Warum vergleicht man Hermann Hesse und Arno Schmidt? Und wo soll man ansetzen bei zwei Autoren, die unterschiedlicher nicht sein können?
Hesse und Schmidt sind einander nie begegnet und führten nur einen flüchtigen Briefwechsel1 und doch war zumindest Hesse für Schmidt sehr bedeutsam, dem er in tiefer Verehrung für seinen Steppenwolf zunächst ein Gedicht und später seinen „Leviathan“ zusandte. Dass Hesse Schmidts Gedicht nur mit einem Gegengedicht beantwortete und aus Zeitmangel den „Leviathan“ ungelesen zurücksenden musste, verletzte Schmidt tief, doch noch härter traf ihn Hesses Besprechung des „Leviathans“ in einem Rundbrief vom 01.05.1950, in welchem dieser ihm, wenn er im Ganzen auch durchaus wohlwollende Worte fand, „Schnoddrigkeit“ vorwarf.2 Schmidt entgegnete mit der bekannten Replik, Hesse sei „[e]in begabter Dichter; reich und faltig. Zweierlei fehl[e] ihm: naturwissenschaftliche Kenntnisse (oder doch deren Einwirkung und Auswertung), und das Erlebnis folgender Urphänomene: Soldat sein müssen, Krieg, Kriegsgefangenschaft, Hunger. Also kenn[e] er ausreichend nur die friedlichere Seite des Menschen. Ein Glücklicher. Dies bezeichne[] seine Stellung in unserer Literatur: »die Stimme eines Sängers [kein Komma: sic] die zwar keinen großen Umfang ha[be] und nur wenige Töne enth[alte], aber diese gut und vom schönsten Wohlklange«“3 und verursachte Hesse damit einige Schlaflosigkeit und Verstimmung4; Schmidt aber verwand die Ablehnung nie.
So sehen die beiden Autoren selbst unvereinbare Unterschiede in ihren jeweiligen Arten zu schreiben und teilen scheinbar nur die gegenseitige Ablehnung, aber dennoch verbindet sie etwas, nämlich ein gemeinsames Thema. Beide, Hesse und Schmidt, haben unabhängig voneinander mit dem „Glasperlenspiel“ und der „Gelehrtenrepublik“ Utopien verfasst, die einen Gelehrtenstaat darstellen und sich damit der utopischen Untergattung der „Gelehrtenrepubliken“ zuordnen lassen; mehr noch, sie sind die einzigen beiden modernen Verfasser von Gelehrtenrepubliken und, ergänzt durch Klopstock, dessen „Gelehrtenrepublik“ aus dem Jahr 1774 stammt, die einzigen Vertreter der deutschsprachigen Gelehrtenrepublik überhaupt.5
Inhaltsverzeichnis
1) Einleitung
2) Die Utopie
2.1) Versuch einer Wesensbestimmung
2.2) Utopie als alternative Ordnung. Die Leistung der Utopie
2.3) Die literarische Utopie
3) Utopisches Erzählen
3.1) Die „utopische Methode“
3.2) Utopisches Erzählen bei Morus
3.3) Utopisches Erzählen bei Campanella
3.4) Utopisches Erzählen bei Andreae
3.5) Utopisches Erzählen bei Bacon
3.6) Zusammenfassung: Utopisches Erzählen bei den frühneuzeitlichen utopischen Klassikern
4) Hermann Hesses „Glasperlenspiel“
4.1) Kurzzusammenfassung des Inhalts
4.2) Utopische Züge im „Glasperlenspiel“
4.3) Warum das „Glasperlenspiel“ keine traditionelle Utopie sein kann
4.4) Das „Glasperlenspiel“ – Utopie oder Anti-Utopie?
5) Arno Schmidts „Gelehrtenrepublik“
5.1) Kurzzusammenfassung des Inhalts
5.2) Utopische Züge in der „Gelehrtenrepublik“
5.3) Die „Gelehrtenrepublik“ als Anti-Utopie
5.4) Der Weg in die Anti-Utopie
5.5) Der Hominidenstreifen
5.6) Sexualität in der „Gelehrtenrepublik“
5.7) Kunst in der „Gelehrtenrepublik“
6) Utopie bei Hesse und Schmidt. Zusammenschau und Ausblick
6.1) Zusammenschau
6.2) Ausblick
7) Literaturverzeichnis
7.1) Primärliteratur
7.2) Sekundärliteratur
Utopie als alternative Ordnung. Hermann Hesses „Glasperlenspiel“ und Arno Schmidts „Gelehrtenrepublik“ vor dem Hintergrund der Gattung „Utopie“.
1) Einleitung
Warum vergleicht man Hermann Hesse und Arno Schmidt? Und wo soll man ansetzen bei zwei Autoren, die unterschiedlicher nicht sein können?
Hesse und Schmidt sind einander nie begegnet und führten nur einen flüchtigen Briefwechsel1 und doch war zumindest Hesse für Schmidt sehr bedeutsam, dem er in tiefer Verehrung für seinen Steppenwolf zunächst ein Gedicht und später seinen „Leviathan“ zusandte. Dass Hesse Schmidts Gedicht nur mit einem Gegengedicht beantwortete und aus Zeitmangel den „Leviathan“ ungelesen zurücksenden musste, verletzte Schmidt tief, doch noch härter traf ihn Hesses Besprechung des „Leviathans“ in einem Rundbrief vom 01.05.1950, in welchem dieser ihm, wenn er im Ganzen auch durchaus wohlwollende Worte fand, „Schnoddrigkeit“ vorwarf.2 Schmidt entgegnete mit der bekannten Replik, Hesse sei „[e]in begabter Dichter; reich und faltig. Zweierlei fehl[e] ihm: naturwissenschaftliche Kenntnisse (oder doch deren Einwirkung und Auswertung), und das Erlebnis folgender Urphänomene: Soldat sein müssen, Krieg, Kriegsgefangenschaft, Hunger. Also kenn[e] er ausreichend nur die friedlichere Seite des Menschen. Ein Glücklicher. Dies bezeichne[] seine Stellung in unserer Literatur: »die Stimme eines Sängers [kein Komma: sic] die zwar keinen großen Umfang ha[be] und nur wenige Töne enth[alte], aber diese gut und vom schönsten Wohlklange«“3 und verursachte Hesse damit einige Schlaflosigkeit und Verstimmung4 ; Schmidt aber verwand die Ablehnung nie.
So sehen die beiden Autoren selbst unvereinbare Unterschiede in ihren jeweiligen Arten zu schreiben und teilen scheinbar nur die gegenseitige Ablehnung, aber dennoch verbindet sie etwas, nämlich ein gemeinsames Thema. Beide, Hesse und Schmidt, haben unabhängig voneinander mit dem „Glasperlenspiel“ und der „Gelehrtenrepublik“ Utopien verfasst, die einen Gelehrtenstaat darstellen und sich damit der utopischen Untergattung der „Gelehrtenrepubliken“ zuordnen lassen; mehr noch, sie sind die einzigen beiden modernen Verfasser von Gelehrtenrepubliken und, ergänzt durch Klopstock, dessen „Gelehrtenrepublik“ aus dem Jahr 1774 stammt, die einzigen Vertreter der deutschsprachigen Gelehrtenrepublik überhaupt.5 Gerade vor dem Hintergrund ihrer Meinungsverschiedenheit in Dichtungsfragen ist es deswegen spannend zu prüfen, wie Hesse und Schmidt das Thema verarbeiten. Da aber Utopien eine lange Gattungstradition haben, die sich bis zu Platons „Politeia“ zurückverfolgen lässt, bedeutet „[l]iterarische (Anti-) Utopien zu schreiben […] zweifelsfrei, sich einem Regelwerk zu unterwerfen bzw. sich daran abzuarbeiten“6, weswegen man Utopien nicht ohne Blick auf den Kontext der Gattung behandeln sollte. Deshalb fragt diese Arbeit immer auch danach, wie sich Hesse und Schmidt in ihren Werken auf diesen Kontext beziehen und bevor ich mich mit dem „Glasperlenspiel“ und der „Gelehrtenrepublik“ befasse, sollen Überlegungen zum Wesen der klassischen Utopie die Untersuchung eröffnen.
2) Die Utopie
2.1) Versuch einer Wesensbestimmung
Es scheint ganz so, als sei Utopia, als Zusammensetzung abgeleitet aus dem griechischen ού, „nicht“, und τόπος , „der Ort“, nicht nur ein Ort, der nicht zu finden ist, sondern als sei Utopie auch ein Begriff, der nicht zu fassen ist. Diese Vermutung legt zumindest der Blick in die Begriffsgeschichte nahe, welcher zeigt, dass sich in der nun fast fünfhundertjährigen Utopiegeschichte nicht nur die Bezeichnungen des Phänomens „Utopie“, sondern auch die hinter den Bezeichnungen stehenden gedanklichen Konzepte wiederholt gewandelt haben.
So sind in der Nachfolge des Thomas Morus, der mit seinem 1516 erschienenen Werk „De optimo reipublicae statu, deque nova insula Utopia“ das Muster der Gattung setzte, die bekannten Utopien Johann Valentin Andreaes, Tommaso Campanellas und Francis Bacons entstanden, welche zusammen mit ihrem großen Vorbild die klassische literarische Utopie begründeten.
Dargestellt wird in allen Fällen im Rückgriff auf die Form des frühneuzeitlichen Reiseberichts die Situation, dass ein Reisender oder Schiffbrüchiger zufällig an die Küsten fremden Landes getrieben wird, dort auf bisher unentdeckte menschliche Gemeinschaften stößt, deren Mitglieder den Ortsunkundigen bereitwillig aufnehmen und ihm Gesellschaftsordnung und gesellschaftliche Institutionen erklären. Das geschilderte Gemeinwesen weist dabei stereotype Eigenschaften auf, die dazu berechtigen, von der klassischen Utopie als Gattung zu sprechen und die in der Utopieforschung umfassend herausgestellt worden sind.7 Auch die Art der Darstellung lässt starke Gemeinsamkeiten erkennen, weil Einrichtungen und Gepflogenheiten derart systematisch vorgestellt werden, dass die Werke den Charakter theoretischer Auseinandersetzung mit der Struktur des fremden Staatswesens annehmen, welches dem realen Staatsaufbau der zeitgenössischen Leser in idealisierender Weise gegenübergestellt wird.
