Excerpt
Gliederung
1.) Einleitung
2.) Geschichtskultur
3.) Die heterogene Gesellschaft
4.) Die Geschichtskultur in Klassenzimmern
5.) Heterogenität im Geschichtsunterricht
6.) Geschichtskultur im Wandel
7.) Fazit
Literaturverzeichnis
1.) Einleitung
Wird heutzutage vom Geschichtsunterricht gesprochen, haben viele bestimmte Assoziationen mit dem Fach. Die Erinnerungen an bestimmte Themen und Unterrichtsstoffe werden wachgerufen und kaum einer würde sich fragen, was gewesen wäre, hätte der eine oder andere einen anderen Geschichtsunterricht erlebt. Werden diese Diskussionen angeschnitten, kommt man nicht darüber hinweg, sich über die Geschichtskultur Gedanken zu machen. Durch eine stark erhöhte Sensibilität für geschichtliche Ereignisse, den oftmals damit verbundenen Debatten und deren gesellschaftlichen Auswirkungen ist in den letzten Jahren ein allgemeines öffentliches Interesse an dem Zusammenhang von historischer Erinnerung, Gesellschaft und Kultur gewachsen. Immer mehr entstand das Bedürfnis nach einem übergreifenden Umgang mit Vergangenem. Vor allem durch die starke heutige Heterogenität sind diese Themen von Bedeutung und nehmen ihren Anfang in den heterogenen Klassenzimmern.
Die vorliegende Arbeit wird die Rolle der Geschichtskultur in den besagten Klassen Ausrichtungen diskutieren und am Ende feststellen, was dies für das Gesichtsbewusstsein der Lernen bedeutet. Dafür ist es zunächst wichtig, die theoretische Ausarbeitung der einzelnen Begriffe näher in Betracht zu nehmen, um sie dann explizit auf den Geschichtsunterricht in Schulen zu beziehen und welche Beeinflussungen sich dadurch in der heterogenen Gesellschaft abspielen. Die Geschichtskultur muss dafür näher erläutert werden und wie sie durch historisches Lernen Erkenntnisse gewinnt. Danach ist es wichtig zu klären, wie sich verschiedene Lernprozesse innerhalb der heterogenen Gesellschaft entwickeln und was passiert, wenn die verschiedenen, damit einhergehenden Erinnerungen verdrängt werden, nur um ein bestimmtes kollektives Gedächtnis beizubehalten, welches nur einen Teil der Gesellschaft anspricht. Anschließend wird der Geschichtsunterricht näher in Augenschein genommen und wie dort die Geschichtskultur zu finden ist. Die Heterogenität in den Klassenräumen wird dadurch außer Acht gelassen, da der Geschichtsunterricht sich auf einseitige bestimmte Themen verfestigt. Wie genau die Geschichtskultur im Wandel ist und wie sich dies für die besagte Diversität letztendlich auswirken muss, wird dann im Schluss betrachtet.
2.) Geschichtskultur
Um die Leitfrage beantworten zu können, ist es zunächst wichtig, näher auf den Begriff der Geschichtskultur einzugehen. Nur so kann letztendlich erschlossen werden, welche Rolle sie im Allgemeinen im Klassenzimmer einnimmt und wieso ihr Verständnis so wichtig für die heutigen Schüler und Schülerinnen ist. Erst danach kann explizit die Geschichtskultur in heterogenen Klassenräumen diskutiert werden.
