Die Goldene Regel und der Kategorische Imperativ - ein Vergleich


Seminararbeit, 2008

27 Seiten


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Die Goldene Regel (GR)
2.1 Die Definition der Goldenen Regel
2.2 Die Herkunft der Goldenen Regel
2.3 Die Goldene Regel in der positiven Formulierung
2.4 Die Goldenen Regel in der negativen Formulierung

3 Kritik an der Goldenen Regel

4 Die Verbreitung der Goldenen Regel in den Weltreligionen

5 Der Kategorische Imperativ (KI)

6 Gesetzesformeln des Kategorischen Imperativs

7 Allgemeine Gesetzmässigkeit als Grund für die Moral

8 Kritik am Kategorischen Imperativ

9 Die Goldene Regel und der Kategorische Imperativ - Gemeinsamkeiten und Unterschiede
9.1 Vergleich zwischen der Goldenen Regel und dem Kategorischen Imperativ
9.1.1 Die Goldene Regel
9.1.2 Der Kategorische Imperativ

10 Zusammenfassende Gedanken

Literaturverzeichnis

1 Einleitung

In der vorliegenden Arbeit setze ich mich mit der Goldenen Regel (GR) und dem Kategorischen Imperativ (KI) von Kant auseinander. Ich definiere zuerst die GR, gehe auf die Herkunft ein sowie auf die positive und negative Formulierung der GR. Dann setze ich mich mit der Kritik an der GR auseinander sowie mit der Verbreitung der GR in den Weltreligionen.

Beim KI betrachte ich die Gesetzesformeln des KI, die allgemeine Gesetzmässigkeit als Grund für die Moral und setze mich mit der Kritik an dem KI auseinander. Des weiteren gehe ich auf die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen GR und KI ein und am Schluss der Arbeit stehen zusammenfassende Gedanken.

2 Die Goldene Regel (GR)

2.1 Die Definition der Goldenen Regel

„Was Du nicht willst, das man Dir tu‘, das füg auch keinem anderen zu.“

In der Prinzipienethik sind die Handlungen und Technologien Themen, zu denen man mit Bezug auf geordnete, mehr oder weniger allgemeine moralische Prinzipien Stellung nimmt. Die moralischen Prinzipien haben die Form von abstrakten und allgemeinen Urteilen. Ein hoher Allgemeinheitsgrad sind das Gebot der Ehrfurcht vor dem Leben und das Prinzip der Gerechtigkeit, die Goldene Regel (GR) und in der Ethik der berühmte Kategorische Imperativ (KI) von Kant „Handle so, dass Du die Menschheit, sowohl in Deiner Person, als in der Person eines andern, jederzeit zugleich als Zweck, niemals als Mittel brauchst.“ Eine an Prinzipien orientierte Ethik hat einen hohen Abstraktionsgrad. Die konkreten Situationen und die subjektiven Zustände wie zum Beispiel die Emotionen und Intuitionen werden nicht berücksichtigt. Die Prinzipienethik evaluiert einzelne Handlungen oder Handlungsoptionen mit Bezug auf allgemeine moralische Prinzipien. Die Tugendethik dagegen evaluiert persönliche Haltungen oder Charakterzüge mit einem Bezug auf das für das menschliche Leben Gute.[1]

Die GR kann für moralische Fragen herangezogen werden. Eine Regel muss einen Grad „Allgemeinheit“ haben. Je allgemeiner die Form eines Satzes ist, um so auf mehr Fälle kann man sie anwenden. Der Inhalt ist aber umso weniger konkret. Die GR mit ihrer alten Tradition ist in verschiedenen Arten Grundbestandteil ethischer Vorstellungen in verschiedenen Religionen. Sie bezieht sich auf die Person und dem Gegenüber. Die GR abstrahiert vom konkreten Fall und erhebt einen universellen Geltungsanspruch. Die zentrale Forderung der GR ist, jeden Menschen so zu behandeln, wie man selber behandelt werden möchte, wäre man an seiner Stelle.[2] Will man dies nicht, dann ist die Handlung unmoralisch. Sie soll dann unterlassen werden. Wir finden die GR in den meisten Weltreligionen. Aus ihr sind vier Prinzipien als „unverrückbare Weisungen“ entwickelt worden:

- Die Verpflichtung auf eine Kultur der Gewaltlosigkeit und der Ehrfurcht vor allem Leben.
- Die Verpflichtung auf eine Kultur der Solidarität sowie eine gerechte Wirtschaftsordnung.
- Die Verpflichtung auf eine Kultur der Toleranz und ein Leben in Wahrhaftigkeit.
- Die Verpflichtung auf eine Kultur der Gleichberechtigung von Mann und Frau.