Nur aus diesem Grund sind die klassischen Utopien für den Staatswissenschaftler und Heidelberger Rechtsprofessor Robert von Mohl von Interesse, der ihnen im ersten Band seiner Monographie „Die Geschichte und Literatur der Staatswissenschaften“ von 1855 ein Kapitel mit dem Titel „Die Staatsromane“ widmet.8 Darin erklärt er Utopien unbekümmert zu poetisch minderwertigen Erzeugnissen, deren Wert allein in den in ihnen enthaltenen politischen Reflexionen auszumachen sei9 und prägt als „Vater der wissenschaftlichen Utopieforschung“10 mit dieser Feststellung nicht nur die Bezeichnung der Utopie als „Staatsroman“, sondern auch die Haltung, in der man sich Utopien in der Folgezeit lesend näherte.
Utopien, „Staatsromane“, haben damit für von Mohl den ehrwürdigen Charakter tiefsinnigen philosophischen Nachdenkens über den bestmöglichen Aufbau des Staates, weswegen er auf seinem Gang durch die Utopiegeschichte auch den Werken eines Gabriel Foigny und Rétif de la Bretonne, deren Gesellschaftsentwürfe Züge des Phantastischen aufweisen, mit vollkommenen Unverständnis entgegentritt.11 Das Auftreten etwa von Zwittermenschen und Tier-Mensch-Hybriden wird von ihm kopfschüttelnd als blanker Unsinn, ja sogar Wahnsinn abgetan, könne man doch solcherlei widernatürliche Unmöglichkeiten nicht ernsthaft in eine rationale Planung des Gemeinwesens miteinbeziehen.12 Indem der Begriff des Staatsromans nur die traditionellen Utopien klassischen Zuschnitts umfasst und alles Wunderlich-Wunderbare ausgrenzt, verstellt er jedoch den Blick auf die enge Verwandtschaft von Utopie und phantastischer Literatur, obwohl die Utopie noch im 18. Jahrhundert unter dem Lemma „Schlaraffenland“ lexikalisiert war.
Es zeigt sich also, dass verschiedene Strömungen parallel laufen und sich auch gegenseitig befruchten. So entwickelt sich der Reisebericht zur Robinsonade, womit die utopische Schilderung romanhaft ausgestaltet wird, utopische Gedankengehalte aber zugunsten der Romanhandlung zurücktreten. Die Elemente des Phantastischen, welche sich auch in der Schlaraffenlanddichtung finden, deuten bereits eine Öffnung der engen Gattungsgrenzen der Utopie zur Science Fiction an, die sich im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts als Gattung etablierte, aber bereits Mitte des 19. Jahrhunderts entstand und die ebenfalls die Romanform als Darstellungsform wählte. Roberts von Mohl Wertschätzung der klassischen Utopie im Rahmen seines staatswissenschaftlichen Interesses und seine Diskreditierung ihrer Schwesterformen kann damit auch als vielleicht etwas hilfloser Versuch gedeutet werden, die zunehmende Vielfalt der utopischen Erscheinungsformen zu systematisieren und sich darstellerischem Wildwuchs entgegenzustellen. Die (R)Einheit der Gattung jedenfalls konnte auch er nicht erhalten und spätestens mit dem Erscheinen der Dystopie im 20. Jahrhundert, dem negativen Zerrbild der positiven Utopie, ist eine Begriffsbestimmung schwierig geworden.
Da die Utopie nicht mehr an eine Gattung gebunden ist13 und sie sich von herkömmlichen Formen der Darstellung gelöst hat, ist es nur folgerichtig, dass sich die Theoretiker des 20. Jahrhunderts darum bemühen mussten, die Utopie, so sie sie greifen wollten, nicht mehr an die literarische Form zu knüpfen, sondern grundlegend anders zu bestimmen.
Die Richtung hatte schon von Mohl gewiesen, der sich auf den Inhalt, die politische Aussage der „Staatsromane“ konzentrierte und diesem durchaus zugestand, in der „Form einer Reisebeschreibung, einer statistischen Schilderung oder einer Lebensgeschichte“14 ausgedrückt zu werden. Erscheint hier schon der Inhalt als von der Form losgelöst, so geht Gustav Landauer 1907 in seiner Abhandlung „Die Revolution“15, in der er das Wesen der Revolution und ihre Gesetzlichkeiten zu bestimmen versucht, noch einen Schritt weiter. Bei ihm nimmt die Utopie nicht mehr die Gestalt einer von einem Autor entworfenen, durchdachten, in sich geschlossenen und schriftlich niedergelegten Struktur eines alternativen Staatsaufbaus an, sondern wird zur reinen Idee, zur Geisteshaltung, die nicht einmal mehr notwendig auf das Medium der Kunst angewiesen ist, um sich auszudrücken. So geht Landauer davon aus, dass verschiedene disparate „individuelle[/] Bestrebungen und Willenstendenzen“16 eine gesellschaftliche Gemengelage bilden, sich aber im Moment der Krise zu einer homogenen Willensäußerung verdichten und dann, als Utopie im Sinne einer Vision, eines Leitbildes17, zur Revolution führen und zur Erschütterung der bisherigen gesellschaftlichen Ordnung (Topie).
Landauer bereichert also die Utopiediskussion, indem er den Utopiebegriff auf alle Erscheinungsformen subversiver politischer Gedanken und Bewegungen ausweitet, die die Eigenschaft haben, Interessen integrieren und gebündelt artikulieren zu können; er verankert damit den Utopie als Denkart im Wesen des Menschen und zeigt die Verbindung von oppositionellem Denken (Utopie) und Handeln (Revolution) auf.
In vielen Dingen schließt Karl Mannheim, der sich ebenfalls um die Utopieforschung verdient gemacht hat, an Landauer an, denn mit ihm verbindet ihn sein Interesse an soziologischen Fragestellungen. So ist auch für Mannheim die literarische Utopie nur Mittel zu dem Zweck, soziale Bewegungen und Erscheinungen verstehen zu können, während ihn literarische Form und Qualität nicht interessieren. Ebenso wie für Landauer ist auch für Mannheim Utopie gleichbedeutend mit „Wunschtraum“, „Phantasie“18 und auch ihn fasziniert ihre Kraft, Menschen einem gemeinsamen Ideal verpflichten zu können und politisch aktiv werden zu lassen.19 Wie man daran erkennen kann, ist es Mannheim um das Bewusstsein der Menschen zu tun, und der Versuch, das Bewusstsein früherer Menschen zu rekonstruieren, also „Bewusstseinsgeschichte“20 zu betreiben, ist Ausdruck der Verunsicherung, die ihm die Erkenntnis eingetragen hat, dass der moderne Mensch keine feststehenden Wahrheiten mehr kennt.21 Denn es quält ihn der Gedanke, dass sich allgemein verpflichtende Erkenntnisse im 20. Jahrhundert in einander widersprechende Leitbilder und Werte aufgelöst haben22 und dass damit die Welt nicht mehr objektiv erkannt, sondern nur noch ideologisch verschieden interpretiert werden kann.
So besteht sein Hauptverdienst auch darin, die enge Verwandtschaft von Utopie und Ideologie erkannt zu haben, denn da Ideologie nach Mannheim eine Geisteshaltung ist, die „der Absicht dien[t], die bestehende soziale Wirklichkeit zu verklären oder zu stabilisieren“23, die Utopie dagegen „kollektive Aktivität hervorruf[t], die die Wirklichkeit so zu ändern sucht, dass sie mit ihren die Realität übersteigenden Zielen übereinstimmt.“24, wird jede Utopie, die ja darauf angelegt ist, selbst zur sozialen Wirklichkeit zu werden und diese dann stabil zu halten, durch ihre Verwirklichung selbst zur Ideologie.25
Freilich, in welchem Grade jedoch auch literarische Utopien umgesetzt werden wollen (und sich der Ideologie annähern), diese Frage muss zur späteren Beantwortung kritisch in den Raum gestellt werden.
Auch Ernst Bloch greift Anregungen Landauers auf, wenn er feststellt, dass utopisches Denken im Menschen angelegt sei, da er als „Mangelwesen par excellence“26 immer das erstrebe, was ihm fehle und dieser Drang zur Befriedigung seiner Bedürfnisse sich zunächst in einem „mehr oder minder genau ausmalende[m] Hoffen“27, dann aber in „tätige[m] Wollen“28 äußere. Bloch erklärt damit die Tatsache, dass Menschen Utopien schreiben, aus seiner Triebstruktur, bzw. aus einer sublimierten Triebstruktur29 und stellt ebenfalls die Nähe von utopischem Denken und politischem Handeln heraus, räumt aber der Frage, welche gesellschaftlichen Bedingungen gegeben sein müssen, um Utopien umzusetzen, keinen großen Stellenwert ein.30 Stattdessen beschränkt er sich auf das Spekulative, indem er vermutet, Natur und Umwelt seien ebenfalls in selbstständiger Bewegung begriffen, ein „Noch-Nicht-Gewordenes“31 zu verwirklichen, weswegen die Realisierung von Utopien nur dann möglich sei, wenn sich der menschliche Wille in Übereinstimmung mit der Tendenz, dem Willen der Natur befinde.32
Mag es auch schwer sein, Blochs Mutmaßung über die Eigendynamik der Natur zu akzeptieren, so bleibt ihm doch das Verdienst unbenommen, utopisches Denken vom politischen Denken gelöst zu haben; zwar wird utopisches Handeln in der Gesellschaft, da es zielgerichtet ist und nach Verwirklichung drängt, immer auch Formen politischer Reflexion und politischen Handelns annehmen, gleichzeitig ist aber ein utopisches Verlangen denkbar, das sich auf den Bereich rein privater Bedürfnisbefriedigung beschränkt.
Schon diese kurze Betrachtung zeigt, wie weit sich der moderne Utopiebegriff von seinen klassischen Ursprüngen entfernt hat. Obwohl der begrenzte Umfang dieser Arbeit nur eine grobe Darstellung der Hauptlinien seiner Entwicklung erlaubt33, wird dennoch deutlich, dass er nicht nur eine literarische Gattung bezeichnet, sondern ein im weitesten Sinne gesellschaftliches Phänomen, das im Grenzbereich von Sozialwissenschaft, Politikwissenschaft, Literaturwissenschaft, Philosophie und Geschichtswissenschaft angesiedelt ist und nicht einer einzigen wissenschaftlichen Disziplin zugeordnet werden kann. Deshalb ist es fast unmöglich, zu einem allumfassenden Utopiebegriff zurückzufinden und eine Definition, die allen verschiedenen Facetten der Erscheinung gerecht werden möchte, muss sich zwangläufig auf einer sehr abstrakten Ebene bewegen. Dennoch, so scheint es, teilen alle vorgestellten Bestimmungsversuche auf einer ganz grundlegenden Ebene ein Wesensmerkmal: Sie alle lassen die naive geistige Grundhaltung des Sich-etwas-anders-Wünschens und Sich-etwas-besser-Wünschens erkennen34, was zur nächsten Frage führt: Was leisten Utopien? Da so viel Arbeit in das Verfassen von und Nachdenken über Utopien investiert worden ist, ist es ausgeschlossen, dass Utopien sich darin erschöpfen, menschliche Sehnsüchte zu illustrieren. Provokant formuliert könnte man fragen: Warum lohnt die Beschäftigung mit Utopien?
