Das Nibelungenlied als Instrument der Nationalsozialisten. Untersuchung der politischen Vereinnahmung des Epos


Hausarbeit, 2021

17 Seiten, Note: 1,3

Anonym


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

I. Einleitung

II. Die Dolchstoßlegende in der historischen Betrachtung
a. Die Dolchstoßlegende in Bezugnahme auf das Nibelungenlied
b. Der Mord an Siegfried im Nibelungenlied

III. Die Stalingrad-Rede Hermann Görings
a. HistorischerRückblick
b. Bezug zum Nibelungenlied

IV. Fazit

V. Literaturverzeichnis

VI. Anhang

I. Einleitung

Das Nibelungenlied ist um die Jahrhundertwende vom 12. Jahrhundert zum 13. Jahrhundert entstanden und von einem unbekannten Dichter verfasst worden. Das Lied erzählt eine Geschichte, die auf Erzähl stoffen beruht, welche zum Zeitpunkt der Entstehung bereits mehrere Jahrhunderte alt waren.1 Trotz der Zeitlosigkeit der Handlung, welche keinen nationalen Bezug herstellen lässt, sind es vor allem die Figuren des Nibelungenliedes, welche den Deutschen im Verlauf des 18. und 19. Jahrhunderts einen Anhaltspunkt in der Suche nach einer eigenen Identität geben.2 Diese Figuren verkörperten in der damaligen Auffassung die Tugenden der Deutschen, welche nach dem Nationalepos ihres Landes suchten, welches andere Nationen bereits besaßen. In der Zeitschrift Eunomia wird bereits im frühen 18. Jahrhundert vom ältesten und fast einzigen National-Epos der Deutschen gesprochen und das Nibelungenlied als „deutsches Ilias“ bezeichnet.3 Die Identifikation nimmt stetig zu, sodass schon bald die Wahrnehmung des Nibelungenlieds in der Öffentlichkeit, beispielsweise der nationalen Kunst, zunimmt. Dies zeigt beispielsweise die Oper Richard Wagners „ Der Ring der Nibelungen“. Zeitgleich nimmt aber auch die Ablehnung des Enthusiasmus für die Nibelungen zu.4 Doch mit dem wachsenden Patriotismus der Deutschen durch die Gründung des Kaiserreichs im Jahr 1871, wuchs auch das Bedürfnis nach einer Tradition des neuen Reichs, um das Land zu vereinen und um eine gemeinsame Identität finden zu können. Ein nationaler Mythos war daher notwendig, weshalb auf das Nibelungenlied zurückgegriffen wurde.5 Aus diesem Grund kam es zu einer Politisierung und Instrumentalisierung des Nibelungenlieds, die sich durch das Kaiserreich bis in die Zeit der Weimarer Republik und schließlich die Zeit des Nationalsozialismus hindurch zog. Diese Vereinnahmung durch die Politik, genauer die Politik der Nationalsozialisten, soll Gegenstand der nachfolgenden Untersuchung sein. Betrachtet werden insbesondere zwei wesentliche Bezugnahmen der Nationalsozialisten auf das Nibelungenlied, die Dolchstoßlegende mit einer kurzen Erwähnung der Nibelungentreue und die Stalingrad-Rede von Hermann Göring im Jahr 1943. Für diese wissenschaftliche Arbeit ist hierbei von Interesse, wie die Nationalsozialisten dabei Bezug zum Nibelungenlied genommen haben. Begonnen wird mit der Dolchstoßlegende.

II. Die Dolchstoßlegende in der historischen Betrachtung

„Die Dolchstoßlegende, wie man die Behauptung genannt hat, das vom Feind unbezwungene Heer sei durch die Revolution in der Heimat gemeuchelt worden, ist eine neue Wendung des auf den Deutschen liegenden Nibelungenfluchs.“6

Nachdem das Deutsche Reich am 9. November 1918 mit der Kapitulation die Niederlage im Ersten Weltkrieg einräumen musste, begann schnell die Suche nach einem Grund. Schon nach kurzer Zeit kam in deutschnationalen Kreisen eine Erklärung auf: Das Heer sei von der Heimat nicht gestärkt worden und diese habe die Armee gar verraten.7 Schon am 17. Dezember des Jahres der Kapitulation erschien eine Zusammenfassung zweier Zeitungsartikel des englischen Generals Sir Frederick Maurice, welche den Kollaps der deutschen Armee zum Thema hatte, in der Neue Zürcher Zeitung. Diese Zusammenfassung stammte von einem unbekannten Autor und besagte, dass die deutsche Armee von der Zivilbevölkerung von hinten erdolcht worden sei.8 Irrtümlicherweise wurde dabei der Eindruck erweckt, dassjenes Zitat vom General selbst stammte, nicht vom anonymen Autor. Insbesondere aufgrund der Tatsache, dass ein britischer General anerkannte, dass das Heer des deutschen Reichs nur durch einen Hinterhalt und nicht im Kampf selbst zur Niederlage gezwungen werden könne, kam es in rechtsnationalen Kreisen schnell zu einer Akzeptanz dieser Theorie.9