Die Geschichtskultur beschreibt eine erhöhte Sensibilität für Geschichte. Sie stellt einen gesellschaftlichen Raum dar, welcher durch Konstruktion, Wahrnehmung und Interpretation der Vergangenheit kreiert wird. Dies geschieht durch ein Individuum oder eine soziale Gruppe. Hier herrschte immer mehr Bedürfnis nach einem übergreifenden Umgang mit der Vergangenheit. Die wissenschaftliche Forschung und kulturelle Erziehung, schulische und außerschulische Erziehung sowie mediale Unterhaltung sollte Teil der historischen Erinnerung sein. So entstand die Geschichtskultur1. Seit den 1980er Jahren wurde der Begriff als didaktische Bezeichnung für Medien benutzt, welche sich mit Geschichte auseinandersetzen. Sie wurde erstmals wissenschaftlich geprägt durch den deutschen Historiker und Kulturwissenschaftler Jörn Rüsen. Der Begriff wird hier in Zusammenhang mit historischen Museen gebracht und sollte die Wirkung dieser und alle Erkenntnis historischer Forschung beschreiben, die außerhalb der Wissenschaft stattfanden2. Heute kann sie nationale und auch internationale geschichtliche Ereignisse umfassen3. Weitere Überlegungen traf auch der deutsche Historiker und Geschichtsdidaktiker Hans- Jürgen Pandel. Er betont die Bedeutung der außerschulischen Geschichtskultur, denn dies sei eine Erweiterung und Vertiefung für die Schüler und Schülerinnen. Er sieht die gegenwärtige Lebenswelt als Voraussetzung, das Ereignis soll heute in der Gegenwart in einer beliebigen Art und Weise publiziert werden4. Die Einbeziehung der historischen Quellen als die kulturelle Lebenswelt in die Lebenswelt der Schüler und Schülerinnen wist Aufgabe der Geschichtskultur5. Er macht zusätzlich auf eine Gefahr aufmerksam, den Begriff einzugrenzen und zu erweitern. Für manche Personen und Gruppen kann die bestimmte Darstellung von Geschichte verletzend sein, aus diesem Grund werden bestimmte ethnische Richtlinien miteingeschlossen. Genau so wird sie auch eingegrenzt und nicht auf die gesamte Geschichte ausweitet, denn Geschichtskultur entsteht durch eine Gesellschaft und kann sich deshalb nicht auf alle Gesellschaften aller Epochen gleichermaßen beziehen6. Drei Merkmale seien für die Geschichtskultur von großer Bedeutung. Einmal die der lebensweltlichen Präsenz, welche sich in unserem kulturellen Leben, wie z.B. in historischen Filmen, Büchern und Kunst äußern. Als zweites Merkmal beschreibt er den Charakter der Geschichtskultur als Eventkultur, was als Ereignis mit hoher Anziehungskraft der Masse gesehen werden kann und dann irgendwann zu Ende geht. Das letzte Merkmal ist das des Gattungswechsels, weil sich die Geschichtskultur der medialen Verarbeitung historischer Inhalte bedient7.
Auch der Gesichtsdidaktiker Klaus Bergmann macht deutlich wie massenmedial historische Themen in der Gesellschaft behandelt werden8. Durch die „ungeheure Zunahme der Vermittlungsinstanzen“ ist die Behandlung von Geschichte außerhalb des Unterrichts nicht mehr zu vermeiden9. Die Möglichkeit, vorhandene Geschichte digital oder filmisch zu vermitteln, hat deutlich an Qualität gewonnen.
„Die Erkenntnis dieser Gegenwärtigkeit von Geschichte kann und sollte zu einem wachsamen Umgang mit den Erscheinungsformen der Geschichtskultur führen“ 10 Nur durch einbringen von Geschichtskultur können Lernende einen Umgang mit Geschichte lernen.
In Klassenzimmern sind die Schüler und Schülerinnen ständig mit der Geschichtskultur konfrontiert und werden gefördert darin, die historischen Denkweisen zu adaptieren. Dies geschieht durch historisches Lernen.
2.1 Historisches Lernen
Klaus Bergmann versucht sich in einer Definition, in dem er das historische Lernen beschreibt als „das Erlernen der Fähigkeit, sich zu erinnern und die Zukunft nicht einfach geschehen zu lassen“ 11. Der deutsche Geschichtsdidaktiker Dietmar von Reeken sieht historisches Lernen als ein Prozess an, welcher im subjektiven Erfahrungsbericht eines jeden Menschen unbewusst abläuft12. Andere Historiker*innen sehen im historischen Lernen die Erkenntnis, dass Vergangenes sich auf die Gegenwart und Zukunft auswirkt und die Gesellschaft durch menschliches Handeln veränderbar sei13.
Das historische Denken ist die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit. Der Geschichtsunterricht bietet hierfür die Möglichkeit, zielorientierte Fragen zu lösen, Quellen zu studieren und Antworten zu suchen. Damit kann der Geschichtsunterricht zu einem Ort werden, wo historisches Denken angeleitet wird. „Werden die Ergebnisse des Denkprozesses versprachlicht, können historische Erzählungen entstehen“14.
