Vom Selfie. Kreativität im (Spiel- und) Erfahrungsraum der neuen Medien und Reifungsprozesse im Bereich der Übergangsphänomene


Hausarbeit, 2018

36 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung
1.1 Vorgehen und Fragestellung

2 Das Phänomen Selfie

3 Identität im Spiegel - Subjektwerdung und zeitgenössische Selbstvergewisserung
3.1 Die intersubjektive „narzisstische“ Suche nach dem Selbst - Zwischen Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit, Abhängigkeit und Unabhängigkeit, Sozialisation und Individuation

4 Zwischen Innen und Außen - Der Übergangsraum zwischen subjektivem Erleben und objektiv Wahrnehmbaren - ein intermediärer Bereich der Illusion

5 Kreativität - der ursprünglich in uns allen wohnende Dichter der inneren und äußeren Welt
5.1 Das Übergangsobjekt - der erste „not-me Besitz“ gibt der Illusion Gestalt
5.2 Spielen unter „magischer Kontrolle“ - kreative Kommunikationsprozesse zur Selbstfindung
5.3 „Kulturelles Erleben“ - Schöpferische Selbst- und Welterfahrung im intermediären Bereich zwischen privat und öffentlich

6 Reflexion: Das kulturelle Phänomen Selfie im Kontext der Digitalisierung - Chancen und Risiken

7 Literaturverzeichnis

1 Einleitung

„... but first, let me take a Selfie!“

So lautet eine Textpassage des Songs „# Selfie“ der Gruppe Chainsmokers aus dem Jahr 2014, mit knapp 550 Mio. Aufrufen und 2,8 Mio. Likes im offiziellen Musikvideo auf der Plattform YouTube.1 Zeitgenössisch figuriert dieser Ausspruch - wennschon nicht derartig artikuliert, vermutlich zumindest sehr häufig und in den unterschiedlichsten Situationen sinngemäß gedacht (vgl. Autenrieth 2014a, S. 53) - nicht zuletzt eine neuzeitliche Art und Weise zu leben im Zeitalter der digitalen Revolution. Die Popularität und Allgegenwart des Phänomens Selfie spiegelt sich aber gleichermaßen in der öffentlichen und wissenschaftlichen Präsenz der Debatte. Dabei sind einerseits die Zugänge zur Thematik äußerst heterogen, andererseits findet sich auch in diesem Konnex die gewisse Janusköpfigkeit moderner medialer Erscheinungen wieder.

Modernekritische Stimmen stehen exemplarisch in den gesellschaftskritischen Traditionen der kulturindustriellen These von der kapitalistischen Totalität des Warencharakters, worin schlussendlich das Subjekt zur Ware verkommt (vgl. Adorno/Horkheimer 1941/1981) oder der psychoanalytisch inspirierten Zeitdiagnose Christopher Laschs „Zeitalter des Narzissmus“ (Lasch 1979/1995). In seiner Narzissmus-These führt er einen wachsenden, sozialisierten Narzissmus an, der dazu führt, dass Individuen zusehends in „endemischer Egomanie“ vereinsamen und folglich in sozialen Medien fruchtlos nach „Ersatzbefriedigungen und Surrogartbeziehungen“ patrouillieren (vgl. Altmeyer 2016, S. 28).

Ein maßgeblich vernehmbarer Kritikpunkt des Diskurses, explizit zum Selfie, beklagt eine ausgesprochene Selbstverliebtheit der Selfie-Akteure in Verbindung mit dem suchtartigen Bedürfnis nach Anerkennung und Aufmerksamkeit. Es wird ein Narzissmus der Selbstdarstellung und -inszenierung nach ökonomischen Prinzipien konstatiert, der bis hin zum Vorherrschen pathologischer Störungsmuster greift.