Aufgegriffen wurde dieser Artikel unter anderem durch Paul von Hindenburg, welcher am 18. November 1919 eine Stellungnahme zur Niederlage vor dem Untersuchungsausschuss der Verfassungsgebenden Nationalversammlung im Reichstag darlegte. Dabei begründete er die Niederlage ebenfalls mit dem angeblichen Verrat der Heimat am deutschen Heer. Dies legte Hindenburg auch einer Menschenmenge bei seiner Ankunft dar. Flotte und Heer seien durch Revolutionen zersetzt worden, obwohl sie im Felde unbesiegt seien. Er fuhr fort mit den Worten: „Die deutsche Armee ist von hinten erdolcht worden.“10 Diese Stellungnahme wurde vom deutschnationalen Politiker Karl Helfferich und von Ludendorff verfasst. Da Paul von Hindenburg in der Bevölkerung ein großes Ansehen genoss und teilweise gar als,, Ersatzkaiser“ betitelt wurde, war seine Aussage vor dem Untersuchungsausschuss für viele seiner Anhänger durchaus glaubwürdig.11 Die deutsche Bevölkerung war für diese Aussagen sehr anfällig, da dieses durch gezielte Propaganda im Herbst 1918 an einen schon baldig bevorstehenden Sieg glaubte und von der plötzlichen Verkündung des bevorstehenden Waffenstillstandes äußerst überrascht wurde. So wurde durch die oberste Heeresleitung OHL nur von Erfolgen gesprochen, sowohl beim Kriegsgeschehen als auch bei der Versorgung für die hungernde Bevölkerung, die sich baldig durch Getreide aus den eroberten Gebieten an der Ostfront verbessern sollte.12 Die tatsächliche Situation war jedoch zu diesem Zeitpunkt bereits aussichtslos, dies war auch der OHL bewusst. Ludendorff sprach am 1. Oktober 1918 gegenüber dieser bereits davon, dass die endgültige Niederlage wohl unvermeidbar bevorstünde.13

Erstmaligen Bezug auf das Nibelungenlied erfährt die Legende vom Dolchstoß durch Paul von Hindenburg im Jahr 1920, welcher die literarische Parallele bewusst in seine Memoiren aufnimmt. Er erklärt die Niederlage des Deutschen Reiches mit einem Vergleich zum Mord an Siegfried durch Hagen, wie es das Nibelungenlied schildert.

„Wie Siegfried unter dem hinterlistigen Speerwurf des grimmen Hagen, so stürzte unsere ermattete Front; vergebens hatte sie versucht, aus dem versiegenden Quell der heimatlichen Kraft neues Leben zu trinken.“14

Das Deutsche Reich nimmt dabei die Rolle des Siegfried ein, Hagen die der Linken und Sozialdemokraten, die ihm in den Rücken fielen.15 Ihre Parallele hat die Dolchstoßlegende demzufolge im Nibelungenlied. Dieses verkam im frühen 20. Jahrhundert „zum Steinbruch politischer Mythen“ und wurde damit für politische Zwecke missbraucht.16 Textpassagen, die für diejeweilige politische Situation passend erschienen, wurden aus dem Kontext des Liedes isoliert und für die eigene Argumentation angepasst verwendet.

Als Exkurs für weitere politische Vereinnahmungen des Nibelungenlieds für politische Zwecke kann als Beispiel die Nibelungentreue herangezogen werden. Bernhard von Bülow erwähnt diesen Begriff erstmalig und beschreibt damit im Jahr 1909 das Bündnis zwischen dem Deutschen Reich und Österreich-Ungarn.17 Die Nibelungentreue erfährt im Verlauf der beiden Weltkriege eine negative Wertung, da der Begriff missbraucht und sinnentfremdet wird. Die Bedeutung wird heute als eine bedingungslose Treue beschrieben, die zu keiner Zeit hinterfragt wird und schließlich im Untergang endet.18

Auch im Bereich der Kriegsführung werden im Ersten Weltkrieg Termini verwendet, die eine starke Analogie zum Nibelungenlied aufweisen. So wird beispielsweise eine neue Defensivstellung des deutschen Heeres an der Westfront gegen Frankreich, genauer am Chemin des Dames, als „ Siegfriedlinie “ benannt. Der Grund für diese Namensgebung ist, dass den Soldaten eine Identifikation mit Siegfried und seiner Unbesiegbarkeit ermöglicht werden und somit die Moral des Heeres wieder stärken sollte.19 Somit zeigt sich, dass das Nibelungenlied sowohl vor den Weltkriegen als auch danach ideologisiert wurde, um damit politische und kriegswichtige Argumente zu schaffen, um die verfolgten Ziele erreichen zu können.

