Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Gesellschaftliche Situation von Homosexualität in Tel Aviv
3 Rechtslage von Homosexualität in Israel
4 Hegemoniale Männlichkeit vs. Männlichkeiten in Tel Aviv
4.1 Hegemoniale Männlichkeit
4.2 Militärische Männlichkeit in Israel
4.3 Queere Männlichkeit in Tel Aviv
4.3.1 Tel Aviv als eine „Bubble“
4.3.2 Homosexualität in der ultraorthodoxen (Haredi) Community
4.4 Der „Konflikt“ mit der (queeren) Identität in Slower than a Heartbeat und Snails in the Rain
4.4.1 Freddy aus Slower than a Heartbeat
4.4.1.1 Die Bedeutung des Wasser
4.4.1.2 Ist Freddy homosexuell?
4.4.1.3 Zwischen zwei Welten
4.4.2 Boaz aus Snails in the Rain
4.4.2.1 Blicke
4.4.2.2 Der letzte Brief – Die Entscheidung
4.4.2.3 Heterosexualität siegt über Homosexualität
5 Fazit
Literaturverzeichnis
Medienverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
1 Einleitung
Israel ist ein Land, das spannende Filme mit schwuler, lesbischer und queerer Thematik produzieren, die auf Festivals große Erfolge feiern, von der Kritik gelobt und vom Publikum geliebt werden. So zeigen etwa Filme, wie Slower than a Heartbeat (2012) von Yanai Goz und Yoni Zicholt sowie Yariv Mozer’s Snails in the Rain (2013), die Lebenslagen von queeren Personen in Tel Aviv auf. Dies ist allerdings nur eine Sichtweise, die aus den oben genannten Filmen entnommen werden kann. Ein anderer und gleichzeitig wesentlicher Fokus dieser Filme, bildet das Verhältnis zwischen Homosexualität, beziehungsweise homosexueller Liebe in Tel Aviv, und dem Zwiespalt der eigenen Identität, die in den beiden Filmen unterschiedlich dargestellt werden. Folglich befasst sich jene Seminararbeit mit der Frage, inwiefern homosexuelle Personen in Tel Aviv mit geschlechtlichen und sexuellen Identitäten und Wünschen umgehen, die den Lehren ihrer religiösen Traditionen, beziehungsweise der gesellschaftlichen Werte und Normen ihres Landes widersprechen. Doch bevor auf diese Frage in Verbindung mit den erwähnten Filmen eingegangen werden kann, muss ferner erläutert werden, wie die gesellschaftliche Lage in Tel Aviv und die Rechtslage von LGBTQI*-Personen in Israel ist, aber auch welche Männlichkeiten in Israel präsent sind und wie diese präsentiert werden.
2 Gesellschaftliche Situation von Homosexualität in Tel Aviv
Tel Aviv ist die selbsternannte “most gay friendly city of the world”. So zeigt sich dies etwa in Form der seit 1998 jährlich stattfindenden Tel Aviver Gay-Pride-Parade (Snellings 2019: 27). Im Jahr 2019 nahmen mehr als 250.000 Menschen an der neunzehnten jährlichen Pride der Stadt teil. Das Thema des Jahres 2019 war "The Struggle Continues" (Der Kampf geht weiter), was den anhaltenden Kampf für die LGBTQI*-Gleichstellung in Israel hervorhebt (Dennen 2019). Doch nicht nur die Gay-Pride-Parade macht Tel Aviv zu der homofreundlichsten Stadt im gesamten Nahen Osten, sondern auch das TLVFest - "Tel Aviv's International LGBT Film Festival" – trägt einen wesentlichen Beitrag dazu bei. Dieses Fest, das von Yair Hochner gegründet wurde, ist momentan das einzige in Israel stattfindende Filmfestival, das den großen Fokus auf queere Filme aus Israel legt (Raberger 2015: 232). Um das Engagement der Stadt Tel Aviv für jüdische und nicht-jüdische LGBTQI*-Personen zu zementieren, errichtete die Stadtverwaltung 2008 ein Denkmal zu Ehren der homosexuellen Opfer des Nationalsozialismus. Dieses Denkmal hat die Form eines rosafarbenen Dreiecks, dem Symbol, das Schwule und Lesben in den Konzentrationslagern