Materialerstellung zu Judith Kerrs "Als Hitler das rosa Kaninchen stahl" (Deutsch, Realschule, Klasse 6)


Hausarbeit, 2021

49 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Fachbereich Literatur

1 Einleitung

2 Analytische Auseinandersetzung mit dem literarischen Werk
2.1 Erzähltextanalyse nach dem Modell von Leubner und Saupe
2.2 Das Verhältnis von Fiktion und historischen Fakten im Roman
2.3 Reflexion der Eignung als kinder- undjugendliterarische Lektüre

3 Zielsetzungen des Unterrichts
3.1 ÜbergeordnetesStundenziel

4 Modellierung des Unterrichts
4.1 Klassensituation
4.2 Einbettung in einen Gesamtkontext
4.3 Vorstellung des Unterrichtsablaufs
4.4 Methodik und Materialerstellung
4.4.1 Vorstellung der gewählten Methodik auf theoretischer Ebene
4.4.2 Begründung der Methodik
4.4.3 Begründung des erstellten Materials

5 Fazit

6 Quellenverzeichnis

7 Anhang

Fachbereich Sprache

Wissenschaftliche Reflexion zur Materialerstellung mit dem Förderschwerpunkt „Lesekompetenz"

Literaturverzeichnis

Anhang

1 Einleitung

„Historische Jugendliteratur bietet die Möglichkeit, reine Erfindungen und Spekulationen aufzudecken und sich mit der Narration kritisch auseinanderzusetzen. Mit der historischen Jugendliteratur wird ebenso die Dimension des moralischen Bewusstseins unterstützt. [...] Bei diesem Vorgang beurteilen die Schüler/innen nicht von ihrem aktuellen Standpunkt aus, sondern versetzen sich in die damalige Lage und versuchen aus der historischen Situation heraus, ein Urteil zu fällen.1"

Die Unterscheidung zwischen Realität und Fiktion ist nicht nur wichtig, um selbstständig ein Urteil zu fällen, sondern fördert zusätzlich die Imaginationsfähigkeit, das Geschichtsbewusstsein, die Identitätsbildung und die Persönlichkeitsentwicklung.2 Diese entscheidenden Punkte tragen zum Hauptgerüst des literarischen Lernens bei. Demnach müsste die Arbeit mit einer historischen Kinder- und Jugendliteratur gut durchdacht und effektiv geplant werden, damit die Schüler/innen einen Mehrwert aus dem großen Bereich Literatur mitnehmen und diesen erfolgreich in ihr zukünftiges Handeln involvieren können.

Ein vielversprechendes Werk von Judith Kerr „Als Hitler das rosa Kaninchen stahl" erfüllt alle die oben genannten Punkte und lässt sich somit in eine erfolgsbringende Unterrichtseinheit aufbereiten. Die vorliegende Arbeit soll diese Unterrichtseinheit explizit erläutern und ihren Mehrwert für die Schüler/innen detailliert darstellen. Besonders die Methode des Vorlesegesprächs wird in dieser Arbeit ausführlich erklärt und ist für die Förderung des historischen sowie literarischen Lernens von großer Bedeutung. Außerdem wird die Arbeit von Kaspar Spinners 11 Aspekten des literarischen Lernens an mehreren Stellen fest untermauert, da die ausgesuchten Methoden jedes Mal eine große Rolle beim literarischen Lernen spielen.

Im Weiteren wird auf den Aufbau dieser Arbeit eingegangen. Die Arbeit lässt sich in einen fachwissenschaftlichen und fachdidaktischen Teil gliedern. Der fachwissenschaftliche Teil widmet sich der Analyse des Romans. Hierbei wird der Roman mit dem Textanalysemodell nach Leubner und Saupe analysiert. Anschließend wird das Verhältnis zwischen der Fiktion und den historischen Fakten im Roman dargestellt. In dem fachdidaktischen Teil wird untersucht, ob der Roman sich als eine Kinder- und Jugendliteratur eignet und überprüft, ob sich dieser als Schullektüre eignet. Daraufhin werden die Zielsetzungen für die geplante Unterrichtsstunde aufgezeigt. Weiterhin wird die Unterrichtsstunde in einen Gesamtkontext eingebettet. Nachfolgend wird der Unterrichtsablauf beschrieben und schließlich die ausgewählte Methodik der Unterrichtsstunde detailliert vorgestellt. Zuletzt werden die für die Unterrichtsstunde erstellten Materialien begründet. Das Fazit beschließt die Arbeit.

