Leseprobe
Inhalt
1. Einleitung
2. Theoretische Erklärung
2.1 Definition Psychoonkologie
2.2 Spezifische Aspekte einer Krebserkrankung im Kindes- und Jugendalter
3. Praktische Anwendung
3.1 Einblick in den Förderkreis für krebskranke Kinder und Jugendliche – Sonnenstrahl e.V
3.2 Psychosoziale Beratung zu Krebs
4. Fazit
Anhang
1. Einleitung
„Ein 18jähriges, an akuter lymphatischer Leukämie leidendes Mädchen fällt auf der Abteilung durch sein fröhliches, stets lachendes und unbekümmertes Wesen auf“ (Meerwein & Bräutigam, 1998, S. 97 f.). Was auf dem ersten Blick motivierend klingt und eventuell mit einer starken Resilienz der Jugendlichen zu begründen ist, erscheint bei einem persönlichen Gespräch mit ihr ins Gegenteil umzuschlagen. „ [So] berichtet die Patientin mit Verzweiflung von ihrer Anstrengung, ihre Eltern bei guter Laune zu halten. […] Sie befürchtet […] bei voller Information ihrer Eltern von diesen zu einem Zeitpunkt, da sie deren Stütze und Halt besonders benötigte, aus Angst und Schwäche emotional im Stich gelassen zu werden“ (ebda.).
Der Fall des Mädchens verdeutlicht gut die Notwenigkeit von psychosozialen Gesprächen mit krebserkrankten Kindern und Jugendlichen, die neben der gesundheitlichen Belastungen auch wegen vielfältigen anderen Bereichen einen Austausch mit Außenstehenden dringend benötigen. Jährlich erkranken circa 2000 Kinder und Jugendlich an Krebs und hämatologischen Erkrankungen in Deutschland (Deutsche Kinderkrebsstiftung, 2018). Die Krankheit selbst, wie auch die intensive Behandlung ist für den jungen Patienten und sein Umfeld sehr belastend und nur schwer zu ertragen. Um eine Genesung bestmöglich zu fördern, wird seit den letzten Jahrzehnten zunehmend die Lebenswelt des Patienten miteinbezogen. Zuvor war es bspw. unüblich, dass Eltern bei ihren Kindern auf Station übernachten konnten oder dass das Personal Weiterbildungen zum Umgang von jungen Krebserkrankten und deren Familien besucht (Sonnenstrahl e.V., 2018). Mit dem heutigen Ziel rückt neben dem Ziel der Gesundung, Rehabilitation und die Erhaltung von Lebensqualität auch die psychosoziale Beratung von Krebskranken in den Fokus. Damit beschäftigt sich die Psychoonkologie.
Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich zunächst mit einer theoretischen Erläuterung der Psychoonkologie und deren medizinischen und beratungstechnischen Besonderheiten im Kindes- und Jugendalter. Es folgt eine Vorstellung des Sonnenstrahl e.V. Das ist ein psychoonkologischer Elternverein, der professionell krebskranke Kinder und Jugendlichen sowie deren Familien in Notsituationen auffängt und berät. Die Arbeit wird von einem Fazit abgeschlossen.
Um eine leichtere Lesbarkeit zu gewährleisten, wird in der vorliegenden Hausarbeit die männliche Sprachform bei personenbezogenen Substantiven sowie Pronomen verwendet. Dies impliziert jedoch keine Diskriminierung des weiblichen Geschlechts, sondern vielmehr eine Geschlechtsneutralität im Sinne der sprachlichen Vereinfachung.
2. Theoretische Erklärung
Die Psychoonkologie ist eine wichtige Handlungsmethode der klinischen Sozial Arbeit. Durch verschiedene Begrifflichkeiten erfolgt zunächst eine Abgrenzung der allgemeinen Verwendung, um der Thematik gerecht zu werden. Anschließend erfolgt eine genauere Beschreibung spezifischer Merkmale im Kinder- und Jugendalter. Dabei wurden Bücher, E-Books und Internetquellen betrachtet. Die Literatur bezog die Autorin aus den umliegenden Bibliotheken der Sozialwissenschaft. Bei der Auswahl der verwendeten Literatur achtete die Autorin auf den direkten Zusammenhang mit der Thematik, um die Stringenz zu wahren.