2.2) Utopie als alternative Ordnung. Die Leistung der Utopie
Diese unschuldige, höchstens ein wenig herausfordernd gestellte Frage ist keineswegs so harmlos, wie sie den Anschein erweckt. Mannheims Nachweis davon, wie eng die Bande sind, die Utopie und Ideologie verknüpfen, eröffnet den Blick auf das Schlachtfeld der Geschichte35, wo schon Landauer die Utopie als Triebkraft der Revolution ausgemacht hat, und spätestens die Konfrontation der beiden unversöhnlichen Systeme des Kapitalismus und des Sozialismus im Kalten Krieg, der die Welt an den Rand der Katastrophe führte, macht deutlich, wie sehr um und mit Utopien gekämpft werden kann.36 Die Utopie ist also ein Politikum, das dazu zwingt, Stellung zu beziehen, sich für oder gegen sie zu entscheiden und sich im Diskurs zu positionieren, und so führt uns diese Tendenz der Utopie in die wissenschaftliche Kontroverse. Streitpunkt ist die Frage, ob Utopien umgesetzt werden sollen, ob es überhaupt möglich ist, sie zu realisieren und ob Utopien eigentlich verwirklicht werden wollen. Bei aller gebotenen Beschränkung, welche Thema und Umfang der Arbeit erzwingen, sollen die verschiedenen Positionen kurz beleuchtet werden.
Wenn Hiltrud Gnüg sagt, die „Realisierungstendenz [sei] der Utopie [...] immanent“37, bezieht sie sich zwar auf Thomas Morus` „Utopia“ und damit auf die literarische Utopie, stimmt aber mit anderen Utopieforschern überein, welche die Nähe von Utopie und Versuchen ihrer Umsetzung in der Geschichte herausstellen38, betonen, wie sehr die Utopie sich vor allem im 18. und 19. Jhd. zum politischen Aktionsprogramm wandelte39 oder in ihrer Gegenwart erleben, wie die Utopie vom Kommunismus bei der Gründung der Sowjetunion sogar staatsbildend und –konsolidierend wirkt.40 Doch kommen nicht Wenige zu dem Schluss, dass sich Utopien dennoch nicht umsetzen ließen, sei es, weil vermutet wird, dass, was auf der Vernunft eines einzelnen Erfinders beruhe, zwangsläufig fehlerhaft sein müsse41, bemängelt wird, dass von naiven Voraussetzungen über das Wesen der Menschen ausgegangen werde, die mit ihrem ganzen Wesen die Utopie bejahen und sich mit all ihren Kräften für ihr Gelingen einsetzen42, die Verwirklichung die Kräfte eines einzelnen Menschen übersteige43, weil empirisch festgestellt wird, dass Utopien bisher zumeist gescheitert sind44, sie historisch auch prinzipiell nicht von Dauer sein können45 oder weil die Wirklichkeit zeige, dass die Menschen desinteressiert seien, aktiv politische Veränderungen herbeizuführen.46 Aus diesem Grund bildet den Gegenpol zur These, Utopien wollten und sollten verwirklicht werden die Überzeugung, die spezifische Leistung der Utopie liege darin begründet, zur Reflexion anzuleiten. Das Bewusstsein des Menschen für gesellschaftliche Missstände werde geweckt47, wodurch er zu klaren Begriffen48 und einem reflektierten Problembewusstsein49 finde. Er könne so nicht nur die Gesellschaft kritisieren50, sondern ein gesellschaftliches Leitbild erkennen51 und im freien Gedankenspiel der Möglichkeiten52 alternative Gesellschaftsentwürfe53 durchdenken.
2.3) Die literarische Utopie
Das ist genau die Absicht der literarischen Utopie, die ihren Text zum Spiegel der Gegenwartserfahrungen des Autors werden lässt, indem sie Kritikpunkte an dieser Gegenwart in ihr Gegenteil gewendet in die Utopie aufnimmt54 und damit zum Nachdenken anregen möchte.55 Dass die literarische Utopie dabei die Komplexität der Gemengelage an Problemen der Realität reduzieren muss, um sie literarisch verarbeiten zu können, versteht sich eigentlich von selbst56 und ist ihr, die sie damit überfordert wäre, konkrete politische Maßnahmen für die Gegenwart vorzuschlagen, auch nicht anzulasten, da sie ihren Lesern vor allem zu einem Erkenntnisfortschritt verhelfen möchte.57 Sie artikuliert damit auf der einen Seite im weitesten Sinne gesellschaftliche Probleme, wobei philosophische, politische, theologische, soziologische und anthropologische Blickwinkel eingenommen und miteinander verbunden werden können, ist aber auf der anderen Seite auch als literarisches Kunstwerk zu würdigen, an das Fragen nach seiner künstlerischen Machart gerichtet werden müssen. Gerade diese Mittelstellung der Utopie zwischen Gesellschaftskritik und Literatur lässt sie zu einer besonders reizvollen Gattung werden, der man bisher aber nur unzureichend gerecht geworden ist. So beklagt die Utopieforschung, dass man der textlichen Gestalt der Utopie mehr Aufmerksamkeit zukommen lassen müsse, die bisher hinter der Analyse ihrer gesellschaftskritischen Momente meist habe zurückstehen müssen58 und tatsächlich zeigt sich hier ein Missverhältnis, weil man verkennt, dass die Aussageabsicht der Utopien, um die man sich so sehr bemüht, immer textlich vermittelt ist und dass aus diesem Grund eine wissenschaftliche Untersuchung ohne die literaturwissenschaftlichen Zugriffsmethoden der Erzähltextanalyse nicht auskommen kann. Und obwohl man geneigt ist, Gnüg zuzustimmen, welche Utopien prinzipiell mit dem Problem der „ästhetischen Langeweile“ kämpfen sieht59, so gilt das doch keinesfalls für die romanhaften Derivate der Utopie, zu denen Hesses „Glasperlenspiel“ und Schmidts „Gelehrtenrepublik“ zu zählen sind, und Roberts von Mohl vernichtendem Urteil, Utopien hätten wenig literarische Qualität60, muss schon mit Blick auf Morus und eventuell auch Bacon ganz entschieden entgegengetreten werden, wie sich im Anschluss zeigen wird.
3) Utopisches Erzählen
3.1) Die „utopische Methode“
Raymond Ruyer führt den Begriff der „utopischen Methode“ in die Utopieforschung ein und fasst ihn als „geistiges Experimentieren mit Möglichkeiten“.61 Angesichts der Tatsache, dass die Forschung den frühneuzeitlichen Utopien den Rang der Klassizität zuerkennt und damit suggeriert, die Gattung werde durch Texte mit homogenen Merkmalen konstituiert, inspiriert Ruyers Begriffsprägung aber zu der Frage, ob es jenseits utopischer Motivik und inhaltlicher Gemeinsamkeiten auch eine gemeinsame Erzähltechnik gibt, die man als „utopische (Erzähl)Methode“ erkennen kann. Gerade für diese Arbeit, die besonderes Interesse an der textlichen Gestaltung der Utopien hat, ist es wichtig, die klassischen Utopien auf gemeinsame Erzählstrategien hin zu prüfen, um die Frage zu beantworten, ob dem utopischen Inhalt auch eine utopische Ausdrucksweise entspricht. Und da sich tatsächlich einige utopische „Bauformen des Erzählens“ ausmachen lassen, kann man vermuten, dass zum Textmusterwissen „Utopie“ auch erzählstrategische Konstituenten gehören, auf die die Verfasser nachklassischer Utopien aufbauen und die sie in je spezifischer Weise in ihren Werken verarbeiten können.62
3.2) Utopisches Erzählen bei Morus
Formal ist Thomas Morus` „Utopia“ zweigeteilt: Während der zweite Teil mit dem Bericht des Raphael Hythlodeus sich mit der Schilderung des Gemeinwesens auf der Insel „Utopia“ beschäftigt, gibt sich der erste Teil als Wiedergabe eines Gesprächs zwischen Morus und Hythlodeus, in das die Schilderung eines zwanglosen Tischgesprächs zwischen Hythlodeus, dem Kardinal und Erzbischof von Canterbury, Johannes Morton, und einem Rechtsgelehrten eingebettet ist. Vor allem in diesem Tischgespräch erörtern die Teilnehmer politische Probleme der Zeit in England, und ausgehend von den wirtschaftlichen Schwierigkeiten der Schafzüchter, berührt die Diskussion verschiedene Probleme, wie z.B. die Entstehung von Oligopolen63 und deren Auswirkung auf die Preisentwicklung und der Umgang mit Diebstahl und allgemeinem Sittenverfall64, was zur Frage nach der Moralität des Strafrechts führt65 und auch generelle Kritik am Müßiggang des Adels anklingen lässt.66 Damit gibt Morus dem Leser den Schlüssel zum Verständnis des zweiten Teils in die Hand, da die Organisation des gesellschaftlichen Lebens auf der Insel Utopia Antworten auf diese Probleme in Form eines Gedankenspiels anbietet. Der scheinbar unauflösbaren Gemengelage aus sozialer Ungleichheit und Ungerechtigkeit, herrscherlicher Willkür, Massenverelendung und Kriminalisierung der Unterschichten im England des 16. Jahrhunderts steht so eine Gesellschaft der Gleichheit gegenüber, in der soziale Unterschiede bis an die Grenze der Aufgabe der Individualität eingeebnet sind67, eine demokratisch legitimierte Herrschaft des Fürsten mit einem Parlament aus sogenannten Traniboren Despotie vorbeugen soll68, wirtschaftlicher Dirigismus und rationale Arbeitsorganisation für Vollbeschäftigung und Wohlstand sorgen69, wenige verständliche Gesetze70 ein gerechtes und überschaubares Strafrecht garantieren und das Wirken der Utopier generell auf Übung in der Sittlichkeit ausgerichtet ist.71 Schon in der Struktur des Textes ist damit angelegt, was ich als „Strategie der Verständnishilfen“ bezeichnen möchte, dass nämlich im Text Hinweise auf seine vom Verfasser gewünschte adäquate Deutung eingearbeitet sind. In diesem Sinn lenkt Morus schon im ersten Teil den Blick darauf, dass für ihn Fragen der Staatseinrichtung von besonderem Interesse sind, indem er das Thema in Form einer rhetorischen praeteritio umgeht72 und hebt am Ende seines Werks noch einmal summarisch das für ihn Bedeutsame besonders hervor.73 Die Verständnishilfen, die der Text gibt, weisen dem Leser die Richtung, die er in der Interpretation einschlagen soll und zielen so auf eine Begrenzung des Interpretationshorizontes, was letztlich narrative Vereindeutigung bedeutet.