2 Analytische Auseinandersetzung mit dem literarischen Werk

2.1 Erzähltextanalyse nach dem Modell von Leubner und Saupe

„Die entscheidende Aufgabe des Literaturunterrichts ist, die Schüler zum Verstehen literarischer Texte zu führen"3, indem die Aktivierung der Leselust mit der Förderung des Textverstehens verbunden wird.4 Aus diesem Zitat ist zu entnehmen, dass Textverstehen sowie Lesefreude und Lesemotivation in hohem Maße voneinander abhängig sind. Besseres Textverständnis geht demnach mit der Freude am Lesen einher. Die Freude am Lesen wird besonders durch die Förderung der Lesemotivation sowie die Kompetenz, den Inhalt literarischer Texte im Ganzen zu entfalten und für sich zu nutzen, gestärkt. Um einen wie zuvor beschriebenen, modernen Literaturunterricht zu verwirklichen, bedarf es neben der geschickten Auswahl an Texten auch einer einheitlichen Methode zur Texterschließung.

Das Textanalysemodell nach Leubner und Saupe (2012) stellt ein besonders zugängliches, einfach strukturiertes und dennoch wissenschaftlich fundiertes Instrument für die Texterschließung dar, weshalb die Erzähltextanalyse des Romans „Als Hitler das rosa Kaninchen stahl" nach diesem Modell erfolgt.5

Leubner und Saupe (2012) greifen das von Jörn Stückrath weiterentwickelte Komplikationsmodell auf, dessen Grundlage darauf basiert, dass sich die Abfolge der Handlungselemente in einem Text auf ein bestimmtes Muster zurückführen lässt, welches für sämtliche Erzähltexte gilt. Differenziert wird dabei zwischen einer Handlungs- und Darstellungsebene. Während die Handlungsebene die inhaltlichen Aspekte eines Textes (Komplikationsmodell mit Figurenanalyse) umfasst, stellt die Darstellungsebene dar, auf welche Art und Weise der Inhalt dargeboten wird (Perspektivierung, Erzähler und Zeit).

Als erstes steht die Erörterung der Handlung im Fokus, die zunächst die Darstellung der Komplikationen aufgreift und anschließend deren Auflösung einschließt.

Eine Komplikation ist stets an eine Figur geknüpft und setzt voraus, dass für diese Figur ein Gut von besonderer Bedeutung ist. Dies kann ein materielles Gut (z.B. wertvoller Gegenstand oder Reichtum), ein personales Gut (Geliebter, bester Freund/Freundin oder eine ins Herz geschlossene Person) sowie ein ideelles Gut (Ehre oder Freiheit) sein. Die Komplikation entsteht dadurch, dass die Figur ihr Gut nicht (ungestört) genießen kann. Gründe dafür können der Verlust oder die Gefahr des Verlusts sein.

Im Roman „Als Hitler das rosa Kaninchen stahl" stellt die Heimat Berlin das Gut einer jüdischen Familie und ihre Flucht aufgrund der Machtergreifung der Nationalsozialisten in Deutschland im Jahr 1933 die damit verbundene Komplikation dar. Die Familie (Vater, Mutter, Tochter - Anna, Sohn - Max) verlässt die Stadt und siedelt zunächst in die Schweiz, danach nach Paris und letztlich nach England. Das Fliehen in andere Länder spiegelt die Auflösung, das Zurückgewinnen oder Nichtzurückgewinnen des Guts (positive oder negative Auflösung), für die Komplikation wider. Dies allerdings gelingt nicht vollkommen. Immer wieder wird die Familie von unterschiedlichen Hürden begleitet, sowohl auf finanzieller (vgl. S. 220), kultureller (vgl. S. 63, S. 76) als auch auf sprachlicher (vgl. S. 145, S. 153 f.) Ebene.

Als Komplikation für die ganze Familie kann u.a. der Verlust des materiellen Guts, wie z.B. ihres großen Hauses, des gehobenen Lebensstandards - unterstützt von Bediensteten, genannt werden (vgl. S. 14 f.). Auch die Gegenstände im Haus, z.B. Annas geliebtes Plüschtier, das rosa Kaninchen (vgl. S. 33, S. 59 und S. 175) oder das Klavier (vgl. S. 36) der Mutter, die Bücher des Vaters (vgl. S. 116 ff., S. 58 und S. 79) sowie die Spielsammlung von Anna und Max (vgl. S. 33), die seitens der Nazis weggenommen werden, können als Verlust des materiellen Guts gekennzeichnet werden.

