Framing von Geflüchteten in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und der Süddeutschen Zeitung. Ein Vergleich der Jahre 2015 und 2018

Eine inhaltsanalytische Untersuchung von Meinungsartikeln


Bachelorarbeit, 2020

67 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Abkurzungsverzeichnis

1. Einleitung und Problemschilderung
1.1 „ Fluchtlinge “ in den Medien - ein Thema ruckt in den Fokus der Forschung
1.3 Zielsetzung und daraus resultierende Thesen und Aufbau
1.4 Ethische Erwagungen

2. Theoretische Rahmung
2.1 Einfluss von Medien und Medienframes
2.3. Soziopolitische Kontextualisierung der Ereignisse 2015 bis 2018

3. Methodische Anmerkungen
3.1 Untersuchungszeitraum, Korpuswahl & Inhaltsanalyse
3.2 Vorstellung des Codebuchs in Anlehnung an Shan-Jan
3.4. Durchfuhrung und Kodierregeln
3.5. Fragestellungen und Thesen fur die Analysen
3.6. Limitationen der hier durchgefuhrten Inhaltsanalyse

4. Presentation und Interpretation der Ergebnisse der Inhaltsanalyse
4.1 Einseitige und positive Meinungsartikel im Jahr 2015?
4.2 Weitgehende negative Haltung in den Meinungsartikeln in 2018?
4.3 Die Meinungsartikel der Jahre 2015 und 2018 im Vergleich

5. Methodenkritik und mogliche Erweiterungen

6. Fazit

Literaturverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Artikel in den Zeitungen FAZ /FAS und SZ

Abbildung 2: Frame Zuordnung im Jahr 2015

Abbildung 3: Bewertung im Jahr 2015

Abbildung 4: Frame Zuordnung im Jahr 2018

Abbildung 5: Bewertung im Jahr 2018

Abbildung 6: Frame Zuordnung im Vergleich (%)

Abbildung 7: Bewertung der Artikel im Vergleich (%)

Abkurzungsverzeichnis

Suddeutsche Zeitung SZ

Frankfurter Allgemeine Zeitung FAZ

Bundesamt fur Migration und Fluchtlinge BAMF

Gesellschaft fur deutsche Sprache GfdS

1. Einleitung und Problemschilderung

Die Wiesbadener „Gesellschaft fur deutsche Sprache“ (GfdS) setzte das Wort „Fluchtlinge“ auf Platz 1 der Liste der „Worter des Jahres 2015“ und den Satz der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel „Wir schaffen das“ auf Platz 10. Mit letzterem, so die Begrundung der Jury, verlieh die Bundeskanzlerin ihrer Uberzeugung Ausdruck, „dass Deutschland die seit der zweiten Jahreshalfte rapide ansteigenden Fluchtlingszahlen bewaltigen werde.“ (Gesellschaft fur deutsche Sprache e.V. 2015) Seit in kurzester Zeit im Jahre 2015 Hunderttausende von Schutzsuchenden aus Syrien, Afghanistan und anderen Landern den Norden Europas erreichten und vornehmlich in Deutschland Aufnahme gefunden hatten, beherrschten Migration, Einwanderung, Flucht und die Fragen der Aufnahme von gefluchteten Menschen die privaten Debatten und im offentlichen Diskurs wird die Thematik zu einem „Dauerbrenner“ (Kober und Kosemen 2019, 8). Im Vergleich zu den Debatten vergangener Jahre und „zu anderen westlichen Landern herrschte in Deutschland anfanglich eine „Willkommenskultur“ d. h. solidarische Haltung gegenuber den Menschen auf der Flucht“ (Arslan und Bozay 2019, 1). Diese Willkommenskultur, die ihren sinnfalligsten Ausdruck in den medialen Bildern fand, die zeigten, wie Menschen aus der deutschen Aufnahmegesellschaft am Munchner Hauptbahnhof nach der Offnung der Grenzen am 4. September 2015 ankommende Kriegsfluchtlinge applaudierend begruBten, und auch in der Folgezeit spurbar wurde durch die groBe „Hilfsbereitschaft der Bevolkerung als auch in der Flexibilitat und Improvisationskraft der Behordenmitarbeitenden von Bundeslandern und Kommunen“ (Kober und Kosemen 2019, 8).

Seit den Ereignissen der Kolner Silvesternacht 2015/2016, wo es zu sexualisierter Gewalt gefluchteter Manner gegen Frauen gekommen war, sei aber, so Bozay, der kurze Sommer der „Barmherzigkeit“ in 2015 vorbei „begleitet durch negative Politikdiskurse, Mediendarstellungen“ (Bozay und Mangitay 2019, 167). Die Silvesternacht in Koln habe zu einer „Umkehrung vorheriger Standards“ und einer Verschiebung des Diskurses „von einer Willkommenskultur zu einer Abschiebekultur“ (Jager und Wamper 2017, 178) gefuhrt und im politisch-medialen Raum lieBen sich kaum noch „Anzeichen fur eine Willkommenskultur und Verantwortungsethik erkennen“ (Arslan und Bozay 2019, 1).

Wie die Mehrheitsgesellschaft die oben dargestellten Einwanderungsprozesse wahrnimmt, ist mitunter durch den medialen Diskurs beeinflusst (Engel, et al. 2019, 274). Eine Aufgabe der Medien besteht darin, „Menschen uber politische und soziale Ereignisse zu unterrichten und zur Meinungsbildung beizutragen.“ (ebd: 274) Durch eine vielfaltige Berichterstattung sollen die Medien den Menschen eine differenzierte Sichtweise auf die Welt ermoglichen. Sie sollten im Idealfall nicht die eine Wirklichkeit vermitteln, sondern verschiedene Wirklichkeiten portratieren, ohne dabei den Anspruch zu erheben, eine einzige Realitat wahrheitsgemaB wiederzugeben. (ebd: 274) Insbesondere, dass Leitmedien im Bereich von Print, Internet und TV den gesamtgesellschaftlichen Diskurs nicht „neutral“ bestimmen (konnen), ist in den letzten Jahren Diskussions-Gegenstand verschiedener Disziplinen geworden und wird vielfaltig beschrieben und kritisch beleuchtet. (ebd: 274)

