigt und Gefühlsre- gung Jesu. Erst wendet Jesus sich dem Kranken zu und gibt ihm klare Anweisungen: „Steh auf ⟨und tritt⟩ in die Mitte!“. Es findet also eine direkte Interaktion zwischen Jesus und dem Kranken statt. Dann hält Jesus die Predigt über Gut und Böse bzw. richtig und falsch, hier stehen Jesus und die Pharisäer im Fokus. Im Anschluss wird Jesu Gefühlsregung gegenüber den Pharisäern thematisiert. Aufgrund der intensiven Interaktion von Jesus zu den anderen Personen innerhalb dieses Sinnabschnitts, ist die- ser zusammengehörig. Trotzdem wird der Sinnabschnitt durch die Personenwechsel und Interaktionspartner Jesu feingliedriger unterteilt. Der Vers 5 ½ bis zum Anfang des sechsten Verses umschreibt die Heilung der kranken Person. Auch dieser Abschnitt unterteilt sich in zwei einzelne Unterpunkte. Jesus leitet in Form einer wört- lichen Rede die Heilung ein: „Strecke die Hand aus!“. Die Veränderung der Erzähl- perspektive als implizites Gliederungssignal spaltet diesen Part von der nachfolgenden Vollendung der Heilung ab. Der sechste Vers spaltet sich von dem vorherigen Ab- schnitt ab, da hier wieder ein Ortswechsel stattfindet, denn die „Pharisäer gingen hin- aus […]“ aus der Synagoge. Das Rausgehen der Pharisäer untermalt die Distanz zu Jesus deutlich durch die räumliche Entfernung. Auch läutet das Rausgehen das Ende der Perikope ein. Somit ist die Perikope am Anfang und am Ende durch einen Orts- wechsel eingebettet. Die im Anschluss auftretenden Herodianer, die sich mit den Pha- risäern über die bevorstehende Konsequenz von Jesu Verhalten beraten, stellt den nächsten feingliedrigen Abschnitt dar. Dieser Abschnitt separiert sich aufgrund der Veränderung der Personenkonstellation. Der nächste und letzte Sinnabschnitt wird durch eine Zukunftsüberlegung eingeleitet, indem die Pharisäer mit den Herodianern überlegen, „[…] wie sie ihn umbringen könnten.“. Dies beschreibt eine Konkretisie- rung der Thematik, deshalb grenze ich diesen Sinnabschnitt auch in der Feingliederung einzeln ab. Zusammengefasst besteht der erste Sinnabschnitt aus Vers 1 mit zwei Un- terpunkten, der zweite Sinnabschnitt aus Vers 2 mit zwei Unterpunkten, der dritte und wichtigste Sinnabschnitt aus Vers 3-5 ½ mit vier Unterpunkten, der vierte Sinnab- schnitt aus Vers 5 ½- Anfang 6 und der fünfte Sinnabschnitt aus Vers 6 mit drei Un- terpunkten. Aufgrund des starken Fokus auf Jesu Emotionen im Hauptteil werde ich die Exegese „Jesu Auffassung der Blindheit und das Unverständnis der Pharisäer über die Gebote Gottes“ nennen, da das Unverständnis der Grund für die starken Gefühle von Jesus ist.