Zudem ist der Verlust des ideellen Guts zu erwähnen. Der Vater verliert seine Freiheit, seine persönliche Meinung gegen die Nazis in deutscher Sprache zu verfassen und kann somit seinen Beruf in Deutschland nicht mehr ausüben (vgl. S. 21). Die jüdische Familie verliert zudem die Freiheit in ihrem eigenen Land in Sicherheit leben und sich dort frei bewegen zu können (vgl. S. 21). Darüber hinaus wird die Familie, die sich bisher als ein Teil der deutschen Gesellschaft identifiziert hatte, von den Nationalsozialisten ausgestoßen und entfremdet (vgl. S. 21). Hierbei wird von einem Verlust der Identifikation ausgegangen. Beim Aufenthalt in Paris wird zudem deutlich, dass die Mutter der Familie die Vorzüge eines Lebens mit Bediensteten verliert. Fortan ist sie dazu verpflichtet, Haushaltstätigkeiten eigenständig, ohne Hilfe einer Haushälterin oder einer Köchin durchzuführen und verliert somit ein Stück ihrer Freizeit. Schnell wird deutlich, wie überfordert sie mit dieser neuen Situation ist (vgl. S. 199 f.). Diese Komplikation wird durch Aussagen der Mutter hinsichtlich ihrer Ungeschicklichkeit, ihrer Schwerfälligkeit sowie ihrer Antriebslosigkeit unterstrichen (vgl. S. 199f.).

Eine letzte und besonders einschneidende Komplikation stellt der Verlust des personalen Guts dar. Tochter Anna muss sich von Elsbeth, ihrer besten Freundin, trennen (vgl. S. 8 f.). Außerdem hinterlassen Anna und Max ihren gemeinsamen Freund und Spielgefährten Günther (vgl. S. 19). Den größten personalen Verlust für die beiden Kinder stellt jedoch Haushälterin und Kindermädchen Heimpi dar. Vor allem das gemeinsame Spielen und ihre Kochkünste vermissen die beiden Kinder in der Ferne sehr (vgl. S. 58).

Neben der Erörterung der Handlung werden im Modell nach Leubner und Saupe (2012) auch die Faktoren für Komplikationen erörtert.

Im genannten Roman nimmt demnach die politische Situation des Nationalsozialismus eine besondere Stellung ein. Der Familienvater ist Schriftsteller und offenbart seine politische Meinung als Gegner der Nationalsozialisten in Zeitungsartikeln und Büchern. Zur Zeit der Handlung wurden politisch Andersdenkende ausgegrenzt, verfolgt und verhaftet (vgl. S. 21). Besonders der jüdischen Bevölkerung wurde eine Abneigung von besonderer Schwere entgegengebracht (vgl. S. 77), die letzten Endes im Völkermord endete.Als weiterer Faktor für die Komplikation können die Beschlagnahmung jüdischen Eigentums (vgl. S. 58, S. 175) und das Verbot der beruflichen Wirksamkeit (vgl. S. 21) genannt werden. Im Folgenden wird erläutert, ob die genannten Komplikationen eine negative oder positive Auflösung erfahren.

Als eine allgemeine Auflösung der Komplikationen ist die Zuflucht der Familie in andere Länder zu thematisieren. In der Schweiz erfährt die Komplikation bezüglich der zurückgelassenen Freunde von Max und Anna eine positive Auflösung. Sie lernen am Zürichsee im Gasthof die Kinder der Familie Zwirn kennen und freunden sich mit ihnen an (vgl. S. 60). Sie verstehen sich gut, verbringen die meiste Zeit mit ihnen und spielen viel (vgl. S. 61). Auch in Frankreich knüpfen sie Freundschaften (vgl. S. 174) und empfinden ihre Mitschüler/innen als sehr nett (vgl. S. 156). Jedoch besteht keine Möglichkeit, dass ihre geliebte Heimpi sie aufgrund der politischen Schwierigkeiten besuchen kann, sodass die Komplikation hinsichtlich Heimpi eine negative Auflösung erfährt.

Trotz der räumlichen Distanz zu Deutschland wird die Familie von nationalsozialistischem Gedankengut auch in der Schweiz heimgesucht. Eine deutsche Familie, die ebenfalls im Gasthof der Familie Zwirn untergebracht ist, verbietet ihren Kindern, mit Anna und Max zu spielen (vgl. S. 86, S. 88). Dies wiederum stellt jedoch keinen Grund für die Familie dar, sich in der Schweiz unwohl zu fühlen. Für sie bedeutet die Schweiz die erste Tür zur Freiheit und Sicherheit, weshalb dieser Ort bezüglich der Komplikation über die Freiheit und Identifikation der Familie als eine positive Auflösung betrachtet werden kann (vgl. S. 93).