Die GR kann als bedeutende Kulturleistung betrachtet werden. Sie stellt ein Zeugnis dar, sich in andere Menschen, Sitten und Wertvorstellungen einzuleben und kann als Orientierungsleitplanke betrachtet werden. Es gibt unterschiedliche Angaben über die Ursprünge der GR. Bei Dihle ist erwähnt, dass die allererste Begegnung dieses Prinzips die babylonische Achidar-Erzählung ist. In ihr sind Ratschläge und Lebensregeln enthalten, die der Weise Achidar seinem Sohn gibt wie die Aufforderung: „Kind, was Dir schlecht scheint, sollst Du Deinem Gewissen nicht antun.“ Eine ähnliche Regel ist im Buch Tobias (Tob) des AT zu finden: „… was Du nicht leiden magst, das tue niemand an.“ Die Formulierung der GR setzt ein Abstraktionsvermögen voraus. Auch ist die Geläufigkeit in der rationalen Analyse der zwischenmenschlichen Vorgängen Voraussetzung.[3] Die GR verlangt angeordnetes Verhalten, welches sich auf die Kalkulation, wie der Partner in den entsprechenden Situationen handelt, wie er das ihm Vorgegebene eines anderen empfindet und beurteilt. Man muss sich in die Rolle des Partners „hineinleben“.

Die GR wurde in einer Zeit verfasst, wo Menschen bereits über eine gewisse Übung im Formulieren verfügten, sittliche Einsichten der Vorstellungswelt in abstrakten und allgemeingültigen Maximen zu verfassen. In der GR ist ein Gleichgewichtszustand vorhanden. Jede schädliche oder nützliche Handlung stört das Gleichgewicht. Dann wird das Gleichgewicht durch die entsprechende Handlung wiederhergestellt. Die Handlung kann nützlich oder schädlich sein. Durch die entsprechende Gegenhandlung wird das Gleichgewicht wiederhergestellt. Altertümliche Begriffe wie Unrecht, Recht, Vergeltung und Schuld sowie Verantwortung sind am Umfang des zur Diskussion stehenden Nutzens oder Schadens zu orientieren, der im Vollzug der Wiederherstellung des Gleichgewichtszustandes unter Menschen auf das Genauste aufgewogen werden muss. Nach archaischer Auffassung folgen Ausgleich und Vergeltung nach jeder Tat. Die vom Täter geplante Vergeltung liefert nach dem genannten Denkschema gleichsam den Massstab für die geplante, noch nicht vollzogene Tat.[4]

Die GR fordert die Diskussion über geplante Handlungen und Handlungsfolgen, die voraussehbar sind und die man zu verantworten hat. Man versetzt sich in die Lage des andern und schätzt ab, ob man die geplanten Handlungen persönlich akzeptieren würde. Wie im Utilitarismus fragt man nach dem Nutzen der beabsichtigten Ziele oder nach den Folgen, die eine Handlung für die Betroffenen verursacht. Die GR definiert nicht die zu vermehrenden Güter. Es liegt ihr eine präferenzutilitaristische Deutung nah.[5] Im Zentrum stehen Würde und die Bedürfnisse der Beteiligten. Im hedonistischen Utilitarismus steht das subjektivere Wohlbefinden im Vordergrund.

2.2 Die Herkunft der Goldenen Regel

Die GR knüpft möglicherweise an archaischen Formen des Vergeltungsdenkens an und dem talionischen Recht. Sie entstammt der antiken Popularethik (umstrittene Hypothese von A. Dihle, al.a.O., 13 ff). Bei Herodot ist die GR zum ersten Mal ersichtlich. Sie ist aber nicht bei Plato und Aristoteles vorhanden, bei Augustinus ist sie als vulgäres Sprichwort zu finden. In der historischen Forschung wird sie der antiken Vulgärethik zugeordnet. Bei Isokrates und Marc Aurel treffen wir sie als Kurzformel einer auf den Gedanken der sittlichen Autonomie reduzierten Formel.[6] Die GR ist, über die hellenistischen Quellen vermittelt, auch im Judentum zu finden. Sie wird in negativer Form überliefert „was Du nicht willst, dass man Dir tu, das füg‘ auch keinem anderen zu“ (Tob 4,15; Hen 61,1) oder in der Verknüpfung mit dem Liebesgebot (Lev 19,18).[7]