Morus bedient sich dabei des erzählerischen Kunstgriffs, Hythlodeus progressive Ansichten vorbringen zu lassen, von denen er sich anschließend distanziert, woran sich zwei weitere Erzählstrategien erkennen lassen: Zum einen ist dieses Vorgehen eine geschickte Art, Kritik vorzubringen, ohne sich eine Blöße zu geben, weil nämlich eventuelle Beanstandungen an dem Geäußerten nicht an Morus selbst gerichtet werden können, sondern Hythlodeus verantwortlich gemacht werden muss.74 Die sehr bewusste Rollenverteilung in der Erzählfiktion ist damit ein Beispiel für die „Entschuldigungsstrategie“ , die darauf abzielt, eigene Person und Werk vor Missbilligung zu schützen, wobei ihr als weitere Beispiele auch das Verstecken hinter der Autorität75, Bescheidenheitstopik76 und die Betonung des unernsten Charakters der Utopie77 zugeordnet werden können. Die Entschuldigungsstrategie trägt damit der Tatsache Rechnung, dass Morus als öffentliche Person, dennoch aus untergeordneter Position heraus schrieb und bedenkt man sein trauriges Ende, kann man verstehen, warum er so der Kritik die Schärfe zu nehmen bemüht war.
Gleichzeitig zeigt aber das Bedürfnis, die eigene Person vor Sanktionen schützen zu wollen, dass die Zeitgenossen offenbar nicht zwischen dem realen Autor Morus und der erzählten Figur Morus unterschieden, was freilich Morus selbst durch die Art seiner Gestaltung der Erzählfiktion beförderte. Denn es ist ihm sehr daran gelegen, die Grenzen zwischen Realität und Fiktion zu verwischen, um die Existenz der Insel Utopia möglich erscheinen zu lassen und da Utopia als real existierend vorgestellt werden soll, muss man auch von Raphael Hythlodeus als Reisendem glauben, dass er keine erfundene Figur sei.78 Indem nun Morus in der Vorrede eine reale Briefsituation fingiert, in der er sich an seinen wirklichen Freund, den Stadtschreiber Peter Aegid, wendet und diesem von Hythlodeus berichtet, indem er ihn schließlich auch mit Kardinal Morton, Lordkanzler von England, im Gespräch sein lässt, wertet er ihn zur historischen Person auf und verschafft seinem Bericht Glaubwürdigkeit und das beständige Betonen von Wahrhaftigkeit und Authentizität der Niederschrift79 zielt in die gleiche Richtung, da des Hythlodeus Worte unverfälscht wiedergegeben zu sein scheinen. Die Strategie, Erzähler und Erzähltes mit Glaubwürdigkeit auszustatten, kann als „Glaubwürdigkeitsstrategie“ bezeichnet werden, wobei diese sich aus zwei Komponenten zusammensetzt: Sie bezeichnet zum einen den Umgang des Textes mit der Fiktionalität, die im Falle glaubwürdigen Erzählens nicht als fiktional zu erkennen sein soll, sondern als real existent oder zumindest wahrscheinlich erscheinen soll.80 Zum anderen bezieht sie sich in angelsächsischer Tradition auf die Verlässlichkeit und Aufrichtigkeit der Erzählerfigur81, die durch deren positive Gestaltung angezeigt werden.
Sind die Strategie der Verständnishilfen, die Entschuldigungsstrategie und die Glaubwürdigkeitsstrategie nur durch recht genaue Textanalyse zu erkennen, handelt es sich beim „geordneten Erzählen“ um eine erzählerische Eigenart, die so offensichtlich schon bei oberflächlicher Betrachtung erfasst wird, dass sie fast keiner Erläuterung bedarf. Indem nämlich der zweite Teil des Buches in kleine Kapitel unterteilt wird, von denen jedes sich mit einer utopischen Einrichtung auseinandersetzt, erhält das Werk insgesamt den Charakter einer systematischen, klar gegliederten, übersichtlichen, eben geordneten, theoretischen Abhandlung und ermöglicht dem Leser Orientierung im Textganzen.
Und obwohl Morus um eine lebendige Dialoggestaltung bemüht ist, wie ein recht lebhafter Sprecherwechsel und die Äußerung voneinander abweichender Meinungen durch die Figuren in der Rahmenerzählung zu Beginn des ersten Teils beweisen, wird zum Schluss die Monologartigkeit der Dialoge doch deutlich, wenn man die Redeanteile der Figuren miteinander vergleicht. So gelingt es Hythlodeus sukzessiv, sich das Rederecht zu sichern und seine Redebeiträge bis hin zum völlig monologischen Bericht über die Organisation des Lebens auf der Insel Utopia auszuweiten. Der fließende Übergang von der Dialogsituation zum Monolog mag das Gespräch authentisch wirken lassen, kann aber letztlich nicht verhindern, dass auch der monologische Bericht dazu beiträgt, der Utopie traktathafte Züge zu verleihen.
3.3 ) Utopisches Erzählen bei Campanella
Campanella gestaltet seinen „Sonnenstaat“ als Gespräch zwischen einem Seemann und dem Verwalter eines Klosterhospizes, doch handelt es sich nicht eigentlich um ein Gespräch, sondern um den Bericht des Seemanns über seine Reise zur Insel Taprobane, in welchem dem Klosterbruder nur die Funktion zukommt, seinen Gesprächspartner in kurzen Sätzen dazu aufzufordern, über bestimmte Dinge zu sprechen82 und dessen Ausführungen dadurch Geltung zu verschaffen, dass er sie durch bestätigende Ausrufe unterstützt.83 Weder werden Seemann und Klostervorsteher als Figuren erzählerisch ausgestaltet noch wird die Erzählsituation durch eine Rahmenhandlung eingeleitet und lebendig ausgearbeitet, so dass sowohl die im Vergleich zu Morus unbeholfen wirkende Dialoggestaltung mit deutlich monologhaften Zügen als auch die Zurücknahme erzählerischer Elemente die Aufmerksamkeit des Lesers auf den reinen Bericht lenken, der durch die Erzählaufforderungen des Hospizverwalters im Sinne des geordneten Erzählens gegliedert und durchstrukturiert wird.84 Wie Morus in seiner „Utopia“, so gibt auch Campanella im „Sonnenstaat“ Verständnishilfen: Schon der Titel der italienischen Originalausgabe85 macht deutlich, dass es sich um eine christlich gewendete Utopie handelt, ebenso wie auch der Vorsteher des Klosterhospizes in seiner Eigenschaft als Kleriker die Aussagen des Seemanns immer wieder durch kirchliche Autoritäten absichert86 und gegen Ende des Werks im Hinblick auf ihre religiöse Dimension ausdeutet87 ; dass er den Bericht des Seemannes aber in Übereinstimmung mit den kirchlichen Autoritäten bringt, verhilft diesem aber zu jener Verlässlichkeit, die Teil der Glaubwürdigkeitsstrategie ist, wenn er auch darauf verzichtet durch Glaubwürdigkeitsstrategien den „Sonnenstaat“ als real existent erscheinen zu lassen.
Obwohl sich also auch bei Campanella Verständnishilfen, dialogischer Monolog und geordnetes Erzählen finden lassen, vermeidet er es, sich durch Entschuldigungsstrategien von seinem Werk zu distanzieren, dehnt die Berichtgestaltung des zweiten Teils der „Utopia“ auf sein ganzes Werk aus und bleibt in der erzählerischen Kunstfertigkeit weit hinter Morus zurück.
3.4) Utopisches Erzählen bei Andreae
Verzichtet Campanella sowohl darauf, seine Utopie fiktional zu gestalten als auch darauf, sie historisch glaubhaft erscheinen zu lassen, besteht bei Andreae kein Zweifel, dass es sich um einen fiktionalen Text handelt, denn der Behauptung, man habe es mit der Schilderung einer wahren Begebenheit zu tun88, steht die deutliche Markierung der Fiktionalität entgegen: nicht nur weisen Titel des Buches und Psalm 83, der dem Werk als Motto vorangeht, auf die heilsgeschichtliche Deutung der „Christianopolis“ hin, auch die Zueignung an den lutherischen Reformtheologen Johann Arndt bekundet, dass es Andreae nicht um die Darstellung eines realen Staatswesens, sondern einer Gesinnung zu tun ist89 und vor allem die allegorische Ausgestaltung des ersten Kapitels90 macht unmissverständlich klar, dass der Text übertragen verstanden wissen werden möchte.
Damit werden einerseits Verständnishilfen gegeben, andererseits entfällt für den Verfasser auch die Notwendigkeit, die Utopie historisch glaubwürdig erscheinen zu lassen und nicht der Bericht als solcher muss validiert werden, sondern Andreae bedarf der Überzeugungskraft für sein religiöses Programm, die er sich aber, da vor allem im Vorwort der Erzähler zwischen realem Autor und erzählter Figur oszilliert91, durch Hinweis auf seine persönliche Integrität zu sichern versucht.92 Wenngleich der Bericht also nicht als reales Geschehen verstanden werden kann, erhalten doch zumindest Erzählerfigur und erzählte Figuren diejenige Glaubwürdigkeit, welche den Bericht verlässlich machen. Der religiösen Kontroverse der Zeit entsprechend, in die sich Andreae mit seiner „Christianopolis“ einschreibt93, trachtet auch Andreae danach, sich vor eventuellen Angriffen von theologischer Seite zu schützen, indem er darauf verweist, dass ihm als jungem Mann in der Art und Reihenfolge der Darstellung Fehler unterlaufen sein könnten, die er ihm nachzusehen bitte94, womit er sich geschickt einer Diskussion um theologische Spitzfindigkeiten entzieht, die seit der Reformation die religiöse Landschaft prägte. Es finden sich also auch bei Andreae Entschuldigungsstrategie und Glaubwürdigkeitsstrategie, ebenso die oben erwähnte Strategie der Verständnishilfen, außerdem das geordnete Erzählen in klar gegliederten Kapiteln und die Dialogizität ist zugunsten der reinen Berichtsform fast vollständig aufgegeben worden.
