Die Essstörung Anorexia Nervosa im Internet. Wie sieht das Nutzerverhalten der Pro-Ana-Mitglieder auf Tumblr aus?


Hausarbeit, 2017

25 Seiten, Note: 1,7

Anonym


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Die Krankheit Anorexia Nervosa

3 Was ist „Pro-Ana?

4 Stand der Forschung

5 Methode

6 Forschungsbezogene Ergebnisse
6.1 „Gewichtszunahme als das größte Übel“
6.2 „Der Störfaktor Nahrung“
6.3 Verwirrende Gedanken und depressive Stimmung
6.4 Der Stellenwert von Bildern

7 Fazit

Anhang

1 Einleitung

Ähnlich wie zahlreiche Wortbedeutungen und andere Phänomene haben auch Schönheitsideale im Laufe der Zeit eine Bedeutungsveränderung erfahren. Während noch im 16. und 17. Jahrhundert eher üppigere Körperformen dem damaligen Zeitgeschmack entsprachen und dementsprechend anerkennende Worte erhielten, wurde das Dünnsein etwa ab der Mitte der 1970er Jahre zunehmend immer positiver wahrgenommen und bewertet. Nicht zuletzt hat die Ausbreitung der Massenmedien dazu beigetragen, dass das gängige Schlankheitsideal in der fortgeschritten-modernen Gesellschaft fast schon zu einer gesellschaftlich akzeptierten Norm geworden ist. Die sich als allgegenwärtig erweisende Schlankheitsthematik - die fast in jeder Zeitschrift und Werbung präsent ist - übt einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf die Selbstwahrnehmung der Individuen aus. „Dieser Schlankheitsdruck führt zu einem Essverhalten, das aufgrund der hohen Anzahl an Betroffenen mitterweile als ,kollektives Diätverhalten’ bezeichnet wird. Der Wunsch, das eigene Gewicht zu reduzieren, bewirkt, dass ständig Diät gehalten wird bzw. ein schlechtes Gewissen besteht, sobald nicht nach Diätplan gegessen wird.“ (Reichelt 2017) Vermehrt wird auch angenommen, dass das „gezügelte Essen“ (Reichelt 2017) und das gesellschaftlich akzeptierte und medial vermittelte Schlankheitsideal nicht zuletzt für die Zunahme unterschiedlicher Essstörungen - wie z.B. Anorexia Nervosa - verantwortlich seien. (vgl. Eichenberg 2014: 245; Reichelt 2017) Schlagzeilen wie „Essstörungen: Jeder Bissen ein Kampf“ (Spiegel Online, 13.10.2017) oder „Gefährlich dürr? Wenn Magersüchtige in den Spiegel schauen, sehen sie etwas anderes. Manche hungern sich zu Tode. Wie kommt das Gehirn auf diesen Trip?“ (Zeit Online, 17.01.2016) sind keine Seltenheit und zeigen, dass Essstörungen und Magersucht sich in der gegenwärtigen Gesellschaft als höchst aktuelle Themen erweisen und immer wieder in den Fokus der Medien geraten. Was zeichnet die Krankheit Anorexia Nervosa aus? Was versteht man unter dem „Pro-Anorexia“ bzw. „Pro- Ana“ Phänomen? Welche Rolle spielt das Internet für die Betroffenen? Was kann man über das Nutzerverhalten der „Pro-Ana“ Mitglieder auf der Blogging-Plattformen Tumblr sagen? Die vorliegende Arbeit zielt auf die Beantwortung dieser Fragen ab.

Nach dieser Einleitung (Kapitel 1) wird zunächst ein kurzer Überblick über die Krankheit Anorexia Nervosa gegeben (Kapitel 2). Anschließend wird in Kapitel 3 das Phänomen „Pro- Ana“ näher in den Blick genommen. Danach wird der Forschungsstand behandelt (Kapitel 4). Bevor die Forschungsergebnisse in Kapitel 6 vorgestellt werden, soll zuvor in Kapitel 5 noch ein kurzer Überblick über die Methoden gegeben werden. Abschließend wird ein kurzes Fazit gezogen.