Lena Reitschuster verortet erste Analysen zur populären Portraitästhetik2 des Selfies in diese Richtung als eine Art Selbstanalyse unterschiedlicher AutorInnen in Online-Medien wie ReadWriteWeb3 und Mashable. Auf der Basis von im nordamerikanischen Raum vielfach rezipierter Bücher, wie „ Generation Me“ und „ The Narcissism Epidemic: Living In the Age Of Entitlement“ der Psychologin J. M. Twenge, würde hier der zwar einleuchtende aber voreilige Schluss gezogen, des Selfies als „Phänotyp“ eines expansiven Narzissmus postmoderner Gesellschaften. (vgl. Reitschuster 2017, S. 27)

Motiviert durch solch kulturpessimistische Perspektiven rekurrierten gleichfalls bekannte Populärmedien diesen Aspekt und bescheinigten, wie beispielsweise in der Titelgeschichte des Time Magazine vom Mai 2013 „Millenials: The Me Me Me Generation“ 4, einer ganzen Generation („Millenials“)5 eine krankhaft egozentrische Exsitenz. Aufgegriffen mittlerweile auch von zahlreichen deutschsprachigen Zeitungen (FAZ6, SpiegelOnline7, Die Welt8 u.v.m. findet der scheinbare Kausalzusammenhang zwischen gesteigertem Narzissmus und der „Selfieepidemie“ international weitere Untermauerungen (vgl. ebd., S. 28).

In der Selfieflut eruiert Ulla P. Autenrieth zugleich einen von zwei weiteren Kritikpunkten. Der Vorwurf lautet in Richtung Quantität - zu viel und zu „ordinär“ - statt Qualität in der modernen massenmedialen Selfiepraxis. Ebenso häufig möchte eine Problematik in der übermäßig artifiziell idealisierten Selbstinszenierung und realitätsverzerrten Darstellung des Selbst und des Lebens, durch die ausschließlich positiv verschönert repräsentierten Gesichtspunkte, angenommen werden. (Vgl. Autenrieth 2014a, S.53f.) Dies impliziert die angeprangerten Folgen in Form von übertriebenem Körperkult und Selbstobjektivierung. Darüber hinaus werden in Verbindung mit dem Selfie in unterschiedlichen Zusammenhängen oft ethische Fragen über unreflektiertes Handeln der ProduzentInnen oder RezipientInnen aufgeworfen (vgl. Koch 2016, S. 51-53).

Auf der anderen Seite werden allerdings vermehrt gegenläufige Stimmen lauter. Wie vergleichsweise, Martin Altmeyer (Altmeyer 2003, 2004) die These von der intersubjektiven Verfasstheit des Narzissmus9 entwickelt und diese zeitdiagnostisch auf soziale und kulturelle mediale Alltagsphänomene, entsprechend dem digitalen Selbstporträt anwendet.

Parallel dazu gibt es weitere Tendenzen, die positiven subjektiven, sozialen und kulturellen Aspekte des Selfie-Phänomens optimistisch wertzuschätzen. So wird aus unterschiedlichen Richtungen gern auf die identitäts- und sinnstiftende, die sozial integrierende, die demokratiefördernde und die kulturell belebende Funktion im Kontext der individualisierten Multioptions-10 und Risikogesellschaft11 hingewiesen (vgl. Altmeyer 2016, S. 29). Betont werden interaktive und subjektkonstitutive Elemente, wie beispielsweise der Kommunikationsaspekt12, die Potenzialität des so genannten „Empowering“13 (Senft/Baym 2015), im Sinne eines emanzipatorischen Akts14 von Stereotypisierung, Stigmatisierung und traditionellen Denkschablonen, insbesondere für das weibliche Geschlecht und soziale Randgruppen. Ebenfalls - allerdings im Vergleich zur Negativdebatte zurückhaltender - auf zugestehende Reaktionen in der öffentlichen Diskussion gestoßen, wie im TheGuardian15 . Derartig finden Themen, wie die spielerische Erkundung und Entdeckung des Selbst und eine kreative Selbstverwirklichung in einer Welt, die zunehmend von Kontingenz und Unbestimmtheit, aber auch dem Zwang zur ständigen Optimierung gezeichnet ist, Anklang.

In diesem Bezugsrahmen sind BefürworterInnen schlicht begeistert von der Vielfalt der Bilder und dem Ideenreichtum, wie der Schöpferkraft der „ProsumentInnen“16, die sich auf digitalen Selbstbildern etwa besonders maskiert, „getapet“, „kopflos“, besonders „hässlich“ oder lustig Grimasse-ziehend zeigen, beziehungsweise eben ihre Erscheinungen durch digitale Bildbearbeitung originell künstlerisch modifizieren. Folglich steht die Frage im Raum, deren Beantwortung divergiert, ob das Selfie tatsächlich als erste Kunstform des Web 2.0 charakterisiert werden kann. Die beiden Ausstellungen „Ego-Update“17 in Düsseldorf und „Ich bin hier! Von Rembrandt zum Selfie“ in Karlsruhe boten mitunter zu dieser Thematik interessante Anknüpfungspunkte.