Den alten Reichtum erlangt die Familie in der Schweiz jedoch nicht zurück, was unter anderem daran liegt, dass der Vater seinem Beruf als Schriftsteller dort nicht mehr nachgehen kann. Da die Schweiz zur damaligen Zeit ihre Neutralität bewahren möchte, wird ihm dort das Schreiben verwehrt. Auch in Paris kann der Vater mit dem Schreiben kaum Geld verdienen, da er aufgrund der Wirtschaftskrise nur schlecht und verspätet bezahlt wird. Er kann trotz mehrerer Versuche nicht an seinen früheren Erfolg anknüpfen (vgl. S. 217). Die Familie bekommt in diesen beiden Ländern die schlechte finanzielle Lage sehr zu spüren und muss aufgrund dessen auf Vieles verzichten: Weihnachts- und Geburtstagsgeschenke fallen kleiner aus (vgl. S. 77), die Wohnung in Paris ist sehr klein, minimalistisch und selbst die nötigsten Dinge wie Kleidung oder Schuhe kann sich die Familie nicht leisten (vgl. S. 171). Demzufolge kann auch aus der finanziellen Sicht von einer bedingten positiven Auflösung ausgegangen werden.

An dieser Stelle gilt es zu erwähnen, dass die Familie sich, obwohl sie immer wieder mit Rückschlägen und Hindernissen konfrontiert wird und eine schwere Zeit durchlebt, es trotzdem schafft, sich auf neue Situationen einzustellen und an den Orten, an denen sie lebt, ein wenig heimisch zu werden (vgl. S. 227). So können sowohl die Schweiz als auch Paris als Orte der Freiheit und der Identifikation der Familienmitglieder bezeichnet werden. Die Familie fühlt sich trotz der Umstände wohl, da sie als Familie Zusammenhalten, wobei auch die Kinder Verantwortung übernehmen (vgl. S. 105). So kann diesbezüglich ebenso von einer positiven Auflösung gesprochen werden.

Bezüglich der anstrengenden Haushaltstätigkeiten der Mutter, insbesondere zur Anfangszeit in Paris, ist keine Hilfe zu erkennen. Allerdings gewöhnt sie sich immer mehr an ihre neue Stellung als Hausfrau und bekommt bei lebenspraktischen Fragen Hilfe von Madame Fernand. Allgemein ist die Bekanntschaft mit der französischen Familie Fernand eine große Hilfe für die ganze Familie (vgl. S. 143). Obwohl die Mutter alte Gewohnheiten hinter sich lassen und sich unter anderem in Bezug auf den familiären Haushalt einigen Neuerungen stellen muss, schafft sie es mit der Hilfe von Madame Fernand nach und nach eine neue Rolle einzunehmen und zu akzeptieren. Der letzte Ort der Reise - England - kann als eine vollkommene positive Auflösung für die Komplikationen beschrieben werden. Als eine englische Produktionsfirma ein Filmmanuskript des Vaters kauft, tut sich ein Lichtblick auf und die Familie kann sich über eine Verbesserung ihrer finanziellen Situation freuen. Sie packt erneut ihre Koffer und reist nach London, um dort eine neue Existenz aufzubauen und möglicherweise für den Rest ihres Lebens dortzubleiben (vgl. S. 231). So wie dem Geschichtsverlauf zu entnehmen ist, kann das Leben in England nahezu als ein Zurückerlangen des alten Lebens in Deutschland gesehen werden (vgl. S. 217).

Faktoren zur Auflösung der Komplikationen sind besonders in den verschiedenen Zufluchtsorten der Familie zu finden. Sie versucht an unterschiedlichen Orten dem Wahn der Nationalsozialisten zu entfliehen.

Der zweite Teil der Handlungsebene umfasst nach Leubner und Saupe (2012) die Figurenanalyse, welche im Folgenden behandelt wird.

Über die Figuren Anna, Max, Mama und Papa ist im Roman eine ausführliche Beschreibung zu finden. Während des gesamten Geschichtsverlaufs ist von stabilen Eigenschaften dieser Figuren auszugehen. Die Nebenfiguren wie z.B. die Haushälterin Heimpi, Freunde, Schulfreunde, Lehrer/innen oder Bekannte werden aufgrund des zu beachtenden Seitenumfangs nicht näher beschrieben.