3.2 Kontextanalyse

In der Kontextanalyse wird der Makrokontext betrachtet, ich untersuche die umliegen- den Texte der Perikope Mk 3,1-6 und versuche nachzuvollziehen weshalb die Perikope genau an dieser Stelle des Evangeliums nach Markus angesiedelt ist. Ich mache dem- nach eine Analyse der Textstelle im Verhältnis zu dem literarischen Kontext.12 Das Evangelium nach Markus hat 16 Kapitel. Diese Kapitel lassen sich in drei Hauptteile gliedern.13 Der erste Hauptteil umspannt den Bereich Mk 1,16-8,26 hier geht es um Jesu Wirken innerhalb und außerhalb Galiläas und der Bevollmächtigung des Lehrens und Heilens. Auch werden Exorzismen, Streitgespräche, Wunderheilungen, Gleich- nisse und die Berufung der Jünger thematisiert. Der zweite Hauptteil beschreibt Jesu Weg zur Passion (Mk 8,27-10,52). Hier sind die Leidensankündigungen, das Petrus- bekenntnis und die Blindenheilung angesiedelt. In dem dritten Hauptteil ist Jesus in Jerusalem (Mk 11-13). In diesem letzten Hauptteil werden unter anderem Streitgesprä- che geführt, auch sind die Kreuzigung und der Tod, sowie die Auferstehung Jesu an dieser Stelle zu verorten. Somit befindet sich die Perikope Mk 3,1-6 am Anfang des Evangeliums und fällt in die Erzählungen über Jesu Wirken innerhalb und außerhalb Galiläas. Auch hier deuten sich bereits Meinungsverschiedenheiten zwischen den Pha- risäern und Jesus an. Es geht in diesen Streitgesprächen um die Bevollmächtigung Jesu. Beispielsweise bei der Berufung des Levi mit der Sündertischgemeinschaft und dem Streitgespräch (Mk 2,13-17), oder der Frage nach dem Fasten (Mk 2,18-22). Ein weiteres Beispiel bildet die Perikope über das Abreißen von Ähren am Sabbat (Mk 2,23-28). Die Erzählung „Die Sabbatfrage“ (Mk 2,23-28) ist unmittelbar vor der Peri- kope Mk 3,1-6. In Mk 2,23-28 verurteilen die Pharisäer Jesus und seine Jünger, weil sie am Sabbat Ähren ernten. Auch hier versucht Jesus den Pharisäern zu erklären, wie Gottes Gebote zu verstehen sind. Es geht Jesus darum zu erklären, dass „Der Sabbat […] um des Menschen willen geschaffen worden [ist] und nicht der Mensch um des Sabbats willen;“ (Mk 2,27). Somit versucht Jesus die streng jüdischen und gesetzes- treuen Pharisäer zur Erkenntnis zu führen, dass Gottes Wort in Form der Heiligen Schrift nicht ausschließlich wörtlich zu verstehen ist, sondern tiefergehende Werte ver- mittelt werden, die den Menschen Gutes tun und helfen sollen Orientierung zu finden. Laut Jesus „[…] ist der Sohn des Menschen Herr auch des Sabbats“ (Mk 1,28), das bedeutet, dass der Mensch wohl in der Lage ist zu erkennen, dass außerordentliche Situationen besondere Maßnahmen erfordern. Der Begriff Menschensohn stellt häufig eine Bezeichnung für Jesus dar, der in dieser Situation erkennt, dass besondere Maß- nahmen erforderlich sind und deshalb am Sabbat heilt.14 Auch ist aus dem Misstrauen und der kritischen Haltung der Pharisäer zu erkennen, dass sie Jesus nicht als Messias und Sohn Gottes ansehen und anerkennen. Genau diese Thematik über den Sabbat wird in Mk 3,1-6 weitergeführt. Die Abschnitte ähneln sich nicht nur durch ihren In- halt, sondern auch durch ihre Struktur. Die bisher genannten Perikopen sind also in die Gruppe der ersten Streitgespräche einzuordnen, wobei Mk 3,1-6 das letzte von fünf Streitgesprächen an dieser Stelle ist. Auch auf der Mikroebene sieht man, dass die Textabschnitte mit einem „Und“ eingeleitet werden (Mk 2,23 und Mk 3,1) und es sich somit um eine Weiterführung der Thematik handelt. Einen Unterschied bildet der Ort des Geschehens, denn in Mk 2,23-28 befinden die Figuren sich in den Feldern und in Mk 3,1-6 „wieder“ in der Synagoge. In beiden Fällen gibt Jesus eine klare Antwort auf die Vorwürfe der Pharisäer. Der Konflikt mit den Pharisäern spitzt sich derart zu, dass die Pharisäer und Herodianer Jesus umbringen wollen (Mk 3,6). Dieser Vorverweis auf die Kreuzigung Jesu ist hervorzuheben. Im Anschluss folgt ein Kontextwechsel und ein neuer Abschnitt innerhalb des Evangeliums nach Markus beginnt. Die nach- folgenden Perikopen handeln eher von Jesu Einfluss in Galiläa und den umgrenzenden Gebieten. Dieser inhaltliche Bruch wird durch einen Ortswechsel eingeleitet, denn nun folgt eine Krankenheilung am See Genezareth. Jetzt