Die GR verbietet Handlungen, bietet aber keine Begründung. Die Begründung ist im Massstab zu finden, nach dem beurteilt werden soll, was man zu unterlassen habe. Er ist das persönliche Empfinden für das, was man nicht selbst erleiden will. Die GR leitet an, die persönliche beschränkte Sicht des Richtigen als um die Sicht des von meinem Handeln betroffenen Mitmenschen zu erweitern. Man sieht die beiden Perspektiven der Handlung. Dann kommt das, was gutes oder schlechtes Handeln ist.

Die positive Formulierung der GR ist auch in ausserchristlichen Zusammenhängen zu finden. Sie wird jedoch in der frühchristlichen Ethik auch in der negativen Variante zitiert. Die Kirche sah in der positiven Form nie Überlegenheit der eigenen Ethik über die sittlichen Anschauungen der antiken Philosophen.[8] Die GR wird als eine Grundformel der natürlichen Sittlichkeit oder Naturrechts angesehen.

Reiner sagt, dass die GR sich auf drei Arten formulieren lässt:[9]

Als Einfühlungsregel: Das eigene Wollen und die eigene Erfahrung ist Grundlage für die Anwendung der GR. Das leitende Prinzip ist die Liebe zum anderen. Die Annahme der GR macht das Miteinander in der Gesellschaft einfacher und somit auch für den Einzelnen von uns.

Als Autonomieregel: Nicht das eigene Wollen soll gesehen werden, sondern das Verhalten des anderen Mitmenschen. Dies soll der Massstab für unser Handeln sein. Wenn wir das Verhalten anderer betrachten, erkennen wir, was richtig oder falsch ist. Wir sind Aussenstehende und nicht gefangen mit unserer Meinung. Die individuelle Urteilungsfindung wird über das Messen des eigenen Wollens an Werte der Gesellschaft gebildet.

Als Gegenseitigkeitsregel: Die Einfühlungs- und die Autonomieregel werden kombiniert. Unser Wollen ist Ausgangspunkt für das Beurteilen einer Situation. Unser Wollen wird jedoch ausgeweitet auf die gegenseitige Rücksichtsnahme anderer. Subjekt und das Wohl des andern wird als gleichberechtigt dargestellt. „Der Mensch will vom Menschen bestätigt werden“ und echte Bestätigung gibt es nur in der Gegenseitigkeit, die herbeizuführen, Sinn und Aufgabe der GR ist. Sowohl in der positiven wie auch in der negativen Fassung der GR kommen der Rollentausch und das Ethos einer Gegenseitigkeit (Reziprozitätsidee) zum Ausdruck. Die Rücksichtsnahme auf die anderen erfolgt nicht eindeutig losgelöst vom Klugheitsmotiv, den anderen Mitmenschen auf die Wahrung des eigenen Anspruchs, auch von ihm entsprechend behandelt zu werden, zu verpflichten. Es schimmert auch ein wohlverstandenes oder aufgeklärtes Eigeninteresse hervor. Es liegt auch eine strategische Handlungsorientierung vor. Die GR unterscheidet sich von der strategischen Reziprozität, als dass sie von beiden Partnern die unbedingte Orientierung an den wechselseitigen Erwartungen der Achtung bzw. Nichtschädigung verlangt, wie dies vor allem die negative Form es verdeutlicht. Partner A soll jene Nebenwirkungen seines Tuns, die er selbst nicht erleiden möchte, ebenso auch dem Partner B nicht zumuten wie auch umkehrt.[10]

2.3 Die Goldene Regel in der positiven Formulierung

Die positive Formulierung der GR lautet: „Behandle Deine Mitmenschen so, wie Du von Ihnen behandelt werden willst.“

Daraus kann man Gebote für das eigene Handeln ableiten, wie „Wer in Geldnot ist und von seinem Freund finanzielle Unterstützung erwartet, sollte seinem Freund in Notsituationen Geld leihen.“[11] Die GR hat moralischen Gehalt.