tragen mussten. Das Denkmal befindet sich im Tel Aviver Meir-Park neben dem Gay Center der Stadt.1 Seit der Gründung des Centers im Jahr 2008 ist der Park das Zuhause von sowohl LGBTQI*-Personen, als auch von Verbündeten (Snellings 2019: 33). Die Stadtverwaltung war außerdem Unterstützer der ersten „Miss Trans Israel“-Wahl 2016 unterstützte, bei der Talleen Abu Hanna, eine arabische Israelin aus Nazareth, gewann. Diese Veranstaltung fand im Nationaltheater - der Habima - statt, direkt am Ende des Rothschild-Boulevards, und erfreute sich nicht nur nationaler, sondern auch internationaler Aufmerksamkeit (Hartman 2016). Aber die Gay-Szene in Tel Aviv ist nicht nur für ihre Miss-Wahl oder Denkmäler bekannt, sondern auch für ihre Party-Freude. Es gibt eine große Anzahl an Gay-Bars, Gay-Clubs oder Gay-Parties. Viele Bars, wie zum Beispiel das „Shpagat“ im Zentrum der Stadt sind zwar als Gay-Locations deklariert, erfreuen sich aber auch eines Publikums, das nicht der LGBTQI*-Community angehört. Demnach lautet die Devise der Stadt: Leben und leben lassen und jeder Lebensweise Respekt entgegen bringen.
3 Rechtslage von Homosexualität in Israel
Diese Offenheit gab es nicht immer, denn in der Anfangszeit Israels 1948 herrschten noch die Sodomiegesetze der britischen Mandatszeit, welche zu dieser Zeit unter anderem alle Sexualpraktiken zusammenfassten, die nicht zum heterosexuellen Geschlechtsverkehr passten, wobei es insbesondere der Brandmarkung homosexueller Handlungen diente. Diese Strafgesetze wurden in Israel nie sanktioniert, aber erst in den 1980er Jahren abgeschafft (Pohl 2018: 22). Folglich begann in den 1980er Jahren langsam ein Wertewandel der israelischen Gesellschaft und mit ihnen auch eine stetige Veränderung der israelischen politischen Situation. Doch ein Coming-Out erwies sich weiterhin als eine Schwierigkeit und Herausforderung, denn der Fokus des israelischen Staates lag noch immer auf Familie und Kinder (Raberger 2015: 69-70).
Eine deutliche Verbesserung der Situation und der gesellschaftlichen Anerkennung erlebte die LGBTQI*-Community in den 1990er Jahren. So wurde etwa 1992 ein Diskriminierungsverbot verabschiedet, das Diskriminierung am Arbeitsplatz aufgrund sexueller Orientierung bestraft (Raberger 2015: 70-71). Als Beweis für Israels Engagement für Gleichberechtigung wird oft die Entscheidung von 1993 angeführt, schwulen Männern und Frauen den Dienst im Militär zu erlauben (Snellings 2019: 28). Dieses Gesetz wurde dann 2013 auf Transgender-Personen ausgeweitet. So durfte etwa im August 2013 der erste Transgender-Mann in der israelischen Verteidigungsstreitkraft (IDF) dienen (Shalicar 2018: 162). Diese Entscheidung spiegelt die wachsende Unterstützung für Transgender-Personen in der liberalen israelischen Gesellschaft wider. 1994 begann Israel damit, homosexuellen Paaren eine unregistrierte Lebensgemeinschaft zu gewähren, wodurch sie die gleichen ehelichen Leistungen erhielten, wie heterosexuelle Paare in einer "Common Law"-Ehe2. Außerdem wurde 2005 die Stiefkindadoption für israelische gleichgeschlechtliche Paare legalisiert, und drei Jahre später wurde entschieden, dass homosexuelle Paare gemeinsam ein Kind adoptieren können, das mit keinem von ihnen biologisch verwandt ist (Raberger 2015: 88). Ein bedeutender Moment für die Rechte von Homosexuellen in Israel kam im Jahre 2006, als der Oberste Gerichtshof erklärte, dass gleichgeschlechtliche Ehen, die im Ausland geschlossen wurden, in Israel registriert werden müssen (Pohl 2018: 23-24).