Deutlich wird an dieser Stelle, dass das Selfie nicht nur zu einem medialen Alltagsphänomen, sondern (und gerade hierdurch) zu einem wichtigen Forschungs- und Untersuchungsgegenstand avanciert ist. Die gegenwärtige wissenschaftliche Rezeption bildet bis dato nur einen Bruchteil der denkbaren Potentiale und Kontextualitäten des Selfies ab, ergo sie (vor allem im deutschsprachigen Raum) noch am Anfang steht. Das neu gegründete Selfie-Forschungsnetzwerks18 in München, welches unter der Leitung von Kristina Steimer an das „ Zentrum für Ethik der Medien und der digitalen Gesellschaft zem::dg“ angegliedert ist, stellt einen weiteren Schritt dar, dies zu ändern. Gleichsam wird in diesem Zusammenhang davon ausgegangen, dass das Selfie mehr ist als ein Habitus aufmerksamkeitssüchtiger „Millenials“.19 Vor diesem Hintergrund möchte ich in der hier vorliegenden Arbeit eine weitere Annäherung an die Thematik wagen und das Selfie in seinem (Alltags-)Gebrauch genauer untersuchen. Dazu werde ich in einem nächsten Schritt meine Fragestellung, wie auch mein Vorgehen kurz genauer erläutern.

1.1 Vorgehen und Fragestellung

Meiner Arbeit liegt die Absicht zugrunde, in Erwiderung zu oben angerissenen zahlreichen Negativstimmen, die sich beharrlich halten und mehren, eine optimistischere Einschätzung des modernen (Alltags-)Phänomens Selfie im Kontext der digitalen Revolution zu überprüfen. Ausgehend von Donald W. Winnicotts Theorie vom „kulturellen Erleben“20 (Winnicott 1971/1979), die eine Weiterentwicklung seiner (Grund-)Thesen zu den „Übergangsobjekten und Übergangsphänomenen“ (1951) darstellt (vgl. ebd., S. 7), werde ich Perspektiven über die Bedeutung dieser Theorie, angewandt auf das Selbstportraitieren mittels Selfies, entwickeln. Dabei geht es mir explizit um ein besseres Verständnis, der enormen Anziehungskraft dessen, das eigene Selbst visuell (spiegel-)bildlich in den differenziertesten Alltags- und Erlebnissituationen einzufangen.

Es gilt die Frage zu beantworten: Ist das Selfie moderne Identitätsarbeit und Ausdruck von kreativem Erleben und Erfahren in der Umwelt der neuen Medien, gehört somit in der Digitalisierung zu jener Kulturerfahrung, die nach D. Winnicott „das Leben ausmachen“ (ebd., S. 116)? Hierzu sind folgende Hypothesen zu untersuchen:

Das Selfie erschöpft sich nicht in einem populären Selbstdarstellungsmedium einer Generation Jugendlicher und junger Erwachsener auf öffentlichen Social Media Plattformen, sondern gedeiht zu einer evidenten, facettenreichen Ausdrucksform auf gesamtgesellschaftlicher Ebene - es impliziert generationsübergreifendes Potential.

Das Selfie steht zu Zeiten der Pluralisierung, Liberalisierung, Medialisierung, Globalisierung und Mobilisierung21 für ein interaktives Identitätsspiel mit der Kamera. Diese mediale Suche nach dem Selbst ist nicht ausreichend erklärbar unter Verwendung eines traditionellen, „monadologisch“22 (Altmeyer 2003, 2004) angelegten, oder gar umgangssprachlich unreflektiert zur Disposition stehenden, Narzissmusbegriff.

Das Selfie, als eine moderne Form des Erlebens und Erfahrens, steht in Verbindung mit jenem „schöpferischen Spannungsbereich“ (Winnicott 1971/1979) zwischen „Ich“ und „Nicht-Ich“, Innen und Außen, Individuum und Umwelt, dem wir zeitlebens viel Aufmerksamkeit schenken. Es vermittelt ein „Gefühl“ von Kontinuität und ist Ausdruck spielerischer Kreativität im Kontext der Digitalisierung, wird somit Teil des „kulturellen Erlebens“ (ebd.) - eine Art und Weise des kreativen Umgangs mit Selbst- und Welterfahrung.