Ebenjene terminologische und politische Vereinnahmung erfährt das Nibelungenlied auch durch die Dolchstoßlegende. Paul von Hindenburg, der Vorsitzende der Obersten Heeresleitung führt die Analogie wie zuvor, als ganze Stellungen des Heeres durch ihre Namensgebung mit dem Nibelungenlied in Zusammenhang gebracht wurden, weiter. Dieser Versuch einer Erklärung durch den ranghöchsten Vorsitzenden der Armee des Deutschen Reiches verbreitete sich schnell innerhalb der Bevölkerung und wurde schon nach kurzer Zeit zu einer gängigen Darlegung für die Niederlage.20 Demzufolge habe die Heimatfront versagt, dem Heer die nötige Kraft und Rückenstärkung zu verleihen und sei diesem somit in den Rücken gefallen.

II. a) Die Dolchstoßlegende in Bezugnahme auf das Nibelungenlied

Interessant an der weiteren Darlegung durch andere Zeitgenossen ist der Umstand, dass ein wesentlicher Aspekt der Dolchstoßlegende unter Bezugnahme auf das Nibelungenlied verschoben wird. Im Laufe der Zeit wird die Abweichung vom Speer zum Dolch zur gängigen Variante der Dolchstoßlegende. Nicht durch den Speer, wie Siegfried durch Hagen eigentlich getötet wird, sondern durch einen Dolch sei das Heer hinterrücks verraten worden.21 Eine Erklärung für diese wohl absichtliche Abweichung, welche sich im Laufe derZeit durchgesetzt hat, lässt sich durch den Charakter des Dolches begründen: Er ist als eine sprichwörtliche Meuchelwaffe bekannt, welche gut verborgen werden kann.22 Durch diese Abweichung erfährt die Dolchstoßlegende eine noch negativere Konnotation des angeblichen Täters, welcher somit als noch heimtückischer dargestellt werden kann, denn er fällt dem Heer nicht nur in den Rücken, sondern erdolcht ihn zugleich auf eine unehrenhafte Weise.23 Eine „Speerwurflegende“24 wäre an Intensität und Niedertracht weniger brauchbar für politische Zwecke gewesen und wurde deshalb niemals als solche bezeichnet oder verwendet.25 Die bewusste Abwandlung vom Speer auf den Dolch zeigt deutlich die politischen Hintergedanken, die auf eine bewusste negative Konnotation der Gegner abgezielt hat.

[...]


1 d,S.10.

2 Ebd. S.115.

3 Ebd„ S.116.

4 Ebd„ S.120.

5 Ebd.,S.122.

6 Münkler, Herfried, Die Deutschen und ihre Mythen, Berlin 2009, S.97.

7 Groß, Gerhard, Das Ende des Ersten Weltkriegs und die Dolchstoßlegende, Ditzingen 2018, S.128.

8 Ebd.

9 Ebd„ S.128f.

10 Groß, Gerhard, Das Ende des Ersten Weltkriegs und die Dolchstoßlegende, Ditzingen 2018, S.130.

11 Vgl. Groß, Gerhard, Das Ende des Ersten Weltkriegs und die Dolchstoßlegende, Ditzingen 2018, S.130.

12 Ebd„ S.132.

13 Ebd„ S.133.

14 Zit. nach: Heinzle, Joachim, Die Nibelungen. Lied und Sage, Darmstadt 2005, S.128.

15 Groß, Gerhard, Das Ende des Ersten Weltkriegs und die Dolchstoßlegende, Ditzingen 2018, S.134.

16 Zit. nach: Heinzle, Joachim, Die Nibelungen. Lied und Sage, Darmstadt 2005, S.128.

17 Miedema, Nine, Einführung in das „Nibelungenlied“, Darmstadt 2011, S.126.

18 Ebd.

19 Ebd., S.127

20 Ebd.

Ende der Leseprobe aus 17 Seiten

Details

Titel
Das Nibelungenlied als Instrument der Nationalsozialisten. Untersuchung der politischen Vereinnahmung des Epos
Hochschule
Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt
Note
1,3
Jahr
2021
Seiten
17
Katalognummer
V1151347
ISBN (eBook)
9783346545695
ISBN (Buch)
9783346545701
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Nibelungenlied, Nationalsozialismus, Politsche Vereinnahmung, ÄdL, Mediävistik, Geschichte, Dolchstoßlegende, Göring, Stalingradrede, Ältere Deutsche Literatur, Germanistik
Arbeit zitieren
Anonym, 2021, Das Nibelungenlied als Instrument der Nationalsozialisten. Untersuchung der politischen Vereinnahmung des Epos, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1151347

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