Aus dieser Erkenntnis der maBgeblich auch durch die Medien hergestellten Verflechtung von offentlichem Diskurs und der Meinungsbildung des Einzelnen ergibt sich die folgende ubergeordnete Forschungsfrage fur diese Arbeit: Wie hat sich die Darstellung (Framing) von Gefluchteten in den Leitmedien Suddeutsche Zeitung (SZ) und Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) im Vergleich der Jahre 2015 und 2018 verandert und zeichnet sie sich durch Kontinuitat oder Diskontinuitat aus? Das Ziel ist somit, herauszufinden, ob die Verwendung bestimmter Frames im zeitlichen Verlauf stabil geblieben und so eine Kontinuitat der Frameverwendung zu erkennen ist oder, ob neue Frames von den Medien in den Fokus gestellt werden und sich die Frameverwendung somit durch Diskontinuitat auszeichnet. Diese Frage wird mit Hilfe einer deduktiven Inhaltsanalyse anhand von 37 Meinungsartikeln in zwei ausgewahlten Zeitraumen (10.09.-16.09.15& 24.02.-14.03.18) analysiert. Aus diesem Vorhaben ergeben sich folgende Teilschritte, die in der vorliegenden Arbeit behandelt wurden:

Erstens wird die Darstellung der Gefluchteten in den Meinungsartikeln von FAZ und SZ in einem ausgewahlten Zeitraum im Jahre 2015 analysiert, mit dem Ziel zu uberprufen, ob sich in den Artikeln eine einseitig positive Haltung im Sinne einer Willkommenskultur wiederfindet. Zweitens werden Meinungsartikel der gleichen Leitmedien in einem ausgewahlten Zeitraum im Jahre 2018 auf die gleiche Weise inhaltsanalytisch untersucht, um zu uberprufen, ob die negative Wende in der Berichterstattung uber Gefluchtete im Zusammenhang mit den Ereignissen der Kolner Silvesternacht (2015/2016) noch zwei Jahre spater wiederzufinden ist. Im letzten Schritt werden die vorangegangenen Ergebnisse miteinander verglichen, um festzustellen, wie und ob sich das Framing von Gefluchteten in den Leitmedien durch Kontinuitat oder Diskontinuitat auszeichnet.

1.1 „Fluchtlinge“ in den Medien - ein Thema ruckt in den Fokus der Forschung

Ohne einen Anspruch auf Vollstandigkeit zu erheben, wird im Folgenden ein kleiner Uberblick uber neuere Forschungen zur Medienberichterstattung uber Gefluchtete gegeben, um zu zeigen, in welcher Weise die vorliegende Analyse an ahnliche Untersuchungen anknupft und sie fortsetzt. Die im Folgenden vorgestellten Ergebnisse aus Untersuchungen sollen in der hier durchgefuhrten Studie uberpruft werden.

Michael Haller untersucht 2017 die Rolle der Medien in der Gefluchtetensituation 2015 und kommt in seinem OBS- Forschungsbericht „Die ,Fluchtlingskrise‘ in den Medien “ zu der Erkenntnis, dass der Informationsjournalismus seiner Aufgabe - bei der umfangreichen Thematik der Gefluchtetensituation - nicht nachgekommen sei. Bis zum Spatherbst - so Haller, greife „kaum ein Kommentar die Sorgen, Angste und auch Widerstande eines wachsenden Teils der Bevolkerung auf“ (Haller 2017, 135). Haller bezeichnet die Berichterstattung als weitgehend einseitig, bei der hauptsachlich regierungsnahe Stimmen rezipiert wurden (Haller 2017, 136).

Eine ahnliche Untersuchung haben Maurer et al. in der Studie „Auf den Spuren der Lugenpresse: Zur Richtigkeit und Ausgewogenheit der Medienberichterstattung in der Fluchtlingskrise“ (2018) durchgefuhrt. Dabei sind sie einerseits der Frage nachgegangen, ob die Darstellung von Zuwanderung wahrend der Hochphase 2015 „sachlich richtig“ war und andererseits „ob die Massenmedien einseitig positiv uber Migranten und Migrant*innen berichtet haben (Maurer, et al. 2019, 22) Dieses Vorhaben deckt sich zunachst mit dem von Haller. Dabei kamen sie zu dem Ergebnis, dass die „Medien die Faktenlage uberwiegend richtig dargestellt haben“ (Maurer, et al. 2019, 27) Ahnlich wie Haller kommen auch Maurer et al. zu dem Ergebnis, dass, zumindest bis Herbst, Gefluchtete in den Medien uberwiegend als positiv dargestellt worden sind. Gleichzeitig stellen Sie in ihrer Inhaltsanalyse jedoch auch fest, , dass die Zuwanderung als Sachverhalt in den gleichen Medien als Gefahr fur Deutschland dargestellt worden seien. (Maurer, et al. 2019, 27f.) Somit war das Endergebnis der Studie dahingehend ambivalent, dass Zuwander*innen uberwiegend positiv in den Medien bewertet, der „abstrakte(n) Sachverhalt der Zuwanderung zugleich einheitlich als Gefahr“ dargestellt werden wurde. (Maurer, et al. 2019, 25) Die hier durchgefuhrte Studie greift die Gedanken von Haller und Maurer auf und verfolgt zum Einen das Ziel herauszufinden, ob die Medienberichterstattung in Bezug auf die Gefluchtetensituation eindeutig einseitig war und zum Anderen, wie die Zuwanderung und die Aufnahme von Gefluchteten von den Medien bewertet wird.

Regina Greck hat hingegen mit ihrer Framinganalyse „Schaffen wir das?“ (2018) ein etwas anderes Vorhaben verfolgt, namlich festzustellen, wie problem- oder losungsorientiert die Berichterstattung ist. Dabei kam sie zu dem Ergebnis, dass die Zuwanderung in erster Linie als sozio-kulturelles Problem dargestellt worden ist und erst danach Fragen zur Aufnahmekapazitaten und Integrationsmoglichkeiten behandelt wurden . (Greck 2018, 375ff.) Hieran anknupfend werden in der vorliegenden Analyse auch die thematischen Schwerpunkte und Problematiken innerhalb der verschiedenen Frames beleuchtet.