2 Die Krankheit Anorexia Nervosa

Die Krankheit Anorexia Nervosa tritt überdurchschnittlich in der frühen und späten Adoleszenz auf, d.h. zwischen 11 und 25 Jahren, wobei der Erkrankungsgipfel bei 14-24 Jahren liegt. (vgl. Lowigus 2014: 35) Bei dieser Krankheit lässt sich ein deutlicher Geschlechterunterschied beobachten. So fällt der Anteil der männlichen Betroffenen - im Unterschied zu den weiblichen Patientinnen - wesentlich geringer aus. Auch bei „schwerer erkrankten und in Behandlung befindlichen Anorexie-Patientinnen scheint sich das Geschlechterverhältnis [...] mit ca. 10 Frauen auf 1 Mann deutlich zugunsten der Frauen zu verschieben.“ (Friederich et al. 2014: 8) Der Begriff „Anorexia Nervosa“, der übersetzt soviel wie „nervös bedingte Appetitlosigkeit“ bedeutet, erweist sich insofern als täuschend, als die betroffenen Personen nicht etwa unter einem Appetitsverlust leiden, sondern vielmehr eine enorme Angst vor einer potentiellen Gewichtszunahme und den damit einhergehenden körperlichen Veränderungen haben. (vgl. Friederich et al. 2014: 8) Mit einer Mortalitätsrate unter den Betroffenen, die „im Vergleich zur Normalbevölkerung um ein Zehnfaches erhöht ist“ (Löwigus 2014: 36), gehört die Anorexia Nervosa bzw. die Magersucht zu den psychischen Störungen, die nicht nur schwer heilbar sind, sondern die auch eine sehr hohe, wenn nicht sogar die höchste Sterblichkeitsrate aufweisen. (vgl. Fox et al. 2005: 945; Löwigus 2014: 37; Siefert 2015: 9)

Als charakteristisch für die Essstörung Anorexia Nervosa erweist sich ein von den Betroffenen selbst herbeigeführtes, also ein absichtlich hervorgerufenes starkes Untergewicht, das stets aufrechterhalten wird. Die „Nahrungsaufnahme wird [dementsprechend] nicht durch Signale wie Hunger und Sättigung gesteuert, sondern ist rigiden kognitiven Standards unterworfen.“ (Vocks/ Legenbauer 2005: 4) Da die Betroffenen unter einer regelrechten Gewichtsphobie leiden, wird die Menge der zu sich genommenen Nahrungsmittel stark reduziert, wobei kalorienreiche Speisen gänzlich verweigert werden. Alle Lebensmittel werden, so könnte man sagen, einer bipolaren Kategorisierung unterzogen, d.h. in „verbotene“ (wie z.B. Schokolade) und „erlaubte“ (wie z.B. Magerquark) Nahrungsmittel gruppiert. Jede Nahrungsaufnahme unterliegt somit einer ständigen pedantischen Kontrolle und wird von minutiösem Kalorienzählen begleitet. Die beschränkte Nahrungsmittelzufuhr führt - Vocks und Legenbauer zufolge - zu einer genauen bzw. detaillierten Auseinandersetzung mit dem Thema Ernährung, da die „Gedanken [der Betroffenen] [...] permanent darum, was, wie viel, wann und wie verzehrt werden darf“ (Vocks/ Legenbauer 2005: 4), kreisen. (vgl. Friederich et al. 2014: 7; Vocks/ Legenbauer 2005: 4)

Zu den Kernelementen dieser Erkrankung gehört neben der Gewichtsphobie und dem starken Untergewicht auch eine Körperschemastörung bzw. eine pathologische Wahrnehmung des eigenen Körpers, da sich die unter Anorexie leidenden Personen in ihrem extrem abgemagerten Körper noch immer zu dick fühlen, was sich für das sie umgebende Umfeld als schwer nachvollziehbar erweist. (vgl. Friederich et al. 2014: 7; Vocks/ Legenbauer 2005: 6) Die Anorexie-Patienten erklären den ausgehungerten Körper, d.h. den Ausnahmezustand zum Normalzustand und „nehmen das bei ihnen bestehende Untergewicht nicht wahr bzw. verleugnen es.“ (Vocks/ Legenbauer 2005: 6) Die Normalisierung des ausgehungerten Körpers seitens der unter Essstörungen leidenden Personen, die sich sozusagen im Sinne einer positiven Bekenntnis zur Magersucht auffassen lässt, führt nicht zuletzt dazu, dass „die Essstörung Anorexia nervosa [von den Betroffenen] als selbst gewählter Lebensstil propagiert wird“. (Siefert 2015: 15) De Choudhury fasst die wesentlichen Merkmale dieser Krankheit wie folgt zusammen:

„Anorexia nervosa, particulary, is the most common form of eating disorder, and is classified as a mental health disorder [...]. It is typically characterized by food restrictions in the form of self-starvation and a fear of gaining weight, and often adopted as a legitimate alternative lifestyle choice.“ (De Choudhury 2015: 43)

Durch die Auffassung der Magersucht im Sinne eines alternativen Lebensführungsstils, wird mit der Krankheit „die Assoziation der Wahlmöglichkeit verbunden, die Essstörung in bewusstem Willen anzunehmen oder abzulegen.“ (Siefert 2015: 15) Viele Betroffene belügen nicht nur sich selbst, indem sie die Magersucht als Lebensstil erfassen, sondern sind auch stets darum bemüht, ihre Mitmenschen davon zu überzeugen, dass es ihnen gut geht. „One of the primary goals of anorexics is to persuade others that they are perfectly fine, and that they have the right to lead their lives however they see fit.“ (Miah/ Rich 2008: 93)

Das Verständnis der Anorexie seitens der Betroffenen nicht als Krankheit, sondern als alternativer und sogar erstrebenswerter Lebensstil erschüttert außerdem - wie Linda Siefert kenntlich macht - die medizinischen und gesellschaftlichen Vorstellung von den allgemein akzeptierten Konzeptionen von Gesundheit und Krankheit bzw. die gesellschaftlich anerkannten Konzepte von Normalität und Abweichung. Doch genau durch die fehlende Einsicht des krankhaften Zustandes und die mangelnde Behandlungsbereitschaft bzw. die Verweigerung, riskieren die [...] [Anorexie-Patienten] jedoch in besonderem Maße die Krankheits-Metaphorik zu bestätigen.“ (Siefert 2015: 15)

3 Was ist „Pro-Ana“?

Eine eindeutige Begriffsdefinition des „Pro-Ana“ Phänomens erweist sich - wie Linda Siefert kenntlich macht - bislang als inexistent. Einigkeit in den vorgenommenen Definitionsversuchen im Rahmen der Sozialwissenschaften besteht lediglich in der „Feststellung einer unkonventionell und kontrovers erscheinenden Bezugnahme auf die Essstörung Anorexia nervosa: Mit ,Pro’ wird markiert, dass eine positive und befürwortende Einstellung zu ,Ana’ eingenommen wird.“ (Siefert 2015: 15) Das Kurzwort ,Ana’ steht dabei für die Krankheit Anorexia Nervosa. Zu bemerken ist, dass die Assoziation der Bezeichnung „Pro-Ana“ mit dem Frauenvornamen Anna sich als gewollt erweist, weil dadurch die bezweckte Personifizierung der Magersucht zum Vorschein kommt. So bezeichnen - Anna Lavis zufolge - unter Magersucht leidende Frauen ihre Krankheit oft als „ein Teil von sich“ oder als „Freundin.“ (vgl. Lavis 2016: 58f.; Siefert 2015: 15) In ihrem Aufsatz „Social Media and anorexia: A qualitative analysis of #proana“ beschreibt Lavis dies wie folgt: „In her interview, Nita said, "it becomes so much a part of you;" she asked, without it, "what would I be?" Tara, who has been affected by the illness since it was diagnosed twenty years ago in her teens, said: "it’s been a friend to me for a long time." (Lavis 2016: 58f.)

Die „Pro-Ana“ Bewegung lässt sich - Christiane Eichenberg zufolge - im Sinne einer Verbindung von Betroffenen in Internetforen verstehen, die keine Maßnahmen ergreifen um ihre Krankheit zu bekämpfen, sondern vielmehr sich für ihren anorektischen Zustand aussprechen und in ihm verweilen möchten. (vgl. Eichenberg 2014: 250)