Das historische Lernen beginnt zu dem Zeitpunkt, wenn das Individuum Sachverhalte aus der Geschichte wahrnimmt und mittels Quellen, Darstellungen oder Menschen begegnet, welche Geschichte repräsentieren. Das Wahrgenommene wird erschlossen und der historische Sachverhalt geklärt. Die Erkenntnisse müssen interpretiert und Bezüge zu anderen Sachverhalten hergestellt werden. Nach der Ordnung der Zusammenhänge in Ursache und Wirkung folgt die Klärung der historischen Sachverhalte15. Die Schüler und Schülerinnen müssen von der sie umgebenen Geschichtskultur profitieren, indem sie sie kritisch hinterfragen und so durch das historische Denken lernen. Historisches Lernen findet zwar im Unterricht statt, aber findet Anwendung außerhalb des Unterrichts.
Dies bedeutet, dass die SuS auch im privaten Leben ständig historische Prozesse durchleben und dies besonders in ihrer Lebenswelt vorkommt. Diese Lebenswelt ist geprägt durch diverse Einflüsse, welche in heterogenen Gesellschaften besonders verdeutlicht werden.
3.) Die heterogene Gesellschaft
Vielfalt der Identitäten bedeutet, dass die Begegnung mit Geschichte nicht unvoreingenommen eintrifft. Der weite Kreis der Geschichtskultur durch Familie und Freunde haben bereits für Haltungen und Einstellungen gesorgt. Die heutige kulturelle Zusammensetzung der Bundesrepublik Deutschland ist geprägt von der Arbeitsmigration und der globalen Migrations- und Modernisierungsprozesse. Dadurch entsteht eine größere „Herausforderung an das Bildungssystem und an die dieses System tragende Gesellschaft“ 16. Der Umgang mit kultureller Heterogenität wird im Bildungsbericht für Deutschland als ein eigenständiges Problem angesehen, denn den Jugendlichen und Kindern sollen aus alles sozialen Schichten und Kulturkreisen gleiche Bildungschancen angeboten werden17. Der Umgang mit der kulturellen Vielfalt und der damit einhergehenden Heterogenität ist für die Institution Schule deswegen unausweichlich, denn nicht nur die deutsche Gesellschaft, sondern auch das Schulsystem befindet sich in einer Zeitepoche, in welcher „das Prinzip der Einförmigkeit zugunsten kultureller Vielfalt aufgehoben wird“ 18.
Kinder aus Familien mit Migrationshintergrund wachsen mit gemischten kulturellen Eindrücken auf. 25% der gesamtdeutschen Bevölkerung unter 25 Jahren weisen bereits einen Migrationshintergrund auf und kommen so zwangsläufig mit mehreren Kulturen in Verbindung19. Alle ehemaligen Migranten*innen bringen aus ihren Herkunftsländern kulturelle Güter mit und je heterogener die Lernvoraussetzungen, umso schwieriger ist es, jeden Schüler und jede Schülerin in seiner oder ihrer Entwicklung zu fördern. Zwangsläufig würde dies einen Unterricht erfordern, der nicht für alle Kinder und Jugendliche gleich sein kann, sondern Differenzierungen enthält.
Die Gesellschaft spielt eine wichtige Rolle für Geschichte, sei es in der Schule oder in der Außenwelt, denn sie prägt die Erinnerung mit. Da es aber nicht nur eine Gesellschaft gibt, sondern mehrere diverse, welche andere Erinnerungen teilen, ist es wichtig zu wissen, dass diese genau so berücksichtigt werden müssen, sonst entsteht am Ende nicht die Erinnerung von verschiedenen Perspektiven, sondern eine einheitliche.
3.1 Das kollektive Gedächtnis
Die Studien des Soziologen Maurice Halbwachs gehören seit 1939 zu den wichtigsten Arbeiten der kulturwissenschaftlichen Gedächtnisforschung. Dieser beschreibt die Annahme, dass jeder Mensch Träger individueller Erinnerungen sei, diese jedoch abgängig von den sozialen Gegebenheiten wären. Ohne den sozialen Bezugsrahmen gäbe es auch keine Erinnerung20. Halbwachs versteht „jedes individuelle Gedächtnis“ als einen „Ausblick auf das kollektive Gedächtnis“ 21. Die eigene Sichtweise formt in Abhängigkeit der eigenen Gruppen das kollektive Gedächtnis. Der Austausch von Erfahrungen innerhalb einer bestimmten Gruppe ist hierbei Kernpunkt der These. Das Gedächtnis kann in unterschiedlichen Nationen anders ausfallen, dieselben Ereignisse können unter verschiedenen Gesichtspunkten einer Gruppe in Erinnerung bleiben. Das kollektive Gedächtnis basiert auf einer Vielzahl an Wir- Gruppen, zu denen ein Individuum bei der Geburt unfreiwillig oder durch freiwilliges Betreten zugehören kann. Es bleiben vor allem emotionale Erinnerungen im kollektiven Gedächtnis. Sie bestehen so lange, bis sie keinen Nutzen mehr für die Identität einer Gruppe besitzt.