Zu Beginn der Erzählung ist Anna, die Hauptfigur, neun Jahre alt. Als sie und ihre Familie Deutschland verlassen muss, ist Anna anfangs noch nicht bewusst, dass dies aufgrund ihrer jüdischen Abstammung geschieht. Das neunjährige Mädchen glaubtan keinen Gott6, sondern daran, dasseine besondere Macht existiert, durch welche die Geschehnisse gelenkt werden (vgl. S. 147). Sie ist eine offene, positive und fröhliche Person, der es gelingt, sich in fremden Situationen zurechtzufinden und neue Freundschaften zu knüpfen (vgl. S. 7, S. 62, S. 156). Kulturelle Unterschiede bereiten ihre keine großen Probleme (vgl. S. 69 f.). Auch die Flucht in andere Länder sieht sie als ein Abenteuer und lässt sich dadurch nicht negativ beeinflussen (vgl. S. 69 f.). Die neue Rolle als Flüchtling empfindet sie als sehr spannend, aufregend und fürchtet sich dennoch davor, sich für immer wie ein Flüchtling zu fühlen (vgl. S. 227).

Sowohl der schweizerische Dialekt als auch die fremde französische Sprache, deren Erlernen ihr zu Beginn des Aufenthalts in Paris sehr schwer zu fallen scheint, beherrscht sie letzten Endes sehr gut - sogar so gut, wie die deutsche Sprache (vgl. S. 217). Anna hat eine sehr starke Bindung zu ihrer Familie, weshalb ihr der Zusammenhalt der Familie besonders wichtig ist. Sie verbindet den Zusammenhalt mit dem Gefühl von Heimat (vgl. S. 126). So weist sie sowohl zu dem Bruder als auch zu den Eltern ein gutes Verhältnis auf.

Annas drei Jahre älterer Bruder Max bezeichnet sich in Berlin als einen „Sozi", einen Gegner der Nationalsozialisten (vgl. S. 13). Er klärt seine Schwester regelmäßig über Dinge auf, die Anna in ihrem Alter noch nicht verstehen kann (vgl. S. 113). Max ist ein kluger Junge, der sich jedoch nicht um einen Erfolg bemüht. In Frankreich allerdings versucht er sich anzupassen und strengt sich in der Schule an (S. 185, S. 216). Er bekommt den prix d'excellence (eine Auszeichnung dafür, dass er der beste Schüler der Klasse ist) (vgl. S. 216) verliehen.

Die Eltern werden im Gegensatz zu ihren Kindern nicht namentlich genannt. Die Mutter ist Pianistin und führt zu Beginn der Handlung ein gutbürgerliches Leben mit ihren zwei Kindern und ihrem Ehemann. In Berlin ist sie durch Haushälterin Heimpi und die Köchin Bertha von den Haushaltstätigkeiten befreit und daher entlastet. In Konfliktsituationen tritt sie sicher und überzeugend auf (vgl. S. 89, S. 199). Sie kann als eine sehr liebevolle, verständnisvolle und fürsorgliche Mutter und Ehefrau bezeichnet werden. Sie hat ein angespanntes Verhältnis zu ihrer Mutter (vgl. S. 207). In Paris besucht sie gemeinsam mit Anna ihre Tante Sarah, die sie seit ihrer Kindheit nicht gesehen hat. Ihre Tante Sarah bemerkt die schlechte finanzielle Lage ihrer Nichte und beschenkt sie daher mit Stoffteilen, womit sie Anna und den anderen Familienmitgliedern Kleidungsstücke schneidert (vgl. S. 163).

Der Vater ist ein berühmter Schriftsteller und Kritiker (vgl. S. 9 f.). Er ist zwar nicht religiös, aber stolz auf das jüdische Volk und darauf Jude zu sein. Auch seinen Kindern vermittelt er, dass sie niemals vergessen sollen, dass sie jüdisch sind (vgl. S. 8). Aufgrund seiner offenen politischen Meinung dem Nazi­Regime gegenüber, befindet er sich in Gefahr (vgl. S. 20). Mit Hilfe der Warnung eines unbekannten Polizisten, der gerne seine Artikel liest, beschließt er, aus Selbstschutz zu flüchten (vgl. S. 20). Seine häusliche Umgebung beschreibt ihn als unpraktisch, unbedacht und voreilig (vgl. S. 105, S.124, S. 201 f.). Er ist ein liebevoller Vater und Ehemann. Selbst in schwierigen Zeiten gelingt es ihm, seine Familie aufzumuntern und mit ihnen etwas zu unternehmen (S. 48, S. 114). Als Flüchtling fühlt er sich nicht nur zu einem Ort, sondern zu mehreren Orten ein wenig zugehörig und hat keine Probleme damit, Deutschland verlassen zu haben (vgl. S. 234).