3.5) Utopisches Erzählen bei Bacon
Bacons „Neu-Atlantis“95 unterscheidet sich vor allem durch seine romanhafte Ausgestaltung von den bisher untersuchten Utopien. Natürlich gerät auch hier der Erzähler mit einer Gruppe Reisegenossen durch Seenot in Bedrängnis und es erweist sich die Landung auf der Insel Neu-Atlantis nicht nur als Rettung, sondern auch als willkommene Gelegenheit, mit deren Bewohnern in Austausch über Sitten und Moral zu treten. Sind bei Morus und Andreae Rahmenerzählung und utopischer Bericht voneinander aber klar geschieden, präsentiert sich „Neu-Atlantis“ als zusammenhängende Erzählung, in der berichtende Teile organisch in den Erzählverlauf eingewoben werden, derart, dass sie durch Erzählanlässe erzählerisch motiviert werden.96 Dementsprechend hat das Werk Erlebnischarakter, da Erzählanlässe eine Reihe besonderer Begebenheiten sind, die zum Berichten und Erklären herausfordern97, und entsprechend wichtig ist auch das Gespräch mit Einheimischen als Mittel, Informationen einzuholen. Doch wie auch bei den anderen Utopien, sind die Dialoge ob der einseitig verteilten Redeanteile eigentlich Monologe und die Entscheidung, Informationen dem Erzähler durch verschiedene Figuren98 zukommen zu lassen, führt nicht dazu, sie als Charaktere zu profilieren: Sie bleiben farblos, ohne besondere Wesensmerkmale, charakterlich ununterschieden und teilen auch die gleiche dozierende Erzählhaltung. Auch die natürliche, weil sich an scheinbar zufälligen Erlebnissen des Erzählers ausrichtende Erzählfiktion, kann den lehrhaften Charakter der Ausführungen nicht verdecken und wie auch in den anderen traditionellen Utopien, werden Auskünfte systematisch strukturiert dargeboten. Im stereotypen „Wir haben“99 und sinnverwandten Äußerungen kann man das geordnete Erzählen wiederfinden100 und auch Verständnishilfen werden gegeben: Biblische Motivik, wie der Vergleich der eigenen Rettung aus Seenot mit der des Jona aus dem Walfischbauch101, die Lichtsäule, die den Neu-Atlantaern eine Bibel und den göttlichen Segen sendet und die an die Feuersäule erinnert, durch die Gott den Israeliten beim Auszug aus Ägypten den Weg wies102, die Benennung des „Hauses Salomons“ nach dem biblischen König Salomo, dem Erbauer des ersten Tempels für JHWH, der für seine Weisheit berühmt war und nicht zuletzt die Institution des „Hauses Salomons“, dem Wissenschaftsbetrieb, dessen Bedeutung besonders hervorgehoben wird103 und vom dem explizit gesagt wird, er sei „der Betrachtung und Erforschung der Werke und Geschöpfe Gottes geweiht“104 zeigen, dass wissenschaftliche Empirie mit erbaulicher Gottesschau verbunden werden soll, weil Wissenschaft einen Weg der Gotteserkenntnis darstellt.
Bemerkenswert ist, dass Bacon völlig ohne Entschuldigungsstrategie auskommt, d.h. gänzlich darauf verzichtet, nach Möglichkeiten zu suchen, seine Kritik vorsichtig anzubringen, ohne sich selbst zu belasten. Unbefangen bekennt William Rawley, der Herausgeber von Bacons Schrift, dass es ursprünglich geplant gewesen sei, auch Fragen der „besten Staatsverfassung“ zu erörtern, wovon Bacon nur durch andere, dringendere Arbeiten abgehalten worden sei105, was erstaunt, wenn man bedenkt, wie zurückhaltend Morus mit derlei Andeutungen umgegangen ist. Ebenso sieht Bacon davon ab, der Fiktionalität seines Entwurfs den Anschein von Wirklichkeit zu geben, denn es werden keine Anhaltspunkte wie etwa raum-zeitliche Orientierungspunkte gegeben, welche die Fabel in der Realität verorten helfen und auch der Erzähler tritt nicht hinter dem unbestimmten „Wir“ der Reisegemeinschaft hervor106 und weist keine individuellen Züge auf. Es steht zu vermuten, dass die Zeitgenossen das Werk deswegen als fiktional erkannt haben, was zu der Annahme führt, dass in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts das utopische Gattungsmuster im Bewusstsein der Leser als Methode verankert war, reale Probleme und Anliegen der Zeit im fiktionalen Gewand zu erörtern, so dass für Glaubwürdigkeitsstrategien kein Bedarf mehr bestand.
3.6) Zusammenfassung: Utopisches Erzählen bei den frühneuzeitlichen utopischen Klassikern
Die Formulierung „Bauformen des (utopischen) Erzählens“, die zu Anfang der Untersuchung in Anlehnung an Eberhard Lämmerts Grundlagenwerk „Bauformen des Erzählens“ gewählt wurde, erweist sich als sehr treffend, weil die Suche nach erzähltechnischen Gemeinsamkeiten in den bekannten klassischen Utopien ergeben hat, dass es keine „utopische Erzählmethode“ im Sinne eines verpflichtenden Strategienbestands gibt, sondern ein Sammelbecken verschiedener Erzählstrategien, aus dem sich die Verfasser von Utopien nach Belieben bedienen können. Dabei greifen alle Utopien auf das geordnete Erzählen zurück, um ihre Darstellung logisch und planvoll zu gliedern und bedienen sich einer stark monologhaften Dialoggestaltung. Dass sie alle in ihre Werke Verständnishilfen einarbeiten, zeigt, dass Utopien dem Leser bei der Entschlüsselung der Textaussage Hilfestellung leisten möchten, womit sie sicherstellen, dass der Vergleichspunkt, der alternativen Gesellschaftsentwurf und Kritik an der Gegenwart verbindet, gefunden werden kann.
Darüber hinaus bewahren sich die Utopien aber erzähltechnische Eigenarten und unterscheiden sich vor allem in ihrem Umgang mit der Fiktionalität: So wählt nur Morus die Variante, seine Utopie als real existent erscheinen zu lassen, während die anderen Utopien mit dem Gedanken an das wirkliche Vorhandensein ihrer Staatswesen nur kokettieren und eigentlich deutlich als fiktional zu erkennen sind. Dennoch ist die Glaubwürdigkeitsstrategie dominant, weil zwar nicht jeder Autor ihre beiden Komponenten „Suggestion der Wahrheit des Erzählten“ und „Suggestion der Verlässlichkeit des Erzählers“ umsetzt, aber doch zumindest immer Bestandteile verarbeitet werden und kein Autor so weit geht, mit einem vollkommen unglaubwürdigen Erzähler zu arbeiten. Vorsichtig formuliert kann man sagen, dass Morus mit der „Utopia“ Impulse setzte, welche die anderen Verfasser von Utopien in Teilen aufgriffen, dann aber selbstständig weiterentwickelten. Bei der erzählerischen Ausgestaltung ihrer Texte spielten vermutlich die gesellschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen der Entstehungszeit eine Rolle, wie es etwa plausibel erscheint, dass eine Entschuldigungsstrategie nur dann verwendet wird, wenn der Kontext der Utopie ihren Inhalt als brisant und potentiell gefährlich für das Kritisierte, den Kritisierten und damit für den Kritiker erscheinen lässt. Den Erzählkontext zu rekonstruieren, überschritte jedoch Rahmen und Zielsetzung der Arbeit, die sich vorrangig mit Hesses „Glasperlenspiel“ und Schmidts „Gelehrtenrepublik“ auseinandersetzen möchte. Und obwohl es keine utopische Erzählmethode gibt, die so prominent hervortritt, dass nachklassische Utopienschreiber nicht umhin kommen, auf sie in irgend einer Weise Bezug zu nehmen, so greifen doch auch Hesse und Schmidt auf verschiedene dieser Erzählschemata zurück, wie im weiteren Verlauf der Arbeit zu zeigen sein wird. Dennoch aber ist absehbar, dass die Auseinandersetzung mit der Gattungstradition „Utopie“ sich nicht nur an Erzählstrategien ausrichten, sondern überwiegend auf inhaltlicher Ebene verlaufen wird. Diese wird nun im Folgenden im Mittelpunkt stehen, doch wird auf die erzähltechnische Gestaltung natürlich zurückgekommen werden.
4) Hermann Hesses „Glasperlenspiel“
4.1) Kurzzusammenfassung des Inhalts
Im „Glasperlenspiel“ entwirft Hesse das Bild der zukünftigen Provinz Kastalien, eines elitären Geistesstaats, der zugleich Forschungs- und Bildungseinrichtung ist und der sich inmitten der realen Welt, doch fast vollkommen losgelöst von dieser, der Pflege reiner Geistigkeit widmet. Zugleich schildert er in der Fiktion eines späteren Biographen das Leben des Josef Knecht von seiner Einschulung in einer der kastalischen Eliteschulen als Knabe bis hin zur späteren Übernahme des höchsten kastalischen Amtes des Magister Ludi, dem die Sorge für das Glasperlenspiel anvertraut ist, dem Herzstück Kastaliens, bei dem es sich um die geistige Disziplin, wissenschaftliche Kunst und spirituelle Übung des Zueinander-in-Beziehung-Setzens verschiedener, scheinbar disparater Bildungsinhalte handelt. Nach seinem beispielhaften Aufstieg innerhalb der kastalischen Hierarchie kaum zu Amt und Würden gelangt, beschließt Knecht jedoch, Kastalien zu verlassen und außerhalb Kastaliens als Lehrer und Erzieher des Sohnes seines früheren Schulfreundes zu wirken, eine Aufgabe, in deren Dienst er recht bald tödlich verunglückt. Der Roman, für den Hermann Hesse 1946 den Literaturnobelpreis erhielt und den er liebevoll „meine[/] Utopie“ nannte107, soll nun nach seinen utopischen Zügen befragt werden.
4.2) Utopische Züge im „Glasperlenspiel“
Vielleicht das stärkste Argument dafür, dass Kastalien utopische Züge trägt, ist die eigene Formulierung des Erzählers, Kastalien sei „ein kleiner Staat für sich“108 und eine „Republik der Glasperlenspieler“109, was nichts anderes ist als die utopische civitas, die staatliche oder stadtstaatliche Strukturen aufweist. In den gleichen Zusammenhang lässt sich auch Metaphorik aus dem Gebäude-Bereich einordnen110 und auch der Vergleich Kastaliens mit einem lebendigen Organismus111 kann auf eine lange Tradition von Staat-Körper-Vergleichen in der Staatstheorie zurückgreifen, wenn auch Hesse hier das Bild einer Pflanze und nicht das des menschlichen Körpers wählt.112 Deutlich jedenfalls bezieht sich Hesse mit seiner Wortwahl auf ein klar umgrenztes Gebiet mit einem genau bestimmbaren Volkskörper und weist damit vor allem auf den systemischen Charakter hin, den Utopien allgemein haben113, und den Kastalien wie ein Musterbeispiel zu illustrieren scheint.