Vor Beginn des digitalen Zeitalters erwies es sich für essgestörten Individuen als besonders schwierig, Personen zu finden, mit denen sie sozusagen offen über ihren Zustand reden konnten, ohne dabei verurteilt zu werden und von denen sie sich verstanden fühlten. Die Verbreitung der neuen, digitalen Medien - insbesondere des Internets - ermöglichte sozial isolierten Gruppen und stigmatisierten Individuen im Allgemeinen und den Pro-Ana Mitgliedern im Besonderen sich in Online-Foren zusammenzufinden und zu vernetzen. „Extreme and ,deviant’ communities such as pro-anorexia and pro-suicide groups, where stigmatized and isolated individuals may find like-minded others and support for their practices and identities [...], proliferate on the internet. Internet discussion groups bring together marginalized individuals and allow participantsnanonymity as well as the opportunity to experiment with their identities.“ (Boero/ Pascoe 2012: 34)

Wie Linda Siefert anmerkt, kommunizieren die sich der „Pro-Ana“-Szene zugehörig fühlenden Individuen fast ausnahmslos mit Hilfe des Internets miteinander. (vgl. Siefert 2015: 16) Die Rolle des Internets erweist sich für die Betroffenen insofern als zentrale, als essgestörte Personen Offline häufig mit Vorurteilen konfrontiert werden und nicht selten auf Unverständnis seitens der Familienangehörigen, des Freundeskreises oder des sozialen Umfeldes stoßen.

Der Cyberspace erweist sich für die Betroffenen hingegen als ein regelrechter Zufluchtsort, der den Mitgliedern der „Pro-Ana“ Online-Community einen Austausch unter Gleichgesinnten zur Verfügung stellt und ihnen die Möglichkeit bietet „to express themselves in a supportive, anonymous setting.“ (Johnson 2015: 74)

Als anonymer Kommunikationsraum nimmt das Internet somit eine bedeutsame Rolle im Leben von Individuen, die ein gestörtes Essverhalten aufweisen ein, da sie sich auf zahlreichen Diskussionsforen mit Gleichgesinnten vernetzen können und eine Verbundenheit finden, die ihnen offline in der Regeln sozusagen verwehrt bleibt. Hadley Johnson formuliert dies wie folgt: „Discussion boards provide users with a space in which their identity is supported, accepted and understood - something users believe cannot be achieved offline“ (Johnson 2015: 74)

Ähnlich argumentiert auch Karen Dias in ihrem Aufsatz „The Ana Sanctuary: Women’s Pro­Anorexia Narratives in Cyberspace“ in dem sie den Cyberspace im Sinne eines alternativen Interaktionsraumes für unter Essstörung leidende Personen auffasst:

„Cyberspace can be conceptualized as an alternative space for women with eating and body issues, one that serve as a sanctuary [...] [and] can provide a space to escape the scrutiny of others [...] as well as the opportunity to interact with others stuggling with eating disorders.“ (Dias 2003: 31)

Allein im deutschsprachigen Raum lassen sich - Schätzungen zufolge - mehrere hundert „Pro-Ana“ Webseiten finden. Viele „Pro-Ana“ Seiten und Blogs - die üblicherweise von Individuen, die selbst unter einer Form von Essstörung leiden, geführt werden - enthalten Anleitungen zur Aufrechterhaltung der Anorexie und beinhalten ebenfalls Pinnwände, Chaträume und Diskussionsforen, wodurch ein Nachrichtenaustausch und die Interaktion zwischen den Mitgliedern ermöglicht wird. Zu den wiederkehrenden Inhalten auf diesen Webseiten gehören neben Tagebüchern und Lebensabläufen auch Mitteilungen über die tägliche Kalorienzufuhr und persönliche Erfahrungen mit der Magersucht. (vgl. Miah/ Rich 2008: 91f.; Siefert 2015: 15f.; Tong et al. 2013: 408)

[...]

Ende der Leseprobe aus 25 Seiten

Details

Titel
Die Essstörung Anorexia Nervosa im Internet. Wie sieht das Nutzerverhalten der Pro-Ana-Mitglieder auf Tumblr aus?
Hochschule
Universität Trier
Veranstaltung
MA Seminar: Cyberanthropology
Note
1,7
Jahr
2017
Seiten
25
Katalognummer
V1149869
ISBN (eBook)
9783346534156
ISBN (Buch)
9783346534163
Sprache
Deutsch
Schlagworte
essstörung, internet, pro-ana, tumblr, anorexia nervosa
Arbeit zitieren
Anonym, 2017, Die Essstörung Anorexia Nervosa im Internet. Wie sieht das Nutzerverhalten der Pro-Ana-Mitglieder auf Tumblr aus?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1149869

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