Jüdische Mädchen und Frauen im Kaiserreich. Ihre Bildungssituation von 1871 bis 1918


Hausarbeit, 2017

23 Seiten, Note: 12

Anonym


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 .Einleitung

2 Hauptteil
2.1.Die Situation der jüdischen Bürger vor und während des deutschen Kaiserreiches 1871- 1918
2.2.Haskala – Die jüdische Aufklärung
2.3. Bevölkerungsstruktur – Wege ins Bürgertum
2.4. Das Leben armer Juden sowie der osteuropäischen Glaubensbrüder
2.5. Die Position der Frau im Kaiserreich und im Judentum
2.6. Beschäftigungsverhältnis der jüdischen Frau
2.7. Jüdische Kindererziehung – Ursache für den Erfolg?
2.8. Die Bildung der jüdischen Frauen und Mädchen
2.8.1.Die Bildung im deutschen Kaiserreich
2.8.2. Veränderungen im Bildungssystem und in der Frauenbildung
2.9. Jüdische Studentinnen

3. Fazit

4. Literaturverzeichnis

1 .Einleitung

Während der Beschäftigung mit dem Thema „Geschlechterverhältnisse im Kaiserreich 1871-1914“ fiel mir bei der Betrachtung der Schülerinnen- und Studentinnenzahlen auf, dass besonders Mädchen und junge Frauen aus jüdischen Familien im Vergleich zu ihrer Bevölkerungszahl überproportional vertreten waren. Ich stellte mir die Frage: Hatten jüdische Mädchen und junge Frauen einen Bildungsvorsprung gegenüber ihren christlichen Geschlechtsgenossinnen? Und wenn ja, welche Ursachen gab es dafür? Die Geschichte der jüdischen Bevölkerung im Kaiserreich kommt ohne eine Betrachtung der Frauen nicht aus, da sie eine zentrale Rolle in der Geschichte des deutschen Judentums innehaben und historischen Wandel oft anders als Männer erleben.1Es ist jedoch sehr schwierig, ihre Auffassung der damaligen Zeit nachzuvollziehen, da sie nur wenige Spuren ihres Lebens hinterließen.2Wo Frauen vorkommen, werden sie häufig in die aktive Opferrolle getrieben, die nicht an sozialen, ökonomischen und politischen Prozessen des 19. und 20. Jahrhunderts teilhatten.3Des Weiteren hinterließen sie nur wenige schriftliche Spuren, was bedeuten kann, dass sie sich selbst für nicht sehr wichtig erachteten oder diese durch die Vernichtung der jüdischen Bevölkerung im 20. Jahrhundert zerstört wurden. Im Arbeitsprozess zeigte sich, dass das Thema „Bildungsvorsprung“ stark mit dem Kapitalbegriff Pierre Bourdieus verbunden ist und in der heutigen Diskussion immer noch aktuell ist. Bourdieu beschäftigte sich mit dem Prozess der Übertragung, Aneignung und Habitualisierung bürgerlicher Kulturwerte. Er stellte fest, dass es eine starke Verbindung zwischen der Familie und ihren ökonomischen, sozialen und kulturellen Ressourcen und den beruflichen und sozialen Lebenswegen der Nachkommen gibt.4Die vorliegende Arbeit untersucht das Sujet vom Allgemeinen zum Besonderen. Zu anfangs stelle ich die Vorgeschichte und die Situation der jüdischen Bürger im Kaiserreich dar. Diesem Teil folgt eine Darstellung der Haskala. Als nächsten Punkt betrachte ich die Bevölkerungsstruktur der jüdischen Bürger und ihren Einfluss auf die jüdische Mädchenbildung. Danach wird das Leben armer und osteuropäischer Juden im Kaiserreich eruiert. Im Zentrum des nächsten Abschnitts steht die Position der Frau im Kaiserreich sowie im Judentum. Dieser beinhaltet als Unterpunkt das Beschäftigungsverhältnis jüdischer Frauen im Vergleich zu christlichen. Diesem Punkt folgt die Betrachtung der jüdischen Kindererziehung. Im nächsten Teil wird die Bildung der jüdischen Frau untersucht, sowie die Bildungssituation im Kaiserreich allgemein. Die Arbeit schließt mit der Situation der jüdischen Studentinnen und einem Fazit ab.

