Das von Wolfgang Borchert ein Jahr nach Kriegsende verfasste Drama „Draußen vor der Tür“
beschäftigt sich nicht nur mit dem Problem der Integration von heimgekehrten Soldaten in die
Nachkriegsgesellschaft, sondern behandelt auch bereits deren Umgang mit ihrer
unmittelbaren Vergangenheit und den Auswirkungen.
Die vorliegende Arbeit soll anhand des Schicksals der Hauptfigur aufzeigen, dass
durch den Krieg verursachtes Leid in „Friedenszeiten“ sogar noch verstärkt werden kann
(Kapitel II). Kapitel III befasst sich mit dem Phänomen der „Verdrängungskultur“ im
Deutschland zur Zeit des Wiederaufbaus, während Kapitel IV auf die Schwierigkeiten
verweist, die mit dem Versuch einer individuellen Vergangenheitsbewältigung einhergehen.
Abschließend soll auf ein Konzept Wolfgang Borcherts eingegangen werden, das eine
Möglichkeit zum Weiterleben bietet.
[...]
INHALTSVERZEICHNIS
I. Einleitung
II. Zerstörte Illusionen
III. Erinnerung als Schicksal
IV. Von Verdrängung zum Bekenntnis
V. Aussichtslosigkeit vs. Lebensbejahung
VI. Zusammenfassung
VII. Literaturverzeichnis
1. Primärliteratur
2. Sekundärliteratur
I. Einleitung
Das von Wolfgang Borchert ein Jahr nach Kriegsende verfasste Drama „Draußen vor der Tür“ beschäftigt sich nicht nur mit dem Problem der Integration von heimgekehrten Soldaten in die Nachkriegsgesellschaft, sondern behandelt auch bereits deren Umgang mit ihrer unmittelbaren Vergangenheit und den Auswirkungen.
Die vorliegende Arbeit soll anhand des Schicksals der Hauptfigur aufzeigen, dass durch den Krieg verursachtes Leid in „Friedenszeiten“ sogar noch verstärkt werden kann (Kapitel II). Kapitel III befasst sich mit dem Phänomen der „Verdrängungskultur“ im Deutschland zur Zeit des Wiederaufbaus, während Kapitel IV auf die Schwierigkeiten verweist, die mit dem Versuch einer individuellen Vergangenheitsbewältigung einhergehen. Abschließend soll auf ein Konzept Wolfgang Borcherts eingegangen werden, das eine Möglichkeit zum Weiterleben bietet.
II. Zerstörte Illusionen
Beckmann, der Protagonist des Dramas, kehrt nach dreijähriger Kriegsgefangenschaft in Russland in seine Heimat Deutschland zurück, weil er meint, dort seine langersehnten Hoffnungen erfüllt zu sehen. Er erwartet sich eine Rückkehr zur „Normalität“ in ein unzerstörtes Land mit Frau und Kind, den Eltern, gesicherte Arbeit und die Bewältigung der unerträglichen Vergangenheit.
Unmittelbar nach seiner Ankunft muss er allerdings feststellen, dass seine Wunschträume zerplatzt sind. Die Sehnsucht nach Liebe und Geborgenheit, symbolisiert durch (s)eine Frau, bleibt aufgrund ihrer Zurückweisung ungestillt, und mit seinem Sohn liegt unter den Trümmern seiner Heimatstadt auch Beckmanns Zukunft begraben: „Dieser Schuttacker hier zu Hause. Hier in Hamburg. Und irgendwo da unter liegt mein Junge. Ein bisschen Mud und Mörtel und Matsch. Menschenmud, Knochenmörtel.“[1] Dieser seiner vordringlichen Zuversicht auf ein intaktes Familienglück beraubt, sieht der Heimkehrer keinen anderen Ausweg als Suizid. Selbst dieser wird ihm jedoch verwehrt, denn die Elbe spuckt ihn mit folgenden Worten wieder aus: „Deine kleine Handvoll Leben ist mir verdammt zu wenig. Behalt sie. [...] [I]ch scheiß auf deinen Selbstmord!“[2]
Das Weiterleben erweist sich aber als ausgesprochen schwierig, weil die seelischen Wunden noch durch physische Entbehrungen vertieft werden. Die Alliteration[3] „das Bein, das Bett, das Brot“[4] versinnbildlicht den Mangel an den menschlichen Grundbedürfnissen. Beckmanns Knieverletzung und Sehschwäche kennzeichnen nicht nur die beschädigte körperliche Gesundheit, sondern können auch als Symbol für den beeinträchtigten Seelenzustand gelten (sh. Kapitel III). Das Bett als Schlaf-Stätte markiert einerseits einen Ort der Wärme und (partnerschaftlichen) Liebe, andererseits bezeichnet sein Verlangen nach (traumlosem) Schlaf auch die Forderung nach Rast vor der quälenden Erinnerung: „Ich hatte doch die Verantwortung. [...] Und deswegen komme ich nun zu Ihnen, Herr Oberst, denn ich will endlich mal wieder schlafen.“[5] Die absolute „Seelenruhe“[6] kann Beckmann jedoch nur im Jenseits erlangen – folglich wird das Ruhebedürfnis mit Todessehnsucht gleichgesetzt („Pennen will ich. Tot sein.“[7]) Nicht zuletzt äußert der Hungrige mit dem Wunsch nach dem Grundnahrungsmittel Brot, dass er sich mit dem Geringsten zufrieden geben würde.