Im Folgenden wird erläutert, auf welche Art und Weise der Inhalt dargeboten wird. Nach dem Modell von Leubner und Saupe (2012) liegt der Fokus zunächst auf der zeitlichen Gestaltung im Roman.

Die Handlung knüpft Ende Februar 1933 an und erstreckt sich in etwa bis Herbst 1935. Anfang März 1933 flüchtet die Familie zunächst nach Zürich und hält sich für sieben Monate dort auf. In Paris verbringt die Familie zwei Jahre, bevor sie nach London weiterreist. Insgesamt beträgt die erzählte Zeit etwa zweieinhalb Jahre. Die Handlung wird chronologisch und linear dargestellt. Eine genaue Datierung der Geschehnisse im Roman liegt nicht vor. Stützpunkte bilden Feiertage wie Weihnachten oder Silvester, aber auch historische Ereignisse wie zum Beispiel der Reichstagsbrand, die Reichstagswahl oder die Bücherverbrennung. Im Roman findet ein Wechsel zwischen einer zeitdeckenden und einer zeitraffenden Erzählweise statt. Die Zeitraffer umfassen sowohl einige Tage als auch mehrere Wochen. Die Zeitdeckung wird durch die direkte Rede gekennzeichnet.

Zuletzt soll der Fokus auf die Präsentation der Handlung durch den/die Erzähler/in und der damit einhergehenden Perspektivierung gelegt werden.

Der hier vorgestellte Roman wird aus der Perspektive eines auktorialen Erzählers dargestellt. Er steht außerhalb der Handlung, lenkt den/die Leser/in und leitet die Erzählung. Zudem sind ihm alle Zusammenhänge in der Handlung bekannt.7 Der Fokus des Erzählers/der Erzählerin liegt hauptsächlich auf der Hauptprotagonistin Anna, die im Verlauf der Geschichte begleitet wird. Die Geschichte knüpft durchgehend an Annas Wahrnehmung an. Die Erzählung erfolgt zwar auktorial, jedoch wird nur das geäußert, wovon Anna Kenntnis erlangt. Dem Leser werden somit Einblicke in Annas Innenwelt gewährt. Die Nebenfiguren gewinnen nur dann an Bedeutung, wenn sie sich in Annas direkter Nähe aufhalten. Die Darstellung der Abgründe der NS-Verbrechen wird im Roman durch kindgerechte Dialoge zwischen den Geschwisterkindern Anna und Max präsentiert. Die Autorin verzichtet an diesen Stellen auf eine detailreiche Darstellung. Während des gesamten Romans verzichtet der Erzähler auf Erzählerkommentare und tritt in der Er-Form auf.

2.2 Das Verhältnis von Fiktion und historischen Fakten im Roman

Der Roman „Als Hitler das rosa Kaninchen stahl" ist an die Autobiographie der Autorin Judith Kerr gebunden. Im Laufe des 19. Jahrhunderts kam es zu einer Trennung von Fiktion und Wirklichkeit, da die Geschichtswissenschaft die reine Darstellung von realen Geschehnissen erforderte.8 Dieses Verständnis wurde bis in die 1970er Jahre aufrechterhalten, so dass eine Verknüpfung zwischen Fiktion und Realität verrufen war. Mit der linguistischen Wende in den 1970er Jahren entstand ein Umdenken, das die objektivistische Sicht der Geschichte in Frage stellte und die Einbeziehung der Fiktion erneut ansprach.9 Mit Blick auf den Roman soll in diesem Kapitel vertieft auf den Zusammenhang zwischen Handlung und biografischer Wirklichkeit der Autorin eingegangen werden.

Die realen Erfahrungen der Autorin über historische Ereignisse und Entwicklungen werden als fiktive Erzählung mit fiktiven Figuren präsentiert. Die Erinnerungen werden durch die Fiktion ergänzt. Dies war auch die Intention Kerrs:

„Ich habe darüber nachgedacht, ob ich das in der ersten Person schreiben soll, dann müsste alles ganz wahr sein, genau, denn sonstfinde ich das selbst schrecklich, wenn die Leute eine Autobiografie schreiben, die nicht ganz wahr ist. Schließlich erinnert man sich nicht an alles und man erinnert sich an Dinge, die schrecklich langweilig sind, und so dachte ich, schreibe ich einen Roman, bei dem alles Wichtige wahr ist, so wahr wie möglich."10