2. Hauptteil

2.1.Die Situation der jüdischen Bürger vor und während des deutschen Kaiserreiches 1871-1918

Die deutsch-jüdische Geschichte des Kaiserreiches erscheint wie eine aussichtsreiche Zeit, geprägt durch den gesellschaftlichen Aufstieg und Verbürgerlichungsprozess einer Minderheit innerhalb zweier Generationen. Jedoch handelt es sich um ein idealistisches und trügerisches Bild, welches es zu hinterfragen gilt.5

Die jüdische Existenz im Kaiserreich war durch eine Doppelbödigkeit ausgezeichnet, da die Verfassung von 1871Staatsrechte unabhängig von der Religionszugehörigkeit gewährte, doch dies nicht praktiziert wurde.6 Vielmehr begünstigte die neue Verfassung den politischen Antisemitismus im neugegründeten Staat. Vor allem die Verlierer der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Veränderung im Kleinbürgertum und in der Landbevölkerung sahen in den Juden einen Sündenbock, welche in der industriellen Gesellschaft als Aufsteiger galten. Oft erfinderisch und aktiv, nahmen Juden als Bürger am politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Leben teil.7So gehörten nach der Reichsgründung 6 0% der Juden den oberen und mittleren Steuerklassen an und die Armut unter ihnen sank von 50% vor der Reichsgründung, auf 25%.8

Die „Judenfrage" löste in den 1890er Jahren eine große Diskussion unter den Juden über ihre eigene Identität aus. Durch antiliberale Überzeugungen, angeheizt durch Wirtschaftskrisen und neue völkisch- sozialdarwinistische Ideologien, wurde das deutsch-jüdische Zusammenleben unter einem anwachsenden Antisemitismus erschwert.9 Trotzdem übernahm die jüdische Bevölkerung die Werte des Bürgertums so früh und intensiv, dass sie sich nicht an dieses Phänomen anpassten, sondern es wesentlich mitbegründeten und prägten.[10] Aus den Juden in Deutschland wurden Deutsche jüdischen Glaubens, die sich zur deutschen Nation zugehörig fühlten.11

Die Mehrheit der jüdischen Menschen im 18. Jahrhundert lebte in großer Armut und war als Hausierer oder Geldverleiher tätig. Diese Berufe gehörten zu den wenigen, welche sie als Nichtchristen ausüben durften.12Doch wie gelang es ihnen, nur zehn Jahre nach der Reichsgründung, mehrheitlich der Ober- und Mittelschicht anzugehören?

Bereits Mitte des 18. Jahrhundert erfasste die Aufklärung die christliche wie die jüdische Gesellschaft und veränderte die Denk- und Handelsweise vieler Bürger sowie ihre Einstellung zu Bildungsfragen.13 Der preußische Diplomat und Schriftsteller Christian Wilhelm von Dohm forderte in diesem Sinne eine Verbesserung und Emanzipation der Lebenssituation der jüdischen Mitbürger, die er in seiner Schrift Über die bürgerliche Verbesserung der Juden" 1781 festhielt.14

Viele Juden nahmen von Dohms Forderungen begeistert auf, die einerseits eine rechtliche Gleichstellung der Juden forderte, andererseits aber auch von ihnen verlangte, sich einer solchen Gleichstellung als „würdig“ zu erweisen15. Die Juden sollten sich „selbst-verbessern“, um als Bürger in die deutsche Gesellschaft aufgenommen und zur „Nützlichkeit“ erzogen zu werden.16 In der Emanzipationsdebatte wurden Bereiche wie Berufsausübung, Sprachgebrauch und religiöse Traditionen in Frage gestellt. Nur wenn die Juden sich in diesen Bereichen änderten, wären sie einer Gleichstellung würdig. Dies bedeutet die komplette Aufgabe ihrer jüdischen Identität, hinter deren Forderungen starke antijüdische Ressentiments und stereotype Vorstellungen steckten.17