Denn schon ein Blick auf die Topographie verrät, dass Kastalien mit der Außenwelt kaum in Verbindung steht. Zwar verweigert Hesse dem Leser Anhaltspunkte, die es ihm gestatteten, das erzählte Geschehen geographisch genau zu verorten und nur Ortsnamen wie „Berolfingen“ und „Mariafels“ erlauben eine grobe räumliche Orientierung und legen den Schauplatz auf den süddeutschen oder schweizerischen Raum fest, wie die Forschung schon verschiedentlich erkannt hat.114 Aber der Leser ist auf genaue Koordinaten auch nicht angewiesen, denn es wird deutlich, woran es Hesse besonders gelegen ist: Der Roman führt den Leser keineswegs in einen großstädtischen Ballungsraum, sondern in die Idylle des „Zaberwaldes“, der, wenn der Landschaftsbeschreibung auch im Roman nur wenig Raum gewährt wird, doch in den Namen der kastalischen Schulen „Eschholz“ und „Waldzell“ stets präsent ist und die Anlagen mit Bäumen umschließt.115 So entsteht vor dem Leser das Bild des Schwarzwaldes, der die kastalischen Siedlungen und die sie umgebenden kleinen Ortschaften zu Inseln in der Waldweite werden lässt116 und der sie von der Mitwelt ebenso trennt wie das Meer die klassischen Utopien vom Festland. Kastalien wird damit zu einer Enklave, unbekümmert neben dem Weltgeschehen herlebend117, aber nicht nur die isolierte Lage lässt Kastalien utopisch erscheinen, sondern auch die symbolische Überformung der Siedlungsanlage. Denn einerseits ist Eschholz symmetrisch um einen Mittelpunkt von fünf großen Bäumen angelegt und bildet das Schulhaus, das vor den übrigen Gebäuden baulich herausgehoben ist, sowohl tatsächlich wie auch übertragen die Eingangspforte zur kastalischen Gemeinschaft118, was zeigt, dass der bauliche Grundriss sinnhaft gedeutet werden kann. Zusätzlich wird aber deutlich, dass die Stationen der Romanhandlung auf ein Zentrum hin ausgerichtet sind, weil Knecht erst vom Weltleben gelöst wird und sein Werdegang ihn von der kastalischen Peripherie der untergeordneten Schulen bis zu seinem Mittelpunkt, dem Glasperlenspiel in Waldzell führt, was sich auch baulich niederschlägt, indem Waldzell mit dem „Vicus Lusorum“119, der von hohen Hecken umgrenzten „kleine[n] Extrastadt der Glasperlenspieler“ innerhalb Waldzells selbst120, einen ideologischen Mittelpunkt erhält, dessen innersten Bezirk der numinose Garten des Magister Ludi darstellt.121 Wie bei den klassischen Utopien sind daher auch im „Glasperlenspiel“ geographische Gegebenheiten, Strukturierung des Raumes und seine landschaftliche Umgebung für die Interpretation bedeutsam.
Mit der klassischen räumlichen Abgeschiedenheit der utopischen Gemeinwesen korrespondiert, dass sie mit anderen Gesellschaftsformen nicht in Austausch treten. Ohne der späteren Auseinandersetzung mit interpretatorischen Streitfragen vorgreifen zu wollen, muss an dieser Stelle doch schon angemerkt werden, dass der Roman diese Isolation problematisiert, wie der Text nicht müde wird, zu betonen.122 So ist gerade darin Knechts persönliches Verdienst zu sehen, dass er den Versuch unternimmt, Kastalien aus seiner Beziehungslosigkeit zur Umwelt herauszuführen, indem er seiner Magisterwürde entsagt und als einfacher Lehrer die kastalischen Werte an den jungen Tito, Sohn seines Schulfreundes Plinio Designori, weitergibt. Deswegen ist Kastalien nur vor Knechts Amtsübernahme wirklich abgeschieden, zu dieser Zeit jedoch dagegen sehr, wie die Tatsache beweist, dass die Kastalier mit den Bewohnern der kleinen Zaberwaldstädtchen wenig Kontakt haben. Zwar herrscht der eigentümliche Brauch, unverbindliche sexuelle Beziehungen zu freizügigen Bürgerstöchtern aufzunehmen, aber nur selten ergeben sich daraus feste Bindungen123 und was beiden Seiten als vorteilhafte Regelung erscheint, ist letztlich nur der Versuch der Utopie, ein Ventil für die erotischen Bedürfnisse der kastalischen Eleven zu finden. Die Gelehrtenrepublik nämlich, die sich die Herausbildung und Vervollkommnung der höchsten Verstandeskräfte vornimmt, erkennt sehr wohl, dass das Triebleben zu den stärksten menschlichen Antriebskräften gehört und deswegen nicht vernachlässigt werden darf, gleichzeitig jedoch sind die Erotik als einzige Leidenschaft, die nur unter großem Leidensdruck kulturell gemaßregelt und überformt werden kann124 und die mit ihr verbundenen Begleiterscheinungen wie Gefühlsaufruhr und Aggression eine große Gefahr für das kastalische Projekt der Vergeistigung und laufen auch generell dem utopischen Rationalismus zuwider. Aus diesem Grund sind die Sexualkontakte zwischen erfahrungshungrigen Kastaliern und lockenden Nicht-Kastalierinnen als Versuch der Utopie zu werten, Sexualität zu kanalisieren. Aber mehr noch als durch diese Tändeleien wird das kastalische Einzelgängertum dadurch illustriert, dass die Einwohner Waldzells zwar stolz sind, eine kastalische Schule und die Einrichtungen des Glasperlenspiels in ihrem Städtchen zu beherbergen, aber deren Strukturen so wenig durchschauen, dass sie kastalische Bezeichnungen verballhornen und aus den Glasperlenspielern, die „Lusores“ genannt werden, „Luser“ machen.125 Das zeigt, wie groß das Bildungsgefälle zwischen Kastaliern und Durchschnittsmenschen ist, darüber hinaus aber werden Assoziationen an das Mittelalter wachgerufen, wo dem lateinkundigen Klerus wegen seiner Sprachkenntnisse und theologischen Bildung die Auslegungshoheit über das biblische Geheimnis vorbehalten war, während die ungebildete Masse der Bauern und Handwerker des Lateinischen nicht mächtig war und solche Sprachverderbnisse hat aufkommen lassen.
[...]
1 Der Briefwechsel ist mit Erklärungen versehen vollständig ediert in: Strick, Gregor (Hrsg.): Arno Schmidt. Briefwechsel mit Kollegen. Frankfurt/Main 2007, S. 54-57.
Nachfolgend zitiert als BA, Briefe V. Seine Wiedergabe bezieht sich auf diese Dokumente. Jeder weitere Briefverkehr Schmidts wird in der analogen wissenschaftlichen Kurzform für die Publikationen der Arno Schmidt Stiftung zitiert.
2 Rundbrief Hesses vom 01.05.1950. In: Ebd., Anhang Dokument 4, S. 392.
3 Brief Arno Schmidts an Hermann Hesse, 22.05.1950. In: BA, Briefe V, S. 56.
4 Ebd. S. 57.
5 Müller, Götz: Gegenwelten. Die Utopie in der deutschen Literatur. Stuttgart 1989, S. 114. Zur Untergattung „Gelehrtenrepublik“ s. Biesterfeld, Wolfgang: Die literarische Utopie. Stuttgart 1982, S. 60ff. Außerdem Ritter, Joachim (Hrsg.): Historisches Wörterbuch der Philosophie. Bd. 3, Basel, Stuttgart 1974, Sp. 262-232. Weitere Beiträge zur Gelehrtenrepublik: Ersch, Johann Samuel; Gruber, Johann Gottfried (Hrsg.): Allgemeine Enzyklopädie der Wissenschaften und Künste in alphabetischer Folge. Bd. 1, Leipzig 1852, S. 423f.; Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm (Hrsg.): Deutsches Wörterbuch. Bd. 5, München 1984, S. 2997.
6 Plener, Peter: Wider das Nichts des Spießerglücks. Zu Begriffen, Theorien und Kennzeichen ( nicht nur) literarischer Utopien. In: Árpád, Bernáth; Hárs, Endre; Plener, Peter (Hrsg.): Vom Zweck des Systems. Beiträge zur Geschichte literarischer Utopien. Tübingen 2006, S. 213.
7 Zu Merkmalen der klassischen Utopien: Biesterfeld, literarische Utopie, S. 15-28. Bei den Detailuntersuchungen zu Hesse und Schmidt wird auf sie ausführlich Bezug genommen werden.
8 Mohl, Robert von: Die Geschichte und Literatur der Staatswissenschaften. Bd. 1, Erlangen 1855.
9 Ders., S. 169f.
1 0 Biesterfeld, literarische Utopie, S. 2.
1 1 von Mohl, S. 194, 198.
1 2 Ders., ebd.
1 3 Biesterfeld, Wolfgang: Utopie und Didaktik. Zur Funktion der Kategorie der Möglichkeit in der Literatur. In: Ders.: Von Fabel bis Fantasy. Gesammelte Aufsätze und Vorträge zur Erzählforschung, Jugendliteratur und Literaturdidaktik. Hamburg 1994, S. 138.
1 4 von Mohl, S. 170.
1 5 Landauer, Gustav: Die Revolution. Frankfurt/Main 1907.
16 Ders., S. 13.
1 7 „Die Utopie ist also die zu ihrer Reinheit destillierte Gesamtheit von Bestrebungen […].“; Ders., ebd.
1 8 Mannheim, Karl: Ideologie und Utopie. Bonn 1929, S. 184f.
1 9 Ders.: Utopie. In: Neusüss, Arnhelm (Hrsg.): Utopie. Begriff und Phänomen des Utopischen. Frankfurt/Main, New York 1986, S. 118f.
20 Ders., Ideologie und Utopie, S. 3f.
2 1 Ders., ebd., S. 6f.
2 2 Ders., ebd.
2
2 3 Ders., Utopie, S. 115f.
2 4 Ders., ebd.
2 5 Es muss an dieser Stelle angemerkt werden, dass Utopie- und Ideologiebegriff bei Mannheim in seinem früher erschienenen Hauptwerk „Ideologie und Utopie“ anders definiert wurden: „Wenn wir in die Vergangenheit zurückblicken, gibt es ein ziemlich zuverlässiges Kriterium dafür, was als Ideologie und was als Utopie anzusehen sei. Das Kriterium für Ideologie und Utopie ist die Verwirklichung.“ (Mannheim, Ideologie und Utopie, S. 182.) Demnach ist Utopie die Geisteshaltung, die im Gegensatz zur Ideologie nie vollständig umgesetzt werden kann (Ders., ebd., S. 172.) und es zeigt sich hier noch deutlicher der Einfluss Landauers, der gerade die Tatsache, dass Utopien nie vollständig umgesetzt werden, als wesentliche Triebkraft zu immer neuen revolutionären Umwälzungen sieht (Landauer, S. 15.). Ich denke, man darf annehmen, dass Mannheim sich in seiner späteren Phase von Landauers Utopiebegriff ein Stück weit emanzipiert hat. Zur Verschiedenheit von Mannheims Utopiebegriffen s. auch Neusüss, Arnhelm: Schwierigkeiten einer Soziologie des utopischen Denkens. In: Ders. (Hrsg.): Utopie. Begriff und Phänomen des Utopischen. Frankfurt/Main, New York 1986, S. 26.