Auf dieser Basis werde ich eine Einbettung in den Kontext des Seminars „Eine Reise durch die Medien“ vom Sommersemester 201823 vornehmen, indem ich meine Analyse aus medienpädagogischer Sicht kurz dahingehend reflektiere, welche Aussage sich damit für eine pädagogische (Medien-)Praxis, im Sinne des Herausbildens von Medienkompetenz angesichts der Selfiepraxis, treffen lässt. Beginnen werde ich dazu in einem nächsten Schritt mit einer genaueren Erläuterung zum Selfie.

2 Das Phänomen Selfie

Am 21. Juni ist „Welt-Selfie-Tag“(„#NationalSelfieDay“) 24, der ganz im Zeichen des digitalen Selbstporträts stehen soll, insofern dazu aufgerufen wird, die unterschiedlichsten, schönen oder hässlichen kreativen Selfies aufzunehmen und über soziale Netzwerke zu teilen. Das Selfie - 2013, mehr als 10 Jahre nach der wohl nominell ersten Verwendung des Wortes in dem australischen Internetforum ABC Online, vom Oxford Dictionary zum „Word of the year“ gekürt25 - ist längst in unserem Alltag angekommen. Jeder kennt es, nahezu jeder hat es schon einmal getan und für viele ist es zu einem regelmäßigen Ritual geworden.

Die im Duden nachzuschlagende Definition lautet: „Mit der Digitalkamera (des Smartphones oder Tablets) meist spontan aufgenommenes Selbstporträt einer oder mehrerer Personen.“26 Im Oxford Dictionary hingegen lautet die Begriffsbestimmung: „a photograph that one has taken of oneself, typically one taken with a smartphone or webcam and shared via social media.“ Zwei Aspekte drücken hier einen maßgeblichen Kontrast aus. Zum einen die Erwähnung der Spontanität, zum anderen die Distribution über Social Media Plattformen27. Dahingegen ist eindeutig, das jeweilige Foto sollte von dem/der oder den Abgebildeten entsprechend selbst angefertigt sein.

Die rasante Entwicklung der modernen Technologie bietet hierzu heutzutage alle Möglichkeiten und schafft somit die Vorrausetzung für jedermann am Erlebnis des Selfie- (aufnehmens) teilhaben zu können. Ob unter Zuhilfenahme des Selfiesticks28, mit ausgestrecktem Arm oder vor dem Spiegel, besondere technische und/oder fotografische Kenntnisse sind faktisch obsolet geworden29. Das Emporkommen der Front-Kamera30 schuf nunmehr die begehrte Gelegenheit sich selbst beim Aufnehmen des Fotos unmittelbar im Bildschirm zu betrachten und damit das Bild zu kontrollieren. Zudem bietet sich in jedem Fall die Option gerade aufgenommene Bildelemente ohne großen zusätzlichen Aufwand direkt auf dem mobilen Gerät über integrierte Funktionen und App-Anwendungen mit Filtern, Rahmen & Co je nach Geschmack zu bearbeiten. Der Kreativität sind an dieser Stelle keine Grenzen gesetzt, sie wird damit gefördert und erleichtert - die Sharing-Funktion größtenteils direkt mitinbegriffen. Daraus ergibt sich die Attraktivität der Materie, und so wird jeder und überall zum Selfie-Künstler.

Dementsprechend augenscheinlich wird die Omnipräsenz des Phänomens Selfie, indem es sich quer durch die Gesellschaft zieht. Zwar ist in diesem Zusammenhang meist die Rede von der „Generation Selfie“, diese Relation greift allerdings zu kurz, sofern sie lediglich auf eine bestimmte Altersgruppe begrenzt wird (vgl. Verbeek/Frick 2017, S. 156). Zahlreiche Beispiele von PolitikerInnen und Prominenten bekunden, dass diese Form des Selbstportraitierens auch unter älteren Personen an Popularität und Bedeutung gewinnt. Sicherlich demonstrieren quantitative Zahlen nach wie vor, dass Jugendliche und junge Erwachsene sich als stark dominierende Nutzergruppe herauskristallisieren31, bei genauerer Betrachtung und einer breiteren Perspektive sollten sich diese allerdings sukzessive relativieren.