Diese sogenannte Selbst-Verbesserung, eine „Emanzipation von oben“18,führte zu einer hohen Verbürgerlichung der deutschen Juden, die sich die Akzeptanz als Untertanen erhofften. Die „ Emanzipation von oben“ fokussierte die Auflösung der jüdischen Parallelgesellschaft.19Nach Jahrhunderten der Unterdrückung und Stigmatisierung nahm die Mehrheit der deutschen Juden die Ideen begeistert auf. Sie wollten als jüdische Minderheit dazu beitragen, das deutsche bürgerliche Gemeinwesen aufzubauen.20 So kam es auch unter der jüdischen Bevölkerung zu einer verstärkten Betonung der nationalen und kulturellen Identität.21

Bis weit ins 19. Jahrhundert hinein lebte ein Großteil der Deutschen in ländlichen Regionen. Zur Zeit der Industrialisierung- und Urbanisierung zog die Mehrheit der Juden vom Land in die Stadt. Sie hofften durch ihren ökonomischen Erfolg auf die soziale Gleichstellung.22 Trotz dieser Hoffnung blieben gewisse Verfassungsrechte den Juden abermals verwehrt. Es kam zur schriftlich festgelegten Verweigerung sozialer Führungsposten in der Armee, der Justiz, der Beamtenschaft und der Universität sowie zu weiterer Diskriminierung in gesellschaftlichen Bereichen.23

Dem Adel und den Ministern waren die erfolgreichen jüdischen Unternehmer ein Dorn im Auge.24 So machten der Hofprediger Adolf Stoecker und der Historiker Heinrich von Treitschke den Antisemitismus salonfähig.251880-1881 gab es eine Petition gegen die rechtliche und soziale Gleichstellung der Juden.26 Der organisierte, politische Antisemitismus trat nun neben dem traditionellen Antisemitismus auf, dessen Tendenzen sich nach der zweiten Weltwirtschaftskrise verstärkten.27 Antisemitische Ressentiments fand man vornehmlich im Mittelstand, für den er ein Blitzableiter" gegenüber den anonymen Prozessen des Industriekapitalismus darstellte.28

Eine kleine Gruppe sehr erfolgreicher jüdischer Mitbürger wähnte sich sogar dem Wohlwollen der Kaiser. Jedoch waren deren völkisch-nationalistische Interessen zu stark ausgeprägt, um den Antisemitismus einzudämmen und sie sahen Juden nur als eine wichtige ökonomische Elite an.29

Parallel zu den Aufforderungen der Anpassung durch christliche Organe gab es auch Forderungen aus jüdischen Reihen, vor allem von Anhängern der Haskala, sich der christlichen Umwelt anzupassen.30

2.2.Haskala – Die jüdische Aufklärung

Die jüdische Aufklärung unternahm große Anstrengungen für eine weltliche Ausbildung junger Juden. Ihr Ziel war die Schaffung der Gleichberechtigung für jüdische Bürger.31 Vertreten wurde diese Richtung des Judentums durch die sogenannten „Maskilim“, die jüdischen Aufklärer. Ihr berühmtester Philosoph Moses Mendelsohn, sah das Judentum als eine Religion an, in welcher bereits Prinzipien der Aufklärung angelegt waren, die jedoch durch talmudische Traditionen verschüttet wurden. Es kam zur Gründung jüdisch- aufklärerischer Kulturvereine, die die Neubestimmung des Judentums erforschten und es in die Moderne führten.32 Einige Kritiker sahen den Kulturwandel als eine Selbstaufgabe.33Es bildeten sich drei verschiedene Strömungen im deutschen Judentum aus, unter denen das liberale Judentum die Vorherrschaft besaß.34