2.1 Definition Psychoonkologie
Die Onkologie ist der medizinische Ausdruck der Wissenschaft von Geschwulsterkrankungen. Demnach behandelt das Teilgebiet Psychoonkologie die seelischen Aspekte und Auswirkungen einer Krebserkrankung auf die Betroffenen, sowie deren Unterstützungsmöglichkeiten (Verres, 1994, S. 205). Im genaueren wird „erstens der Einfluss einer Krebserkrankung im Hinblick auf die psychischen Veränderungen des Patienten, seiner Angehörigen1 sowie des behandelnden Personals untersucht und zweitens der Frage nach dem Einfluss psychischer Faktoren auf das Erkrankungsrisiko und den Verlauf der Erkrankung [nachgegangen]“ (Schulz, Schulz, Schulz, & von Kerekjarto, 1998, S. 21). Aber auch innerhalb der klinischen Tätigkeit ist die interdisziplinäre Zusammenarbeit mit Ärzten, Pflegekräften und weiteren Professionen von hoher Bedeutung. Neben der Vermittlung der psychoonkologischen Kompetenzen, muss eine Sensibilisierung des Personals bezüglich der psychischen und sozialen Probleme der Betroffenen gestärkt oder ggf. durch eine Fortbildung aufgebaut werden (ebd.). Epidemiologischen Erhebungen zufolge erleidet ein Drittel aller Betroffenen neben der körperlichen Symptomatik eine reaktive, psychische Störung, abhängig vom Schweregrad und der Ausprägung. Während oder nach der Behandlung können Angst- und Anpassungsstörungen, Depressionen (teilweise mit Suchttendenzen) oder Stresssyndromen ausgeprägt werden (Sharp & Lifeline, 2018). Es besteht seit der Entwicklung der Psychoonkologie kein Zweifel der Notwendigkeit von psychosozialer Intervention, um psychophysiologische Symptome zu verringern. „Zudem hat angesichts der außerordentlich hohen Komorbidität psychischer und onkologischer Erkrankungen eine psychosoziale Begleitung von Krebspatienten und deren Angehörigen als unverzichtbarer Bestandteil einer verantwortungsvollen Medizin zu gelten“ (Meerwein & Bräutigam, 1998, S. 41 nach Schwarz, 1996).
Zu den psychischen Belastungen, verstärken sich weitere soziale Einbußen während oder nach dem Krankheitsverlauf. So leiden viele Betroffene unter der verringerten, körperlichen Leistungsfähigkeit sowie Belastungen in Beruf und Freizeit, ein verschlechteres seelisches Wohlbefinden und finanzielle Probleme (Weis, 2002, S. 141).
So umfasst die psychoonkologische Betreuung des Patienten während des Krankenhausaufenthaltes die individuelle und persönliche Beratung in psychischen und sozialen Veränderungen, eine Begleitung bei Unheilbarkeit, kreative Theapiemöglichkeiten, Selbsthilfegruppen, sowie Entspannungs- und Suggestionstechniken (Verres, 1994, S. 205). In Deutschland ist „Psychoonkologe“ keine geschützte Berufsbezeichnung. Jedoch verfügen immer mehr Mediziner, Psychologen, Pädagogen und Sozialarbeiter eine anerkannte, qualifizierte Weiterbildung. Seit 2010 entwickelte die Deutsche Krebsgesellschaft (DKG) Standarts, die den Vergleich verschiedener Ausbildungen ermöglichen (dkfz., 2018)2.
Neben der Hilfe und Beistand von Einzelfällen, agiert zudem die Psychoonkologie auf der politisch-gesellschaftlichen Ebene. Dabei soll das Gesundheitsverhalten der Bevölkerung angesprochen werden, um den offenen Umgang mit Krebsängsten zu thematisieren. Zur erfolgreichen Krebsbekämpfung müssen folgende Bereiche unterstützt werden:
- Das präventive Verhalten in der Bevölkerung soll bundesweit gefördert werden und wissenschaftlich untersucht werden.
- Die Bereitschaft zur Krebsfrüherkennung der bundesweiten Bevölkerung soll gestärkt und wissenschaftlich untersucht werden.
- Das Risikoverhalten soll psychologisch-fundiert definiert werden und eine dementsprechende, zielgruppenspezifische Informationspolitik entwickelt werden.
- Um ein Therapieziel bestmöglich zu erreichen, wird eine Verbesserung der Kommunikation zwischen Ärzten und Patienten angestrebt.
- Bundesweit laufen Weiterbildungen für Ärzte, Gesundheitserzieher, Pflegepersonen, medizinisch-technisches Personal, Theologen, Betreuer von Rehabilitationen und Sozialarbeiter.
- Das Unwissen und die damit verbunden Vorurteile gegenüber Krebserkrankten sollen abgebaut werden.
- Es sollen wissenschaftlich fundierte Bewältigungshilfen zur Selbsthilfe für Krebspatienten mit psychosozialen Problemen entwickelt werden.