2 6 Bloch, Ernst: Antizipierte Realität. Wie geschieht und was leistet utopisches Denken? In: Villgradter, Rudolf; Krey, Friedrich (Hrsg.): Der utopische Roman. Darmstadt 1973, S. 18.
2 7 Ders., S. 19.
2 8 Ders.,ebd.
2 9 „Der Mensch ist per se ipsum ein reflektierend antizipierendes Wesen.“; Bloch, S. 18; eigene Hervorhebung.
3 0 Brenner, Peter J.: Aspekte und Probleme der neueren Utopiediskussion in der Philosophie. In: Vosskamp, Wilhelm (Hrsg.): Utopieforschung. Interdisziplinäre Studien zur neuzeitlichen Utopie. Bd. 1, Stuttgart 1982, S. 14.
3 1 Bloch, S. 25.
3 2 Ders., ebd.
3 3 Zu den Beiträgen aus dem Umkreis der Frankfurter Schule sei auf Brenner verwiesen, der auch interessante Bemerkungen zur Utopiekritik der 70-er – 80-er Jahre anführt. Generell aber galt das Hauptinteresse der Frankfurter Schule nicht der Utopieforschung (Brenner, S. 27.) und die Utopiekritik wird von Brenner selbst als wenig innovativ bewertet (Brenner, S. 41), so dass mit Rücksicht auf den Umfang der Arbeit auf eine ausführlichere Auseinandersetzung mit diesen Positionen verzichtet werden muss und nur einigen wenigen Seitenbemerkungen Raum gegeben werden kann.
3 4 Hier sei auf den englischen Gleichklang von „Utopie“ und „Eutopie“ hingewiesen; die Vorsilbe „eu“ bedeutet „gut“ im Griechischen; dazu Seeber, Hans Ulrich; Berghahn, Klaus L.: Einleitung. In: Berghahn, Klaus L.; Seeber, Hans Ulrich (Hrsg.): Literarische Utopien von Morus bis zur Gegenwart. Königstein/ Taunus 1983, S. 7.
3 5 Zum Zusammenhang von Utopie und Gewalt: Popper, Karl R.: Utopie und Gewalt. In: Neusüss, Arnhelm (Hrsg.): Utopie. Begriff und Phänomen des Utopischen. Frankfurt/Main, New York 1986,
S. 319f.
3 6 Hölscher, Lucian: Der Begriff der Utopie als historische Kategorie. In: Voßkamp, Wilhelm (Hrsg.): Utopie-Forschung. Interdisziplinäre Studien zur neuzeitlichen Utopie. Bd. 1, Stuttgart 1982, S. 405; Horkheimer, Max: Die Utopie. In: Neusüss, Arnhelm (Hrsg.): Utopie. Begriff und Phänomen des Utopischen. Frankfurt/Main, New York 1986, S. 191; Müller, Gegenwelten, S. 143ff.
3 7 Gnüg, Hiltrud: Der utopische Roman. Eine Einführung. München, Zürich 1983, S. 9.
3 8 Horkheimer, S. 191, 184.
3 9 Müller, Gegenwelten, S. 8, 143; Seibt, Ferdinand: Aspekte und Probleme der neueren Utopiediskussion in der Geschichtswissenschaft. Zum Problem der Utopie in der historischen Fachliteratur 1970-1980. In: Voßkamp, Wilhelm: Utopieforschung. Interdisziplinäre Studien zur neuzeitlichen Utopie. Bd. 1, Stuttgart 1982, S. 109f.
4 0 Mannheim, S. 3.
4 1 Quabbe, Georg: Utopie und Reform. In: Neusüss, Arnhelm (Hrsg.): Utopie. Begriff und Phänomen des Utopischen. Frankfurt/Main, New York 1986, S. 288.
4 2 Freyer, Hans: Die Gesetze des utopistischen Denkens. In: Neusüss, Arnhelm (Hrsg.): Utopie. Begriff und Phänomen des Utopischen. Frankfurt/Main, New York 1986, S. 310; Horkheimer, S. 183.
4 3 Marcuse nach Brenner, S. 25.
4 4 Polack, Fred L.: Wandel und bleibende Aufgabe der Utopie. In: Neusüss, Arnhelm (Hrsg.): Utopie. Begriff und Phänomen des Utopischen. Frankfurt/Main, New York 1986, S. 383f.
4 5 Freyer, S. 312; Polack, S. 365.
4 6 Neusüss, Arnhelm: Hythlodeus oder Die Entbehrlichkeit utopischen Denkens in der Moderne. In: Ders. (Hrsg.): Utopie. Begriff und Phänomen des Utopischen. Frankfurt/Main, New York 1986, S. 465f.
4 7 Marcuse und Habermas bei Brenner, S. 26, 43; ebenso Krysmanski, Hans-Jürgen: Die Eigenart des utopischen Romans. In: Villgradter, Rudolf; Krey, Friedrich (Hrsg.): Der utopische Roman. Darmstadt 1973, S. 276f; Polack, S. 367, Quabbe, S. 286.
4 8 Bloch, S. 22; von Mohl, S. 168.
4 9 Ruyer, Raymond: Die utopische Methode. In: Neusüss, Arnhelm (Hrsg.): Utopie. Begriff und Phänomen des Utopischen. Frankfurt/Main, New York 1986, S. 345f., 349; Schmidt, Burghart: Kritik der reinen Utopie. Eine sozialphilosophische Untersuchung. Stuttgart 1988, Einleitung, S. IX.
5 0 von Mohl, S. 212f.; Swales, Martin: Utopie und Bildungsroman. In: Voßkamp, Wilhelm: Utopieforschung. Interdisziplinäre Studien zur neuzeitlichen Utopie. Bd. 3, Stuttgart 1982, S. 220.
5 1 Quabbe, S. 295.
5 2 Ruyer, S. 339; Ueding, Gert: Literatur ist Utopie. In: Ders. (Hrsg.): Literatur ist Utopie. Frankfurt/Main 1978, S 10.
5 3 von Mohl, S. 212.
5 4 Gustafsson, Lars: Negation als Spiegel. Utopie aus epistemologischer Sicht. In: Voßkamp, Wilhelm (Hrsg.): Utopie-Forschung. Interdisziplinäre Studien zur neuzeitlichen Utopie. Bd. 1, Stuttgart 1982,
S. 283.
5 5 Damit weckt sie ein „‚utopische[s]‛ Bewusstsein“; Krysmanski, S. 267f.; Polack, S. 367.
5 6 Gustafsson spricht von „Generalisation“; Gustafsson, S. 287.
5 7 Ruyer, S. 352.
5 8 Stockinger, Ludwig: Aspekte und Probleme der neueren Utopiediskussion in der deutschen Literaturwissenschaft. In: Voßkamp, Wilhelm: Utopieforschung. Interdisziplinäre Studien zur neuzeitlichen Utopie. Bd. 1, Stuttgart 1982, S. 123f.
5 9 Gnüg, Der utopische Roman, S. 17; „Bekanntlich ist das Inferno bei weitem farbiger, reizvoller darzustellen als das Paradiso.“ Dies., ebd.
6 0 von Mohl, S. 169f.
6 1 Ruyer, S. 339.
6 2 Zum Textmusterwissen in Utopien generell Soeffner, Hans-Georg: Der geplante Mythos. Untersuchungen zur Struktur und Wirkungsbedingung der Utopie. Hamburg 1974, S. 23f., 82f.; Voßkamp, Wilhelm: Narrative Inszenierung von Bild und Gegenbild. Zur Poetik literarischer Utopien. In: Árpád, Bernáth; Hárs, Endre; Plener, Peter (Hrsg.): Vom Zweck des Systems. Beiträge zur Geschichte literarischer Utopien. Tübingen 2006, S. 215.
6 3 Morus, Thomas: Utopia. Stuttgart 2005, S. 29.
6 4 Ders., S. 24, 27.
6 5 Ders., S. 32f.
6 6 Ders., S. 25.
6 7 Ders., S. 63, 66f, 71f.
6 8 Ders., S. 65f.
6 9 Ders., S. 61, 67f, 80.
7 0 Ders., S. 109f, 111f.
7 1 Ders., S. 68f., 78, 88f.
7 2 „Vielleicht werde ich andernorts einmal Gelegenheit finden, vor allem das zu erzählen, was nützlich zu wissen ist; dazu gehört vor allem, was er an trefflichen und klugen politischen Maßnahmen bei allerhand gesitteten Völkern wahrgenommen hat.“; Ders., S. 19.
7 3 „Als Raphael so erzählt hatte, kam mir vielerlei in den Sinn, was mir an den Sitten und Gesetzen jenes Volkes überaus sonderbar erschienen war: nicht nur in der Methode ihrer Kriegführung, im Gottesdienst, in der Religion und noch anderen ihrer Einrichtungen, sondern vor allem auch in dem, was die eigentliche Grundlage ihrer ganzen Verfassung ist, nämlich in ihrem gemeinschaftlichen Leben und der gemeinschaftlichen Beschaffung des Lebensunterhaltes ohne allen Geldverkehr.“; Ders., S. 147.
7 4 Ders., z.B. ebd.
7 5 Was der Kardinal bei Tisch an Hythlodeus Rede nicht tadelt, muss auch ein Geringerer nicht anstößig finden; Ders., S. 24.
7 6 „Büchlein“, „fast schäme ich mich“, Ders., Vorrede, S. 9.
7 7 Ort der Utopie ist bei Morus die „akademische Spekulation“; die Welt wird mit dem Theater verglichen, in dem Menschheitsgeschichte und Politik als Tragödie und Komödie zur Aufführung gelangen; Ders., S. 49f.
7 8 Dazu auch Neusüss, Hythlodeus, S. 449.
7 9 Morus, S. 9ff.
8 0 Sprechende Namen wie „Raphael“ („Gott heilt“) und „Utopia“ („Nicht-Ort“, bzw. „guter Ort“) sind für den Gebildeten als solche zu erkennen und konterkarieren natürlich diese Absicht.
8 1 Zum „unreliable narrator“ s. Chatman, Seymour: Story and discourse. Narrative structure in fiction and film. Oxford 1978, S. 233f.
8 2 Z.B.“ Berichte nun über den Wahlmodus, wonach die Amtspersonen gewählt werden!“; Campanella, Thomas: Der Sonnenstaat. Idee eines philosophischen Gemeinwesens. Berlin 1955, S. 42.