2.3. Bevölkerungsstruktur – Wege ins Bürgertum

Von der Mitte des 19. Jahrhundert bis in die Zeit des Nationalsozialismus lebten eine halbe Millionen Juden im Deutschen Reich, deren Anzahl von 12.000 Juden (1,25%) im Jahr 1871 auf 615.000 (0,95%) 914 anstieg.35 Dies stellte trotz Zuwanderung aus Osteuropa eine Verringerung an der Gesamtbevölkerungszahl dar.36 Die Ursache lag unter anderem im Geburtenrückgang innerhalb der jüdischen Bevölkerung, welche wiederum auf die Lebensführung der zumeist im bürgerlichen und urbanisierten Milieu situierten jüdischen Bevölkerungsgruppe entsprang. Außerdem kam es im Verlauf des Kaiserreichs zu mehr Mischehen, sowie zu Konvertierungen.37 Eine Durchmischung zwischen jüdischen und christlichen Bürgern fand jedoch nur gering statt.38 Durch ständige Wanderungsbewegung kam es zu einer sozialen Isolation der Gruppe, in der sich Traditionen sowie Einstellungen anders als bei der Restbevölkerung verbreiteten.39 Juden im vormodernen Deutschland lebten örtlich sehr verstreut. Um ihre Glaubensbrüder oder Familienangehörigen zu kontaktieren, bedurfte es Lese- und Schreibkenntnisse. Außerdem führte die Tätigkeit in Handelsberufen ebenfalls zu einer hohen Alphabetisierungsrate unter der jüdischen Bevölkerung.40

Jüdische Bürger wiesen einen hohen Grad an Verstädterung und einen beachtlichen sozialen Aufstieg verbunden mit einem meist höheren Ausbildungsgrad als die Gesamtbevölkerung auf. Parallel dazu zeigten sie eine spezifische Berufsstruktur sowie eine tendenzielle Überalterung.41 Durch berufliche und soziale Beschränkungen in der Verfassung wurden Juden in den „freien Berufen“ (Fabrikanten, Mediziner oder Juristen) tätig.42 Unter den 100 reichsten Männern in Preußen waren 29 jüdischer Konfession.43 Im Waren- und Produkthandel arbeiteten 1895 11% jüdische Beschäftigte, im Geld- und Kredithandel 14%.44 Nicht nur durch die faktische Ausgrenzung aus der höheren Beamten- und Wissenschaftslaufbahn, sondern auch durch ihre innovative bildungs- und leistungsbereite Grundposition waren sie in den freien Berufen besonders hoch repräsentiert.45 Bezüglich der höheren Finanzkraft der jüdischen Bevölkerung sind jedoch zweierlei Verzerrungen mit Blick auf die Steuerstatistiken anzumerken: Erstens erschienen die Großgrundbesitzer seltener in den oberen Rängen, da das ihr im Boden begründete Vermögen nicht mit eingerechnet wurde und zweitens waren die Großgrundbesitzer meist nicht steuerehrlich.46

Für viele jüdische Bürger war die Moderne der Messias, dessen neu entstandener „Bildungsbürger" das Idealbild darstellte und durch diese Modernität gekennzeichnet war.47 Dieser Bildungsbürger verkörperte Kultiviertheit, gute Erziehung, Selbständigkeit und eine ausgeglichene Persönlichkeit.48 Juden mussten sichtbar bürgerlich, aber so wenig jüdisch wie möglich sein.49 Sie sahen in Bildung den Schlüssel für ihren sozialen und wirtschaftlichen Erfolg.50

Das städtische Bildungsbürgertum bot einen neuen Weg für den jüdischen Eintritt in die Gesellschaft, da diese Schicht Mitglieder allein auf der Grundlage von Talent, Leistung und persönlichem Verdienst aufnahm. Es war besonders schmerzlich, dass große Teile des christlichen Bildungsbürgertum Juden nicht als gleichwertig ansehen wollten.51 Bereits 1879 wetterte Stoecker gegen den Ansturm der Juden auf deutsche Bildungseinrichtungen und die „Verjudung" höherer Mädchenschulen, da Juden die Chancen der industriellen, finanziellen und technischen Revolution nutzen wollten. 52

