Leseprobe
Inhaltsverzeichnis:
1. Zur Bedeutung von Samuel Huntingtons "Kampf der Kulturen"
2. Huntingtons Thesen im Bezug auf die Bedrohung des Westens durch den Islam
2.1. "Zusammenprall" von Islam und Westen
2.2. Handlungsanweisungen an die Politik
3. Die Kritik an Huntingtons Thesen
3.1. Die Ungenauigkeit des Kulturbegriffes
3.2. Der Islam als einheitlicher Akteur
3.3. Der "Kampf der Kulturen" als sich selbst erfüllende Prophezeihung
3.4. Gegenargumente zum "Kampf der Kulturen" auf Basis empirischer Untersuchungen
3.5. Huntingtons Antwort auf die Kritik
4. Der 11. September 2001 als Testfall des "Kampfes der Kulturen"?
4.1. Huntingtons Bewertung der Terroranschläge
4.2. Die wissenschaftliche Reaktion auf die Einschätzung des 11. Septembers als "Kampf der Kulturen"
5. Fazit
6. Literaturverzeichnis
1. Zur Bedeutung von Samuel Huntingtons "Kampf der Kulturen"
Seit dem fünften Jahrhundert vor Christus, als Herodot in seinen "Historien" unter dem Eindruck der persischen Niederlage in den Perserkriegen die These vom zyklischen Auf- und Abstieg von Großmächten entwickelte, haben bedeutende historische Ereignisse immer wieder die Forschung im Bereich der Internationalen Beziehungen angeregt und veränderte weltpolitische Konstellationen zur Entwicklung neuer Theorien geführt. So war nach dem Ende des Kalten Krieges abzusehen, dass Politikwissenschaftler neue Prognosen darüber aufstellen würden, wie die Welt nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion aussehen könnte. Die Aufsehen erregendste und bis heute am häufigsten rezipierte These dieser Zeit ist die vom "Kampf der Kulturen", die Samuel Huntington, Politologe an der Harvard University, 1993 in einem Artikel in der Zeitschrift "Foreign Affairs" und drei Jahre später in dem Buch "Kampf der Kulturen - Die Neugestaltung der Weltpolitik im 21. Jahrhundert" formulierte. Huntingtons Befund, dass kulturelle Gegensätze die Weltpolitik nach Ende der Ost-West-Konfrontation bestimmen und den Westen in blutige Konfrontationen mit anderen Kulturen, allen voran dem Islam, verwickeln würde, führte zu einer über Jahre engagiert geführten Debatte in der wissenschaftlichen Welt und spaltete sie in Befürworter und entschiedene Kritiker des Paradigmas.[1]
Ein wichtiger Grund für die Langlebigkeit der Diskussion über den "Kampf der Kulturen" waren zweifelsohne die Terroranschläge des 11. Septembers 2001. Der islamistisch motivierte Angriff auf das World Trade Center und das Pentagon als Symbole des wirtschaftlich und militärisch aggressiven und universalistischen USA schienen ein Vorbote eines künftigen Kulturkrieges zu sein und rückten Huntington in den Augen vieler in die Rolle der düstere Wahrheiten verkündenden Kassandra. Wer glaubte, die wissenschaftliche Kritik an dem Werk würde nun in Anbetracht schockierender empirischer Evidenz verstummen, wurde enttäuscht. Nicht nur sahen sich viele Gegner durch die Terroranschläge keinesfalls widerlegt, sogar Samuel Huntington selbst warnte davor, sie als Testfall für den Kampf der Kulturen zu sehen.[2]
Ich möchte in dieser Hausarbeit zunächst die wesentlichen Argumente und Prognosen Samuel Huntingtons im Bezug auf die Bedrohung des Westens durch den Islam darlegen und ihnen dann die vielfältige Kritik, die daran geäußert wurde, entgegenstellen. Auf diese Weise möchte ich Ordnung in diese Kontroverse bringen und so eine Reflexion über die Gültigkeit der bis heute heiß diskutierten Thesen ermöglichen. In Anbetracht der Fülle an Quellen, die den Rahmen dieser Arbeit bei weitem sprengen würde, möchte ich zwei Einschränkungen vornehmen: Einerseits werde ich mich in der Darstellung von Huntingtons Thesen auf die erwähnte, 1996 erschienene, Monografie, nicht jedoch auf den 1993 in "Foreign Affairs" erschienenen Artikel beziehen und mich daher auch bei der Darstellung der Kritik auf Standpunkte, die sich auf das Buch beziehen, beschränken. Da in dieser Arbeit ein besonderer Fokus auf der US-amerikanischen Diskussion liegen soll, werde ich zudem in erster Linie Reaktionen US-amerikanischer Autoren beziehungsweise in den USA erschienene Bücher und Zeitschriftenbeiträge untersuchen.