Eine neue Studie „Stumme Migranten, laute Politik, gespaltene Medien“ zu diesem Thema wurde 2020 von Fengler und Kreutler veroffentlicht. Im Gegensatz zu den oben vorgestellten Studien wird hier ein internationaler Vergleich uber die Berichterstattung uber Flucht und Migration in 17 Landern durchgefuhrt. Im Rahmen der Studie wird eine ausfuhrliche Vorstudie vorgenommen, in welcher die Anzahl der veroffentlichten Artikel in Leitmedien fur den Zeitraum 2015/16 und 2017/18 ausgezahlt worden sind. Als deutsche Leitmedien werden die Suddeutsche und Frankfurter Allgemeine Zeitung betrachtet, sodass sich diese Vorstudie dazu geeignet hat, um die Untersuchungszeitraume festzulegen. In Bezug auf Deutschland kam die Studie zu dem Ergebnis, dass Deutschland dadurch heraussteche, dass in der Bundesrepublik so intensiv wie in keinem anderen Land uber Unterstutzungsbemuhungen berichtet wurde. Sie kamen daruber hinaus zu dem Ergebnis, dass Migrant*innen in den Artikeln eine untergeordnete Rolle und meist nur eine „Statistenrolle“ spielten. Wiederum werden Migrant*innen „von groBen, anonymen Gruppen reprasentiert (Fengler und Kreutler 2020, 45) “Hingegen wird die Politik als Hauptakteur in der Berichterstattung identifiziert. „Es ist fraglich,“, so Jupp Legrad (Geschaftsfuhrer der Otto Brenner Stiftung) „inwiefern die Medien so den berufsethischen Anspruch, eine 'Stimme fur die Stimmlosen' zu sein, erfullen konnen.“ (Otto Brenner Stiftung 2020)

In dieser Studie dienen die Forschungsergebnisse von Haller und Maurer et. al als Anhaltspunkt, wie mogliche Ergebnisse in der hier durchgefuhrten Studie fur ausgewahlte Untersuchungszeitraume aussehen konnten. Somit dienen die Funde von Haller und Maurer et al. als Basis fur spatere Thesen. Diese Studie geht einen Schritt weiter, und vergleicht zwei Untersuchungszeitraume. Somit liegt der Fokus nicht auf dem Jahr 2015 - wie in den genannten Studien - , sondern auf einem Vergleich.

1.3 Zielsetzung und daraus resultierende Thesen und Aufbau

Wie bereits in den obigen Unterkapiteln beschrieben, besteht das ubergeordnete Ziel dieser Bachelorarbeit darin, mit Hilfe einer deduktiven Inhaltsanalyse herauszufinden, wie sich die Darstellung (Framing) von Gefluchteten in den Leitmedien Suddeutsche (SZ) und Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) im Vergleich der Jahre 2015 und 2018 verandert hat. Im Folgenden werden das Vorhaben kurz erlautert und eine Strukturierung der Arbeit skizziert. Es lassen sich mehrere Ziele fur die Analyse formulieren:

(I.) Zuerst wird ein theoretischer Rahmen fur die Arbeit vorgestellt. Angefangen mit einem kurzen Uberblick uber die Rolle der Medien im offentlichen Diskurs. Medien versuchen eine Form der Wirklichkeit abzubilden (Medienwirklichkeit). (Brosius und Esser 1995, 30) Die Prioritatensetzung von Themen uber die Gefluchtetensituation (Agenda-Setting) und die Darstellung von Gefluchteten (Frames) innerhalb der Medien haben speziell in Leitmedien einen Einfluss darauf, woruber Menschen nachdenken. (Bonfadelli und Friemel 2011, 182f.) Darauf aufbauend wird der Versuch gewagt, die Gefluchtetensituation in Deutschland soziopolitisch zu kontextualisieren, indem gesellschaftlich und politisch relevante Ereignisse erlautert werden, die den deutschen Diskurs uber Gefluchtete im Zeitraum 2015 bis 2018 beeinflusst und gepragt haben. Die soziopolitische Kontextualisierung und das Verstandnis der Funktion der Medien fungiert als Basis fur die spateren Analysen, um die erworbenen Ergebnisse richtig in den Diskurs einzubetten und damit mogliche Erklarungsansatze zu finden.
(II.) Daran anknupfend wird das methodische Vorgehen, die Korpuswahl und das Codebuch der hier angewendeten deduktiven Inhaltsanalyse vorgestellt. Mit dem Ziel, herauszuarbeiten, wie uber Gefluchtete (Framing) und uber welche Themen in den Medien zu den ausgewahlten Zeitpunkten berichtet worden ist und ob sich eine Veranderung erkennen lasst. Auf dieses Ziel wird mithilfe einer deduktiven Inhaltsanalyse hingearbeitet, indem die Meinungsbeitrage der Leitmedien (FAZ/FAS u. SZ) durch im Vorfeld definierte Darstellungsmuster (Frames) von Gefluchteten analysiert werden. Dabei orientiert sich die Methode an der Inhaltsanalyse der feministischen Politikwissenschaftlerin Shan-Jan, in der sie Mediendarstellungsmuster (Frames) von Immigranten im Jahr 2014 aus vier unterschiedlichen Landern herausgearbeitet hat. Das nahere Vorgehen wird im methodischen Teil skizziert. Die Analyse wird in drei Teile unterteilt, dabei gibt es fur jede Analyse eine Fragestellung oder These, die aus dem bisherigen Forschungsstand (2.2) abgeleitet worden sind.