Ein Blick auf die Einkommensverhältnisse stützt die These der überdurchschnittlichen Verbürgerlichung. Jedoch entsprachen nicht alle Gruppen innerhalb der Religionsgemeinschaft diesem Bild, wie Juden auf dem Land oder aus Osteuropa.53Weiterhin gab es auch jüdische Bürger, die sich als Kleinstunternehmer am Existenzminimum verdienten.54

Juden entwickelten einen Lebensstil, der es ihnen ermöglichte „völlig wie Gojim, nur unter Juden, zu leben.55 Dieser Prozess der Adaption von soziokulturellen Werten und Verhaltensweisen wurde lange Zeit als "Assimilation" bezeichnet. Jedoch sollte man vielmehr von einer „Akkulturation“ sprechen, da Juden durch die Übernahme von Normen und Werten, nicht nur passiv, sondern auch aktiv an der Formung dieser Verhaltensweisen und Arten der Lebensführung beteiligt waren.56

Die Berufsstruktur der Juden führte zu einem höheren Heiratsalter, da Männer meist erst ein Geschäft aufbauen mussten.57 Ehe und Familie galten als Zeichen für Wohlstand.58Durch das späte Heiratsalter der Juden, 1910 betrug das durchschnittliche Heiratsalter bei Männern 27,4 und bei Frauen 24,7 Jahre, Arbeiter heirateten einige Jahre früher als andere Teile der Bevölkerung,59 sowie durch niedrigere Kinderzahl, konnten jüdische Eltern ihrer Tochter eine höhere Mitgift zukommen lassen, was die Position der Frau in der Ehe stärkte.60

Die in die Städte ziehenden Juden begannen bereits eine Generation vor den restlichen Deutschen, ihre Familiengröße zu reduzieren.61Sie zeigten somit das Verhalten einer aufstrebenden städtischen Mittelschicht und erfanden das „Zweikindsystem“, während Menschen mit einer gesicherten Stellung, wie Beamte, mehr Kinder hatten.62Für den sozialen Aufstieg, das Nutzen der wirtschaftlichen Möglichkeiten und Bildungschancen, war eine Großfamilie hinderlich und in den städtischen Wohnungen fehlte es an Platz.63 Der Trend zur Zweikindfamilie kann als ein klarer Hinweis auf eine überwiegend großstädtisch-bürgerliche Lebensform und den starken Willen zum Aufstieg angesehen werden.64In der jüdischen Tradition spielte Geburtenkontrolle ebenfalls eine wichtige Rolle, die diese nicht verbot und bei der die Gesundheit der Frau im Vordergrund stand.65

2.4. Das Leben armer Juden sowie der osteuropäischen Glaubensbrüder

Die jüdischen Bürger des Deutschen Reiches können nicht als eine homogene Masse wahrgenommen werden.66Seit dem Ende des 19. Jahrhunderts wurden vor allem Juden aus Osteuropa zu einem zentralen Objekt der antisemitischen Bewegung im Kaiserreich, die vor Pogromen und wirtschaftlicher Perspektivlosigkeit aus osteuropäischen Gebieten flüchteten. Ihre Traditionen, ihr Habitus, ihre Sprache und ihr sozialer Status grenzte sich stark von dem der hiesigen Gemeindemitglieder ab.67 Deutschland war für die jüdischen Immigranten aus Osteuropa ein Durchgangsland in die USA, in dem sie meistens illegal lebten.68