Einerseits handelt es sich um eine Erscheinung, die aus der Generation der medial affinen Digital Natives hervorging und sich nun von hier aus weiterverbreitet, wie es bei vergleichbaren Aspekten der digitalen Revolution der Fall war, exemplarisch der Gebrauch von Social Media Plattformen. Andererseits sind die verhältnismäßig wenigen Aufarbeitungen in der Reichweite noch stark eingeschränkt und dokumentieren so Rückschlüsse, die nicht auf gesamtgesellschaftlicher Ebene greifen. Im Fall von „Selfiecity“ werden lediglich Selfies, gepostet auf Instagram, zur Auswertung herangezogen. Berücksichtigt man hierbei, dass Instagram bis dato hauptsächlich von den sogenannten „Digital Natives“32 und in der älteren Generation vermutlich überwiegend nur von Personen des öffentlichen Lebens genutzt wird, dürfte deutlich werden, dass der Altersdurchschnitt in Bezug zu Selfies aktuell noch eher Jung - der geschätzte Gesamtdurchschnitt aller global mit einbezogenen Städte (Frauen und Männer) beträgt 23,7 Jahre - sein muss33. Bedeutung und Nutzen des Selfies in sozialen Netzwerken, in welchen die Kommunikation prävalent auf eine breitere Öffentlichkeit hin ausgerichtet ist, oder gar außerhalb solcher Plattformen, kann so nicht ausreichend reflektiert werden.

Mit Blick auf die aktuellen Zahlen der „ ARD/ZDF-Onlinestudie 2018“ kann dahingegen davon ausgegangen werden, dass vergleichbar damit Phänomene, wie das Selfie zunehmend in den Gebrauch aller Bevölkerungsschichten integriert sind und so weiter einer fortschrittlichen soziokulturellen medialen Alltagspraxis Ausdruck verleihen werden. Die stetig ansteigende Zahl der Onlinenutzung – „der Anteil der Onliner ist in Deutschland erstmals auf über 90% gestiegen“, (Frees/Koch 2018, S. 398), sowie der „Unterwegsnutzung“ und der „Etablierung des Smartphones als Tagesbegleiter“ (ebd., S. 401), sprechen für sich. 34 Schenkt man ferner der allgemeinen Tendenz, weg von Social Media, hin zu mehr privater und zielgerichteter Kommunikation über beispielsweise Instant-Massaging-Dienste wie WhatsApp (Chat und Dateiaustausch: Fotos, Videos und Sprache), das eine Verbindung gleichfalls intergenerationell darstellt35, Aufmerksamkeit, bekräftiget dies die Botschaft des Selfies als generationsübergreifende Ausdrucksform zusätzlich.36

[...]


1 Der offizielle Videoclip ist frei verfügbar unter: https://www.youtube.com/watch?v=kdemFfbS5H0 [Stand:

29.11.2018]

2 Seit geraumer Zeit entfachen in der Selfie-Forschung wiederkehrend Diskussionen (kunsthistorisch, medientheoretisch) dazu, ob das Selfie und die einhergehende (Selbst-)Inszenierung als eine Entwicklung aus der klassisch historischen Porträtmalerei, sowie Fotografie zu betrachten ist - somit auf eine lange Tradition verweist - oder ob hier eine Abgrenzung von der digitalen Selbstablichtung - förmlich des Selfies, als massenmediale Amateurfotografie zur Kunst vorgenommen werden sollte. Siehe hierzu z. B. auch: (Koch 2016, S. 9-21; Autenrieth 2014a, S. 52; Reitschuster 2017, S. 31-33) Dies soll hier allerdings nicht explizit zum Diskurs stehen. Ich sehe in dem Selfie eine gewisse Historizität und betrachte es, in Anlehnung an Tobias Koch, als einen modernen Fortgang aus der Tradition der bildlichen Selbstdarstellung (vgl. Koch 2016), bei dem sich die Form gewandelt hat.