(i) Die erste Analyse befasst sich mit einem Untersuchungszeitraum im Jahr 2015 (10.09-16.09.15), dabei soll uberpruft werden, ob sich ahnliche Ergebnisse wie bei Haller und Maurer et al. fur diesen Zeitraum finden lassen. Dazu werden einzelne Gedanken von Haller und Maurer aufgegriffen, mit dem Ziel herauszuarbeiten, ob die Medienberichterstattung in Bezug auf die Gefluchtetensituation eindeutig einseitig war und zum Anderen, wie die Zuwanderung und die Aufnahme von Gefluchteten von den Medien bewertet wurde. An den Forschungen von Haller und Maurer et. al angeknupft, lautet die These fur die erste Analyse wie folgt: Die Meinungsartikel in FAZ und SZ im Zeitraum 10.09-16.09. des Jahres 2015 sind durch eine einseitige und positive Haltung gegenuber der Gefluchtetensituation gekennzeichnet.
(ii) Der zweite Analysezeitraum (24.02.-14.03.18) wurde 2 Jahre nach der Silvesternacht und 2 Jahre nach dem ersten Analysezeitraum gewahlt. Die Silvesternacht gilt als Umschwung und Wendepunkt im Gefluchtetendiskurs: Nach Jager und Wamper fand ein Wechsel „von einer Willkommenskultur [hin] zu einer Abschiebekultur“ statt (Jager und Wamper 2017, 178). Die zweite Intention besteht darin, zu untersuchen, ob eine vermeintliche negative Wende sich auch zwei Jahre nach der Silvesternacht in den Artikeln finden lasst. So lautet die zweite These : In den Meinungsartikeln im zweiten Zeitraum im Jahr 2018 findet sich eine negative Haltung in Bezug auf die Gefluchtetensituation.
(iii) Im Anschluss soll in der dritten Analyse untersucht werden, ob sich die Frames, Themen oder Bewertungen im zeitlichen Verlauf verandert haben. Dabei werden die vorangegangenen Ergebnisse in Bezug zueinander gestellt, um der Hauptfrage nachzugehen, ob sich das Framing von Gefluchteten in den Leitmedien zwischen 2015 und 2018 eher durch Kontinuitat oder eher durch Diskontinuitat beschreiben lasst.
III. Als letzter Schritt wird eine Methodenkritik vollzogen. Im Fokus steht dabei die Inhaltsanalyse nach Shan-Jan, an der sich die verwendete Inhaltsanalyse orientiert hat. Dabei wird uberpruft, ob sich die Immigrations-Frames von Shan-Jan fur den deutschen Diskurs uber Gefluchtete eignen und/oder ob sich andere Frames finden lassen, die in anderen Landern keine ubergeordnete Rolle spielen. Mogliche Erweiterungen konnten als Empfehlung fur zukunftige Analysen dienen.

1.4 Ethische Erwagungen

Das Thema - wie die Printmedien uber gefluchtete Menschen berichten - erfordert zunachst eine kritische Auseinandersetzung mit den Begrifflichkeiten in Bezug auf die Zielgruppe. Im offentlichen wie im privaten Diskurs uber Fluchtlinge werden unterschiedlichste Gruppen von Menschen unter den Bezeichnungen Fluchtling oder Gefluchtete zusammengefasst, die unterschiedlichen Alters, Geschlechts, Religionen, Herkunftsstaaten entstammen und unterschiedlichen sozialen Hintergrunden oder formalen Bildungsgraden zugeordnet werden konnen. (Hanel 2019) Aber auch in ihrem Aufenthaltsstatus und der damit einhergehenden Bleibeperspektive gibt es fundamentale, fur die Betroffenen existentielle Unterschiede. In dieser Arbeit kann die bereits vollzogene Verallgemeinerung dieser heterogenen Gruppe durch die Medienberichterstattung durch nachtragliche Differenzierung, nur schwer aufgehoben werden. Aus diesem Grund wird im Folgenden erlautert, wie uber diese heterogenen Gruppierung referiert wird, mit dem Ziel moglichst auf negativ konnotierte Begriffe zu verzichten. Da die Bezeichnung Fluchtling, nach der Gesellschaft fur deutsche Sprache (GfdS) fur sprachsensible Ohren tendenziell abschatzig“ (Gesellschaft fur deutsche Sprache e.V. 2015) klingt, wird der Begriff aufgrund der negativen Konnotation durch Gefluchtete oder Gefluchtete Menschen ersetzt. Auf jegliche wertende Begriffe mit dem Prafix „Fluchtling-“ (Fluchtlings- welle/krise/ansturm/strom) wird in dieser Arbeit verzichtet, auBer sie dienen einer bestimmten Erklarung. Zur Beschreibung der Situation, die sich durch den vermehrten Zuzug von Gefluchteten in Deutschland ergeben hat, wird der Begriff „Gefluchtetensituation“ verwendet. Dieser Begriff wurde ausgewahlt, um einer langen Umschreibung aus dem Weg zu gehen, ohne dabei ein negatives Bild zu erzeugen. Auch wenn dieser Begriff sich in bisherigen Forschungen noch nicht vollkommen durchgesetzt hat, so wird er unter anderem im Forschungsbericht des Berliner Instituts fur empirische Integrations- und Migrationsforschung (BIM) im Jahr 2017 verwendet. (BIM 2017)

2. Theoretische Rahmung

2.1 Einfluss von Medien und Medienframes

Die Kommunikationsforschung ist ein breites Feld, im Rahmen dieser Arbeit ist demnach eine vollstandige Darstellung des Forschungszweigs nicht moglich ist . Aus diesem Grund wird der Fokus auf zwei Aspekte gesetzt: Erstens wird kurz skizziert, welche Wirkung den Medien auf die Meinungsbildung nachgesagt wird und zweitens geht es um konkrete Theorien der Strukturierung von Nachrichtenberichterstattungen.

Die Medienwirkungsforschung, ein Arbeitsfeld innnerhalb der Kommunikationsforschung, setzt sich damit auseinander, „ob die Medien lediglich gesellschaftliche Realitaten beschreiben und damit reflektieren oder ob sie aktiv auf die gesellschaftlichen Prozesse Einflu[ss] nehmen“. (Brosius und Esser 1995, 30) Bei politischen Themen gelten Massenmedien als wichtigste Quelle fur unsere Vorstellungen und Informationen daruber, wie die Wirklichkeit aussieht und wie Meinungen innerhalb der Gesellschaft verteilt sind. (ebd.30) Das ist insofern von hoher Bedeutung, als dass das Denken und Handeln eines Menschen darauf zuruckzufuhren ist, was sie glauben, was Realitat sei. Durch die Komplexitat der modernen Gesellschaft ist es dem Einzelnen nicht moglich, alle Informationen und Erfahrungen aus erster Hand zu sammeln. Aus diesem Grund ist der Mensch darauf angewiesen, Entscheidungen mithilfe der medial vermittelten Informationen zu treffen und damit auf Basis der Medienrealitat. (ebd. 33ff.) Massenmedien versuchen ein mogliches Bild der Wirklichkeit abzubilden, diese Wirklichkeitsvorstellung wird von vielen Menschen wahrgenommen, die die dargestellte Medienrealitat „als eine mogliche Orientierungshilfe in Betracht ziehen“ (Jackel 2008, 87f.), damit tragen sie zur Meinungsbildung bei.