Allerdings besteht für die israelische LGBTQI*-Gemeinschaft weiterhin der Kampf um rechtliche und gesellschaftliche Gleichstellung. So weigern sich immer noch religiöse Gerichte in Israel gleichgeschlechtliche Eheschließungen durchzuführen. Im Allgemeinen wurden diese und weitere Gesetze zum Schutz der LGBTQI*-Gemeinschaft in Tel Aviv weitaus besser aufgenommen als in den konservativeren Gebieten Israels (Snellings 2019: 29).
4 Hegemoniale Männlichkeit vs. Männlichkeiten in Tel Aviv
Was ist ein Mann und was ist Männlichkeit? Laut Connell ist zu jeder Zeit der Geschichte eine Form der Männlichkeit kulturell hervorgehoben. Demzufolge gibt es nicht nur eine Männlichkeit, sondern viele verschiedene Formen davon. Allerdings kann die hegemoniale Männlichkeit hierbei als die durchsetzungsfähigste und bestimmende Form von Männlichkeit(en) angesehen werden, weshalb sie auch als die „führende“ Männlichkeit bezeichnet wird (Connell 2015: 97).
4.1 Hegemoniale Männlichkeit
Diese hegemoniale Männlichkeit, beziehungsweise die kulturell hervorgehobene Männlichkeit muss dazu beitragen, dass das Patriachat weiterhin besteht und Männer an der Macht bleiben, was abermals relational – also durch ein Kräfteverhältnis von Dominanz und Unterordnung geschieht (Connell 2015: 98). So werden die männliche Dominanz und die weibliche Unterordnung weiterhin aufrechterhalten. Allerdings herrscht auch innerhalb der Männlichkeiten eine Hierarchie, wobei Weibliches und Feminines abgelehnt wird. Demzufolge sind Homosexuelle oder queere Männlichkeiten in der Hierarchie der Männlichkeiten an unterster Stelle angereiht und können selten und schwer eine hegemoniale Männlichkeitsposition einnehmen (Connell 2015: 98). Das Konzept der hegemonialen Männlichkeit verweist bereits implizit in der Bezeichnung sowohl auf die prinzipiell hierarchische Differenzierung zwischen diversen Männlichkeiten, als auch zwischen Männlichkeit und Weiblichkeit. Demzufolge bietet das Konzept einen möglichen Ansatz zur kritischen Auseinandersetzung mit populärkulturellen Inszenierungen von Männlichkeit in Verbindung mit Machtstrukturen. Allerdings muss angemerkt werden, dass es keine allgemein gültige Begriffsklärung der hegemonialen Männlichkeit gibt, da der Begriff in verschiedenen Kulturen sehr unterschiedlich verwendet wird und dadurch andere Normbestimmungen der Kategorie „männlich“ herrschen. Dementsprechend können in den einzelnen Kulturen abweichende Männlichkeitsideale auftreten. So stellt sich die Frage: Tritt die hegemoniale Männlichkeit auch in Israel auf, beziehungsweise welche anderen Formen von Männlichkeiten sind in Israel, speziell in Tel Aviv zu finden?
4.2 Militärische Männlichkeit in Israel
Militärische Ideale und Tugenden waren und sind teilweise immer noch Bestandteile für die israelische Gesellschaft. Diese jeweiligen Ideale und Tugenden sind männlich konnotiert, etwa Kraft, Stärke Wehrhaftigkeit und Kampfbereitschaft, wobei der (männliche) Körper bei der Ausübung dieser Ideale und Tugenden eine wesentliche Rolle spielt. Infolgedessen handelt es sich um ein hegemoniales Männlichkeitsbild, also ein hegemoniales Ideal des männlichen Kämpfers oder Kriegers. Hier wurde also das zionistische Männlichkeitsbild hervorgehoben.3 Doch in dieser Seminararbeit ist nicht die militärische oder zionistische Männlichkeit interessant, sondern vielmehr die queere Männlichkeit.
