Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Männlichkeit heute
2. Geschlecht und Peerkultur
2.1. Geschlecht als Projekt
2.2. Peers und Peer-Groups
3. Konstruktion von Männlichkeit
4. Männlichkeit(en)
5. Fazit
6. Literaturverzeichnis
1. Männlichkeit heute
Männlichkeit ist immer wieder und immer öfter Thema in öffentlichen Diskursen. Vor allem in der gegenwärtigen Me-too -Debatte geistert das Schlagwort toxic masculinity umher. Ein anderer Aspekt, der auch unter diesem Begriff diskutiert wird, ist die Abwertung und Ablehnung von Weiblichkeit bei und von Männern. In den Gender Studies wird dieses Phänomen auch unter den Begriffen Transmisogyny 1 und Femmephobia 2 verhandelt.
Auf der Suche nach dem Ursprung dieses Phänomen muss ein Blick in die Konstruktion von Männlichkeit an sich geworfen werden – vor allem zum Zeitpunkt der Kindheit und Jugend, wenn sich die männliche Geschlechtsidentität formt. In der Forschung von Michael Meuser stand dabei vor allem die selbstgefährdende Körperkultur von Jungen im Zentrum. Jedoch spricht er nebenher auch von der Abwertung von Weiblichkeit innerhalb dieses Prozesses an.3 Das Phänomen bedarf also weiterer Untersuchung. Insgesamt stellt sich die Frage, welche Bedeutung die Ablehnung, sowie Abwertung, von Weiblichkeit in der Konstruktion eigener Männlichkeit in geschlechtshomogenen Peergroups bei Jugendlichen hat.
Zur Beantwortung der Frage muss zuerst grundsätzlich geklärt werden, in welchem Zusammenhang Geschlecht und Peer-Kultur stehen und wie beides in diesem Kontext zu verstehen ist. Danach steht die Behandlung der obigen Frage im Zentrum, die sich einerseits als Frage nach der Funktion innerhalb der Konstruktion und andererseits als Frage nach dem Telos der Abwertung von Weiblichkeit behandeln lässt. Beide Aspekte müssen im Folgenden betrachtet werden, um die Frage der Arbeit vollständig beantworten zu können. Methodologisch muss schließlich noch gesagt werden, dass in dieser Arbeit keine eigene empirische Untersuchung unternommen wurde, sondern die theoretische Konzeption von Männlichkeit betrachtet wird unter der Zuhilfenahme schon existierenden und durchgeführten empirischen Befragungen und Analysen.
2. Geschlecht und Peerkultur
Die Jugend ist für Kinder der Übergang zum Erwachsenwerden und damit verlassen sie – in Bezug auf Sexualität und geschlechtlicher Identität – den geschützten Raum der Kindheit und müssen sich in die Praktiken der Erwachsenenwelt einüben. Die Gleichaltrigengruppe dient dabei als Kontrollinstanz sozialer Praktiken und das jugendliche Individuum ist somit ständig in einer kontrollierenden sowie kontrollierten Position und lernt Handlungen und Ausdrucksweisen – eigene und die anderer – auf ihre gesellschaftliche Angemessenheit bezüglich Alter, Geschlecht und weiterer Kategorien zu beurteilen.4 Zur Untersuchung der Frage dieser Arbeit ist eine allgemeine Betrachtung des hohen Stellenwerts der Dynamiken innerhalb Jugendgruppen nicht ausreichend, stattdessen sollen im Folgenden die Begriffe ‚Geschlecht‘, sowie ‚Peer-Group‘ genauer behandelt werden.
2.1. Geschlecht als Projekt
Geschlecht wird in den verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen aus unterschiedlichen Perspektiven betrachtet und daher gibt es kein allgemeines, grundsätzlich disziplin-übergreifendes Verständnis von Geschlecht. Aufgrund der Fragestellung eignet sich in dieser Arbeit nur eine Betrachtung von Geschlecht als sozialer Konstruktion.5 Dabei werden Menschen spätestens bei ihrer Geburt auf Grund körperlicher Beschaffenheiten (zum Beispiel dem Vorhandensein eines Penis) einem von zwei Geschlechtern zugewiesen. Die gesamte gesellschaftliche Ordnung basiert auf dieser binären Matrix, die durch die Begriffe ‚Mann‘ und ‚Frau‘ geschaffen wird.6 Ähnlich wie Judith Butler begreift Raewyn Connell Geschlecht als durch die menschlichen Handlungen konstituiert und innerhalb eines heterosexuellen Rahmens verordnet. Connell bezeichnet mit ihrem Konzept von Geschlechterprojekten, Geschlecht als einen zeitlichen Prozess in der durch Handlungen und andere Praktiken ein Entwurf oder eine Projektion in eine Geschlechterstruktur gewandelt wird.7
Des Weiteren soll an dieser Stelle angemerkt sein, dass diese Perspektive auf Geschlecht selbstverständlich kulturell dependent ist und die Arbeit vor allem das Mehrheitsgeschehen in europäischen, beziehungsweise westlichen, und vornehmlich weißen (verstanden als soziale Kategorie) Gesellschaften betrachtet.
2.2. Peers und Peer-Groups
Das angemessene Ausleben der zugewiesenen Geschlechterrolle unterliegt ständiger Überprüfung durch die Peer-Group.8 Zur Peer-Group gehören dabei vor allem gleichaltrige Jugendliche, die Zeit miteinander verbringen – sei es in unfreiwilliger Konstellation in der Schule oder in freiwilliger Konstellation in der Freizeit der Jugendlichen. Die Peer-Group ist der Ort, an dem gemeinsame Konstruktion männlicher Geschlechtsidentität passiert. Diese funktioniert dabei nie kontextlos und unabhängig, sondern die Gruppe beeinflusst das Individuum und das Individuum wirkt auf die Handlung der Gruppe ein.9 Natürlich kommen dabei auch von außen Einflüsse, die bestimmte Mechanismen innerhalb des Konstruktionsprozesses beeinflussen, diese sind jedoch nicht Thema dieser Arbeit.
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1 Das Konzept Transmisogyny wurde von Julia Serano in ihrem Buch ‚Whipping Girl‘ geprägt. Der Begriff setzt sich zusammen aus der Vorsilbe trans- und dem Wort Misogyny und verweist auf die spezifische Diskriminierung, die insbesondere trans Frauen (und andere Personen, die als Männer gelesen werden, die sich aber feminin ausdrücken) trifft (Serano: Girl, 14-15).
2 Femmephobia beschreibt nicht nur die Abweichung von Verhaltens-/Ausdrucksnormen, die von Männern erwartet werden, sondern eine systematische Abwertung von Femininität in der gesamten Gesellschaft (Blair/Hoskin: Experiences, 231).
3 Vgl. Meuser: Spiele, 36.
4 Vgl. Jösting: Jungenfreundschaften, 41-45.
5 Die Fragestellung dieser Arbeit bedingt dieses Verständnis von Geschlecht – welches vor allem in der Tradition Judith Butlers steht –, da in dieser schon davon ausgegangen wird, dass Geschlecht als Konstruktionsprozess verstanden wird.
6 Vgl. Weber: Männer, 132.
7 Vgl. Jösting: Jungenfreundschaften, 24.
8 Vgl. Hellferich: Machos, 63.
9 Vgl. Lammerding: Geschlechtsidentitätsentwicklung, 148-149.