„Das kollektive Gedächtnis vereinfacht; es sieht die Ereignisse aus einer einzigen, interessierten Perspektive; duldet keine Mehrdeutigkeit; reduziert die Ereignisse auf mythische Archetypen.“ 22
In den vergangenen Jahrzehnten hat sich die Art, wie das kollektive Gedächtnis gesehen wird verändert. Durch Taten wie den Holocaust wird heutzutage eher versucht das kollektive Gedächtnis in die Richtung zu lenken, welche das Therapieren von vergangenem ermöglicht.
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1 vgl. Rüsen, Jörn, Was ist Geschichtskultur? Überlegungen zu einer neuen Art, über Geschichte nachzudenken, in: Füßmann/Grütter/Rüsen (Hrsg.): Historische Faszination. Geschichtskultur heute. Köln 1994, S. 3
2 vgl. Pandel, Hans-Jürgen, Geschichtsdidaktik. Eine Theorie für die Praxis. Schwalbach 2013, S. 164
3 vgl. Günther-Arndt, Geschichte. Studium, Wissenschaft, Beruf. Berlin 2008, S. 34.
4 vgl. Pandel, Hans-Jürgen, Geschichtsdidaktik. Eine Theorie für die Praxis. Schwalbach 2013, S. 164
5 vgl. Pandel, Hans-Jürgen, Geschichtsdidaktik. Eine Theorie für die Praxis. Schwalbach 2013 S. 150
6 vgl. ebd. S. 165
7 vgl. ebd. S. 169
8 vgl. Bergmann, Klaus: So viel Geschichte wie heute war nie. Historische Bildung angesichts der Allgegenwart von Geschichte, in: Angela Schwarz und Ralf Schörken (Hrsg.): Politische Sozialisation und Geschichte. Festschrift für Rolf Schörken zum 65. Geburtstag, Hagen 1993, S. 209
9 Schörken, Rolf: Geschichte in der Alltagswelt. Wie uns Geschichte begegnet und was wir mit ihr machen, Stuttgart 1981, S. 234
10 Bergmann, Klaus: Gegenwartsbezug. Zukunftsbezug, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht, Bd. 55, 2004, S. 44
11 Bergmann, Klaus: „Papa, erklär mir doch mal, wozu dient eigentlich die Geschichte? Frühes historisches Lernen in Grundschule und Sekundarschule I, Klaus Bergmann (Hrsg.): Kinder entdecken Geschichte: Theorie und Praxis historischen Lernens in der Grundschule und im frühen Geschichtsunterricht, Schwalbach 2005, S. 9
12 vgl. von Reeken, Dietmar: Historisches Lernen im Sachunterricht: Eine Einführung mit Tipps für den Unterricht, Stuttgart 2020, S. 7
13 vgl. George, Siegfried: Handbuch zur politischen Bildung, Schwalbach 1996, S. 9
14 Nitsche, Martin: Einleitung. Historisches Erzählen und Lernen, in: Martin Buchsteiner/ Martin Nitsche (Hrsg.): Historisches Erzählen und Lernen. Historische, theoretische, empirische und pragmatische Erkundungen, Wiesbaden 2016
15 vgl. Bernhardt, Markus/ Gautschi, Peter/ Mayer, Ulrich (Hrsg.): Historisches Lernen angesichts neuer Kerncurricula. Von Bildungsstandards und Inhaltsfeldern zur Themenbestimmung und Unterrichtsplanung im Geschichtsunterricht, Wiesbaden 2011
16 Avenarius, Hermann: Bildungsbericht für Deutschland. Erste Befunde, Wiesbaden 2003, S. 18
17 vgl. ebd., S. 229
18 Steiner- Khamsi, Gita: Multikulturelle Bildungspolitik in der Postmoderne, Opladen 1992, S. 305
19 vgl. Duschek, Klaus Jürgen: Leben in Deutschland- Haushalte, Familien und Gesundheit. Ergebnisse des Miikrozensus, Wiesbaden 2005
20 vgl. Halbwachs, Maurice: Das Gedächtnis und seine sozialen Bedingungen. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1985, S. 360
21 vgl. ebd., S. 31
22 Novick, Peter: Nach dem Holocaust: Der Umgang mit dem Massenmord. Deutscher Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 2003, S. 14.