Der Weltkrieg der Dörfer in "Der Ring" von Heinrich Wittenwiler. Sinnfrage und Funktion


Hausarbeit (Hauptseminar), 2013

25 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Einleitung: Der Dörferkrieg in Heinrich Wittenwilers Ring: Gegenstand und Zielsetzung der Arbeit

I. Historische Hintergründe
1. Der Krieg als Alltagserfahrung und gängige Praxis im Mittelalter
2. Das Alte Testament und die göttliche Rechtfertigung des Krieges

II. Die Kriegslehren im Mittelalter
1. Wittenwilers Quellen: Bedeutende Kriegstraktate im Mittelalter
a.) Flavius Vegetius
b.) Augustinus
c.) Isidor von Sevilla
d.) Thomas von Aquin
3.) Giovanni da Legnano
2. Das bellum iustum: Die Lehre von gerechten Krieg

III. Verarbeitung und Funktion der Kriegslehren im „Ring“
1. Ausgangssituation des Dörferkrieges
2. Die Ratssitzung in Lappenhausen
3. Die Ratssitzung in Nissingen

IV. Schluss: AuswertungderErgebnisse

Literaturverzeichnis

Einleitung

1. Der Dörferkrieg in Heinrich Wittenwilers Ring: Gegenstand und Zielsetzung der Arbeit

Der Ring, Anfang des 15. Jahrhundert von Heinrich Wittenwiler geschrieben, ist einer der spannendsten Texte, die aus dem Mittelalter überliefert wurden und gilt in der germanistischen Forschung als das bedeutendste „Haupt- und Schlüssel­werk“ im Mittelalter. Doch was ist der Schlüssel zu dieser Lektüre?

Im Zuge des Seminars haben wir verschiedene Forschungsansätze zur Interpretationen dieses kontrovers diskutierten Werkes zu Rate gezogen. Die Sekundärliteratur lieferte dafür verschiedene Deutungsansätze: zum Beispiel didaktische Intertexte (C. Händl), historische Kontexte und Satire (E. Lutz), die Deutung der Handschrift (C. Putzo), die Neidhart-Tradition (B. Sowinski) sowie die „Komik und Gewalt im Weltkrieg der Dörfer“ (W. Röcke).

Diese Hausarbeit wird speziell den dritten Teil des „Ring“ behandeln, indem die literarische Verarbeitung der mittelalterlichen Kriegslehren erklärt wird, welche für dieses Element des Werkes textkonstituierend ist. Krieg und Kampf werden von Beginn der Erzählung an nicht in Frage gestellt und als Bestandteil des alltäglichen Lebens anerkannt. Sie werden als Mittel zur Konfliktlösung nicht nur akzeptiert, sondern gleichsam vorausgesetzt. Verständlich wird dies vor dem Hintergrund der Kenntnisse über das Leben im Mittelalter und der Inhalte ihrer epischen Dichtungen, wo der Krieg zum festen Bestandteil der Handlungen gehört. Selbst der Autor spielt ganz bewusst auf den „weite lauff“ an und das Buch soll dadurch ein geschlossenes Ganzes darstellen, ebenso wie es der irdische Kosmos in der mittelalterlichen Vorstellung tut.

Doch gerade die Tatsache dass die Gewalt nicht in Frage gestellt wird, bietet mir den Anreiz zur Erforschung dieses augenscheinlichen „Allgemeinzustandes“.

Die zentralen Themen der ersten Kapitel bestehen daher aus Fragen wie: Welche Rolle spielte die Gewalt im alltäglichen Zusammenleben, wie selbstverständlich war der Ausbruch eines Krieges im späten Mittelalter, und schließlich wodurch er gerechtfertigt wurde?

Der Aufbau der Arbeit ist linear gestaltet: Anfangs wird eine Zusammenfassung des bisherigen Forschungsstandes über die historischen Ursprüngen der Kriegs­thematik dargestellt, welche Wittenwilers dichterische Arbeit wesentlich beeinflussten. Da die alleinige Benennung der historischen Ereignissejedoch keine Erkenntnisse über die literarische Verarbeitung liefern würde, befasst sich das dritte Kapitel dieser Arbeit daher mit der Analyse ausgewählter Passagen, anhand der vorher dargestellten Kriegslehren. Durch die Verknüpfung der Theorien mit der epischen Handlung soll dann die Motivation für den Krieg der beiden Dörfer Lappenhausen und Nissingen erklärt werden.