Einige Immigranten blieben im Kaiserreich und stellten 1910 11% aller Juden in Deutschland dar. Sie konzentrierten sich in großen Städten und bildeten überall eine junge, vorwiegend männliche, tatkräftige und aufstrebende Bevölkerungsgruppe. Wie die deutschen Juden, waren auch die osteuropäischen Einwanderer vorwiegend im Handel tätig. Unter ihnen waren auch viele Studenten und eine große Gruppe Handwerker. So diversifizierten sie die Berufsstruktur der Juden in Deutschland.69 Die Juden aus Osteuropa lebten in den Elendsvierteln der großen Städte und entsprachen, so die damalige Auffassung der deutschen Juden, allen Vorurteilen, welchen sie versuchten zu entkommen. Sie hatten Angst, ihre Emanzipations- Vorteile zu verlieren und wollten mit den Glaubensbrüdern aus Osteuropa meistens nichts zu tun haben.70

Auch auf dem Land verliefen die Modernisierungsbemühungen des deutschen Judentums langsamer. Dort hatte die jüdische Bevölkerung durchschnittlich mehr Kinder und weniger modernen Komfort als in der Stadt. Die Kinderzahl war auch von der Orthodoxie der jeweiligen Familie abhängig. In einigen Gegenden gab es neben den jüdischen Bildungsbürgern, Handwerkern und Händlern weiterhin viele Juden, die in der Unterschicht lebten und ihren alten Lebensstil fortsetzten71.

2.5. Die Position der Frau im Kaiserreich und im Judentum

Frauen erhielten nicht die gleiche religiöse Erziehung wie Männer, spielten jedoch eine zentrale Rolle im Umgang mit Traditionen.72 Diese sieht die Hauptaufgabe der Frau im Kinder gebären und definiert sie darüber, da sie vom metaphysischen Bund des Mannes mit Gott ausgeschlossen ist. Den Zugang zum Glauben und zur Gemeinde erhält sie nur in ihrer Funktion als Mutter, welche die Kinder lehrt, den Vater zu ehren. Doch ist eine Betrachtung der weiblichen Position wichtig, um die Entstehung des jüdischen Bürgertums zu verstehen.73Die Frau war die Lehrerin der Jugend und die Mutterschaft entwickelte sich durch den Wandel im 19. Jahrhundert immer mehr zum Zentrum der jüdischen Weiblichkeit.74

[...]


1 Kaplan 1997, S. 9.

2 ebenda, S.11.

3 Kaplan 1997, S. 8.

4 vgl. Lässig 2004, S.26-30.

5 Sieg 2007, S.122, vgl. dies auch mit Reinke 2007, S.1.

6 Rürup 2017, S. 11.

7 Wolff 2007, S. 119.

8 Rürup 2017, S.11.

9 Vom Bruch 2000, S. 151.

10 Wolff 2007, S. 120-121, vgl. dies mit Vom Bruch 2000, S. 54–56.

11 Reinke 2007, S. 2.

12 vgl. Berghahn 2003, S.169-170, Lässig 2004, S.13 und Bleichröder 2002, S.8, sowie Kaplan 1997, S.20.

13 Kaplan 1997, S.20.

14 Rürup 2017, S.8.

15 ebenda

16 vgl. Rürup 2017, S.8, sowie Golczewski 2007, S. 157.

17 Wolff, S.116-117, vgl. auch Lässig 2004, S. 76.

18 Rürup 2017, S.9.

19 ebenda

20 Rürup 2017, S. 10.

21 vgl. dazu Vom Bruch 2000, S. 151; Blömer 2000, S. 90.

22 Rürup 2017, S. 11.

23 vgl. Ṿolḳov und Gall 2000, S. 54 und Kaplan 1997, S.11 sowie S. 35.

24 ebenda, S.15, vergleiche dies auch mit Kaplan 1997, S.19, sowie Bleichröder 2002, S. 110.

25 vgl. Fesser 2015, S. 67–68.

26 Wehler 1994, S.22.

27 vgl. dazu Kaplan 1997, S. 28–29, Sieg 2007, S.122, Blömer 2000, S. 94, sowie Reinke 2007, S. 5; Rürup 2017, S. 24.