wird Jesus von den kranken Men- schen bzw. „unreinen Geistern“ (Mk 3,11) als Sohn Gottes, Heiler und Messias aner- kannt, weshalb ein großer Andrang um Jesus stattfindet. Dies wurde in den vorange- gangenen Textstellen von den Personen nicht direkt erkannt. Jesus ermahnt die Men- schen am See Genezareth ein Geheimhaltungsgebot einzuhalten. Damit bewirkt Jesus, dass die unwissenden Menschen selbst den Erkenntnisprozess durchlaufen müssen, um ihn als Messias und Sohn Gottes anzuerkennen und nicht durch Mundpropaganda davon überzeugt werden. Betrachte ich die drei Perikopen im Zusammenhang, ist zu erkennen, dass in Mk 2,23-28 ein Streitgespräch geführt wird. Erweiternd zu dem Streitgespräch wird in Mk 3,1-6 noch eine Wunderheilung vollbracht, die den Anlass für das in dieser Perikope ansässige Streitgespräch bildet. In Mk 3,7-12 wird allerdings ausschließlich eine Wunderheilung vollbracht. Durch das Streitgespräch in Mk 2,23- 28 wird die Spannung zwischen Jesus und den Pharisäern erklärt und die Perspektive der Pharisäer verdeutlicht. Ein Unverständnis der Pharisäer bezüglich der Gebote Got- tes in Bezug auf den Sabbat ist in Mk 2,23-28 und Mk 3,1-6 thematisiert. Dieses Un- verständnis steht in einem starken Kontrast zu der Textstelle Mk 3,7-12, denn hier erkennen die Menschen von überall her Jesus als Sohn Gottes an. Besonders auffällig ist, dass in der Perikope Mk 2,23-28 von dem „Sohn des Menschen“ gesprochen wird, der als Herr des Sabbats betitelt wird. In der Perikope Mk 3,7-12 wird als Steigerung von Jesus, dem Sohn Gottes gesprochen. Die erkenntnislosen Pharisäer aus den vor- herigen Textstellen bilden also gegenüber den erkennenden Menschen aus Mk 3,7-12 einen Kontrast. Allgemein könnte hier das Unverständnis der Pharisäer als Metapher für die verständnislosen Jünger gesehen werden. Dieses Bild zieht sich durch das Evangelium nach Markus, erst in Mk 8,27-30 erkennen die Jünger wer Jesus wirklich ist.15 In dem Evangelium nach Markus tauchen vorher immer wieder Situationen auf, bei denen die Jünger handeln und anschließend von Jesus verbessert werden. In abge- wandelter Form gibt es auch Situationen in den Jesus handelt und anschließend den Jüngern die Gründe erklärt. Oftmals verstehen die Jünger allerdings Jesus Inhalte nicht und werden sogar von ihm kritisiert, beispielsweise wie Petrus bei der Frage nach dem Lohn der Nachfolge (Mk 10,28-31). Als parallele hierzu stehen sinnbildlich die Pha- risäer, die auf Jesu Predigt hin nur schweigen (Mk 3,4) und das Sabbatgebot nach Jesu Auffassung fehldeuten. Jesus setzt das bereits gepredigte und gelehrte bzw. erlebte Wissen bei den Jüngern bzw. bei den Pharisäern voraus. Eine Textstelle, um diesen Lehrprozess und das Unverständnis der Jünger zu verdeutlichen findet sich in Mk 8,14-21 Jesus spricht zu den Jüngern: „[…]: Was überlegt ihr, weil ihr keine Brote habt? Begreift ihr noch nicht und versteht ihr nicht? Habt ihr euer Herz verhärtet? Au- gen habt ihr und seht nicht? Und Ohren habt ihr und hört nicht?“ (Mk 8,17-18). Somit benennt Jesus das verhärtete Herz der Jünger und in Mk 3,1-6 das verhärtete Herz der Pharisäer gleich. Meiner Meinung steht diese Bezeichnung im Zusammenhang mit Er- kenntnislosigkeit und Fehldeutungen. Auch Gudrun Guttenberger spricht in „Das Evangelium nach Markus“ von einem Zusammenhang eines verhärteten Herzens und der Folge einer mangelnden Einsicht.16 Somit findet sich innerhalb des gesamten Evangeliums nach Markus ein Erkenntnisprozess der Jünger wieder. In den einzelnen Perikopen sind immer wieder Andeutungen und Metaphern auf den Erkenntnisprozess der Jünger zurückzuführen, Beispiele hierfür wären Mk 8,22-26 und Mk 10,46-52.17 So blind wie die Pharisäer gegenüber den Geboten Gottes und der damit einhergehen- den Sabbatfrage sind, so blind sind am Anfang des Evangeliums nach Markus auch die Jünger gegenüber dem wahren Jesus. Deshalb befindet sich die Perikope vermut- lich auch im vorderen Teil des Evangeliums nach Markus. Ich bin mir dessen bewusst, dass diese Deutung eine gewagte Argumentation ist, da die Pharisäer die Gegner Jesu sind und die Jünger die Anhänger, trotzdem wollte ich diesen Gedankengang und meine Vermutung gerne in der Exegese aufgreifen.