Eine Stellungnahme zu meinen Ergebnissen wird sich an das dritte Kapitel anschließen.

I. Historische Hintergründe

1. Der Krieg als Alltagserfahrung und gängige Praxis im Mittelalter

In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts waren die Untersuchungen über die Kriegsführung in der Literatur innerhalb der deutschen Mittelalterforschung zunächst uninteressant. Die Einflüsse von Gewalt wurden zwar als solche anerkannt, aber in ihrer gesellschaftlich-literarischen Bedeutung zunächst relativiert.1 Doch bei genauerer Betrachtung der Literatur im 15. Jahrhundert fällt auf, dass die mittelhochdeutschen Texte eine große Affinität zur Schilderung von Kriegen und Schlachten aufweisen.

Dies beruht auf der Annahme, dass die Wahrscheinlichkeit von einem Krieg betroffen zu werden sehr groß war und die Auseinandersetzung mit dieser Bedrohung somit zu den alltäglichen Themen der Menschen -respektive des Adels gehörte.2 Mit dem Krieg sein Recht zu suchen war die gängige Praxis des Mittelalters und die Menschen lebten in der ständigen Angst vor dem Krieg und der Willkür des Adels. Nicht nur der „Ring“ Heinrich Wittenwilers, sondern auch viele andere zeitgenössische Werke schildern brutale Schlachten, was somit auf ein großes Interesse beim mittelalterlichen Publikum für derartige Texte hinweist.3 Man findet ähnliche Plots wie im Ring auch in der mittelalterlichen Schwank­literatur, wo geringe Zimperlichkeit in Bezug auf Gewalt ein zentrales Merkmal ist:4 Beispielsweise kann man anhand der Gewaltdarstellungen in Strickers „Daniel von dem blühenden Tal“ erkennen, dass die Kriegsthematik bereits in den nachklassischen Artusromanen des 13. Jahrhunderts verarbeitet wird.5

Doch speziell im Ring wird die Tötung um ihrer selbst Willen thematisiert,6 und die Untersuchung von Wittenwilers Umgang mit den Kriegslehren hat ihren Reiz aufgrund der Minimierung der potentiellen Kriegsgründe.7 Darauf werde ich jedoch erst später näher eingehen.

In diesem Kapitel will ich vielmehr die Tatsache deutlich machen, dass die Kriegsführung funktionalisiert wurde und als Mittel zur Wiederherstellung eines Ursprungszustandes und zur Beilegung eines Konfliktes die gängigste Methode war. Die Beschäftigung mit diesem Phänomen ermöglicht „neue Einblicke in die Verfassung der mittelalterlichen Gesellschaften [,..]“8 und eröffnet dem „Ring“ eine Interpretationsmöglichkeit aus der Perspektive von Wittenwilers Umfeld, da er „historische Vorgänge zum Vehikel seiner Lehren“9 machte. Doch zunächst werde ich einen einen Zeitsprung machen und die Kriegs­rechtfertigungen zur Zeit des Urchristentums beleuchten.