4.3 Queere Männlichkeit in Tel Aviv
4.3.1 Tel Aviv als eine „Bubble“
Tel Aviv zieht LGBTQI*-Personen und Verbündete aus Israel und der ganzen Welt an. Der bekannte Ruf Tel Avivs als schwulenfreundliches, modernes Reiseziel kann manchmal durch den Status der LGBTQI*-Gemeinschaft im restlichen Israel ablenken (Snellings 2019: 27-28). Die Stadt wird in Filmen, Druckerzeugnissen und von ihren Bewohner*innen als HaBuah ("Die Blase")4 bezeichnet. Diese Vorstellung von Tel Aviv als „Blase" suggeriert eine Unterscheidung zwischen ihrer eigenen Identität und der des restlichen Israels. Diese Kluft ist besonders sichtbar, wenn es um Homosexualität geht. Die LGBTQI*-Bevölkerung sieht sich in bestimmten israelischen Gemeinden außerhalb von Tel Aviv einer starken Opposition gegenüber. Die Spannung zwischen Homosexualität und den anderen Teilen der israelischen Gemeinschaft, repräsentiert den andauernden Kampf zwischen säkularer und religiöser Identität in Israel. Diese Identitätsverwirrung wird besonders deutlich, wenn man die Toleranz gegenüber der LGBTQI*-Gemeinschaft in Tel Aviv mit der in der Hauptstadt Jerusalem vergleicht, in der eine weitgehend religiöse Bevölkerung lebt. Der niedrige Status der Homosexualität in Jerusalem und in der ultraorthodoxen (Haredi) Gemeinschaft legt nahe, dass Tel Aviv tatsächlich eine „Blase" der homosexuellen Akzeptanz sein könnte (Snellings 2019: 27-28). Diese Unterdrückung von Homosexualität außerhalb Tel Avivs, die jedoch auch vor den 1990er Jahren in Tel Aviv geschah, zeigt sich nicht nur in den vielen unterschiedlichen israelischen Filmen, sondern ebenfalls in der alltäglichen Gesellschaft, was etwa das Konzept der hegemonialen Männlichkeit verdeutlicht.
4.3.2 Homosexualität in der ultraorthodoxen (Haredi) Community
In der Haredi oder "ultraorthodoxen" jüdischen Gemeinschaft in Israel, ist die Überzeugung verbreitet, dass Homosexualität entweder nicht existiert oder, falls doch, Homosexuelle ihre Gefühle ignorieren und Mitglieder*innen des anderen Geschlechts heiraten sollten (Snellings 2019: 45-46). Leider ist die überwältigende Einstellung zur Homosexualität in der ultraorthodoxen israelischen Gemeinschaft immer noch in erster Linie Verurteilung, Ausweisung oder sogar Hass (Snellings 2019: 47).
Ein möglicher Grund dafür könnte die Halacha sein, das jüdische Religionsgesetz. Die Halacha allein diktiert die ultraorthodoxe Konversation über Homosexualität, und nach der Halacha ist sie verboten. Die Tora verurteilt gleichgeschlechtliche sexuelle Handlungen zwischen Männern in Levitikus 18:22, wo es heißt: "Du sollst nicht mit einem Mann schlafen, wie man mit einer Frau schläft; ein Gräuel ist das", und noch einmal in Levitikus 20:13: "Wenn ein Mann mit einem Mann schläft wie mit einer Frau – ein Gräuel haben beide verübt, sterben, ja sterben sollen sie, ihr Blut über sie." Obwohl die Tora gleichgeschlechtliche sexuelle Handlungen zwischen Frauen nicht explizit verbietet, werden auch diese als gegen die Halacha angesehen (Raberger 2015: 52).
[...]
1 Das „Tel Aviv Gay Center" bezieht sich auf das Tel Aviv Municipal LGBT Community Center. Es bietet Dienstleistungen für die LGBTQI*-Gemeinschaft von Tel Aviv an, darunter Selbsthilfegruppen, kulturelle Programme sowie rechtliche, medizinische und psychologische Dienstleistungen.
2 Eine "Common Law"-Ehe ist eine Eheschließung ohne zivile oder kirchliche Zeremonie, die in der Regel aus einer Vereinbarung zur Eheschließung und dem anschließenden Zusammenleben des Paares resultiert.
3 Der Zionismus wurde als ein Heilmittel für die jüdische Geschlechtskrankheit, sowie für die wirtschaftlichen, politischen und nationalen Probleme des jüdischen Volkes verstanden. Diese Bewegung zielte darauf ab, das Bild des Diaspora-Juden zu negieren und gleichzeitig einen „neuen Juden“ zu erschaffen (Yosef 2004: 19).
4 The Bubble , R.: Eytan Fox, IL 2006 (Orig.: Ha-Buah).