In den Begegnungen mit seinen Mitmenschen erfährt Beckmann die Verweigerung dieser existentiellen Erfordernisse. So sieht der Kabarett-Direktor in der Gasmasken-Brille, Beckmanns „Rettung“[8], lediglich ein „originelle[s] Ding“[9] und ist auch auf explizites Bitten hin nicht bereit, aus seinem Überfluss an Brillen eine abzugeben. Ebenso wenig lassen ihn der Oberst und dessen Familie am (offenbar reichlichem) Abendmahl teilhaben – trotz seiner Anspielung („[D]ann möchte ich am Tage manchmal vielleicht etwas essen“[10]) sind sie sind nicht einmal fähig bzw. geneigt, seine schlechte physische Verfassung zur Kenntnis zu nehmen: „Pappi, frag ihn doch mal, was er eigentlich will. Er kuckt fortwährend auf meinen Teller.“[11] Der Oberst lehnt solche – für ihn unwesentlichen, weil selbstverständlichen – Ansprüche jedoch als „unmännlich“[12] ab und versucht mit dem Hinweis auf Beckmanns Frisur davon abzulenken und (implizit) die Nahrungsverweigerung durch Kriminalisierung zu begründen. Das Unverständnis für die Not des Mitmenschen gipfelt in der Aussage „[W]as will er denn mit dem Brot?“[13], die dessen Bedeutung und Wert für einen Hungernden (wie ihn selbst) völlig verkennt. Dementsprechend weist der Oberst die Bitte um Schlaf aufgrund seiner Interpretation als persönliche Schwäche Beckmanns zurück: „Mal ehrlich, einer von denen, die ein bisschen müde sind, ein bisschen weich, wie?“[14] Ähnlich scheint auch seine Frau zu empfinden, denn obwohl sie sachlich konstatiert „Mein Gott, der schläft ja im Stehen“[15], unternimmt sie keinerlei Anstalten, diesem Zustand Abhilfe zu verschaffen.
Mehr noch als die Tatsache der Versagung von einfachsten Hilfeleistungen verletzt Beckmann jedoch die völlige Absenz an Mitgefühl, mit der dies geschieht und die beispielsweise auch am Verhalten von Frau Kramer deutlich wird. Während er, angespornt durch den äußeren Anschein von Unversehrtheit, vor dem Elternhaus stehend von einem Zuhause in vertrauter, monotoner „Normalität“ träumt, öffnet ihm anstelle der Mutter eine Fremde. Ihr, die Beckmann das Ableben seiner Eltern in Form einer Klatschgeschichte vermittelt, kommt ihre seelische Grausamkeit allerdings nicht zu Bewusstsein, und die Regieanweisung des Erzählers bezeichnet daher ihre „gleichgültige, grauenhafte, glatte Freundlichkeit [als] furchtbarer [...] als alle Rohheit und Brutalität.“[16]
[...]
[1] Wolfgang Borchert: Draußen vor der Tür, hg. v. Paul B. Salmon (London/Toronto/Wellington: Harrap 1963), S. 110.
[2] Borchert Draußen, S. 107.
[3] Der Terminus „Alliteration“ bezeichnet einen „An[laut]reim, d. h. die Gleichheit des Anlauts bei betonten Silben bedeutungsschwerer Wörter“. Duden. PC Bibliothek. Version 2.0 (Mannheim: Brockhaus 1997) In den weiteren von Beckmann verbalisierten Alliterationen kommt auf prägnante Weise alles Leid zum Ausdruck: „Gehumpel und Gehinke“, „Mud und Mörtel und Matsch“, „breit, breiig, bresthaft und blutig“, „Gehungert, Gefroren, Geschossen“, „gleichgültig, grauenhaft, glatt“, „Verlorene, Verlaufene, Verschollene“, „humpeln, heulen, hungern“, „gebrüllt, geweint, geflucht“. An einer Stelle werden allerdings auch mit positiven Konnotationen besetzte Begriffe verwendet: „Sonne, Sterne, Frauen, Fenster“. Borchert Draußen, S. 109f, 124, 133, 139, 144f., 149.
[4] Borchert Draußen, S. 107.
[5] Ibid., S. 125.
[6] Ibid., S. 127.
[7] Ibid., S. 106. Dass Beckmann „lebens-müde“ im buchstäblichen Sinn ist und der Schlaf (wie bei Erfrierenden) für ihn den Tod bedeuten kann, bezeichnet auch die Aufforderung des „Anderen“: „Werd nicht müde, Beckmann. Komm. Lebe!“ Ibid., S. 146. Vgl. auch die Wahl des Ortes für den Suizid, die als Fluss-Bett allegorisierte Elbe.
[8] Borchert Draußen, S. 131.
[9] Ibid., S. 131.
[10] Ibid., S. 119.
[11] Ibid.
[12] Ibid.
[13] Ibid., S. 129.
[14] Ibid., S. 121.
[15] Ibid.
[16] Ibid., S. 139.
- Arbeit zitieren
- Marion Luger (Autor:in), 2001, Zu: Wolfgang Borchert - "Draußen vor der Tür", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/114896
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