2. Das Alte Testament und die göttliche Rechtfertigung des Krieges

Anhand des ersten Kapitels kann man bereits feststellen, dass die Kriegsthematik im Mittelalter und der Frühen Neuzeit zur „Konstante der Menschennatur“10 gehörte. Da auch die Religion im Mittelalter einen großen Einfluss auf viele Lebensbereiche der Menschen hatte und ebenfalls zu einer Konstante zu zählen ist, führe ich nun die biblischen Ursprünge für die Kriegsrechtfertigungen an: Pamela Kalning erwähnt, dass das Alte Testament die wichtigste Primärquelle für die Legitimation von Kriegen zur Zeit des Mittelalters war. Als Beispiel hierfür nennt Sie Stellen aus dem Matthäus-Evangelium (Mt. 21,12) in denen Jesus handgreiflich wurde, welche sehr häufig zur Kriegsrechtfertigung herangezogen wurden;11 denn bereits in der Antike war man der Auffassung, dass der Krieg zur Friedenserhaltung diente. Dieses Bild wurde dann aus dieser Zeit übernommen und im Mittelalter in ein christliches Gewand gebracht.12 Schon im 4. Jahrhundert befürworteten dann die Dekrete des Flavius Gratianus, dass ein Krieg gerecht ist wenn er entweder auf göttlicher Anweisung beruht, oder wenn ein Unrecht gesühnt werden muss.13 Dies ermöglichte, dass ein Ritter die Richtigkeit seiner Taten im Alten Testament begründen konnte. Beispielsweise heißt es, dass Kaiser Karl von Gott den Auftrag bekommen habe, die Heiden zu bekehren. Die Aufgabe der christlichen Kämpfer war deshalb

„die heidnlichsche Teufelsbrut entweder gnadenlos zu vernichten oder sie durch Taufe für das Reich Gottes zu gewinnen. Wer sich bekehrt, hat nichts zu befürchten, wer sich weigert, wird umgebracht -dazwischen gibt es nichts, schon gar kein Mitleid.“14

Unter der Prämisse, dass die Christen solche Kriege als Kampf gegen den Teufel und die Heiden verstehen sollten,15 konnte ein Ritter durch die Schlachten seine Tugenden, Kampfkraft und seine Tapferkeit beweisen.

Der Kampf gegen die Ungläubigen galt sogar als Glorifizierung des christlichen Krieges: Der Schutz der Kirche gegen die Heiden zählte nämlich zu der höchsten Verpflichtung des Glaubens, und die Tötung möglichst zahlreicher Nichtchristen war eine aktive Bußleistung.16 Als Ursache für diesen Leitspruch nennt Pamela Kalning Mose und Josua, die als biblische Helden ein Vorbild für den göttlich legitimierten Krieg verkörperten.17

Horst Brunner stellte fest, dass die Kriegsführung im 12. Jahrhundert dann gewissermaßen zivilisiert wurde, indem die Idee des miles dirisUainis. also der „Christ als Kriegsmann“, rezipiert wurde und sich damit eine Wandlung des ritterlichen Gesellschaftscodex vollzogen hat.18 Da die Idee des christlichen Kriegers im Mittelalter besonders verbreitet war, wurde die Bestrafung von Unrecht zur Grundlage für die Legitimation von Kriegen schlechthin19 und findet sich auch u.a. bei Flavius Vegetius, dessen Schriften für Wittenwiler eine wichtige Quelle für die Verarbeitung der Kriegslehren im „Ring“ waren. Im Mittelalter galten seine Trakte als besonders populär, da er das römische Kriegswesen mit dem christlichen Gedankengut verknüpfte und Vegetius damit als Vertreter der Lehre vom gerechten Krieg zu bezeichnen ist.20

Dieser Begriff des gerechten Krieges entwickelte sich seit etwa 420 n. Chr. zu einer detaillierten kirchlichen Theorie und wird im 2. Kapitel ausführlicher behandelt. Vielmehr soll hier festgehalten werden, dass die Kriegstheoretiker stets auf die Heilige Schrift rekurrierten, welche ein wesentlicher Bestandteil für die Rechtfertigung von Kriegen war. Die Anführung dieser wichtigen historischen Hintergründe soll eine Basis schaffen, um im weiteren Verlauf genauer auf die wesentlichen Kriegstheorien einzugehen, welche dann auf ihr Einbeziehung im „Ring“ untersucht werden können.