3 Mittlerweile umbenannt in ReadWrite. Der jüngste Artikel zur Thematik Selfie und Narzissmus ist vom 31.01.2013. Titlow, J. P. (2013): #Me: Instagram Narcissism and The Scourge Of The Selfie - As a group, Instagrammers are a pretty self-absorbed bunch. In: Read Write (2013). Abrufbar im Internet: https://readwrite.com/2013/01/31/instagram-selfies-narcissism/ [Stand: 29.11.2018]

4 Siehe hierzu: http://time.com/247/millennials-the-me-me-me-generation/ [Stand: 29.11.2018]

5 Anders: „Generation Y“ oder „Digital Natives“.

6 Siehe hierzu: http://www.faz.net/aktuell/gesellschaft/menschen/studie-selfie-sucht-entlarvt-narzissten-

13360922.html [Stand: 29.11.2018]

7 Siehe hierzu: http://www.spiegel.de/gesundheit/psychologie/soziale-netzwerke-selbstverliebte-menschen-lieben- selfies-a-1086013.html [Stand: 29.11.2018]

8 Siehe hierzu: https://www.welt.de/gesundheit/psychologie/article136920755/Selfies-verraten-den-Psychopathen- und-Narzissten.html [Stand: 29.11.2018]

9 Der Narzissmusbegriff wurde/wird semantisch polymorph - erfuhr in seiner Begriffsgeschichte des Öfteren Modifikationen -, teils umgangs- und populärsprachlich, unreflektiert (vgl. Reitschuster 2017, S. 28/30) verwendet. M. Altmeyer bildet diese These ausgehend von einer Modernisierungsbewegung in der zeitgenössischen Psychoanalyse, die man als ihre intersubjektive Wende („relationale Psychoanalyse“ - Ein von Stephen Mitchell geprägter Sammelbegriff) bezeichnet. Siehe dazu z. B.: Altmeyer, M./Thomä, H. (Hrsg.) (2006): Die vernetzte Seele -Die intersubjektive Wende in der Psychoanalyse. Stuttgart: Klett-Cotta

10 Von P. Gross (1994) geprägter Gesellschaftsbegriff, beschreibt in der Moderne die stetige Steigerung an Spielräumen des Handelns, Erlebens und der Lebensgestaltung, wobei sich Grenzen des Machbaren, Gewissheiten und Traditionen zunehmend auflösen. Die Verantwortung für die Wahl der richtigen Handlungen lastet dabei vermehrt auf den Individuen. „Wenn sie die Differenz zwischen dem Möglichen und der Wirklichkeit akzeptieren, könnte das die Einzelnen entlasten.“ (Fuchs-Heinritz/Klimke u. a. 2011, S. 460)

11 Nach U. Beck (1986), bezeichnet den „auf die klassische Moderne der Industriegesellschaft folgenden gegenwärtigen Gesellschaftstypus“ (Fuchs-Heinritz/Klimke u. a. 2011, S. 579). Dieser gestaltet sich als ein Bruch innerhalb der Moderne, der, aufgrund der Eigendynamik des gesellschaftlichen Modernisierungsprozesses in eine andere Moderne führt. Spezifisch hierfür ist, dass sich häufende (Lebens-)Risiken eine potentielle Gefahr für alle Gesellschaftsmitglieder darstellen. (vgl. ebd., S. 579) In diesem Kontext prägte U. Beck gleichfalls den Begriff der „Individualisierung“, der u. A. dafür steht, dass die Identitäts- und Sinnfindung progressiv zu einer Leistung jedes Einzelnen wird (vgl. Beck 1986).

12 Folgendermaßen lege beispielsweise W. Ullrich „Selfies als Weltsprache“ (op. cit. Reitschuster 2017) aus eher medientheoretischer Sichtweise, wie der Titel schon anmuten lasse, sein Augenmerk auf den Kommunikationsaspekt - hauptsächlich den visuell Körpersprachlichen - der Selfies als „universelle Weltsprache“ (vgl. Reitschuster 2017, S. 32). Allerdings spielt neben der visuellen Kommunikation, ebenso die Anschlusskommunikation im Austausch auf Social Media Plattformen, wie im Face-to-Face Gespräch (offline), eine grundlegende Rolle im Zusammenhang mit dem Selfie (vgl. Autenrieth 2011; Astheimer u. a. 2011).