Auch wenn rund drei Viertel der deutschen Journalist*innen ihre Aufgabe darin sieht, „die Realitat so abzubilden, wie sie ist“ (Maurer, et al. 2019, 7), so ist das nach der erkenntnistheoretischen Position des Konstruktivismus uberhaupt nicht im Bereich des Moglichen. (ebd.:7) Massenmedien konnen die eine Realitat nicht allein wiedergeben oder objektiv darstellen, denn es gibt keine Beobachter*innen einer unabhangigen Realitat (ebd.:7) , wie im Folgenden erlautert werden soll.

Journalist*innen stehen unter dem Selektionszwang, da sie aus „der Vielfalt der moglichen Ereignisse, die tagtaglich in der „Welt“ passieren, immer nur eine kleine Menge [auswahlen konnen], uber die dann als „Medienrealitat“ berichtet wird“ (Bonfadelli und Friemel 2011, 182) Dazu kommt, dass, selbst wenn die vermittelten Informationen sachlich korrekt sind, durch Selektion und Gewichtung ein „Themenuniversum“ von der Berichterstattung konstruiert wird. Dadurch erzeugen Massenmedien eine Prioritatensetzung von Themen, die auf den Rezipienten als „dringlich“ und wichtig wirken und Einfluss darauf woruber Menschen nachdenken zu haben. (Bonfadelli und Friemel 2011, 182f.) Dieses Vorgehen wird in der Kommunikationsforschung auch Agenda Setting genannt.

Medien haben eine Vermittlungsfunktion, einerseits sollen sie die Bedurfnisse der Burger*innen artikulieren und an die politischen Instanzen herantragen. Andererseits sind Medien fur die Vermittlung des Outputs politischer Entscheidungen verantwortlich, fur „die Bekanntmachung politischer Entscheidungen, sowie fur Ruckmeldungen uber die Akzeptanz und uber Folgen politischer Entscheidungen.“ (Schulz 2008, 45) Das bedeutet sie informieren die Burger*inenn uber politische Geschehnisse. Medien, und darunter auch Zeitungen, vermitteln zwischen politischen Akteur*innen und Burger*innen. Sie sind demnach Teil des politischen Prozesses und haben die Macht, den politischen Gestaltungsspielraum zu definieren. (Bonfadelli und Friemel 2011, 33), indem sie bei bestimmten Thematiken - wie beispielsweise der Anderungen des Asylrechts - Position beziehen und damit „die offentliche Diskussion uber politische Entscheidungen [praformieren“] (ebd.33). Sie nehmen Einfluss darauf, welche Themen in der Gesellschaft und in der Politik diskutiert werden und bieten Problemlosungen oder Handlungsempfehlungen an. (ebd.33)

Vertreter des kommunikationswissenschaftlichen Konstruktivismus haben nicht die Erwartung, dass die Realitat von den Medien „naturgetreu“ widergespiegelt wird. Die Hauptaufgabe der Medien kann darin verstanden werden, dass sie aktiv an der Konstruktion einer kollektiven Wirklichkeit arbeiten und nicht nur fur die passive Vermittlung von Wirklichkeit zustandig sind. (ebd.35) Daraus resultiert fur die Journalist*innen eine hohe Verantwortung fur die „Wirklichkeitsentwurfe“, welche sie medial verbreiten. (ebd.35). Auch wenn die Medienwirkungsforschung verschiedene Ansatze verfolgt, wie und welche Wirkung Medien auf den Menschen haben, so sind sie sich einig, dass sie eine Wirkung auf die Meinungsbildung haben. Nach Bernhard Cohen sind Medien nicht erfolgreich, indem sie Menschen sagen, was sie denken sollen, „but they are stunningly successfull in telling them what to think about“ (Cohen 1963, 13 zitiert nach Entman 2007, 165)

Zum einen haben Medien Einfluss auf die Themensetzung innerhalb der Medienberichterstattung (Agenda Setting) und zum anderen, werden die Themen in bestimmter Weise von den Medien perspektiviert (Framing Theorie). Die hier durchgefuhrte Analyse befasst sich damit, wie Gefluchtete in den Printmedien dargestellt werden. Aus diesem Grund werden im folgende ein paar Aspekte aufgelistet, in denen sich die unterschiedliche Disziplinen wie Soziologie, Psychologie, Politikwissenschaften oder Kommunikations- und Medienwissenschaften in Bezug auf Framing einig sind. (Matthes und Kohring, Die empirische Erfassung von Medien-Frames. 2004, 56) Jedoch handelt es sich nicht um eine vollstandige Darstellung des Forschungsbereichs.

Das ursprungliche Konzept des Framings geht auf den Soziologen Goffman (1974) zuruck, nach dem Framing den Prozess bezeichnet, ein Thema in ein bestimmtes Bedeutungsfeld einzubetten und so Menschen dabei zu helfen die Realitat zu definieren und einzuordnen. (Badr 2017, 39) Einzelne Themen, wie beispielsweise die Situation gefluchteter Menschen in Deutschland, konnen - je nach Ereignislage und offentlicher Problemwahrnehmung - im Kontext sehr unterschiedlicher Deutungsmuster interpretiert werden und mit verschiedenen anderen Themen gekoppelt werden.“ (Piwinger und ZerfaB 2017, 389) In dem eine Selektion und Hervorhebung einer bestimmten Perspektive auf eine Thematik vorgenommen wird, erfolgt die Rahmung des Ereignisses. In diesem Prozess des Framings, wird i.d.R. eine Problemdefinition, Ursachenzuschreibung und moralische Bewertung formuliert, sowie ein Problemlosungsweg definiert. (Potthoff 2012, 41f.) Hat sich die Rahmung eines Themas (Frame) einmal etabliert, verbreitet sich dieser Frame im medialen Diskurs, an dem sich einzelne Menschen, politische Akteur*innen und andere Medien orientieren. (Piwinger und ZerfaB 2017, 107). Dass bestimmte Frames das Denken des einzelnen beeinflussen und somit auch den Lesenden einer Zeitung, zeigt auch Wehling in ihrem Buch „Politisches Framing“. Demnach seien nur geschatzte 2% des Denkens bewusste Prozesse, die anderen 98% passieren unterbewusst. (Wehling 2018, 43,48) „Nicht Fakten, sondern Frames sind die Grundlage unserer alltaglichen sozialen, okonomischen und politischen Entscheidungen“ so die Linguistin Wiedemann. (Wehling 2018, 45) Die verwendeten Frames sind Grundlage des Denkens, somit werden die Frames die in den Medien verwendet werden, als Grundlage genutzt um miteinander zu kommunizieren.