- Studien zur Erfassung der Lebensqualität, Dokumentation von Konzepten sowie der Krankheitsbewältigung sollen gefördert werden.
- Als umfassendes Ziel soll die Lebensfähigkeit von Betroffenen, die aufgrund chronischer Krankheiten und familiären Sterbefälle beeinträchtigt wurde, wiederbelebt und rehabilitiert werden. (Verres, 1994, S. 208 f.)
2.2 Spezifische Aspekte einer Krebserkrankung im Kindes- und Jugendalter
Der folgende Abschnitt behandelt vorerst medizinische Gesichtspunkte, da diese Umstände viele Merkmale der psychosozialen Beratung entsprechend formen.
Medizinische Aspekte
Krebs ist keine typische Erkrankung im Kindes- und Jugendalter. So ist diese lediglich zu einem Prozent hinsichtlich aller Krankheiten in dieser Altersgruppe vertreten. Dennoch ist Krebs die am häufigsten auftretende, tödliche Krankheit (Prof. Dr. Henze, 2018; Lamri-Zeggar, 1991, S.18).
Generell sind Krebserkrankte im jüngeren Alter von anderen Ausprägungen betroffen, als Erwachsene. So sind bspw. 90% aller erwachsenen Krebserkrankten von Karziome betroffen, Kinder und Jugendliche hingegen nur zu einem Prozent. Das Deutsche Kinderkrebsregister veröffentlicht regelmäßig eine Aufstellung der häufigsten Diagnosen. Nach deren Erhebungen wurden in den Jahren von 2009 bis 2015 zu 30% Leukämie, 24% Zentralnervensystem-Tumore und 14% Lymphome bei den Patienten unter 18 Jahren am häufigsten festgestellt (Deutsches Kinderkrebsregister, 2016, S. 4)3.
Verglichen zu Erwachsenen ist die Krebsfrüherkennung erschwert, da Anzeichen wie blaue Flecke, Fieber oder Kopfschmerzen zuerst bagatellisiert oder falsch diagnostiziert werden. Oft wird die Diagnose Krebs erst erwägt, wenn die Symptome lange fortbestehen (Bode, 2004, S. 564). Gerade bei Kindern gelten als allgemeine Krankheitszeichen wie Blässe, Spielunlust, Konzentrationsschwäche und Gewichtsverlust. Im Allgemeinen führt es zu einer Wachstums- und Entwicklungsverzögerung des Betroffenen. Zudem geben schmerzende Organe oder Körperteile Ausschluss über örtliche Krankenzeichen, also den betroffenen Bereichen, in der sich die kranken Zellen teilen. Mögliche Lokalsymptome sind bspw. örtliche Schwellungen oder Schmerzen bei Lymphe, Bauch oder Kopf, sowie Sehstörungen, Bewusstseinsstörungen, Lähmungen und Krampfanfälle. Es kann durch einen fortgeschrittenen Knochenbefall bereits Knochenschmerzen bestehen (Prof. Dr. Henze, 2018).
Die Therapie jungen Erkrankten erfolgt alters- und fachgerecht, intensiv und wirksam, aber auch möglichst schonend. Meist erfolgt eine multimodale Therapie, also eine Kombination aus Chemo- und Strahlentherapie, sowie einer Operation, um so nicht nur den Primärtumor, sondern den ganzen Körper zu behandeln. Durch diese intensive Behandlung besiegen mehr als 80% der Patienten den Krebs (Prof. Dr. Henze, 2018). Zudem werden in der Regel Rückschlüsse zu stattgefundenen Therapien gesammelt und im Rahmen von Therapieoptimierungsstudien berücksichtigt (Lamri-Zeggar, 1991, S. 19).
Das Ziel jeder Therapie ist die vollständige und dauerhafte Vernichtung aller Krebszellen (kurative Behandlung; Bode, 2004, S. 102).