13 Siehe hierzu auch: http://www.selfieresearchers.com/publications/ [Stand: 29.11.2018]

14 Der Umkehrung beispielsweise des von L. Mulvey (1994) genannten „male gaze“ - des männlichen Blicks auf die Frau, dessen sie sich auf diese Art und Weise bemächtigt, damit spielt und die Möglichkeit zur Umdeutung erhält. Oder am Beispiel von Amalia Ulman; wie man sich der „Selfiemanie“ (Stereotypisierung) voll aussetzt und sie im gleichen Zuge unterläuft. Dies zeigt sie im Jahr 2014 in ihrer viermonatigen Performance „Excellences & Perfections“ auf Instagram, in der sie alle im Netz alltäglichen Posen von „Weiblichkeit“ aufgreift. Siehe hierzu: www.monopol-magazin.de/das-kuratierte-ich-amalia-ulman-buch?photo=3#slideshow [Stand: 29.11.2018]

15 Siehe hierzu: https://www.theguardian.com/lifeandstyle/2016/feb/04/are-selfies-empowering-for-women [Stand:

29.11.2018]

16 Steht in diesem Zusammenhang für die Selfie-ProduzentInnen, die meist zugleich KonsumentInnen sind. Im Sinne des „User-generated-Content“ des („Mitmach“-)Web 2.0.

17 Siehe hierzu (auch mit weiteren Artikeln): https://www.nrw-forum.de/ausstellungen/ego-update [Stand:

29.11.2018]

18 Siehe hierzu: https://www.netzwerk-medienethik.de/2018/07/11/neugruendung-eines-selfie-

forschungsnetzwerks-im-zemdg/ und: https://zemdg.de/selfie-forschungsnetzwerk/ [Stand: 29.11.2018]

19 K. Steimer im Interview mit Deutschlandfunk. Siehe hierzu: https://www.ardmediathek.de/radio/mediasres/Forschungsnetzwerk-Selfie-Kristina-Ste/Deutschlandfunk/Audio- Podcast?bcastId=21601614&documentId=54241144 [Stand: 29.11.2018]

20 D. Winnicott stellt in benanntem Werk dezidiert die Frage der Bedeutung des Lebens, gerade abseits von Krankheit oder Nicht-Krankheit (vgl. Winnicott 1979, S. 114).

21 Zusammenfassend beschreibt Michael Ermann, wie in einer neuzeitlichen Gesellschaft mittlerweile alle sozialen Bereiche von einem rasanten Wandel durchzogen werden. Diese benennt er mit den Stichworten: „Liberalisierung, Pluralisierung, Mobilisierung, Globalisierung und Medialisierung“ (vgl. Ermann 2003, S. 182).

22 Deutet auf die, vor allem in der Psychoanalyse und den Humanwissenschaften bislang fest und hartnäckig verankerte, Vorstellung des Selbst als abgegrenzte Monade hin, die sich erst langsam beginnt aufzulösen und zu wandeln, hin zu einer grundlegenden Intersubjektivität des Individuums. D. Winnicott leistete hierzu schulenübergreifend einen großen Beitrag, selbst wenn dieser auch eher verspätet Anklang fand.

23 Das Seminar lief unter der Leitung von Estella Hebert. Hier ging es u. A. um die Bedeutung moderner medialer Phänomene, wie dem Selfie, auf kultureller Ebene, mitunter auf dem Fundament der kritischen Theorie T. Adornos (1941/1981). Jedoch in gleichem Zuge um deren medienpädagogische Perspektiven und Ausblicke.

24 Siehe hierzu: https://www. nationalselfieday. net/ [Stand: 29.11.2018]

25 Siehe hierzu: https://en.oxforddictionaries.com/word-of-the-year/word-of-the-year-2013 [Stand: 29.11.2018].

26 Anfang August 2017 schließlich gleichfalls auch in die 27. Auflage des Dudens neu aufgenommen. Siehe hierzu: https://www.sueddeutsche.de/kultur/neue-auflage-des-duden-duden-enthaelt-neue-woerter-1.3619118 [Stand:

29.11.2018]

27 Es erscheint mir an diese Stelle wichtig das zu erwähnen, da es sich hierbei um Gesichtspunkte handelt, die im Diskurs um das Selfie wiederkehrend diskutiert werden und so auch in meiner Arbeit Anklang finden werden. Im Verlauf meiner Arbeit werden sich einige Anhaltspunkte über dessen Spontanität, wie die Verwendung des Selfies außerhalb von Social Media Plattformen herauskristallisieren.

28 Soll als technisches Hilfsmittel (Teleskop-Stange an deren Ende das Smartphone befestigt wird - der Auslöser befindet sich am Griff der Stange) in Form einer Armverlängerung für den Fotografen das Selbstportraitieren vereinfachen und ermöglicht so durch eine entferntere Perspektive eine breitere Variation an Aufnahmen.