Ein Frame erhalt dadurch Wirkungspotential, dass er zum einen in den Medien, und zum anderen von dem/der Rezipient*in zur aktiven Bedeutungszuweisung einer Sachlage verwendet wird. (Potthoff 2012, 221) Diese Arbeit setzt sich damit auseinander, welche Medienframes von den hier betrachteten Zeitungen verwendet werden. Auch wenn die Wirkung des Medienframes nicht zwangslaufig vorhergesagt werden kann (Potthoff 2012, 222) , so liegt dieser Arbeit der Annahme zu Grunde, dass Medienframes die Menschen in irgendeiner Art beeinflussen, ohne dass hier diese Wirkung zum Gegenstand der Analyse gemacht wird . Denn Frames werden durch das was wir horen und lesen in unseren Kopfen aktiviert, sodass Sprache unabdingbar mit unseren Frames verbunden ist (Wehling 2018, 41). So gesehen konnen Menschen nicht „auBerhalb von Frames uber Politik sprechen und denken“ (Wehling 2018, 42) und dementsprechend konnen auch journalistische Artikel nicht frei von Deutungsmustern sein und der Mensch kann nicht ohne die verwendeten Frames der Medien uber Migration sprechen.

2.2 Definition und die aktuelle Gefluchtetensituation

Wie in der Studie „Stumme Migranten, laute Politik, gespaltene Medien“ festgestellt worden ist, werden die Figuren einzelner Migrant*innen im Mediendiskurs haufig als beispielhafte Vertreter*innen einer groBeren, anonymisierten, aber haufig nicht genauer definierten Gruppe verwendet. Wenn im Mediendiskurs uber den „Fluchtling“ gesprochen wird, dann wird damit „aber im Auslander- und Asylrecht jeweils nur eine spezifische Teilmenge der Schutzsuchenden“ beschrieben. (Statistisches Bundesamt 2020) Diese Verallgemeinerungen konnen in dieser Arbeit nur ins Bewusstsein gerufen werden, nicht aber vollkommen verhindert werden. Zunachst wird eine Definition von „Fluchtling“ vorgestellt, die fur diese Arbeit verwendet wird:

Nach der Genfer Fluchtlingskonvention, ist ein „Fluchtling“ eine Person, die aus

„[...] Furcht vor Verfolgung wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalist, Zugehorigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Uberzeugung sich aufierhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehorigkeit sie besitzt [...] und nicht dorthin zuruckkehren kann oder [...] will.“ (UNHCR 2015, 1A.)

Nach dem „Global Trends Report" waren in den letzten 10 Jahren (Stand 2019) mindestens 100 Millionen Menschen gezwungen, innerhalb oder auBerhalb ihrer Landesgrenzen Zuflucht zu suchen. Weltweit steigt die Zahl der Menschen, die aufgrund von Krieg, Verfolgung oder wegen Menschenrechtsverletzungen gewaltsam vertrieben wurden , weiter an. Im Jahr 2019 sind weltweit 79,5 Millionen Menschen auf der Flucht, das bildet den bisherigen Hohepunkt der letzten 10 Jahre. (UNHCR The UN Refugee Agency 2020) Im Vergleich zu den Jahren 2015/16, nahm die Zahl der Asylsuchenden in Deutschland 2017/18 stark ab, so waren 2017 mit 186.644 nur noch ein Funftel so viele wie noch im Jahr 2015. (UNHCR The UN Refugee Agency 2020)

2.3. Soziopolitische Kontextualisierung der Ereignisse 2015 bis 2018

Gegenstand dieses Kapitels ist die zweiteilige Darstellung der soziopolitischen Situation in Bezug auf Gefluchtete in Deutschland. Der erste Teil skizziert die Gefluchtetensituation im Jahr 2015 bis zum ersten Untersuchungszeitraum im September 2015. Der zweite Teil umreiBt die Geschehnisse bis zum zweiten Untersuchungszeitraum Anfang 2018. Ziel dabei ist es, die betrachteten Zeitraume in den soziopolitischen Kontext einzubetten und bedeutsame Ereignisse noch einmal zu vergegenwartigen, da die Ereignislage dieser Jahre ein bedeutsamer Kontext der spater durchgefuhrten Analyse ist.

So sehr auch im Nachhinein die Entscheidung der Bundeskanzlerin Angela Merkel, im September 2015 fur in Ungarn festsitzende Gefluchtete aus den Kriegsgebieten in Syrien die Grenzen zu offnen, als Wendepunkt in der deutschen Migrationsgeschichte gelten mag, spricht vieles dafur, dass sich die „Spaltung der Gesellschaft“, anders ausgedruckt: die politischen und gesellschaftlichen Spannungen, die sich entlang der Themen Migration, Flucht und Integration auftaten, bereits zuvor entwickelten: So wurde die Vervielfachung der Anschlage auf Asylbewerberheime sowie das Erstarken rechtspopulistischer Parteien und Bewegungen auf der einen, und das offensive Eintreten vieler gesellschaftlicher Gruppen und Einzelpersonen fur gefluchtete Menschen, die das oben erwahnte Willkommensnarrativ entstehen lieBen, auf der anderen Seite. (Schwenken, et al. 2018, 2) nicht durch ein einzelnes Ereignis ausgelost, sondern sind auf eine Kette von Ereignissen zuruckzufuhren. Im Folgenden werden in chronologischer Reihenfolge einige der Ereignisse vorgestellt, die die gesellschaftliche Polarisierung und Spaltung illustrieren. (Hoesch 2018, 2f.)