Psychosoziale Aspekte
Kinder und Jugendliche, die die Diagnose Krebs erhalten, sind mit plötzlichen Veränderungen konfrontiert. Die Krankheit ist durchaus lebensbedrohlich, aber auch wie bereits erwähnt, oft heilbar. In der Situation des Betroffenen stellt die Krankheit dennoch eine undefinierbare Gefahr dar. Die Eltern der Kinder und Jugendlichen versuchen ihre eigene Betroffenheit und Angst zu überspielen, doch durch die enorme Feinfühligkeit in jungen Jahren, überträgt sich meist die Unsicherheit der Erwachsenen. Zu den schweren Nebenwirkungen, die durch die Therapie ausgelöst werden, haben Patienten das Gefühl, nicht mehr über den eigenen Körper verfügen zu können. Viele neue und auch unangenehme Faktoren müssen akzeptiert und in ihre Lebenswert integriert werden. „Dieses plötzliche „Anders-Sein“ und diese akute Veränderung des emotionalen Klimas gleichen einer unmittelbaren Verwandlung der gesamten Erfahrungs- und Erlebniswelt des Kindes und entsprechen einem tiefen Einbruch eines bis zu diesem Moment für sicher gehaltenen Bodens“ (Meerwein & Bräutigam, 1998, S. 144). Durch die wegbrechende Sicherheit sind Betroffene gezwungen, den Tod frühzeitig mit dem Selbstkonzept4 in Verbindung zu stellen. Gerade bei jungen Patienten ist das eine Aufgabe, die nach der Entwicklungspsychologie meist überfordert. Nur Kinder und Jugendliche, die sich in ihrem Umfeld absolut sicher und gehalten fühlen, können ihre inneren Anteile aktualisieren und nach außen weitergeben (Meerwein & Bräutigam, 1998, S. 146).
Bei dem Versuch mit einer so schweren und verunsichernden Situation adäquat umzugehen, greifen krebskranke Kinder und Jugendliche frühere Verhaltensweisen und Erlebnisweisen im Sinne von „seelischen Notfallmechanismen“ zurück. Dabei zeigen sie oft forderndes Verhalten und eine ausgeprägte Reizbarkeit. Die ständige Kompensation hat zur Folge, dass die altersgerechte Entwicklung in den Jahren Schaden nimmt und regressive Verhaltensweisen gezeigt werden. Die Kompensation ist zudem davon abhängig, inwiefern Konflikt- und Persönlichkeitskonfigurationen in belastenden Momenten familiär vermittelt wurden und der Betroffene (auch unbewusst) diese Bewältigungsmöglichkeiten für sich nutzt (Romer, Möller, Haagen, Quitmann, & Riedesser, 2008, S. 50 f.).
Gerade Eltern5 des Krebserkrankten müssen gerade zu Beginn der Therapie einen maßgeblichen Balanceakt meistern, um ein Leben im Alarmzustand für sich und für die Familie zu meistern. „Es gilt für sie, in einem längeren Anpassungsprozess beachtliche psychische Arbeit zu leisten, um sowohl in ein neues eigenes intrapsychisches Funktionsgewicht auszubilden, als auch dem kranken Kind und seinen Geschwistern in der veränderten Situation beizustehen“ (Meerwein & Bräutigam, 1998, S. 152). So wird den Elternteilen in Phasen der Remission6 die Angstverringerung gesteigert und das Gefühl von Betrug, Ängsten, Wut und Ratlosigkeit gemindert. Dennoch tragen sie auch lange Zeit nach der Behandlung Mut- und Hoffnungslosigkeit in sich, aus Angst eines Rückfalls der Krankheit (Revidiz). In dem Fall würde eine persönliche (Handlungs-)Sicherheit durch bereits bekannte Prozesse gegen eigene geschwächte und reduzierte Reserven treffen (Lamri-Zeggar, 1991, S. 34 ff.).
[...]
1 dazuzählend Personen im Hilfesystem, wie Erzieher oder Lehrer (exemplarisch siehe Anhang Grafik 1 und 2 zum vorgefertigter Elternbrief für Schulen)
2 Zudem fördert die „Psychosoziale Arbeitsgemeinschaft in der Gesellschaft für pädiatrische Onkologie und Hämatologie“ (PSAPOH) derzeit 200 Mitglieder in Deutschland, Schweiz, Österreich und Luxemburg. Ihr Ziel ist die zentrumsabhängige Verbesserung und Förderung der psychosozialen Versorgung von Kindern und Jugendlichen durch regelmäßige Qualifikationen und Fortbildungen (Deutsche Kinderkrebsstiftung, 2018).
3 siehe Anhang Grafik 3 zu weiteren Informationen
4 „Die eigene Sterblichkeit wird zwar anerkannt, aber da sie dem Selbstgefühl völlig zuwiderläuft und somit unerträgliche Gefühle auslöst, schnell und mit verschiedenen Mitteln vom bewussten Erleben wieder ausgeschlossen. Die Vernichtung, manchmal personifiziert in Form einer unheimlichen und mächtigen Gestalt (z.B. Skelett und Monster), kann in der Vorstellung des Kindes durch Geschick ferngehalten oder zumindest auf der Zeitachse sehr weit hinausgeschoben werden“ (Meerwein & Bräutigam, 1998, S. 146).
5 siehe Anhang Grafik 4 zu weiteren Informationen
6 Rückbildung des Tumors, Nachlassen der Symptome (Deutsche Gesellschaft für Onkologie e. V., 2018)