29 Nichtsdestotrotz gibt es zahlreiche Empfehlungen, Anleitungen und Tutorials zur möglichst vorteilhaften und

trendigsten Selfie-Erstellung, sowie zur Bildbearbeitung. Siehe hierzu beispielsweise: https://de.wikihow.com/Perfekte-Selfies-schie%C3%9Fen oder:

https://www.youtube.com/watch?v=7UV25OyRFBM [Stand: 29.11.2018]

30 Diese sollte ursprünglich der Videotelefonie zu einem Durchbruch verhelfen. Stattdessen aber eigneten sich die UserInnen die Materie auf eine andere Art und Weise an und nutzen die spiegelbildliche Abbildung über die Frontkamera vermehrt für experimentelle Selbstportraits.

31 Siehe hierzu: http://selfiecity.net/#dataset [Stand: 29.11.2018]

32 Siehe hierzu: http://www.ard-zdf-onlinestudie.de/whatsapponlinecommunities/ [Stand: 29.11.2018]

33 Für das Beispiel der Stadt Berlin beläuft sich das Durchschnittsalter der Frauen auf 26,3 und der Männer auf 23,7 Jahre.

34 Die Daten der Onlinenutzung implizieren Dienste, bei denen das Internet lediglich als Trägermedium fungiert, wie die Nutzung von Smartphone Applikationen und WhatsApp. Die Altersstruktur der Internetnutzer hat sich der soziodemografischen Struktur in der Gesamtbevölkerung angeglichen. Der Zuwachs im Bereich der täglichen Nutzung sei besonders deutlich. So habe sich der Personenkreis derjenigen, die das Internet täglich nutzen, seit 2015 um 10 Mio. (von 44.5 auf 54 Mio.) erhöht. Insgesamt 77% der Gesamtbevölkerung, also drei Viertel, gehen täglich online, was vor allem auf die gestiegene „Unterwegsnutzung“ und Kommunikation zurückzuführen sei. Dabei dokumentieren ältere Personengruppen den höchsten Zuwachs der täglichen Nutzungsfrequenz: „die 40- bis 49- Jährigen mit +8,0 Prozentpunkten, die 50- bis 59-Jährigen mit +7,7 Prozentpunkten und die ab 70-Jährigen mit +6,1 Prozentpunkten. Die Steigerung der „Unterwegsnutzung“ sei mit einer Steigerung um 7-8 Prozentpunkte deutlich in allen Altersgruppen, wie ebenso in allen Nutzungsfrequenzen zu verzeichnen. Insgesamt von 55% im Jahr 2015 auf 71% im Jahr 2018. Das Smartphone, neben Fernseher und Radio auf dem dritten Platz der meistgenutzten Geräte, erreicht 11%-Punkte Gewinn zum Vorjahr und eine Tagesreichweite von mittlerweile 49%. (vgl. Frees/Koch 2018, S. 398-410)

35 Siehe hierzu: https://www.horizont.net/medien/nachrichten/tns-convergence-monitor-2018-immer-mehrdeutsche- verbringen-ihre-internetzeit-mit-video-content-169398 [Stand: 29.11.2018]

36 Zu diesem Ergebnis gelangte auch Lydia Korte von der Universität Siegen. Siehe hierzu: https://www.unisiegen. de/start/news/oeffentlichkeit/692900.html [Stand: 29.11.2018]. Genauso wird das natürliche Altern zu einer fortschreitenden Integration medialer Phänomene, die bis dato ausschließlich der jungen Generation zugeschrieben wurden, in eine generationsübergreifende Struktur beitragen.

Ende der Leseprobe aus 36 Seiten

Details

Titel
Vom Selfie. Kreativität im (Spiel- und) Erfahrungsraum der neuen Medien und Reifungsprozesse im Bereich der Übergangsphänomene
Hochschule
Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main
Note
1,0
Autor
Jahr
2018
Seiten
36
Katalognummer
V1152999
ISBN (eBook)
9783346545398
ISBN (Buch)
9783346545404
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Selfie, Kreativität, Neue Medien, Reifung, Narzissmus, Spiegelung
Arbeit zitieren
Ulrike Eiben (Autor:in), 2018, Vom Selfie. Kreativität im (Spiel- und) Erfahrungsraum der neuen Medien und Reifungsprozesse im Bereich der Übergangsphänomene, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1152999

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