II. Die Kriegslehren im Mittelalter

1. Wittenwilers Quellen: Bedeutende Kriegstraktate im Mittelalter

Da nun die Allgegenwärtigkeit des Krieges sowie die Bedeutung der Heiligen Schrift für dessen Legitimation festgestellt wurde, befasse ich mich im Folgenden mit den wichtigsten Autoren von kriegstheoretischen Schriften, die im Mittelalter eine herausragende Bedeutung hatten. Es geht in diesem Kapitel eher darum, eine kurze Zusammenstellung der Autoren sowie den wichtigsten Bestandteilen ihrer Publikationen zu liefern, welche für Heinrich Wittenwiler von besonderer Bedeutung waren, da sie als Abhandlungen über kriegstheoretische Fragen sehr stark an die Rechts- wissenschaften anknüpften und für den Konstanzer Juristen und Hofmeister somit Teil seiner Arbeit waren.21 Erst im zweiten Teil wird die bellum-iustum-LohvQ explizit erklärt, da diese für die Darstellung der theoretischen Ausgangssituation der Kriege und zum Verständnis des „Ring“ von großer Wichtigkeit ist.

Die Autoren werden nun systematisch dargestellt: Ich werde mit dem lateinischsprachigen Werk von Vegetius beginnen, welches eine wichtige Grund­lage für die nachfolgenden Kriegslehren im Mittelalter bildete.22 Die ersten volkssprachlichen Texte entdeckte man nämlich erst zum Ende des 14. Jahrhunderts, wie beispielsweise das deutschsprachige Werk Ler vom streiten des Johann Seffner, das um ca. 1395 verfasst wurde und kriegstechnische Fragen wie die Vorbereitung auf eine Schlacht, die Flucht, die Verteidigung der Beute und den Umgang mit Kriegsgefangenen beinhaltet (KL, 11f.).

[...]


1 Vgl. Rogge: Kriegswesen im Mittelalter, S. 20 und Kalning: Kriegslehren um 1400, S. 148.

2 Vgl. Kalning: Kriegslehrenum 1400, S.ll undBrunner: LiteraturderFrühenNeuzeit, S. 70.

3 Vgl. Könneker: Kampf und Krieg im Ring, S. 75.

4 Vgl. Schlaffke: Ring, S. llf.

5 Vgl. Brunner: Literatur des Mittelalters, S. 86.

6 Vgl. Rö>

7 Vgl.ebd.,S.264.

8 Rogge: Kriegswesen im Mittelalter, S. 32.

9 Birkhan: Das Historische im Ring, S. 26.

10 Kalning: Kriegslehrenum 1400, S. 150.

11 Vgl. ebd., S. 15.

12 Vgl. ebd., S. 51.

13 Vgl. ebd., S. 35f. und Brunner: Literatur des Mittelalters, S. 69.

14 Brunner: Literatur des Mittelalters, S. 68.

15 Ebd., S. 17.

16 Könneker: Kampf und Krieg im Ring, S. 64f.

17 Vgl. Kalning: Kriegslehrenum 1400, S. 155.

18 Vgl. Brunner: Literaturdes Mittelalters, S. 69.

19 Rogge: Kriegswesen imMittelalter, S. 29f.

20 Vgl. Kalning: Kriegslehrenum 1400, S. 24f.

21 Brunner: Literatur des Mittelalters, S. 74.

22 Kalning: Kriegslehren um 1400, S.ll. Künftig zitiert mit Sigle KL und Seitenangabe.

Ende der Leseprobe aus 25 Seiten

Details

Titel
Der Weltkrieg der Dörfer in "Der Ring" von Heinrich Wittenwiler. Sinnfrage und Funktion
Hochschule
Universität zu Köln  (Institut für deutsche Sprache und Literatur (IDSL I))
Note
1,3
Autor
Jahr
2013
Seiten
25
Katalognummer
V1150093
ISBN (eBook)
9783346532893
ISBN (Buch)
9783346532909
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Der Ring, Der Ring Heinrich Wittenwilers, Der Ring von Heinrich Wittenwiler, Heinrich Wittenwiler, Heinrich Wittenwilers Ring, bellum iustum, Mittelalterlicher Krieg, Wittenwilers Ring
Arbeit zitieren
Dennis Berrendorf (Autor:in), 2013, Der Weltkrieg der Dörfer in "Der Ring" von Heinrich Wittenwiler. Sinnfrage und Funktion, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1150093

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