Ausgehend von dem Zitat kann festgehalten werden, dass die Autorin sich im Roman sowohl der Fiktion als auch der historischen Vergangenheit bedient (Zusammenspiel von Fiktion und historischer Vergangenheit). Die fiktive Handlung spielt im Rahmen der realen Ereignisse ab. Bereits zu Beginn der Handlung wird eine in der Vergangenheit tatsächlich existierende Person angesprochen: Adolf Hitler. Auch reale Ereignisse wie die Reichstagswahlen (1933), die Bücherverbrennung (1933) oder Antisemitismus werden genannt. Es ist anzunehmen, dass der Roman einerseits Erinnerungsarbeit leisten soll und ihm andererseits eine Belehrungsfunktion zukommt.11 Eine Belehrung über den Nationalsozialismus ist deswegen so wichtig, damit sich ähnliche Ereignisse nicht in der Zukunft wiederholen können, denn „[w]er sich [...] das Vergessen leicht macht, wird für zukünftige politische Verführer und ihre Ideen anfällig sein"12. Wird der Roman im Unterricht behandelt und der Fokus auf den Nationalsozialismus gelegt, ist eine kritische Hinterfragung und Überprüfung der geschilderten Ereignisse für das Verhindern der Entstehung von verzerrten Geschichtsbildern unabdingbar. Hierfür könnten beispielsweise einzelne Stellen aus dem Roman herausgenommen werden in Form von Rechercheaufträgen auf ihren Wirklichkeitswert überprüft werden.

2.3 Reflexion der Eignung als kinder- und jugendliterarische Lektüre

Der Roman „Als Hitler das rosa Kaninchen stahl" aus dem Jahr 1978 wird seit Langem zur Schulliteratur gezählt. Grundlegende Informationen über den Nationalsozialismus werden in kindgerechter Weise transportiert, wodurch Schüler/innen an eine erste Auseinandersetzung mit der Thematik herangeführt werden. Darüber hinaus wird den jungen Lesern/innen durch die Perspektive der Hauptprotagonistin Anna die Identifikation ermöglicht. Neben der im Vordergrund stehenden Fluchtthematik sind zudem Themen aus der Lebenswelt der Leserschaft zu finden (Familie, Schule, Geschwisterbeziehungen, Freundschaft etc.). Dem Roman wird durch die optimistische Haltung der Hauptfigur eine hoffnungsvolle und zuversichtliche Stimmung verliehen. Für den Einsatz im Literaturunterricht spricht zudem die einfache, gut verständliche sowie bildhafte Sprache. Die glaubhafte Gestaltung der Figuren sowie der Zusammenhang zwischen historischen und biographischen Bezügen zur Autorin bewirkt bei den Lernenden ein großes Interesse.13 Darüber hinaus werden in dem Buch verschiedene Themenbereiche angesprochen, die sich für die Auseinandersetzung im Deutschunterricht anbieten. Der zweite Weltkrieg, der Antisemitismus, die Judenverfolgung durch die Nationalsozialisten oder der jüdische Glaube sind nur einige Bereiche. Die Bearbeitung dieser Themen kann dabei fächerübergreifend erfolgen. Religions-, Deutsch- und Geschichtsunterricht können Zusammenwirken, um diesem wichtigen Themenkomplex gerecht zu werden. Diskussionspotenzial bietet auch die Darstellung der Juden und Nationalsozialisten.14 Auch wenn der Roman aufgrund seiner kindgerechten Sprache oder des Angebots an Themenvielfalt sehr gut für die Behandlung im Schulunterricht geeignet ist, besteht die Gefahr, dass er von den Schülern/innen als langweilig empfunden wird. Er liest sich zwar leicht und interessant, aber ist nicht auf Spannung ausgelegt. Möglicherweise wäre auch der fehlende Lebensweltbezug ein Grund dafür, dass die Schüler/innen sich nicht in die Lage der einzelnen Figuren hineinversetzen können. Um dem entgegenzuwirken wäre eine Auseinandersetzung mit dem Buch anhand unterschiedlicher Aufgaben und Methoden denkbar. Zwei Beispiele hierfür können das Vorlesegespräch und das handlungs- und produktionsorientierte Arbeiten darstellen.

3 Zielsetzungen des Unterrichts

Die Zielsetzungen des Unterrichts stellen den Ausgangspunkt der Unterrichtseinheit dar. Im Weiteren soll das übergeordnete Ziel dargestellt und anschließend auf die Teilziele der Unterrichtsstunde eingegangen werden.