Das Jahr 2015 startete mit einer Pegida-Kundgebung in Dresden („Patriotischer Europaer gegen die Islamisierung des Abendlandes“), bei der sich 25.000 Menschen versammelten, um gegen eine Migrations- und Integrationspolitik zu demonstrieren, die zu einer Islamisierung Deutschlands fuhre. Darauf folgte die Ermordung des jungen Asylbewerber Khaled Idris Bahray aus Eritrea. Bei dem Mord wurde irrtumlich ein rassistischer Hintergrund unterstellt und eine direkte Verbindung mit den Pegida- Demonstrationen vermutet. (Janke 2015)

Daraufhin demonstrierten tausenden Menschen „aus Solidaritat mit dem Ermordeten und gegen Rassismus “ (Pennekamp 2016) Wenige Wochen spater erhalt die rechtspopulistische Partei AfD („Alternative fur Deutschland“), erstmalig in einem westdeutschen Landesparlament 6% Stimmenzuspruch und zog in Hamburg in das Parlament ein. Die AfD erhalt am Ende des Jahres weiteren Stimmenzulauf, was nicht zuletzt auf die Fluchtlingsdebatte zuruckzufuhren ist (Janke 2015). Darauf folgt ein Ereignis, das statistisch gesehen den Beginn einer steigenden Gewaltbereitschaft und Zunahme von Gewalttaten markiert. Kurz nachdem der Burgermeister von Troglitz im April 2015 zurucktrat, weil er sich durch geplante Demonstrationen der NPD vor seinem Privathaus bedroht sah, folgte ein Brandanschlag auf ein „bezugsfertiges“ Fluchtlingsheim im Ort. Daraufhin veranderte sich die Atmosphare innerhalb der Gesellschaft - nach einer Statistik des Bundeskriminalamts, hat sich die Zahl der Straftaten gegen Asylunterkunfte am Ende des Jahres mit 1031 Delikten im Vergleich zum Vorjahr 2014 mehr als verfunffacht. (Bundeskriminalamt (BKA) 2015, 32f.) Aber nicht nur innenpolitische Ereignisse pragten die gesellschaftliche Spaltung: Am 18.August verungluckte im Mittelmeer vor Lampedusa ein Schiff mit Menschen, die auf der Flucht nach Europa waren, wobei zwischen 700 und 950 Menschen ums Leben kamen. (Janke 2015) Dieses Schiffsungluck im Mittelmeer stellte wiederum einen Wendepunkt im Gefluchtetendiskurs dar und starkte in weiten Teilen der deutschen Bevolkerung eine Befurwortung der Aufnahme von Gefluchteten: Vielerorts grundeten Burger*innen private Rettungsorganisationen, die sich durch Spenden finanzierten und aus ehrenamtliche Helfer*innen bestanden. (Lobenstein und Lau 2018). Die Politik reagierte mit einem EU-Sondergipfel und verabschiedete einen 10 Punkte-Plan zur Finanzierung und Verbesserung der Seenotrettung Gefluchteter (Tagesschau 2015) Die gesellschaftliche Polarisierung in der Einwanderungspolitik scheint sich auch in den MaBnahmen der deutschen Innenpolitik, in gewisser Hinsicht auch in der europaischen Politik zu spiegeln, die sich im Spannungsfeld von Befurwortern und Gegner einer offenen Einwanderungspolitik weder fur die eine noch fur die andere Seite entschied. Ein Beispiel hierfur ist die Migrationsagenda der EU- Kommission, die als „SofortmaBnahme“ auf die steigende Gefluchtetenbewegung am 13. Mai erlassen wurde und einerseits die „Starkung des Grenzschutzes“, andererseits einen Verteilungsschlussel der Asylsuchenden auf EU-Ebene vorsah. (Europaische Kommission (COM) 2015, 13) In Deutschland zeigte sich diese Ambivalenz im Umgang mit der Einwanderung von Gefluchteten in dem Gesetz zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigungen“, (EMN/BAMF - Europaisches Migrationsnetzwerk / Bundesamt fur Migration und Fluchtlinge 2016, 5) das am 1. August in Kraft trat. Mit diesem wurde die ebenfalls widerspruchliche Absicht verfolgt, die Bleibeperspektive fur bereits in Deutschland lebende Gefluchtete zu verbessern und zum anderen rechtliche Moglichkeiten zu schaffen, neu einreisende Schutzsuchende in eine Abschiebehaft zu nehmen. (ebd.5)

Besondere mediale Aufmerksamkeit erfuhr eine mehrtagige Demonstration gegen die Neueroffnung eines Gefluchtetenheims in Heidenau am 21. August bei der es zu schweren Ausschreitungen von Seiten Rechtsradikaler kam, da im Anschluss an die Demonstration Vizekanzler Sigmar Gabriel und Bundeskanzlerin Angela Merkel den Ort besuchten, um durch ihre Anwesenheit ein Zeichen gegen fremdenfeindliche Proteste und die zunehmende Gewalt zu setzen. Keine 10 Tage spater , am 31. August auBert sich Merkel in einer Pressekonferenz in Berlin mit den Worten: Deutschland ist ein starkes Land. (...) Wir haben so vieles geschafft, wir schaffen das. Wir schaffen das, und wo uns etwas im Wege steht, muss es uberwunden werden.“. (Kissler 2019) Daraus resultierte die wiederkehrende Zitation Merkels in den Medien „Wir schaffen das“, ein Satz, der bis heute von Medien als der Satz gilt, der ihre „Anhanger“ elektrisierte und die Gegner provozierte. (HeiBler 2016) Kurz vor dem zu betrachtenden Zeitraum der vorliegenden Analyse hat Merkel am 4. September die Entscheidung getroffen, die Grenzen „zu offnen“, woraufhin sich unter dem symbolischen Titel „March of Hope“ (von Randow 2016) mehrere Tausend Gefluchtete auf den Weg nach Deutschland aufmachten. So gab es auf der Balkanroute bis nach Deutschland und Osterreich fur zwei Wochen keine Grenzkontrollen. (Schwenken, et al. 2018, 2) Diese Entscheidung wird in Zeitungsartikeln als „historische Entscheidung“ postuliert, aber sie markierte nicht den Anfang, sondern den Hohepunkt im Prozess der Polarisierung der deutschen Gesellschaft. Daraufhin versammelten sich an verschiedenen Bahnhofen Menschen, um die Gefluchteten willkommen zu heiBen. Speziell der Munchner Bahnhof wurde zum Symbol - Zeitungsartikel zeigten Bilder von Menschen, die ihre „Solidaritat“ zeigen, Kuscheltiere und Brezeln verschenken. Es kamen mehr als 20.000 Gefluchtete in dieser Zeit nach Deutschland. (Schwenken, et al. 2018, 2) Mit diesem Ereignis - „March of Hope“ - ruckte die Parole „Wir schaffen das“ in einen kritischen Blick. (HeiBler 2016) Ruckblickend wird in einem Buch uber Migration und Integration der Blick auf das Jahr 2015 so geworfen: „Seit der Grenzoffnung im September und der Ankunft von uber einer Million Menschen in Deutschland im Jahr 2015 ist der Eindruck entstanden, dass nichts mehr ist wie es war.“. (Hoesch 2018, 2f. ) An diese Ereigniskette knupft der erste Untersuchungszeitraum an.