2.4 Die Goldenen Regel in der negativen Formulierung

„Was Du nicht willst, dass man Dir tu, das füg‘ auch keinem andern zu.“

Diese Formulierung ist oft im Volksmund anzutreffen, geprägt von Wilhelm Busch.[12] Wer nicht Objekt von Klatsch ist, sollte selbst auf Klatsch verzichten. Bei der Anwendung der Regel wird die moralische Zulässigkeit der eigenen Handlung in Beziehung auf andere geprüft. Die Frage, die man sich stellt, ist die, ob man selbst von anderen so behandelt werden möchte. Ist dies nicht der Fall, so ist die Handlung moralisch nicht zulässig. Sie sollte unterlassen werden. Füge ich einem anderen etwas zu, was er nicht will, so entsteht ein Konflikt. Will ich den Konflikt vermeiden, dann ist mein Handeln entsprechend darauf auszurichten. Ich darf ihm nichts antun, was er nicht will. Einen Konflikt mit anderen will ich vermeiden. Der andere will dasselbe. Ich sollte ihm somit nichts antun, was ich persönlich nicht erleiden möchte. Die GR kommt zur Anwendung bei gleichartigen Bedürfnissen und entsprechendes Wollen und somit zu gleichen Ergebnissen.

3 Kritik an der Goldenen Regel

Ein Einwand gegen die GR ist die Blindheit gegenüber den Fragen, die im Zusammenhang mit dem Verhalten oder mit der sozialen Ordnung stehen. Zu nennen sind die Handlungen, die sich nicht gegen eine andere Person richten. Eine andere Schwäche der GR ist das „Wollen“ der Parteien, die in ihr vorkommen, und zwar als unabhängige und festgeschriebene Grösse. Das „Wollen“ der Parteien kann verschiedener Natur sein wie zum Beispiel, was man aktiv will, was man erträumt und dem, was man zu akzeptieren bereit ist und dies mit unterschiedlicher Begeisterung oder Widerstand.[13]

Der hypothetische Rollentausch als zentrale Forderung der GR verursacht oft Schwierigkeiten:

- Jemand sucht trotz allem seinen eigenen Vorteil (ethischer Egoismus)
- Das „Sich-versetzen-in-den-anderen“ kann Egoismus verhindern, doch bestimmte Bevorzugungen der eigenen Persönlichkeit bleiben aus der Individualität des Temperaments und des Charakters.
- Sich-versetzen-in-die-Haut-des-andern: Wir versuchen die Welt mit den Augen des anderen zu betrachten.

[...]


[1] Huppenbauer und De Bernardi, Kompetenz Ethik (2003), S. 24 ff

[2] Fenner, Ethik (2008), S. 151

[3] Dihle, Die goldene Regel (1962), S. 11

[4] Dihle, Die goldene Regel (1962), S. 12

[5] Fenner, Ethik (2008), S. 151 ff

[6] Bellebaum, Was Du nicht willst, das man Dir tu‘… (1999), S. 64

[7] Bellebaum, Was Du nicht willst, das man Dir tu‘… (1999), S. 64

[8] Bellebaum, Was Du nicht willst, das man Dir tu‘… (1999), S. 65

[9] Reiner, Die Goldene Regel. Die Bedeutung einer sittlichen Grundhaltung der Menschheit, Zeitschrift für philosophische Forschung 3, (1948), S. 82-105

[10] Ulrich, Integrative Wirtschaftsethik (2008), S. 62

[11] Fenner, Ethik (2008), S. 152

[12] Ulrich, Integrative Wirtschaftsethik (2008), S. 61

[13] Brühlisauer, Moral und Konvention, Darstellung und Kritik ethischer Theorien (1988), S. 315 ff

Ende der Leseprobe aus 27 Seiten

Details

Titel
Die Goldene Regel und der Kategorische Imperativ - ein Vergleich
Hochschule
Universität Basel  (Theologie)
Autor
Jahr
2008
Seiten
27
Katalognummer
V114968
ISBN (eBook)
9783640169122
ISBN (Buch)
9783640172047
Dateigröße
502 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Goldene, Regel, Kategorische, Imperativ, Vergleich, Ethik, Theologie, Kant, Weltreligionen und die goldene Regel, Weltreligionen und der kategorische Imperativ, Gerechtigkeit, Leid und Elend, Rache
Arbeit zitieren
Franz Ludin (Autor:in), 2008, Die Goldene Regel und der Kategorische Imperativ - ein Vergleich, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/114968

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