8 3 Z.B. „Oh, wie trefflich sie argumentieren!“; Ders., S. 105; „Welch nützliche Mittel und wie weise angewandt!“; Ders., S. 108.
8 4 Der Hausvater erfüllt in besonderem Maße das Orientierungsbedürfnis des Lesers, indem er zunächst einen Überblick über die Fragen gibt, die er stellen wird, bevor er sich Einzelfragen zuwendet, z.B. „Erzähle nun bitte vom Kriegswesen! Ferner von ihren Künsten, ihrer Lebensweise, von ihren Wissenschaften und von ihrer Religion.“; Ders., S. 62.
8 5 „La città del sole. Dialogo di Repubblica nel quale si dimostra l´idea di riforma della Repubblica cristiana conforme alla promessa da Dio fatta alle Sante Caterina et Brigida.“; zu Deutsch: „Der Sonnenstaat. Dialog über den Staat, in welchem sich die Idee der Reform des christlichen Staates bewährt, in Übereinstimmung mit dem Versprechen, das Gott der heiligen Katharina und Brigitte gegeben hat.“
8 6 Z.B. „Das scheint der heilige Augustinus gesagt zu haben.“; Campanella, S. 40; „Der heilige Clemens von Rom sagt […]. Und Tertullian stimmt der Glosse zu und sagt […].“; Ders., S. 61.
8 7 „Wahrhaftig, diese Leute, die nichts anderes als das Naturgesetz kennen, kommen dem Christentum erstaunlich nahe, das übrigens dem Naturgesetz nichts hinzugefügt hat außer den Sakramenten […] – und dies ist für mich ein schlagender Beweis, dass die christliche Religion die einzig wahre ist […].“; Ders., S. 102.
8 8 Andreae, J.V.: Christianopolis. Stuttgart 1996, S. 14.
8 9 In diesem Sinn erscheint die Utopie auch im Vorwort als Aufforderung zur Introspektion ( „[…]- was soll uns hindern, nicht wenigstens in uns selbst […] die Laster auszureißen, die Tugenden zu pflanzen und uns unserem Christus enger zu verbinden […]?“; Ders., Vorwort, S. 12.) und der Hinweis, den erdachten Christenstaat im eigenen Körper wiederzufinden („Als Beispiel für solche innere Sicherheit des Christen siehst du nun hier, mein bester Leser, diesen neuen Staat, den ich den von Christianopolis zu nennen beliebte. […] Und wen du meinen schwachen Körper für diesen Staat hältst, rätst du nicht allzu weit von der Wahrheit fort.“; Ders., ebd., S. 13.), zeigt den Staat als corpus christianum und lässt die Vorstellung von einer Entsprechung von Makrokosmos und Mikrokosmos anklingen.
9 0 Der Reisende, der während einer Fahrt auf dem „Akademische[n] Meer“ mit dem „Schiff der Phantasie“ in den „widrige[n] Stürmen des Neids und der Verleumdungen“ Schiffbruch erleidet ( Ders., S. 20) und auf der Insel Capharsalama strandet.
9 1 Der Ich-Erzähler ist gleichzeitig der Verfasser der Widmung an Arndt und der Rosenkreuzerschriften sowie erlebendes Ich des fiktionalen Reiseberichts, das sich dagegen verwahrt, seinen Erlebnissen als erfunden zu misstrauen; dazu Ders., Vorwort, S. 11f., 14.
9 2 Als erzählendes Ich verteidigt Andreae den Geist seiner „Fama Fraternitatis“, wenn er auch die Verfasserschaft nicht eingesteht; dazu Ders., ebd., S. 11f. Als erlebendes Ich muss er sich drei Charakterprüfungen unterziehen, bevor er Christianopolis betreten darf und stellt auch sonst immer wieder seine christliche Gesinnung und sein vorbildhaftes Wesen unter Beweis; zu den Prüfungen Ders., S. 21-25.
9 3 Tatsächlich stellt er seinen Staatsentwurf zur Diskussion und sucht den Diskurs der Aufrichtigkeit, der sich von der kritisierten religiösen Heuchelei der Zeitgenossen absetzt; Ders., Vorwort, S. 14.
9 4 Ders., S. 140.
9 5 Bacon, Francis: Neu-Atlantis. Stuttgart 2003.
9 6 Beispielsweise wird angelegentlich eines Familienfestes die Gelegenheit ergriffen, vor dem Leser Familienstrukturen und Familienleben der Neu-Atlantaer (Ders., S. 31-35.) auszubreiten und eine Audienz bei einem „Vater des Hauses Salomon“ leitet Ausführungen zum Wissenschaftssystem der Insel ein; Ders., S. 40-58.
9 7 Z.B. „Eines Tages geschah es, dass zwei von uns zu einem so genannten „Familienfest“ eingeladen wurden. […].“; Ders., S. 31; „Wenige Tage später wurde ich freundschaftlich bekannt mit einem Kaufmann der Stadt namens Joabin. […].“; Ders., S. 35.
9 8 Der Vorsteher des Fremdenhauses (Ders., S. 15.), der jüdische Kaufmann Joabin (Ders., S. 35.), der Vater des Hauses Salomon; Ders., S. 42.
9 9 Ders., z.B. S. 43.
1 00 Unterstützt wird dieser Eindruck durch eine einleitende gliedernde Übersicht über die Punkte, die der Vater des Hauses Salomon im Folgenden ansprechen möchte: „Damit du, mein Sohn, darüber völlige Aufklärung erhältst, werde ich folgendermaßen vorgehen: zuerst werde ich dir den Zweck unserer Gründung auseinandersetzen, zweitens die Vorrichtungen und Mittel, die uns für unsere Arbeit zur Verfügung stehen, drittens die verschiedenen Obliegenheiten und Funktionen, die unseren Mitgliedern zugewiesen sind, und viertens die Weihen und Zeremonien, die bei uns üblich sind.“; Ders., S. 43.
1 01 Jona 2, 1-12; Bacon, S. 12.
1 02 Ders., S.16ff. Vgl. Ex 13,21-22.
1 03 Ders., S. 27.
1 04 Ebd.
1 05 Rawley, An den Leser, in Bacon, S. 3.
1 06 Z.B. „Wir fuhren von Peru ab, wo wir ein volles Jahr zugebracht hatten. China und Japan waren unser Ziel. […].“; Bacon, S. 5.
1 07 Brief an Walter Schädelin, 13. 08.1938, Hermann-Hesse-Editionsarchiv Volker Michels, Offenbach/Main, unediert. An dieser Stelle möchte ich mich herzlich bei Herrn Michels bedanken, der mir großzügig unedierte Briefe und Aufsätze zur Verfügung gestellt und trotz seiner vielfältigen Verpflichtungen Zeit für ein Gespräch gefunden hat. Wenn meine Deutung von Hesses Schreibstil auch vermutlich seinen Widerspruch herausfordern würde, so sind doch seine Freundlichkeit und das mir von ihm entgegengebrachte Vertrauen der schönste Beweis für den Wert von Hesses Werken.
1 08 Hesse, Hermann: Das Glasperlenspiel. In: Michels, Volker (Hrsg.): Hermann Hesse. Sämtliche Werke. Bd. 5, Frankfurt/Main 2001, S. 210. Alle folgenden Verweise auf das „Glasperlenspiel“ werden von nun an in der wissenschaftlich üblichen Kurzform angegeben: Sämtliche Werke 5.
1 09 Sämtliche Werke 5, S. 201, auch S. 210.
1 10 „Bau“, „Prachtbau“, „Gebäude“, „Grundmauern“; ebd., S. 326.
1 11 Ebd., S. 319f.
1 12 „[…] weiß er [der Kastalier; S.R.] sich als Blatt, als Blüte, Zweig oder Wurzel einem lebenden Organismus angehören […]?“; ebd.
1 13 System stark vereinfacht aufgefasst als Differenz von Systeminneren und seiner davon abgegrenzten Umwelt; dazu Reinhold, Gerd (Hrsg.): Soziologie-Lexikon. München, Wien 2000, S. 669.
1 14 Hier spielen vermutlich klangliche Ähnlichkeiten mit real existierenden Ortschaften sowie die typisch süddeutsch-katholische Marienverehrung eine Rolle, vgl. Sindelfingen, Böblingen, Esslingen, Memmingen u.a. Zu den Schauplätzen im „Glasperlenspiel“ auch Pfeifer, Martin: Hesse-Kommentar zu sämtlichen Werken. Frankfurt/Main 1990; Einträge: „Zaberwald“, S. 288; „Eschholz“, S. 289; „Hirsland“, S. 293; „Mariafels“, S. 294.
1 15 Sämtliche Werke 5, S. 57; auch S. 113, weil der Ältere Bruder nur einen halben Tag Fußreise von Waldzell entfernt wohnt.
1 16 Entsprechend wird Knechts Freund Tegularius auch als „kastalischer Insulaner“ bezeichnet; ebd., S. 178.
1 17 Interessanterweise wird die Raumgestaltung auch im Bambusgarten des Älteren Bruders aufgegriffen, der inmitten des Waldes, von diesem nur durch ein selbst gepflanztes Bambusgehölz getrennt, als Mitteleuropäer einsiedlerisch auf engstem Raum das Leben eines Chinesen lebt und damit den Hermetismus Kastaliens spiegelt und steigert: Er sucht nicht einmal mehr den Kontakt zu wenigen Gleichgesinnten, sondern ist sich selbst eine Welt; ebd., S. 111ff.
1 18 Nicht umsonst liegen mit Rasen und Schwimmbassins Gemeinschaftsplätze im Mittelpunkt der Anlage. Zu Eschholz s. ebd., S. 57.
1 19 Ebd., S. 76.
1 20 Ebd.
1 21 Zur Symbolik im „Glasperlenspiel auch Horváth, Géza: Utopie der geistigen Elite in Hermann Hesses Roman „Das Glasperlenspiel“. In: Bernáth, Árpád; Hárs, Endre; Plener, Peter (Hrsg.): Vom Zweck des Systems. Beiträge zur Geschichte literarischer Utopien. Tübingen 2006, S. 152.
1 22 Sämtliche Werke 5, S. 84, 119, 132f., 169, 174, 247, 250, 284f.
1 23 Ebd., S. 98.
1 24 Man denke etwa an den Minnesang.
1 25 Sämtliche Werke 5, S. 75.
- Arbeit zitieren
- Sonja Riedel (Autor:in), 2008, Utopie als alternative Ordnung - Hermann Hesses "Glasperlenspiel" und Arno Schmidts "Gelehrtenrepublik" vor dem Hintergrund der Gattung "Utopie", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/115127
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