2. Huntingtons Thesen im Bezug auf die Bedrohung des Westens durch den Islam
2.1. "Zusammenprall" von Islam und Westen
Während der Kampf der Ideologien, der das zwanzigste Jahrhundert geprägt hatte, mit dem Zusammenbruch des Kommunismus in Osteuropa zu Ende ging, beobachtete Huntington eine weltweite Tendenz zur Indigenisierung, also der Rückbesinnung der Menschen auf ihre eigene Kultur. Huntington definiert Kultur im Bezug auf Adda Bozeman als die "gesamte Lebensweise eines Volkes, die (...) Werte, Normen, Institutionen und Denkweisen [impliziere], denen aufeinander folgende Generationen einer gegebenen Gesellschaft primäre Bedeutung zugemessen haben"[3] und die daher "Gegenstand ihrer umfassendsten Identifikation"[4] sei. Kultur sei "eine zugleich polarisierende und einigende Kraft", die Völker und Staaten mit ähnlichen Überzeugungen, Sitten und einer gemeinsamen Geschichte zusammenführe und um einen besonders mächtigen Kernstaat dieses Kulturkreises scharen lasse, sie allerdings von anderen Kulturen abgrenze und in Konflikt zu ihnen bringe. Auseinandersetzungen zwischen Staaten verschiedener Kulturkreise würden schnell auf die kulturell verwandten Nachbarländer übergreifen und sich zu besonders brutalen und lang andauernden Auseinandersetzungen, so genannten Bruchlinienkriegen, auswachsen.[5]
Huntington teilt die Welt in fünf bis sieben Kulturkreise: Den sinischen mit dem Kernstaat China; den japanischen, der mit Japan identisch ist; den hinduistischen um Indien; den islamischen, der keinen Kernstaat hat; den westlichen, der insbesondere Nordamerika und Westeuropa umfasst und den orthodoxen in Südosteuropa. Über die Existenz eines lateinamerikanischen und afrikanischen Kulturkreises ist Huntington nicht sicher.[6] Der "Westen" unter Führung der USA und Westeuropas sei derzeit der mächtigste Kulturkreis, auch wenn seine wirtschaftliche und militärische Macht relativ gesehen abnehme. Über mehrere Jahrhunderte habe er seine Macht über andere Kulturkreise ausgeweitet und versuche seine Wertvorstellungen als "universale Kultur" durchzusetzen.[7] Viele dieser Werte, wie Demokratie, Rechtsstaatlichkeit oder Individualismus seien mit den Vorstellungen anderer Kulturen unverträglich und der westliche Universalismus stoße auf massiven Widerstand. Im Fall des Islams kämen noch weitere Faktoren hinzu: Zunächst sei die "Islamische Resurgenz", also die Rückbesinnung auf den Islam als "Quelle von Identität, Sinn, Stabilität, Legitimität, Entwicklung, Macht und Hoffnung"[8] eine besonders starke Indigenisierungsbewegung. Zweitens seien die islamischen Gesellschaften des beginnenden 21. Jahrhunderts von einem massiven Bevölkerungswachstum geprägt. Die große Zahl junger Menschen sei überwiegend religiös und betrachte den Westen als korrupt und islamfeindlich, was die amerikafreundlichen Regime in der muslimischen Welt destabilisiere.[9] Aus diesem Grund trete der Islam dem Westen als "Herausfordererkultur"[10] entgegen. Im Gegensatz zu Asien, der anderen Herausfordererkultur, habe der Islam aber keinen Kernstaat, wodurch er zu einem besonders inkonsistenten und unberechenbaren internationalen Akteur werde. Dieser Umstand, gepaart mit einer "muslimische[n] Neigung zum gewaltträchtigen Konflikt"[11], mache Bruchlinienkriege zwischen dem Westen und der muslimischen Welt wahrscheinlich.
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[1] vgl. Simhandl, Katrin: "The Clash of Civilizations - Das Buch und die Debatte", in Mokre, Monika (Hg.): "Imaginierte Kulturen - reale Kämpfe - Annotationen zu Huntingtons "Kampf der Kulturen", Baden Baden, 2000, S. 15-29
[2] vgl. Assheuer, Thomas: "Eine sehr gefährliche Falle", auf www.zeit.de/2006/07/Huntington (Stand 17.7.2008)
[3] Huntington, Samuel P.: "Kampf der Kulturen - Die Neugestaltung der Weltpolitik im 21. Jahrhundert", Hamburg, 2006, S. 53, zitiert nach: Bozeman: "Civilizations under Stress", S. 1
[4] ebd., S. 51
[5] vgl. ebd., S.26 f.
[6] vgl. ebd. S.59-63
[7] vgl. ebd., S.119-138
[8] ebd., S. 170
[9] vgl. ebd., S.170ff.
[10] ebd., S. 157
[11] ebd., S. 420