Es folgte die Silvesternacht 2015 auf 2016. Nach dieser Nacht gingen bei der Staatsanwaltschaft Koln 1222 Anzeigen ein, davon mehr als 513 aufgrund von sexualisierter Gewalt, die von gefluchteten Mannern ausgingen. Die Medienberichterstattung konstruierte eine homogene Tatergruppe, dabei konstruierten sie den „typischen“ Tater, als einen Mann aus dem „nordafrikanischen Raum“, ein „Fluchtling“, womit „Sexismus und sexualisierte Gewalt kulturalisiert“ wurde (Drueke 2016, 8). Tatsachlich ist die genaue Zahl der Tater, die tatsachlich Gefluchtete waren, unbekannt. Dieser Vorfall war definitiv ein wichtiges Ereignis innerhalb der Gefluchtetendebatte, ein Initial-Ereignis, an dem die polarisierte Stimmung ablesbar ist und auf das viele politische Veranderungen folgten. (Kupper 2016). Die Forderung des Innenministers Seehofers nach einer Obergrenze fur die Aufnahme von Gefluchteten verscharfte den Streit zwischen CDU und CSU. (Bosen 2018) Im Februar wurde das Asylpaket II verabschiedet - mit dem Vorhaben, den Familiennachzug fur Schutzberechtigte mit subsidarem Schutz fur zwei Jahre auszusetzen. Im Marz folgte die SchlieBung der Balkanroute und das Turkeiabkommen, mit dem Ziel weniger Gefluchtete nach Deutschland zuzulassen. (Engler 2019) Ein Blick auf die BAMF- Statistik zeigt, wie sich die Fluchtlingsbewegung verandert hatte: Im Juli 2015 wurden vom BAMF mehr als 1,3 Millionen Asylerstantrage entgegengenommen. Im Jahr 2016 -nach den Zahlen des BAMF der Hohepunkt von gestellten Asylerstantragen - wurden 722.370 Asylantrage entgegengenommen, wobei nur 230.000 als Asylsuchende registriert worden sind (Bundesregierung 2018, 105) Das ist darauf zuruckzufuhren, das wegen des starken Anstiegs des Asylgesuchs 2015 es nicht in alien Fallen moglich war, „die Stellung des formlichen Asylantrags zeitnah zur erstmaligen Registrierung als Asylsuchender zu ermoglichen“ (Bundesregierung 2018, 104), sodass sich die Zahlen vom Jahr 2016 auf die hohe Nachfrage im Jahr zuvor zuruckfuhren lassen. (BAMF 2019, 12) Diese Zahlen zeigen, dass trotz des zu erkennenden Ruckgangs an gestellten Asylantragen die Folgen der Fluchtlingsbewegung in 2015 auch in den Jahren danach bemerkbar waren. Wahrend Asylerstantrage von ankommenden Schutzsuchenden gestellt wurden, stieg die rechtspopulistische Stimmung in Deutschland. Die rechte Partei AFD - die 2015 erstmals die 6% Grenze uberstieg - erzielte im Marz 2016 ein Rekordergebnis bei mehreren Landtagswahlen. Der Trend des steigenden Rechtspopulismus lasst sich in ganz Europa erkennen. (Siewert 2019, 2f.) Die „Fluchtlings- und Migrationskrise“ von 2015/16 und ihre Folgen haben zu einer nachhaltigen Radikalisierung rechtsextremistischer Akteure und Gruppen gefuhrt.“ (ebd.:7) Rechts motivierte Gewalttaten gegen Gefluchtete erreichten 2016 ihren Hohepunkt, 2017 war der Wert mit 1130 rechtsextremen Delikten niedriger als im Vorjahr, aber deutlich hoher als 2013. (ebd.:2f) Zu Beginn des Jahres 2018, sind die Ereignisse in Bezug auf die Gefluchtetensituation nicht mehr so ereignisreich, der Hohepunkt der Krise war im Jahren 2015/2016 und liegt 2018 bereits zwei Jahre zuruck. Auch im Jahr 2017 sind die Gefluchtetenzahlen deutlich zuruckgegangen, die Grenzkontrollen wurden verstarkt und Merkel nimmt in einem Interview Stellung, dass sich das Jahr 2015 nicht wiederholen durfe. (Merkel 2016) Somit steht der Betrachtungszeitraum 2018 zeitlich in einem groBeren Abstand zu dem Ausgangsbetrachtungszeitraum im Jahr 2015, in dem etwa eine Million gefluchtete Menschen einreisten. Ein Zeitraum im Jahr 2018Zeitraum ist fur die vorliegende Untersuchung deshalb ausgewahlt worden, um herauszufinden, ob sich die Berichterstattung uber Gefluchtete in einer weniger angespannten Zeit gegenuber der des Jahres 2015 verandert hat oder uber die Zeit stabil geblieben ist.

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Ende der Leseprobe aus 67 Seiten

Details

Titel
Framing von Geflüchteten in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und der Süddeutschen Zeitung. Ein Vergleich der Jahre 2015 und 2018
Untertitel
Eine inhaltsanalytische Untersuchung von Meinungsartikeln
Hochschule
Universität Potsdam
Note
1,0
Autor
Jahr
2020
Seiten
67
Katalognummer
V1152426
ISBN (eBook)
9783346547835
ISBN (Buch)
9783346547842
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Framing Analyse, Inhaltsanalyse, Geflüchtete, Meinungsartikel
Arbeit zitieren
Charlotte Weiß (Autor:in), 2020, Framing von Geflüchteten in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und der Süddeutschen Zeitung. Ein Vergleich der Jahre 2015 und 2018, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1152426

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