[...]


1 Vgl. Sönke Finnern/Jan Rüggemeier: Methoden der neutestamentlichen Exegese. ein Lehr- und Arbeitsbuch. UTB, Tübingen 2016, S. 4.

2 Vgl. Sönke Finnern/Jan Rüggemeier: Methoden der neutestamentlichen Exegese. ein Lehr- und Arbeitsbuch, S. 27-38.

3 Vgl. Sönke Finnern/Jan Rüggemeier: Methoden der neutestamentlichen Exegese. ein Lehr- und Arbeitsbuch, S. 105.

4 Vgl. Martin Ebner/Bernhard Heininger: Exegese des Neuen Testaments. Ein Arbeitsbuch für Lehre und Praxis. UTB, Paderborn, 4. Auflage 2015, S. 92-97.

5 Vgl. Wilhelm Egger/Peter Wick: Methodenlehre zum Neuen Testament. Biblische Texte selbständig auslegen. Herder, Freiburg, 6. Auflage 2016, S. 144.

6 Vgl. Martin Ebner/Bernhard Heininger: Exegese des Neuen Testaments. Ein Arbeitsbuch für Lehre und Praxis, S. 183-221.

7 Vgl. Martin Ebner/Bernhard Heininger: Exegese des Neuen Testaments. Ein Arbeitsbuch für Lehre und Praxis, S. 241-259.

8 Vgl. Sönke Finnern/Jan Rüggemeier: Methoden der neutestamentlichen Exegese. ein Lehr- und Arbeitsbuch, S. 68-84.

9 Vgl. Sönke Finnern/Jan Rüggemeier: Methoden der neutestamentlichen Exegese. ein Lehr- und Arbeitsbuch, S. 195-209.

10 Vgl. Stefan Alkier: Über Treue und Freiheit – oder: Vom Desiderat einer Ethik der Übersetzung in den Bibelwissenschaften. Francke, Tübingen, Heft 26 2010, S. 60.

11 Vgl. Sönke Finnern/Jan Rüggemeier: Methoden der neutestamentlichen Exegese. ein Lehr- und Arbeitsbuch, S. 106-115.

12 Vgl. Sönke Finnern/Jan Rüggemeier: Methoden der neutestamentlichen Exegese. ein Lehr- und Arbeitsbuch, S. 109-111.

13 Vgl. Udo Schnelle: Einleitung in das Neue Testament. UTB, Göttingen 2017, S. 272.

14 Vgl. [Vorname unbekannt] Müller, Menschensohn im neuen Testament, Religion in Geschichte und Gegenwart: https://referenceworks-1brillonline-1com-1bjr9ws0r07c3.emedien3.sub.uni-ham- burg.de/search?s.f.s2_parent=s.f.book.religion-in-geschichte-und-gegenwart&search-go=&s.q=Men- schensohn (zuletzt abgerufen: 07.08.2021).

15 Vgl. Gudrun Guttenberger: Das Evangelium nach Markus Bd. 2. TVZ, Zürich 2017, S. 15.

16 Vgl. Gudrun Guttenberger: Das Evangelium nach Markus, S. 81.

17 Vgl. Udo Schnelle: Einleitung in das Neue Testament, S. 274.

Ende der Leseprobe aus 41 Seiten

Details

Titel
Jesu Auffassung der Blindheit sowie das Unverständnis der Pharisäer über die Gebote Gottes
Untertitel
Biblische Exegese Mk 3,1-6
Hochschule
Universität Hamburg
Note
1,3
Autor
Jahr
2021
Seiten
41
Katalognummer
V1147963
ISBN (eBook)
9783346534392
ISBN (Buch)
9783346534408
Sprache
Deutsch
Schlagworte
jesu, auffassung, blindheit, unverständnis, pharisäer, gebote, gottes, biblische, exegese
Arbeit zitieren
Sarah Biria (Autor:in), 2021, Jesu Auffassung der Blindheit sowie das Unverständnis der Pharisäer über die Gebote Gottes, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1147963

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