28 vgl. Wehler 1994, S.25 und Bleichröder 2002, S. 11.

29 Sieg 2007, S.122-124.

30 Wolff 2007, S.116-117, vgl. dazu auch Schatzker 1988, S.79.

31 ebenda

32 Wolff 2007, S.115-117, vgl. dazu auch Lässig 2004, S.64 sowie Kaplan 1997, S. 16.

33 Wolff 2007, S.120-121.

34 Kaplan 1997, S. 28–29.

35 ebenda, S.19.

36 Berghahn 2003, S. 168–169.

37 vgl. dazu Reinke 2007, S. 72–73.

38 Ṿolḳov und Gall 2000, S. 13.

39 Kaplan 1997, S. 65.

40 vgl dazu Grübel 2005, S. 141.

41 Rürup 2017, S.38-39, vgl. dazu auch Sieg 2007, S. 122 sowie Heidenreich und Neitzel 2011, S. 125.

42 Kaplan 1997, S. 21,vgl. dies ebenso mit Berghahn 2003, S. 169–170, Reinke 2007, S.75 und Ṿolḳov und Gall 2000, S. 54.

43 Sieg 2007, S.122-124.

44 Heidenreich und Neitzel 2011, S. 128.

45 ebenda

46 Berghahn 2003, S. 171.

47 Klein 2018, Sakrale Bauten, sowie Sieg 2007, S. 122, vgl. dazu auch Heidenreich und Neitzel 2011, S. 125.

48 Kaplan 1997, S. 22.

49 ebenda, S. 49.

50 Grübel 2005, S. 141.

51 vgl. Ṿolḳov und Gall 2000, S. 48.

52 vgl. hier Kaplan 1997, S. 204–205.

53 Reinke 2007, S. 78.

54 Wolff 2007, S.116-117, vgl. dazu auch Schatzker 1988, S.79.

55 Wehler 1994, S. 29.

56 Reinke 2007, S. 2–3.

57 ebenda

58 Berghahn 2003, S. 108–109.

59 Fesser 2015, S. 29.

60 vgl. Sieg 2007, S.122, Kaplan 1997, S. 65, ebenso Berghahn 2003, S. 168–169.

61 1900 lebten 24% der preußischen Juden in Berlin, 64% in Städten mit mehr als 20.000 Einwohnern, während dies nur 7 bzw. 32% der protestantischen Bevölkerung taten., siehe dazu Fesser 2015, S. 28.

62 Kaplan 197, S. 63.

63 Fesser 2015, S. 28. Kaplan 1997, S. 33.

64 Heidenreich und Neitzel 2011, S.126.

65 Kaplan 1997, S. 65.

66 vgl. Wyrwar 2007, S. 144, sowie Vom Bruch 2000, S. 151.

67 Reinke 2007, S. 72.

68 Sieg 2007, S.122-124, vgl. dies ebenso mit Reinke 2007, S. 72.

69 Ṿolḳov und Gall 2000, S. 58.

70 vgl. Heidenreich und Neitzel 2011, S. 125.

71 Golczewski 2007, S.157.

72 Kaplan 1997, S. 88.

73 vgl. Kaplan 1997, S. 9 und S. 88.

74 Kaplan 1997, S. 63.

Ende der Leseprobe aus 23 Seiten

Details

Titel
Jüdische Mädchen und Frauen im Kaiserreich. Ihre Bildungssituation von 1871 bis 1918
Veranstaltung
Deutsches Kaiserreich 1871 bis 1918
Note
12
Jahr
2017
Seiten
23
Katalognummer
V1150362
ISBN (eBook)
9783346540362
ISBN (Buch)
9783346540379
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Deutsches Kaiserreich, Frauen im deutschen Kaisserreich 1871 bis 1914, Jüdisches Leben im deutschen Kaiserreich 1871 bis 1914
Arbeit zitieren
Anonym, 2017, Jüdische Mädchen und Frauen im Kaiserreich. Ihre Bildungssituation von 1871 bis 1918, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1150362

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