3.1 Übergeordnetes Stundenziel

„Die Förderung des literarischen sowie historischen Lernens mit Hilfe des Vorlesegesprächs und die damit verbundenen Impulsfragen."

Aus dem übergeordneten Ziel ausgehend ergeben sich folgende Teilziele:

- Literarisches Lernen
- Historisches Lernen
- Mediales Lernen

Literarisches Lernen:

Das erste Teilziel des übergeordneten Stundenziels ist das literarische Lernen. Kaspar Spinner (2006) versteht unter dem literarischen Lernen „Lernprozesse, die zusätzlich zur Entwicklung einer allgemeinen Lesekompetenz für die Beschäftigung mit fiktionalen, poetischen Texten wichtig sind und die sich auch auf nichtschriftlich vermittelte Literatur beziehen."15 Zur Aktivierung dieser Lernprozesse formuliert er elf Aspekte des literarischen Lernens, welche eine Einheit des Literaturunterrichts von der Primarstufe bis zur Sekundarstufe II bilden.16 Sie kombinieren text- und leseorientierte Anliegen und verfolgen eine Subjektorientierung, in diesem Fall die Orientierung am Schüler/innen. In der geplanten Unterrichtsstunde wird dieses Ziel durch das Vorlesegespräch, welches mit Hilfe von Impulsfragen zum literarischen Lernen beitragen wird, erreicht. An dieser Stelle ist hervorzuheben, dass in Anbetracht des Umfangs dieser Arbeit in der geplanten Unterrichtsstunde lediglich drei der elf Aspekte des literarischen Lernens aufgegriffen werden. Einige der Aspekte des literarischen Lernens sind auch im baden- württembergischen Bildungsplan für die Sekundarstufe I als zentrale Komponenten des Faches Deutsch zu finden.17 Unter Punkt 3.2.1.1 Literarische Texte sind all diejenigen Kompetenzen aufgelistet, die durch die Beschäftigung mit literarischen Texten gefördert werden sollen.18 Hierzu gehören u.a.

- Im Umgang mit Texten Vorstellungsvermögen und Kreativität entwickeln
- Beschäftigung mit literarischen Figuren
- Auseinandersetzung mit der eigenen Identität

Diese drei Kompetenzen werden durch das in der geplanten Unterrichtsstunde im Fokus stehende Vorlesegespräch gefördert. Durch die Impulsfragen während des Gesprächs kommen die Schüler/innen in Kontakt mit den literarischen Figuren im Text und sollen sich beispielsweise in die Lage der Hauptprotagonistin Anna hineinversetzen. Zusätzlich wird die Auseinandersetzung mit der eigenen Identität gefördert, da sie sich bei der Impulsfrage Wärt ihr auch gerne einmal berühmt?" mit den eigenen Wuncschen und Vorstellungen auseindandersetzen. Zuletzt ist das Vorstellungsvermögen und die Kreativität notwendig, um die Impulsfragen beantworten zu Können.

[...]


1 vgl. Linder und Balling 2014: 6.

2 vgl. ebd.: 4 ff.

3 vgl. Leubner und Saupe 2012: 34.

4 vgl. ebd.

5 vgl. ebd.

6 vgl. Kaiser 2020: 8.

7 vgl. Geldschläger 2015: o.S.

8 vgl. Rox-Helmer und Monika 2019: 38.

9 vgl. Rox-Helmer und Monika 2019: 38 f.

10 Kaiser 2020: 69.

11 Vgl. Ewers 2013: 129.

12 Körner 2000: 153.

13 vgl. Kaiser 2020: 13.

14 vgl. Maier 2015: 12.

15 vgl. kinderundjugendmedien o.J.: o.S.

16 vgl. Maiwald 2015: 85.

17 vgl. Amtsblatt des Ministeriums für Kultus, Jugend und Sport 2016: 40.

18 vgl. ebd.

Ende der Leseprobe aus 49 Seiten

Details

Titel
Materialerstellung zu Judith Kerrs "Als Hitler das rosa Kaninchen stahl" (Deutsch, Realschule, Klasse 6)
Hochschule
Pädagogische Hochschule Heidelberg
Note
1,0
Autor
Jahr
2021
Seiten
49
Katalognummer
V1149687
ISBN (eBook)
9783346532510
Sprache
Deutsch
Schlagworte
materialerstellung, judith, kerrs, hitler, kaninchen, deutsch, realschule, klasse
Arbeit zitieren
Berna Kartal (Autor:in), 2021, Materialerstellung zu Judith Kerrs "Als Hitler das rosa Kaninchen stahl" (Deutsch, Realschule, Klasse 6), München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1149687

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